(K)ein Millionär für eine Nacht - Paris Sanders - E-Book

(K)ein Millionär für eine Nacht E-Book

Paris Sanders

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Beschreibung

Liebe ist wie Licht für eine Motte. Man fühlt sich unwiderstehlich angezogen, nur um dann der Hitze zu verfallen. Manchmal braucht man schon verdammt viel Mut, um sich auf die Liebe einzulassen. Vor allem dann, wenn man wie Pascal einige Schicksalsschläge wegstecken musste und seitdem lieber in einem emotionalen Vakuum lebt, als Gefühle zuzulassen. Pascal findet, dass er damit nicht schlecht lebt, wenn er einen Adrenalinkick braucht, um sich lebendig zu fühlen, jagt er seinen Ferrari über eine private Rennstrecke oder geht zum Climbing. Womit er nicht gerechnet hat, ist Julia. Sie fängt neu bei seinem Plattenlabel an und bringt vom ersten Tag an nicht nur sein Leben gehörig durcheinander, sondern auch seine Gefühle. Plötzlich schafft er es nicht mehr, sich hinter seiner inneren Mauer zu verstecken. Das emotionale Chaos droht ihn zu verschlingen und es gibt nur einen Weg um wieder herauszufinden. Er muss sich seinen Gefühlen stellen und Liebe zulassen. Das Buch gehört zur "Milliardäre zum Verlieben" Reihe. Alle Bücher sind in sich abgeschlossen, ohne Cliffhanger und können in jeder beliebigen Reihenfolge gelesen werden!

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(K)ein Millionär für eine Nacht

Paris Sanders

Inhalt

(K)ein Millionär für eine Nacht

1. Cocaine

2. Ist da jemand

3. Bilder von dir

4. Feel

5. Everything About You

6. Angels

7. See you again

8. Purple Rain

9. Sweet Child O’ Mine

10. Don’t Tell Me No Lies

11. Human

12. (N)one-Night-Stand

13. With or Without you

14. Kinderlied (Part 2)

15. You could be mine

16. Wind of Change

17. Abschied nehmen

18. Lifesaver

19. It Will Rain

20. Frozen

21. All Summer Long

22. We Will Rock You

23. Hey

24. Einmal seh'n wir uns wieder

25. There's Nothing Holdin' Me Back

26. Broken Wings

27. Kinderlied (Part 1)

28. Mercy

29. Apologize

30. Killing Me Softly With His Song

31. Every Breath You Take

32. I Don’t Want To Miss A Thing

Epilog

Anmerkungen

OBO e-Books

(K)ein Millionär für eine Nacht

1

Cocaine

Eric Clapton

Kokain.

Nur eine Line, dann wäre ich fit. Die Musik würde aus mir herausströmen. Nicht nur in Klängen, Melodien, Harmonien, sondern in Farben, die tanzten, Muster woben, sich zu einem Kunstwerk zusammenfügten.

Kokain war die Lösung und das Problem. Der Grund, weshalb ich seit Monaten vor dem Mischpult saß und schwitzte. Versuchte Musik zu komponieren, die berührte, die Menschen zum Tanzen verführte, ein Lächeln auf ihre Lippen zauberte. Stattdessen war alles, was ich hinbekam, Mist.

Ich stand auf, wanderte auf und ab. Las zum hundertsten Mal die Zeilen, die ich damals im Drogenrausch geschrieben hatte. Manchmal waren es bunte Pillen, die mir auf die Sprünge halfen, oder Koks. Hin und wieder eine Mischung. Ein Cocktail, der mich ins All schoss, ohne dass ich meine vier Wände verlassen musste.

Irgendwann einmal hatte es eine Melodie zu diesem Text gegeben. Blöderweise hatte ich sie nicht sofort aufgeschrieben. Weil ich dachte, das würde ewig so weitergehen. Ich würde einen Hit nach dem anderen produzieren. Einfach, weil ich es konnte.

Dumm, nicht wahr?

Nicht ich hatte die Hits produziert, sondern die Drogen. Das wurde mir klar, als ich auf Entzug ging. Seitdem klappte nämlich gar nichts mehr.

Ich drehte mich zum Mischpult, schnappte mein Handy, das darauf lag. Meine Finger schwebten über dem Display. Die Lösung meiner Probleme war nur eine Telefonnummer entfernt. Wenn ich mir nur dieses eine Mal etwas reinzog, würde ich vorankommen. Dann wäre es nicht Müll, was aus den Lautsprechern kam, sondern der nächste Clubhit. Der Song, der die Charts stürmen würde.

Nur noch einmal.

Dann bräuchte ich das Zeug nie wieder anzurühren.

Einmal ...

2

Ist da jemand

Adel Tawil

Ich schaute in den Spiegel und strich mir ein paar Haare aus der Stirn, die, weil sie noch nass von der Dusche waren, tintenschwarz wirkten. Für einen Augenblick musterte ich mein Gesicht. Ich war nicht so selbstverliebt, dass ich mich stundenlang im Spiegel betrachtete. Nein, jedes Mal, wenn ich kurz davor war, Kokain oder eine bunte Pille zu nehmen, weil ich mein Leben nicht mehr aushielt, bemalte ich meinen Körper.

Mein Seelenklempner, Dr. Scherenbach, hatte mich auf die Idee gebracht. Er sagte, wenn ich es schaffen würde nachzudenken, bevor ich etwas nahm, wäre das ein erster Schritt zur Heilung. Die meisten Menschen gaben einfach dem Reflex nach, wollten sich besser fühlen, nicht mehr gegen die Sucht ankämpfen und wurden rückfällig. Scherenbach hatte bestimmt nicht an gemalte Tattoos gedacht, als er mit mir sprach, aber bis jetzt funktionierte es. Immer wenn ich spürte, wie die Versuchung übermächtig zu werden drohte, griff ich zu einer Spezialtinte, die für gemalte Tattoos hergestellt wurde. Sie verblasste nach circa zwei Wochen und war ideal, wenn man des Öfteren sein Erscheinungsbild verändern wollte.

Ich starrte in mein Spiegelbild, mein Blick glitt über mein Gesicht, zu meiner Brust, von da zu den Bauchmuskeln und wieder nach oben. Genau dorthin, wo ich mein Herz vermutete. Falls ich noch eines besaß.

Ich musste nur noch entscheiden, welches Bild ich kreieren wollte. Ein Muster aus geschwungenen Linien? Ein Bild von einem Drachenkopf? Einem Tiger?

Nein. Das traf es nicht. Der Drang, mit Kokain oder einer anderen Droge eine Veränderung herbeizuführen, konnte nicht mit einem mystischen Wesen oder einem Tier dargestellt werden. Die Tatsache, dass ich kurz davor gewesen war, etwas zu nehmen, zeigte meine Frustration an. Die künstlerische Flaute, die ich seit Monaten nicht überwinden konnte. Was hatte sie herbeigeführt?

Schmerz.

Es musste weh tun, nichts mehr schaffen zu können. Immer wieder gegen Mauern anzurennen.

Bald wand sich ein dünner Stacheldraht um meinen Oberkörper. Der Draht würde einschneiden, sich in die Zellen fressen, Entzündungen hervorrufen, mir die Luft abschnüren. Wäre er echt, würde ich zumindest den körperlichen Schmerz spüren.

Während ich malte, fokussierte ich mich auf mein Tun, verbannte alle anderen Gedanken aus meinem Kopf. Die Linien mussten perfekt werden. Das zeigen, was ich darstellen wollte. Ein Gefühl der Ruhe legte sich wie ein warmer Mantel um meine Schultern. Ich musste nichts tun, außer die schwarze Farbe so auf meiner Haut zu verteilen, wie ich mir das vorstellte. Nichts denken. Nichts fühlen. Nur einen Strich nach dem anderen setzen.

Als ich fertig war, verstaute ich meine Utensilien in dem Badezimmerschrank. Die Studios bei Quest, der Plattenfirma, die zur Hälfte mir gehörte, belegten einen eigenen, abgeschlossenen Bereich für die Musikproduzenten. Insgesamt drei Studios standen uns zur Verfügung, eines davon nutzte ich permanent. Als Miteigentümer des Plattenlabels war es einer der Vorzüge, die ich zu schätzen wusste.

Eine Stahltür trennte diesen Bereich von der übrigen Firma ab und verhinderte, dass die Musik die Mitarbeiter vom Arbeiten abhielt. Uns schützte sie vor allzu neugierigen Zuhörern. Wir verfügten außerdem über ein eigenes Badezimmer, ausgestattet mit einer Dusche, einer Toilette und dem Schränkchen, in dem ich meine Spezialtinte aufbewahrte. Außer der abschließbaren Stahlschachtel, die meine Malutensilien beherbergte, verstaubten in den Regalen ein paar Einwegrasierer, Seife und Kondome.

Nachdem ich alles weggeräumt hatte, musterte ich noch einmal das Tattoo im Spiegel und streifte mein Shirt über. Ich brauchte etwas zu trinken. Einen Kaffee, einen Energydrink. Irgendetwas, das mich zum Leben erwecken würde. Zumindest lange genug, um es bis in meine Wohnung zu schaffen. Dort konnte ich den Tag verschlafen. Ich arbeitete ausschließlich nachts, wenn alles still war, die meisten Menschen schliefen, ihren Träumen nachhingen und mir den Freiraum gaben, den ich brauchte, um Musik zu schreiben. Obwohl ich schon seit Langem die Nacht zum Tag machte, war ich müde. Mein Körper hätte sich eigentlich mittlerweile darauf eingestellt haben sollen, aber im Gegensatz zu mir hing er offensichtlich am Tageslicht.

Auf der Suche nach Koffein, das mich genügend wachrütteln würde, um es mit dem Fahrrad in die Stadtmitte zu schaffen, wankte ich in die Küche. Ich brauchte ungefähr einen Liter Kaffee, um in der Lage zu sein, nach Hause zu radeln, ohne in den Main zu fallen.

Mit halb geschlossenen Augen bewegte ich mich zu den Schränken, um mir eine Tasse zu holen, die Kaffeemaschine anzuwerfen und wieder zu einem Wesen zu werden, das halbwegs in der Lage war zu funktionieren.

Ich kam nur ein paar Schritte weit, dann sah ich sie.

Eine junge Frau. Eingerahmt von Sonnenstrahlen, deren funkelnde Lichter in ihren Haaren tanzten. Blonde Locken fielen über ihre Schultern bis zur Mitte ihres Rückens. So muss ein Engel aussehen, geschickt, um mich zu retten. Der Gedanke war so kitschig, dass ich ihn sofort verwarf. Gott hatte andere Sorgen, als mich zu retten. Wenn es überhaupt einen Gott gab, dann beschäftigte er sich nicht mit den Menschen, die er zerstörte oder durch seine Unachtsamkeit zerstören ließ.

Sie bemerkte meine Anwesenheit nicht, denn sie schaute noch immer aus dem Fenster, kehrte mir den Rücken zu, hörte nicht, wie ich neben sie trat, um mir eine Tasse zu holen. Ich wusste nicht, was da draußen so spannend war, die Küche ging auf ungenutztes Bauland hinaus, von Unkraut überwuchert. Nicht mehr als eine illegale Müllhalde.

Vielleicht konnte ich verschwinden, bevor sie sich umdrehte und ich Small Talk halten musste. Leise öffnete ich die Tür eines Küchenschranks. Eine total dämliche Idee. Ich hätte wissen müssen, dass ich sie erschrecken würde, wenn ich wie ein Geist neben ihr hantierte, aber so klar dachte ich noch nicht um diese Tageszeit. Vor allem nach einer Nacht, die total frustrierend verlaufen war. Gerade als ich eine Tasse aus dem Schrank nahm, drehte sie sich in einer ruckartigen Bewegung zu mir um. Ein scharfer Schmerz ließ mich, ohne nachzudenken, einen Satz nach hinten machen.

Sie hatte mir die kochend heiße Flüssigkeit übergeschüttet, die sich zuvor in ihrem Becher befunden hatte und die jetzt eine heiße Spur über meinen Bauch zog.

„Au!“ Ich zog mir das T-Shirt über den Kopf. Mein einziger Gedanke war, dass ich den Stoff von meinem Körper wegbringen musste. Dann schaute ich auf. Sie starrte mich an, murmelte Worte, die ich nicht verstand und auch nicht verstehen wollte, dazu war ich zu sehr damit beschäftigt, meinem Unmut Luft zu machen.

„Verdammt, ist das heiß. Kannst du nicht aufpassen?“ Ich wusste, wie unfreundlich ich klang, aber das Zeug, das sie mir übergeschüttet hatte, brannte noch immer.

„Oh, nein. Das tut mir leid. Wirklich!“ Sie trat einen Schritt zurück. Wahrscheinlich, weil ich sie noch immer wütend mit meinem Blick fixierte. Irgendwo in meinem Bewusstsein machte sich die Erkenntnis breit, dass ich etwas freundlicher reagieren könnte. Ich achtete nicht darauf. Der Morgen war nie meine beste Tageszeit und dann noch die Überraschung, jemandem zu begegnen, die Sonne, die sie umrahmte, ihr Missgeschick. All das war zu viel nach einer langen Nacht.

„Scheiße, das brennt“, entgegnete ich, denn ein Teil der heißen Flüssigkeit war dort angekommen, wo es wirklich unangenehm wurde. Sie sah sich hektisch um. Ich sollte, verdammt noch mal, ihre Entschuldigung annehmen, ein paar freundliche Floskeln in den Raum werfen und verschwinden. Je schneller ich das auf die Reihe bekäme, desto besser.

Bevor ich mein Shirt wieder anziehen konnte, um diese glänzende Idee in die Tat umzusetzen, traf mich ein Schwall kaltes Wasser. Für einen Augenblick fehlten mir tatsächlich die Worte. Das Letzte, womit ich gerechnet hatte, war eine weitere Dusche.

„Bist du total bekloppt?“, fauchte ich sie an, was mal wieder zeigte, dass ich nicht besonders überlegt reagierte, wenn man mich auf diese Art endgültig aufweckte.

„Ich dachte, du hast dich verbrannt, und da ist kaltes Wasser am besten, um die Schmerzen zu lindern.“ Sie lief rot an. Die ganze Angelegenheit war ihr peinlich, trotzdem war sie immer noch besser dran als ich. Wasser strömte über meinen Körper, die Jeans hing total durchweicht an mir herab. Das einzig Positive an der ganzen Sache war, dass ich jetzt keinen Kaffee mehr brauchte, um die Müdigkeit abzuschütteln.

„Ich glaube es nicht.“ Normalerweise war ich an die Verrückten gewöhnt, die Quests Firmenräume bevölkerten, die Irre jedoch schoss echt den Vogel ab. Als wäre es nicht genug, mich erst heiß und dann kalt zu duschen, meinte jetzt auch noch die Sonne, sie müsse sich erneut einmischen und den Körper der Blondine mit ihren Strahlen umrahmen. Jetzt sah sie noch mehr aus wie ein Engel.

„Fucking Sunshine Angel“, brach es aus mir hervor. Ein stechender Schmerz schoss in meine Brust, fast so, als sollte ich für mein unfreundliches Verhalten bestraft werden. Zuerst dachte ich, es sei etwas Körperliches. Ich war es nicht mehr gewohnt, Gefühle zu spüren, doch dann merkte ich, dass es sich tatsächlich um eine Emotion handelte. Eine, die ich nicht benennen konnte. Kein Wunder, es war lange her, seit ich so etwas zugelassen hatte.

„Es tut mir wirklich sehr leid. Soll ich dein Hemd in die Reinigung bringen?“ Sie sah mich an. Ihre Unterlippe zitterte, als sei sie kurz davor, in Tränen auszubrechen.

„Nein.“ Ich drehte mich um und ging.

3

Bilder von dir

Laith Al-Deen

Während ich am Main entlangradelte, kreisten meine Gedanken um die Begegnung in der Küche. Um die Frau, die ich Sunshine Angel genannt hatte, weil ich ihren richtigen Namen nicht kannte. Was für eine dämliche Eingebung. Der Name klang noch immer genauso blöd wie vorhin. Ich sollte ihn vergessen, genauso wie sie, aber wie immer taten meine Gedanken, was sie wollten. Egal wie schnell ich fuhr, ich konnte ihr Bild nicht aus meinem Kopf vertreiben. Die weit aufgerissenen Augen, der Schreck auf ihren Gesichtszügen, als ihr klar wurde, was sie getan hatte. Trotz des Schocks sah sie aus wie ein Engel. Angel. Das englische Wort passte irgendwie besser, klang nicht so kitschig. Angel hatte mich überrascht, aber mehr noch das plötzliche Gefühl, das ich bei ihrem Anblick gespürt hatte. Zum ersten Mal seit langer Zeit war da mehr gewesen als das dumpfe Erstarren, in dem ich lebte. Ein Aufflackern, begleitet von dem scharfen Schmerz des heißen Wassers, das mich kurz darauf getroffen hatte, dann, etwas später, der Stich, der mir in die Brust gefahren war. So als sollte diese Begegnung in mein Gedächtnis eingebrannt werden. Was ein weiterer total dämlicher Gedanke war, genauso dämlich wie der, dass sie ein Engel sein könnte, geschickt, um mich zu retten.

Am liebsten wäre ich umgekehrt, um sie ein weiteres Mal zu sehen, um herauszufinden, ob ich wieder etwas spüren würde, wenn ich sie erblickte.

Ich hielt an, zog in tiefen Atemzügen die Luft in meine Lungen. Mein T-Shirt war mittlerweile nicht mehr von Wasser durchweicht, sondern von meinem Schweiß. Die Sonne brannte vom Himmel herab. Es war verdammt heiß.

Ich schüttelte den Kopf, als könnte ich so klarer denken. Natürlich brachte die Bewegung weder Klarheit noch sonst etwas. Wie um mich zu ärgern, liefen noch immer Satzfetzen durch meine Gedanken.

Was war es, was ich da gespürt hatte? Welches Gefühl steckte dahinter? Fragen, auf die ich nicht wirklich eine Antwort wollte. Wer brauchte schon Gefühle? Alles, was sie hervorriefen, war Chaos.

Dieser letzte Satz brachte die ersehnte Klarheit. Chaos hatte es bereits genug in meinem Leben gegeben. Ich wollte nicht noch mehr davon.

Ich schwang mich in den Sattel, trat in die Pedale, biss die Zähne zusammen und raste dem Eisernen Steg entgegen, der Brücke, die mich auf die andere Seite des Main bringen würde.

4

Feel

Robbie Williams

Wie immer verschlief ich den Rest des Tages. Als ich aufwachte, ging die Sonne unter. Sie färbte den Himmel erst rot, dann blau, bis er sich schließlich in einem dunklen Grau über die Stadt spannte. Ich setzte mich auf die Bettkante, fuhr mir mit einer Hand durch die Haare und überlegte, was ich tun sollte. Ich war zu ruhelos, um mich ins Studio zu setzen. Zu verärgert, um eine weitere frustrierende Nacht durchzustehen.

Nach einem Frühstück, das im Wesentlichen aus Müsli bestand, schnappte ich mir die Autoschlüssel. Drei Stunden später rollte ich an eine Schranke heran. Die Rennstrecke, die dahinter lag, war für Privatpersonen gebaut worden. Vorwiegend reiche Menschen, die ihre superteuren Sportwagen mal so richtig ausfahren wollten.

Ich blendete einmal auf, die Barriere glitt lautlos nach oben und entließ mich in die Boxengasse. Im Schritttempo manövrierte ich den Ferrari in eine der Garagen, dann stoppte ich den Motor. Ich stieg aus, warf die Autotür zu. Der scharfe Knall, mit dem sie zufiel, durchschnitt die Stille wie ein Schuss.

„Hallo, Pascal. Du bist früh“, sagte Dave, kam auf mich zu und schüttelte meine Hand. Er hinkte, das Überbleibsel eines Autounfalls, den er in den Achtzigern gehabt hatte. Wenn man ihm glauben durfte, war es ein Wunder, dass er den Crash überlebt hatte. Es gab keine Aufzeichnungen davon, das Unglück war während einer Trainingsfahrt geschehen. Dave hatte überlebt, aber seine Karriere als Rennfahrer war beendet gewesen. Seitdem wohnte der Brite in der Nähe der Rennstrecke und betreute die Fahrer. Allesamt Amateure, die es sich leisten konnten, die Rennstrecke zu mieten, um so zu tun, als seien sie Rennfahrer. Ich war allerdings der Einzige, der nachts herkam. Ein noch größeres Greenhorn als die anderen, wenn man Dave glauben durfte.

„Die Autobahn war wie leer gefegt“, antwortete ich auf seinen Kommentar.

„Kein Wunder, um drei Uhr morgens.“ Dave schaute auf seine Armbanduhr, als wollte er die Zeit überprüfen. „In ein paar Stunden sieht die Sache dann schon anders aus.“

„Bis dahin bin ich längst hier raus. Ich will nur ein paar Runden drehen.“

„Ich weiß, ich weiß. Mitten in der Nacht. Wie immer. Ist ja nicht so, als könnte man hier tagsüber fahren. Nein, wir lassen die Greenhorns immer dann auf die Strecke, wenns so richtig gefährlich ist.“

Trotz der Tirade wusste ich, dass Dave unsere Treffen genoss. Niemand sonst war hier. Nur wir beide und ein Ferrari 488 GTB mit 670 PS und einem V8 unter der Haube.

„Dann mal los.“ Dave wienerte noch einmal mit dem Lappen über die Kühlerhaube. Dieser Putzlumpen war ein Utensil, das ebenso fest mit ihm verbunden schien wie seine Arme und Beine. Er tätschelte die Motorhaube. „Hast du noch genug Sprit im Tank?“

„Für ein paar Runden wirds reichen.“

„Ich bin bereit, wenn du auftanken musst.“

„Okay.“

„Soll ich die Flutlichter einschalten?“ Diese Frage stellte Dave jedes Mal. Er kannte meine Antwort.

„Nein“, antwortete ich.

„Bist du sicher? Heute ist es stockdunkel. Wir haben Neumond.“

„Gut. Dann wird es wenigstens interessant.“

Dave schüttelte den Kopf, murmelte etwas von: „Immer diese Greenhorns, die denken, sie wären Götter hinter dem Steuer.“

Ich grinste. Er hatte recht, aber ich war nicht hier, um meine Runden bei Tageslicht zu drehen, sondern um herausgefordert zu werden. Um herauszufinden, ob ich es schaffen würde, den Ferrari in hohem Tempo über eine Strecke zu jagen, die nicht von mehreren Tausend Watt erleuchtet wurde.

Ich stieg ein, schnallte mich an und startete den Motor. Die Wände der Garage warfen den Sound zurück, verstärkten ihn, bis es wie ein Donnergrollen klang, das immer näher kam. Dave trat einen Schritt zurück, hob seinen Daumen, ich rollte an ihm vorbei, die Boxengasse entlang zur Startlinie. Mein Herz klopfte schneller, pumpte Blut in meine Adern, ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Nur hier war die Mimik echt. Nur hier spürte ich ein Gefühl, das dem von Freude verdächtig nahekam.

Die Ampel schaltete auf grün, ich trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch, gab dem Ferrari das, wofür er gebaut worden war. Wie ein Panther schoss er nach vorne, raste die Gerade entlang, in drei Sekunden auf hundert, ein paar Sekunden mehr und die Tachonadel schnellte auf über zweihundert Stundenkilometer. Die 670 PS unter der Haube in perfekter Synchronisation. Obwohl die Strecke im Dunkeln lag, nur von den Scheinwerfern meines Sportwagens erhellt wurde, wusste ich genau, wie ich fahren musste. Ich hatte jede Kurve, jede Unebenheit im Asphalt, jeden Schlenker in meinem Kopf gespeichert.

Adrenalin pulsierte durch meinen Körper, machte mich high wie eine Droge. Aber es transportierte mich nicht in eine andere Welt oder betäubte die Sinne, sondern bewirkte das genaue Gegenteil. Ich war voll da, hoch konzentriert. Fehler konnte ich mir nicht leisten, nicht bei dieser Geschwindigkeit.

Das Scheinwerferlicht durchschnitt die Dunkelheit wie ein Laserschwert, zeigte, wie sich die weißen Linien zu einer Kurve bogen. Runterschalten. Vom Gas gehen. Den Wagen in der Biegung halten.

Ich war schnell. Zu schnell, denn der Ferrari kämpfte gegen meine Hand, versuchte zur Seite auszubrechen, aber ich hielt ihn genau dort, wo ich ihn haben wollte. Der Wagen schoss in die Gerade hinaus, ich drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Die Tachonadel schnellte auf dreihundert. Dreihundertzwanzig. Dreihundertdreißig.

Dave würde mit mir schimpfen, wenn ich zum Boxenstopp kam, das war schon jetzt sicher. Die Tachonadel zeigte an, dass ich schneller über den Asphalt jagte als je zuvor. Heute aber war eine Nacht, in der es wichtiger als sonst war, zu beweisen, dass ich den Wagen beherrschte.

Ein Bild flackerte in meinen Gedanken auf. Angel. Umhüllt von Sonnenlicht. Ihr Gesicht mit den ausdrucksstarken Augen. Ihre schlanke Figur, die eine andere Art von Verlangen weckte, ein Verlangen, dem ich schon zu lange nicht mehr nachgegeben hatte.

Schmerz begleitete ihren Anblick. Ein Dolch durchtrennte die schützende Hülle um mein Herz, legte das frei, was sich dahinter verbarg. Wie Blut ergossen sich Emotionen in mir, raubten mir den Atem. Mit einem Keuchen umklammerte ich das Lenkrad. Der Wagen, die Geschwindigkeit. Hier diktierte ich, was geschah. In den letzten Monaten hatte ich alles getan, um diese Kontrolle zu wahren. Es gelang mir. Der Preis dafür war hoch, manchmal dachte ich, er sei zu hoch, doch nicht in diesem Augenblick. Alles würde ich dafür geben, um die Mauern, die ich in meinem Inneren errichtet hatte, wieder hochzuziehen. Nichts durfte sie durchdringen. Nichts durfte das freilegen, was ich mit aller Kraft beschützte.

Fuck!

Es waren keine Mauern.

Nein, was mein Herz bisher beschützt hatte, fühlte sich jetzt an wie ein schillernder, glatter Stoff. Geschmeidig. Dunkel. Leicht zu zerstören, die Klinge musste nur scharf genug sein.

Mehr Bilder stürmten meinen Kopf. Erinnerungen, die ich vergessen wollte, doch nie vergessen würde. Stattdessen hatte ich etwas anderes getan, ich hatte sie weit nach hinten verbannt, so weit, dass ich mich anstrengen musste, wollte ich sie hervorholen. Jetzt war keine Anstrengung nötig. Sie kamen von selbst.

Ich presste die Kiefer aufeinander, kämpfte gegen den Impuls an, den Kopf in den Nacken zu legen und den Schmerz in die Nacht hinauszuschreien.

Leblose Körper. Polizisten. Ein zerstörtes Auto. Särge, die in einer Grube verschwanden.

Erde.

Grabsteine.

Zu viele Grabsteine.

Mein Fuß knallte auf die Bremse.

Eine Millisekunde. Eine Scheißsekunde, in der ich nicht aufpasste, raubte mir die Illusion, etwas, irgendetwas in meinem Leben zu bestimmen. Als wollte das Schicksal mir zeigen, wer hier das Sagen hatte.

Der Ferrari brach zur Seite aus. Natürlich raste ich gerade mit über zweihundert Sachen durch eine Kurve, als meine Vergangenheit mich einholte. Zentrifugalkraft zerrte am Lenkrad, Reifen kreischten auf Asphalt. Der Geruch nach verbranntem Gummi stieg mir in die Nase. Ein Rad kam von der Fahrbahn ab, dann noch eines. Kies spritzte auf.

Ich riss das Lenkrad zur Seite, versuchte auf die Strecke zurückzukommen. Dann streifte ich auch schon einen der Reifenstapel, die als Schutz vor der Begrenzungsmauer aufgebaut waren. Ein hoher, scharfer Ton zerriss die Nacht, als der Wagen an der Mauer entlangschrammte. Funken stoben, erhellten die Dunkelheit mit irren Glanzlichtern.

Und plötzlich Stille.

Der Ferrari stand, der Motor abgewürgt. Noch immer tobten Bilder in mir. Ich drängte sie zurück, schlug in meinen Gedanken eine imaginäre Tür hinter ihnen zu.

Lautes Atmen riss mich in die Gegenwart zurück. Der Gurt schnitt schmerzhaft in meine Schultern. Ich drehte den Kopf von einer Seite auf die andere, nur um zu testen, ob ich es noch konnte. Dann sah ich meine Hände an. Sie umfassten in festem Griff das Lenkrad. Die Knöchel traten weiß hervor. Ich gab mir den Befehl loszulassen, damit ich aussteigen konnte, aber mein Körper hörte nicht auf mich.

Ich lehnte den Kopf zurück an die Nackenstütze und atmete ein paar Mal tief durch. Das half, denn ich schaffte es endlich meine Finger zu lösen, den Gurt zu öffnen und auszusteigen. Noch immer etwas zittrig auf den Beinen stützte ich mich am Auto ab.

Eine vertraute Figur löste sich aus den Schatten, stapfte im Eiltempo auf mich zu. Die Scheinwerfer des Ferrari erhellten einen schmalen Korridor in der Dunkelheit mit ihrem Strahl. Dave bewegte sich am Rande des Lichts, benutzte nur so viel, wie er brauchte, um zu erkennen, wohin er ging. So als wollte er nicht mehr im Rampenlicht stehen.

Das Gedankenkarussell in meinem Kopf kam zu einem abrupten Halt, als Dave bei mir ankam. Mit einem Blick erfasste er, dass ich keine größeren Verletzungen hatte, oder zumindest, dass ich nicht aus irgendeiner Wunde blutete.

Dann begann auch schon seine Tirade: „Bist du total übergeschnappt? Du bist mit dreihundert Sachen in die Kurve gerast! Was glaubst du, was dann passiert? Das! Genau das!“ Dave hieb mit seinem Zeigefinger durch die Luft. Ich war mir ziemlich sicher, dass er auf den Ferrari zeigen wollte, aber im Grunde gestikulierte er nur wild in der Gegend herum.

„Ich war abgelenkt. Nur kurz“, verteidigte ich mich. Selbst in meinen Ohren klang der Einwand lahm.

„Abgelenkt? Du führst 670 PS spazieren und bist nicht bei der Sache?“ Für einen Augenblick fehlten Dave die Worte. Er starrte mich an, als könnte er so in mein Gehirn blicken, herausfinden, was in meinem Kopf vorging.

„Es tut mir leid.“

„Pffft. Es tut ihm leid. Shit!“ Dave wandte mir den Rücken zu und kickte irgendetwas mit dem Fuß weg. Ein metallisches Klirren erklang. Hörte sich ganz so an, als hätte er einen Teil des Scheinwerfers erwischt. Den Linken hatte es total demoliert, die Wucht des Aufpralls hatte den Reifenstapel zur Seite geschoben, sodass der Ferrari mit der Schnauze die Leitplanke entlanggepflügt war.

„Wir brauchen einen Abschleppwagen. Und dann muss noch der Müll weggeräumt werden. Mitten in der verdammten Nacht.“

„Lass ihn stehen. Das hat bis morgen früh Zeit. Vorher fährt hier sowieso niemand.“

„Du hast verdammt recht. Niemand fährt in totaler Dunkelheit wie ein Irrer einen Supersportwagen über die Strecke. Niemand außer dir. Dem größten Greenhorn von allen.“

„Dave. Beruhige dich. Es ist nichts passiert. Oder zumindest nichts Schlimmes.“

„Du hättest draufgehen können. Wenn die Rennstrecke nicht so gesichert wäre, wie sie es ist, könnte ich jetzt mit einer Lupe deine Einzelteile vom Asphalt pulen.“

„Ja. Kann sein.“ Ich zuckte mit den Schultern. Ich sah keinen Sinn darin, über Dinge zu diskutieren, die nicht geschehen waren.

„Das zahlt die Versicherung nie. Niemals.“ Dave schüttelte den Kopf, um seine Worte zu unterstreichen. „Das kannst du total vergessen.“

„Dann zahle ich es eben. Am besten melde ich den Unfall gar nicht erst.“ Als ich mit der Versicherung einen Tarif ausgehandelt hatte, der meine Rennleidenschaft mit einbezog, war niemals die Rede davon gewesen, dass ich nachts fahren würde. Der entsprechende Passus in meinem Vertrag enthielt so viele Klauseln, die alles Mögliche ausschlossen, dass die Versicherung wahrscheinlich auch dann um eine Zahlung herumkommen würde, wenn ich bei Tag mit fünfzig Stundenkilometern über die Strecke gekrochen wäre.

„Wir rufen die Crew sowieso erst am Morgen an. Ich könnte behaupten, du wärst um sieben Uhr gefahren.“

„Vergiss es, Dave. Es war meine Schuld. Ich kenne die Vertragsbedingungen und wusste, auf welches Risiko ich mich einlasse, wenn ich außerhalb der normalen Zeiten fahre.“

„Na gut, ist ja dein Geld.“

„Trotzdem, danke.“ Ich streckte mich vorsichtig. Nur um festzustellen, ob mein Körper noch funktionierte. Sah aus, als wäre alles in Ordnung, wenn man davon absah, dass ich mich noch immer etwas zittrig fühlte. Schnell rammte ich meine Hände in die Hosentaschen. Dave musste nicht mitbekommen, dass mich der Unfall mehr mitgenommen hatte, als ich zugeben wollte.

Aber es war schon zu spät. Aus zusammengekniffenen Augen musterte er mich.

„Bist du in Ordnung? Das war ein ziemlich übler Crash.“

„Mir gehts gut.“ Ich wippte auf den Fußballen nach vorne, dann nach hinten, nur um es gleich wieder zu lassen. Ein Wippen mehr, und ich wäre mit dem Gesicht voran in den Kies geknallt. Mein Gleichgewichtssinn war wohl etwas angeschlagen.

„So? Meinst du?“

„Ja. Alles bestens“, log ich. Keine Ahnung, warum ich ihm nicht die Wahrheit sagte. Vielleicht weil ich mich nicht noch mehr wie ein Anfänger verhalten wollte. Wie einer dieser aufgeblasenen Wichtigtuer, die meinten, sie wären Rennfahrer, nur weil sie einen Sportwagen über eine gut gesicherte Rennstrecke jagten.

Also genauso ein Idiot, wie du es bist, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf.

„Das ist das Adrenalin. Da spürst du nix. Kann sein, dass du in zwei Stunden bemerkst, dass du nur noch einen Fuß hast.“ Sein Blick glitt zu meinen Füßen, als wollte er sich davon überzeugen, dass noch beide dran waren. „Ist vielleicht besser, wenn du dich kurz mal hinlegst.“

„Vergiss es. Mir gehts gut. Ist nichts passiert. Nur ein kleiner Schreck.“

„Ja, genau. Und deswegen zittern deine Hände ja auch überhaupt nicht.“

„Das geht vorbei.“ Ich drehte mich um und ging den Weg zurück, den ich eben noch mit dreihundert Stundenkilometern entlanggerast war.

„Warte. Ich fahre dich zum Hotel.“ Dave ging neben mir her. Ich verlangsamte meine Schritte etwas, damit er nicht rennen musste, um mit mir mitzuhalten.

„Das brauchst du nicht. Tut mir vielleicht ganz gut, wenn ich etwas frische Luft bekomme.“

„Vergiss es. Ich lass dich nicht aus den Augen. Wer ist denn verantwortlich, wenn du auf dem Weg tot umkippst, weil du einen Schock hast? Ich! Nur ich.“ Er zeigte mit dem Finger auf seine Brust. „Du weißt genau, dass der Boss mich zur Verantwortung ziehen wird.“