Rhode Island Christmas - Ray - Paris Sanders - E-Book + Hörbuch
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Rhode Island Christmas - Ray E-Book und Hörbuch

Paris Sanders

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Beschreibung

Drei Wochen lang Zwangsurlaub in Rhode Island kurz vor Weihnachten - check! Mich vor meinen Fans so gut es geht verstecken - check! Mich von Frauen fernhalten - ch… Jaaa, ich muss mich ja nicht von allen Frauen fernhalten. Vor allem dann nicht, wenn Snow, die attraktive Dekorateurin, die Sea Grace in ein Weihnachtswunderland verwandeln soll, mir quasi auf dem Silbertablett serviert wird. Blöderweise reagiert Snow in etwa genauso kühl auf meinen Charme, wie ihr Name vermuten lässt. Aber ich bin Eishockey-Profi. Kälte schreckt mich nicht ab. Jede Wette, ich werde Snow zum Schmelzen bringen. Ich muss sie nur davon überzeugen, dass ihr eine harmlose Affäre genauso guttun würde wie mir. Hol dir das E-Book, wenn du Lust auf eine weihnachtliche Liebesgeschichte hast, mit jeder Menge Schnee, köstlichen Plätzchen und Kuschel-Romantik.

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RHODE ISLAND CHRISTMAS

RAY

RHODE ISLAND CHRISTMAS

BUCH 2

PARIS SANDERS

INHALT

1. Snow

2. Ray

3. Snow

4. Ray

5. Snow

6. Ray

7. Snow

8. Ray

9. Snow

10. Ray

11. Snow

12. Ray

13. Snow

14. Ray

15. Snow

16. Snow

17. Ray

18. Snow

19. Ray

20. Snow

21. Ray

22. Snow

23. Ray

24. Snow

25. Ray

26. Snow

27. Ray

28. Snow

29. Ray

30. Snow

31. Ray

32. Snow

33. Ray

Epilog

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Anmerkungen

IMPRESSUM

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1

SNOW

Ich hasse Schnee. Ich hasse, hasse, hasse Schnee.

Der Gedanke wird begleitet von dem feuchten Geräusch, das meine Scheibenwischer machen. Sie schaffen es nur mit Mühe, gegen die Schneemassen anzukommen, die vom Himmel stürzen, aber sie machen trotzdem tapfer weiter. Von einer Seite zur anderen.

Swisch. Swisch. Swisch.

Okay, das ist wahrscheinlich kein Wort, das man im Duden finden würde, aber es beschreibt am ehesten das Geräusch, das sie machen. Außerdem hat es etwas Hypnotisierendes. Dieses ununterbrochene Hin und Her. Wer weiß, wenn ich lange genug hinstarre, hören vielleicht die Gedanken auf, durch meinen Kopf zu wandern.

Und da ist auch schon wieder einer: Bei dem Wetter müssen meine Pläne ja schiefgehen.

Oder vielleicht nicht, schließlich hasse ich Schnee, praktisch seit ich denken kann, was ein wenig ironisch ist, wenn man bedenkt, dass mein Vorname „Snow“ lautet. Wenn aber jeder, absolut jeder blöde Kommentare zu deinem Namen macht, hast du ihn wahrscheinlich auch irgendwann satt. Und jetzt fällt auch noch dieses dämliche weiße Zeug vom Himmel, das ich schon lange nicht mehr gesehen und kein bisschen vermisst habe.

Die Versuche meiner beiden Scheibenwischer werden immer zittriger. Sie sind gerade dabei, die neuen Schneeflocken nach links zu räumen, schaffen es aber nicht ganz. Auf der linken, wie auch der rechten Seite hat sich mittlerweile eine Eisschicht gebildet.

Kann es nicht endlich aufhören zu schneien?

Nein, offensichtlich nicht. Im Gegenteil, als hätte der Wettergott meine Gedanken gehört, legt er noch eine Schippe drauf. Wenn das so weitergeht, bleibe ich in einer Schneewehe stecken. Und wäre das nicht die Ironie des Jahrhunderts?

Snow Whitechapel gefangen im Schnee. Ich habe keine Ahnung, was sich meine Eltern bei meiner Namensgebung gedacht haben. Immer, wenn ich meine Mom frage, sagt sie: „Schatz, es ist so ein wunderschöner Name, fast wie aus dem Märchen. Wie konnte ich da widerstehen?“

Ja, versuche mal, dich mit diesem Namen irgendwo zu bewerben. Die meisten Firmen dachten, ich hätte mir einen schlechten Scherz erlaubt. Die anderen empfahlen mir, doch als Kindergärtnerin zu arbeiten. Kleine Info am Rande: Kindergärten wollen nicht, dass die Kids mit einer Bezugsperson konfrontiert werden, die einen Namen hat, der sie stark an ein Disney-Märchen erinnert. Das könne die Entwicklung verzögern … oder so ähnlich.

Wie der Zufall es haben will, sehe ich nämlich auch noch so aus wie die Märchenfigur. Mein bisher lukrativster Job war in Disneyworld. Nachdem ich dort nicht mehr arbeiten konnte – ich fühle mich in Menschenmassen nicht besonders wohl und das ist nicht gerade förderlich bei durchschnittlich über 46.000 Besuchern pro Tag –, musste ich mich mit anderen Gelegenheitsjobs herumschlagen. Bis ich endlich meinen Traum verwirklichen konnte. Leider dauerte es nicht lange und er endete in einem Desaster. Was der Grund ist, weshalb ich mich durch mehrere Tonnen Schnee nach Rhode Island kämpfe. In einem Mietwagen. Den ich mir gerade so leisten kann. Und den ich nur habe, weil mein Flug nach Providence dank des Wetters umgeleitet wurde.

Ich glaube, das Schicksal ist gegen mich.

Schnell verbanne ich diesen Gedanken und krieche weiter. Mit mittlerweile ungefähr zehn Meilen pro Stunde. Ich bin ganz allein auf dem Highway, was die Sache nicht besser macht. Um mich herum ist nichts als Dunkelheit, durchbrochen von weißen Schneeschauern.

Es ist unheimlich.

Beängstigend.

Ich fahre mittlerweile so langsam, dass mich eine Schnecke überholen würde. Der Nachthimmel irgendwo über mir ist kaum zu sehen. Dafür aber jede Menge Schneeflocken, die zur Erde fallen.

Scheeeeeiiiiißßßße!

Panik steigt in mir auf, das Wetter wird nicht besser. Mit jedem Meter, den ich meinem Ziel näherkomme, wird es schlechter. Wahrscheinlich ist das die Strafe für … Ich breche auch diesen Gedanken ab. Ich habe nichts verbrochen. Warum sollte ich für eine Tat büßen, die ich nicht mal begangen habe? Auch wenn ich sie plane. Und es nicht mal ein Verbrechen ist, was ich vorhabe. Es ist nur … unethisch, könnte man sagen. Wenn man ein moralisch aufrechter Mensch wäre. Jemand, der noch nie in seinem Leben was falsch gemacht hätte. Für alle anderen, die, so wie ich, hin und wieder Fehler begehen oder für die Taten anderer Menschen büßen müssen, ist ein moralischer Lebenswandel eher ein Luxus.

Halbwegs zufrieden mit meiner inneren Argumentation kneife ich die Augen zusammen und spähe durch die Windschutzscheibe nach draußen. Mein Sichtfeld wird immer kleiner. Natürlich könnte ich anhalten, den Schnee runterräumen und dann weiterfahren, aber ich habe Angst, dass mich selbst diese kurze Aktion in noch mehr Schwierigkeiten bringt. Wenn es so weiterschneit, werde ich irgendwann gar nicht mehr vorankommen. Trotz Winterreifen.

Ich bräuchte Schneeketten für diesen Blizzard. Aber ich habe keine. Der Wetterdienst hat die heftigen Schneefälle viel weiter nördlich vorhergesagt. Was wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass hier nichts geräumt wird. Würde mich nicht wundern, wenn sämtliche Schneepflüge im Norden ihren Job erledigen, falls es dort überhaupt was zu erledigen gibt.

Ich beiße die Zähne zusammen und krieche weiter.

Es sind nur noch 50 Meilen. Die schaffe ich. Und wenn ich erst mal in Rhode Island angekommen bin, muss ich nur noch bis zu meiner Unterkunft kommen.

Ich kriege das hin. Ganz bestimmt.

2

RAY

Meine Laune ist völlig am Arsch. Was bedeutet, sie ist noch schlechter als sonst, und das ist eine Leistung, wenn man bedenkt, was in den letzten Monaten alles passiert ist. Aber die Tatsache, dass Nigel, mein Agent, der Meinung ist, es wäre besser, wenn ich für ein paar Wochen in Deckung gehe, während die NHL ihre Verhandlungen durchführt, setzt dem Ganzen wirklich die Krone auf. Eishockey ist die einzige Ablenkung in meinem Leben. Das Einzige, was mich davon abhält, durchzudrehen, denn die Pressemeute veranstaltet seit sechs Monaten eine Hetzjagd auf mich, die mir allmählich den letzten Nerv raubt. Und weil das offensichtlich noch nicht schlimm genug ist, hat die NHL den Saisonstart auf unbestimmte Zeit verlegt. Warum? Weil die Spieler-Gewerkschaft und die NHL gerade diskutieren, wie viele Prozente die Spieler an den Merchandising-Einnahmen bekommen. Ja, ich weiß, wir sind ohnehin schon überbezahlt, aber die Eigentümer der Mannschaften noch viel mehr. Das Resultat ist, dass ich in einer Zwangspause stecke und die tut mir nicht gut. Noch mehr schadet mir der Presserummel um meine Person, der einfach nicht aufhören will.

Nichts von dem, was im letzten halben Jahr in der Skandalpresse stand, war die Wahrheit.

Nichts!

Ich weiß nicht, warum, aber aus irgendeinem Grund haben sämtliche Schundblätter beschlossen, dass sie keine anderen Stories raushauen wollen, als irgendwelche Lügen über mein Leben. Deshalb hatte Nigel die brillante Idee, dass ich untertauchen soll über Weihnachten, weil, und ich zitiere hier: „Du Weihnachten ja sowieso hasst und niemals feierst.“ Okay, er hat recht. Trotzdem stinkt das Ganze zum Himmel. Blöderweise ist jedes Foto, das zurzeit von mir gemacht wird, für eine Schlagzeile gut. Nigel hat – wie fast immer – recht und ich … ich bin einfach nur angepisst. Vor allem, wenn ich an die Bilder denke, die in den letzten paar Tagen von mir in den sozialen Medien zu sehen waren:

Ich, schlaftrunken vor dem Apartmentblock, in dem sich mein Penthouse befindet, wird zu „Ray Donahue, betrunken von der letzten Party.“

Ich, in einem Anzug auf dem Weg zu einer Charity-Gala, ist plötzlich „Ray Donahue auf Frauenfang.“

Und lasst uns nicht diese letzte „geniale“ Schlagzeile vergessen: „Ray Donahue, seine Beziehungen beendet er grundsätzlich per WhatsApp.“ Und das nur, weil das Foto mich zeigt, mit dem Handy in der Hand, wie ich mit gerunzelter Stirn aufs Display starre.

Man sollte meinen, dass die Frauen nach diesen Informationshappen endlich von mir ablassen. Im Gegenteil, es scheint sie noch mehr anzufeuern. Im professionellen Eishockey gibt es viele Groupies, die sich den Spielern an den Hals werfen, aber in den letzten Wochen hat es bei mir wirklich groteske Ausmaße angenommen. Mittlerweile wünsche ich mir, Frauen würden einfach Abstand halten. Die Nächste, die mir ins Ohr flüstert, wie sehr sie sich auf eine heiße Nacht mit mir freut, wird sehr unfreundlich von mir abserviert werden. Was ich natürlich nicht darf. Nigel verlangt von mir, der perfekte Gentleman zu sein, was ich in meiner derzeitigen Stimmung ziemlich schwierig finde.

Aber egal, all das ist der Grund, weshalb ich gerade auf dem Weg zu einem abgelegenen Anwesen in Rhode Island bin, und hoffe, dass mich niemand erkennt. Nigel hat mir klare Anweisungen gegeben.

Keine Nachtclubs.

Keine Partys.

Keine Frauen.

Klingt verdammt langweilig. Trotzdem, ob es mir passt oder nicht, ich muss für eine Weile von der Bildfläche verschwinden. Die blöden Klatschblätter brauchen Stoff für ihre Storys. Sobald sie merken, dass ich untergetaucht bin, werden sie über jemand anderen ihre Märchen verbreiten. Mir tut dieser arme Mensch jetzt schon leid, trotzdem bin ich fest entschlossen, nicht mehr derjenige zu sein, der für steigende Auflagen oder Klicks auf irgendwelche Webseiten verantwortlich ist.

Ich genehmige mir einen Schluck aus dem Kaffeebecher, den ich aus der Halterung geholt habe, und trommele mit den Fingern auf das Lenkrad. Der Blizzard, der letzte Nacht gewütet hat, ist zum Glück vorbei. Die hohen Schneehaufen, die sich am Straßenrand auftürmen, zeugen davon, dass die Schneepflüge heute Morgen schon ihren Dienst versehen haben. Ich bin nur froh, mir eine Nacht in einem Motel gegönnt zu haben, statt bei dem heftigen Schneefall weiterzufahren. Das Letzte, was ich brauche, ist eine Schlagzeile von mir, wie ich in einer Schneewehe stecke oder einen Autounfall habe oder sonst ein Unglück.

Also habe ich mich heute Morgen nach dem Frühstück wieder auf den Weg gemacht. Mittlerweile ist es fast ein Uhr und ich kann es nicht erwarten, endlich anzukommen. Nachdem ich gestern schon den ganzen Tag hinterm Steuer verbracht habe und heute mehrere Stunden, brauche ich Bewegung. Ich muss mich auspowern, vorzugsweise beim Sport. Meine Finger trommeln einen nervösen Rhythmus auf dem Lenkrad. Man sollte meinen, als Profisportler bekäme ich genug Bewegung, und das stimmt auch. Trotzdem, wenn ich mehrere Tage lang untätig war, bringt mich der Aktionsdrang fast um. Oder, treffender ausgedrückt, ich werde unruhig. All die Energie, die sich in mir aufstaut, braucht ein Ventil, und das finde ich bei körperlicher Betätigung.

Die letzte halbe Stunde vor meinem Ziel kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Ich zähle fast schon die Minuten, fahre hart am Tempolimit. Wenn ich nicht aufpassen müsste, keine weiteren Schlagzeilen zu generieren, würde ich das Gaspedal durchdrücken und auf die Geschwindigkeitsbegrenzung pfeifen. Aber das geht nicht. Also zuckele ich brav mit den erlaubten 55 Meilen pro Stunde dahin und schaue alle fünf Minuten aufs Navi, um zu checken, wie weit es noch ist. Es ist nicht das erste Mal, dass ich Zeit in Rhode Island verbringe, aber wenn ich das Navi eingeschaltet habe, kann ich mich ganz aufs Fahren konzentrieren und muss mich nicht damit befassen, ob ich richtig abgebogen bin oder nicht.

Endlich biege ich in die Straße ein, in der sich Sea Grace befindet. Die breite Allee ist von hohen Bäumen gesäumt. Riesige Grundstücke verbergen sich hinter hohen Mauern. Ja, man merkt sofort, dass hier Menschen wohnen, die zum einen viel Geld haben und zum anderen ungestört sein wollen.

Ich verstehe das. Allerdings erst, seit ich zu dem geworden bin, was man als A-List-Promi bezeichnet, und mehr Geld verdiene, als ich in diesem Leben ausgeben kann. Nur noch hundert Meter verrät mir die weibliche Stimme, aber das weiß ich auch so.

Die Gegend hier ist total verlassen, keine Menschenseele ist draußen zu sehen, keine Autos. Perfekt, um endlich mal aufs Gas zu treten und die letzten Meter hinter mich zu bringen.

Genau das tue ich auch. Ich meine, es sind nur ein paar Meter, was soll da schon passieren? Mit Schwung steuere ich von der Straße in die Einfahrt von Sea Grace. Vor mir das schmiedeeiserne Tor, das sich langsam öffnet, nachdem ich den Code per Handy aktiviert habe. Ich fahre mit Karacho durch eine riesige Pfütze mit Schmelzwasser. Es spritzt hoch zu beiden Seiten meines SUVs auf und …

Scheiße!

Offensichtlich war doch jemand draußen unterwegs. Eine Frau, die ich gerade – dank der Pfütze voll mit geschmolzenem Schnee – vollkommen durchnässt habe.

Mein erster Impuls ist: Vergiss es. Ab durchs Tor. Und genau das tue ich auch. Leider kommt mir danach meine gute Erziehung in die Quere. Meine Mutter hat mich besser erzogen als das. Die Frau da draußen trieft vor Nässe. Ich kann sie unmöglich so zurücklassen. Falls sie kein Auto hat, wird sie sich den Tod holen. Und wenn sie ein Auto hat, wird sie mich verklagen, dass mir Hören und Sehen vergeht.

„Scheiße!“

Dieses Mal sage ich es laut, lege den Rückwärtsgang ein, wende den Wagen und fahre zurück.

Sie steht immer noch dort. Keine Ahnung warum. Sie rührt sich auch nicht, sondern starrt mich mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an, als ich aussteige, den Motor abstelle und zu ihr gehe.

„Es tut mir sehr leid, ich habe Sie nicht gesehen, sonst hätte ich nicht …“ Ich breche ab. Diese großen, dunklen Augen. Sehr schöne, sehr große und sehr dunkle Augen, fast schon schwarz. Dazu ihr Gesicht. Es ist so blass wie der Schnee, der die Straßenränder säumt, die roten Lippen darin, ein Akzent, der meinen Blick immer wieder dorthin zieht. Ich muss mich anstrengen, um mich von ihnen zu lösen, denn sie verheißen so viel. Heiße Nächte zwischen den Laken, Küsse, die unter die Haut gehen und …

Schluss damit! Ich kenne diese Frau noch nicht mal und auch, wenn mich das sonst nie stört, heißt das nicht, ich könne sie gleich bei unserer ersten Begegnung mit den Augen ausziehen.

Aber vielleicht bei unserer zweiten, raunt eine Stimme in meinem Kopf, der ich sofort befehle, die Klappe zu halten.

Ich wende den Blick von diesem sündigen Mund und zu … Trägt sie freiwillig diese hässliche braune Mütze auf dem Kopf? Wie in aller Welt ist sie auf diese Idee gekommen? Man könnte fast meinen, sie wolle von ihrem …

Prima, jetzt starre ich schon wieder diese perfekten roten Lippen an. Noch einmal muss ich ganz schön viel Willenskraft aufbringen, um mich von ihnen loszureißen, ich lande bei ihren dunklen Augen. Man könnte glatt in deren Tiefen ertrinken, wenn sie einen nicht so mustern würden, wie mich gerade jetzt.

Sie fixiert mich mit ihrem Blick. Zuerst dachte ich, es wäre Wut, die ich dort lese. Durchaus berechtigte Wut, denn sie steht triefend vor Nässe vor mir. Aber jetzt, jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Der seltsame Ausdruck in ihren Augen sieht verdächtig nach Verzweiflung aus. Das bilde ich mir bestimmt nur ein. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, frage ich. Nur um sicherzugehen. Vielleicht hat sie ja einen Kälteschock erlitten. Ich habe in all meinen Jahren als Profi-Eishockeyspieler so etwas nicht erlebt, aber möglicherweise gibt es das trotzdem. Kann ja sein, dass ein Mensch, der gerade eine Flutwelle aus kaltem Wasser abbekommen hat, in eine Schockstarre fällt.

„In … in Ordnung? Nichts ist in Ordnung! So war das nicht geplant!“, sprudelt es aus ihr heraus. „Sehe ich so aus, als wäre ich in Ordnung?“

Ihr Ausbruch überrumpelt mich ein wenig. Denn, mal ehrlich, wenn sie aussehen würde, als wäre sie okay, hätte ich diese dämliche Frage nicht gestellt.

„Nun, als Sie …“ Weiter komme ich nicht, denn die Frau vor mir schüttelt heftig den Kopf, was dazu führt, dass ihre langen schwarzen Haare unter dieser hässlichen, klatschnassen Mütze hervorpurzeln.

Und dann kommt sie erst so richtig in Fahrt. „Nein, ich bin nicht in Ordnung. Ich bin vollkommen durchweicht. Sie haben mich von oben bis unten mit Wasser vollgespritzt, sind durchs Tor gefahren, als wäre nichts passiert, und jetzt haben Sie die Frechheit, zu fragen, ob alles in Ordnung ist?“

„Zuerst habe ich mich entschuldigt, dann habe ich gefragt. Wir wollen doch fair bleiben“, entgegne ich. Noch während ich spreche, weiß ich, dass es ein Fehler war, überhaupt was zu sagen.

„Das soll eine Entschuldigung gewesen sein? Diese drei Worte?“

„Es waren vier.“

„Oh, das macht es natürlich viel besser. Wow, vier ganze Worte, um sich bei jemanden zu entschuldigen, der bei eisigem Wetter vollkommen durchnässt dasteht.“

„Es tut mir wirklich sehr leid“, wiederhole ich. „Kann ich Sie nach Hause bringen? Oder zu Ihrem Wagen?“

„Nach Hause?“ Sie starrt mich an, als hätte ich vorgeschlagen, sie auf den Mond zu schießen.

„Ja, ist es nicht allgemein der Ort, an den man hinwill, wenn man sich umziehen muss?“

„Ich … Nein, ich will nicht … Ich wohne nicht hier“, stammelt die Fremde.

„Mir ist egal, wo Sie wohnen. Auch wenn es weiter weg ist, ich fahre Sie hin“, murmele ich und fühle mich dabei, als würde meine Stimme von sehr, sehr weit weg kommen, denn ich bin in Gedanken schon wieder ganz woanders. In einem Bett. In ihrem Bett, um genau zu sein.

„Ich kenne Sie nicht einmal. Und so blöd, um zu einem Fremden ins Auto zu steigen, bin ich nicht.“

„Machen Sie ein Foto von meinem Nummernschild, schicken Sie es meinetwegen an …“ Ich stoppe. Nicht an die Polizei. Fehlt mir gerade noch, dass die nichts Besseres zu tun haben und nachsehen, wem die Karre gehört. Dann fällt es mir wieder ein, der Wagen ist auf den Namen von Nigels Agentur gemietet. Na dann, soll sie ruhig ein Foto machen. „… die Polizei, ihre Mutter, irgendwen. Hauptsache, ich bekomme Sie aus dieser Kälte heraus.“

Mittlerweile klappern ihre Zähne, was wahrscheinlich der einzige Grund ist, weshalb sie nickt, ihr Handy zückt und das verdammte Foto macht. Ich gehe schnell um den Wagen herum und öffne die Beifahrertür für sie. Bevor sie noch auf die Idee kommt, mich ebenfalls zu fotografieren.

* * *

„Da vorne rechts müssen Sie abbiegen“, murmelt meine durchweichte Beifahrerin und deutet mit der Hand auf eine Straße, die von der Maple Road abzweigt.

Ich folge ihren Anweisungen. Wir sind erst seit ein paar Minuten unterwegs, aber allmählich wird klar, dass sie nicht in der Nähe wohnt. Was seltsam ist, denn was wollte sie dann vor dem Tor zu Sea Grace?

„Warum standen Sie eigentlich dort?“

„Wie bitte?“

„Warum befanden Sie sich direkt neben der Einfahrt zu Sea Grace? Das Anwesen liegt offensichtlich ein gutes Stück von Ihrer Pension entfernt. Was hat Sie dorthin geführt?“ Ich stelle die Frage nicht nur aus Neugier. Die letzten Monate haben mich ein wenig paranoid werden lassen. Auch wenn meine Zufallsbekanntschaft alle möglichen Gedankenbilder in mir hervorruft, die allesamt nicht jugendfrei sind, habe ich doch mittlerweile einen relativ klaren Kopf. Und der warnt mich davor, allzu viel Vertrauen in meine Mitmenschen zu haben. Die Gerüchte, die Storys über mich in den Medien, all das hat dazu geführt, dass ich sehr vorsichtig mit dem bin, was ich sage, und mit den Menschen, die ich in meine Nähe lasse. Ich bin misstrauisch, das gebe ich offen zu.

„Oh, ich wollte nur …“ Sie bricht ab, Röte steigt ihr in die Wangen.

„Sie wollten nur was?“ Ich komme vor einer roten Ampel zum Stehen und schaue sie an. Sämtliche Alarmglocken in meinem Kopf läuten. Außer Drake und den übrigen Bewohnern von Sea Grace, weiß niemand, dass ich das Anwesen als meine Zuflucht für die nächsten Tage gewählt habe, trotzdem ist das Timing seltsam. Zugegeben, ich hatte gestern schon ankommen wollen, aber dennoch. Was wollte diese Frau an diesem Ort? Dass sie jetzt gerade nervös auf dem Sitz herumrutscht, macht die Sache nicht besser. Nervosität ist nie ein gutes Zeichen.

„Also, die Sache ist die …“ Sie dreht eine Haarsträhne zwischen den Fingern, schaut mich an, sieht dann zur Seite, schaut mich wieder an. „Ich …“

„Ja?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen erwidere ich ihren Blick. Jetzt bin ich wirklich gespannt, was sie als Begründung hervorbringt, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass sie dabei ist, mir eine faustdicke Lüge aufzutischen.

„Ich bin Dekorateurin und habe vor kurzem meinen Job verloren. Und jetzt … na ja, ich versuche, als Freelancerin an Aufträge zu kommen. Und eine Villa für die Feiertage festlich herzurichten, ist eine Arbeit, die gerne an Innenausstatter oder Dekorateure vergeben wird.“

„Also wollten Sie sich dort vorstellen und ich habe Ihnen eine ungewollte Dusche verpasst.“

„Ja, genau.“ Sie lächelt mich scheu an.

Hmmm, ihre Erklärung klang ehrlich. Dachte ich vorhin noch, sie würde mich anlügen, so bin ich mir jetzt sicher, dass sie die Wahrheit sagt.

Scheiße. Meine inneren Instinkte sind total am Arsch seit diesem Medienrummel.

„Das tut mir sehr leid“, sage ich und erwidere das Lächeln. Die Ampel springt auf grün und ich gebe Gas. „Ich kann sehr gerne ein gutes Wort für Sie einlegen. Ich bin mir sicher, wenn ich mit Will rede, wird er Sie zumindest anhören.“

„Oh … oh … Ja, das wäre, das wäre sehr nett. Danke.“

„Gut, geben Sie mir Ihre Handynummer, dann rufe ich Sie an, nachdem ich mit Will geredet habe.“ Ich halte ihr mein Smartphone hin, zögernd nimmt sie es mir ab. „Rufen Sie sich einfach selbst an, und geben Sie Ihren Namen ein. Wie heißen Sie eigentlich? Ich bin Ray“, stelle ich mich noch vor.

„Ich … Sie können … Ich werde Snow eingeben, dann wissen Sie schon, wer gemeint ist“, sagt sie mit einer so leisen Stimme, dass es fast schon ein Flüstern ist.

„Snow? Das ist kein Name, oder?“ Ich lache.

„Es ist kurz für Snow White Decorations“, sagt sie und klingt dabei ziemlich angepisst.

„So, so, Snow White Decorations … Okay, aber ich würde Will gerne ihren richtigen Namen sagen, wenn ich Sie empfehle.“

„Na gut, sagen Sie ihm, ich bin Snow Whitechapel von Snow White Decorations.“

Ich schaue zu ihr hinüber. Sie hebt ihr Kinn und sieht mich herausfordernd an.

„Und was ist im Sommer?“

„Was soll schon sein?“

„Na, das ist doch eindeutig ein Name für die kalte Jahreszeit. Wenn es schneit zum Beispiel.“

„Dann kennen Sie das Märchen nicht, da schneit es nicht allzu viel.“

„Das kann sein.“ Ich zucke mit den Schultern. „Trotzdem klingt es sehr winterlich.“

„Das ist ja wohl mein Problem.“

Gott, sie ist wirklich zickig, nicht wahr? Aber irgendwie auch süß, wie sie sich verteidigt, obwohl Unsicherheit und manchmal vielleicht sogar Angst in ihren Augen aufflackert. „Na gut, dann nenne ich Sie von jetzt an Snow White.“ Ich grinse. „Das passt ja sehr gut zu Ihnen, bei dem Aussehen.“

„Oh, wow, das höre ich zum ersten Mal.“

Ja, sie ist zickig. Zudem wendet sie sich ab und starrt aus dem Fenster. Ich bin von ihrer Reaktion so überrascht, dass mir die Sprache wegbleibt. Wann hat eine Frau zum letzten Mal so auf einen harmlosen Flirtversuch von mir reagiert? Nie, zumindest nicht, seit ich Eishockeyprofi bin. Was beweist, dass diese Snow keine Ahnung hat, wer ich bin.

„Okay, dann nenne ich dich halt Snow. Ist zwar langweilig, aber es klingt wenigstens cool, vor allem zu dieser Jahreszeit. Aber wir hören auf mit diesem dämlichen siezen“, setze ich hinzu.

„Wenn’s sein muss.“

Ganz schön kaltschnäuzige Antwort. Aber ich bin Eishockey-Profi. Mit Kälte kann ich umgehen. Und wer weiß, vielleicht bekomme ich Snow ja sogar zum Schmelzen.

3

SNOW

Warum?

Warum muss in meinem Leben immer alles schiefgehen?

Der Plan war, selbstbewusst das Anwesen zu betreten, nach dem Eigentümer von Sea Grace zu fragen und ihm dann meine Dienste anzubieten. Womit ich nicht gerechnet hatte, war das Eingangstor. Was vollkommen dämlich war von mir, denn seit wann lassen reiche Leute einfach irgendjemanden auf ihr Grundstück?

Ja, genau. Als ich das riesige Tor sah, die Sprechanlage samt Kamera an der Seite, wusste ich, dass ich da nicht reinkommen würde. Meine Arbeit ungefragt anzubieten, ist in etwa so willkommen wie ein Bettler, der um ein Almosen bittet. Tja, und dann auch noch von oben bis unten vollkommen durchnässt zu werden, setzte dem Ganzen irgendwie die Krone auf. Noch schlimmer war, dass dieser Ray viel zu attraktiv ist. Zum Glück bin ich schon so oft auf gut aussehende Männer reingefallen, dass ich immun bin.

Deshalb hast du dich auch von ihm nach „Hause“ fahren lassen.

Nein, das ist nicht der Grund, entgegne ich mir selbst in Gedanken, stutze, bleibe kurz stehen und schüttele über mich den Kopf. Immerhin habe ich mich einen Block von Julies Pension entfernt absetzen lassen. Ich will nicht, dass Ray weiß, wo ich wohne. Ich kenne ihn ja kaum.

Mit einem Seufzen nehme ich meine Wanderung wieder auf. Ich bin gerade dabei, einen Trampelpfad in den schönen weinroten Teppich zu laufen, der die Holzdielen in meinem Zimmer bedeckt. Aber damit ist jetzt Schluss. Ich werde mich in den bequemen Sessel setzen, der direkt unter dem schrägen Dachfenster steht. Vorher koche ich mir eine Tasse Tee, die kann ich dann in Ruhe trinken. Julie, die Eigentümerin des kleinen BnB, hat mir einen Raum unterm Dach gegeben, der ein wenig größer als die anderen in diesem Haus ist. Die Dachschräge mit den braunen Holzbalken verleiht dem Zimmer einen heimeligen Charme. Durch die schrägen Fenster fällt die Nachmittagssonne herein. Die sich, nachdem die Schneefront weitergezogen ist, endlich wieder zeigt. Ideal also, um noch die letzten Sonnenstrahlen zu genießen, in Ruhe an meinem heißen Getränk zu nippen und einen Plan zu schmieden.

Das hat ja das letzte Mal auch so gut geklappt, meldet sich die nervige Stimme in mir zu Wort. Trotzdem werde ich es tun. Ich brauche Pläne, Strategien, etwas, wonach ich mich richten kann. Wenn ich spontan reagieren muss, sieht man ja, was dabei herauskommt. Zum Beispiel meine Reaktion auf seine Frage nach meinem Namen. Ganz so zickig hätte ich mich nicht verhalten müssen, aber er war so von sich eingenommen. Hat so diesen Vibe von „Ich weiß, ich sehe gut aus und bekomme jede Frau“ verbreitet. So etwas nervt mich total. Trotzdem hätte ich freundlicher sein können, wer weiß, ob er jetzt noch sein Versprechen hält. Denn eine Empfehlung könnte wirklich Wunder bewirken. Ich bin schon lange genug in dem Business, um das zu wissen.

Kaum geistert dieser Gedanke durch meinen Kopf, als mein Handy klingelt. Und rate mal wessen Nummer auf dem Display erscheint?

„Oh, nein. Oh, nein. Oh, nein.“ Kaum habe ich gesehen, wer mich anruft, lasse ich das Gerät auch schon fallen wie eine heiße Kartoffel. Nur um es sofort wieder aufzuheben. Dieser blöde Klingelton ist noch immer zu hören, also hat mein Handy wenigstens keinen Schaden genommen. Wie ein hypnotisiertes Kaninchen starre ich auf den Bildschirm.

„Was soll ich denn nur tun?“, flüstere ich. Ich bin noch nicht bereit, zu hören, dass William Carr mich nicht sehen will. Ich bin noch nicht bereit, meine Träume zu begraben und nach Florida zurückzukehren.

Endlich. Das Klingeln hört auf. Erleichtert atme ich einmal tief ein. Ich hatte nicht mal bemerkt, dass ich vergessen hatte zu atmen. Er wird es bestimmt nicht noch einmal versuchen. Der Mann hat sicherlich Besseres zu tun, als mir Jobs zu besorgen, die eine Nummer zu groß für mich sind. Oder zehn Nummern.

Rrrrrrinnnnnngggg.

Okay.

Er hat nicht aufgeben.

Wahrscheinlich liegt das einfach nicht in seiner Natur.

Vielleicht hat er ja auch nichts erreicht und möchte mir nur Bescheid sagen, dass ich mir einen anderen Auftrag suchen muss.

Vorsichtig.

Ganz vorsichtig tippe ich auf den Bildschirm, um das Gespräch anzunehmen. Und bereue es sofort, denn seine tiefe Stimme füllt den Raum und verursacht ein Kribbeln in meiner Magengegend, das dort absolut nichts zu suchen hat.

„Hallo, hier ist Ray.“

„Oh. Hi“, krächze ich und räuspere mich. Ich klinge, als hätte ich eine Flasche Whisky gekippt.

„Morgen drei Uhr.“

„Äh … wie?“

„Morgen um drei Uhr. Will und Audrey möchten mit dir besprechen, wie sie sich die Dekoration vorstellen, und dann kannst du gleich anfangen.“

„Bitte, was?“

„Na, du wolltest doch den Auftrag, Sea Grace weihnachtlich zu dekorieren. Und du hast ihn, es sei denn, du vermasselst es morgen total, aber das glaube ich nicht, bei deinem Charme.“

Okay, dieser letzte Zusatz war garantiert sarkastisch gemeint, aber egal. „Ich … ich habe den Auftrag“, wiederhole ich wie ein Idiot, denn zu mehr bin ich ja offensichtlich nicht fähig.

„Ja, ich habe deine Künste in den Himmel gelobt. Also, blamier mich nicht. Ich habe außerdem so getan, als wärest du total ausgebucht und würdest mir einen Gefallen tun. Wir sehen uns.“

Er legt auf. Einfach so. Wahrscheinlich hat er keine Lust mehr auf mein Gestammel. Ich starre mein Handy an, als könne es mir verraten, was da eben geschehen ist. Denn ich habe den Auftrag.

Ich. Habe. Den. Auftrag.

Allmählich kommt bei mir im Hirn an, dass dieser Typ, den ich vor wenigen Stunden noch in Gedanken übelst beschimpft habe, mir tatsächlich das gegeben hat, was ich mir so sehr gewünscht habe.

„Yeah.“ Ich reiße meine Faust hoch, als hätte ich gerade einen Boxkampf gewonnen und dann tanze ich durch mein Zimmer, singe „We are the Champions“ und benehme mich wie eine Verrückte. Als ich mich endlich beruhigt habe, schnappe ich mir meine Schlüssel. Es wird Zeit, eine Flasche Sekt zu köpfen, zusammen mit Kerry, meiner Cousine, die ich ohnehin längst besuchen wollte.

Ich habe nicht mal die Türschwelle überquert, als ich auch schon wie erstarrt stehen bleibe, umdrehe, die Schlüssel auf den Couchtisch werfe und meinen Laptop hervorhole.

Es gibt keine Zeit zu verlieren. Ich muss mir noch einmal meine Ideen anschauen, googeln, was für Menschen William Carr und seine Verlobte sind, um sie dann morgen mit meiner Brillanz zu beeindrucken. Den Sekt kann ich mit Kerry immer noch trinken, wenn ich den Auftrag wirklich habe.

* * *

Obwohl es fast minus zehn Grad sind, schwitze ich in meinem hellgrauen Mantel. Einem Mantel, den ich mir extra für diesen Trip gekauft habe. In Florida brauche ich so etwas nicht, auch wenn es dort im Januar und Februar ziemlich kalt werden kann.

Aber egal, ich kann nur hoffen, dass mein Deo so gut ist, wie es die Werbung verspricht. Mit einem Seufzer hieve ich die schwere Umhängetasche etwas höher auf meine Schulter. Eine Schulter, die mittlerweile schmerzt. In der Tasche befinden sich mein Laptop, eine Mappe über meine nicht existierende Firma, einige Kugelschreiber, Taschentücher, Notizbücher und ein Kosmetiktäschchen. Im Grunde nicht allzu viel. Trotzdem schwitze ich immer mehr. Was vielleicht auch daran liegt, dass ich meine Schrottkarre etwa einen Kilometer entfernt von Sea Grace geparkt habe. Wenn ich mit diesem Altmetallhaufen dort auftauche, entzieht mir William Carr garantiert den Auftrag, bevor er ihn mir gegeben hat. Wer will schon eine Dekorateurin, deren fahrbarer Untersatz aussieht, als hätte sie ihn vom Schrotthaufen geklaut?

Richtig.

Niemand!

Also marschiere ich tapfer weiter, trotz der Tatsache, dass meine Füße – im Gegensatz zum Rest meines Körpers – kurz davor sind, in den dünnen Lederstiefeln zu erfrieren. Der Fußboden ist eiskalt, die Sohle extrem dünn und das Leder weich und hauchzart. Ich komme mir vor, als würde ich mit zwei Eisklumpen an den Beinen durch die Gegend laufen. Es ist mir ein Rätsel, wie ich so kalte Füße haben und trotzdem schwitzen kann. Aber auch das ignoriere ich, so gut es geht.

Ich hebe den Kopf und schaue mich um. Die Hälfte der Strecke habe ich schätzungsweise hinter mir. Nur noch etwa fünfhundert Meter, dann bin ich am Ziel. Dann entscheidet sich meine Zukunft. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Jetzt fangen auch noch meine Handflächen an zu schwitzen. Super! Wenn das so weitergeht, bin ich Schweiß gebadet, wenn ich William Carr und seiner Verlobten die Hand schüttele.

Die beiden sind sehr nett. Und obwohl ich ein paar Minuten vor der Villa in der kalten Luft gestanden habe, um mich abzukühlen, bekomme ich einen hochroten Kopf, als er mich begrüßt. Ich glaube, er ist der schönste Mann, den ich je in meinem Leben gesehen habe. Zuvor kannte ich ihn nur von Werbefotos, dachte, dass er entsprechend gestylt ist, geschminkt und die Bilder noch am Computer nachbearbeitet wurden. Aber jetzt sehe ich ihn „live“. Und, bei Gott, er sieht fast noch besser aus als auf den Bildern.

Trotzdem gefällt Ray mir besser.

Schnell schüttele ich den Gedanken ab, konzentriere mich stattdessen auf Will, der mich gerade mit freundlichen Worten darüber, wie nett es von mir ist, mir Zeit für Audrey und ihn zu nehmen, zu meinem Platz an dem Tisch geleitet, der in einer wunderschön eingerichteten Bibliothek steht.

Ich setze mich. Schaue mich um. Alles in diesem Raum ist geschmackvoll, gediegen und teuer. Zwei Ledersessel stehen vor den großen Fensterscheiben, die an der Längsseite des Raumes fahles Winterlicht hereinlassen. An der Wand gegenüber erstrecken sich lange Bücherregale, komplett mit Leitern, um an die oben stehenden Werke zu kommen. In dem Kamin an der Stirnseite des Raumes lodert ein Feuer, auch davor sind einige gemütlich aussehende Sessel gruppiert. Der Tisch, an den Will mich geführt hat, steht etwa in der Mitte des Raumes und bietet Platz für vier Personen. Audrey und Will lassen sich jeweils zu meiner Linken und Rechten nieder. Beide sehen mich erwartungsvoll an.

„Das tue ich doch gerne für Sie“, murmele ich verlegen, dann zaubere ich ein Lächeln auf mein Gesicht und tische den beiden die vorher einstudierte Lügengeschichte über mein Unternehmen auf. Innerlich sterbe ich vor schlechtem Gewissen, denn Audrey und Will sind so nett, dass es mir fast körperlich wehtut, sie zu betrügen. Ich weiß, was ich kann. Ich weiß, dass ich den beiden wirklich gute Vorschläge unterbreiten werde. Aber ich weiß auch, dass ich als Einzelkämpferin kaum eine Chance habe, diesen Auftrag zu ergattern. Denn es ist ein riesiges Projekt, viel zu groß für einen Freelancer.

Trotzdem werde ich es schaffen, ich muss nur das Okay von den beiden bekommen.

4

RAY

Am liebsten würde ich lauschen, was natürlich nicht geht, denn im Haupthaus habe ich eigentlich nichts zu suchen. Okay, ich kann den Fitnessraum dort nutzen, aber der liegt quasi unterm Dach. Dort oben bekommt man nichts mit von dem, was sich weiter unten abspielt. In der Bibliothek.

Natürlich habe ich im Fitnessraum Stellung bezogen, auf dem Weg die Treppen hinauf, bin ich ganz zufällig an einem der Fenster stehengeblieben, die einen Blick nach draußen auf die Auffahrt bieten. Wie ich es erwartet habe, ist Snow pünktlich um fünf vor drei Uhr den Weg zum Haus entlanggegangen. Sie trug einen grauen Mantel, hellgraue Stiefel.

Keine Mütze. Ihr langes schwarzes Haar bildete einen harten Kontrast auf dem hellen Stoff ihres Mantels. Wie ein dunkler Wasserfall fiel es ihren Rücken hinab.