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Ein todsicheres Rezept für Liebeskummer? Zu viel Alkohol auf einer Party. Eine Nacht mit Dylan. Am nächsten Morgen allein aufwachen. Eigentlich hätte ich es wissen müssen. Dylan ist der Bruder meiner besten Freundin und viele Jahre lang war er auch für mich so etwas wie ein großer Bruder. Bis sich meine Gefühle für ihn änderten. Blöderweise aber nur meine, denn er bereut es anscheinend, dass er aus Versehen mit mir im Bett gelandet ist. Seitdem wissen wir nicht mehr, wie wir miteinander umgehen sollen. Also gehen wir uns aus dem Weg. Das funktioniert auch ganz gut, bis wir zusammen arbeiten müssen. Auf einem Bergungsschiff. Einander aus dem Weg gehen? Unmöglich. Professionell miteinander arbeiten? Vergiss es. Ich liebe Dylan schon ewig, aber im Moment hasse ich ihn. Teil 2 der "Never Kiss" Reihe von Paris Sanders & Juli Larsson. Alle Bücher der Reihe sind in sich abgeschlossene Romane und können unabhängig voneinander gelesen werden! WICHTIGER HINWEIS: Komplett überarbeitete Neuauflage des Romans "Treacherous Love", den die Autorinnen unter dem gemeinsamen Pseudonym Jana Reeds geschrieben haben.
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1. Dylan
2. Marli
3. Dylan
4. Marli
5. Dylan
6. Marli
7. Dylan
8. Marli
9. Dylan
10. Marli
11. Dylan
12. Marli
13. Dylan
14. Marli
15. Dylan
16. Marli
17. Dylan
18. Marli
19. Dylan
20. Marli
21. Dylan
22. Marli
23. Dylan
24. Marli
25. Dylan
26. Marli
27. Dylan
28. Marli
29. Dylan
30. Marli
31. Dylan
32. Marli
33. Dylan
34. Marli
35. Dylan
36. Marli
37. Dylan
38. Marli
39. Dylan
40. Marli
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Fuck.
Ich blieb stehen, als sei ich gegen eine Glastür gerannt, und genau so fühlte ich mich auch.
Was hatte Marli hier zu suchen?
Noch immer nicht ganz sicher, ob ich nicht doch an Halluzinationen litt, vielleicht war mein Sauerstoffgemisch beim letzten Tauchgang ja etwas daneben gewesen, starrte ich die Frau an, die eben nach meiner Schwester Lou aus dem Helikopter gestiegen war. Die Frau, deren lange Haare im Wind der Rotorblätter flatterten und die erfolglos versuchte, ebendiese Haare mit einer Hand zu einem Pferdeschwanz zusammenzufassen. Während sie das tat, lachte sie Lou an. Ihre Augen blitzten, ihr Gesicht leuchtete auf und in mir zog sich etwas zusammen.
Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie mit mir gelacht hatte. In der sie so entspannt und glücklich wirkte wie in diesem Augenblick. Diese Zeiten waren schon seit Langem vorbei, aber das hielt mich nicht davon ab, sie anzusehen wie ein Ertrinkender ein Rettungsboot. Als sei sie ein Magnet, der mich magisch anzog.
Marli trug eine Jeans und ein T-Shirt. Nichts Besonderes, wenn sich das T-Shirt nicht so an ihren Körper geschmiegt hätte, dass die Rundungen ihrer Brüste und die schlanke Taille voll zur Geltung kamen. Die Jeans war eng geschnitten und betonte ihre endlos langen Beine.
Sie war größer als Lou, die mit ihren eins fünfundsechzig ohnehin eher klein geraten war, und auch sonst sahen die beiden vollkommen gegensätzlich aus und verhielten sich auch so. Lou hatte blonde, störrische Locken. Marli lange, dunkle Haare, die in einem glänzenden Wasserfall bis auf ihre Hüften reichten. Lou war offen und extrovertiert, während Marli zurückhaltend und schüchtern wirkte. Wenn man die beiden zusammen sah, bestritt Lou meist die Unterhaltung, Marli hörte geduldig zu. Meine Schwester brauchte Bewegung und Abwechslung in ihrem Leben. Sie wurde nervös, wenn sie mal ein paar Tage nicht tauchen oder zum Sport gehen konnte. Marli dagegen kam mir immer dann am glücklichsten vor, wenn sie ihre Nase in ein Buch stecken oder Backrezepte wälzen konnte. Ich könnte die Liste mit den Gegensätzen der beiden noch endlos fortführen, denn sie waren schon ewig miteinander befreundet. In all den Jahren war Marli fast so etwas wie eine weitere Schwester für mich gewesen, bis sich irgendwas zwischen uns änderte. Jetzt waren wir … keine Ahnung was, aber ganz bestimmt keine Freunde oder auch nur annähernd so entspannt wie ein Bruder und eine Schwester.
Tyler, mein Boss und – leider – der Freund meiner Schwester, stieg aus. Er hatte die beiden Frauen an Bord gebracht, denn Tyler war nicht nur Millionär, nein, er besaß natürlich auch eine Hubschrauberlizenz, war ein fast so guter Taucher wie ich und … Der Typ ging mir tierisch auf die Nerven, und das nicht nur, weil er mein Boss war.
Ich holte tief Luft und fuhr mir mit einer Hand durch die Haare, dann schüttelte ich den Kopf, als würde das irgendwas bringen, um klar denken zu können. Natürlich brachte es nichts. Marli so überraschend zu sehen, hatte mich von einer Sekunde auf die andere total aus dem Gleichgewicht gebracht. Mittlerweile war ich mir ziemlich sicher, dass ich keine Halluzination sah. Es sei denn, Lou würde sich angeregt mit einer solchen Erscheinung unterhalten. Die drei schlenderten in meine Richtung. Die Sonne knallte auf das Deck der Seawind, Tylers Jacht, auf der wir arbeiten würden, bis das Spezialschiff, das Tyler für die Schatzsuche hatte umbauen lassen, hier ankam. Erstaunlicherweise hatten wir vor zwei Wochen einige Fundstücke aufgespürt, die darauf hindeuteten, dass sich die spanische Galeone tatsächlich in diesen Gewässern befand. Ganz so, wie Tyler vermutet hatte. Wenn das stimmte, waren wir auf einen enormen Schatz gestoßen. Nach Tylers Unterlagen musste sich tonnenweise Gold an Bord der Galeone befinden. Um all das an die Oberfläche zu bringen, würden wir mindestens ein halbes Jahr brauchen. Umso mehr wunderte ich mich darüber, dass meine Schwester ausgerechnet jetzt von ihrer besten Freundin besucht wurde. Hätten die beiden keinen besseren Zeitpunkt finden können? Zum Beispiel, nachdem wir mit dem Job hier durch waren und ich Marli nicht begegnen musste?
Lou erzählte wie immer wild gestikulierend, Marli lachte. Sie sah so wunderschön aus in diesem Moment. So unbeschwert … Ihr Lachen erlosch.
Sie hatte mich entdeckt. Anders als ich blieb sie nicht überrascht stehen, nein, ihre Augen verengten sich für eine Sekunde zu verärgerten Schlitzen, ihre Mundwinkel zogen sich nach unten. Und dann plötzlich war da nur noch abweisende Leere in ihrem Blick. Der Wandel in ihrer Mimik war überraschend schmerzhaft, fast wie ein Stich ins Herz. In meinem Mund machte sich ein schaler Geschmack breit. Am liebsten hätte ich mich umgedreht, um in meine Kabine zu gehen, aber dafür war es bereits zu spät. Also blieb ich stehen, versuchte, den unregelmäßigen Herzschlag in meiner Brust zu ignorieren und so zu tun, als sei es mir vollkommen egal, dass Marli sich an dem Ort befand, an dem ich sie am wenigsten erwartet hatte.
Zwei, drei Schritte und dann kamen die drei auch schon bei mir an. In ihrer üblichen überschwänglichen Art fiel mir Lou um den Hals mit den Worten: „Schau mal, wer endlich hier ist.“
Ich drückte sie kurz, wollte etwas sagen, ohne zu wissen was, aber Lou trat schon einen Schritt zurück und plapperte weiter. „Ich bin so froh, endlich eine Verbündete hier zu haben.“ Damit drehte sie sich zu Marli. „Es sind viel zu viele Männer an Bord und nur zwei Frauen. Gott sei Dank ändert sich das jetzt.“ Sie hakte sich bei Marli unter, die mich noch immer mit diesem ausdruckslosen Blick anschaute und vollkommen emotionslos „Hi, Dylan“ sagte.
„Marli.“ Ich nickte ihr zu. Mehr bekam ich nicht heraus. Verdammt, ich hätte ja wenigstens noch etwas wie „Schön, dich zu sehen“ oder meinetwegen auch „Willkommen an Bord“ sagen können. Auch wenn ich dabei wie der Kapitän vom Traumschiff geklungen hätte. Aber nein, mehr als ihr Name wollte mir nicht über die Lippen.
„Wow, großer Bruder, versuche, deine Begeisterung etwas zu zähmen.“ Lou, die vollkommen ignorierte, dass Marli mindestens genauso wenig begeistert geklungen hatte, knuffte mich gutmütig in die Seite, sagte zu Marli: „Nimms ihm nicht übel, du weißt ja, wie er ist“, und zog ihre Freundin weiter zu dem Gang, der zu den Kabinen führte.
Tyler blieb zurück und musterte mich einen Augenblick lang.
„Ist was?“ Ich klang total genervt, das hatte er nicht verdient. Schließlich hatte er nicht mal was gesagt, trotzdem verdrängte ich das schlechte Gewissen. Tyler war so selbstbewusst, der konnte das aushalten.
„Alles in Ordnung?“, fragte Tyler zurück.
„Was? Ja, klar. Was soll nicht in Ordnung sein?“ Ausgerechnet heute musste Tyler den Sensiblen raushängen lassen. Warum kümmerte er sich nicht um meine Schwester wie sonst auch und ignorierte mich? Weil Marli jetzt da ist, raunte eine Stimme in meinem Kopf. Natürlich wollte Tyler den beiden Zeit geben. Auch wenn ich es nur ungern zugab, war er nicht der verwöhnte Snob, für den ich ihn am Anfang unserer Bekanntschaft gehalten hatte.
„Keine Ahnung, deshalb frage ich. Du siehst ziemlich blass aus.“
„Bist du jetzt meine Mutter, oder was?“ Okay, okay. Ich weiß. Ich klang wie ein Arschloch und es tat mir fast sofort leid. Allerdings nicht so leid, dass ich mich entschuldigt hätte.
Tyler hob abwehrend die Hände. Allmählich sah auch er genervt aus.
„Nein, aber du hast noch einen Tauchgang vor dir, und ich will nicht, dass du runtergehst, wenn du nicht voll auf der Höhe bist.“
„Mir geht’s gut, mach dir keine Sorgen. Bin nur im Unterzucker, hab noch nichts gegessen heute.“
„Genau so etwas meine ich. Du bist hier der Profi, also sorge gefälligst dafür, dass du körperlich fit bist. Außerdem möchte ich, dass du dich mit Marli zusammensetzt.“
„Mit Marli? Warum? Soll die mir jetzt Händchen halten?“
„Du bist echt ein Idiot. Sieh zu, dass du was isst, vielleicht kann man sich ja dann normal mit dir unterhalten.“ Tyler drehte sich um und stapfte davon.
„Hey, warte. Warum soll ich mit ihr reden?“, rief ich ihm nach.
„Weil sie die begleitende Archäologin für dieses Projekt ist. Ab morgen wirst du jeden Tauchgang mit ihr absprechen“, sagte Tyler über die Schulter und ließ die Tür zu den Kabinen hinter sich zuknallen.
Fick.
Mein.
Leben.
Schon wieder fühlte ich mich, als sei ich gegen eine Glaswand gerannt. Konnte man von so einer Illusion eigentlich eine Gehirnerschütterung davontragen? Fast fühlte es sich so an. Vielleicht musste ich ja ins Krankenhaus. Das hätte den Bonus, dass ich Marli weder sehen noch mit ihr sprechen musste.
Verdammt, ich hatte geglaubt, sie sei hier, um ein paar Tage mit Lou zu verbringen, und selbst diese Aussicht war schon schlimm genug gewesen. Aber als Archäologin für dieses Projekt? Das bedeutete, dass sie etwa ein halbes Jahr bliebe. An Bord. Auf einem Schiff, das sich jetzt, in diesem Augenblick, anfühlte, als hätte es die Maße einer Nussschale. Und selbst wenn das übertrieben war, wusste ich genau, dass ich ihr hier kaum aus dem Weg gehen konnte. Schlimmer noch, ich musste ab sofort auch noch jeden Tauchgang mit ihr besprechen. Mir von ihr vorschreiben lassen, was ich unter Wasser tun durfte und was nicht.
Mit anderen Worten: genau meine Definition der Hölle.
Ich träumte. Ja, genau so musste es sein. Ich steckte in einem obskuren Traum fest, und mein Körper weigerte sich, daraus aufzuwachen. Lou, meine einzige wirkliche Freundin, schipperte nun bereits seit Monaten irgendwo in Europa vor der spanischen Küste herum und ich vermisste sie wahnsinnig. Auch die Videoanrufe änderten daran nicht viel, denn sie konnten nicht einmal im Ansatz ersetzen, was wir seit Jahrzehnten aneinander hatten. Ja, daran lag es. Ganz sicher. Dieser wirre Traum kam daher, dass ich meine Freundin vermisste.
„Marli? Hallo? Erde an Marli, bitte auftauchen.“
Ich zuckte zusammen, als diese Worte zu mir durchdrangen, während ich gleichzeitig ziemlich unsanft in die Seite geknufft wurde. „Geht’s dir gut? Oder ist dir der Heli-Flug nicht bekommen? Dir ist doch nicht etwa übel? Ansonsten – links, die Tür, da geht’s ins Bad.“
Noch immer schweigend schüttelte ich den Kopf, aber so langsam kam ich wieder in der Realität an. Die Realität. So verwirrend es sich auch anfühlte – ich träumte nicht. Langsam drehte ich mich um und schaute Lou an, die mich besorgt musterte.
„Ich … Nein. Alles gut“, versuchte ich, sie zu beruhigen. „Ich bin okay.“
„Wirklich? Süße, ich kenne dich. Du siehst nicht so aus, als wäre alles okay. Du bist reichlich blass um die Nase – falls ich das mal so deutlich sagen darf.“
Ich winkte ab. „Das ist bestimmt nur der Jetlag. Und die letzten Tage waren ein wenig viel, ich fühle mich, als wäre das alles hier nur ein sehr merkwürdiger Traum. Als wäre ich in einem Disneyfilm gefangen.“
Lou lachte. „Keine Sorge, wir stimmen keine schnulzigen Lieder an und unser Mobiliar beginnt auch nicht zu reden oder zu tanzen. Soll ich dich vielleicht mal kneifen, damit du merkst, dass du nicht träumst?“
Bevor ich dieses Angebot ablehnen konnte, spürte ich bereits ihre Finger, die sich unsanft in meinen Unterarm gruben.
„Autsch! Verdammt, Lou, doch nicht so!“ Ich verzog das Gesicht und rieb mir über die schmerzende Stelle, an der ich deutlich die halbmondförmigen Abdrücke ihrer Fingernägel erkennen konnte.
Lou zuckte nur grinsend mit den Schultern. „Immerhin weißt du jetzt, dass du nicht träumst.“
„Ja … Unfassbar … Das hier ist tatsächlich alles real. Ich gebe zu: Ich bin ein wenig überfordert.“
Plötzlich wieder ernst, nickte Lou. „Das kann ich verstehen. Ich weiß genau, wie du dich fühlst. Mir ging es nicht anders, als ich auf die Jacht kam. Es ist, als würde man in eine fremde Welt eintauchen.“ Nachdenklich musterte sie mich, ich konnte deutlich sehen, wie sie ihre nächsten Worte abwog.
„Eigentlich hatte ich gedacht, ich zeige dir gleich das Schiff, aber nun … Vielleicht möchtest du erst einmal in Ruhe ankommen, die ganzen Eindrücke und die letzten Tage sortieren, bevor ich dich noch überfordere.“
„Ankommen ist eine gute Idee.“ Ich seufzte. „Ich glaube, ich brauche wirklich eine Pause – und vielleicht sogar ein Nickerchen gegen den Jetlag.“
„Okay, dann ruh dich erst einmal aus, in zwei Stunden gibt es Abendessen, da lernst du den Rest der Crew kennen. Tylers Mom ist ein Schatz, du wirst sie lieben. Und auch der Rest der Leute ist wirklich super! Aber nun … lasse ich dich allein. Nur damit du schon mal Bescheid weißt – meine Kabine ist zwei Türen weiter. Also wenn irgendwas ist … In den nächsten zwei Stunden findest du mich allerdings im Computerraum. Dylan geht gleich runter, ich möchte seinen Tauchgang über den Monitor verfolgen.“
Ich nickte nur müde. Die Aussicht auf zwei Stunden Ruhe verursachte eine akute Müdigkeit, als würde auf einen Schlag jedes letzte bisschen Kraft aus mir entweichen.
„Ich hole dich dann rechtzeitig zum Essen ab.“ Lou öffnete die Kabinentür und trat hinaus auf den Gang. Dann drehte sie sich noch einmal um und grinste mich breit an. „Ach, Marli … Herzlich willkommen auf der Seawind, deinem neuen Zuhause für die nächsten Monate.“
Lächelnd schloss ich die Tür hinter ihr, dann lehnte ich mich mit dem Rücken dagegen. Ich atmete tief durch, während ich meinen Blick durch die Kabine schweifen ließ. Das breite Bett, das mit seinen vielen weichen Kissen so einladend aussah, dass ich mich direkt hineinwerfen wollte. Die edlen, auf Hochglanz polierten Holzmöbel, die schweren, teuer aussehenden Vorhänge vor den Fenstern, die den Blick auf die Unendlichkeit des Atlantiks freigaben. Der Atlantik. Europa. Spanien. Noch immer konnte ich es nicht fassen und schüttelte den Kopf, während ich langsam durch die Kabine ging, meine Finger über das glänzende Holz streichen ließ, über die weiche Bettdecke. Meine Füße sanken in den dicken Teppich. Diese Kabine würde einer Suite in einem Fünf-Sterne-Hotel gerecht werden, so viel war klar. Nicht, dass ich bereits persönliche Erfahrungen mit Fünf-Sterne-Hotels hätte. So etwas lag nicht in meiner Preisklasse, ich zahlte noch immer mein Studiendarlehen zurück, das einen Großteil meines Lohns auffraß. Doch ich träumte gern und hatte schon so einige Dokumentationen über Nobelhotels, Kreuzfahrten und … Ja, über Schatzsuchen gesehen. Und plötzlich, von einem Tag auf den anderen, befand ich mich selbst mitten in einem solchen Abenteuer.
Ich lächelte, als ich an dem kleinen Schreibtisch stehen blieb. Ein in weiches Leder gebundenes Buch lag dort, daneben ein nagelneuer Füller und ein Zettel. Auf dem Buch waren zwei ineinander verschlungene Buchstaben eingeprägt – M und J. Marli Jones. Die Handschrift auf dem Stück Papier erkannte ich sofort.
„Lou, du bist wirklich unglaublich.“ Ich lächelte, als ich die wenigen Worte las, und mir stiegen vor Rührung ein paar Tränen in die Augen.
Eine besondere Reise verlangt nach einem besonderen Tagebuch.
Lou war die Einzige, die wusste, dass ich bereits seit meiner Kindheit Tagebuch schrieb. Und sie hatte recht – diese Reise erforderte ein ganz besonderes Tagebuch. Es kam mir fast vor, als könnte meine beste Freundin Gedanken lesen. Genau das hatte ich mir auch überlegt – und mir vorgenommen, mir beim ersten Landgang ein Tagebuch zu kaufen. Nun hatte sie das übernommen und mir damit ein wundervolles Willkommensgeschenk gemacht.
Ohne darüber nachzudenken, setzte ich mich an den Schreibtisch, der direkt vor einem der Fenster stand. Den Blick über das Meer gerichtet, überlegte ich nur kurz, dann schlug ich die erste leere Seite auf, griff nach dem Füller, und wie von selbst strömten die Worte aus mir heraus auf das Papier. Ich schrieb wie besessen, meine Müdigkeit war vergessen. Alles, was in den letzten Tagen, in den letzten zwei Wochen geschehen war, drängte nach draußen und ich füllte Seite um Seite.
Ein Klopfen an der Tür riss mich irgendwann aus meinem Schreibwahn, und erschreckt schaute ich auf die Uhr. War es schon so spät, dass Lou mich zum Abendessen abholte? Puh, nein, ich hatte noch eine Dreiviertelstunde Zeit.
Als es ein zweites Mal klopfte, stand ich schnell auf und öffnete die Tür.
„Hey, Süße. Ich dachte, ich schau mal, ob du schon wach bist. Nicht, dass du verschläfst – du willst dich ja sicher noch fertig machen.“
Lou schaute an mir vorbei. „Ähm … Wolltest du nicht schlafen?“, fragte sie und deutete auf das unberührte Bett.
Ich zuckte mit den Schultern. „Mir ist da was dazwischengekommen. Danke für das wunderschöne Tagebuch!“ Ich zog meine Freundin kurz an mich und drückte sie. „Das Buch und der Füller – du kennst mich einfach so gut. Du hättest mir kein besseres Willkommensgeschenk machen können. Danke, Lou!“
Ein wenig verlegen machte sich meine Freundin von mir los. „Schön, dass du dich freust. Auch wenn es dich vom Schlafen abgehalten hat. Und vom Frischmachen …“ Ihr Blick glitt über mich.
„Ja, wie gut, dass du etwas früher gekommen bist. Ich sollte wohl schnell duschen gehen.“
Lou nickte schmunzelnd. „Ich hole dich dann in einer Dreiviertelstunde ab. Aber nicht wieder an den Schreibtisch gehen.“ Spielerisch drohte sie mir mit erhobenem Zeigefinger.
Ich lachte. „Nein, das verspreche ich dir! Ich werde doch zu meinem ersten Dinner auf dieser Luxusjacht nicht total verschwitzt, ungeschminkt und in Jeans und T-Shirt auftauchen.“
Nachdem ich die Tür hinter Lou geschlossen hatte, öffnete ich meinen Koffer. Zeit zum Auspacken hatte ich keine mehr, das verschob ich auf später und zog nur saubere Unterwäsche und ein mit bunten Blümchen bedrucktes Kleid heraus, dann verschwand ich unter der Dusche.
Als Lou eine Dreiviertelstunde später erneut an meiner Tür klopfte, war ich gerade fertig.
„Holla! Na, wenn das kein Anblick ist, der die Männer zum Sabbern bringen wird.“ Lou nahm meine Hand und bedeutete mir, mich umzudrehen. Bei ihren Worten tauchte unerwünscht das Gesicht ihres Bruders vor meinem inneren Auge auf. Seine Begrüßung war mehr als unterkühlt gewesen. So war es bereits seit einigen Monaten zwischen uns. Seit … Schnell verdrängte ich den Gedanken, bevor er sich vollständig entfalten konnte. Ich wollte nicht darüber nachdenken. Dylans Verhalten mir gegenüber ärgerte mich. Es verletzte mich und machte mich traurig, denn wir waren uns früher so nah gewesen und er fehlte mir. Aber am schlimmsten war die Verunsicherung, die ich ihm gegenüber empfand. Ich schaffte es kaum, ihm in die Augen zu sehen, weil ich die Abscheu und die Wut darin nicht ertrug. Weil ich mich schuldig fühlte – obwohl ich nicht einmal wusste, warum eigentlich. Ja, Dylan verunsicherte mich wie noch kein Mensch zuvor. Wenn ich nur daran dachte, ihn gleich zu sehen, fingen meine Hände bereits vor Nervosität an zu zittern und mein Herzschlag beschleunigte sich. Doch da musste ich durch. Ich hatte vorher gewusst, was mich hier erwarten würde. Und vielleicht waren die nächsten Monate auf diesem Schiff genau das, was ich brauchte. Vielleicht würde ich dadurch diese verdammte Unsicherheit wieder loswerden. Ich konnte es nur hoffen …
„Okay, können wir dann?“, fragte Lou. Als ich nickte, hakte sie sich bei mir ein und zog mich den Gang entlang zum Esszimmer.
Okay, Marli in einem Sommerkleid sah verdammt sexy aus. Wie schon das T-Shirt, das sie heute Nachmittag getragen hatte, so schmiegte sich auch dieses Kleid verführerisch an ihre Kurven. Noch schlimmer aber waren ihre Beine. Der Saum vom Rock endete ein gutes Stück über den Knien und so hatte man eine sensationelle Sicht auf lange, schlanke, leicht gebräunte …
Ich riss meinen Blick von Marli weg, bevor ich noch poetischer wurde und jeder merkte, wie ich die beste Freundin meiner Schwester anstarrte. Die beiden waren für einen kurzen Augenblick im Eingang zum Salon stehen geblieben. Ja, Salon. So nannte Tylers Mutter den Raum, den wir mittlerweile als Esszimmer benutzten. Die Crew war so sehr angewachsen, dass Tylers Köche jeden Abend ein Büfett hier aufstellten. Und das hatte es wirklich in sich. Wenn ich nicht jeden Tag tauchen gehen und mich im Fitnessraum austoben würde, hätte ich wahrscheinlich längst eine fette Wampe bei all den Delikatessen, die hier aufgetischt wurden. Eines musste man Tyler lassen, er ließ es an nichts fehlen.
Der Bastard war großzügig.
Und äußerst gut gelaunt.
Zumindest sah er so aus, als er auf Lou und Marli zuging und meiner Schwester einen Kuss direkt auf den Mund gab.
Verdammt, ich schaute schon wieder hinüber. Ich drehte mich um und ließ meinen Blick über das heiße Büfett schweifen. Es verging keine Sekunde, da tanzte Lou an mir vorbei, wie immer auf direktem Weg zum Salatbüfett, dicht gefolgt von Marli.
„Hi, Bruderherz“, sagte Lou im Vorbeigehen.
„Hallo, Dylan.“ Der knappe Gruß kam von Marli.
„Hallo, Marli, wie geht’s dir? Gefällt es dir an Bord?“ Immerhin, zwei Sätze. Wow. Ich war von mir selbst beeindruckt. Marli offenbar nicht, denn sie ließ sich nur zu einem kurzen „Ja, danke“ hinreißen. Die zwei Worte waren mit ungefähr so viel Wärme gesprochen, als müsse sie dem Kellner mitteilen, gerade eine Kakerlake im Salat gefunden zu haben.
„Freut mich“, murmelte ich, aber Marli hörte mich schon nicht mehr, so eilig hatte sie es, von mir wegzukommen. Also vertiefte ich mich in den Anblick der Speisen, als sei ich tatsächlich interessiert an dem, was die Köche sich für heute Abend hatten einfallen lassen. Natürlich nahm ich weder so richtig wahr, was es gab, noch hatte ich Hunger. Der Appetit war mir mit einem Schlag vergangen.
„Kein Wunder, dass du jetzt was Heißes brauchst“, ließ sich Juans Stimme vernehmen. Der Spanier stellte sich mit einem Teller in der Hand neben mich und knuffte mich mit seinem Ellbogen gutmütig in die Seite. „Bei der begeisterten Antwort sind dir garantiert die Eier eingefroren.“
„Fick dich, Alvarez.“
„Hey, hey. Wer wird denn so schlecht gelaunt sein?“
Normalerweise mochte ich Juan. Wir hatten bereits einige gemeinsame Tauchgänge hinter uns, und ich wusste, dass ich mich auf ihn hundertprozentig verlassen konnte. Das war wichtig, denn in den Tiefen, in denen wir tauchten, konnte leicht mal was schiefgehen. Juan wusste genau, was er tat. Er war umsichtig, zuverlässig und erfahren. Im Prinzip das Gegenteil von seinem Charakter, wenn er sich über Wasser befand. Denn da war er stets zu Späßen aufgelegt, entspannt und vor allem dafür bekannt, dass er zu jeder Teambesprechung zuverlässig zu spät kam.
Normalerweise mochte ich seine Art, im Moment ging er mir allerdings ziemlich auf die Nerven, denn er hatte genau meinen wunden Punkt getroffen.
„Was ging da zwischen dir und Marli?“, hakte er auch prompt nach.
„Nichts. Und jetzt kümmer dich um deinen eigenen Scheiß.“
„Nichts? Hm? Na, dafür hat sie dich ja eben eiskalt abblitzen lassen. Wenn du mich fragst, tut das eine Frau nur dann, wenn sie wütend ist.“
„Ich frage dich aber nicht, Alvarez. Schon bemerkt?“
Juan zuckte mit den Schultern.
„Also, da war nichts?“
„Nein, da war nichts.“
„Dann stört es dich bestimmt nicht, wenn ich mich mal an die süße, verführerische Marli ranmache. Sechs Monate ohne Sex können ziemlich lang sein, und ich wette, die Frau ist eine Granate im Bett.“
Bevor ich richtig nachdenken konnte, hatte ich Juan schon an die Wand gerammt. „Lass deine Finger von ihr, du kleiner Drecksack“, zischte ich.
„Hey, immer mit der Ruhe.“
„Noch ein Wort und ich prügel dir dein Grinsen aus dem Gesicht.“
Juan hatte offensichtlich einen Todeswunsch, denn er grinste jetzt bloß breiter. Keine Ahnung, wie er das schaffte.
„Chill, Amigo. Kein Grund, zum Hulk zu werden. Du bist voll reingetappt, Mann.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich wollte nur mal sehen, wie du reagierst. Und so, wie du gerade ausgerastet bist, war da wohl doch was.“
„Du bist ein Idiot.“ Ich trat einen Schritt zurück. Der kleine Mistkerl hatte mich tatsächlich drangekriegt.
„Kann sein, aber ein kluger Idiot.“ Juan richtete sich auf und blickte in die Runde. Erst jetzt bemerkte ich, dass wir interessierte Zuschauer hatten. „Alles in Ordnung. Dylan hier hat nur seine Tage“, verkündete er.
„Du mich auch, Juan“, knurrte ich, dann drehte ich mich um, schnappte mir einen Teller und häufte mir irgendwelche Speisen drauf.
Ich wollte mich gerade mit meinem Essen an den Tisch verkrümeln an dem Logan, unser Security-Mann, bereits saß – er hatte eine abgelegene Ecke gewählt, die wirklich einladend aussah –, als Lous Stimme durch meine Gedanken drang. Die drehten sich gerade darum, wie ich Juan eine verpasste. Die Vorstellung war so ziemlich das Einzige, was meine Laune etwas hob. Lou zu hören, die „Dylan“, rief, sorgte dafür, dass der ganze Effekt zum Teufel ging.
Lou hüpfte auf ihrem Stuhl auf und ab und winkte mir zu, als sei ich blind oder doof. Oder beides.
Natürlich wollte sie, dass ich mit ihr, Marli und Tyler zu Abend aß, als ob dieser Teil des Tages noch irgendwie schlimmer werden könnte. Ich rang mir eine Grimasse ab, von der ich hoffte, dass sie als Lächeln durchgehen würde, und steuerte den runden Vierertisch an. Natürlich. Der einzige Platz, der noch frei war, befand sich an Marlis Seite. Rechts von ihr saß Lou, daneben Tyler.
Scheiße. Sollte ich jetzt etwa ein halbes Jahr lang jede Mahlzeit damit verbringen, neben Marli zu sitzen? Dazu die Besprechungen, die Tatsache, dass diese Jacht verdammt klein war und man sich ständig über den Weg lief. So schlimm hätte ich mir das nicht mal in einem Albtraum ausmalen können.
„Was ist denn mit dir los?“, fragte Lou. Wie immer hatte meine Schwester einen untrüglichen Riecher für meine Gefühlslage, oder vielleicht lag es auch an meiner Mimik.
„Nichts, was soll sein?“, brummelte ich und fügte ein: „Juan hat nur mal wieder genervt“, hinzu. In der Hoffnung, sie würde mit dieser Information zufrieden sein.
„Was hat er denn gesagt?“
Klar.
Ich hätte es besser wissen müssen. Welche Frau ließ sich schon mit einem Satz abspeisen?
„Er hat …“ Ich brach ab. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte. Mit der Wahrheit würde ich jedenfalls nicht herausrücken, so viel war klar. „Nur seine üblichen blöden Sprüche“, schloss ich lahm. Ich wusste schon jetzt, damit würde ich nicht davonkommen. Und richtig, Lou öffnete gerade den Mund, um mich so richtig in die Mangel zu nehmen, als mir Tyler zu Hilfe kam.
„Marli, ich hoffe, an Bord ist alles zu deiner Zufriedenheit“, sagte er.
„Ja, vielen Dank, Tyler. Meine Kabine ist ein Traum. Ich bin so froh, hier zu sein“, plapperte Marli drauflos. Ich schaute sie erstaunt an. Das war ja schon fast ein Gefühlsausbruch von der sonst so zurückhaltenden Freundin meiner Schwester. „Ich kann es nicht erwarten, morgen mit der Arbeit anzufangen. Danke, noch einmal, dass du mich für dieses Projekt engagiert hast. Es ist der Traum eines jeden Archäologen, bei so etwas dabei sein zu dürfen.“
„Deine Referenzen sind hervorragend. Ich denke, wir hätten kaum eine bessere Person für diesen Job bekommen können“, sagte Tyler.
Ich warf ihm einen giftigen Blick zu. Der Kerl hoffte wohl auf Bonuspunkte bei Lou, wenn er nett zu ihrer Freundin war. Nicht, dass er sie brauchte. Das verliebte Geturtel der beiden jeden Tag mitzubekommen, reichte vollkommen aus, um … Okay, Zeit aus diesem Loch wieder rauszukommen. Meine wütenden Gedanken gingen mir schon selbst auf die Nerven. Ich führte mich auf wie ein verwöhnter Fünfjähriger, dem man sein Spielzeug weggenommen hatte.
Ich setzte mich aufrecht hin, zwang mich zu einem Lächeln und wandte mich an die Frau, die für die meisten dieser Gedanken verantwortlich war.
„Ich hoffe, du hast dich gut eingelebt“, sagte ich zu ihr.
Marli sah mich erstaunt an. Ja, ich klang wie der Kapitän vom Traumschiff. Steif, formell und so, als hätte ich einen Stock im Arsch.
„Nun ja, allzu lange bin ich noch nicht hier. Aber ja, ich fühle mich sehr wohl“, antwortete Marli höflich. Der Unterton in ihrer Stimme sagte allerdings etwas anderes. Etwas, das wie: „Du Idiot, ich bin gerade mal seit ein paar Stunden hier, wie soll ich mich da schon eingelebt haben?“, klang.
„Gut, das ist gut.“
Und das war’s dann mit der Unterhaltung. Mir fiel nichts mehr ein, was ich noch sagen könnte, was sicherlich ein Segen für alle Beteiligten war. Gott sei Dank fing Lou damit an, Marli mit Storys über das Leben an Bord zu bombardieren. Ich widmete mich meinem Essen. Nur um festzustellen, dass ich direkt neben die Spaghetti Vongole auch noch Mousse au Chocolat auf meinen Teller gehäuft hatte.
Ein schrilles Geräusch riss mich aus einem wunderschönen Traum. Wecker kapierte mein Verstand, während mein Körper im gleichen Moment schrie: Weiterschlafen!
Es dauerte etwas, bis ich in der Lage war, mich auf die Seite zu drehen, nach meinem Handy auf dem Nachttisch zu angeln und dieses nervtötende Geräusch auszustellen. Ich war selbst unter besten Gegebenheiten alles andere als ein Morgenmensch, doch nun, mit dem Jetlag des gestrigen Langstreckenfluges, schien es mir unmöglich, meine Augen zu öffnen – und sie vor allem auch geöffnet zu lassen. Im Geiste überschlug ich die Zeitverschiebung. Zu Hause war es gerade erst zwei Uhr in der Nacht – keine Uhrzeit, um sich aus dem Bett zu bewegen. Doch es nützte nichts, ich musste aufstehen, die Arbeit wartete.
Trotz der Müdigkeit überkam mich die Vorfreude auf das, was mich erwartete. Ich hatte nicht umsonst Archäologie studiert – schon als Kind war es mein Traum gewesen, bei Ausgrabungen dabei zu sein, auf alte Schätze zu stoßen und Relikte aus vergangener Zeit zu entdecken. Ich wollte herausfinden, wer einen alten Kerzenleuchter vielleicht einmal angezündet hatte, wem die Brosche gehörte, die gefunden wurde, oder woher ein zerfleddertes Stück Stoff stammte. Wenn man auf den Florida Keys aufwuchs, gehörten die Schiffswracks, die vor der Küste lagen, von klein auf zum Leben dazu. So ziemlich jeder war bereits runtergetaucht, und obwohl ich längst nicht so erfahren wie Lou und Dylan war, hatte auch ich schon als Teenie die Unterwasserwelt kennengelernt. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob ich mich auch hier in Spanien trauen würde, so tief zu tauchen. Ein vollkommen fremdes Gewässer barg Gefahren, die ich nicht gut genug einschätzen konnte. Andererseits tauchte niemand allein, ich hätte also immer einen erfahrenen Taucher an meiner Seite, der mich unterstützen würde. Trotzdem war ich nicht wirklich scharf darauf und hoffte, meine Arbeit vom Schiff aus erledigen zu können.
Spanien … Während ich mit geschlossenen Augen unter der heißen Dusche stand und den prasselnden Wasserstrahl genoss, ließ ich die letzten zwei Wochen Revue passieren. Es war so viel geschehen, dass ich mir noch immer vorkam, als wäre ich in einem merkwürdigen Film gefangen. Einem Film, der auf Schnelllauf stand.
Ich erinnerte mich genau an den Tag, als Lous Anruf mich früh um halb sechs aus dem Schlaf riss.
„Marli, pack deine Koffer, wir brauchen dich hier!“ Ich war noch nicht einmal richtig wach, als dieser Satz an meine Ohren drang, und es dauerte einige lange Sekunden, bis er in meinem Verstand angekommen war.
„Was? Lou, weißt du, wie spät es ist? Ich schlafe noch und habe keine Ahnung, wovon du eigentlich sprichst.“
Als Nächstes ging eine Kaskade aus aufgeregt geplapperten Sätzen auf mich nieder, sodass ich Lou unterbrechen musste, um überhaupt irgendetwas zu verstehen.
„Lou, langsam! Bitte, gib meinem Hirn die Chance, dir zu folgen.“
Ich rollte mich umständlich aus dem Bett und schlurfte zur Kaffeemaschine. Jetzt half nur noch Koffein. Reichlich Koffein!
Nach zwei Bechern Kaffee und drei weiteren Versuchen, Lou dazu zu bringen, mir in Ruhe zu erklären, was eigentlich los war, hatte ich es begriffen. Oder auch nicht. Denn das, was bei mir angekommen war, hörte sich einfach zu unglaublich an, um es zu fassen.
Lou, Dylan und Tyler waren tatsächlich erfolgreich gewesen und hatten einige Relikte auf dem Meeresgrund gefunden, die eindeutig auf diese gesunkene Galeone hinwiesen, nach der sie suchten. Nun brauchten sie einen Archäologen, der die Bergung und die weitere Suche begleitete. Denn Tyler wollte auf keinen Fall, dass diese Schätze in irgendeiner Form Schaden nahmen. Ich rechnete ihm dieses Vorgehen sehr hoch an, die wenigsten Schatzsucher legten auf so etwas Wert. Den meisten ging es nur um den Profit, die Schätze wurden ausgebuddelt und hochgeholt, und wenn dabei etwas kaputt ging, war es zwar ärgerlich, weil es dadurch weniger Geld einbrachte, aber letztlich für die Schatzsucher nicht dramatisch.
Tyler war anders. In vielerlei Hinsicht, wenn ich meiner besten Freundin glauben durfte, die seit ein paar Wochen mit ihm zusammen war. Das vermeintlich reiche, verwöhnte Söhnchen, der Weiberheld, hatte sich als ihr absoluter Traummann herausgestellt, und nach dem, was Lou mir erzählt hatte, trug Tyler sie auf Händen.
Ein wenig neidisch war ich schon – auch wenn ich es Lou von Herzen gönnte. Wer, wenn nicht sie, hatte es verdient, derart geliebt zu werden. Nach ihrer schweren Vergangenheit durfte sie nun endlich ankommen, sich fallen lassen und wissen, dass sie aufgefangen wurde. Genau das wünschte ich mir auch. Mit … Nein – nicht daran denken!
Schnell drehte ich die Dusche ab und griff nach meinem Handtuch. Nachdem ich mich abgetrocknet hatte, schlüpfte ich in kurze Jeansshorts und ein schlichtes weißes Tanktop, dann setzte ich mich an den Schminktisch und bürstete mir die nassen Haare, bevor ich sie föhnte und zu einem langen Zopf flocht.
Danach lehnte ich mich in dem kleinen Sessel zurück und schaute mich im Spiegel an. Meine Augenringe sprachen Bände, doch das war nun mal nicht zu ändern. Schließlich hatte ich seit diesem frühmorgendlichen Anruf einiges zu tun gehabt. Natürlich hatte ich keinen Moment gezögert, als Lou mich bat, als begleitende Archäologin an Bord zu kommen. Doch bis es so weit war, musste ich unglaublich viel organisieren. Am schwierigsten war es, eine Vertretung für meinen Job im Büchercafé zu finden. Denn dort gehörte es nicht nur zu meinen Aufgaben, Bücher zu verkaufen und Kaffee auszuschenken. Das Fairytale war bekannt für seine fantastischen Kuchen und Torten – und die backte ich. Ich hatte nur zwei Wochen, um jemanden zu finden, der meinen Job übernahm und in der Lage war, zu backen. Ich hatte es geschafft und jetzt … war ich hier. Auf der Seawind, gebeutelt vom Jetlag, der mich im Minutentakt gähnen ließ. Es wurde höchste Zeit für Kaffee, beschloss ich und machte mich auf den Weg ins Esszimmer.
Dort angekommen, ließ ich das Frühstücksbüfett mit seinen verführerisch aussehenden Speisen links liegen und steuerte direkt die Kaffeemaschine an, bei der verschiedene Heißgetränke auf Knopfdruck zur Auswahl standen. Ich entschied mich für einen Cappuccino, der würde mir hoffentlich helfen. Während die Maschine arbeitete, lehnte ich mich mit der Schulter daneben an die Wand und konnte ein weiteres herzhaftes Gähnen nicht unterdrücken. Noch immer fiel es mir schwer, die Augen offen zu halten.
„Hey, Marli. Na, wie war die erste Nacht? Ich hoffe, das Schaukeln hat dich nicht wach gehalten.“
In diesem Zustand zu sprechen, war beinahe ebenso schwer wie wach zu bleiben. Ich brauchte einige Sekunden, in denen ich Tyler nur anstarrte, bis mein Kopf in der Lage war, einen anständigen Satz zu formulieren.
„Hm … Nein, alles gut.“ Okay, Satz war vielleicht ein wenig übertrieben. Ich griff nach meinem fertigen Cappuccino, nippte vorsichtig daran und spürte, wie meine Lebensgeister erwachten. Neuer Versuch …
„Danke, ich habe sehr gut geschlafen. Das Schiff hat mich in den Schlaf gewiegt.“ Das klang doch schon viel besser. Tyler lächelte und in seinen Augen blitzte der Schalk.
„Du siehst aus, als wolltest du im Stehen wieder einschlafen.“
Ich zog eine Grimasse und zuckte mit den Schultern. „Ja, das trifft es ziemlich gut.“
„Keine Sorge, du hast erst mal nicht viel zu tun und kannst in aller Ruhe ankommen – und deinen Jetlag pflegen. Nur eins … Setz dich doch im Laufe des Vormittags mit Dylan zusammen, damit ihr das weitere Vorgehen besprechen könnt. Was es bei den Tauchgängen zu beachten gibt, wie die Bergung der einzelnen Teile vonstattengehen soll. All so was halt.“