Kabbalah - Yossef Cohen Touval - E-Book

Kabbalah E-Book

Yossef Cohen Touval

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Beschreibung

Die kosmischen Gesetze und Energien im Alltag nutzen

Viele Menschen fühlen sich immer noch mehr als Opfer denn als Schöpfer ihrer Realität. Warum? Weil sie die kosmischen Gesetze weder kennen noch anwenden, so der Standpunkt der Kabbalah, der mystischen Tradition des Judentums. Stars wie Madonna und viele andere Prominente sind überzeugte Anhänger dieser Lehre – und das aus gutem Grund: Die Kabbalah geht weit über alles hinaus, was ein religiöses System bieten kann, denn sie beschäftigt sich mit den innersten Gesetzen des Universums und damit, wie wir sie erkennen und nutzen können.

Dieses Buch zeigt:

• Wie man die moderne Psychologie und das uralte Wissen der Kabbalah miteinander verbindet
• Engelnamen, Zahlen und hebräische Buchstaben als Träger kreativer Energie und wie man sie einsetzt
• Wie man unbewusste Mechanismen beseitigt, die unsere Wahrnehmung eingrenzen und unseren Willen blockieren
• Das Ego als »Trainingspartner«: wie man seine Tricks erkennt und es schließlich besiegt

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 120

Veröffentlichungsjahr: 2011

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Inhaltsverzeichnis

I - Wo kommen wir her und wo wollen wir hin?II - Ich sehe was, was du nicht siehstCopyright

I

Wo kommen wir her und wo wollen wir hin?

Ein Apfel als Wegweiser

Meine vierte Nacht in der Wüste. Allein und mit einer lebensgefährlichen Aufgabe im ohnehin schon schweren Gepäck. Diese Prüfungen sind Teil meiner Ausbildung in der israelischen Armee. In sieben aufeinanderfolgenden Nächten muss ich jeweils fünf vorgegebene Orte finden, an denen Zettel mit bestimmten Zahlenkombinationen hinterlegt wurden, die ich mitnehme und am nächsten Tag als Beweis vorlege. Die Koordinaten der Ziele habe ich mir am Tag zuvor anhand von Skizzen eingeprägt. Jetzt wird der Sternenhimmel zu meinem besten und einzigen Freund, Begleiter und Berater.

Vor mir liegen dreißig Kilometer Fußmarsch.

Februarnächte sind auch in der Wüste kalt. Allerdings hat in dieser Jahreszeit das gespeicherte Wasser noch eine Präsenz, sodass ein Hauch von Leben sogar jetzt pulsiert. Der nächtliche Sternenhimmel liegt wie ein kostbarer Perlenschmuck über der unendlichen Weite der kargen Landschaft. Ich bin überwältigt von dem stillen Schauspiel und spüre die kraftvolle Macht der Natur.

Heute zehrt Müdigkeit an meiner Kraft und vor allem an meiner Konzentration. Ich versuche, mir die Koordinaten für die Marschroute klar vor Augen zu halten, aber es gelingt mir nicht. Schon längst hätte ich das erste Ziel erreichen müssen. Angst stellt sich ein und lähmt den Impuls, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Aber ich darf dem Wunsch, einen Moment auszuruhen, nicht nachgeben, denn der Schweiß würde sofort auf der Haut gefrieren. Jeder Schritt durch dieses unwegsame Geröll fällt mir schwer, und ich habe vollkommen die Orientierung verloren. In welche Richtung soll ich weiterlaufen? Was ist, wenn mich meine Kameraden nicht finden, wenn sie am nächsten Tag nach mir suchen? Plötzlich ergreift nackte Todesangst mein Herz. Jetzt nur nicht nachdenken, sondern einfach weiterlaufen!

Könnte der Felsen dort links eine Orientierungshilfe sein? Die Hoffnung beschleunigt meinen Schritt. Plötzlich sehe ich, dass sich der Felsen bewegt. Eine Gestalt richtet sich aus einer hockenden in eine aufrechte Haltung auf. Gedanken flitzen wie Pfeile durch meinen Kopf. Habe ich Halluzinationen oder steht dort wirklich ein Mensch? Wenn ja, was macht er mitten in der Nacht mitten in der Wüste? Ein Hirte kann es nicht sein, denn weit und breit sehe ich keine Tiere, die er hüten könnte. Vielleicht ist es ein Schwerverbrecher auf der Flucht. Sollte ich lieber weglaufen? Hoffnungslos, mit all dem Gepäck und den müden Beinen.

Mitten in diese Gedanken dringt ein Wort an mein Ohr: »Hallo.«

Die Stimme klingt warm, und aus meinem Mund vernehme ich eine Antwort, ohne dass sich mein Verstand einschaltet:

»Hallo.«

Karge Worte in einer kargen Landschaft.

»Du suchst deinen Weg.«

»Nein!«

Soll ich etwa zugeben, dass ich mich verirrt hatte?

Während die Gestalt weitere Worte an mich richtet – in einer Sprache, die ich durchaus beherrsche –, tobt in meinem Kopf ein wildes Gedankenchaos, sodass ich kein Wort verstehe. Lediglich ein Satz findet den Weg zu meinem Verstand:

»In diese Richtung geht dein Weg. Viel Glück!«

Mit diesen Worten überreicht er mir einen Apfel und geht in die entgegengesetzte Richtung davon. Völlig verwirrt starre ich einen Moment lang hinterher und stecke den Apfel in meine Jackentasche. Diese Begegnung ist so absurd, dass ich dem Wink folge und die angegebene Richtung einschlage. Genauso absurd ist es, dass das Gewicht meiner Ausrüstung plötzlich erträglicher wird und dass in mir die Hoffnung wächst, mich bald wieder orientieren zu können. Langsam breitet sich Zuversicht in mir aus und damit auch Klarheit in meinem Kopf. Der Nebel lichtet sich, und ich erinnere mich an die Skizze mit den Koordinaten für heute Nacht. Ein Blick in den Sternenhimmel gibt mir die Orientierung zurück. Nach kurzer Zeit finde ich das erste Ziel in dieser Nacht.

Inch habe die Orientierung wiedergefunden. Ich weiß, wohin ich gehen muss.

Völlig erschöpft erreiche ich am Morgen den vereinbarten Treffpunkt und falle während der Rückfahrt in einen traumlosen Schlaf. Zurück im Lager kommt mir die nächtliche Begegnung wie eine Halluzination vor. Wie oft haben Kameraden von ähnlichen Erlebnissen berichtet, die sie in Zuständen großer Erschöpfung und Verzweiflung hatten. Als ich mich ausziehe, um mich und meine Sachen zu waschen, fällt etwas auf den Boden. Vor mir liegt ein Apfel.

Der Apfel war der Beweis, dass diese Begegnung tatsächlich stattgefunden hatte. Ohne ihn hätte ich das Erlebnis als Sinnestäuschung abgetan. Diese Erfahrung war mir nicht geheuer, denn ich konnte sie nicht verstehen. Sie passte in kein logisches Erklärungsmodell. Erst im Nachhinein ist mir klar geworden, dass ich einem Engel begegnet bin. Damals war ich so verwirrt, dass ich mit niemandem darüber sprach. Eine Begegnung mit einem Engel passte einfach nicht in mein Weltbild. Hatte ich doch mein Leben lang gelernt, mich auf meinen Verstand und nur auf ihn zu verlassen. Ein Engel hatte dort einfach keinen Platz. Mindestens drei Jahre lang habe ich dieses Erlebnis ignoriert und so getan, als hätte es nie stattgefunden. Aber dann machte ich mich auf die Suche nach spirituellen Lehren. Ich beschäftigte mich mit dem Tao, mit Yoga und mit Zen-Buddhismus, der mich schließlich zum Sufismus führte. Alle Erklärungsmodelle fand ich interessant, aber keines konnte mich wirklich überzeugen.

Im Grunde suchte ich nach einem Zugang zu der Ebene, auf der ich dem Engel begegnet war. Nach diesem Erlebnis hatte ich noch viele persönliche Höhen und Tiefen durchlebt, bis ein Ereignis mein Leben grundlegend veränderte. Ich lernte die Lehre der Kabbalah kennen und erfuhr etwas über die zentrale Rolle des Bewusstseins. Und damit hatte ich den Schlüssel zur Bereicherung meines Alltags gefunden, denn Bewusstsein ist gleichbedeutend mit dem Erkennen der Realität. Bewusstsein ist ein großer Schatz, den die meisten von uns allerdings noch nicht gehoben haben. Bewusstsein ist unsere Verbindung zur Schöpfungsebene, doch bevor es unser Leben verändern kann, muss es geschult werden. Die Schulung des Bewusstseins war das Tor, durch das ich gehen wollte.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich mein Leben in einem Tal abgespielt, das von beeindruckenden Bergen umgeben war, die ich aber nie bestiegen hatte. Hier hatte ich verschiedene Berufe erlernt, mir viel Wissen angeeignet und eine Familie gegründet. Es war ein überwiegend angenehmes Leben, aber immer wieder hatten mich unangenehme Ereignisse völlig aus der Bahn geworfen. Trotz meines ganzen Wissens und all der vielen Erfahrungen hatte sich mein Bewusstsein kaum verändert. Erst als ich die Lehre der Kabbalah kennengelernt hatte, begann ich die Berge zu erwandern, die mein Tal umsäumten. Ich erkannte, dass mein bisheriger Blickwinkel einzig und allein auf meine Person begrenzt war. Je höher ich den Berg bestieg, desto mehr wuchs die Erkenntnis, dass ich nicht nur Teil einer Familie, sondern auch Teil meiner unmittelbaren Umgebung war. Als ich noch höher stieg, erkannte ich, dass es noch andere Täler jenseits der Berge gab, die sogar mit meinem Tal verbunden waren. So stieg ich weiter und weiter und je höher ich kam, desto klarer wurde mir, wie sehr alles auf dieser Welt miteinander vernetzt ist.

Aber die Kabbalah lehrt nicht nur die komplexen Mechanismen, die das irdische Leben bestimmen, sondern stellt auch eine Verbindung zur Schöpfungsebene her. Sie lehrt, dass das Ziel des menschlichen Daseins darin besteht, die Berggipfel zu besteigen und Kontakt mit Gott aufzunehmen. Wir sind Geschöpfe Gottes und tragen die Fähigkeit in uns, selbst Schöpfer zu sein. Ich habe lange gebraucht, um diesen Gedanken zu begreifen: Als Geschöpfe Gottes sind auch wir potenzielle Schöpfer – und zwar nicht nur Schöpfer unserer Realität, sondern auch Schöpfer in dem Sinne, dass wir anderen Menschen etwas zu geben haben. Das Wort Kabbalah bedeutet übersetzt »empfangen«. Deswegen inkarnieren wir auf dieser Erde: Wir sind hier, um das weiterzugeben, was wir empfangen.

Die Lehre der Kabbalah

Kabbalisten sind Mystiker, die die Gesetze des Lebens studieren. Sie beschäftigen sich sowohl mit meditativen Techniken als auch mit dem Studium der Texte aus der Thora und dem Zohar.

Der Schöpfercode ist in der Thora verschlüsselt, und der Zohar enthält die notwendigen Werkzeuge, um diesen Code zu entschlüsseln. In mehreren Bänden sind Texte mit Informationen über alle Bereiche dieses Universums aufgezeichnet, die für uns Menschen von Bedeutung sind – sei es Wissenschaft, Philosophie, Astrologie, Medizin oder Spiritualität. Das Wissen beinhaltet alles, was unseren Alltag betrifft – das Leben in Partnerschaft und Gesellschaft, das Wissen über Krankheiten und Seuchen, über Menschen und Tiere. Im Zohar sind alle Informationen über die Mechanismen der Wirklichkeit enthalten: Wie das Leben funktioniert, wie wir das Leben beherrschen und wie wir zum Schöpfer werden können. Hier finden wir die Werkzeuge für die Transformation von gewöhnlichen Menschen zu Schöpfern.

Von der Entstehung ca. 200 nach Christus bis zum 13. Jahrhundert fand die Überlieferung des kabbalistischen Wissens immer nur persönlich vom Lehrer zum Schüler statt. Träger und Übermittler des kabbalistischen Wissens waren immer Menschen in einem erweiterten Bewusstseinszustand. Weder Klugheit oder Bildung noch ein bestimmter gesellschaftlicher Stand entschieden, sondern einzig und allein das Ausmaß der Verbindungsfähigkeit zu Gott. Der Zohar tauchte gegen Ende des 13. Jahrhunderts in Spanien auf. Zwischen 1280 und 1286 wurde er von Moshe de Leon wiederentdeckt.

Grundlage für die Forschungen der Kabbalisten ist die Thora. Die hebräische Bibel oder Thora sind verschiedene Bezeichnungen für die fünf Bücher Moses oder das Alte Testament. Hinter allen vier Namen verbirgt sich ein einziger Text, der in fünf Bücher unterteilt wird. In ihm wird zwar eine grobe geschichtliche Entwicklung der Menschheit beschrieben, aber dennoch handelt es sich nicht nur um eine Dokumentation, die an historische Ereignisse gebunden ist. Auf den ersten Blick liest sich die Thora wie eine Ansammlung von Geschichten, in denen Menschen beschrieben und historische Ereignisse erwähnt werden. Aber es gibt mindestens vier Ebenen, auf denen dieser Text betrachtet und interpretiert werden kann. Pshat ist die einfachste Ebene, um die Thora zu verstehen. So bedeutet zum Beispiel das Gebot »Du sollst nicht morden« ganz einfach, dass man niemanden umbringen soll. Die zweite Ebene ist Shamor und Zachor. Sie bedeutet, dass man sich hüten soll, die Gebote zu brechen und den Shabbat nicht einzuhalten. Shabbat ist der siebte Tag der Woche, an dem Gott ruhte. Demzufolge ist er auch ein Ruhetag für die Menschen. Drash ist die dritte Ebene, die sich mit der Erforschung der Zusammenhänge beschäftigt und das Verständnis der Lehre der Thora zum Ziel hat. Die vierte Ebene ist Sod – die Geheimebene. Sie ist die Betrachtungsweise der Kabbalah. Sie ist vollkommen unsichtbar und auch nicht über das Studium der Texte zu erfassen. Diese Ebene kann man nur erreichen, wenn man die Geheimnisse der Kabbalah von einem Lehrer übermittelt bekommt. Auf dieser Ebene lässt sich die gesamte Thora als das Wissen über die Gesetze des Universums erkennen, und zwar auf einer nicht religiösen Ebene. Sie enthüllt die Geheimnisse der Schöpfung, die in den Wörtern und Versen der Thora als Code, also als verschlüsselte Informationen versteckt sind. Wer die Geheimlehre der Kabbalah kennt, verfügt über sämtliche Werkzeuge, um in der physischen Realität als Schöpfer zu leben.

Die Kabbalah ist kein religiöses System, sondern spricht alle Menschen dieser Erde an. Viele Philosophen und Wissenschaftler haben sich mit dieser Weisheitslehre beschäftigt wie beispielsweise Galilei, Einstein und Newton. Es waren Menschen, die den Geheimnissen des Universums auf den Grund gehen wollten und Antworten in der Kabbalah gefunden haben. Kabbalisten sind Träger des Wissens, aber die Werkzeuge, die in der Kabbalah enthalten sind, wurden allen Menschen überliefert, um uns zu helfen, die Realität zu steuern. Die Kabbalah lehrt uns, dass wir Meister unseres eigenen Schicksals sind. Nichts, was uns im Leben widerfährt, ist zufällig, sondern hat einen höheren Sinn – auch wenn wir ihn nicht immer gleich erkennen. Erst wenn wir unser Bewusstsein schulen und die richtigen Werkzeuge in unseren Händen halten, wird der Anteil von sogenannten Zufällen und Schicksalsfügungen in unserem Leben kleiner und kleiner.

Der Sinn des Lebens

Die Frage nach dem Sinn des Lebens beschäftigt viele Menschen, denn das Leben erscheint uns lebenswerter, wenn wir einen Sinn darin erkennen können. Der Sinn des Lebens ist für jeden Menschen unterschiedlich, denn jeder hat individuelle Fähigkeiten und Talente. Doch über den individuellen Aspekt hinaus erklärt die Kabbalah, dass alle Menschen auf dieser Welt ein gemeinsames Ziel verfolgen. Wir haben uns auf das Spiel des Lebens eingelassen, um das Schöpferbewusstsein zu erlangen. Wie es dazu kam, steht in den Schriften der Kabbalisten. Sie beschreiben, dass die Realität nicht immer eine physische war. Bevor sich Materie manifestierte, gab es die rein spirituelle, unendliche Welt des Schöpfers. Es fällt uns sehr schwer, uns eine solche Welt vorzustellen, weil wir als Menschen nicht in der Lage sind, Unendlichkeit zu begreifen. Unsere Sinne und unser Verstand sind dafür nicht ausgelegt. Wir bewegen uns in einem Raum- und Zeitgefüge, das von Endlichkeit und Dualität geprägt ist. Deshalb haben wir auch kein Wort für Unendlichkeit, sondern setzen lediglich ein »Un« vor die Endlichkeit.

Die Welt des Schöpfers ist jedoch unendlich und alles darin ist eins. Auch das ist für uns unvorstellbar. Wie können Gegensätze wie hell und dunkel oder warm und kalt eins sein? Aber Gegensätzlichkeit ist nur für uns etwas Getrenntes – nur für uns, die wir in der Begrenztheit des Körpers leben. Sobald wir unseren Körper verlassen, ist alles wieder eins. Nur der Körper trennt uns von der Einheit. In der spirituellen Welt ist in der Unendlichkeit der Eins auch die Gegensätzlichkeit enthalten.

Der Schöpfer hat uns und diese Welt erschaffen. Was er/ sie/es darüber hinaus ist, wissen wir nicht. Bevor die materielle Welt existierte, gab es in der spirituellen Welt Geschöpfe, die vom Schöpfer erschaffen und in der Bibel bildlich als Adam und Eva dargestellt wurden: das männliche und das weibliche Prinzip. Hier handelt es sich um nichts Physisches, und es geht auch nicht um zwei Menschen, sondern lediglich um zwei Aspekte, die in der spirituellen Realität eins waren. Adam und Eva symbolisieren die Vielfalt der spirituellen und physischen Realität. Alles, was für uns existent ist – und alles, was wir noch nicht wissen –, war ursprünglich in dieser Metapher von den zwei Teilen der Gesamtheit, der Eins vorhanden, die wir als Adam und Eva bezeichnen. Sie sind ein Bild für die manifestierbare spirituelle Energie.

Adam und Eva stehen als Bild für all das, was die Lebenskraft des Schöpfers empfangen kann.

Der Schöpfer gibt, die Geschöpfe empfangen. Alles, was Energie empfängt, ist ein Geschöpf. Die unendliche Quelle aber ist der Schöpfer. Da der Schöpfer seine Geschöpfe mit göttlicher Kraft nährte, waren alle Geschöpfe quasi wie Gott. Aber gleichzeitig konnten sie nicht zu Schöpfern werden, weil es nichts und niemanden gab, den sie nähren konnten. Die einzige Möglichkeit, Gott zu werden, war, selbst etwas zu erschaffen. Dazu brauchte es eine Realität des Mangels. Gott erschuf in der spirituellen Realität also zuerst den Mangel, der sich mit dem Urknall materialisierte.

Die Schöpfungsgeschichte

Der Urknall war die Manifestierung der dualen Welt, in der Fülle und Mangel herrschen. Die Astrophysiker sagen, dass der Urknall eine Explosion war, die aus einer energetischen Masse Materie geschaffen hat. Die Kabbalisten sagen, der Ursprung für die Erschaffung der Materie sei Mangel gewesen. In der Thora steht, dass am ersten Tag der Geist Gottes über dem Abgrund schwebte und Tohuwabohuherrschte. Tohu Vabohu sind zwei Worte, welche die Dualität als Grundgedanken darstellen.

Erst die Erschaffung des Mangels machte sämtliche Daseinsformen der Materie möglich. Der Sinn des Erschaffens von Mangel war, uns den Raum zu geben, in welchem wir dadurch, dass wir unsere göttliche Fähigkeit, zu geben und zu erschaffen, manifestieren, selbst zum Schöpfer werden können.

Es heißt, Gott habe die Welt in sieben Tagen erschaffen. Dieser Schöpfungsprozess spielte sich in der spirituellen Dimension ab, und zwar auf sieben Ebenen. Damit schuf Gott die spirituelle DNS der Wirklichkeit als Grundplan für das Universum. Die spirituelle DNS beinhaltet die spirituellen Bausteine, aus denen die Wirklichkeit entstanden ist.

Jede Manifestation von Materie – egal in welcher Form, ob als Baum, Mensch oder Wasser – bedarf der Intelligenz. Materie ohne Intelligenz zerfällt zu Staub. Ein Baum, der stirbt, zerfällt in seine Einzelteile. Wenn ein Mensch stirbt und die göttliche Intelligenz seinen Körper verlässt, zerfällt sein Körper. Damit schwinden auch sein Charakter und seine menschlichen Eigenschaften. Dieser Prozess ist im ganzen Universum zu beobachten. Die spirituelle DNS ist die Grundintelligenz, das Wissen darüber, wie alle Dinge geschaffen wurden – ähnlich einem Masterplan, nach dem das ganze Universum gebaut wurde. In der Anordnung der Materie erkennen wir, dass es keinen Zufall gibt. Atome ordnen sich nicht zufällig zur Form eines Baumes. Auch tote Materie hat eine ganz bestimmte intelligente Form. Diese Form hat einen Ursprung. Die Kabbalisten sagen, dass wir hier die Gedanken der Schöpfung erkennen. Die Gedanken der Schöpfung bilden den Grundplan für alles, was je geschaffen wurde: die spirituelle DNS der Wirklichkeit.

Laut Kabbalah stehen die sieben Tage des Schöpfungsprozesses auch für die Zeitspanne, die Gott der Menschheit gegeben hat, um das Schöpferbewusstsein zu erlangen. Jeder Tag steht für ein Jahrtausend. Gezählt wird ab dem Zeitpunkt, zu dem die Menschheit ein Bewusstsein dafür zu entwickeln begann, dass die Wirklichkeit steuerbar ist. Der erste Mensch, der das vermochte, war der Erzvater Abraham vor etwa 4 500 Jahren. Davor gab es durchaus menschliche Lebensformen, die jedoch für die kabbalistische Betrachtungsweise keine Rolle spielen. Erst als Abraham erkannte, dass es einen Schöpfer gibt und damit eine zentrale Quelle für die gesamte Intelligenz, die das Universum schuf, konnte die Menschheit beginnen, mit dieser Kraft Kontakt aufzunehmen und damit ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Abraham hatte also zwei Dinge verstanden: Erstens ist die Realität, in der wir leben, nicht chaotisch und zufällig, und zweitens ist der Mensch in der Lage, mit dieser intelligenten Kraft zu kommunizieren, und damit nicht mehr einem sogenannten Schicksal ausgeliefert. Bis zu diesem Zeitpunkt glaubten die Menschen, es gäbe verschiedene Götter oder Kräfte, welche die Menschen als Spielfiguren benutzen und sie nach Lust und Laune bestrafen. Deshalb versuchten sie, die Götter mit Opfergaben milde zu stimmen.

Der Baum des Lebens

Der Baum des Lebens ist ein Grundmodell, das die Kabbalah benutzt, um die Entstehungsschritte von der spirituellen zur physischen Welt zu erklären. Es handelt sich dabei um eine Beschreibung der zehn Ebenen der Wirklichkeit, genannt die zehn Sefirot. Wir können uns den Baum des Lebens wie einen zehndimensionalen Raum vorstellen, der über dem Zeit-Raum-Kontinuum existiert. Die zehn Dimensionen, welche die Kabbalah beschreibt, enthalten zehn weitere Dimensionen, die wiederum zehn Dimensionen enthalten, und immer so weiter. Deshalb ist die Wirklichkeit in ihrer ganzen Komplexität für unseren Verstand nicht fassbar.

Der symbolische Begriff Baum des Lebens ist abgeleitet von einem Baum mit großen Ästen, von denen kleinere Äste abgehen, an denen wiederum Blätter und Früchte wachsen. Grundsätzlich benutzen die Kabbalisten eine Symbolsprache, die spirituelle Phänomene in Begriffen aus der physischen Realität beschreibt. Diese Sprache basiert auf der Erkenntnis, dass alles, was auf der materiellen Ebene existiert, seinen Ursprung auf der spirituellen Ebene hat. Indem wir die Phänomene der Natur beobachten, können wir Rückschlüsse auf die spirituellen Wurzeln schließen – anhand des Prinzips von Ursache und Wirkung. Im Hebräischen spricht man in diesem Zusammenhang von der »Sprache der Äste«. Wenn wir die Eigenschaften eines Astes studieren, können wir uns sicher sein, dass sie alle auch im Stamm des betreffenden Baumes enthalten sind. Alles, was wir in dieser Realität beobachten, verweist auf seine spirituelle Wurzel. Daher können wir durch die Beobachtung der Natur und Phänomene auf der Erde Rückschlüsse auf ihre spirituellen Wurzeln ziehen.

Analog zu diesem Bild beschreiben die Kabbalisten die zehn Dimensionen wie einen menschlichen Körper, der aus zehn energetischen Einheiten besteht. Die oberen drei Ebenen sind dem Kopf zugeordnet: dem Schädel sowie der rechten und der linken Gehirnhälfte. Dann folgen der rechte Arm, der linke Arm, die Brust, das rechte und das linke Bein, die Geschlechtsorgane und zum Schluss die Füße. Der Körper ist ein physischer Spiegel der spirituellen Realität und gleichzeitig ein Austragungsort der spirituellen Dimension.

Die zehn Ebenen vom Baum des Lebens

Man kann sich den Aufbau der zehn Ebenen wie einen riesigen Trichter vorstellen. Die erste Ebene ganz oben symbolisiert das Licht, und mit jedem weiteren Schritt nähern wir uns der physischen Ebene und lenken das Licht hierher, in unsere Realität.

1. KETER

Die erste Ebene symbolisiert die Krone und heißt auf Hebräisch Keter. Alles, was jemals manifestiert wurde, hat hier seinen Ursprung. Keter steht für die höchste Dimension der Schöpfung.

Der kabbalistische Lebensbaum mit seinen drei Säulen

2. CHOCHMA

Chochma ist die Ursprungsquelle, welche die erste Manifestation der Energie enthält. Diese Ebene steht für die männliche Energie, den spendenden, gebenden Teil, und wird Vater genannt.

3. BINAH

Binah steht für den empfangenden, weiblichen Teil und trägt deshalb auch den Namen Mutter. Binah ist die Energiequelle für die gesamte physische Realität. Hier befindet sich das kosmische Lager der Lebensenergie. All das, was Lebensenergie in sich trägt, bezieht seine Energie von dieser Ebene.

Dieser sogenannte Kopfbereich – Keter, Chochma und Binah – beschreibt Dimensionen, die uns im Alltag unzugänglich bleiben, weil sie zu hoch und zu spirituell sind. Mithilfe von bestimmten spirituellen Werkzeugen und dem Zohar ist es unserem Bewusstsein allerdings möglich, sich zu bestimmten Zeiten mit der Ebene von Binah zu verbinden.

4. CHESED

Chesed steht für den rechten Arm und symbolisiert die Energie des Teilens und der Gnade. Auf dieser Ebene finden wir die Energie, die Leben und Kraft spendet, und damit den Ursprung von Leben.

5. GEVURAH

Gevurah ist der linke Arm und symbolisiert die Energie des Empfangens und Ausführens. Hier schlummert aber auch das Potenzial der Zerstörung, das zum Ausdruck kommt, wenn die Energie der linken Säule nicht mit der Energie der rechten Säule gekoppelt oder verbunden ist. Auf der physischen Ebene können wir dies mit einem Stromanschluss ohne Erdungskabel vergleichen.

6. TIFERET

Als tragender Teil am Baum des Lebens verbindet Tiferet oben und unten sowie rechts und links. Tiferet ist sowohl eine eigene Dimension als auch der Überbegriff für die unteren sechs Dimensionen.

7. NETZACH UND 8. HOD

Netzach und Hod sind untrennbar miteinander verbunden, genauso wie unsere beiden Beine als Einheit das Fundament unseres Körpers bilden. Netzach kanalisiert die Energie der Kontinuität und der Ewigkeit. Hod kanalisiert die Energie des erhöhten Bewusstseins und der Wahrnehmung auf einer prophetischen Ebene.

9. YESOD

Yesod symbolisiert die Verbindung zwischen dem Spirituellen und der physischen Realität. Sie ist das Sammelbecken am Baum des Lebens. Hier sammelt sich die ganze Energie, die von oben einfließt, bevor sie sich auf der physischen Ebene von Malchut manifestiert. Von der physischen Dimension aus gesehen ist Yesod das Tor zur Spiritualität. Und wenn man auf der Ebene von Yesod steht, ist sie das Tor zur physischen Realität. Im Körper ist Yesod dem Beckenboden zuzuordnen – dem Körperbereich, von dem aus wir das Licht der Welt erblicken. Yesod symbolisiert die Fähigkeit, Leben und Fülle zu schaffen, sowohl im Spirituellen als auch auf der physischen Ebene.

10. MALCHUT

Malchut ist das Königreich Gottes, der Garten des Schöpfers, wo alles wächst und gedeiht, was in den oberen Realitäten gesät wurde. Malchut ist die physische Realität, in der wir leben. Was wir hier erleben, sind Manifestierungen des spirituellen Lichts, das vom Schöpfer ausgeht und durch die vorangegangenen neun Dimensionen kanalisiert wird, bis es sich schließlich in Malchut manifestiert. Weil das Licht des Schöpfers so unfassbar ist, braucht es diese vielen Dimensionen. Alle diese Transformatoren zwischen dem Licht und den Menschen sind nötig, damit wir dem Licht überhaupt begegnen können.

Die Ebene von Malchut ist wie die anderen Ebenen eine spirituelle Dimension, allerdings eine, von der in der physischen Realität ein exaktes Spiegelbild existiert. Alles, was in Malchut als spiritueller Plan vorhanden ist, spiegelt sich in der physischen Wirklichkeit wider.

Die Geschöpfe Gottes

Der Schöpfungsprozess dauerte sieben Tage. Am sechsten Tag erschuf Gott Adam und Eva, die als symbolische Figuren den Weg zum Schöpferbewusstsein beschreiten sollten. Für den Erkenntnisprozess brauchten sie den freien Willen, denn solange sie keinen freien Willen hatten, konnten sie kein Bewusstsein erlangen und demnach nicht zum Schöpfer werden. Man kann nicht Schöpfer werden, wenn man sich nicht darüber bewusst ist, was man tut. Das Bewusstsein, Schöpfer zu werden, muss man erlangen. Dafür stellte Gott Adam und Eva zwei mögliche Wege zur Verfügung: zum einen den spirituellen Weg, der durch drei Parameter gekennzeichnet ist und in der Bibel durch den Baum des Lebens symbolisiert wird, und zum anderen den Weg, der zwei Komponenten enthält und der durch den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse dargestellt wird.

Schauen wir uns die beiden Wege genauer an. Eva wählte den Weg der Erkenntnis von Gut und Böse, indem sie den Apfel pflückte. Hinter dieser Weggabelung verbirgt sich natürlich mehr als eine einfache Entscheidung. Die Kabbalah bezeichnet diesen Weg als 2-Säulen-System. Es ist der Weg der Dualität, der zwischen Gut und Böse oder haben wollen und nehmen entlangführt. Wenn wir uns auf ihm bewegen, bleiben wir in dem Raum von Endlichkeit und Tod gefangen. Der andere Weg wird in der Kabbalah auch als 3-Säulen-System bezeichnet und beinhaltet als dritte Komponente die Aktivierung des Bewusstseins bei der Gestaltung unserer Handlungen.

Bevor Eva den Apfel vom Baum der Erkenntnis pflückte, hatte Gott sie gewarnt und ihr zu verstehen gegeben, dass dieser Baum für Endlichkeit und Tod steht. Aber Eva hat den Apfel gegessen und damit die Entscheidung für ein endliches Leben in der Dualität getroffen. Von da an konnten Adam und Eva nicht mehr im unendlichen Raum existieren. Sie sind aus ihrem göttlichen Bewusstsein in das Bewusstsein von Endlichkeit und Tod gefallen. In dem Moment, in dem sie diese Entscheidung trafen, zersplitterten Adam und Eva in Milliarden von spirituellen Fragmenten, die sich in der physischen Realität in menschlichen Körpern materialisierten.

Stellen Sie sich einen wunderschönen großen Kristall vor, der auf den Boden fällt und in Tausende von Splittern zerfällt. Jeder dieser Splitter manifestiert und reflektiert das Licht in unterschiedlicher Weise. Dennoch gehörten sie ursprünglich alle zu demselben Kristall.

Bei allem, was in diesem Universum existiert, handelt es sich um göttliche Schöpferfunken, die sich in einer physischen Hülle manifestieren. Wenn also jemand stirbt, dann heißt das nicht, dass der Schöpferfunke in ihm stirbt, sondern nur, dass die physische Hülle zerfällt und der Funke sich in einer anderen Form neu manifestieren kann. Das Ziel der ganzen Inszenierung ist, dass alle Funken den Transformationsprozess zum Schöpferbewusstsein durchmachen, um am Ende zu dem Bewusstsein zu gelangen, Schöpfer zu sein. Wir können erst dann zum Schöpfer werden, wenn wir uns selbst als Schöpfer wahrnehmen. Dafür brauchen wir die physische Realität. Allerdings sollten wir nicht vergessen, woher wir kommen und wohin wir wollen. Unsere Essenz ist unendlich, unsterblich und göttlich. Jeder von uns ist ein Schöpfer. Jeder von uns ist vollkommen.

Dieses Bild geht uns im Alltag immer wieder verloren. Die wenigsten von uns fühlen sich als Schöpfer – im Gegenteil. Wie oft stehen wir vor Problemen, die uns unlösbar erscheinen. Wie oft fühlen wir uns Situationen ausgeliefert oder haben Angst vor der Zukunft. Egal, ob wir eine Trennung erleben, eine Kündigung erfahren oder eine schwere Krankheit erleiden: Wir fühlen uns nicht als Schöpfer dieser Situationen. Und auch die Gefühle, mit denen wir reagieren – Trauer, Wut oder Hoffnungslosigkeit – , sind keine willentlichen Schöpfungen.

Nach der Trennung von meiner Frau brach für mich eine Welt zusammen, denn diese Partnerschaft hatte eine zentrale Stellung in meinem Leben eingenommen. Erst als ich erkannte, dass der Schmerz nur in mir liegt und dass nur ich ihn mir zufüge, tat ich den ersten Schritt, um mich aus dieser Opferposition zu befreien. Solange ich um meine Vergangenheit trauerte – die Liebe, die Geborgenheit, die Wärme –, lebte ich auch nur in der Vergangenheit. Schöpfer zu sein bedeutet aber, im Hier und Jetzt zu leben und sich nicht von der Vergangenheit beherrschen zu lassen. Im Gegenteil, der Fokus ist auf die Zukunft gerichtet: Wie soll mein Leben aussehen, was möchte ich erreichen, wie möchte ich leben? Schöpfer zu sein bedeutet, sich darüber bewusst zu sein, dass unsere Gedanken, Worte und Taten von heute die Samen für die Ereignisse in der Zukunft sind. Schöpferbewusstsein bedeutet zu erkennen, dass sich eine positive Kraft auf all unsere Lebensbereiche auswirkt. Vor allem aber bedeutet es, den Blick über den Rand des eigenen, gut gefüllten Tellers zu heben und dafür zu sorgen, dass der Teller des Nachbarn nicht leer bleibt.

II

Ich sehe was, was du nicht siehst

Ein Keks ist nicht nur ein Keks

Um unser Bewusstsein zu erweitern, ist es hilfreich, die unbewussten Mechanismen zu erkennen, die unsere Wahrnehmung und unser Verhalten steuern, damit wir unser Leben im nächsten Schritt bewusster gestalten und kontrollieren können. Machen wir uns also auf den Weg und erkunden wir zunächst die Komponenten, aus denen sich unsere Wahrnehmung zusammensetzt. Hier finden wir individuelle Emotionen, Erfahrungen und Vorstellungen, persönliche Blickwinkel, Einstellungen und Wünsche. Trotzdem glauben wir, dass das, was wir wahrnehmen, Teil einer objektiven Realität ist.

Im Flughafengebäude: Eine Frau ist auf dem Weg in ihre Heimatstadt. Nachdem der Sicherheitsbeamte ihr Handgepäck mehr als sorgfältig geprüft hat, ist sie etwas nervös, obwohl sie nichts zu verbergen hat. Aber diese Kontrollen geben ihr immer das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte. Um sich zu beruhigen und die Wartezeit am Gate zu versüßen, kauft sie sich eine Illustrierte und eine Packung Kekse. Immer noch etwas nervös setzt sie sich neben einen gut aussehenden jungen Mann. Noch bevor sie ihre Zeitschrift aufschlägt, öffnet sie die Kekstüte auf dem Nachbarsitz und greift hinein. Nachdem sie sich einen Keks genommen hat, tut der Mann neben ihr dasselbe. Sie wundert sich, aber – was soll’s, es ist nur ein Keks.

Nachdem sie sich den nächsten Keks genommen hat, tut der Mann es ihr wieder gleich. Sie findet dieses Verhalten höchst respektlos. Er könnte doch wenigstens fragen und sich nicht einfach wortlos aus ihrer Kekstüte bedienen. Ihr Ärger wächst, aber es ist lächerlich, an diesem Ort eine Szene wegen ein paar Keksen zu machen. Nach einer Weile ist die Tüte fast leer und der Mann nimmt den letzten Keks, bricht ihn entzwei und reicht ihr die Hälfte.

Inzwischen wird der Flug aufgerufen, beide betreten das Flugzeug und wie der Zufall so spielt, sitzen sie nebeneinander. Die Frau ist entsetzt. Ausgerechnet dieser Typ, der sich ungefragt aus ihrer Kekstüte bedient hat, muss nun neben ihr sitzen. Sie versucht, ihren Ärger hinunterzuschlucken. Nachdem die Anschnallpflicht aufgehoben ist und die entsprechenden Anzeigen erloschen sind, steht sie auf, um zur Toilette zu gehen. Als sie ihre Tasche öffnet, um den Lippenstift herauszuholen, entdeckt sie – ihre Kekstüte. Sie hatte also die ganze Zeit aus der Kekstüte des fremden Mannes gegessen – wie peinlich. Zurück an ihrem Platz entschuldigt sie sich bei ihm. Es ist ihr wirklich unangenehm. Der Mann reagiert höflich und gelassen. Aus seiner Perspektive hatte er die Frau als etwas verwirrt erlebt und sich über sie gewundert, aber was hätte er tun sollen? Sich wegen einer Kekstüte aufregen? Am Ende hatte er auch den letzten Keks mit der merkwürdigen Fremden geteilt.

Wir nehmen etwas wahr – eine Situation oder das Verhalten eines Menschen – und bewerten es. Diese Bewertungen finden einzig und allein in unserem Kopf statt und stimmen nicht immer mit den Tatsachen überein.

Eine Kleinstadt, wie es sie überall auf der Welt gibt. Peter Sturm ist ein Frauenheld und bekannt für seine Feste, bei denen der Alkohol fließt und wo es ein Leichtes ist, eine Begleitung für die Nacht zu finden. Eines Morgens wird die Frau eines stadtbekannten Rechtsanwaltes von einem Nachbarn dabei beobachtet, wie sie das Haus von Herrn Sturm verlässt. Das Gerücht, dass Frau Rechtsanwalt dubiose Beziehungen hat, macht in kürzester Zeit die Runde. Merkwürdigerweise dringen keine Gerüchte über einen Streit oder Trennungsabsichten des Paares nach außen. Eines Tages wird der Rechtsanwalt von einem Freund befragt, wie er denn damit umgehe, dass seine Frau ihn betrüge. Er antwortet: »Wenn ich die Fantasien sämtlicher Leute ernst nähme, wäre mein Leben die Hölle. Tatsache ist, dass meine Frau einen Onkel in Amerika hat. Ein Gast von Herrn Sturm, der mit dem Onkel befreundet ist, flog an besagtem Morgen nach Amerika, und meine Frau hat ihm in letzter Minute noch etwas gebracht, was er dem Onkel nach Amerika mitnehmen sollte.«

Diese beiden Beispiele verdeutlichen ansatzweise die individuellen Bewertungsmechanismen, die unsere Wahrnehmung prägen und damit nicht unerheblich an unserer Lebensqualität beteiligt sind. Es gibt viele Möglichkeiten, eine scheinbar objektive Realität wahrzunehmen.

Das Kaleidoskop der Wahrnehmung

Kennen Sie diese magischen Röhren, bei denen sich an dem einen Ende locker zwischen zwei Glasplatten liegende farbige Plättchen befinden, die sich, wenn man die Röhre dreht, zu immer neuen, wunderschönen Mustern formen? Den dahinterliegenden Zauber können wir nicht enthüllen, indem wir das Rohr zerstören und die Plättchen untersuchen. Nur indem wir die Mechanismen des Zusammenspiels erkennen, kommen wir weiter. Schauen wir uns das Kaleidoskop der Wahrnehmung an:

Wir sehen eine Blumenwiese. Wir hören Vogelgezwitscher. Wir riechen den Frühlingsduft. Wir schmecken den Saft einer Zitrone. Wir fühlen den Speichelfluss.

Alles, was wir wahrnehmen, nehmen wir über unsere Sinnesorgane wahr. Sinneswahrnehmungen haben durchaus eine gewisse Bandbreite an Farben, Tönen und Geschmacksrichtungen, sind aber an sich neutral. Eine Wiese ist grün und ein Vogel zwitschert. Das entscheidende Kriterium dafür, wie wir die Wiese und den Vogel wahrnehmen, ist unser emotionaler Zustand.

Unsere Emotionen sind ausschlaggebend für die Muster unseres Wahrnehmungskaleidoskops. Sie sind es, die die Plättchen zu ganz bestimmten Mustern formen. Jeder kennt die sprichwörtliche rosarote Brille, die die Welt

Ansata Verlag Ansata ist ein Verlag der Verlagsgruppe Random House GmbH.

eISBN 978-3-641-06312-2

1. Auflage 2011

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Redaktion: Juliane Molitor

Herstellung: Helga Schörnig

Satz: Leingärtner, Nabburg

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