Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Das Doppeldrama, das auf der Figur des Kaiser Julian basiert, gehört zu Ibsens Hauptwerken. Von der Kritik und den Schriftstellern wurde Ibsen im Alter – wie zuvor schon Johann Georg Hamann – "Magus des Nordens" genannt.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 398
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Kaiser und Galiläer
Henrik Ibsen
Inhalt:
Henrik Ibsen – Biografie und Bibliografie
Kaiser und Galiläer
Erster Teil: Cäsars Abfall
Personen
Erster Akt
Zweiter Akt
Dritter Akt
Vierter Akt
Fünfter Akt
Zweiter Teil - Kaiser Julian
Personen
Erster Akt
Zweiter Akt
Dritter Akt
Vierter Akt
Fünfter Akt
Kaiser und Galiläer, H. Ibsen
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849626204
www.jazzybee-verlag.de
Henrik Ibsen, der größte Dramatiker Norwegens und einer der gewaltigsten Geister der neuern Zeit, geb. 20. März 1828 zu Skien in Norwegen, war der älteste Sohn eines erst wohlhabenden Kaufmanns dänischer Abstammung. Nach dem Konkurs seines Vaters verfloß seine früheste Jugend in beschränkten Verhältnissen. In Skien erhielt er eine notdürftige Schulbildung und kam, 15 Jahre alt, als Apothekerlehrling nach Grimstad. Hier entstanden seine ersten dichterischen Versuche, Spottverse, die den Schrecken der Stadtbewohner bildeten, mondscheintrunkene Lyrik, die von den Damen des Ortes fleißig gelesen und gesammelt wurde, und vor allem der »Catilina« (1850, neue Ausg. 1875), ein Drama, in dem sich der Sturm der Zeit und der brausenden Jugendkraft des Dichters entlädt. 1850 siedelte I. nach Christiania über, ging in Heltbergs »Presse« und bestand bereits nach fünf Monaten das medizinische Vorexamen. Dabei fand er Zeit, das kleine, unselbständige Drama »Das Hünengrab« (»Kjœmpehøien«) zu schreiben. Außerdem gab er damals zusammen mit Botten-Hansen und Vinje ein politisch-satirisches Wochenblatt (»Manden«, gewöhnlich »Audhrimer« genannt) heraus, das indessen schon nach neun Monaten wieder einging. Aber man war auf den jungen I. aufmerksam geworden: im November 1851 berief ihn Ole Bull an das norwegische Nationaltheater in Bergen, wo er nun bis 1857 als Regisseur und Theaterdichter wirkte. Alljährlich zum 2. Januar, dem Gründungstag des Hauses, lieferte er ein Stück, und entrichtete in diesen Werken der nationalen Romantik seinen Tribut. Es entstanden: »Die Johannisnacht« (1853; ungedruckt), »Die Herrin von Östrot« (»Fru Inger ti! Östraat«, 1854; gedruckt 1857, neue Ausg. 1874), »Das Fest auf Solhaug« (»Gildet paa Solhaug«, 1855) und »Olaf Liljekrans« (1856; erstmalig gedruckt in Ibsens »Sämtlichen Werken«, Bd. 2, Berl. 1898). Im I. 1857 siedelte I. als artistischer Direktor an das Norwegische Theater in Christiania über, im folgenden Jahr vermählte er sich mit Susanna Daae Thoresen aus Bergen. Sein Aufenthalt in Christiania dauerte bis 1864, und es entstanden in dieser Zeit: »Die Helden auf Helgoland « (»Nordische Heerfahrt«, »Hærmændene paa Helgeland«, 1858), unter dem Eindruck der isländischen Familiengeschichten, besonders der »Völsungasaga«, bei aller Gewalt der darin ausgedrückten Stimmungen ein Meisterwerk klarer dramatischer Technik; »Die Komödie der Liebe« (»Kjælighedens Komedie«, 1862), eine scharfe Satire gegen die landesüblichen Auffassungen von Ehe und Liebe, das einen Sturm der Entrüstung entfesselte-die Spießbürger fühlten sich in ihren heiligsten Gefühlen verletzt- und »Die Kronprätendenten« (»Kongsæmnerne«, eigentlich: »das Holz, aus dem Könige geschnitzt werden«, 1863), Ibsens erste große Dichtertat, durch die er verkündet, »daß stets der. Königsgedanke' einer neuen Zeit siegt, und daß da keine Hoffnung ist für die, die nur das Vergangene, schon Dagewesene wiederholen können« (Woerner, »Henrik I.«). Gekränkt durch den Unverstand des Publikums und der Kritik und aufs höchste erbittert über das Verhalten Norwegens in dem dänisch-preußischen Konflikt, verließ I. im April 1864 Christiania und reiste über Berlin nach Rom. Er wurde heimatfrei. Die Weltgeschichte berührte ihn. Die Keime zu einem Drama über das untergehende römische Kaiserreich fallen in seine Brust. Zunächst aber befreit er sich von den Lebenseindrücken, die er aus Skandinavien mitbrachte, durch zwei gewaltige, im höchsten Sinne kritische Versdramen: »Brand« (1866) und dessen Gegenstück »Peer Gynt« (1867). In beiden Werken werden die Gebresten des norwegischen Volkes gegeißelt, nur wird, wie Brandes sagt, im »Brand« norwegische Schlaffheit wenigstens[729] von einer norwegischen Idealgestalt abgeurteilt, während im »Peer Gynt« der Held als der typische Vertreter norwegischer Willensschwäche und Phantasterei angelegt und gestaltet ist. Auch ein unausgesprochener Protest gegen die Idealisierung norwegischer Bauerngestalten, wie sie um diese Zeit Björnson vornahm, läßt sich in beiden Dichtungen nicht verkennen. 1868 verließ I. Rom und ging nach Dresden, wo er zunächst das Lustspiel »Der Bund der Jugend« (»DeUnges Forbund«, gedruckt 1869), in mancher Beziehung ein Hinweis auf die Gesellschaftskritik seiner spätern Werke, ausführte. Erst unter dem Einfluß der großen Zeit, die das Deutsche Reich entstehen sah, konnte er das welthistorische Schauspiel in zwei Teilen, »Kaiser und Galiläer« (»Keiser og Galilæer«) im Frühling 1873 abschließen; es schildert den Kampf der Antike mit dem Christentum, den Untergang Julians des Apostaten, und ist »das Fundament dessen, was I später geschaffen hat, wodurch er eigentlich erst er selbst geworden ist« (Schlenther), ein historisches Schauspiel, das vieles von dem Ideengehalt seiner Gegenwartswerke einschließt, deutet und ergänzt. Erst jetzt läßt I. die Scholle tief unter sich. Er wird trotz des Heimatsduftes, den seine Werke nie abstreifen, und ohne den sie in ihren letzten Gründen unverständlich bleiben, der Bahnbrecher einer neuen dramatischen Kunst, einer neuen Zeit. Der Dichter schlug sein Hauptquartier seit 1875 abwechselnd in München und in Rom auf, besuchte aber auch Skandinavien, wo man ihn wie einen Triumphator empfing. Seit 1892 wohnt er in Christiania. Es erschienen: »Die Stützen der Gesellschaft« (»Samfundets Stotter«, 1877), »Ein Puppenheim« (»Et Dukkehjem«, 1879), »Gespenster« (»Gjengangere«, 1881), »Ein Volksfeind« (»En Folkefiende«, 1882), »Die Wildente« (»Vildanden«, 1884), »Rosmersholm« (1886), »Die Frau vom Meer« (»Fruen fra Havet«, 1888), »Hedda Gabler« (1890), »Baumeister Solneß« (»Bygmester Solness«, 1892), »Klein Eyolf« (»Lille Eyolf«, 1894), »John Gabriel Borkmann« (1896) und der dramatische Epilog »Wenn wir Toten erwachen« (»Når vi Døde vågner«, 1899). Gemeinsam ist diesen Werken, daß sie soziale und menschliche Verhältnisse der Gegenwart behandeln. Problem- oder gar Tendenzdichtungen sind sie nicht. Der Ausgangspunkt liegt immer in der Anschauung menschlicher Charaktere, bedeutender Geschicke. Aber die Liebe und der Haß, die den Dichter erfüllen, veranlassen Auseinandersetzungen, die Kritik alter Anschauungen, die Prägung neuer Werte. Die Grundstimmung ist ein großartiger Optimismus, ein unerschütterlicher Glaube an »das dritte Reich«, in dem »der Geist der Wahrheit und der Geist der Freiheit« herrschen werden. Als Techniker des Dramas greift I. auf die Tradition der Griechen zurück. Er gibt fünfte Akte, in denen sich mit unvergleichlicher Folgerichtigkeit lange Lebensschicksale entschleiern und lösen. Zu erwähnen sind noch Ibsens »Gedichte« (zuerst 1871, dann in vermehrter Auflage 1875). Ibsens »Sämtliche Werke« erschienen in einer kritischen deutschen Ausgabe mit guten Einleitungen von Brandes und Schlenther (Berl. 1898–1903, 9 Bde.), dazu als Bd. 10 eine Auswahl aus Ibsens Briefen, hrsg. von I. Elias und H. Koht (das. 1904). Vgl. G. Brandes, Björnson und I. (Kopenh. 1881) und Henrik I. (das. 1898); H. Jäger, Henrik I. 1828–1888 (1888; deutsch von Zschalig, 2. Aufl., Dresd. 1898); R. Woerner, Henrik I. (Münch. 1900, Bd. 1); Lothar, Henrik I. (2. Aufl., Leipz. 1902); E. Reich, H. Ibsens Dramen. 20 Vorlesungen, gehalten an der Universität Wien (4. Aufl., Dresd. 1902); B. Litzmann, Ibsens Dramen (Hamb. 1901.
Kaiser Konstantinos Kaiserin Eusebia Helena, des Kaisers Schwester Gallos, des Kaisers Vetter Julian, des Gallos jüngerer Stiefbruder Memnon, ein Äthiopier, der Leibsklave des Kaisers Potamon, Goldschmied Phokion, Färber Eunapios, Haarscherer Ein Fruchthändler Ein Hauptmann der Wache Ein Soldat Ein geschminktes Weib Ein Gichtbrüchiger Ein blinder Bettler Agathon, der Sohn eines Weingärtners aus Kappadocien Libanios, ein Weisheitslehrer Gregor von Nazianz Basilios von Cäsarea Sallust von Perusia Hekebolios, ein Schriftgelehrter Maximos, ein Mystiker Eutherios, Hausmeister Leontes, Quästor Myrrha, Sklavin Decentius, Tribun Sintula, Stallmeister Florentius, Severus, HeerführerOribases, ein Arzt Laipso, Varro, (Unterbefehlshaber) Mauros, Fahnenträger
Soldaten, Kirchgänger, heidnische Zuschauer, Hofleute, Priester, Zöglinge der Weisheitsschulen, Tänzerinnen, Diener, Gefolge des Quästors, gallisches Kriegsvolk, Visionen und Stimmen.
Der erste Akt spielt in Konstantinopel, der zweite in Athen, der dritte in Ephesus, der vierte bei Lutetia und der fünfte zu Vienna in Gallien. Das Schauspiel umfaßt den Zeitraum von 351 bis 361.
Osternacht in Konstantinopel. Die Bühne stellt eine offene Anlage mit Bäumen, Gebüsch und umgestürzten Bildsäulen in der Nähe des kaiserlichen Schlosses dar. Im Hintergrund liegt die Hofkirche, hell erleuchtet. Rechts eine Balustrade, von der eine Treppe hinab zum Wasser führt. Zwischen Pinien und Zypressen Aussicht auf den Bosporus und die asiatische Küste. – Gottesdienst. Kaiserliche Haustruppen auf der Kirchentreppe. Große Scharen Andächtiger strömen in die Kirche. Bettler, Krüppel und Blinde am Eingang. Heidnische Zuschauer, Fruchthändler und Wasserverkäufer füllen die Bühne.
Lobgesang im Innern der Kirche. Ewiglich währe Dem Kreuz Preis und Ehre. Die Schlange, sie lieget Im Abgrund zernicht; Das Lamm hat gesieget; Auf Erden ward Licht!
Goldschmied Potamon, mit einer Papierlaterne, kommt von links, schlägt einem Soldaten auf die Schulter und fragt: Pst, guter Freund, wann kommt der Kaiser?
Der Soldat. Weiß nicht.
Färber Phokion wendet im Gedränge den Kopf. Der Kaiser? Da fragte wer nach dem Kaiser, glaub' ich! Der Kaiser kommt kurz vor Mitternacht. Ganz kurz vor zwölf. Ich hab' es von Memnon selbst.
Haarschneider Eunapios kommt in Hast gelaufen und stößt einen Fruchthändler beiseite. Weg da, Heide!
Der Fruchthändler. Sachte, Herr!
Potamon. Das Schwein muckt!
Eunapios. Du Hund, Du Hund!
Phokion. Muckt der Kerl wider einen gutangezogenen Christen – wider einen Mann von des Kaisers eigenem Glauben!
Eunapios wirft den Fruchthändler zu Boden. In den Dreck mit Dir!
Potamon. Recht so! Da siehl' Dich wie Deine Götter!
Phokion schlägt ihn mit seinem Stock. Nimm das, – und das, – und das!
Eunapios stößt ihn mit dem Fuß. Und das, und das! Ich will Dir Dein gottverhaßtes Fell gerben! Der Fruchthändler macht sich aus dem Staube.
Phokion mit der deutlichen Absicht, von dem Hauptmann der Wache gehört zu werden. Ich wünschte höchlichst, es brächte irgend einer diesen Vorfall vor das Ohr unseres edlen Kaisers. Der Kaiser hat neulich sein Mißvergnügen darüber ausgesprochen, daß wir christlichen Bürger mit den Heiden Umgang pflegen, gerad' als ob uns nichts voneinander trennte –
Potamon. Du meinst jenen Anschlag auf den Märkten? Den hab' ich auch gelesen. Und ich glaube, wie es echtes und unechtes Gold auf der Welt gibt, so –
Eunapios. Man soll nicht alle über einen Kamm scheren – das ist meine Ansicht. Es gibt doch, Gott sei gelobt, noch eifrige Seelen unter uns.
Phokion. Wir sind lange nicht eifrig genug, lieben Brüder! Seht nur, wie großmäulig diese Spötter tun. Oder glaubt Ihr, daß viele von den Lumpen da des Kreuzes und Fisches Zeichen an dem Arme tragen?
Potamon. Nein, – meiner Treu, gar vor der Hofkapelle ihr Gewimmel und Getümmel –
Phokion. – in solch einer hochheiligen Nacht –
Eunapios. – versperren der reinen Gemeinde den Weg –
Ein geschminktes Weib im Gedränge. Sind Donatisten rein?
Phokion. Was? Donatist! Bist Du ein Donatist?
Eunapios. Wie denn? Bist Du nicht auch einer?
Phokion. Ich? Ich! Der Blitz schlage Deine Zunge!
Potamon bekreuzigt sich. Hol' Dich die Pest –
Phokion. Ein Donatist! Du Aas! Du faulig Holz!
Potamon. Recht so! Recht so!
Phokion. Du Höllenfutter!
Potamon. Recht so! Schilt ihn, schilt ihn, lieber Bruder!
Phokion stößt den Goldschmied weg. Halt's Maul, – hebe Dich von mir! Weit von mir! Jetzt kenn' ich Dich – Du bist der Manichäer Potamon!
Eunapios. Ein Manichäer? Ein stinkender Ketzer! Pfui, pfui!
Potamon leuchtet ihm mit seiner Papierlaterne ins Gesicht. Ei! Das ist ja der Färber Phokion aus Antiochia! Der Kainit!
Eunapios. Weh mir, ich bin geraten in die Sippschaft der Lüge!
Phokion. Weh mir, – ich half einem Sohne des Teufels!
Eunapios gibt ihm eins hinter die Ohren. Nimm das als Lohn für Deine Hilfe!
Phokion schlägt wieder. O Du verruchter Köter!
Potamon. Verdammt, verdammt seid beide! Allgemeine Prügelei; Gelächter und Gespött unter den Zuschauern.
Der Hauptmann der Wache ruft den Soldaten zu: Der Kaiser kommt! Die Streitenden werden getrennt und strömen mit den übrigen Andächtigen in die Kirche.
Lobgesang vom Hochaltar. Die Schlange, sie lieget Im Abgrund zernicht; Das Lamm hat gesieget; Auf Erden ward Licht!
Der Hof kommt in großem Aufzug von links. Priester mit Räucherfässern schreiten voran; dann Trabanten und Fackelträger, Hofleute und Leibwache. In der Mitte Kaiser Konstantios, ein Mann von vornehmem Äußeren, vierunddreißig Jahre alt, bartlos und mit braunem Lockenhaar; seine Augen haben einen finstern und mißtrauischen Ausdruck; sein Gang und seine ganze Haltung verraten Unruhe und Schwäche. An seiner linken Seite geht die Kaiserin Eusebia, eine bleiche, feine Frauengestalt, von demselben Alter wie der Kaiser. Hinter dem Kaiserpaar folgt Julian, ein noch nicht voll entwickelter Jüngling von neunzehn Jahren. Er hat schwarzes Haar und einen keimenden Bart, hat unstete braune Augen, denen ein jäher Aufschlag eigen ist; die Hoftracht kleidet ihn nicht; seine Gebärden sind linkisch, auffallend und heftig. Es folgt Helena, des Kaisers Schwester, eine üppige Schönheit von fünfundzwanzig Jahren, begleitet von jungen und älteren Frauen. Hofleute und Trabanten beschließen den Zug. Memnon, des Kaisers Leibsklave, ein Äthiopier von starkem Körperbau, prächtig gekleidet, ist unter dem Gefolge.
Konstantinos bleibt plötzlich stehen, wendet sich an Julian und fragt barsch: Wo ist Gallos?
Julian erbleicht. Gallos? Was willst Du von Gallos?
Konstantinos. Da hab' ich Dich ertappt!
Julian. Herr –!
Kaiserin Eusebia ergreift des Kaisers Hand. Komm, – komm!
Konstantinos. Es schrie das Gewissen! Was führt Ihr beiden im Schilde?
Julian. Wir?
Konstantinos. Du und er!
Eusebia. Komm doch, komm, Konstantios!
Konstantinos. Solch eine schwarze Tat! Welche Antwort hat das Orakel gegeben?
Julian. Das Orakel? Bei meinem heiligen Erlöser –
Konstantinos. Hat Euch einer verleumdet, so soll er es auf dem Scheiterhaufen büßen. Nimmt Julian beiseite. Laß uns zusammenhalten, Julian! Teurer Vetter, laß uns das!
Julian. Alles liegt in Deinen Händen, liebwerter Herr!
Konstantinos. In meinen Händen –!
Julian. O, breite sie in Gnaden über uns!
Konstantinos. In meinen Händen? Was dachtest Du von meinen Händen?
Julian ergreift seine Hände und küßt sie. Des Kaisers Hände sind weiß und kühl.
Konstantinos. Was sollen sie sonst sein –? Was dachtest Du? Da hab' ich Dich wieder ertappt!
Julian küßt sie wiederholt. Sie sind wie die Rosenblätter hier in der Mondnacht.
Konstantinos. Ja, ja, ja, Julian.
Eusebia. Vorwärts, – es ist an der Zeit.
Konstantinos. Hinein zu müssen vor des Herrn Antlitz! Ich, ich! O, bete für mich, Julian! Sie werden mir den heiligen Wein reichen! Ich seh' ihn! Er funkelt wie Schlangenaugen im Goldkelch –. Er schreit auf. Blutige Augen –! O Jesus Christus, bete für mich!
Eusebia. Der Kaiser ist krank –!
Helena. Wo ist Cäsarios? Der Leibarzt, der Leibarzt – holt ihn!
Eusebia winkt. Memnon, guter Memnon! Sie spricht leise mit dem Sklaven.
Julian gedämpft. Herr, hab' Barmherzigkeit und schick' mich weit weg von hier!
Konstantinos. Wo möchtest Du denn gern hin?
Julian. Nach Ägypten! Dahin am liebsten, – wenn es Dir recht ist! Es gehen ja so viele dorthin – hinein in die große Einsamkeit.
Konstantinos. In die Einsamkeit? So? In der Einsamkeit grübelt man. Ich verbiete Dir, zu grübeln.
Julian. Ich werde nicht grübeln, wenn Du mir nur erlauben wolltest –. Hier wächst meine Seelennot mit jedem Tage. Böse Gedanken rotten sich um mich. Neun Tage lang habe ich ein hären Hemd getragen, – und es hat mich nicht geschützt; neun Nächte lang habe ich mich mit der Büßergeißel gepeitscht, – aber auch das hat sie nicht vertrieben.
Konstantinos. Wir müssen standhaft sein, Julian! Der Teufel ist gar wirksam in uns allen. Sprich mit Hekebolios –
Der Sklave Memnon zum Kaiser. Es ist an der Zeit –
Konstantinos. Nein, nein, ich will nicht –
Memnon faßt ihn beim Handgelenk. Komm, gnädigster Herr, – komm, sag' ich.
Konstantinos richtet sich empor und sagt mit Würde: In das Haus des Herrn!
Memnon leise. Und später dann das andere –
Konstantinos zu Julian. Gallos soll vor mir erscheinen.
Julian faltet hinter dem Rücken des Kaisers die Hände bittend gegen die Kaiserin.
Eusebia schnell und leise. Fürchte nichts!
Konstantinos. Bleib' draußen. Nicht in die Kirche mit der Gesinnung! Wenn Du vor dem Altare betest, so flehst Du ja doch nur Böses auf mich herab. Lade nicht solche Schuld auf Dich, teurer Vetter!
Der Zug schreitet der Kirche zu. Auf der Treppe sammeln sich Bettler, Krüppel und Blinde um den Kaiser.
Ein Gichtbrüchiger. Mächtigster Herrscher der Welt, laß mich Deines Gewandes Saum berühren, auf daß ich genese.
Ein Blinder. Bete für mich, Gesalbter des Herrn, daß ich mein Augenlicht wieder erhalte.
Konstantinos. Sei getrost, mein Sohn! Memnon, streu' Silberlinge unter sie! Hinein, hinein!
Der Hof bewegt sich in die Kirche, deren Tür geschlossen wird; der Menschenschwarm zerstreut sich allmählich; nur Julian bleibt zurück in einer der Alleen.
Julian blickt nach der Kirche. Was will er von Gallos? In dieser heiligen Nacht kann er doch nicht daran denken –! O, wer da wüßte – – – Wendet sich um und stößt gegen einen der fortgehenden Blinden. Sieh Dich vor, Freund!
Der Blinde. Ich bin blind, Herr!
Julian. Noch immer? Kannst Du wirklich nicht einmal den funkelnden Stern dort sehen? Pfui über Dich, Du Kleingläubiger! Hat nicht der Gesalbte Gottes gelobt, für Dein Augenlicht zu beten?
Der Blinde. Wer bist Du, der eines blinden Bruders spottet?
Julian. Ein Bruder in Irrglauben und Blindheit. Er will den Weg zur Linken fort.
Eine Stimme leise hinter ihm im Gebüsch. Julian, Julian!
Julian aufschreiend. Ah!
Die Stimme näher. Julian!
Julian. Steh, steh, – ich bin gewaffnet! Hüte Dich!
Ein junger Mann in ärmlichem Gewand, mit einem Wanderstab, wird zwischen den Bäumen sichtbar. Still, – ich bin's.
Julian. Bleib, wo Du stehst! Komm mir nicht nahe, Mensch!
Der junge Mann. Hast Du denn Agathons vergessen –?
Julian. Agathons! Was sagst Du? Agathon war ja ein Knabe –
Agathon. Vor sechs Jahren. Ich habe Dich gleich erkannt. Nähert sich.
Julian. Agathon! – Beim heiligen Kreuz, bist Du's denn wirklich?
Agathon. Sieh mich nur an – sieh genau –
Julian umarmt und küßt ihn. Freund meiner Kinderjahre! Mein Spielkamerad! Der Du mir der liebste warst von allen! Du hier? Welches Wunder! Du hast den weiten Weg gemacht über die Berge und dann übers Meer – den ganzen weiten Weg von Kappadocien!
Agathon. Ich bin vor zwei Tagen angekommen – mit einem Schiff von Ephesus. O, wie habe ich Dich nicht gesucht in diesen beiden Tagen – doch vergeblich! An den Pforten des Schlosses hat die Wache mich abgewiesen und –
Julian. Hast Du irgendwen nach mir gefragt? Oder verlauten lassen, daß Du mich suchest?
Agathon. Nein, so etwas habe ich nicht gewagt, denn –
Julian. Daran hast Du recht getan; man darf niemals einen mehr wissen lassen, als unbedingt nötig ist. – Hierher, Agathon – heraus ins volle Mondenlicht, daß ich Dich sehen kann. – Du, Du! Wie bist Du gewachsen, Agathon! Wie stark Du aussiehst!
Agathon. Und Du bist blasser.
Julian. Ich kann die Luft im Schlosse nicht vertragen. Ich glaube, hier ist's ungesund. – Hier ist es nicht wie in Makellon. Makellon liegt hoch. Es liegt keine Stadt so hoch in ganz Kappadocien; – ach, wie da der frische Schneewind vom Tauros herüberstreicht –! Bist Du müde, Agathon?
Agathon. O ganz und gar nicht.
Julian. Wir wollen uns setzen. Hier ist es so still und einsam. Dicht aneinander, so! Er nötigt ihn auf eine Bank an der Balustrade. »Kann da Gutes kommen aus Kappadocien«? heißt es. Ja – Freunde können kommen; gibt es etwas Besseres? Betrachtet ihn lange. Unbegreiflich, daß ich Dich nicht sofort erkannt habe. Mein Liebling Du, ist es nicht wie in den Jahren der Kindheit –?
Agathon kniet vor ihm. Ich zu Deinen Füßen, wie damals.
Julian. Nein, nein, nein –!
Agathon. O, laß mich da liegen!
Julian. Ach, Agathon, es ist Sünde und Spott, vor mir zu knien. Du solltest wissen, wie voll Schuld ich geworden. Hekebolios, mein teurer Lehrer, hat viel Trauer um mich, Agathon. Er könnte Dir erzählen – –. Wie voll und wie glänzend Dein Haar geworden ist! – Doch Mardonios, – wie geht es ihm? Er hat nun wohl schon weiße Haare?
Agathon. Ganz weiß ist er.
Julian. Wie Mardonios den Homer zu deuten wußte! Darin hat mein alter Mardonios, glaube ich, nicht seinesgleichen. Helden mit Helden im Kampf – und befeuernde Götter über ihnen. Ich sah es mit Augen.
Agathon. Damals stand Dein Sinn danach, ein großer und glücklicher Krieger zu werden.
Julian. Es waren frohe Zeiten, jene sechs Jahre in Kappadocien. Waren damals die Jahre länger als jetzt? Es kommt mir so vor, wenn ich an all das denke, was sie in ihrem Schoße bargen. – – Ja, es waren frohe Jahre. Wir bei unseren Büchern, und Gallos auf seinem Perserroß. Wie der Schatten einer Wolke jagte er über die Ebene. – Aber das eine sag' mir doch .... Die Kirche –?
Agathon. Die Kirche? Über dem Grab des heiligen Mamas?
Julian lächelt leicht. Die Gallos und ich bauten. Gallos machte seinen Flügel fertig, aber ich – es wollte mir nie recht glücken.– Wie ist es dann weiter gegangen?
Agathon. Es ist nicht gegangen. Die Bauleute meinten, auf diese Art ginge es unmöglich.
Julian in Gedanken. Ja freilich, freilich. Ich habe ihnen unrecht getan, wenn ich sie für unfähig hielt. Jetzt weiß ich, warum es nicht gehen konnte. Ich will es Dir sagen, Agathon, – Mamas war ein falscher Heiliger!
Agathon. Der heilige Mamas?
Julian. Jener Mamas ist überhaupt kein Blutzeuge gewesen. Die ganze Sage von ihm war ein seltsamer Wahn. Hekebolios hat mit außerordentlich großer Gelehrsamkeit den richtigen Zusammenhang herausgefunden, und ich selbst habe jüngst hierüber eine bescheidene Schrift verfaßt, eine Schrift, mein Agathon, die gewisse Weisheitsfreunde – unbegreiflich genug – rühmend in den Lehrsälen erwähnt haben sollen. – Der Herr halte das Herz mir rein von aller Eitelkeit! Der böse Versucher hat zahllose Schleichwege; man kann nie wissen – –. Aber daß es Gallos glücken mußte und mir nicht! Ach, Agathon, wenn ich an jenen Kirchenbau denke, so ist mir, als sähe ich Kains Altar –
Agathon. Julian!
Julian. Gott will nichts von mir wissen, Agathon.
Agathon. O, sprich nicht so! War Gott nicht stark in Dir, da Du mich aus dem Dunkel des Heidentums führtest und mir Licht gabst für alle Zeiten – Du, ein Kind, das Du damals noch warst!
Julian. Ja, die Sache ist mir wie ein Traum.
Agathon. Und war doch eine so holdselige Wahrheit.
Julian dumpf. Jetzt sollte das sein! – Woher habe ich das Feuer des Wortes genommen? Es war Lobgesang in der Luft – eine Leiter zwischen Himmel und Erde. – Starrt hinaus. Sahst Du ihn?
Agathon. Wen?
Julian. Den Stern, der fiel, – dort, hinter den beiden Zypressen. Schweigt eine Weile und schlägt plötzlich einen andern Ton an. – Habe ich Dir erzählt, was meine Mutter in der Nacht vor meiner Geburt träumte?
Agathon. Ich erinnere mich nicht.
Julian. Nein, nein – es ist wahr, ich habe es erst später erfahren.
Agathon. Was träumte sie?
Julian. Meine Mutter träumte, daß sie den Achilleus gebären werde.
Agathon lebhaft. Glaubst Du noch immer so fest an Träume?
Julian. Warum fragst Du?
Agathon. Du sollst es hören: denn es hängt mit dem zusammen, was mich über das Meer getrieben hat –
Julian. Du hast hier ein besonderes Geschäft? Ich habe ganz vergessen, Dich zu fragen –
Agathon. Ein seltsames Geschäft, – und gerade darum zögere ich in Zweifel und Unrast. Gar manches möchte ich erst wissen – über das Leben in der Stadt – über Dich selbst – über den Kaiser –
Julian sieht ihn scharf an. Sag' die Wahrheit, Agathon, – mit wem hast Du gesprochen, bevor Du mir begegnetest?
Agathon. Mit keinem.
Julian. Wann bist Du angekommen?
Agathon. Ich sagte es Dir vorhin schon – vor zwei Tagen.
Julian. Und gleich willst Du wissen –? Was willst Du über den Kaiser wissen? Hat Dich einer gebeten –? Umarmt ihn. Verzeih mir, Agathon, Freund!
Agathon. Was? Was denn?
Julian steht auf und lauscht. Horch! – Nein, es war nichts; es war nur ein Vogel im Gebüsch. – – Ich bin sehr glücklich hier. Wie, Du glaubst es nicht? Warum sollte ich nicht glücklich sein? Habe ich nicht hier meine ganze Sippe beisammen? Ja, ich meine – alle, über die ein gnädiger Erlöser seine Hand gehalten hat.
Agathon. Und der Kaiser vertritt ja bei Dir Vaterstelle?
Julian. Der Kaiser ist über die Maßen weise und gut.
Agathon, der sich ebenfalls erhoben hat. Julian, ist das Gerücht wahr, daß Du einmal des Kaisers Nachfolger werden sollst?
Julian hastig. Sprich nicht von so gefährlichen Dingen. Ich weiß nicht, was törichte Gerüchte erzählen. – Was forschest Du mich so aus? Nicht ein Wort entlockst Du mir, bevor Du mir nicht sagst, was Du in Konstantinopel willst.
Agathon. Ich komme im Namen Gottes, des Herrn.
Julian. Hast Du Deinen Heiland und Dein Heil lieb, so kehre wieder heim. Er horcht über die Balustrade. Sprich leise, da legt ein Boot an. Er zieht ihn auf die andere Seite. Was willst Du hier? Den Splitter des heiligen Kreuzes küssen? – Kehr' wieder heim, sage ich! Weißt Du, was Konstantinopel in den letzten fünf Monaten geworden ist? Ein Babylon der Lästerung! – Hast Du es nicht gehört – weißt Du nicht, daß Libanios hier ist?
Agathon. Ach, Julian, ich kenne Libanios nicht.
Julian. Du einsamer Kappadocier! Glückliches Land, wo seine Stimme und Lehre nicht hindrang.
Agathon. Ah, – er ist einer von den heidnischen Irrlehrern?
Julian. Von allen der gefährlichste.
Agathon. Doch nicht gefährlicher als Aedesios in Pergamon?
Julian. Ach, wer denkt noch an Aedesios in Pergamon? Aedesios ist hinfällig –
Agathon. Ist er auch gefährlicher als jener rätselhafte Maximos?
Julian. Maximos! Sprich nicht von diesem Gaukler. Wer weiß Zuverlässiges von Maximos?
Agathon. Er behauptet, er hätte drei Jahre in einer Höhle jenseits des Jordan geschlafen.
Julian. Hekebolios hält ihn für einen Betrüger, und darin hat er gewiß nicht so unrecht. – – Nein, nein, Agathon, – Libanios ist der gefährlichste. Unsere sündige Erde hat sozusagen gestöhnt unter dieser Geißel. Seiner Ankunft gingen Zeichen voraus. Eine pestartige Seuche raffte in der Stadt zahllose Menschen dahin. Und, als sie vorüber war, im Novembermond, da regnete es in jeder Nacht Feuer vom Himmel. Du darfst nicht zweifeln, Agathon! Ich habe selbst mitangesehen, wie die Sterne aus ihren Kreisen sich lösten, sich auf die Erde zu senkten und unterwegs erloschen. – Und dann hat er hier gelehrt, er, der Weisheitsfreund, der Redner. Alle nennen ihn den König unter den Lehrern der Beredsamkeit. Ja, das müssen sie wohl. Ich sage Dir, er ist furchtbar. Jünglinge und Männer scharen sich um ihn; er fesselt ihre Seelen, so daß sie ihm folgen müssen. Gottesleugnung fließt betörend von seinen Lippen, wie Sang und Sage von Trojanern und Griechen –
Agathon erschrocken. O, Du hast ihn auch aufgesucht, Julian?
Julian weicht zurück. Ich! – Gott schütze mich davor! Sollten gewisse Gerüchte Dir zu Ohren kommen, – so schenk' ihnen keinen Glauben! Es ist nicht wahr, daß ich Libanios nachts oder verkleidet aufgesucht habe. Seine Nähe würde mir ein Greuel sein. Auch hat es der Kaiser verboten, und noch eindringlicher Hekebolios. – Alle Gläubigen, die diesem spitzfindigen Mann nahe kommen, fallen ab und werden Spötter. Und nicht sie allein. Seine Worte pflanzen sich fort von Mund zu Mund bis hinein in das kaiserliche Schloß. Sein zwangloser Spott, seine unumstößlichen Gründe, seine Hohngedichte drängen sich in mein Gebet; – all das zusammen kommt mir vor, wie jene Ungeheuer in Vogelgestalt, die einem frommen, landfahrenden Helden ehedem die Mahlzeit besudelten. Zuweilen fühle ich mit Entsetzen, daß des Glaubens und Wortes Nahrung mich anekelt. – Braust mit Leidenschaft auf. Hätte ich des Kaisers Macht, so würde ich Dir des Libanios Haupt auf einer silbernen Schüssel senden!
Agathon. Aber wie ist es möglich, daß der Kaiser dies duldet? Wie kann unser frommer, gläubiger Kaiser –?
Julian. Der Kaiser? Gepriesen seien des Kaisers Glauben und Frömmigkeit! Aber der Kaiser hat für nichts anderes Sinn als für den unseligen Perserkrieg. Der beschäftigt alle Geister. Kein Mensch achtet des Krieges, der hier gegen Golgathas Fürsten geführt wird. Ach, mein Agathon, jetzt ist es nicht mehr wie vor zwei Jahren. Damals mußten die beiden Brüder des Mystikers Maximos ihre Irrlehren mit dem Tode büßen. Du weißt nicht, welch mächtige Stützen Libanios hat. Von den kleineren Weisheitslehrern wird bisweilen einer oder der andere aus der Stadt gejagt. Ihn wagt niemand anzurühren. Ich habe gebettelt, Hekebolios und die Kaiserin angefleht, für seine Ausweisung zu wirken. Aber nein, nein! – Was hilft es, daß die anderen beseitigt werden? Dieser eine Mensch vergiftet uns allen die Luft. O mein Erlöser, könnte ich dieser ganzen greulichen Heidenwirtschaft entrinnen! Hier leben, heißt in der Höhle des Löwen leben –
Agathon lebhaft. Julian, – was sagtest Du da!
Julian. Ja, ja, – nur ein Wunder kann uns befreien.
Agathon. So höre denn! Das Wunder ist geschehen.
Julian. Was meinst Du?
Agathon. Du sollst es hören, Julian; denn jetzt darf ich nicht länger zweifeln, daß es Dir gilt. Was mich nach Konstantinopel getrieben hat, war ein Gesicht –
Julian. Ein Gesicht, sagst Du!
Agathon. Eine heilige Offenbarung –
Julian. Um Gottes Gnade willen, sprich! – Still – sprich nicht. Halt ein, – da kommt wer. Bleib hier stehen – ganz gleichgültig – tu, als ob nichts wäre.
Sie bleiben beide an der Balustrade stehen.
Ein großer, schöner Mann in mittleren Jahren, nach Art der Weisheitslehrer gekleidet, in kurzem Mantel, kommt durch die Allee links. Eine Schar Jünglinge folgt ihm, alle in aufgeschürzten Gewändern, Efeukränze im Haar, mit Büchern, Papieren und Pergamenten. Die Gesellschaft in lautem Lachen und Gespräch.
Der Weisheitslehrer. Laß nichts ins Wasser fallen, mein munterer Gregor! Denk, was Du trägst, ist mehr wert denn Gold.
Julian, der gerade neben ihm steht. Mit Verlaub, – gibt es ein greifbares Gut, das mehr wert ist als Gold?
Der Weisheitslehrer. Kannst Du Deines Lebens Früchte für Gold zurückkaufen?
Julian. Nein, das ist wahr. Aber wenn dem so ist, so solltest Du nicht dem treulosen Wasser vertrauen.
Der Weisheitslehrer. Menschengunst ist treuloser.
Julian. Das Wort war Weisheit. Und wo segelst Du hin mit Deinen Schätzen?
Der Weisheitslehrer. Nach Athen. Er will weiter gehen.
Julian mit unterdrücktem Lachen. Nach Athen? O, reicher Herr, so gehört Dir ja nicht Dein eigener Reichtum.
Der Weisheitslehrer bleibt stehen. Wieso?
Julian. Ist es des Weisen Werk, Eulen nach Athen zu tragen?
Der Weisheitslehrer. Meine Eulen vertragen sich nicht mit dem Licht der Kirchen in der Kaiserstadt. Zu einem jungen Manne. Reich' mir Deine Hand, Sallust. Er will hinabsteigen.
Sallust, der Schüler halb unten auf der Treppe, leise. Bei den Göttern, er ist es!
Der Weisheitslehrer. Er –?
Sallust. So wahr ich lebe! Ich kenne ihn! – Ich habe ihn in des Hekebolios Gesellschaft gesehen.
Der Weisheitslehrer. Ah! Er betrachtet Julian mit verhohlener Aufmerksamkeit; dann tritt er einen Schritt näher und sagt: Du lächeltest eben. Worüber lächeltest Du?
Julian. Als Du über das Licht in den Kirchen klagtest, da dachte ich, ob es nicht vielmehr das königliche Licht im Lehrsaal ist, das Dir zu grell in die Augen sticht.
Der Weisheitslehrer. Neid hat nicht Platz unter diesem kurzen Mantel.
Julian. Was nicht Platz hat, tritt hervor.
Der Weisheitslehrer. Du hast eine spitze Zunge, schlanker Galiläer.
Julian. Warum Galiläer? Was ist mein Galiläermal?
Der Weisheitslehrer. Die Hofkleidung.
Julian. Ich bin darunter ein Freund der Weisheit; denn ich trage ein gar grobes Hemd. – Aber sag' mir, was suchst Du in Athen?
Der Weisheitslehrer. Was suchte Pontius Pilatus?
Julian. Ei was! Ist nicht die Wahrheit hier, wo Libanios ist?
Der Weisheitslehrer sieht ihn starr an. Hm! – Libanios, ja! Libanios wird bald verstummen. Libanios ist kampfesmüde, Herr!
Julian. Müde? Er, – der Unverwundbare, der immer Siegreiche –?
Der Weisheitslehrer. Er ist müde, auf seinesgleichen zu warten.
Julian. Jetzt scherzest Du, Fremdling?! Wie kann Libanios glauben, seinesgleichen zu finden?
Der Weisheitslehrer. Es gibt einen, der seinesgleichen ist.
Julian. Wen? Wo? Nenn ihn!
Der Weisheitslehrer. Das dürfte gefährlich sein.
Julian. Warum?
Der Weisheitslehrer. Bist Du nicht Hofmann?
Julian. Nun, und –
Der Weisheitslehrer leiser. Hast Du selbst die Verwegenheit, des Kaisers Nachfolger zu preisen?
Julian erschüttert. Ah!
Der Weisheitslehrer schnell. Verrätst Du mich, so leugne ich alles!
Julian. Ich verrate keinen. Sicherlich, sicherlich nicht! – Des Kaisers Nachfolger, sagst Du? Ich weiß nicht, wen Du meinst – Der Kaiser hat keinen erkoren. Aber warum jener Scherz? Warum sprachst Du von dem, der Libanios gleichgestellt ist?
Der Weisheitslehrer. Ja oder nein, – lebt am Kaiserhof ein Jüngling, der durch Gewalt und hartes Gebot, durch Bitten und Überredung von dem Licht des Lehrsaals fern gehalten wird?
Julian hastig. Das geschieht, um seinen Glauben rein zu halten.
Der Weisheitslehrer lächelt. Hat dieser junge Mann so geringen Glauben an seinen Glauben? Was weiß er von seinem Glauben? Was weiß ein Krieger von seinem Schild, bis der Schild ihn beschützt hat?
Julian. Gewiß, gewiß; – aber es sind liebevolle Vettern und Lehrer, weißt Du, –
Der Weisheitslehrer. Redensarten, Herr! Ich will es Dir sagen. Dem Kaiser zuliebe wird sein junger Vetter von den Weisheitslehrern ferngehalten. Der Kaiser hat nicht die göttliche Gabe des Wortes. Der Kaiser ist gewiß groß; aber er duldet nicht, daß sein Nachfolger über das Reich hin leuchte –-
Julian verwirrt. Und das wagst Du –?
Der Weisheitslehrer. Ja, ja, Du zürnst – im Namen Deines Kaisers, aber –
Julian. Ganz und gar nicht, – im Gegenteil –; ja, das heißt – –. Hör', ich stehe diesem jungen Fürsten ziemlich nahe – es würde mir lieb sein, zu erfahren – –. Wendet sich um. Tritt mehr beiseite, Agathon; ich muß mit diesem Mann unter vier Augen sprechen. Entfernt sich einige Schritte mit dem Fremden. Du sagtest, leuchten? Über das Reich hin leuchten? Was weißt Du, was wißt Ihr alle vom Prinzen Julian?
Der Weisheitslehrer. Kann Sirios von einer Wolke verhängt werden? Wird nicht der rastlose Wind bald hier, bald dort einen Riß in die Wolke machen, so daß –
Julian. Ohne Umschweife – ich bitte Dich.
Der Weisheitslehrer. Das Schloß und die Kirche sind wie ein doppelter Käfig, worin der Prinz gefangen sitzt. Der Käfig ist nicht dicht genug. Bisweilen läßt der Gefangene ein seltsames Wort fallen; der Hofpöbel – vergib, Herr, – die Hofleute verbreiten es, zum Spott; der tiefe Sinn ist nicht für diese Herren – vergib, Herr – für die meisten von ihnen ist er nicht.
Julian. Für keinen. Du kannst ruhig sagen, für keinen.
Der Weisheitslehrer. Für Dich, deucht mich doch. Und auf jeden Fall für uns. – Ja, er könnte weit über das Reich hin leuchten! Geht nicht die Sage von ihm, daß er in seiner Kindheit in Kappadocien bei einem Wortgefecht mit seinem Bruder Gallos die Sache der Götter übernommen und sie gegen den Galiläer verteidigt hat?
Julian. Das war Scherz – Redeübung –
Der Weisheitslehrer. Was hat nicht Mardonios von ihm aufgezeichnet? Und dann Hekebolios? Welche Kunst lag nicht schon in der Rede des Knaben, – welche Schönheit, welche Anmut in der Gedanken leichtem Spiel!
Julian. Und Dich deucht –?
Der Weisheitslehrer. Ja, – wohl könnte er uns ein Gegner werden, den wir fürchten ebenso wie ersehnen müßten. Was fehlt ihm, um eine so ehrenvolle Höhe zu erreichen? Braucht er denn nicht bloß dieselbe Schule durchzugehen, die Paulus durchging, und zwar so unbeschadet, daß er sich später den Galiläern anschließen konnte, heller leuchtend als die andern Bekenner zusammengenommen, weil er Weisheit hatte und Beredsamkeit! Hekebolios fürchtet für den Glauben seines Schülers. O, ich weiß recht wohl: von ihm geht es aus. Aber vergißt er denn, dieser ungemein gewissenhafte Mann, daß er selbst in seiner Jugend aus den Quellen getrunken hat, die er jetzt seinem Schüler verstopfen will? Oder hat er nicht etwa bei uns gelernt, die Waffe der Sprache zu gebrauchen, die er mit so hochgepriesener Fertigkeit jetzt gegen uns schwingt?
Julian. Wahr, unstreitig wahr!
Der Weisheitslehrer. Und was für Gaben besitzt denn dieser Hekebolios im Vergleich zu den Fähigkeiten, die so wunderbar in jenem fürstlichen Knaben sich offenbarten, der, wie es heißt, in Kappadocien, auf den Gräbern der hingerichteten Galiläer eine Lehre verkündete, die ich für irrig halte, und die deshalb um so schwerer Eingang findet, die er aber doch mit solcher Verzücktheit des Geistes kündete, daß sich – wenn ich einem weit verbreiteten Gerüchte glauben darf – viele Knaben seines Alters ihm anschlossen und ihm als Lehrlinge folgten! Ah, Hekebolios ist wie Ihr andern – mehr selbstsüchtig als eifersüchtig. Darum hat Libanios vergebens gewartet.
Julian packt ihn am Arm. Was hat Libanios gesagt? Bei Gott, ich beschwöre Dich, laß es mich wissen!
Der Weisheitslehrer. Das alles, was Du eben gehört hast. Und er hat noch mehr gesagt. Er hat gesagt: Seht, jener fürstliche Galiläer – er ist der Achilleus des Geistes.
Julian. Achilleus! Leiser. Der Traum meiner Mutter!
Der Weisheitslehrer. Dort in den offenen Lehrsälen wogt der Kampf. Licht und Freude ist über dem Streit und den Streitenden. Des Wortes Pfeile schwirren; des Witzes scharfes Schwert zischt in der Schlacht; die seligen Götter sitzen lächelnd in der Wolke –
Julian. Weiche von mir mit Deinem Heidentum!
Der Weisheitslehrer. – und die Helden kehren heim in das Lager, Arm in Arm, ohne Groll, mit flammenden Wangen – das Blut rollt schwellend durch alle Adern – mit der Beute der Erkenntnis und mit Laub um die Stirn. Ha, wo ist Achilleus? Ich sehe ihn nicht. Achilleus ist zornig –
Julian. Achilleus ist unglücklich! – Aber kann ich es glauben! O, sag' mir – mir schwindelt – all das hat Libanios gesagt?
Der Weisheitslehrer. Warum ist Libanios nach Konstantinopel gekommen? Kam er aus einem anderen Grunde, als um die ehrende Freundschaft eines sicheren Jünglings zu suchen?
Julian gespannt. Sag' die Wahrheit! Nein, nein, das kann nicht wahr sein. Wie paßt das zu all dem Hohn und Spott, den –? Man verhöhnt doch nicht den, dessen Freundschaft man sucht.
Der Weisheitslehrer. Galiläerränke, um eine Mauer von Haß und Zorn zwischen den beiden Kämpen aufzutürmen!
Julian. Du willst doch nicht bestreiten, daß es Libanios war –?
Der Weisheitslehrer. Ich bestreite alles – vom ersten bis zum letzten Wort.
Julian. Die Spottlieder sollten nicht von ihm kommen?
Der Weisheitslehrer. Nicht ein einziges – sie sind alle zusammen im Kaiserschlosse entstanden und sind unter seinem Namen verbreitet worden –
Julian. Ah, was sagst Du da?
Der Weisheitslehrer. Was ich vertreten will vor jedermann. Du hast eine scharfe Zunge; – wer weiß, ob nicht Du selbst –
Julian. Ich! – Aber darf ich das glauben? Libanios sollte sie nicht geschrieben haben? Kein einziges?
Der Weisheitslehrer. Nein, nein!
Julian. Nicht einmal das schändliche Gedicht vom Atlas mit den schiefen Schultern?
Der Weisheitslehrer. Nein, nein, sag' ich Dir.
Julian. Auch nicht jenen albernen und höchst unverschämten Vers vom Affen im Hofgewand?
Der Weisheitslehrer. Haha – das ist in der Kirche und nicht im Lehrsaal geschrieben worden. Du glaubst es nicht? Ich sage Dir, es ist Hekebolios –
Julian. Hekebolios!
Der Weisheitslehrer. Ja, Hekebolios! Hekebolios selbst, um Böses zwischen seinen Feind und seinen Jünger zu säen. –
Julian mit geballten Händen. Ha, wenn dem so wäre!
Der Weisheitslehrer. Hätte der verblendete und betrogene Jüngling uns Weisheitsfreunde gekannt, so hätte er nicht so hart an uns gehandelt.
Julian. Wovon sprichst Du?
Der Weisheitslehrer. Jetzt ist es zu spät – Leb' wohl, Herr! Er will gehen.
Julian faßt seine Hand. Freund und Bruder – wer bist Du?
Der Weisheitslehrer. Ein Mann, der traurig ist, weil er das Gottgeborene sieht untergehen.
Julian. Was nennst Du das Gottgeborene?
Der Weisheitslehrer. Das Ungeschaffene im Wechselnden.
Julian. Mir ebenso dunkel.
Der Weisheitslehrer. Es gibt eine ganze herrliche Welt, für die Ihr Galiläer blind seid. Da ist das Dasein ein Fest inmitten Bildsäulen und unter Tempelgesängen, mit vollen schäumenden Schalen und mit Rosen im Haar. Zauberhafte Brücken spannen sich zwischen Geist und Geist, bis zu den fernsten Lichtern im Raum –. Ich kenne ihn, der Herrscher in diesem großen sonnigen Reiche sein könnte –
Julian bang. Ja, mit dem Verlust der Seligkeit!
Der Weisheitslehrer. Was ist Seligkeit? Wiedervereinigung mit dem Ursprung.
Julian. Ja, in der Bewußtheit des Lebens; Wiedervereinigung für mich, als den, der ich bin!
Der Weisheitslehrer. Wiedervereinigung wie die des Regentropfens mit dem Meere, wie die des welken Laubes mit der Erde, die es reifte.
Julian. O, hätte ich Wissen! Hätte ich Waffen, sie gegen Dich zu erheben!
Der Weisheitslehrer. Hol' Dir Waffen, junger Mann! Der Lehrsaal ist ein Fechtsaal der Gedanken und Gaben –
Julian zurückweichend. Ah!
Der Weisheitslehrer. Sieh die frohen Jünglinge dort! Es sind Galiläer unter ihnen. Irrtümer in den göttlichen Dingen verursachen keinen Zwist unter uns. – Leb' wohl! Ihr Galiläer habt die Wahrheit heimatlos gemacht. Schau' her, wie wir den Schicksalsschlag ertragen. Sieh uns, wir kränzten unsere erhobenen Stirnen mit Laub. So ziehen wir von dannen – die Nacht uns verkürzend mit Gesang und Helios erwartend.
Er steigt die Treppe hinab, wo die Schüler auf ihn gewartet haben; darauf hört man das Boot mit ihnen fortrudern.
Julian blickt lange über das Wasser hin. Wer war der rätselhafte Mann?
Agathon kommt näher. Hör' mich, Julian –!
Julian in lebhafter Bewegung. Er hat mich verstanden. Und Libanios selbst; der große, unvergleichliche Libanios! Denk Dir, Agathon, Libanios hat gesagt – –. Wie scharf muß doch das heidnische Auge sein!
Agathon, Glaub' mir, es war ein Werk des Versuchers!
Julian ohne auf ihn zu achten. Ich halte es nicht länger aus unter diesen Menschen. Von ihnen also kamen jene abscheulichen Spottlieder! Hier werde ich verhöhnt; sie lachen hinter meinem Rücken; hier glaubt niemand an das, was ich in mir trage. Sie gehen mir nach; sie machen sich lustig über meine Gebärden und meine Rede; Hekebolios selbst –! Ich fühle es, Christus weicht von mir; ich werde schlecht hier.
Agathon. Du weißt es nicht, – gerade Du bist besonders begnadet –
Julian geht an der Balustrade auf und ab. Mit mir möchte Libanios kämpfen. Welch seltsamer Wunsch! Libanios hält mich für seinesgleichen. Auf mich wartet er –
Agathon. Höre und gehorche – Christus wartet auf Dich.
Julian. Freund, was meinst Du?
Agathon. Das Gesicht, das mich nach Konstantinopel getrieben hat –
Julian. Jawohl, ja, das Gesicht, – das hätte ich beinahe vergessen. Eine Offenbarung – sagtest Du nicht so? Erzähle, erzähle!
Agathon. Es war daheim in Kappadocien vor einem Monat oder noch etwas früher. Da kam das Gerücht auf, daß die Heiden wieder begonnen hätten, heimliche Zusammenkünfte im Tempel der Kybele nächtens abzuhalten –
Julian. Die Tollkühnen! Es ist ihnen ja streng verboten –
Agathon. Auch erhoben sich alle Gläubigen im Zorn. Die Obrigkeit ließ den Tempel niederlegen, und wir zerschlugen die anstößigen Götzenbilder. Ja, die Eifrigeren unter uns wurden vom Geist des Herrn noch weiter getrieben. Unter Psalmengesang, mit heiligen Fahnen an der Spitze, zogen wir durch die Stadt und fielen gleich Sendboten des Zornes über die Gottlosen her; wir nahmen ihnen ihre Kostbarkeiten weg; viele Häuser wurden in Brand gesteckt; viele Heiden kamen im Feuer um; und noch mehr Flüchtlinge machten wir in den Straßen nieder. O, es war eine große Stunde zu Gottes Ehren!
Julian. Und –? Das Gesicht, mein Agathon?
Agathon. Drei volle Nächte und Tage war der Herr der Rache mächtig in uns. Aber dann konnte die Gebrechlichkeit des Fleisches nicht länger Schritt halten mit dem Eifer des Geistes, und wir gaben die Verfolgung auf. – Ich lag auf meinem Lager; ich konnte weder schlafen noch wachen. Es war mir, als wäre ich inwendig hohl, und es wäre der Geist von mir gewichen. Ich lag im Fieberbrand; ich riß mir die Haare aus, ich weinte, ich betete, ich sang – ich weiß nicht mehr, wie es war – –. Da, mit einem Male, sah ich vor mir an der Wand ein weiß erstrahlendes Licht, und in des Lichtes Schimmer stand ein Mann in einem Mantel, der ihm zu den Füßen herniederwallte. Strahlen gingen von seinem Haupt aus; er hielt ein Schilfrohr im Arm und heftete seine Augen mild auf mich.
Julian. Das sahst Du?
Agathon. Das sah ich. Und dann sprach er und sagte: Steh auf, Agathon; such' ihn, der das Reich erben soll; gebiete ihm, in die Höhle zu gehen und mit den Löwen zu ringen.
Julian. Mit den Löwen zu ringen? Seltsam, seltsam! Wenn es wahr wäre – –! Die Begegnung mit jenem Weisen –. Eine Offenbarung – eine Botschaft an mich – ich sollte der Mann der Erwählung sein?
Agathon. Du bist es gewißlich.
Julian. Mit den Löwen ringen! – Ja, ich sehe es – so ist es, mein Agathon! Es ist Gottes Wille, daß ich Libanios aufsuche, –
Agathon. Nein, nein, hör' mich zu Ende!
Julian. – ihm ablausche seine Künste und seine Gelehrtheit, die Ungläubigen fälle mit ihren eigenen Waffen, wie Paulus – streite, streite wie Paulus – wie Paulus siege in des Herrn Sache!
Agathon. Nein, nein, nicht so ist es gemeint.
Julian. Kannst Du zweifeln? Libanios, – ist er nicht gewaltig wie der Löwe des Gebirges, und ist nicht der Lehrsaal –? Agathon. Ich sage Dir, es ist nicht so. Denn die Erscheinung fügte hinzu: Verkünde dem Erkorenen, er soll den Staub der Kaiserstadt von seinen Füßen schütteln und nicht wieder durch ihre Tore eingehen.
Julian. Und bist Du dessen gewiß, Agathon?
Agathon. Ja, wie meiner selbst.
Julian. Also nicht hier. Mit den Löwen soll ich ringen? Wo, wo? Wo find' ich Klarheit in dieser Sache!
Gallos, ein schöner, kräftig gebauter Mann von fünfundzwanzig Jahren, mit blondem, lockigem Haar, in voller Rüstung, kommt durch die Allee links.
Julian ihm entgegen. Gallos!
Gallos. Was soll's? Zeigt auf Agathon. Wer ist der Mensch?
Julian. Agathon.
Gallos. Was für ein Agathon? Du suchst Umgang mit so mancherlei Volk –. Bei Gott, das ist ja der Kappadocier! Du bist ein ganzer Mann geworden –
Julian. Weißt Du schon, Gallos, – der Kaiser hat nach Dir gefragt.
Gallos gespannt. Jetzt? Zur Nachtzeit?
Julian. Jawohl. Er will mit Dir sprechen. Er schien äußerst zornig zu sein.
Gallos. Woher weißt Du das? Was hat er gesagt?
Julian. Ich habe es nicht verstanden. Er wollte wissen, was ein Orakel geantwortet habe.
Gallos. Ah!
Julian. Verbirg mir nichts. Was gilt es?
Gallos. Es gilt Tod oder Verbannung.
Agathon. Gnädiger Heiland!
Julian. Ahnte ich es nicht! Aber nein, die Kaiserin war zuversichtlich. Doch sprich, sprich!
Gallos. Was soll ich sagen? Weiß ich mehr als Du? Hat der Kaiser etwas von einem Orakel geredet, so muß ein gewisser Bote abgefangen sein, oder es hat mich einer verraten, –.
Julian. Ein Bote? Gallos, was hast Du gewagt!
Gallos. Konnte ich denn länger dies Leben in Ungewißheit und Angst leben? Laß ihn mit mir machen, was er will, – immer noch besser so als –
Julian leise; führt ihn einige Schritte abseits. Sei auf der Hut, Gallos! Was ist mit dem Boten?
Gallos. Ich habe an die Osirispriester zu Abydos eine Frage gerichtet –
Julian. Ah! Das Orakel! Und dieser Heidenbrauch –!
Gallos. Über den Heidenbrauch würde man sich schon hinwegsetzen; aber – nun, Du darfst es wissen – ich habe nach dem Ausfall des Perserkrieges gefragt –
Julian. Welch ein Wahnwitz! – Gallos, – ich sehe Dir an, Du hast noch mehr gefragt!
Gallos. Laß mich – ich habe nicht –
Julian. Doch, doch, Du hast eines mächtigen Mannes Leben oder Tod erfragt!
Gallos. Und wenn dem so wäre! Was liegt uns beiden mehr am Herzen als das?
Julian rüttelt ihn an den Armen. Schweig, Du Rasender!