0,00 €
Gratis E-Book downloaden und überzeugen wie bequem das Lesen mit Legimi ist.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 368
Anmerkungen zur Transkription:
Das Umschlagbild für Ebooks wurde bei der Erstellung dieser elektronischen Version dieses Buches neu erstellt und ohne Auflagen nutzbar (gemeinfrei) gemacht.
Zeilennummern der vorliegenden Ausgabe sind mit einem graue Kasten gekennzeichnet, Seitennummern der 1. Auflage sind fett gedruckt. Inkonsistenzen in der Rechtschreibung sind nicht korrigiert, lediglich ein paar offensichtliche Schreibfehler, die nicht in dem Nachwort des Herausgebers aufgeführt sind; diese Änderungen sind am Ende des Dokuments zusammengefasst.
Kant's gesammelte Schriften
Herausgegebenvon der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften
Band V
Erste Abtheilung: Werke
Fünfter Band
BerlinDruck und Verlag von Georg Reimer 1913
Kant's Werke
Band V
Kritik der praktischen Vernunft.
Kritik der Urtheilskraft.
BerlinDruck und Verlag von Georg Reimer 1913
von
Immanuel Kant.
Warum diese Kritik nicht eine Kritik der reinen praktischen, sondern schlechthin der praktischen Vernunft überhaupt betitelt wird, obgleich der Parallelism derselben mit der speculativen das erstere zu erfordern scheint, darüber giebt diese Abhandlung hinreichenden Aufschluß. Sie soll blos 5 darthun, daß es reine praktische Vernunft gebe, und kritisirt in dieser Absicht ihr ganzes praktisches Vermögen. Wenn es ihr hiemit gelingt, so bedarf sie das reine Vermögen selbst nicht zu kritisiren, um zu sehen, ob sich die Vernunft mit einem solchen als einer bloßen Anmaßung nicht übersteige (wie es wohl mit der speculativen geschieht). Denn 10 wenn sie als reine Vernunft wirklich praktisch ist, so beweiset sie ihre und ihrer Begriffe Realität durch die That, und alles Vernünfteln wider die Möglichkeit, es zu sein, ist vergeblich.
Mit diesem Vermögen steht auch die transscendentale Freiheit nunmehr4 fest, und zwar in derjenigen absoluten Bedeutung genommen, worin 15 die speculative Vernunft beim Gebrauche des Begriffs der Causalität sie bedurfte, um sich wider die Antinomie zu retten, darin sie unvermeidlich geräth, wenn sie in der Reihe der Causalverbindung sich das Unbedingte denken will, welchen Begriff sie aber nur problematisch, als nicht unmöglich zu denken, aufstellen konnte, ohne ihm seine objective Realität zu 20 sichern, sondern allein um nicht durch vorgebliche Unmöglichkeit dessen, was sie doch wenigstens als denkbar gelten lassen muß, in ihrem Wesen angefochten und in einen Abgrund des Scepticisms gestürzt zu werden.
Der Begriff der Freiheit, so fern dessen Realität durch ein apodiktisches Gesetz der praktischen Vernunft bewiesen ist, macht nun den Schlußstein25 von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der speculativen Vernunft aus, und alle andere Begriffe (die von Gott und Unsterblichkeit), welche als bloße Ideen in dieser ohne Haltung bleiben, schließen sich nun an ihn an und bekommen mit ihm und durch ihn Bestand und objective Realität, d. i. die Möglichkeit derselben wird dadurch5bewiesen, daß Freiheit wirklich ist; denn diese Idee offenbart sich 5 durchs moralische Gesetz.
Freiheit ist aber auch die einzige unter allen Ideen der speculativen Vernunft, wovon wir die Möglichkeit a prioriwissen, ohne sie doch einzusehen, weil sie die Bedingung[1] des moralischen Gesetzes ist, welches wir wissen. Die Ideen von Gott und Unsterblichkeit sind aber nicht Bedingungen 10 des moralischen Gesetzes, sondern nur Bedingungen des nothwendigen Objects eines durch dieses Gesetz bestimmten Willens, d. i. des6 bloß praktischen Gebrauchs unserer reinen Vernunft; also können wir von jenen Ideen auch, ich will nicht bloß sagen, nicht die Wirklichkeit, sondern auch nicht einmal die Möglichkeit zu erkennen und einzusehen behaupten. 15 Gleichwohl aber sind die Bedingungen der Anwendung des moralisch bestimmten Willens auf sein ihm a priori gegebenes Object (das höchste Gut). Folglich kann und muß ihre Möglichkeit in dieser praktischen Beziehung angenommen werden, ohne sie doch theoretisch zu erkennen und einzusehen. Für die letztere Forderung ist in praktischer Absicht 20 genug, daß sie keine innere Unmöglichkeit (Widerspruch) enthalten. Hier ist nun ein in Vergleichung mit der speculativen Vernunft bloß subjectiver Grund des Fürwahrhaltens, der doch einer eben so reinen, aber praktischen Vernunft objectiv gültig ist, dadurch den Ideen von Gott und Unsterblichkeit vermittelst des Begriffs der Freiheit objective Realität 25 und Befugniß, ja subjective Nothwendigkeit (Bedürfniß der reinen Vernunft) sie anzunehmen verschafft wird, ohne daß dadurch doch die Vernunft im theoretischen Erkenntnisse erweitert, sondern nur die Möglichkeit, die vorher nur Problem war, hier Assertion wird, gegeben und so der praktische7 Gebrauch der Vernunft mit den Elementen des theoretischen verknüpft wird. Und dieses Bedürfniß ist nicht etwa ein hypothetisches einer beliebigen Absicht der Speculation, daß man etwas annehmen müsse, wenn 5 man zur Vollendung des Vernunftgebrauchs in der Speculation hinaufsteigen will, sondern ein gesetzliches, etwas anzunehmen, ohne welches nicht geschehen kann, was man sich zur Absicht seines Thuns und Lassens unnachlaßlich setzen soll.
Es wäre allerdings befriedigender für unsere speculative Vernunft, 10 ohne diesen Umschweif jene Aufgaben für sich aufzulösen und sie als Einsicht zum praktischen Gebrauche aufzubewahren; allein es ist einmal mit unserem Vermögen der Speculation nicht so gut bestellt. Diejenige, welche sich solcher hohen Erkenntnisse rühmen, sollten damit nicht zurückhalten, sondern sie öffentlich zur Prüfung und Hochschätzung darstellen. Sie wollen 15beweisen; wohlan! so mögen sie denn beweisen, und die Kritik legt ihnen als Siegern ihre ganze Rüstung zu Füßen. Quid statis? Nolint. Atqui licet esse beatis. — Da sie also in der That nicht wollen, vermuthlich weil sie nicht können, so müssen wir jene doch nur wiederum zur Hand8 nehmen, um die Begriffe von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, für 20 welche die Speculation nicht hinreichende Gewährleistung ihrer Möglichkeit findet, in moralischem Gebrauche der Vernunft zu suchen und auf demselben zu gründen.
Hier erklärt sich auch allererst das Räthsel der Kritik, wie man dem übersinnlichen Gebrauche der Kategorien in der Speculation objective 25Realität absprechen und ihnen doch in Ansehung der Objecte der reinen praktischen Vernunft diese Realität zugestehen könne; denn vorher muß dieses nothwendig inconsequent aussehen, so lange man einen solchen praktischen Gebrauch nur dem Namen nach kennt. Wird man aber jetzt durch eine vollständige Zergliederung des letzteren inne, daß 30 gedachte Realität hier gar auf keine theoretische Bestimmung der Kategorien und Erweiterung des Erkenntnisses zum Übersinnlichen hinausgehe, sondern nur hiedurch gemeint sei, daß ihnen in dieser Beziehung überall ein Object zukomme, weil sie entweder in der nothwendigen Willensbestimmung a priori enthalten, oder mit dem Gegenstande derselben 35 unzertrennlich verbunden sind, so verschwindet jene Inconsequenz, weil man9 einen anderen Gebrauch von jenen Begriffen macht, als speculative Vernunft bedarf. Dagegen eröffnet sich nun eine vorher kaum zu erwartende und sehr befriedigende Bestätigung der consequenten Denkungsart der speculativen Kritik darin, daß, da diese die Gegenstände der Erfahrung als solche und darunter selbst unser eigenes Subject nur für Erscheinungen gelten zu lassen, ihnen aber gleichwohl Dinge an sich selbst zum 5 Grunde zu legen, also nicht alles Übersinnliche für Erdichtung und dessen Begriff für leer an Inhalt zu halten einschärfte: praktische Vernunft jetzt für sich selbst, und ohne mit der speculativen Verabredung getroffen zu haben, einem übersinnlichen Gegenstande der Kategorie der Causalität, nämlich der Freiheit, Realität verschafft (obgleich als praktischem Begriffe 10 auch nur zum praktischen Gebrauche), also dasjenige, was dort bloß gedacht werden konnte, durch ein Factum bestätigt. Hiebei erhält nun zugleich die befremdliche, obzwar unstreitige, Behauptung der speculativen Kritik, daß sogar das denkende Subject ihm selbstin der inneren Anschauungbloß Erscheinung sei, in der Kritik der praktischen Vernunft 15 auch ihre volle Bestätigung, so gut, daß man auf sie kommen muß,10 wenn die erstere diesen Satz auch gar nicht bewiesen hätte[2].
Hiedurch verstehe ich auch, warum die erheblichsten Einwürfe wider die Kritik, die mir bisher noch vorgekommen sind, sich gerade um diese zwei Angel drehen: nämlich einerseits im theoretischen Erkenntniß geleugnete 20 und im praktischen behauptete objective Realität der auf Noumenen angewandten Kategorien, andererseits die paradoxe Forderung, sich als Subject der Freiheit zum Noumen, zugleich aber auch in Absicht auf die Natur zum Phänomen in seinem eigenen empirischen Bewußtsein zu machen. Denn so lange man sich noch keine bestimmte Begriffe von 25 Sittlichkeit und Freiheit machte, konnte man nicht errathen, was man11 einerseits der vorgeblichen Erscheinung als Noumen zum Grunde legen wolle, und andererseits, ob es überall auch möglich sei, sich noch von ihm einen Begriff zu machen, wenn man vorher alle Begriffe des reinen Verstandes im theoretischen Gebrauche schon ausschließungsweise den bloßen 30 Erscheinungen gewidmet hätte. Nur eine ausführliche Kritik der praktischen Vernunft kann alle diese Mißdeutung heben und die consequente Denkungsart, welche eben ihren größten Vorzug ausmacht, in ein helles Licht setzen.
So viel zur Rechtfertigung, warum in diesem Werke die Begriffe und Grundsätze der reinen speculativen Vernunft, welche doch ihre besondere 5 Kritik schon erlitten haben, hier hin und wieder nochmals der Prüfung unterworfen werden, welches dem systematischen Gange einer zu errichtenden Wissenschaft sonst nicht wohl geziemt (da abgeurtheilte Sachen billig nur angeführt und nicht wiederum in Anregung gebracht werden müssen), doch hier erlaubt, ja nöthig war: weil die Vernunft mit jenen Begriffen 10 im Übergange zu einem ganz anderen Gebrauche betrachtet wird, als den sie dort von ihnen machte. Ein solcher Übergang macht aber eine Vergleichung12 des älteren mit dem neuern Gebrauche nothwendig, um das neue Gleis von dem vorigen wohl zu unterscheiden und zugleich den Zusammenhang derselben bemerken zu lassen. Man wird also Betrachtungen 15 dieser Art, unter andern diejenige, welche nochmals auf den Begriff der Freiheit, aber im praktischen Gebrauche der reinen Vernunft, gerichtet worden, nicht wie Einschiebsel betrachten, die etwa nur dazu dienen sollen, um Lücken des kritischen Systems der speculativen Vernunft auszufüllen (denn dieses ist in seiner Absicht vollständig) und, wie es bei einem übereilten 20 Baue herzugehen pflegt, hintennach noch Stützen und Strebepfeiler anzubringen, sondern als wahre Glieder, die den Zusammenhang des Systems bemerklich machen, um Begriffe, die dort nur problematisch vorgestellt werden konnten, jetzt in ihrer realen Darstellung einsehen zu lassen. Diese Erinnerung geht vornehmlich den Begriff der Freiheit an, von dem 25 man mit Befremdung bemerken muß, daß noch so viele ihn ganz wohl einzusehen und die Möglichkeit derselben erklären zu können sich rühmen, indem sie ihn bloß in psychologischer Beziehung betrachten, indessen daß, wenn sie ihn vorher in transscendentaler genau erwogen hätten, sie sowohl13 seine Unentbehrlichkeit als problematischen Begriffs in vollständigem 30 Gebrauche der speculativen Vernunft, als auch die völlige Unbegreiflichkeit desselben hätten erkennen und, wenn sie nachher mit ihm zum praktischen Gebrauche gingen, gerade auf die nämliche Bestimmung des letzteren in Ansehung seiner Grundsätze von selbst hätten kommen müssen, zu welcher sie sich sonst so ungern verstehen wollen. Der Begriff der Freiheit ist 35 der Stein des Anstoßes für alle Empiristen, aber auch der Schlüssel zu den erhabensten praktischen Grundsätzen für kritische Moralisten, die dadurch einsehen, daß sie nothwendig rational verfahren müssen. Um deswillen ersuche ich den Leser, das, was zum Schlusse der Analytik über diesen Begriff gesagt wird, nicht mit flüchtigem Auge zu übersehen.
Ob ein solches System, als hier von der reinen praktischen Vernunft aus der Kritik der letzeren entwickelt wird, viel oder wenig Mühe gemacht 5 habe, um vornehmlich den rechten Gesichtspunkt, aus dem das Ganze derselben richtig vorgezeichnet werden kann, nicht zu verfehlen, muß ich den Kennern einer dergleichen Arbeit zu beurtheilen überlassen. Es setzt zwar14 die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten voraus, aber nur in so fern, als diese mit dem Princip der Pflicht vorläufige Bekanntschaft 10 macht und eine bestimmte Formel derselben angiebt und rechtfertigt[3]; sonst besteht es durch sich selbst. Daß die Eintheilung aller praktischen Wissenschaften zur Vollständigkeit nicht mit beigefügt worden, wie es die Kritik der speculativen Vernunft leistete, dazu ist auch gültiger Grund in der Beschaffenheit dieses praktischen Vernunftvermögens anzutreffen. Denn 15 die besondere Bestimmung der Pflichten als Menschenpflichten, um sie einzutheilen, ist nur möglich, wenn vorher das Subject dieser Bestimmung15 (der Mensch) nach der Beschaffenheit, mit der er wirklich ist, obzwar nur so viel als in Beziehung auf Pflicht überhaupt nöthig ist, erkannt worden; diese aber gehört nicht in eine Kritik der praktischen Vernunft überhaupt, 20 die nur die Principien ihrer Möglichkeit, ihres Umfanges und Grenzen vollständig ohne besondere Beziehung auf die menschliche Natur angeben soll. Die Eintheilung gehört also hier zum System der Wissenschaft, nicht zum System der Kritik.
Ich habe einem gewissen wahrheitliebenden und scharfen, dabei also 25 doch immer achtungswürdigen Recensenten jener Grundlegung zur Metaphysik der Sitten auf seinen Einwurf, daß der Begriff des Guten dort nicht (wie es seiner Meinung nach nöthig gewesen wäre) vor dem moralischen Princip festgesetzt worden[4], in dem zweiten Hauptstücke der Analytik, wie ich hoffe, Genüge gethan; eben so auch auf16 manche andere Einwürfe Rücksicht genommen, die mir von Männern zu17 Händen gekommen sind, die den Willen blicken lassen, daß die Wahrheit 5 auszumitteln ihnen am Herzen liegt (denn die, so nur ihr altes System18 vor Augen haben, und bei denen schon vorher beschlossen ist, was gebilligt oder mißbilligt werden soll, verlangen doch keine Erörterung, die ihrer Privatabsicht im Wege sein könnte); und so werde ich es auch fernerhin halten.
Wenn es um die Bestimmung eines besonderen Vermögens der menschlichen Seele nach seinen Quellen, Inhalte und Grenzen zu thun ist, so kann man zwar nach der Natur des menschlichen Erkenntnisses nicht 5 anders als von den Theilen derselben, ihrer genauen und (so viel als nach der jetzigen Lage unserer schon erworbenen Elemente derselben möglich ist) vollständigen Darstellung anfangen. Aber es ist noch eine zweite Aufmerksamkeit, die mehr philosophisch und architektonisch ist: nämlich die Idee des Ganzen richtig zu fassen und aus derselben alle jene Theile 10 in ihrer wechselseitigen Beziehung auf einander vermittelst der Ableitung derselben von dem Begriffe jenes Ganzen in einem reinen Vernunftvermögen ins Auge zu fassen. Diese Prüfung und Gewährleistung ist nur19 durch die innigste Bekanntschaft mit dem System möglich, und die, welche in Ansehung der ersteren Nachforschung verdrossen gewesen, also diese Bekanntschaft 15 zu erwerben nicht der Mühe werth geachtet haben, gelangen nicht zur zweiten Stufe, nämlich der Übersicht, welche eine synthetische Wiederkehr zu demjenigen ist, was vorher analytisch gegeben worden, und es ist kein Wunder, wenn sie allerwärts Inconsequenzen finden, obgleich die Lücken, die diese vermuthen lassen, nicht im System selbst, 20 sondern blos in ihrem eigenen unzusammenhängenden Gedankengange anzutreffen sind.
Ich besorge in Ansehung dieser Abhandlung nichts von dem Vorwurfe, eine neue Sprache einführen zu wollen, weil die Erkenntnißart sich hier von selbst der Popularität nähert. Dieser Vorwurf konnte auch niemanden 25 in Ansehung der ersteren Kritik beifallen, der sie nicht blos durchgeblättert, sondern durchgedacht hatte. Neue Worte zu künsteln, wo die Sprache schon so an Ausdrücken für gegebene Begriffe keinen Mangel20 hat, ist eine kindische Bemühung, sich unter der Menge, wenn nicht durch neue und wahre Gedanken, doch durch einen neuen Lappen auf dem alten 30 Kleide auszuzeichnen. Wenn daher die Leser jener Schrift populärere Ausdrücke wissen, die doch dem Gedanken eben so angemessen sind, als mir jene zu sein scheinen, oder etwa die Nichtigkeit dieser Gedanken selbst, mithin zugleich jedes Ausdrucks, der ihn bezeichnet, darzuthun sich getrauen: so würden sie mich durch das erstere sehr verbinden, denn ich will 35 nur verstanden sein, in Ansehung des zweiten aber sich ein Verdienst um die Philosophie erwerben. So lange aber jene Gedanken noch stehen, zweifele ich sehr, daß ihnen angemessene und doch gangbarere Ausdrücke dazu aufgefunden werden dürften.[5]
Auf diese Weise wären denn nunmehr die Principien a priori zweier21 Vermögen des Gemüths, des Erkenntniß- und Begehrungsvermögens, ausgemittelt22 und nach den Bedingungen, dem Umfange und Grenzen ihres23 Gebrauchs bestimmt, hiedurch aber zu einer systematischen, theoretischen sowohl als praktischen Philosophie als Wissenschaft sicherer Grund gelegt. 5
Was Schlimmeres könnte aber diesen Bemühungen wohl nicht begegnen, als wenn jemand die unerwartete Entdeckung machte, daß es überall gar kein Erkenntniß a priori gebe, noch geben könne. Allein es hat hiemit keine Noth. Es wäre eben so viel, als ob jemand durch Vernunft beweisen wollte, daß es keine Vernunft gebe. Denn wir sagen nur, daß wir etwas 10 durch Vernunft erkennen, wenn wir uns bewußt sind, daß wir es auch hätten wissen können, wenn es uns auch nicht so in der Erfahrung vorgekommen wäre; mithin ist Vernunfterkenntniß und Erkenntniß a priori24 einerlei. Aus einem Erfahrungssatze Nothwendigkeit (ex pumice aquam) auspressen wollen, mit dieser auch wahre Allgemeinheit (ohne welche kein 15 Vernunftschluß, mithin auch nicht der Schluß aus der Analogie, welche eine wenigstens präsumirte Allgemeinheit und objective Nothwendigkeit ist und diese also doch immer voraussetzt) einem Urtheile verschaffen wollen, ist gerader Widerspruch. Subjective Nothwendigkeit, d. i. Gewohnheit, statt der objectiven, die nur in Urtheilen a priori stattfindet, unterschieben, 20 heißt der Vernunft das Vermögen absprechen, über den Gegenstand zu urtheilen, d. i. ihn, und was ihm zukomme, zu erkennen, und z. B. von dem, was öfters und immer auf einen gewissen vorhergehenden Zustand folgte, nicht sagen, daß man aus diesem auf jenes schließen könne (denn das würde objective Nothwendigkeit und Begriff von einer Verbindung 25a priori bedeuten), sondern nur ähnliche Fälle (mit den Thieren auf ähnliche Art) erwarten dürfe, d. i. den Begriff der Ursache im Grunde als falsch und bloßen Gedankenbetrug verwerfen. Diesem Mangel der objectiven25 und daraus folgenden allgemeinen Gültigkeit dadurch abhelfen wollen, daß man doch keinen Grund sähe, andern vernünftigen Wesen eine 30 andere Vorstellungsart beizulegen, wenn das einen gültigen Schluß abgäbe, so würde uns unsere Unwissenheit mehr Dienste zu Erweiterung unserer Erkenntniß leisten, als alles Nachdenken. Denn blos deswegen, weil wir andere vernünftige Wesen außer dem Menschen nicht kennen, würden wir ein Recht haben, sie als so beschaffen anzunehmen, wie wir 35 uns erkennen, d. i. wir würden sie wirklich kennen. Ich erwähne hier nicht einmal, daß nicht die Allgemeinheit des Fürwahrhaltens die objective Gültigkeit eines Urtheils (d. i. die Gültigkeit desselben als Erkenntnisses) beweise, sondern, wenn jene auch zufälliger Weise zuträfe, dieses doch noch nicht einen Beweis der Übereinstimmung mit dem Object abgeben könne; vielmehr die objective Gültigkeit allein den Grund einer nothwendigen allgemeinen Einstimmung ausmache. 5
Hume würde sich bei diesem System des allgemeinen Empirisms26 in Grundsätzen auch sehr wohl befinden; denn er verlangte, wie bekannt, nichts mehr, als daß statt aller objectiven Bedeutung der Nothwendigkeit im Begriffe der Ursache eine blos subjective, nämlich Gewohnheit, angenommen werde, um der Vernunft alles Urtheil über Gott, Freiheit 10 und Unsterblichkeit abzusprechen; und er verstand sich gewiß sehr gut darauf, um, wenn man ihm nur die Principien zugestand, Schlüsse mit aller logischen Bündigkeit daraus zu folgern. Aber so allgemein hat selbst Hume den Empirism nicht gemacht, um auch die Mathematik darin einzuschließen. Er hielt ihre Sätze für analytisch, und wenn das seine Richtigkeit 15 hätte, würden sie in der That auch apodiktisch sein, gleichwohl aber daraus kein Schluß auf ein Vermögen der Vernunft, auch in der Philosophie apodiktische Urtheile, nämlich solche, die synthetisch wären (wie der Satz der Causalität), zu fällen, gezogen werden können. Nähme man aber den Empirism der Principien allgemein an, so wäre auch Mathematik 20 damit eingeflochten.
Wenn nun diese mit der Vernunft, die blos empirische Grundsätze27 zuläßt, in Widerstreit geräth, wie dieses in der Antinomie, da Mathematik die unendliche Theilbarkeit des Raumes unwidersprechlich beweiset, der Empirism aber sie nicht verstatten kann, unvermeidlich ist: so ist 25 die größte mögliche Evidenz der Demonstration mit den vorgeblichen Schlüssen aus Erfahrungsprincipien in offenbarem Widerspruch, und nun muß man wie der Blinde des Cheselden fragen: was betrügt mich, das Gesicht oder Gefühl? (Denn der Empirism gründet sich auf einer gefühlten, der Rationalism aber auf einer eingesehenen Nothwendigkeit.) 30 Und so offenbart sich der allgemeine Empirism als den ächten Scepticism, den man dem Hume fälschlich in so unbeschränkter Bedeutung beilegte[6], da er wenigstens einen sicheren Probirstein der Erfahrung28 an der Mathematik übrig ließ, statt daß jener schlechterdings keinen Probirstein derselben (der immer nur in Principien a priori angetroffen werden kann) verstattet, obzwar diese doch nicht aus bloßen Gefühlen, sondern auch aus Urtheilen besteht.
Doch da es in diesem philosophischen und kritischen Zeitalter schwerlich 5 mit jenem Empirism Ernst sein kann, und er vermuthlich nur zur Übung der Urtheilskraft, und um durch den Contrast die Nothwendigkeit rationaler Principien a priori in ein helleres Licht zu setzen, aufgestellt wird: so kann man es denen doch Dank wissen, die sich mit dieser sonst eben nicht belehrenden Arbeit bemühen wollen. 10
Der theoretische Gebrauch der Vernunft beschäftigte sich mit Gegenständen des bloßen Erkenntnißvermögens, und eine Kritik derselben in Absicht auf diesen Gebrauch betraf eigentlich nur das reine Erkenntnißvermögen, 5 weil dieses Verdacht erregte, der sich auch hernach bestätigte, daß es sich leichtlich über seine Grenzen unter unerreichbare Gegenstände, oder gar einander widerstreitende Begriffe verlöre. Mit dem praktischen Gebrauche der Vernunft verhält es sich schon anders. In diesem beschäftigt sich die Vernunft mit Bestimmungsgründen des Willens, welcher ein 10 Vermögen ist, den Vorstellungen entsprechende Gegenstände entweder hervorzubringen, oder doch sich selbst zu Bewirkung derselben (das physische Vermögen mag nun hinreichend sein, oder nicht), d. i. seine Causalität,30 zu bestimmen. Denn da kann wenigstens die Vernunft zur Willensbestimmung gelangen und hat so fern immer objective Realität, als es nur 15 auf das Wollen ankommt. Hier ist also die erste Frage: ob reine Vernunft zur Bestimmung des Willens für sich allein zulange, oder ob sie nur als empirisch-bedingte ein Bestimmungsgrund derselben sein könne. Nun tritt hier ein durch die Kritik der reinen Vernunft gerechtfertigter, obzwar keiner empirischen Darstellung fähiger Begriff der Causalität, nämlich 20 der der Freiheit, ein, und wenn wir anjetzt Gründe ausfindig machen können, zu beweisen, daß diese Eigenschaft dem menschlichen Willen (und so auch dem Willen aller vernünftigen Wesen) in der That zukomme, so wird dadurch nicht allein dargethan, daß reine Vernunft praktisch sein könne, sondern daß sie allein und nicht die empirisch-beschränkte unbedingterweise 25 praktisch sei. Folglich werden wir nicht eine Kritik der reinen praktischen, sondern nur der praktischen Vernunft überhaupt zu bearbeiten haben. Denn reine Vernunft, wenn allererst dargethan worden, daß es eine solche gebe, bedarf keiner Kritik. Sie ist es, welche selbst die Richtschnur zur Kritik alles ihres Gebrauchs enthält. Die Kritik der31 praktischen Vernunft überhaupt hat also die Obliegenheit, die empirisch bedingte Vernunft von der Anmaßung abzuhalten, ausschließungsweise den 5 Bestimmungsgrund des Willens allein abgeben zu wollen. Der Gebrauch der reinen Vernunft, wenn, daß es eine solche gebe, ausgemacht ist, ist allein immanent; der empirisch-bedingte, der sich die Alleinherrschaft anmaßt, ist dagegen transscendent und äußert sich in Zumuthungen und Geboten, die ganz über ihr Gebiet hinausgehen, welches gerade das umgekehrte 10 Verhältniß von dem ist, was von der reinen Vernunft im speculativen Gebrauche gesagt werden konnte.
Indessen, da es immer noch reine Vernunft ist, deren Erkenntniß hier dem praktischen Gebrauche zum Grunde liegt, so wird doch die Eintheilung einer Kritik der praktischen Vernunft dem allgemeinen Abrisse 15 nach der der speculativen gemäß angeordnet werden müssen. Wir werden also eine Elementarlehre und Methodenlehre derselben, in jener als dem ersten Theile eine Analytik als Regel der Wahrheit und eine Dialektik als Darstellung und Auflösung des Scheins in Urtheilen der praktischen Vernunft haben müssen. Allein die Ordnung in der Unterabtheilung 20 der Analytik wird wiederum das Umgewandte von der in der32 Kritik der reinen speculativen Vernunft sein. Denn in der gegenwärtigen werden wir von Grundsätzen anfangend zu Begriffen und von diesen allererst, wo möglich, zu den Sinnen gehen; da wir hingegen bei der speculativen Vernunft von den Sinnen anfingen und bei den Grundsätzen 25 endigen mußten. Hievon liegt der Grund nun wiederum darin: daß wir es jetzt mit einem Willen zuthun haben und die Vernunft nicht im Verhältniß auf Gegenstände, sondern auf diesen Willen und dessen Causalität zu erwägen haben, da denn die Grundsätze der empirisch unbedingten Causalität den Anfang machen müssen, nach welchem der Versuch gemacht 30 werden kann, unsere Begriffe von dem Bestimmungsgrunde eines solchen Willens, ihrer Anwendung auf Gegenstände, zuletzt auf das Subject und dessen Sinnlichkeit, allererst festzusetzen. Das Gesetz der Causalität aus Freiheit, d. i. irgend ein reiner praktischer Grundsatz, macht hier unvermeidlich den Anfang und bestimmt die Gegenstände, worauf er allein bezogen 35 werden kann.
Der33 Kritik der praktischen Vernunft
Praktische Grundsätze sind Sätze, welche eine allgemeine Bestimmung des Willens enthalten, die mehrere praktische Regeln unter sich hat. Sie sind subjectiv oder Maximen, wenn die Bedingung nur als für den Willen des Subjects gültig von ihm angesehen wird; objectiv aber oder 10 praktische Gesetze, wenn jene als objectiv, d. i. für den Willen jedes vernünftigen Wesens gültig, erkannt wird.
Wenn man annimmt, daß reine Vernunft einen praktisch, d. i. zur Willensbestimmung hinreichenden Grund in sich enthalten könne, so giebt es praktische 1536 Gesetze; wo aber nicht, so werden alle praktische Grundsätze bloße Maximen sein. In einem pathologisch-afficirten Willen eines vernünftigen Wesens kann ein Widerstreit der Maximen wider die von ihm selbst erkannte praktische Gesetze angetroffen werden. Z. B. es kann sich jemand zur Maxime machen, keine Beleidigung ungerächt zu erdulden, und doch zugleich einsehen, daß dieses kein praktisches 20 Gesetz, sondern nur seine Maxime sei, dagegen als Regel für den Willen eines jeden vernünftigen Wesens in einer und derselben Maxime mit sich selbst nicht zusammen stimmen könne. In der Naturerkenntniß sind die Principien dessen, was geschieht, (z. B. das Princip der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung in der Mittheilung der Bewegung) zugleich Gesetze der Natur; denn der Gebrauch 25 der Vernunft ist dort theoretisch und durch die Beschaffenheit des Objects bestimmt. In der praktischen Erkenntniß, d. i. derjenigen, welche es blos mit Bestimmungsgründen des Willens zu thun hat, sind Grundsätze, die man sich macht, darum noch nicht Gesetze, darunter man unvermeidlich stehe, weil die Vernunft im Praktischen es mit dem Subjecte zu thun hat, nämlich dem Begehrungsvermögen, nach 5 dessen besonderer Beschaffenheit sich die Regel vielfältig richten kann. — Die praktische Regel ist jederzeit ein Product der Vernunft, weil sie Handlung als Mittel zur Wirkung als Absicht vorschreibt. Diese Regel ist aber für ein Wesen, bei dem Vernunft nicht ganz allein Bestimmungsgrund des Willens ist, ein Imperativ, d. i. eine Regel, die durch ein Sollen, welches die objective Nöthigung 10 der Handlung ausdrückt, bezeichnet wird, und bedeutet, daß, wenn die Vernunft den Willen gänzlich bestimmte, die Handlung unausbleiblich nach dieser Regel geschehen würde. Die Imperativen gelten also objectiv und sind von Maximen,37 als subjectiven Grundsätzen, gänzlich unterschieden. Jene bestimmen aber entweder die Bedingungen der Causalität des vernünftigen Wesens, als wirkender 15 Ursache, bloß in Ansehung der Wirkung und Zulänglichkeit zu derselben, oder sie bestimmen nur den Willen, er mag zur Wirkung hinreichend sein oder nicht. Die erstere würden hypothetische Imperativen sein und bloße Vorschriften der Geschicklichkeit enthalten; die zweiten würden dagegen kategorisch und allein praktische Gesetze sein. Maximen sind also zwar Grundsätze, aber nicht Imperativen. 20 Die Imperativen selber aber, wenn sie bedingt sind, d. i. nicht den Willen schlechthin als Willen, sondern nur in Ansehung einer begehrten Wirkung bestimmen, d. i. hypothetische Imperativen sind, sind zwar praktische Vorschriften, aber keine Gesetze. Die letzteren müssen den Willen als Willen, noch ehe ich frage, ob ich gar das zu einer begehrten Wirkung erforderliche Vermögen habe, oder was mir, 25 um diese hervorzubringen, zu thun sei, hinreichend bestimmen, mithin kategorisch sein, sonst sind es keine Gesetze: weil ihnen die Nothwendigkeit fehlt, welche, wenn sie praktisch sein soll, von pathologischen, mithin dem Willen zufällig anklebenden Bedingungen unabhängig sein muß. Saget jemanden, z. B. daß er in der Jugend arbeiten und sparen müsse, um im Alter nicht zu darben: so ist dieses eine richtige 30 und zugleich wichtige praktische Vorschrift des Willens. Man sieht aber leicht, daß der Wille hier auf etwas Anderes verwiesen werde, wovon man voraussetzt, daß er es begehre, und dieses Begehren muß man ihm, dem Thäter selbst, überlassen, ob er noch andere Hülfsquellen außer seinem selbst erworbenen Vermögen vorhersehe, oder ob er gar nicht hoffe alt zu werden, oder sich denkt im Falle der 35 Noth dereinst schlecht behelfen zu können. Die Vernunft, aus der allein alle Regel,38 die Nothwendigkeit enthalten soll, entspringen kann, legt in diese ihre Vorschrift zwar auch Nothwendigkeit (denn ohne das wäre sie kein Imperativ), aber diese ist nur subjectiv bedingt, und man kann sie nicht in allen Subjecten in gleichem Grade voraussetzen. Zu ihrer Gesetzgebung aber wird erfordert, daß sie blos sich selbst40 vorauszusetzen bedürfe, weil die Regel nur alsdann objectiv und allgemein gültig ist, wenn sie ohne zufällige, subjective Bedingungen gilt, die ein vernünftig Wesen von dem andern unterscheiden. Nun sagt jemanden, er solle niemals lügenhaft versprechen, so ist dies eine Regel, die blos seinen Willen betrifft; die Absichten, die der Mensch haben mag, mögen durch denselben erreicht werden können, 5 oder nicht; das bloße Wollen ist das, was durch jene Regel völlig a priori bestimmt werden soll. Findet sich nun, daß diese Regel praktisch richtig sei, so ist sie ein Gesetz, weil sie ein kategorischer Imperativ ist. Also beziehen sich praktische Gesetze allein auf den Willen, unangesehen dessen, was durch die Causalität desselben ausgerichtet wird, und man kann von der letztern (als zur Sinnenwelt gehörig) 10 abstrahiren um sie rein zu haben.
Alle praktische Principien, die ein Object (Materie) des Begehrungsvermögens als Bestimmungsgrund des Willens voraussetzen, sind insgesammt 15 empirisch und können keine praktische Gesetze abgeben.
Ich verstehe unter der Materie des Begehrungsvermögens einen Gegenstand, dessen Wirklichkeit begehrt wird. Wenn die Begierde nach diesem Gegenstande nun vor der praktischen Regel vorhergeht und die Bedingung39 ist, sie sich zum Princip zu machen, so sage ich (erstlich): dieses Princip 20 ist alsdann jederzeit empirisch. Denn der Bestimmungsgrund der Willkür ist alsdann die Vorstellung eines Objects und dasjenige Verhältniß derselben zum Subject, wodurch das Begehrungsvermögen zur Wirklichmachung desselben bestimmt wird. Ein solches Verhältniß aber zum Subject heißt die Lust an der Wirklichkeit eines Gegenstandes. Also müßte diese als 25 Bedingung der Möglichkeit der Bestimmung der Willkür vorausgesetzt werden. Es kann aber von keiner Vorstellung irgend eines Gegenstandes, welche sie auch sei, a priori erkannt werden, ob sie mit Lust oder Unlust verbunden, oder indifferent sein werde. Also muß in solchem Falle der Bestimmungsgrund der Willkür jederzeit empirisch sein, mithin auch das 30 praktische materiale Princip, welches ihn als Bedingung voraussetzte.
Da nun (zweitens) ein Princip, das sich nur auf die subjective Bedingung der Empfänglichkeit einer Lust oder Unlust (die jederzeit nur empirisch erkannt und nicht für alle vernünftige Wesen in gleicher Art gültig sein kann) gründet, zwar wohl für das Subject, das sie besitzt, zu 35 ihrer Maxime, aber auch für diese selbst (weil es ihm an objectiver Nothwendigkeit, die a priori erkannt werden muß, mangelt) nicht zum Gesetze dienen kann, so kann ein solches Princip niemals ein praktisches40 Gesetz abgeben.
Alle materiale praktische Principien sind, als solche, insgesammt von einer und derselben Art und gehören unter das allgemeine Princip der Selbstliebe oder eigenen Glückseligkeit.
Die Lust aus der Vorstellung der Existenz einer Sache, so fern sie ein Bestimmungsgrund des Begehrens dieser Sache sein soll, gründet sich 10 auf der Empfänglichkeit des Subjects, weil sie von dem Dasein eines Gegenstandes abhängt; mithin gehört sie dem Sinne (Gefühl) und nicht dem Verstande an, der eine Beziehung der Vorstellung auf ein Object nach Begriffen, aber nicht auf das Subject nach Gefühlen ausdrückt. Sie ist also nur so fern praktisch, als die Empfindung der Annehmlichkeit, die 15 das Subject von der Wirklichkeit des Gegenstandes erwartet, das Begehrungsvermögen bestimmt. Nun ist aber das Bewußtsein eines vernünftigen Wesens von der Annehmlichkeit des Lebens, die ununterbrochen sein ganzes Dasein begleitet, die Glückseligkeit, und das Princip, diese sich zum höchsten Bestimmungsgrunde der Willkür zu machen, das Princip 20 der Selbstliebe. Also sind alle materiale Principien, die den Bestimmungsgrund der Willkür in der aus irgend eines Gegenstandes Wirklichkeit41 zu empfindenden Lust oder Unlust setzen, so fern gänzlich von einerlei Art, daß sie insgesammt zum Princip der Selbstliebe oder eigenen Glückseligkeit gehören. 25
Alle materiale praktische Regeln setzen den Bestimmungsgrund des Willens im unteren Begehrungsvermögen, und, gäbe es gar keine blos formale Gesetze desselben, die den Willen hinreichend bestimmten, so würde auch kein oberes Begehrungsvermögen eingeräumt werden 30 können.
Man muß sich wundern, wie sonst scharfsinnige Männer einen Unterschied zwischen dem unteren und oberen Begehrungsvermögen darin zu finden glauben können, ob die Vorstellungen, die mit dem Gefühl der Lust verbunden sind, in den Sinnen, oder dem Verstande ihren Ursprung haben. Denn es kommt, wenn man nach den Bestimmungsgründen des Begehrens frägt und sie in einer von irgend etwas erwarteten Annehmlichkeit setzt, gar nicht darauf an, wo die Vorstellung dieses vergnügenden Gegenstandes herkomme, sondern nur 5 wie sehr sie vergnügt. Wenn eine Vorstellung, sie mag immerhin im Verstande ihren Sitz und Ursprung haben, die Willkür nur dadurch bestimmen kann, daß sie ein Gefühl einer Lust im Subjecte voraussetzt, so ist, daß sie ein Bestimmungsgrund der Willkür sei, gänzlich von der Beschaffenheit des inneren Sinnes abhängig, daß dieser nämlich dadurch mit Annehmlichkeit afficirt werden kann. Die 10 Vorstellungen der Gegenstände mögen noch so ungleichartig, sie mögen Verstandes-,42 selbst Vernunftvorstellungen im Gegensatze der Vorstellungen der Sinne sein, so ist doch das Gefühl der Lust, wodurch jene doch eigentlich nur den Bestimmungsgrund des Willens ausmachen, (die Annehmlichkeit, das Vergnügen, das man davon erwartet, welches die Thätigkeit zur Hervorbringung des Objects antreibt) 15 nicht allein so fern von einerlei Art, daß es jederzeit blos empirisch erkannt werden kann, sondern auch sofern, als es eine und dieselbe Lebenskraft, die sich im Begehrungsvermögen äußert, afficirt und in dieser Beziehung von jedem anderen Bestimmungsgrunde in nichts als dem Grade verschieden sein kann. Wie würde man sonst zwischen zwei der Vorstellungsart nach gänzlich verschiedenen Bestimmungsgründen 20 eine Vergleichung der Größe nach anstellen können, um den, der am meisten das Begehrungsvermögen afficirt, vorzuziehen? Eben derselbe Mensch kann ein ihm lehrreiches Buch, das ihm nur einmal zu Händen kommt, ungelesen zurückgeben, um die Jagd nicht zu versäumen, in der Mitte einer schönen Rede weggehen, um zur Mahlzeit nicht zu spät zu kommen, eine Unterhaltung 25 durch vernünftige Gespräche, die er sonst sehr schätzt, verlassen, um sich an den Spieltisch zu setzen, sogar einen Armen, dem wohlzuthun ihm sonst Freude ist, abweisen, weil er jetzt eben nicht mehr Geld in der Tasche hat, als er braucht, um den Eintritt in die Komödie zu bezahlen. Beruht die Willensbestimmung auf dem Gefühle der Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit, die er aus irgend einer Ursache erwartet, 30 so ist es ihm gänzlich einerlei, durch welche Vorstellungsart er afficirt werde. Nur wie stark, wie lange, wie leicht erworben und oft wiederholt diese Annehmlichkeit sei, daran liegt es ihm, um sich zur Wahl zu entschließen. So wie demjenigen, der Gold zur Ausgabe braucht, gänzlich einerlei ist, ob die Materie desselben, das43 Gold, aus dem Gebirge gegraben, oder aus dem Sande gewaschen ist, wenn es nur 35 allenthalben für denselben Werth angenommen wird, so frägt kein Mensch, wenn es ihm blos an der Annehmlichkeit des Lebens gelegen ist, ob Verstandes- oder Sinnesvorstellungen, sondern nur wie viel und großes Vergnügen sie ihm auf die längste Zeit verschaffen. Nur diejenigen, welche der reinen Vernunft das Vermögen, ohne Voraussetzung irgend eines Gefühls den Willen zu bestimmen, gerne abstreiten 40 möchten, können sich so weit von ihrer eigenen Erklärung verirren, das, was sie selbst vorher auf ein und eben dasselbe Princip gebracht haben, dennoch hernach für ganz ungleichartig zu erklären. So findet sich z. B., daß man auch an bloßer Kraftanwendung, an dem Bewußtsein seiner Seelenstärke in Überwindung der Hindernisse, die sich unserem Vorsatze entgegensetzen, an der Kultur der Geistestalente u. s. w. 5 Vergnügen finden könne, und wir nennen das mit Recht feinere Freuden und Ergötzungen, weil sie mehr wie andere in unserer Gewalt sind, sich nicht abnutzen, das Gefühl zu noch mehrerem Genuß derselben vielmehr stärken und, indem sie ergötzen, zugleich cultiviren. Allein sie darum für eine andere Art, den Willen zu bestimmen, als blos durch den Sinn, auszugeben, da sie doch einmal zur Möglichkeit jener Vergnügen 10 ein daraus in uns angelegtes Gefühl als erste Bedingung dieses Wohlgefallens voraussetzen, ist gerade so, als wenn Unwissende, die gerne in der Metaphysik pfuschern möchten, sich die Materie so fein, so überfein, daß sie selbst darüber schwindlig werden möchten, denken und dann glauben, auf diese Art sich ein geistiges und doch ausgedehntes Wesen erdacht zu haben. Wenn wir es mit dem Epikur15 bei der Tugend aufs bloße Vergnügen aussetzen, das sie verspricht, um den44 Willen zu bestimmen, so können wir ihn hernach nicht tadeln, daß er dieses mit denen der gröbsten Sinne für ganz gleichartig hält; denn man hat gar nicht Grund ihm aufzubürden, daß er die Vorstellungen, wodurch dieses Gefühl in uns erregt würde, blos den körperlichen Sinnen beigemessen hätte. Er hat von vielen derselben 20 den Quell, so viel man errathen kann, eben sowohl in dem Gebrauch des höheren Erkenntnißvermögens gesucht; aber das hinderte ihn nicht und konnte ihn auch nicht hindern, nach genanntem Princip das Vergnügen selbst, das uns jene allenfalls intellectuelle Vorstellungen gewähren, und wodurch sie allein Bestimmungsgründe des Willens sein können, gänzlich für gleichartig zu halten. Consequent zu sein, 25 ist die größte Obliegenheit eines Philosophen und wird doch am seltensten angetroffen. Die alten griechischen Schulen geben uns davon mehr Beispiele, als wir in unserem synkretistischen Zeitalter antreffen, wo ein gewisses Coalitionssystem widersprechender Grundsätze voll Unredlichkeit und Seichtigkeit erkünstelt wird, weil es sich einem Publicum besser empfiehlt, das zufrieden ist, von allem 30 etwas und im ganzen nichts zu wissen und dabei in alten Sätteln gerecht zu sein. Das Princip der eignen Glückseligkeit, so viel Verstand und Vernunft bei ihm auch gebraucht werden mag, würde doch für den Willen keine andere Bestimmungsgründe, als die dem unteren Begehrungsvermögen angemessen sind, in sich fassen, und es giebt also entweder gar kein oberes Begehrungsvermögen, oder reine 35 Vernunft muß für sich allein praktisch sein, d. i. ohne Voraussetzung irgend eines Gefühls, mithin ohne Vorstellungen des Angenehmen oder Unangenehmen als der Materie des Begehrungsvermögens, die jederzeit eine empirische Bedingung der Principien ist, durch die bloße Form der praktischen Regel den Willen bestimmen45 können. Alsdann allein ist Vernunft nur, so fern sie für sich selbst den Willen 40 bestimmt (nicht im Dienste der Neigungen ist), ein wahres oberes Begehrungsvermögen, dem das pathologisch bestimmbare untergeordnet ist, und wirklich, ja specifisch von diesem unterschieden, so daß sogar die mindeste Beimischung von den Antrieben der letzteren ihrer Stärke und Vorzuge Abbruch thut, so wie das mindeste Empirische, als Bedingung in einer mathematischen Demonstration, ihre 5 Würde und Nachdruck herabsetzt und vernichtet. Die Vernunft bestimmt in einem praktischen Gesetze unmittelbar den Willen, nicht vermittelst eines dazwischen kommenden Gefühls der Lust und Unlust, selbst nicht an diesem Gesetze, und nur, daß sie als reine Vernunft praktisch sein kann, macht es ihr möglich, gesetzgebend zu sein. 10
Glücklich zu sein, ist nothwendig das Verlangen jedes vernünftigen, aber endlichen Wesens und also ein unvermeidlicher Bestimmungsgrund seines Begehrungsvermögens. Denn die Zufriedenheit mit seinem ganzen Dasein ist nicht etwa ein ursprünglicher Besitz und eine Seligkeit, welche ein Bewußtsein seiner unabhängigen 15 Selbstgenugsamkeit voraussetzen würde, sondern ein durch seine endliche Natur selbst ihm aufgedrungenes Problem, weil es bedürftig ist, und dieses Bedürfniß betrifft die Materie seines Begehrungsvermögens, d. i. etwas, was sich auf ein subjectiv zum Grunde liegendes Gefühl der Lust oder Unlust bezieht, dadurch das, was es zur Zufriedenheit mit seinem Zustande bedarf, bestimmt wird. Aber eben darum, 20 weil dieser materiale Bestimmungsgrund von dem Subjecte blos empirisch erkannt werden kann, ist es unmöglich diese Aufgabe als ein Gesetz zu betrachten, weil dieses als objectiv in allen Fällen und für alle vernünftige Wesen eben denselben46 Bestimmungsgrund des Willens enthalten müßte. Denn obgleich der Begriff der Glückseligkeit der praktischen Beziehung der Objecte aufs Begehrungsvermögen 25allerwärts zum Grunde liegt, so ist er doch nur der allgemeine Titel der subjectiven Bestimmungsgründe und bestimmt nichts specifisch, darum es doch in dieser praktischen Aufgabe allein zu thun ist, und ohne welche Bestimmung sie gar nicht aufgelöst werden kann. Worin nämlich jeder seine Glückseligkeit zu setzen habe, kommt auf jedes sein besonderes Gefühl der Lust und Unlust an, und selbst in einem 30 und demselben Subject auf die Verschiedenheit des Bedürfnisses nach den Abänderungen dieses Gefühls, und ein subjectiv nothwendiges Gesetz (als Naturgesetz) ist also objectiv ein gar sehr zufälliges praktisches Princip, das in verschiedenen Subjecten sehr verschieden sein kann und muß, mithin niemals ein Gesetz abgeben kann, weil es bei der Begierde nach Glückseligkeit nicht auf die Form der 35 Gesetzmäßigkeit, sondern lediglich auf die Materie ankommt, nämlich ob und wieviel Vergnügen ich in der Befolgung des Gesetzes zu erwarten habe. Principien der Selbstliebe können zwar allgemeine Regeln der Geschicklichkeit (Mittel zu Absichten auszufinden) enthalten, alsdann sind es aber blos theoretische Principien[7] (z. B. wie derjenige, der gerne Brot essen möchte, sich eine Mühle auszudenken habe).47 Aber praktische Vorschriften, die sich auf sie gründen, können niemals allgemein sein, denn der Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens ist auf das Gefühl der Lust und Unlust, das niemals als allgemein auf dieselben Gegenstände gerichtet 5 angenommen werden kann, gegründet.
Aber gesetzt, endliche vernünftige Wesen dächten auch in Ansehung dessen, was sie für Objecte ihrer Gefühle des Vergnügens oder Schmerzens anzunehmen hätten, imgleichen sogar in Ansehung der Mittel, deren sie sich bedienen müssen, um die erstern zu erreichen, die andern abzuhalten, durchgehends einerlei, so würde das 10Princip der Selbstliebe dennoch von ihnen durchaus für kein praktisches Gesetz ausgegeben werden können; denn diese Einhelligkeit wäre selbst doch nur zufällig. Der Bestimmungsgrund wäre immer doch nur subjectiv gültig und blos empirisch und hätte diejenige Nothwendigkeit nicht, die in einem jeden Gesetze gedacht wird, nämlich die objective aus Gründen a priori; man müßte denn diese 15 Nothwendigkeit gar nicht für praktisch, sondern für blos physisch ausgeben, nämlich daß die Handlung durch unsere Neigung uns eben so unausbleiblich abgenöthigt würde, als das Gähnen, wenn wir andere gähnen sehen. Man würde eher behaupten können, daß es gar keine praktische Gesetze gebe, sondern nur Anrathungen zum Behuf unserer Begierden, als daß blos subjective Principien zum Range praktischer 20