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Abenteuerlust und Herzklopfen in der Wildnis: Der Jugendroman „Kanu, Küsse, Kanada“ von Erfolgsautorin Sissi Flegel jetzt als eBook bei jumpbooks. Mimi hat das Fernweh gepackt! Mit 16 ist es wirklich an der Zeit, die Welt zu entdecken – und jetzt steht endlich die erste große Reise an: eine Trekkingtour durch den Westen Kanadas. Drei Wochen voller Abenteuer, Spaß und aufregenden Kanufahrten durch reißende Strömungen liegen vor der bunt zusammengewürfelten Reisegruppe. Nie hätte Mimi gedacht, dass sie neben wilden Bären auch ihrem Traumtypen begegnet – doch hat der süße Brian überhaupt Augen für sie? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Jugendroman „Kanu, Küsse, Kanada“ von Erfolgsautorin Sissi Flegel. Freche Mädchenbücher ab 12 Jahren. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.
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Seitenzahl: 213
Über dieses Buch:
Mimi hat das Fernweh gepackt! Mit 16 ist es wirklich an der Zeit, die Welt zu entdecken – und jetzt steht endlich die erste große Reise an: eine Trekkingtour durch den Westen Kanadas. Drei Wochen voller Abenteuer, Spaß und aufregenden Kanufahrten durch reißende Strömungen liegen vor der bunt zusammengewürfelten Reisegruppe. Nie hätte Mimi gedacht, dass sie neben wilden Bären auch ihrem Traumtypen begegnet – doch hat der süße Brian überhaupt Augen für sie?
Über die Autorin:
Sissi Flegel, Jahrgang 1944, hat neben ihren Romanen für erwachsene Leser sehr erfolgreich zahlreiche Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht, die in 14 Sprachen erschienen sind und mehrfach preisgekrönt wurden. Die Autorin ist verheiratet und lebt in der Nähe von Stuttgart.
Die bei jumpbooks erschienenen Mädchenbücher von Sissi Flegel findet ihr am Ende dieses Buches.
Die Autorin im Internet: www.sissi-flegel.de
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eBook-Neuausgabe Juni 2016
Copyright © der Originalausgabe 2000 by K. Thienemanns Verlag in Stuttgart – Wien
Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München
Copyright © 2016 jumpbooks Verlag. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-96053-146-3
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Sissi Flegel
Kanu, Küsse, Kanada
Roman
jumpbooks
Punkt fünf Uhr in der Früh klingelte der Wecker, um Viertel nach fünf waren meine Schwester Nicki und ich gewaschen und angezogen, um fünf vor halb sechs hatten wir einen Becher Tee geleert und mit Mühe eine Scheibe Brot verdrückt, um halb sechs saßen wir im Auto, um sechs kamen wir am Flughafen an, drei Minuten später küssten uns die Tanten ab und riefen uns die letzten guten Ratschläge nach.
Nicki holte einen Gepäckwagen, wir wuchteten die beiden Seesäcke und die Rucksäcke darauf, schoben ihn aus dem allgemeinen Gewühle und lehnten uns aufatmend an die Wand.
»So«, sagte Nicki mit blitzenden Augen. »Jetzt geht das Abenteuer los.«
Sie löste das Band und schüttelte ihre langen Haare. »Freiheit bis in die Haarspitzen!«
Das ist meine Schwester Nicki. Manchmal ein bisschen überschwänglich, im Allgemeinen aber ziemlich normal.
»So ein Glück, dass wir die Reise geschenkt bekommen haben«, sagte sie und schaute auf die Uhr. »Los, wir müssen zum Treffpunkt. Aber schleich dich unauffällig an, ich möchte die anderen erst mal aus der Ferne anschauen; wer weiß, was das für Typen sind. Vielleicht trifft uns der Schlag und wir müssen uns von dem erst erholen, bevor wir uns zu erkennen geben.«
Damit war ich einverstanden. Ich hatte schon feuchte Hände vor Aufregung. Wenn das nun Leute waren, die ich nicht leiden kann? Mit denen sollte ich drei Wochen verbringen? Nicht in einer Großstadt, bitte sehr, wo man sich aus dem Weg hätte gehen können, nein, in der absoluten, totalen Wildnis, wo man auf die Menschen angewiesen war, mit denen man unterwegs war.
»Ich frag mal den Mann da, ob er kurz auf unser Gepäck aufpasst«, schlug ich vor. Da wäre mir Nicki fast ins Gesicht gesprungen.
»Bist du wahnsinnig? Der packt den Karren und macht die Fliege!«
»Quatsch. Er sieht super gediegen aus«, behauptete ich, schaute aber trotzdem in die Runde. Hätte ja sein können, dass gerade ein Polizist in der Nähe gewesen wäre. Den hätte man um diesen Gefallen bitten können. Oder eine Nonne. Oder einen Pfarrer. Die müssen von Berufs wegen anständig sein und vergreifen sich ganz bestimmt nicht an fremdem Eigentum.
Nix zu machen. Weit und breit keine Nonne, kein Pfarrer, kein Polizist. Nicki und ich schauten uns an.
»Tja«, meinte Nicki. »Gehst du als Kundschafter los oder soll ich mich auf die Socken machen?«
»Zuerst schaust du, dann ich«, sagte ich.
»Gute Idee.« Nicki verschwand in der Menge.
Ich lehnte mich an den Gepäckwagen und las fasziniert die Namen der Städte auf der riesigen Infotafel. Rom, London, Paris, Madrid – das war schon mal nicht schlecht. Aber Karatschi, Bangkok, Kapstadt – das war was ganz anderes. Ferne Orte, die immer noch fremdartig klangen, und als dann Sydney, Tokio und Dakar ranklickerten, fingen meine Wangen an vor Begeisterung zu glühen. Die Städte werde ich alle bereisen, die ganze Welt werde ich bereisen, hatte ich mir geschworen, und nun, am 2. August, stand ich endlich am Beginn meiner Reisekarriere. Wenn das kein Grund zum Feiern war!
Diesen ganz besonderen Tag hatte ich Nicki zu verdanken. Sie hatte das Abitur bestanden und deshalb von unseren beiden Tanten eine Reise nach eigener Wahl geschenkt bekommen.
Ich grinste. Eine andere Belohnung wäre überhaupt nicht infrage gekommen, schließlich liegt das Reisen unserer Familie im Blut und fast alle haben es zu ihrem Beruf gemacht. Aber dass nun ich Nicki begleitete und nicht unsere Tante Anne, lag an einem hartnäckigen Virus, den diese von ihrem letzten Aufenthalt in Afrika mitgebracht hatte.
Zunächst sah es ganz so aus, als würde die Reise einfach verschoben werden, aber dann entdeckte Nicki das »Heft für Globetrotter und solche, die es werden wollen«, das »spezielle Programm für Jugendliche und junge Erwachsene«. Eine Trekkingtour durch den Westen Kanadas hatte es ihr sofort angetan. Diese gliederte sich in drei Teile. Der erste war der leichteste und umfasste das Kennenlernen von Calgary sowie einige mehrstündige Wanderungen. Der zweite Teil sah eine Kanutour durch den Clearwater Lake zum Azure Lake vor, und der dritte, der schwierigste Teil bestand aus einer Woche Trekking von Hütte zu Hütte, durchs Gebirge, mit dem gesamten Gepäck auf dem Rücken.
Weil die Tante durch den Virus noch immer geschwächt war und sie sich mit ihren knapp fünfzig Jahren beim besten Willen nicht ins »Programm für junge Erwachsene« einloggen konnte, war der Fall schnell klar. Ich sollte Nicki begleiten dürfen. Das heißt, wegen meiner miesen Noten kam es kurzzeitig zur kleinen Zitterpartie, aber weil ich dann doch noch gerade so über die Schwelle geschrammt war, stand ich in den Sommerferien da und las so verlockende Namen wie Daressalam und –
»Hey! Wach auf! Ich bin’s, deine Schwester!«
Nicki lachte mich an und reichte mir einen Pappbecher, in dem eine heiße braune Brühe schwappte.
»Kaffee?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Klar. Was sonst? Man muss das Gute genießen, solange man’s hat. Wer weiß, was uns noch blüht.«
Ich pustete. »Und? Was hast du herausgefunden?«
»Zuerst ist mir eine Gruppe von lauter Leuten mit Baseballmützen und Wohnraumhosen aufgefallen. Dann habe ich naturbelassene Frauen in Batikröcken entdeckt, denen aber keine Trekkingtour zugetraut. Und den fröhlichen Männern, die mir dann begegnet sind, konnte man schon von weitem den Stammtisch- und Skatausflug anmerken, ganz abgesehen davon, dass mich ihre Fahne beinahe umgeweht hat.«
»Komm zur Sache!«
»Bin schon dabei: Ich schlängle mich also durch das Gewühl und sehe plötzlich einen Typen, der lässig ein Schild hochhält. Kanada steht drauf und ich weiß sofort: Das sind unsere Leute. Also gehe ich in Deckung –«
»Und?« Mein Gott, wie mich meine Schwester auf die Folter spannte!
»Na ja«, sagte sie zögernd. »Jung sind sie alle. Und aus der Ferne sehen sie aus, als ob sie ’ne Trekkingtour locker wegstecken könnten. Ich glaube, wir haben’s nicht schlecht getroffen.«
»Klingt gut.« Ich wischte meine feuchten Handflächen an den Jeans trocken. Das muss ich mir auch noch abgewöhnen, sagte ich mir im Stillen. Bloß keine Schwitzhände vor lauter Aufregung. Immer cool und locker bleiben!
Nicki schaute auf die Uhr, dann auf die Anzeigetafel und packte den Gepäckwagen. »Siehst du? Hier steht Calgary. In einer halben Stunde heben wir ab. Bist du schon nervös?«
»Na hör mal!« Ich gab mich ganz cool, aber da, wo mein Magen war, flatterte irgendetwas ein bisschen. Das kannte ich; das hatte ich immer, wenn mein Mathelehrer die Testblätter austeilt. Komisch, auf dem Flughafen muss es wohl an der Luft gelegen haben … Unser Gepäckwagen eierte, wir hatten deshalb größte Mühe ihn unfallfrei an den Mitmenschen vorbeizusteuern. Und dann, gerade als ich dachte, wir könnten unauffällig zur Gruppe stoßen, rammten wir eine Frau Typ »An-mich-lasse- ich-nur-Wasser-und-pure-Natur.« Sie machte einen Satz, kreischte, fluchte, jammerte und greinte in einem und alle, wirklich ALLE Leute schauten zu uns herüber. Cool bleiben, Mimi, sagte ich mir, aber das half nichts, ich wurde rot, das spürte ich ganz deutlich, und ich sah, dass alle Kanada-Trekkingtour-Leute grinsten und sich wahrscheinlich dachten: Mein Gott, was sind das für Trampel; die kommen wohl aus der tiefsten Tundra.
So stießen wir zur Gruppe.
»Hey! Ich bin Michi, euer Führer«, sagte einer der jungen Männer. »Ihr seid wohl die beiden Schwestern, Mimi und Nicki?«
Wir nickten.
»Ich bin Bernd Godstetter«, sagte ein anderer, der nicht viel größer war als ich. Er war rundlich, hatte kurze blonde Igelhaare und eine runde Brille. Wie er uns so anlachte, fand ich ihn gleich richtig nett und sympathisch.
Neben ihm stand einer, über einen Kopf größer als er. »Ich bin Keko«, stellte dieser sich vor. »Keko Schlabitz. Bernd und ich sind miteinander befreundet, und Ines hier –«, dabei zeigte er auf das Mädchen neben sich, »das ist unsere gemeinsame Freundin.«
Typ Schleimer, dachte ich, aber verdammt gut sieht er aus.
»Quatsch!«, sagte das Mädchen kurz und bündig. »Wir drei studieren an derselben Uni Sport und Geografie, daher kennen wir uns. Das ist alles.«
Ines gefiel mir auf Anhieb. Sie sah durchtrainiert aus, hatte breite Schultern, lange Beine und sehr kurze Haare. Das Auffälligste an ihr waren aber ihre Augen und ihr Mund. Irgendwie schien sie immer zu lachen, selbst wenn sie so entschieden »Quatsch!« sagte wie bei dieser ersten Begegnung.
»Ich bin Chiara«, sagte das andere Mädchen. Chiara war nicht nur hübsch, sie war eine richtige Schönheit. Perfekte Figur, dichte Haare, ein fein geschnittenes Gesicht, riesige Augen. So müsste man aussehen, dachte ich, aber zum Glück will ich ja eine berühmte Weltreisende werden, dazu muss man nicht unbedingt schön sein.
»Ich bin Anatol. Chiara und ich gehören zusammen. Wir –«, sagte der junge Mann neben ihr.
»Bitte«, unterbrach ihn Michi. »Eure Lebensgeschichten könnt ihr euch später ausführlich erzählen. Jetzt sollten wir uns eigentlich auf den Weg machen. Zu blöd nur, dass uns noch der letzte Mann fehlt.«
Keko, der Längste von uns allen, sagte: »Könnte es vielleicht der da drüben sein? Da drängt sich einer durch die Menge. Sieht ganz so aus, als hätte er’s eilig.«
»Junge, das war knapp!« Tatsächlich gehörte der Schussel zu unserer Gruppe. »Tut mir Leid, dass ich so spät dran bin. Bei mir ging heut schon alles schief. Das ist allerdings normal bei mir, ich bin nämlich der geborene Pechvogel. Ich –«
»Bist du Karl-Lothar?«, fragte Michi. »Freut mich, dass du’s noch geschafft hast.«
Der Unglücksmensch nickte in die Runde und tupfte sich den Schweiß von der Stirn. »Lachnit, Karl-Lothar Lachnit. Wie der Name schon sagt: Ich hab nichts zu lachen«, erklärte er, »jedenfalls meistens. Wenn ich wo dabei bin, passiert immer was. Das letzte Mal hatten wir ’nen Toten zu beklagen.«
»Karl-Lothar!«, rief Michi mit gespieltem Entsetzen. »Mal bloß nicht den Teufel an die Wand. Kommt jetzt, wir sind komplett. Der zweite Reiseleiter, Brian, wird erst in Calgary zur Gruppe stoßen.«
Nicki und ich kämpften mit dem widerspenstigen Gepäckwagen und zwinkerten uns zu.
Wir waren so spät dran, dass wir nur durch die Wartehalle gehen mussten und sofort in den Flieger steigen durften. Weil Nicki das Abi bestanden und die Reise als Belohnung bekommen hatte, überließ ich ihr den Platz am Fenster. Logo. Außerdem war ich damals erst sechzehn, zwei Jahre jünger als sie, und ich dachte mir, wenn ich Abenteuer in fernen Ländern erleben will, habe ich später immer noch jede Menge Gelegenheit, die Erde von oben zu betrachten.
Wir holten Bücher und Zeitschriften und einen dicken Pulli aus dem Handgepäck, zogen die Schuhe aus und machten es uns bequem.
Links neben mir saß Nicki, rechts kam der Gang, dann saßen da Keko, Ines und Bernd, vor uns waren Chiara und Anatol, und hinter uns saß Michi.
Die Flugroute nach Calgary führte über Amsterdam, die Orkneyinseln, Grönland und die Hudson- Bay. Leider sahen wir vor lauter Wolken nichts von der Landschaft. Nur über Grönland und Baffinland riss die Decke zeitweilig auf: Selbst vom Flugzeug aus waren die Eisberge beeindruckend mächtig; doch noch mehr bewunderte ich die kleineren Berge, die wie Sahnetupfer in blauer Sauce schwammen.
Wir hatten genügend Zeit zum Reden. Bernd und Ines fanden Nicky und ich ganz in Ordnung, die machten bestimmt nicht schlapp oder wurden hysterisch, wenn sich mal eine lebensmüde Mücke in der Suppe ertränkte.
Bei Chiara waren wir uns da nicht so sicher, sie kam uns einfach zu schön vor, um echt sportlich und damit trekkingtauglich zu sein.
Wir fragten uns, ob Anatol ihr Mann oder ihr Freund sein mochte, und vor allem hätten wir gern gewusst, warum Keko an der Reise teilnehmen wollte.
Wir waren sicher, dass wir die Antwort darauf schnell herausfinden würden.
»Was sagst du zu Karl-Lothar Lachnit und seinem Namen?«, fragte ich Nicki.
Wir kicherten und fanden, dass Karl-Lothar eine echte Bereicherung unserer Party wäre.
Ziemlich lahm stiegen wir kurz nach drei Uhr Ortszeit in Calgary aus dem Flugzeug.
Am liebsten hätte ich mich ins Bett gelegt und eine Runde geschlafen. Aber davon konnte, wie Michi meinte, keine Rede sein: Je eher wir uns an die neue Zeit gewöhnen würden, desto schneller hätten wir den Jetlag überwunden. Klar, das sagen unsere Tanten auch immer, dachte ich mir, und weil ich diese Reise als Training auffasse, werde ich nicht die Spur von Müdigkeit zeigen. Die gibt es einfach nicht; ist das klar, Mimi Muschalek?
Trotzdem war ich nicht so fit wie sonst, als ich aus dem Flughafengebäude ins Freie trat.
Michi blieb stehen und sah sich suchend um. »Wo, zum Teufel, steckt er bloß? Ah, da ist er ja!«, rief er erleichtert. »Seht ihr den VW-Bus? Der ist für uns und der Mann, der danebensteht, ist Brian. Ihr wisst schon, der zweite Führer.«
Wer da neben dem Bus stand, war mir völlig gleichgültig. Mein linker Fuß tat höllisch weh, weil der Schuh gegen die Ferse rieb. Ich spürte genau, wie die Haut bei jedem Schritt ein bisschen weiter abgeschabt wurde, und sah vor meinem inneren Auge schon das rohe Fleisch.
»Hallo«, sagte ich deshalb nur kurz und stieg in den Bus. Das heißt, ich wollte einsteigen. Stattdessen stolperte ich. Nicht über eine Reisetasche oder über einen Stein oder über ein Bein, das mir jemand gestellt hätte – ich stolperte einfach so und ohne Grund.
»Hoppla«, sagte Brian und griff sofort nach meinem Arm, als wäre ich eine tattrige alte Lady, der man ins Auto helfen muss, weil sie’s allein nicht mehr schafft.
»Hey«, sagte ich, »so schlimm ist’s auch wieder nicht.« Ich schüttelte seine Hand ab, drehte mich um und wollte schnoddrig »Trotzdem, vielen Dank« sagen, aber in diesem Augenblick SAH ich Brian. Ich sah, dass er sehr groß war, dass er ausgebleichtes helles Haar hatte und jede Menge Sommersprossen, aber keine Pickel, und ich sah, wie er lachte. Das gefiel mir. Alles gefiel mir an ihm. Ich merkte, dass ich ihn anstarrte.
Das fiel auch ihm auf und er lachte wieder. Nicht spöttisch, nicht überheblich, nicht eingebildet, er lachte, weil er sich freute.
Worüber freut der sich bloß?, dachte ich und spürte, wie mir heiß wurde.
Klar wollte ich nicht rot werden, klar wollte ich nicht, dass er das auch noch sah. Aber er war ja nicht blind, zum Donnerwetter!
Vor meinen Augen tanzten Sternchen. Ich stolperte weiter in den Bus und stöhnte leise auf, weil ich die wunde Ferse völlig vergessen hatte.
»Ist das unser Küken?«, fragte Brian.
Michi nickte. »Was ist los, Mimi?«
»Nichts. Nur meine Ferse ist aufgeschürft.«
»Ich geb dir ein Pflaster«, sagte Brian sofort.
»Nicht nötig. Ich hab selbst was dabei«, antwortete ich und steckte meinen Kopf tief in den Rucksack. Mein Herz klopfte, meine Hände zitterten. Was ist los, Mimi Muschalek?, fragte ich mich. Bist du plötzlich schüchtern geworden, verlegen, unbeholfen und linkisch? Warum tanzen die vielen Sternchen vor deinen Augen herum? Hast du ’ne Herzschwäche? Du als zukünftige Weltreisende hast was mit dem Herzen?
Nicki boxte mich in die Rippen. »Brian ist nett, findest du nicht auch?«
»Nett!« Ich nickte.
»Was ist los mit dir?«, fragte Nicki neugierig. »Auf einmal war dein Gesicht knallrot. So, als hättest du einen Hitzschlag bekommen. Nur, dazu ist es in Kanada doch viel zu kalt.«
Ich tat cool. »Keine Ahnung. Meine Ferse tut weh.«
Endlich war das Gepäck im Bus. Wir fuhren zur »Travellodge«, bekamen den Schlüssel zu unseren Zimmern und sollten uns in zwei Stunden stadtfein herausgeputzt zum Essengehen treffen.
Karl-Lothar Lachnit bekam das Zimmer mit der Nummer 13. »Na klar«, sagte er. »Die Dreizehn. Nicht die Zwölf, nicht die Vierzehn – es muss die Dreizehn sein.« Tief gebeugt schlurfte er den Gang entlang.
Nicki und ich duschten. Dann zogen wir Cola aus einem Automaten und setzten uns auf eine Bank vor der Travellodge in die Sonne. Wir streckten die Beine aus, schlossen die Augen und genossen die Wärme.
»Ich würd mich ja gerne zu euch setzen –«
»– vorausgesetzt, wir rücken zusammen«, fuhr Nicki fort. »Sollen wir rutschen, Mimi?«
»Hmmmmm.«
»Nicht so!«, protestierte Keko. »Ich will in eure Mitte!« Keko quetschte sich zwischen uns und griff nach meiner Coladose.
»Passt auf«, sagte Bernd hinter uns. »Keko ist überaus großzügig. Er teilt alles, was andere haben.«
»Du meinst –?«
»Er kann alles brauchen«, erläuterte Bernd.
»Fällt man seinem besten Freund derart boshaft in den Rücken?«, fragte Keko vorwurfsvoll und trank mindestens viermal in großen Zügen von meiner Cola.
Wir rückten noch mehr zusammen und saßen jetzt zu viert auf der Bank.
Ich schaute mir Keko genauer an. Frech grinste er erst Bernd an und dann auf mich herunter. »Glaub dem bloß nicht«, flüsterte er mir vertraulich ins Ohr.
Ich rutschte weg. Direkte Anmache mag ich nicht.
Ines, Chiara und Anatol kamen aus der Tür, sahen uns und setzten sich vor der Bank ins Gras. Schließlich schlenderte Karl-Lothar Lachnit heran. »Klar, kein Platz mehr frei auf der Bank. Pech muss der Mensch haben und mit dem feuchten Gras vorliebnehmen.«
»Mit der Jammernummer setzt du wohl deine eigene Duftmarke, was?«, spottete Nicki.
Ein Bus fuhr vor, Michi stieg aus und rief: »Ihr seid ja schon vollzählig!« Er setzte sich ebenfalls zu uns. »Die Gelegenheit ist günstig, Leute. Ich muss einiges mit euch besprechen. Also: Morgen geht’s richtig los. Wir schauen uns Calgary an, dann fahren wir weiter auf unseren ersten Zeltplatz. Übermorgen machen wir die erste Wanderung, Dauer: gute sieben Stunden. Zwölfhundert Höhenmeter wollen wir bewältigen, das heißt –«
»Du willst unsere Kondition testen«, ergänzte Ines sachlich.
»Genau.« Michi grinste. »Ihr habt euch für ’ne Trekkingtour entschieden. Das ist nicht immer ein Honigschlecken.«
»Klar. Wenn mir danach der Sinn gestanden wäre, hätte ich einen Strandurlaub gewählt«, meinte Anatol.
»Gut. Ihr wisst, was hier auf euch zukommt. Weshalb habt ihr euch für die Reise gemeldet?«, fragte Michi rundheraus.
»Ich mag es, wenn ich im Sport gefordert werde, und ich interessiere mich für den Westen Kanadas«, erklärte Ines.
Bernd nickte. »Das Gleiche gilt für mich.«
»Keko?«
»Och, ich kann meine Freunde doch nicht im Stich lassen«, meinte er.
»Komm schon«, sagte Michi. »Das ist kein Grund für eine Trekkingtour. Also?«
»Es stimmt aber«, beharrte Keko. »Die beiden haben die Reise gebucht, mir ist nichts Besseres eingefallen, also habe ich mich ihnen angeschlossen.«
»Er hat Knete genug, so was Verrücktes zu tun«, platzte Ines heraus.
Wir lachten, nur Michi blieb ernst. »Fit siehst du ja aus«, meinte er und zuckte die Schultern. »Wie kommt ihr zu der Reise?«, fragte er dann Chiara und Anatol.
»Wir machen jedes Jahr eine große Tour«, erklärte Chiara. »Vielleicht sieht es nicht so aus, aber wir beide sind ziemlich unproblematisch.«
Michi nickte nur. Das wunderte mich, denn Chiara sah so unglaublich zart und gepflegt aus. Na ja, dachte ich, Michi muss wissen, was er tut.
»Und du?«, fragte er Karl-Lothar.
Dieser räusperte sich nervös. »Ich bin Lehrer«, sagte er und wartete, ob wir jetzt »Ach, wie furchtbar!« oder was Ähnliches rufen würden. Wir waren aber still, deshalb fuhr er fort: »Letztes Jahr war ich in Chile. Am dritten Tag hat einer beim Baden einen Herzinfarkt bekommen. Er ist gestorben, was ein ziemlicher Schock für alle war. Also dachte ich, noch einmal Südamerika, das kann’s nicht sein. Kanada war so ziemlich das Nördlichste, was ich dann als Reiseziel finden konnte. Hoffentlich geht diesmal alles gut«, sagte er düster. »Ich bin ein Mensch, der das Unglück anzieht.«
»Quatsch«, sagte Ines bestimmt. »Schließlich hast nicht du den Herzinfarkt bekommen, oder?«
»Das nicht«, gab Karl-Lothar zu. »Aber ich war in der Gruppe. Wo ich bin, passiert immer irgendwas.«
»Kann ja auch was Schönes sein«, meinte Chiara freundlich.
»Und warum seid ihr hier?«, forschte Michi weiter und sah uns an.
»Ich habe die Reise zum bestandenen Abitur geschenkt bekommen«, erklärte Nicki.
»Gratuliere. Aber Mimi hat bestimmt noch kein Abitur«, stellte Keko fest.
Ich zögerte mit meiner Antwort. Kann man Wildfremde in seine Zukunftswünsche einweihen? Kann man nicht. Meine Schwester kam mir zu Hilfe. »Wir sind immer zusammen.«
»Solche Eltern, die einem einfach so zum Abitur eine Reise spendieren, hätte ich mir auch gewünscht«, meinte Bernd.
»Wir haben keine Eltern mehr«, sagte Nicki.
»Nicht? Ihr Armen!« Chiara schaute uns mitleidig an.
»So schlimm ist’s auch wieder nicht. Wir leben bei unseren Tanten.«
»Tanten!« Keko verdrehte die Augen.
Ich wurde wütend. »Ihr seht das völlig falsch. Unsere Tanten sind super!«
Michi stand auf. »Geschichten erzählen wir uns am Lagerfeuer. Jetzt gehen wir essen. Kommt ihr?«
Die Kneipe war ganz im Holzfäller-Hütten-Stil gehalten. Grobe Tische und Bänke, überall Holz und nur Kerzenlicht. Ich setzte mich an das eine Ende vom Tisch. Am anderen Ende saß Brian. Weil die Leute mit den Kerzen sehr sparsam umgingen, sah ich ihn fast nicht. Und aufs Essen hätte ich auch verzichten können, plötzlich hatte ich nämlich keinen Hunger mehr. Trotzdem bestellte ich irgendetwas, denn ich wollte keine unnötigen Fragen beantworten müssen.
Unsere Steaks waren super, außen knusprig, innen rosa und kein bisschen blutig.
Aus Karl-Lothars Steak leckte das Blut, es floss über den Teller und weichte die Pommes auf. »Ich hab’s geahnt«, sagte er düster.
»Mit dem kann’s ja heiter werden«, flüsterte Nicki mir zu.
Morgens um sechs beluden wir den Kleinbus mit unserem Gepäck, der Zeltausrüstung, mit Schlafsäcken, Isomatten, dem Kochgeschirr, mit Schachteln und Boxen voller Lebensmittel. Es war Sonntag. So früh am Morgen war die Stadt wie ausgestorben, doch die Skywalks wollten wir uns nicht entgehen lassen: Fünf Meter über den Straßen verbinden gläserne Passagen die Läden und Büros. »Praktisch«, sagte Ines. »Da brauchst du auch im Winter keinen dicken Mantel anzuziehen.«
»Im Sommer ist es hier brütend heiß«, sagte Brian hinter mir. »Dann schätzt man die Passagen fast noch mehr als in der kalten Jahreszeit.«
Calgary ist eine ganz besondere Stadt: Im Zentrum ragen riesige gläserne Hochhäuser auf, in denen alles nur vom Allerfeinsten ist, gleich daneben stehen putzige Holzhäuschen aus dem letzten Jahrhundert.
Wir hätten bestimmt Tage gebraucht, um all die Sehenswürdigkeiten dort zu besichtigen, aber gegen Mittag mussten wir weiter.
Ich war sogar froh darüber, denn ich wollte keine Häuser mehr sehen, ich wollte Weite, Wasser und Wölfe erleben. Meiner Schwester ging es genauso.
Nachdem wir ins olympische Feuer geblasen hatten, ging es endlich los.
Vor uns lag der Trans-Canada-Highway, in der Ferne sahen wir die Rocky Mountains. Ich kurbelte das Fenster herunter und roch zum ersten Mal den scharfen Wind der Wildnis und des Abenteuers. Gegen Abend erreichten wir ein Städtchen mitten in den grünen Bergen, Banff, das dort so bekannt ist wie bei uns Heidelberg oder Rothenburg ob der Tauber – aber natürlich ganz anders aussieht: niedrige Häuser, eine Kneipe an der anderen, Leute in Jeans, Holzfällerhemd, Cowboyhut und Stiefeln mit schrägem Absatz.
»Wir brauchen Salat und frische Milch. Und wenn euch sonst noch was fehlt, habt ihr Gelegenheit, das jetzt zu besorgen«, sagte Michi. Wir kauften Apfelsaft und Kraftriegel in einem Supermarkt, dann fuhren wir zu unserem Zeltplatz.
Er war riesig – und leer. Oder doch fast leer. Michi lachte über unsere Verwunderung. »Klar, hier ist Spätsommer. Die Ferienzeit ist vorüber.«
Er reichte Nicki und mir ein grünes, längliches Paket. »Euer Zelt. Wisst ihr, wie man das aufbaut?«
»Nein. Aber wir probieren es einfach mal.«
Wir suchten uns ein nettes Plätzchen, nicht zu weit weg vom nächsten Zelt, dann packten wir den Sack aus. »Zuerst müssen wir die Stangen aufrichten«, sagte Nicki. Die Dinger wollten und wollten aber nicht stehen bleiben. Wenn ich den vorderen Teil hielt, brach der rückwärtige zusammen.
Keko und Bernd sahen zu und bogen sich vor Lachen. »Lasst uns mal ran«, sagte Bernd schließlich. Die beiden legten das Zelt aus und zogen es gerade. »So, nun nehmt ihr die Heringe, hämmert sie in den Boden und hängt die Schlaufen ein. Gut so. Jetzt stecken wir die Stangen zusammen, kriechen ins Zelt –« Was sie weiter noch sagten, hörten wir nicht besonders gut. Aber das Ergebnis war phänomenal – unser Zelt stand.
»Wo bleibt der Dank?«, fragte Keko und streckte Nicki seine Backe hin.
Ines, die ihr Zelt ganz alleine aufgebaut hatte, lachte nur spöttisch über ihn.
Ich aber fand’s fies und kleinkariert zugleich, dass Keko auch noch was von »Typisch Mädchen« murmelte.
Ein Schrei. »Neiiiiin!« Wir fuhren herum.
Karl-Lothar hüpfte um sein Zelt, das langsam, ganz langsam in sich zusammensank.
Na bitte!, dachte ich zufrieden und warf Keko einen triumphierenden Blick zu. So viel zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in unserer Gruppe!
Inzwischen hatte Michi zusammen mit Anatol das Kochzelt aufgestellt und Feuer in einer Grillstelle gemacht, Brian kümmerte sich ums Auto.