Kanzler, Krise, Kapital - Marietta Slomka - E-Book
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Kanzler, Krise, Kapital E-Book

Marietta Slomka

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Beschreibung

Alles, was man über Politik wissen muss

Als Frontfrau des ZDF für Nachrichten und politische Analyse bietet Marietta Slomka verlässliche Orientierung durch die tagespolitische Komplexität. In ihrem neuen Buch erklärt sie, wie das Räderwerk der Politik eigentlich funktioniert. Ausgehend von konkreten Fragestellungen (etwa »Frauen in der Politik«) wirft sie einen Blick hinter die Kulissen der Macht (»Ein Tag als Bundeskanzlerin«), übersetzt Insidervokabeln, fragt, wofür Parteien gut sind oder wie man Politiker wird. Sie blickt nach Europa, erinnert an Butterberge und Milchseen, konfrontiert Europafans mit Kritikern des »Brüsseler Wasserkopfs«. Sie verdeutlicht, welche Aufgaben der Weltgemeinschaft auf den Nägeln brennen und wie auch in der politischen Auseinandersetzung das globale Große (»Krisenherde der Erde«) mit dem menschlich Kleinen (»Auf den Hund gekommen«) doch untrennbar verknüpft ist.
Entstanden ist ein spannend zu lesendes Handbuch für Bürger, die wissen wollen, was das Abenteuer Politik ist und warum jeder daran teilhaben kann.

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Marietta Slomka

KANZLER, KRISE, KAPITAL

Wie Politik funktioniert

C. Bertelsmann

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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© 2013 by C. Bertelsmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlaggestaltung: buxdesign München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-12037-5V002

www.cbertelsmann.de

Inhalt

Vorwort

Demokratie – Ein Plädoyer für »die schlechteste aller Regierungsformen«

Müssen wirklich immer alle mitreden?

Auch Nichtwählen ist eine Wahl

Politik ist das Ziel und der Weg dorthin

Kluges Regieren: Sollten nur Philosophen Könige werden?

Wie hätten Sie’s denn gern? – Regierungsformen im Vergleich

Und wie läuft es bei Königs?

Weitere (unerfreuliche) Herrschaftsformen

Wie viel Freiheit darf’s denn sein?

Und wie halten wir es mit der Religion?

Lohnt es sich überhaupt, wählen zu gehen?

Wozu brauchen wir Parteien?

Die Opposition muss regieren können

Warum gründen sich neue Parteien?

Warum müssen politische Wahlen geheim sein?

Darf man Wahlversprechen brechen?

Der Wahlkampf als »Geschwätz von gestern«

Wann sind Umfragen repräsentativ?

Der Sozialstaat – mehr als eine Floskel?

Erst das Fressen, dann die Moral

Wie kommt ein Staat zu Wohlstand?

Wichtig ist nicht nur, was der Staat tut, sondern auch wie

Marktwirtschaft: frei, sozial – oder gar nicht

Wäscht man Geld bei 30, 60 oder 95 Grad?

Warum müssen wir so viel(e) Steuern zahlen?

Gerechtigkeit hat jeder gern

Steuersparen statt Golfspielen

Steuerzahler sind empfindlich

Steuerwirrwarr im Föderalismus

Warum nicht lieber mehr Geld drucken, statt Steuern zu erhöhen?

Die Theorie vom perfekten Staat

Politik in Deutschland – Pluralismus ist schön, macht aber viel Arbeit

Zweimal Deutschland – eine kurze Geschichte der DDR

Pseudo-Parteienvielfalt der »Blockflöten«

Lebensqualität auf Sozialistisch

Das leichte Leben der anderen im Westen

Ein Deutschland, zwei Hauptstädte

Die Qual der Wahl – Parteien in Deutschland

Gerade kleine oder neue Parteien brauchen prominentes Personal

Links, rechts oder geradeaus?

Die Wandlung der Grünen zur Mini-Volkspartei

Konservativer Spagat

Opposition ist Mist – Regieren aber manchmal auch

Bei der SPD gehört Dauerstreit zur Parteikultur

In der Freiheit liegt die Kraft?

Die Linke auf der Suche nach sich selbst

Karriereziel Politik

Einen Parteitag muss man »rocken« können

»Politik« ist (k)eine Wissenschaft

Mit Oma Lemke im Gemeindezentrum

Heulsusen haben keine Chance

Für Quereinsteiger ist es schwer(er)

Handwerk, Bauchgefühl und der »Faktor Mensch«

Bei all dem Stress: Macht regieren trotzdem Spaß?

Höhenrausch in der Todeszone

Der Ehrliche ist der Dumme

Wahlen in Deutschland: Wie verhältnismäßig ist eine Mehrheit?

Welche Stimme ist wirklich wichtig?

Unser Wahlsystem ist anstrengend, aber gerecht

Das Internet hilft vor und nach der Wahl

Föderalismus – muss das denn immer sein?

Von oben nach unten und umgekehrt

Bildungspolitik als föderales Versuchslabor

Saufen fürs Land, Qualmen für den Bund, Gassigehen für die Kommune

Die Pyramide der Macht

Reden und Arbeiten – der Parlamentsalltag

Brot und Spiele: Anfragen, Ausschüsse, Abweichler

Übeltäter, Klugscheißer und Schlimmeres

Im Fegefeuer der Fraktion

Abweichler und Einpeitscher

Der Bundespräsident – herzlich willkommen in Schloss Bellevue?

Bundespräsidenten können spektakulär scheitern

Die Macht des Wortes

Was macht die Bundeskanzlerin den ganzen Tag?

Von der Morgenlage bis tief in die Nacht

Wegweiser für Staatsgäste und Tischordnung im Kabinett

Mit der Kanzlerin an der Käsetheke

Eine Frage des Vertrauens

Wie viel Ahnung hat ein Minister?

Manche können zwar, wollen aber nicht

Und was machen die vielen »Sekretäre«?

Gesetze wecken Begehrlichkeiten

Zwischen Bürgerschutz und Volkserziehung

Gutgemeintes mit Nebenwirkung

Wer dafür ist, stimmt manchmal trotzdem dagegen

Wer steht da in der Lobby?

Der Dreisatz aus Nähe, Geld und Einfluss

Ohne Fachleute geht es nicht, aber wer hat am Ende recht?

Lobbyisten mit gutem Gewissen

Je kleiner der Club, desto größer der Einfluss

Kinderkriegen in der sozialen Hängematte?

»Herdprämien«, »Wegbleibprämien« und »Wahlfreiheit«

Mitnahme-Effekte und Punktgewinne

Nicht nur die Rente ist unsicher

Wie viel Risiko muten wir uns zu?

Wann lohnt es sich, arbeiten zu gehen?

Wenn trotz Arbeit das Geld nicht reicht

Berufsziel: »Hartzvier«

Wer ist arm, wer ist reich?

»Heute wird gestreikt« – wie mächtig sind die Gewerkschaften?

Beamte dürfen sich organisieren, aber nicht streiken

Löhne und Mindestlöhne – wie verdient man, was man verdient?

Theorien stimmen oft nur in der Theorie

Bei wem hat Deutschland Schulden – und wo liegt das Problem?

Geld ausgeben, um die Wirtschaft anzukurbeln – klappt das?

Könnte Deutschland pleitegehen?

Im schlimmsten Fall hilft nur der radikale Neuanfang

Im Namen des Volkes: Politiker, Richter, Beamte

Die große Regelwut: von Beschattungsabgabe bis Kloschüsselvorschrift

Wie viel Markt, wie viel Staat?

Wie gut ist der Staat als Unternehmer?

Wer profitiert, leidet manchmal aber auch

Warum müssen sich Politiker anständiger verhalten als ihre Wähler?

Skandale müssen nicht das Ende sein

Das Spiel mit der »political non-correctness«

Wissen Journalisten mehr, als sie schreiben?

Wenn das Private politisch wird

Seit Urzeiten: Bad news are good news

Gummistiefel-Termine und Agenda Surfing: die Macht der Medien

Zeigen die Medien, was das Volk will?

Die Doktoren für den richtigen Dreh

Polit-Sprech: Wie viel Wahrheit darf’s denn sein?

Pimp your thoughts!

Normal-Sprech oder Gremien-Sprech

Im Staatstheater: Wie wird Politik inszeniert?

Der Politiker als »Stimmenmaximierer«

Wie Angela Merkel zur »Miss World« wurde

»Heißes Herz statt Hose voll«

Selbstdarstellung über Twitter & Co

Insider-Vokabeln aus Berlin

Europa – Harmoniesuche im Konzert der Nationen

Muss man als guter Demokrat für den Euro sein?

Krieg und Frieden: die Anfänge der EU

Was ist eigentlich »europäisch«?

Auf nach Schengen!

Maastricht, Nizza, Lissabon: weitere Stationen der Europareise

Wer ist Mr. oder Mrs. Europa?

Wie wird Europa regiert?

Wer hat mehr zu sagen – die nationalen Regierungen oder »Brüssel«?

Brüssel als Abschiebegleis?

Warum hat die EU ein Demokratiedefizit?

Warum ist ausgerechnet Brüssel die Hauptstadt Europas?

Der EU-Haushalt: Wie viel netto darf’s denn sein?

Wie hoch ist der Butterberg – und wo plätschert der Milchsee?

Mal ganz pragmatisch: Wo liegen die Vor- und Nachteile der Europäischen Union?

Was hat uns der Euro bisher gebracht?

Ist der Euro ein »Teuro«?

Was spricht gegen den Euro?

Wie bekam der Euro die Krise?

Bankenkrise und Schuldenkrise

Angst vor Domino-Effekten

Wie sinnvoll ist die Euro-Rettung?

Wut auf deutsche »Spardiktate«

Wären Staatspleiten besser?

Deutschland ist auch Krisengewinnler

Insider-Vokabeln aus Brüssel

Weltpolitik – wenn alles mit allem zusammenhängt

Fluch und Segen der Globalisierung

Moderne Sklaven an der verlängerten Werkbank

Gute und schlechte Heuschrecken

Pioniere müsst ihr sein!

Auch die Umwelt ist globalisiert

Langeweile im Global Village

Waschnüsse und Inka-Reis

Wenn die Frikadelle wiehert

Die Anti-Globalisierungs-Bewegung

Cashew aus Mosambik und Rosen aus Äthiopien

Ist die Welt ärmer oder reicher geworden?

Erste, Zweite, Dritte Welt

Warum sind die Afrikaner am ärmsten dran?

Warum ist es so schwierig, in armen Ländern Gutes zu tun?

Geschenke können mehr schaden als nutzen

Zu viel Hilfe oder zu wenig?

Wenn Hilfe missbraucht wird

Der »Ressourcenfluch«

Warum sind gerade die reichen Länder oft so arm?

Machtpolitik: Gleichgewicht des Schreckens und »Balance of Power«

Realpolitik – ein nüchterner Blick auf die Welt

Spiel der Kräfte

Einflusssphären und Stellvertreterkriege

Kriege als Schauplatz ausländischer Interessen

Stehen wir am Beginn eines chinesischen Jahrhunderts?

Gucci und Prada statt Mao-Kittel

Das »semi-autoritäre« System in Russland

Wohin treibt Amerika?

Ein Traum wurde wahr

Die neue Außenpolitik Washingtons

Stärkt die UNO tatsächlich den Weltfrieden?

Von Generalversammlung bis UNICEF: Wie die UNO funktioniert

Sanktionen und Blauhelme: Wie viel Druck kann die UNO machen?

Peace Keeping und Peace Enforcement

Der Sicherheitsrat: mächtiges Gremium mit Blümchentapete

Ärger mit Washington und Moskau

Der »unmögliche Job« des UNO-Generalsekretärs

Hilflos bei Massakern

Gute Dienste als der unsichtbare Dritte

Die Grenzen des Amtes

Weltpolitik mit Waffen

Warum werden heute (noch) so viele Kriege geführt?

Von den Weltkriegen zum Ost-West-Konflikt

Der Kalte Krieg und seine Stellvertreter

Besser in einer Allianz sein oder neutral bleiben?

Die Welt ist nicht friedlicher geworden

Der Dauerkonflikt im Nahen Osten

Israel-Kritik ist kein Tabu

Streit ums Heilige Land

Vergebliche Friedenshoffnungen

Junge Männer als Risikofaktor

Wie human sind humanitäre Interventionen?

Das Risiko zu scheitern ist groß

Der Anti-Terror-Krieg: Früher waren Terroristen noch keine Touristen

Angst und Schrecken im asymmetrischen Krieg

Was wollen die Dschihadisten?

Söhne aus gutem Hause

Krieg kann auch attraktiv sein

Der Erfolg suchte nach neuen Erfolgen

Nukleare Albträume

Wie funktioniert Diplomatie?

Die Kunst des feinen Umgangs

Die verschlüsselten Codes der Diplomatensprache

Militärische Ehren und andere Blumensträuße

Nach vorne lächeln, intern lästern

Wie immun sind Diplomaten?

Benimmregeln auf glattem Parkett

Der Kanzler ist Vielflieger

Haben Staaten echte Freunde?

Warum gibt es in Deutschland immer noch viele Spione?

Wie wirksam sind Geheimdienste?

Moderne Abhörmethoden und Cyberwar

Zu guter Letzt: Auf den Hund gekommen

Als Single auf der Weltbühne

Wofür stehen diese Abkz.?

Nachwort: Viele Kühe machen Mühe

Sachregister

Dem Manuskript wurden in einigen Kapiteln Auszüge aus dem Buch »Kanzler lieben Gummiestiefel« von Marietta Slomka und Daniel Westland zugrunde gelegt. Des Weiteren sind in die Abschnitte über die Sprache von Politikern, das Amt des UN-Generalsekretärs und die Problematik der Entwicklungshilfe bereits veröffentlichte Texte eingeflossen.

Danken möchte ich meiner Lektorin Eva Rosenkranz und Ulrich Hoffmann für ihre tatkräftige Unterstützung bei diesem Buch.

Vorwort

Frage: »Wie ist das eigentlich, wenn Sie sich in Europa mit den anderen Finanzministern treffen, wird denn da auch richtig gestritten?«

Antwort: »Na ja, wir streiten schon, meistens versuchen wir zwar höflich zu sein, manchmal dauert’s aber auch bis in die Nacht, und dann wird man auch müde, und dann kann man verstehen, wenn da einer mal ausflippt, nachdem man zehn Stunden getagt hat.«

Ein schönes Interview mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble! Nicht im heute-journal, sondern bei Logo, den ZDF-Kindernachrichten. Die Fragen stellte meine Kollegin Sieba, zehn Jahre alt. Nicht, dass Herr Schäuble hier ein Geheimnis verraten hat, von dem die Welt bis dahin nichts wusste. Natürlich ist uns allen klar, dass bei diesen EU-Gipfeln die Beteiligten irgendwann kaum noch die Augen aufhalten können und der eine oder andere schon mal »ausflippt«. Hätte ich aber Herrn Schäuble gefragt, »Na, Herr Minister, ist denn letzte Nacht mal wieder einer ausgeflippt?«, hätte er das in gewählten Worten weit von sich gewiesen. Politiker rasten nicht aus, wo denken Sie hin? Fragt aber ein süßes und cleveres Kind, greifen bei Politikern die gleichen psychologischen Mechanismen wie bei allen anderen Menschen: Man will ein Kind nicht anlügen, man will nett sein, und man will sich verständlich ausdrücken. Deshalb schicken erwachsene Journalisten ja so gerne Kinderreporter los – das funktioniert immer wieder sehr gut.

Das Phänomen lässt sich aber auch bei den Journalisten selbst beobachten. Mir ging es jedenfalls so, als ich 2010 das Jugendbuch »Kanzler lieben Gummistiefel« schrieb. Man legt einfach mal fröhlich-locker los, hat überhaupt keine Scheu vor Vereinfachungen oder Zuspitzungen, verkrampft nicht bei der Frage, ob dieses oder jenes politisch korrekt genug, differenziert genug, abgewogen genug formuliert ist. Gleichzeitig sind Kinder eine Herausforderung. Den Eltern unter Ihnen muss ich das nicht sagen: Kinder stellen oft die brutalsten Fragen. Die scheinbar simplen »Wieso-Weshalb-Warum«-Überlegungen, auf die man spontan keine richtig guten Antworten parat hat. »Wieso gibt es Mond und Sterne? Weshalb gibt es arme Menschen? Warum werden immer noch Kriege geführt?« Tja. Warum eigentlich? Das sind so die Themen, an denen man sich schön abarbeiten kann.

Kaum war das Buch veröffentlicht, stellte ich allerdings fest: Es wurde offenbar nicht nur von Kindern und Jugendlichen gelesen, sondern auch von Erwachsenen. Es scheint einen Bedarf zu geben für ein Buch, das grundsätzliche politische Fragen, mit denen man sich seit Schulzeiten nicht mehr beschäftigt hat, noch mal diskutiert. Das politische und ökonomische Begriffe und Zusammenhänge beleuchtet, die in Nachrichtensendungen und Zeitungsartikeln oft vorausgesetzt werden. Und das Blicke hinter die Kulissen gewährt und transparent macht, wie es in der politischen Praxis tatsächlich läuft. In Deutschland, in Europa und in der Welt.

Da eröffnet sich natürlich eine Vielzahl sowohl zeitloser als auch aktueller Themen: Was verstehen wir eigentlich unter »Freiheit« oder »(Steuer-)Gerechtigkeit«? Welche Weltsicht verbindet sich mit dem Begriff »Realpolitik«? Warum ist der Euro in die Krise geraten? Was läuft hinter den Kulissen von EU-Gipfeln? Wie human ist eine »humanitäre Intervention«? Ist Globalisierung gut oder schlecht? Wie inszeniert sich Politik in einer Mediendemokratie?

Und plötzlich war meine Schreibhaltung doch nicht mehr so unbekümmert wie seinerzeit beim Kinderbuch. Was nimmt man rein, was nicht? Wie tief geht man in die Details? Will jeder Wahlbürger genau wissen, was die »Euro-Stabilisierungsfazilität« oder Eurobonds sind? Vermutlich nicht. Andererseits: Wenn im Zuge der Euro-Krise ständig davon die Rede ist, lohnt es sich doch, dazu einige Sätze zu sagen. Sie finden Bonds und Fazilität bei den europäischen Insider-Vokabeln. Da können Sie jetzt direkt nachschauen und einen Schnelltest machen, ob Ihnen solche Erklärungen etwas bringen.

Anderes Beispiel: Braucht man ein Kapitel über die DDR? Ältere Leser wohl eher nicht. Aber jüngere, 20-, 25-Jährige, könnten das durchaus sinnvoll finden. Manche Leser haben Lust, sich noch mal mit Grundfragen der politischen Philosophie oder volkswirtschaftlichen Zusammenhängen zu beschäftigen, andere werden das Kapitel zur Demokratietheorie nur überfliegen. Der eine interessiert sich vielleicht mehr für die Probleme der Entwicklungshilfe und den »Ressourcenfluch«, der andere stöbert lieber in den »Insider-Vokabeln«, die von Politikern und Journalisten verwendet werden: Was sind »Poolbilder«, was machen »Sherpas«, und wieso ist so oft von »Kettenhunden« die Rede? Querleser sind also herzlich willkommen! Und auch wenn sich ein Erwachsenenbuch weniger unbekümmert schreibt als ein Kinderbuch – mir hat es sehr viel Spaß gemacht, mich mit so vielen Themen selbst wieder mal grundsätzlicher zu beschäftigen, als ich das sonst in meinem Arbeitsalltag als Nachrichtenmoderatorin kann.

Marietta Slomka, im Wahljahr 2013

Demokratie – Ein Plädoyer für »die schlechteste aller Regierungsformen«

Müssen wirklich immer alle mitreden?

Wann, wie und wo der Bus zur Arbeit fährt, ob ein Windrad direkt vor dem eigenen Garten steht, wie viel vom Gehalt übrig bleibt, ob die eigenen Eltern mit der Rente gut auskommen und die Leute vom Pflegedienst noch fünf Minuten Zeit für einen kleinen Plausch haben, wie oft die Familie in den Urlaub fährt – all das ist in irgendeiner Form Politik. Sie betrifft jeden, ob man will oder nicht.

Bei einer Rede im Unterhaus sagte der englische Staatsmann Winston Churchill am 11. November 1947: »Die Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.« Natürlich ist es leicht, Demokratie aufwändig und ineffektiv zu finden. Ist sie ja auch. Aber was wären die Alternativen? König, Kaiser, Diktator, Kommunismus, Anarchie. Nichts davon scheint bei näherer Betrachtung sonderlich verlockend. Es gibt offensichtlich gute Gründe, warum immer mehr Länder weltweit auf Demokratie umstellen. Sie ist die attraktivste aller Regierungsformen. Zumindest aber das kleinste Übel. Wählen zu gehen, mag uns oft lästig sein. Auch ich marschiere manchmal eher lustlos in das Wahllokal in der Grundschule nebenan, um meiner Bürgerpflicht bei irgendeiner Kommunalwahl nachzukommen. Aber dann werde ich in unserer Sendung wieder damit konfrontiert, dass anderswo Menschen bereit sind, für ein freies Wahlrecht zu sterben. Grausame Folter und sogar den Tod zu riskieren. Nur um wählen gehen zu dürfen. Das muss man sich vorstellen, in aller Konsequenz – da stellen sich einem die Nackenhaare hoch. Mir geht das jedenfalls so. Und so lange ist es auch noch nicht her, dass hier in Deutschland viele mutige Menschen jeden Montag auf die Straße gingen, weil sie wählen, reisen, frei sein wollten. Man vergisst das schnell, im demokratischen Alltag. Übrigens: Auch die Freiheit, nicht wählen zu gehen und über Politik nur laut zu meckern, ist ja eine kostbare Freiheit und keine Selbstverständlichkeit. Wenn ich dann wieder Bilder sehe, wie Demonstranten niedergeprügelt und verschleppt werden, nur weil sie es wagen, faire und freie Wahlen einzufordern, dann empfinde ich manchmal durchaus Dankbarkeit. So viele Selbstverständlichkeiten, die wir hinnehmen: Vor die Tür gehen zu können, ohne Angst zu haben, dass man abgeführt wird, weil man am Abend vorher in der Kneipe das große Wort geführt hat gegen »die da oben«. Oder tagtäglich über süffige Karikaturen in der Tageszeitung hinwegzublättern. Selbstverständlich? Historisch nicht – und, betrachtet man die Welt als Ganzes, auch heute nicht. So gesehen leben wir auf einer Insel der Seligen in einem Meer der Verdammten. Was uns nicht daran hindert, regelmäßig den Untergang des Abendlandes zu predigen. Gelegentlich wundert man sich ja fast, dass unser Staatswesen nicht längst zusammengebrochen ist angesichts der vielfach angeprangerten, katastrophalen Zustände, in denen wir leben. Persönlich muss ich gestehen: Je mehr ich um die Welt gereist bin, umso angenehmer finde ich meine eigene Heimat. Das sollte man natürlich nicht zu laut sagen. Weil es auch zur Demokratie gehört, die Regierenden und »das System« immer und überall zu kritisieren, auf dass bloß keiner übermütig wird. Denn Dankbarkeit ist in der Demokratie keine politische Kategorie. Unzufriedenheit ist der Motor, der sie am Laufen hält. Was wäre die Republik ohne ihre Wutbürger?

Auch Nichtwählen ist eine Wahl

Außerdem besteht Politik nicht nur aus Wahlkampf oder den Gesetzen, die aus Berlin oder Brüssel kommen. Politik ist auch, wie diese Gesetze gemacht werden und wer darauf Einfluss nimmt. Politik ist, Leserbriefe an die Zeitung zu schreiben, eine E-Mail an den Bürgerschaftsabgeordneten. Mit Freunden oder Kollegen zu diskutieren, eine Petition zu unterschreiben oder sich vielleicht sogar selbst wählen zu lassen.

Nun kann man natürlich sagen: Schön und gut, aber letztlich ist mir das ziemlich egal – ich werde gern regiert! Oder: Ich kann sowieso nichts ändern. Aber Politik beziehungsweise der Staat sind wir alle. Ob man will oder nicht. Denn auch Nichtwählen ist eine Wahl (nämlich die, sich der Mehrheit anzuschließen, egal, wie sie ausfällt).

Was an der Demokratie besonders kritisiert wird, sind zum einen die Parteien und zum anderen, dass alles umso schwieriger wird, je mehr mitreden. Immer diese Konsenssoße, die entsteht, wenn viele Köche im Brei herumrühren! Wäre es nicht manchmal besser für alle, wenn ein »guter Herrscher« regieren würde, der endlich »straight« die richtigen Dinge durchsetzen kann? Das hört man bei Umfragen tatsächlich. Gerade in Zeiten, in denen die politischen Parteien viel streiten und taktieren, kommt bei erstaunlich vielen Leuten gerne mal der Wunsch nach einem »starken Führer« auf. Man könne den ja wieder abwählen, wenn er doch nicht so gut ist wie erhofft. Fragt sich nur, wer entscheidet, was für alle gut ist? Gibt es die eine objektive Wahrheit? Wer glaubt, einen göttlichen Willen auszuführen, wird das zweifellos bejahen. Weshalb es in sogenannten theokratisch regierten Staaten, in denen Staat und Religion nicht getrennt sind, mit Meinungsvielfalt und Minderheitenschutz nicht weit her ist. Der absolute Glaube an eine bestimmte Religion oder eine bestimmte Ideologie senkt logischerweise die Toleranzgrenze gegenüber Andersdenkenden. Wenn sich das mit absoluter politischer Macht paart, wird’s im Staate schnell ziemlich ungemütlich.

Grau, sagt man, ist alle Theorie – muss aber nicht sein. Als ich vor vielen Jahren (so genau wollen wir es jetzt nicht wissen) ein Studienjahr in England absolvierte und dort einen Kurs in Politischer Philosophie besuchte, betrat unser Professor den Seminarraum, setzte sich, lächelte freundlich in die Runde und zündete sich dann eine Zigarre an. Schweigend. Das zog sich hin, während sich die Rauchschwaden ausbreiteten und wir ihn irritiert anstarrten. Irgendwann ergriff er schließlich das Wort und sagte: »Heute wollen wir über John Stuart Mill und sein Buch über die Freiheit reden. Ich fühle mich gerade sehr frei. Und Sie?« Und schon waren wir mittendrin in einer Diskussion über den Liberalismus und seine Grenzen. Grau war das nicht. Es roch nur streng.

Wer auf Anhieb definieren kann, wo die Unterschiede liegen zwischen Sozialismus und Kommunismus, zwischen konstitutioneller und parlamentarischer Monarchie, zwischen autoritärem und totalitärem Regime, und wem auch John Stuart Mill oder Montesquieu aus der Schulzeit noch bestens vertraut sind, der kann jetzt weiterblättern. Für alle anderen kommt ein Schnellkurs zu den wichtigsten politischen Begriffen, die man im Zweifelsfall irgendwie »kennt«, aber so genau vielleicht doch wieder nicht.

Politik ist das Ziel und der Weg dorthin

Zunächst ein Blick auf den Begriff Politik: Das griechische Wort polis bedeutet Stadt oder Gemeinschaft – und mit Politik meint man in der Gegenwart ein überlegtes, gezieltes Verhalten innerhalb einer Gesellschaft. Selbst in einer Familie oder unter Freunden gibt es also politische Vorgänge – zum Beispiel, wenn es darum geht, was man am Wochenende unternimmt, ob man ins Kino geht oder doch lieber ins Freibad. Bei der Frage, ob und wie darüber abgestimmt wird und ob alle das gleiche Stimmrecht haben, ist man schon mittendrin in der Politik.

Politik beschäftigt sich gleichzeitig mit den Inhalten (was will ich), mit dem Weg dorthin (wie setze ich es durch) und mit dem Rahmen, in dem das alles stattfindet. Im Rechtsstaat besteht dieser Rahmen aus Gesetzen, Gerichten und Staatsorganen, auf deren Redlichkeit man sich verlassen können muss. Und hier kommt die Demokratie ins Spiel, die Abstimmungsregeln. Die Bundesverfassungsrichter beispielsweise müssen sich nicht etwa einig sein, sondern nur eine Mehrheitsentscheidung erreichen. Aber Mehrheiten allein reichen im Rechtsstaat nicht. Sonst könnte man ja auch mehrheitlich beschließen, den Rechtsstaat abzuschaffen. Deshalb ist die Verfassung, das Grundgesetz, als höchste Ebene der demokratischen Spielregeln, besonders geschützt. Grundrechte (wie zum Beispiel das Recht auf Meinungsfreiheit) dürfen nicht abgeschafft werden, auch nicht mit großer Mehrheit. Und Gesetze müssen der Verfassung entsprechen. Dass diese Grundkonstellation häufig zu hochkomplizierten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht führt, mag einem gelegentlich lästig erscheinen. Aber das Komplizierte ist hier eben auch ein Wert an sich, weil sehr viele unterschiedliche Interessen und Aspekte in ein Urteil einfließen. So schön einfach wie bei den alten Griechen ist es in modernen Staaten nun mal nicht mehr.

Das Wort Demokratie kommt ebenfalls aus dem Griechischen: Demos ist das Volk, kratia bedeutet Herrschaft. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Volksherrschaft umzusetzen. Deutschland ist eine repräsentative Demokratie, in der Politiker vom Volk gewählt werden. Sie sollen die Bürger für einige Zeit (meist vier Jahre) vertreten, sprich repräsentieren. Wir stimmen nicht direkt über die einzelnen Gesetze oder Entscheidungen ab, sondern beauftragen andere, das für uns zu tun. Die direkte Demokratie in Form von landesweiten Volksabstimmungen (wie sie zum Beispiel in der Schweiz abgehalten werden) ist im politischen System Deutschlands kaum vorgesehen, jedenfalls für die Bundespolitik (Ausnahme: Bei einer Neugliederung des Bundesgebietes wäre eine Volksabstimmung notwendig). Nur in den einzelnen Bundesländern und Kommunen finden Volksabstimmungen statt, zum Beispiel als Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Dass es bei uns verglichen mit anderen Staaten wenig direkte Demokratie gibt, hat nicht zuletzt historische Gründe. Nach den Erfahrungen der Nazi-Zeit waren die Verfassungsväter dem deutschen Volk gegenüber misstrauisch. Man befürchtete den Einfluss von Populisten, die aus Sachfragen Stimmungsfragen machen. Inzwischen wird aber viel darüber diskutiert, ob es nicht auch deutschlandweit mehr Volksabstimmungen oder Volksentscheide geben sollte.

Größter Nachteil einer repräsentativen Demokratie: Die Volksvertreter können Gesetze verabschieden, die einem nicht passen. Das Volk kann aber während der Legislaturperiode (über die gewählte Zeit hinweg) nicht mehr eingreifen. Und auch wenn ein Volksvertreter nicht einhält, was er versprochen hat, dauert es mindestens vier Jahre, bis man ihn wieder loswerden kann. Aber immerhin kann man ihn wieder loswerden! Anders als in Diktaturen, in denen die Bürger keine Wahl haben, sondern ihre Regierung ertragen müssen. Außer sie haben den Mut zur Revolution, was meistens eine blutige Angelegenheit ist.

Größter Vorteil der repräsentativen Demokratie: Wenn’s gut läuft, hat der gewählte Politiker von den Dingen, die er entscheiden soll, mehr Ahnung als wir Wähler. Zumindest hat er mehr Zeit, sich ausführlich mit Gesetzesvorhaben und anderen politischen Themen zu beschäftigen. Dafür wird er schließlich von uns bezahlt. Außerdem wäre es sehr aufwändig, zu jedem Gesetz eine Volksabstimmung abzuhalten. Zumal manche Gesetze so komplex sind, dass man sie nur schlecht als »Ja«- oder »Nein«-Fragen formulieren kann.

Es gibt weltweit verschiedene Demokratie-Mixe mit unterschiedlich hohem Anteil direkter Demokratie. So wird zum Beispiel der amerikanische Präsident direkt vom Volk gewählt, auch wenn nicht sein Name, sondern der Name seiner Partei auf dem Wahlzettel steht. Der deutsche Kanzler hingegen wird nicht direkt vom Bürger gewählt, sondern von den Abgeordneten im Bundestag. Es gibt keine Kanzlerwahl, sondern nur eine Parlamentswahl. Der Chef der Regierung wird also indirekt gewählt und hat dementsprechend auch nicht ganz so viel Macht wie der amerikanische Präsident. Denn, und das ist der entscheidende Punkt, der Bundeskanzler (beziehungsweise die Kanzlerin, wir benutzen solche Begriffe in diesem Buch geschlechtsneutral) kann jederzeit vom Parlament abgewählt werden, sobald sich dort die Mehrheiten ändern. In einem solchen Fall verliert der Kanzler seine Machtbasis, auch ohne dass vorher noch mal die Bürger um ihre Meinung gebeten werden. Der Bundeskanzler geht aus dem Parlament hervor und ist auch selbst Parlamentsabgeordneter. Manchmal wollen die Kanzler das auch deutlich machen und setzen sich nicht auf die Regierungsbank, sondern ins Plenum, wie die einfachen Abgeordneten. Der amerikanische Präsident hat noch nicht mal einen Stuhl im Parlament. Dafür ist er aber vier Jahre sicher im Amt und kann sich direkt auf den Volkswillen stützen. Er braucht deshalb zum Beispiel auch keine Koalitionspartner, die ihm ständig das Leben schwermachen. Er ist unabhängiger. Aber auch US-Präsidenten müssen mit Einschränkungen leben. Denn es gibt ja nicht nur die Präsidentschaftswahlen, sondern auch noch Parlamentswahlen. Und da kann es passieren, dass im Parlament (dem Kongress) die Opposition die Mehrheit der Sitze erringt. Wenn das geschieht, ist es mit dem schönen Durchregieren auch vorbei. Denn alle Gesetze allein machen oder Geld ausgeben, so viel er will, darf auch ein US-Präsident nicht. Außerdem ist die Amtszeit des amerikanischen Präsidenten begrenzt. Er darf höchstens zweimal ins Weiße Haus einziehen, danach ist Schluss. Deutscher Kanzler hingegen kann man bleiben, so lange das Volk es will, sogar sechzehn Jahre am Stück, wie Helmut Kohl. Die größere Macht des US-Präsidenten wird also zeitlich eingeschränkt. Der deutsche Bundeskanzler ist weniger mächtig, dafür kann er theoretisch ewig regieren.

Kluges Regieren: Sollten nur Philosophen Könige werden?

Mit der Demokratie angefangen haben wohl wirklich die Griechen, allerdings durften damals nur alle männlichen Vollbürger Athens wählen – Sklaven und Ausländer also nicht, und Frauen ebenso wenig! Philosophen wie Aristoteles (384–322 v. Chr.) fürchteten damals allerdings, diese Demokratie würde zu einer Herrschaft der Armen führen, die aus reiner Not nur an sich denken und nicht an das, was allen nützt.

Wegen dieser Gefahr kam man schnell darauf, dass es wichtig ist, allen Menschen einen gewissen Lebensstandard zu sichern – denn nur wer frei und unabhängig ist und nicht in Not, kann über den eigenen Tellerrand hinaussehen. Außerdem zeigte sich: Je mehr die Menschen wussten, desto besser fielen ihre Entscheidungen aus. Bis heute zählen aus diesen Gründen die Sicherung eines sozialen Mindeststandards und die Bildung zu den Kernaufgaben einer demokratischen Gesellschaft.

Ein anderer bedeutender griechischer Philosoph, Platon (427–347 v. Chr.), vertrat wiederum die Idee, dass nur Philosophen Könige werden dürften. Und nur wer gebildet genug war, sollte das Wahlrecht haben. Doch wie grenzt man das ab? Ab wann ist man schlau genug? Und terrorisieren dann nicht die angeblich Klugen die weniger Klugen, die vielleicht einfach nur das Pech hatten, dass sie zu arm waren, um auf eine gute Schule zu gehen? Wer vertritt ihre Interessen? Und überhaupt: Sind dümmere Menschen weniger wert? Demokratie ist nur dann die Herrschaft des Volkes, wenn die gesamte Bevölkerung gleichermaßen daran beteiligt sein kann. Unabhängig davon, wie gebildet jemand ist, wer wie viel Geld verdient, welche Hautfarbe er hat usw. So ist der kluge Grieche Platon ein gutes Beispiel dafür, dass das Gutgemeinte, vermeintlich Plausible und Einfache schnell in totalitärer Unterdrückung enden kann.

Auch die Römische Republik wies demokratische Elemente auf, aber in den Jahrhunderten danach war erst mal endgültig Schluss: Das Mittelalter hindurch wurde in Europa von Königen geherrscht – wie im Märchen. Allerdings waren die Lebensumstände für die allermeisten Menschen keineswegs märchenhaft, sondern hart. Erst um 1650 kam die Idee wieder auf, dass die Bürger vielleicht da und dort ein Wörtchen mitzureden hätten. Zu den Vordenkern jener Zeit gehörten unter anderen zwei Franzosen, Jean-Jacques Rousseau (1712–1778)und Charles Montesquieu (1689–1755), und der Engländer John Locke (1632–1704). Man sprach über einen Gesellschaftsvertrag und über die Gewaltenteilung in Legislative, Judikative und Exekutive. Das heißt: Wer ein Gesetz erlässt (Legislative), darf nicht gleichzeitig darüber richten, ob jemand das Gesetz gebrochen hat (Judikative), und eine dritte Stelle muss gegebenenfalls die Strafe durchsetzen (Exekutive). Diese drei Stationen kontrollieren sich gegenseitig, und diese Gewaltenteilung soll Missbrauch und Ungerechtigkeit verhindern. Ein weiterer Grund für die Gewaltentrennung ist, dass jedes Opfer die Sache persönlich nimmt und deshalb gern besonders streng strafen will. So kann aber keine allgemeingültige Gerechtigkeit entstehen, deshalb dürfen zum Beispiel Richter nicht direkt von einem Streitfall betroffen sein (»befangen« in der Juristensprache). Aus demselben Grund ist Selbstjustiz verboten. Strafe soll keine persönliche Rache sein.

Welchen entscheidenden Vorteil eine Demokratie hat und warum der ganze Aufwand sich lohnt, erklärt der englische Philosoph Karl R. Popper (1902–1994) so: »Jede Regierung, die man wieder loswerden kann, hat einen starken Anreiz, sich so zu verhalten, dass man mit ihr zufrieden ist. Und dieser Anreiz fällt weg, wenn die Regierung weiß, dass man sie nicht so leicht loswerden kann.«

Der britische Philosoph John Locke billigte der Bevölkerung sogar ein »Recht auf Rebellion« zu, wenn die Regierung nicht wenigstens Leben, Freiheit und Eigentum ihrer Bürger schützt. Er ging außerdem davon aus, dass die Menschen nicht in einem »rechtsfreien Raum« leben wollen, weil dann jeder mit jedem im Krieg stünde, sondern viel lieber in einer einigermaßen stabilen Gemeinschaft. Sinnvollerweise sollte man die Regeln des Miteinanders in einem »Gesellschaftsvertrag« festlegen. Locke verstand dies in erster Linie nicht als konkretes Schriftstück, sondern als eine politische Hypothese, eine Art Gedankenspiel. Vieles von dem, was er sich dachte, ist in den heutigen demokratischen Staaten der Standard.

Auch deshalb heißt es in unserem Grundgesetz in Artikel 20: »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.«

Wie demokratisch es in einem Land wirklich zugeht, lässt sich vor allem daran ablesen, mit welcher Selbstverständlichkeit Wahlniederlagen akzeptiert werden. Wenn also eine abgewählte Regierung umgehend und klaglos die Paläste räumt, statt sich an die Macht zu klammern und das Militär zu Hilfe zu rufen. So wie auch die Opposition nicht über »Wahlfälschung« klagt und zur Revolte aufruft, wenn sie es nicht geschafft hat, die Regierung abzulösen. Wenn also Regierungswechsel etwas Normales sind und friedlich ablaufen, ist dies ein sicheres Zeichen dafür, dass dieser Staat tatsächlich ein demokratischer ist.

Demokratie sagt aber zunächst nur etwas darüber aus, wie eine Regierung an die Macht kommt. Ein demokratischer Staat ist nicht automatisch das, was wir unter einem freiheitlichen Rechtsstaat verstehen. Die Mehrheit kann sich ja auch demokratisch dafür entscheiden, eine Regierung zu wählen, die Freiheitsrechte einschränken will. Als beispielsweise die Palästinenser im Gaza-Streifen mehrheitlich die radikale Hamas wählten, war das ein demokratischer Vorgang.

Ein untrügliches Zeichen für den Freiheitsgrad in einer Demokratie ist neben der Gewaltenteilung die Pressefreiheit. Wenn Journalisten völlig angstfrei kritische Kommentare schreiben oder politische Karikaturisten pointiert zeichnen können, ist das ein guter Beleg dafür, dass diese Gesellschaft auch eine freiheitliche Demokratie ist. Es gibt genug sogenannte Demokratien, in denen formell zwar Wahlen abgehalten werden, Kritik an den Regierenden aber nicht erwünscht ist. Papier ist geduldig. Auch das Papier, auf dem Verfassungen stehen. Wer wissen will, wie es wirklich um einen Staat steht, schaut sich deshalb diese drei Punkte an: selbstverständliche Regierungswechsel, unabhängige Gerichte und Pressefreiheit. Da zeigt sich die Wahrheit hinter demokratischen Fassaden.

Wie hätten Sie’s denn gern? – Regierungsformen im Vergleich

Aktuell sind die drei gängigsten Regierungsformen Demokratie, Diktatur und Monarchie. Es gibt auch Mischformen und Varianten. In jeder dieser politischen Hüllen können jedoch verschiedene politische Ansichten umgesetzt werden. Die Bundesrepublik Deutschland ist laut Grundgesetz ein »demokratischer und sozialer Bundesstaat«. Das bedeutet: 1. Es wird demokratisch gewählt, 2. es gelten soziale Grundsätze (den Ärmsten wird geholfen), 3. es gibt Bundesländer mit eigenen demokratischen Strukturen, die zu einem Bundesstaat zusammengefasst sind; es gibt also nicht nur eine oberste Bundesregierung, sondern darunter auch Landesregierungen, die jeweils für die Bürger in einer bestimmten Region zuständig sind.

Insgesamt ist die Zufriedenheit von Menschen, die in einer echten Demokratie leben, am größten. Aber was genau definiert eigentlich einen Staat? Dieses Wort ist zur Abwechslung mal nicht aus dem Griechischen abgeleitet, sondern stammt aus dem Lateinischen: status bedeutet Zustand. Dem Italiener Niccolò Macchiavelli (1469–1527) verdanken wir eine der ersten Definitionen für Staat: Ausgehend von einem ziemlich pessimistischen Menschenbild, ist für Macchiavelli der Staatsbegriff untrennbar verbunden mit der Herrschaftsfrage, also mit Machtgewinn und Machterhalt. Aufgabe des Herrschenden ist es, den Staat (seinen Machtbereich) gegen alle inneren und äußeren Feinde zu verteidigen. Ein wichtiger Bestandteil dieser Macht ist der Staatsapparat (zum Beispiel mit der Polizei), der Regeln durchsetzt. Heute verwendet man zur Definition eine »Drei-Elemente-Lehre«: Ein Staat braucht ein Volk, ein Land (Staatsgebiet) und eine handlungsfähige Regierung.

In den meisten Staaten wird versucht, gezielt bestimmte politische Vorstellungen umzusetzen. Die wichtigsten sind

Kapitalismus beziehungsweise Marktwirtschaft: Im Kapitalismus herrscht viel Freiheit, vor allem die absolute »Vertragsfreiheit«, es gilt das Recht auf Privateigentum, und jeder darf mit jedem Handel treiben, kaufen und verkaufen, was er will. Der Einzelne entscheidet. Anders als im Kommunismus oder Sozialismus, wo der Staat vorgibt, was gekauft wird und wer welche Arbeit macht. Im Kapitalismus darf man reich werden, im Kommunismus darf keiner reich sein. Der Nachteil im Kapitalismus ist, dass auch jeder jeden ausbeuten darf, wenn der andere das mit sich machen lässt. Die Einkommen können deshalb sehr ungleich verteilt sein, manche Bürger werden reich, andere arm. Der Kapitalismus ist (in meist abgemilderter, kontrollierter Form) die derzeit weltweit vorherrschende Wirtschaftsform. Kommunismus: klassenlose Gesellschaft ohne Privateigentum an den Produktionsmitteln. Maschinen, Fabriken oder Land gehören also allen gemeinsam und werden auch gemeinsam genutzt. Alle erhalten den gleichen Lohn, egal, was man leistet. Es soll keine Ungleichheiten geben. Der Staat verteilt Einkommen, Arbeit und Güter. Es herrscht Planwirtschaft statt Marktwirtschaft. Aus dem Versuch, kommunistische Theorien umzusetzen, sind meist Unterdrückerstaaten entstanden (zum Beispiel Sowjetunion, China). Aber dass Ausbeutung und Wucher heute bei uns verboten sind und Reichtum nicht über alles geht, lässt sich ebenfalls auf diese Überlegungen und den Wunsch nach Fairness für alle zurückführen. Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten im Ostblock schien der Kommunismus erst mal ziemlich out zu sein. In letzter Zeit feiern Marx & Co aber wieder eine Art Comeback. Denn die Grundfragen nach Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sind in unserer Welt eben nach wie vor unbeantwortet. Dass Kommunismus in der Realität bislang nie gut funktioniert hat, könnte daran liegen, dass er die menschliche Natur nicht nimmt, wie sie ist, sondern sie lieber ändern will. Die meisten Menschen besitzen gerne schöne Dinge und möchten belohnt werden, wenn sie besser arbeiten und fleißiger sind als andere. Da Kommunismus und Sozialismus diese sehr menschlichen, aber auch sehr egoistischen Bedürfnisse unterdrücken beziehungsweise einen »sozialistischen Menschen« formen möchten, führt das meist zu Gängelung, was wiederum Kreativität und wirtschaftliche Leistungbereitschaft bremst. Überzeugte Kommunisten hingegen meinen, die Theorie sei eben noch nie richtig in die Praxis umgesetzt worden. Lustigerweise behaupten das auf der anderen Seite auch die sogenannten Marktradikalen (überzeugte Marktwirtschaftler) vom Kapitalismus. Auch der habe in der Praxis nur deshalb immer wieder zu Ungerechtigkeiten, Arbeitslosigkeit und Armut geführt, weil er nie konsequent umgesetzt worden sei, sondern sich doch überall Politiker einmischen, den Markt »verzerren« und damit selbst genau jene Missstände hervorrufen, die sie später lauthals kritisieren. So »richtig« umsetzen, lässt sich offenbar beides nicht, weder der reine Kapitalismus noch der reine Kommunismus. Marxismus: Karl Marx (1818–1883) hat (zusammen mit Friedrich Engels 1820–1895) im 19. Jahrhundert versucht, eine Art Handbuch zur Umsetzung der kommunistischen Theorie zu entwickeln, »Das kommunistische Manifest«. Marx und Engels unterschieden zwischen Proletariat (den Arbeitern) und Bourgeoisie (den Besitzenden) und verlangten die Verstaatlichung allen Privateigentums. Der Marxismus ist also eine Art Bastelanleitung für einen kommunistischen Staat. Sozialismus: Die Grundwerte des Sozialismus sind Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität (»Brüderlichkeit«) – sie dürfen allerdings im Rahmen dieser Theorie notfalls auch mit Gewalt durchgesetzt werden, um die Feinde des Sozialismus zu bekämpfen. Das kann dann leicht zu einem diktatorischen System führen. Im Sozialismus sollen materiell alle gleichgestellt sein, keiner soll mehr haben als andere. Kapital muss deshalb verstaatlicht werden, denn solange es in den Händen profitgieriger Privatpersonen ist, wird es immer ungleich und damit aus sozialistischer Sicht ungerecht verteilt sein. Während es im Liberalismus um den Einzelnen geht, betont der Sozialismus die Gruppe, das »Kollektiv«. Die sozialistische Bewegung entstand vor allem aus Protest gegen die brutale Ausbeutung der Arbeiter im 18. und 19. Jahrhundert. Stark vereinfacht kann man sagen: Der Kommunismus ist ein angestrebter (End-)Zustand, der Sozialismus ist der staatlich vorgegebene Weg dorthin. Die Unterschiede zwischen Kommunismus, Marxismus und Sozialismus sind fließend beziehungsweise umstritten. Die volkswirtschaftlichen Probleme, die mit umfassender Verstaatlichung und Staatslenkung einhergehen, sind meist immens. In der Praxis scheint der Sozialismus noch am ehesten finanzierbar, wenn das Land über eine produktionsunabhängige Einkommensquelle verfügt, wie zum Beispiel Venezuela mit seinen reichen Erdölvorkommen. Neu im Mix: Kommunismus + Marktwirtschaft

Lange waren Politologen der Ansicht, dass marktwirtschaftliche Systeme nur in Verbindung mit freiheitlicher Demokratie möglich sind. Weil nur freie Individuen kreativ genug sind, um erfolgreiche Unternehmer zu sein. Weil Handelsfreiheit auch politische Freiheit voraussetzt. Weil Menschen, die Geld verdienen, selbstbewusst werden und als steuerzahlendes Bürgertum politisch mitreden wollen. Soweit die Theorie, für die nach wie vor vieles spricht, historisch gesehen. Wenn man sich allerdings das heutige China ansieht, können einem Zweifel kommen. Dort verbindet sich der Kommunismus mit dem Kapitalismus, und obwohl die Chinesen Unternehmen gründen, freien Handel treiben und reich werden können, haben sie keine politische Freiheit und können die regierende Staatspartei auch nicht abwählen. Vielleicht geschieht das eines Tages noch, und der ganze Prozess dauert nur länger als gedacht. Aber darauf wetten kann man zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Das ist eine ziemlich interessante Entwicklung – und eine ziemlich beunruhigende, weil hier das Einmaleins der (westlichen) politischen Philosophie in Frage gestellt wird.

Weitere politische Strömungen, die meist auch von politischen Parteien vertreten werden, sind

Sozialdemokratie: demokratische Variante des Sozialismus. Der Versuch, eine möglichst freiheitliche und zugleich sozial gerechte Gesellschaft zu bilden. Dazu wird keine gewaltsame Revolution der Arbeiterklasse angestrebt, sondern gesellschaftliche Reformen sollen ans Ziel führen. Im Gegensatz zu den Sozialisten finden Sozialdemokraten auch die Marktwirtschaft prinzipiell richtig, solange sie sozial gestaltet wird. Seit ihrem Parteitag 1959 fordern die deutschen Sozialdemokraten auch nicht mehr die Verstaatlichung von Produktionsmitteln.Konservatismus: Konservative wollen die Dinge bewahren, so wie sie sind und wie sie sich aus langen Traditionen heraus entwickelt haben. Der Konservatismus entstand als Reaktion auf die liberalen Revolutionen im 18. Jahrhundert. Heutzutage ist aber auch die oft als »konservativ« bezeichnete CDU Veränderungen gegenüber aufgeschlossen, andererseits wollen Bündnis 90/Die Grünen vieles erhalten beziehungsweise schützen und können insofern auch als konservative Kraft angesehen werden.Liberalismus: Hat die größtmögliche Freiheit des Einzelnen zum Ziel. Das Aufkommen des Liberalismus hat in Europa zu ähnlich großen politischen Umwälzungen geführt wie die Entstehung des Sozialismus. Die Liberalen haben bereits im 17. und 18. Jahrhundert auf die Menschenrechte gepocht. Denn sie gehen davon aus, dass jeder einzelne Mensch Rechte hat und nicht nur Teil einer Gruppe (eines Kollektivs) ist. Problem dabei: Dem Liberalismus wird vorgeworfen, dass er alle benachteiligt, die nicht stark genug sind, sich um sich selbst zu kümmern. Er begünstigt somit die Starken. Der Liberalismus ist eng verbunden mit der Marktwirtschaft. Der Schutz des Privateigentums war für die Liberalen dabei ursprünglich Ausdruck von persönlicher Freiheit und hatte gar nichts mit Wirtschaftspolitik zu tun Nationalismus: Die Vorstellung, mit anderen Staaten und Völkern in Konkurrenz zu stehen, verbunden mit dem Wunsch, sich von ihnen abzugrenzen und ihnen überlegen zu sein. Damit einher geht oft der Wunsch, dass innerhalb der Grenzen eines Staates auch nur die ursprünglich dort heimischen Menschen leben. So kommt es zu Forderungen wie »Deutschland den Deutschen«. Nationalistische Strömungen entstehen oft vor dem Hintergrund wirtschaftlicher und sozialer Probleme, für die Schuldige (»Sündenböcke«)gesucht werden. Die finden sich dann gern im Ausland oder bei gesellschaftlichen Minderheiten im eigenen Land.Nationalsozialismus: Verbindet eine rassistische Form des Nationalismus mit dem Antikapitalismus der Sozialisten. Längst ist die Vorstellung, dass es überlegene menschliche Rassen gibt (»Herrenmenschen«), wissenschaftlich widerlegt. Aber leider ist sie auch heute noch anzutreffen. In Hitler-Deutschland ging damit vor allem ein vernichtender Hass auf die Juden einher, der »Antisemitismus«, der zur Ermordung von sechs Millionen Juden führte. Da viele Juden sehr gebildet und wohlhabend waren, haben die Nazis sich dabei gleich die jüdischen Vermögen unter den Nagel gerissen. Zugleich gehört zum Nationalsozialismus der Anspruch des Staates, alles, auch das Private, zu regeln (selbst die Frage, wer wen heiraten und wer mit wem Kinder bekommen darf). Faschismus: Jede Form von Null-Toleranz-Überzeugung (der Nationalsozialismus ist zum Beispiel faschistisch). Man ist so überzeugt von etwas, dass man es um jeden Preis durchsetzen will und daher jeden verfolgen muss, der nicht mitmacht. Dazu gehört auch, Menschen zu ermorden, die einem im Weg stehen, – und man ist der Ansicht, damit sogar etwas Gutes zu tun: für Volk und Vaterland oder für Gott und Allah. Außerdem gibt es noch den Anarchismus, den jedoch kein Staat will – denn er ist das Gegenkonzept zum Staat: Anarchie ist der Versuch, ganz ohne »Herrschaftsstrukturen« zu leben, also frei und gleich, aber doch sozial. Etwa nach dem Motto: Einer für alle, alle für einen – aber ohne dies zu organisieren oder Regeln festzuschreiben. Eigentlich eine tolle Idee, klappt aber in der Praxis nicht. Jedenfalls nicht in großen Gruppen. Wird manchmal in besetzten Häusern versucht, funktioniert aber auch da meist nicht lange. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Aber generell kann man sagen: Die Natur des Menschen macht solchen Wunschvorstellungen immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Im Grunde sind die Vorstellungen der Anarchisten radikalliberal, denn sie wollen, dass jeder total frei ist. Das wäre aber nur möglich, wenn alle Beteiligten sehr nette und selbstlose Menschen sind und alle mehr oder weniger das Gleiche wollen und mögen.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an einen Besuch in der vierten Klasse einer Grundschule. Die Lehrerin hatte mit den kleinen Schülern angefangen, über Politik zu reden, und nun kam ich als »Promi-Gast« und sollte Fragen beantworten. Wir sprachen über dies und jenes, und irgendwann fragte ich: »Was glaubt ihr denn, was passiert, wenn es keine Regierung gibt, keine Regeln und auch keine Polizei, die dafür sorgt, dass sie eingehalten werden? Wenn jeder machen darf, was er will? Wer setzt sich dann durch?« Ich wollte eigentlich darauf hinaus, dass sich am Ende mit hoher Wahrscheinlichkeit derjenige durchsetzt, der am besten hauen kann, »Faustrecht« also; das fand ich schon durchaus anspruchsvoll für 9-Jährige. Es schnellte dann aber das Fingerchen einer Schülerin hoch, die den mit Abstand klügsten Kommentar zum Thema »Anarchie« formulierte: »Dann gewinnt der, der am meisten Geld hat.« Dem ist wenig hinzuzufügen.

Und wie läuft es bei Königs?

Und dann gibt es ja noch die europäischen Länder mit Königshäusern – offiziell Monarchien, faktisch aber Demokratien. Ein Gutes haben Königshäuser auf alle Fälle für die Klatschblätter: Gala, Bunte & Co. wären ohne die Royals nur halb so dick. Aber was hat das Volk davon? Das kommt ganz darauf an. Denn es gibt drei Formen der Monarchie, von denen aber nur zwei in Europa vertreten sind.

Unbeschränkte MonarchieKonstitutionelle MonarchieParlamentarische Monarchie

»L’État, c’est moi« (»Der Staat bin ich«) soll im 17. Jahrhundert der französische »Sonnenkönig« Ludwig XIV. gesagt haben. So ist das in einer unbeschränkten, absoluten Monarchie. Einer herrscht – durch Gottes Gnade –, alle anderen sind Untertanen. Diese Herrschaftsform ist selten geworden, weil die meisten Menschen mitbekommen haben, wie ungerecht das ist. Solche Regierungsformen gibt es nur noch in Swasiland, Brunei, Saudi-Arabien und in ein paar anderen arabischen Kleinstaaten am Persischen Golf. Und, nicht zu vergessen: im Vatikan. Der Vatikanstaat ist formell auch eine absolute Monarchie mit dem Papst als gottgewolltem, uneingeschränktem Herrscher. Mit dem Unterschied, dass im Vatikan keine unterdrückten Untertanen leben, die dort hineingeboren wurden. Wer sich der absoluten Monarchie des kleinen Vatikanstaats unterwirft, tut dies aus Glaubensgründen freiwillig. Mit anderen absoluten Monarchien lässt sich das also nicht vergleichen.

Die beiden anderen Monarchie-Typen sind im Grunde demokratisch – der König hat nur noch mittelviel bis wenig zu sagen. Er übt dann bloß noch repräsentative Funktion bei Staatsbesuchen aus oder eröffnet formell die erste Parlamentssitzung nach einer Wahl. In einer konstitutionellen Monarchie setzt eine Verfassung dem König zwar Grenzen, aber er bestimmt immer noch die Regierung. Oder schmeißt sie raus, wenn sie ihm nicht passt. So war es im deutschen Kaiserreich (1871–1918). Einige Herrscher haben auch heute noch die entsprechenden Rechte, üben sie aber nicht aus. Würden sie es versuchen, käme es wahrscheinlich schnell zur Abschaffung der Monarchie. Das gilt in Europa für Liechtenstein, Großbritannien, Luxemburg und Norwegen.

Diese Länder sind somit im Wesentlichen auch parlamentarische Monarchien, so wie Belgien, die Niederlande, Dänemark, Schweden und Spanien. Dort wird gewählt wie bei uns, ein Parlament tritt zusammen und regiert, und der König darf an hohen Feiertagen mal winken und wird gut bezahlt. Moderne Monarchien kann man also als Demokratien ansehen, die sich mit einem König als hübschem Beiwerk garnieren.

Vorteile von Monarchien

König oder Königin werden von Kindesbeinen an auf das Amt vorbereitet, sie wissen, wie man das Land elegant repräsentiert und sicher auf diplomatischem Parkett auftritt.Der Herrscher muss kein Parteimitglied sein, sondern kann unparteiisch das Volk vertreten.Parlamentsmitglieder wechseln, der König bleibt. Das bringt Ruhe ins Geschäft. Oft sind erfahrene Könige auch gute Ratgeber für die wechselnden Regierungen.Könige stehen für Geschichte und Tradition, auf die das Volk stolz ist, sie personifizieren sozusagen den nationalen Zusammenhalt.Könige können ein Land attraktiver machen: Was wäre England ohne den Buckingham Palace?

Nachteile von Monarchien

Die Macht des Königs (so gering sie auch sein mag) kann missbraucht werden.Unfähige Könige kann man nicht abwählen.Nicht jeder kann König werden, denn die Aufgabe wird vererbt; das ist eigentlich ungerecht.Könige und ihre adelige Verwandtschaft kosten die Steuerzahler viel Geld.

Weitere (unerfreuliche) Herrschaftsformen

Diktatorische und autokratische Systeme: Sie sind das Gegenstück zur Demokratie. Nicht das Volk legitimiert eine Regierung, sondern sie legitimiert sich aus sich selbst heraus. Der Begriff Autokratie kommt auch mal wieder aus dem Griechischen und bedeutet Selbstherrschaft. Es gibt keine Gewaltenteilung oder andere Einschränkungen für die Herrschenden. Eine absolute Monarchie ist eine Autokratie. Und auch die Diktatur ist eine Unterform der Autokratie. Während sich der absolute Monarch zumindest noch an ein »göttliches« Recht und überlieferte Traditionen gebunden fühlt, ist der Diktator gänzlich frei in seiner Herrschaftsausübung, er führt Gesetze ein, wie er will, und formt die Gesellschaft nach seinem Gutdünken. Eine Autokratie schließt aber nicht aus, dass es Wahlen gibt, manipulierte Schein-Wahlen, bei denen die Bürger nicht wirklich frei entscheiden können oder eine freie Auswahl haben. Ein Diktator kommt häufig über einen Staatsstreich, also mit Gewalt, an die Regierung. Er kann aber auch ganz legitim aus demokratischen Wahlen hervorgehen, so wie Adolf Hitler, und dann nach und nach die Demokratie abschaffen und zur Diktatur umformen.Noch ein Begriff sollte hier genannt werden: der Totalitarismus, der mit modernen Autokratien häufig einhergeht. Der Nationalsozialismus in Deutschland war ein solches totalitäres System. Während eine autoritäre Diktatur dem Einzelnen noch eine gewisse Privatsphäre und Freiheit zugesteht (zum Beispiel bei der Ausübung seiner Religion oder der Entscheidung, wen man heiratet und wie man seine Kinder erzieht), will die totalitäre Diktatur das Individuum in all seinen Lebensbereichen komplett unterwerfen. Dafür werden Propaganda und Terror eingesetzt. Selbst die Gedanken sind dann nicht mehr frei. Während es dem autoritären Herrscher meist »nur« um Machtausübung und Machterhalt geht (Gehorsam und Treue der Untertanen), will der totalitäre Herrscher seine Untertanen zu neuen Menschen formen, zum sowjetischen Menschen zum Beispiel. Der Totalitarismus geht mit einer zielgerichteten Ideologie einher.

Man spricht hier auch von totalitären und autoritären Regimen. Regime kommt aus dem Lateinischen (regimen) und heißt so viel wie Lenkung. Im Prinzip ist Regime also nur ein anderer Begriff für Regierung. Er wird heutzutage aber wertend verwendet, nämlich abwertend. Man spricht von einem Regime statt von einer Regierung, um deutlich zu machen, dass diese Regierung ihre Macht missbraucht, dem Volk Freiheitsrechte entzieht und nicht demokratisch kontrolliert wird. Etwa wenn eine Regierung durch einen Putsch an die Macht gekommen ist. Und auch bei klassischen Diktaturen, wie zum Beispiel in Nordkorea, ist in unseren Nachrichtensendungen häufig von einem Regime die Rede.

Wie viel Freiheit darf’s denn sein?

Bei allen Regierungsformen stoßen immer wieder zwei Kriterien aufeinander – die Freiheit des Einzelnen und das Wohl der Gemeinschaft. Toll wäre natürlich, wenn jeder Einzelne will, was auch für die anderen gut ist. Aber oft ist die beste Lösung für einen persönlich eben nicht die beste für alle. Mittlerweile hat sich der Standard etabliert, dass man eine Art Kosten-Nutzen-Rechnung aufmacht: Ist der Nachteil oder die Einschränkung für jemanden gering im Verhältnis zum Nutzen für alle – oder ist der Nutzen für die Allgemeinheit gering und die Einschränkung für den Einzelnen sehr hoch oder zu grundsätzlich? Das muss gegeneinander abgewogen werden, und zwar oft zunächst abstrakt und prinzipiell (zum Beispiel als Gesetz), dann aber auch im konkreten Einzelfall (notfalls vor Gericht; so werden manchmal Gesetze zu Fall gebracht).

Aufgrund dieser ewigen Klemme erscheint der Liberalismus so verlockend. Ich darf tun, was ich will, und alle anderen dürfen das auch – jeder kümmert sich um seinen eigenen Kram, solange man sich nicht gegenseitig stört. Das simple principle, das einfache Prinzip, das der Brite John Stuart Mill (1806–1873), wichtigster liberaler Vordenker im 19. Jahrhundert, beschrieben hat, besagt: »Meine Freiheit endet dort, wo deine Freiheit anfängt.« Was im Einzelfall aber oft ganz schön schwer zu entscheiden ist. Dieses Prinzip grenzt auf jeden Fall die Rechte des Staates ein. Der darf nur dann in die Freiheit des Einzelnen eingreifen, wenn derjenige mit seinen Verhaltensweisen andere ernstlich schädigt. Vereinfacht gesagt: Wenn jemand sich betrinken will – bitte schön, seine Sache. Wenn er dann betrunken Auto fährt, darf der Staat eingreifen, um andere zu schützen. Man kann aber auch der (nicht-liberalen) Ansicht sein, dass überhaupt keiner Alkohol trinken sollte, weil das ungesund und selbstzerstörerisch ist. So kommt es zum Beispiel zu den Nichtrauchergesetzen – während der Staat sich zugleich über die Tabaksteuer freut. Rauchen grundsätzlich zu verbieten (wie harte Drogen, etwa Heroin), wäre aus aktueller Sicht ein zu großer Eingriff in die Freiheit des Individuums. Die Menschen aber überall rauchen zu lassen, im Flugzeug oder im Büro, schadet den anderen. Zugleich hat der Staat hier so eine Art Lehreraufgabe wahrgenommen: Wir erlauben dir zwar, zu rauchen, aber wir ermutigen dich nicht dazu, sondern machen es eher schwer, weil es dir auch als Einzelnem schadet. Ob der Staat als Kümmerer und Erzieher zu weit geht, wenn er sogar dem rauchenden Wirt in der Eckkneipe verbietet, ein Raucherlokal zu führen, darüber lässt sich trefflich streiten. Wie »paternalistisch« der Staat auftritt, ist eben auch Ansichtssache und muss immer wieder neu verhandelt werden.

So viel zur Politik. Und was ist ein Politikum? Die Begriffe werden häufig gleichgesetzt, so wie viele Leute meinen, Technik und Technologie seien dasselbe. Dabei ist Technik eben Technik, und Technologie ist die Wissenschaft von der Technik. Und ein Politikum ist keine Politik, sondern meist das Gegenteil: Es ist ein Ereignis oder Thema, das meist plötzlich im Zentrum einer politischen Debatte steht. Zum Beispiel macht ein Politiker eine unbedachte, überspitzte Äußerung, die vielen Leuten aufstößt – und schon ist ein Politikum daraus geworden.

Und wie halten wir es mit der Religion?

Die christliche Kirche hat Ungläubige, vermeintliche Abweichler und Kritiker ans Kreuz genagelt, blutige Kreuzzüge geführt und angebliche Hexen verbrannt. Im Namen Allahs werden Terroranschläge begangen, Schwestern ermordet, Menschen gesteinigt. Scientology tarnt sich zum Verkauf ebenso teurer wie fragwürdiger Gehirnwäschekurse als »Kirche«.

Religion kann also durchaus eine gefährliche Sache sein, wenn die Menschen sie benutzen, um damit andere zu unterdrücken und ihre Taten zu rechtfertigen. Und zwar in einer Weise, dass man darüber nicht mal diskutieren kann – denn Religion ist ja Glaubenssache. Also gibt es aus der Perspektive religiöser Radikaler nur die Gläubigen und die Ungläubigen.

Der säkulare Staat zeichnet sich dadurch aus, dass Religion und Staat getrennt werden, dass also nicht eine bestimmte Religion regiert. Das Verhältnis von Staat und Kirche ist aber nicht leicht zu entwirren, denn die europäische Kultur basiert ja tatsächlich weitgehend auf christlichen Werten. Auch wenn die sich gar nicht so sehr von den Grundwerten der anderen Weltreligionen unterscheiden.

Religion und Politik zu trennen, wurde erstmals nach der Französischen Revolution (1789–1799) beschlossen. Dabei ging es nicht darum, den Glauben zu verdammen – er sollte einfach nur Privatsache werden. Der Staat hatte sich in allen Bereichen allen seinen Bürgern gegenüber neutral zu verhalten. Das musste dann logischerweise auch für die Religion gelten. Keiner sollte gestört werden, weder bei der Ausübung seines Glaubens noch durch den Glauben eines anderen. Niemand sollte zwangsbekehrt werden. Diese Prinzipien erwuchsen auch aus der Erfahrung, dass über viele Jahrhunderte hinweg im Namen der Religion Kriege geführt wurden – der Dreißigjährige Krieg in Deutschland zum Beispiel, zwischen Katholiken und Protestanten, entvölkerte ganze Landstriche und kostete allein in Süddeutschland zwei Drittel der Bevölkerung das Leben.

In Deutschland wurde die Trennung von Kirche und Staat 1919 vollzogen, allerdings nicht besonders strikt. In vielen Schulen und Gerichten hängen Kreuze, der Staat berechnet und kassiert die Kirchensteuer. Nicht-christliche Symbole (wie das islamische Kopftuch) werden im Staatsdienst hingegen ungern gesehen. Lange gab es nur christlichen Religionsunterricht, mittlerweile auch islamischen – und heftige Diskussionen, ob staatliche Schulen überhaupt in Glaubensfragen tätig sein sollten.

Lohnt es sich überhaupt, wählen zu gehen?

Kommt es auf meine eine Stimme an? Und wen soll man wählen, wenn keine Partei genau das verspricht, was man selber will? Das sind vernünftige Fragen!

Die Grundidee einer Demokratie ist, dass niemand die eigenen Interessen besser vertreten kann als man selbst. Demokratie bedeutet aber auch, dass man sich auch den Ansichten anderer Leute beugen muss. Es geht also darum, die eigenen Interessen mit denen anderer in ein Gleichgewicht zu bringen. Am Ende wird keiner alles durchsetzen können, was er gern hätte, aber jeder war an der Entscheidung beteiligt. Mahatma Gandhi, der legendäre Führer der indischen Freiheitsbewegung, hat dazu gesagt: »Unter Demokratie verstehe ich, dass sie dem Schwächsten die gleichen Rechte einräumt wie dem Stärksten.«

Doch wenn zu wenige Leute wählen gehen, hat eine Regierung natürlich ein Problem. Warum sollten sich Menschen von ihr vertreten fühlen, die nicht wenigstens versucht haben, das Wahlergebnis zu beeinflussen? Wir Wähler vergeben diese Jobs, und wir bezahlen die Politiker mit unserem Steuergeld. Da sollten wir uns doch eigentlich auch anschauen, mit wem wir es zu tun haben. Viele Leute nehmen sich gerne viel Zeit, um die Gebrauchsanweisung für eine neue Spielkonsole sorgfältig zu studieren – einen Wahlzettel auszufüllen oder gar ein Wahlprogramm zu lesen, erscheint hingegen vielen als Zeitverschwendung. Tatsächlich ist die »Partei« der Nichtwähler inzwischen oft die größte Partei. Was vielen Nichtwählern jedoch nicht bewusst ist: Wenn man zu Hause bleibt, beeinflusst man trotzdem das Ergebnis. Wer sich zum Beispiel als »eher SPD« bezeichnet und zu Hause bleibt, sorgt damit möglicherweise dafür, dass die CDU gewinnt, was dann ja vermutlich noch weniger das Ergebnis ist, das dieser Nichtwähler eigentlich wollte. Denn die Wahlergebnisse fallen manchmal ganz anders aus als erwartet – und am Ende ist es vielleicht doch die eigene Stimme, die über Sieg oder Niederlage entscheidet. Unionskandidat Edmund Stoiber zum Beispiel war im September 2002 überzeugt, dass er Bundeskanzler geworden sei. Er kündigte gut gelaunt und unfreiwillig komisch an, er werde jetzt »ein Glas Champagner aufmachen«. Als er am nächsten Morgen aufwachte, kam allerdings echte Katerstimmung auf – denn er war gar nicht Bundeskanzler, sondern ganz knapp gescheitert. Ihm fehlten nur ein paar tausend Stimmen. Was wirklich wenig ist bei insgesamt 48 Millionen abgegebenen Stimmen. Auch die Wahl zum US-Präsidenten 2004 war extrem knapp. Letztlich gaben ein paar Kartoffelbauern in Ohio den Ausschlag. Man kann also vorher nie wissen, ob die eigene Stimme nicht doch die entscheidende ist; auch deshalb lohnt es sich, wählen zu gehen.

Hinzu kommt: Meist sind es die »ganz normalen Menschen«, die nicht wählen gehen; Leute mit extremen Ansichten, die extreme Parteien wählen, üben ihr Wahlrecht dagegen mit mehr Begeisterung aus. Das heißt, wer zur großen Mitte der Bevölkerung eines Landes gehört, stärkt durch die Nicht-Wahl statistisch die kleineren Rand- oder Splitterparteien. Wählen gehen ist insofern ein Recht, das zu nutzen sich lohnt, um sicherzugehen, dass man es nicht eines Tages verliert, weil Extremisten ans Ruder gekommen sind.

Immer wieder diskutiert wird auch, wer wählen darf (aktives Wahlrecht), und wer sich wählen lassen darf (passives Wahlrecht).

Wenn kluge, gutherzige Menschen Entscheidungen treffen, ist das natürlich viel besser, als wenn bösartige, dumme Menschen das tun. Eben deshalb kam Platon auf die Idee, dass es gut wäre, wenn nur die Klügsten wählen und nur die Allerklügsten gewählt werden dürfen.

Aber: Diejenigen, die nicht so klug sind, haben ja auch Rechte, und die würden dann vielleicht nicht berücksichtigt. Deshalb müssen eben alle wählen dürfen, und alle müssen sich wählen lassen dürfen. Früher hat man gedacht, wer reich und/oder adlig ist, ist auch klug; deshalb zählten die Stimmen von Reichen und Adligen mehr. Aber ist man wirklich klug, nur weil man viel Geld hat? Nein. Außerdem war man ja auch lange Zeit der Meinung, Frauen sollten lieber nicht wählen, selbst dann nicht, wenn sie reich und adlig sind. Offenbar können sich die Kriterien, wen man für klug genug hält und wen nicht, im Laufe der Zeit gründlich ändern …

Und warum dürfen Kinder nicht wählen? Eine gewisse Klugheitsgrenze gibt’s halt doch. Denn entweder könnten alle wählen (dann hat auch ein gestern geborener Säugling eine Stimme), oder man zieht irgendwo eine Altersgrenze. Man kann darüber diskutieren, ob junge Menschen mit 14, 16, 18 oder 21 wählen sollen – doch dass nicht jedes Kindergartenkind persönlich irgendwo ein krakeliges Kreuzchen machen darf, ist leicht nachzuvollziehen. Aber könnten die Eltern nicht für die Kinder wählen? Theoretisch schon – aber wie soll man wissen, ob sie die Stimme im Interesse des Kindes abgeben und nicht im eigenen? Man kann das bei geheimen Wahlen nicht kontrollieren. Und ein Stellvertreter-Wahlrecht wäre so, als würde das Wahlrecht für Frauen darin bestehen, dass ihre Männer eine Stimme mehr abgeben dürfen. Darum hat man entschieden, dass Eltern nicht für ihre Kinder mitwählen sollen.

Wer sich politisch zu Wort melden will, kann das trotzdem lange vor der Volljährigkeit: Die meisten Jugendorganisationen großer Parteien nehmen Mitglieder ab vierzehn auf – vorher, hat die Erfahrung gezeigt, ist das Interesse sowieso gering.

Wozu brauchen wir Parteien?

Über den Parteienstaat ist schon oft geklagt worden, der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker warf den politischen Parteien sogar vor, sie seien »machtversessen und machtvergessen«. Weil sie sich wie Kraken im Staat ausbreiten und nicht die Lösung von Problemen, sondern ihren eigenen Machterhalt und Machtzuwachs als wichtigste Aufgabe ansehen. Tatsächlich lässt sich am Gebaren der Parteien, an der Art, wie sie Personal auswählen, taktieren und schachern, scharfe Kritik üben. Ärgerlich ist vor allem, wenn bei Sachfragen politische Positionen offensichtlich nur deshalb eingenommen werden, um den politischen Gegner auszubremsen, obwohl die angebotene Lösung eigentlich vernünftig und gut fürs Land wäre. Oder wenn jemand ein Amt bekleidet, weil er in der richtigen Partei ist, und nicht, weil er oder sie die beste Qualifikation für den Job hat. Selbst Schuldirektoren-Posten werden hierzulande oft nach Parteibuch vergeben. Diese Maßlosigkeit, mit der die Parteien in die Verwaltung hineinregieren, sorgt zunehmend für Verdruss. Dass beispielsweise im öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ZDF ein Chefredakteur verhindert wurde, den der Sender selbst als Chef behalten wollte, CDU und CSU aber nicht mehr, hat für große Empörung gesorgt.

Nur – was wäre die Republik ohne Parteien? Sie bieten in der Demokratie erhebliche Vorteile, ohne sie geht es im Grunde gar nicht.

Zunächst mal müssen wir dank der Parteien nicht jeden Politiker persönlich kennen und uns ein Urteil über seine Ansichten bilden; wir können davon ausgehen, wer für eine Partei kandidiert, vertritt ihre Positionen. Das erleichtert die Wahlentscheidung ungemein. Und es kontrolliert diejenigen, die wir wählen. Sollte ein Bundeskanzler sich urplötzlich vom Programm seiner Partei komplett abkoppeln, wären er oder sie nicht mehr lange im Kanzleramt.

Das Parteiensystem entstand vor etwa 300 Jahren in England. Anfangs waren die Parteien nur lockere Zusammenschlüsse von Unterstützern einzelner Kandidaten. Eine richtige Struktur mit hauptberuflichen und bezahlten Mitarbeitern bildete sich erst später. Rechtlich sind Parteien meist Vereine, weil das eine gute Organisationsform für Zusammenschlüsse von vielen Leuten ist.

Welche Funktionen die Parteien haben und an welche Regeln sie sich halten müssen, ist in Deutschland im Grundgesetz und im Parteiengesetz geregelt. Danach haben sie im Wesentlichen vier Funktionen:

Sie wirken bei der politischen Willensbildung mit;sie vermitteln zwischen Staat und Volk;sie beeinflussen die Regierungsbildung;sie formulieren politische Ziele.