Nachts im Kanzleramt - Marietta Slomka - E-Book
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Nachts im Kanzleramt E-Book

Marietta Slomka

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Beschreibung

Verständlich, witzig, kenntnisreich: ein Politikbuch für Einsteiger und Fortgeschrittene. Der SPIEGEL-Nr.1-Bestseller von Star-Journalistin Marietta Slomka. Lohnt es sich überhaupt, wählen oder demonstrieren zu gehen? Ist der Rechtsstaat gerecht? Wer sind die wirklich Einflussreichen in Berlin? Und warum tagen Politiker oft bis in die frühen Morgenstunden? Die Vermittlung komplizierter Sachverhalte für ein breites Publikum ist Marietta Slomkas Beruf. In "Nachts im Kanzleramt" erklärt sie unterhaltsam und gut gelaunt, wie Politik tatsächlich funktioniert. Sie nimmt ihre Leser mit auf eine Reise von den Grundlagen der Demokratie bis zu den großen Fragen der Weltpolitik und liefert dabei immer wieder praktische Beispiele, die den Politikbetrieb erklären – von Pandemiebekämpfung bis Greenwashing. Nebenbei bietet sie einen »Schnellkurs Wirtschaft« und Einblicke in die heutige Medienwelt. Wer dieses Buch gelesen hat, ist fit für jede politische Debatte!  »Politik zu beobachten, kann sehr viel Spaß machen, aber es ist wie beim Fußball: Je mehr man weiß, desto interessanter wird es.« Marietta Slomka - Die bekannte heute journal-Moderatorin (ZDF) erklärt, wie Politik funktioniert - Informativ, locker geschrieben, mit vielen Anekdoten und Schlüsselloch-Einblicken: das Politikbuch zum Mitreden - Ein junges Buch für die Themen von heute - für Einsteiger und Fortgeschrittene - Mit zahlreichen Cartoons von Mario Lars

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Seitenzahl: 409

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Marietta Slomka

Nachts im Kanzleramt

Alles, was man schon immer über Politik wissen wollte

Mit Cartoons von Mario Lars

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Koalitionsverhandlungen, Klimawandel, Coronakrise: Politik ist überall. Wer aber Zusammenhänge verstehen, den täglichen Nachrichten folgen oder gar das Geschehen beeinflussen will, muss wissen, wie Politik funktioniert, was sie bewirkt, wo sie scheitert und warum.

Die bekannte ZDF-Nachrichtenmoderatorin Marietta Slomka kennt sich mit dem deutschen Politikbetrieb bestens aus. Viele politische Ereignisse begleitet sie journalistisch aus großer Nähe. In diesem Buch erklärt sie die wichtigsten Grundlagen der Politik. Was sind die Voraussetzungen einer funktionierenden Demokratie? Warum wird um politische Entscheidungen so oft bis in die frühen Morgenstunden gerungen? Welchen Nutzen hat die Europäische Union? Was für Wechselwirkungen gibt es zwischen Politik und Wirtschaft? Und welche Rolle spielen bei all dem die Medien?

Marietta Slomka zeigt, wie Politik gemacht wird und was man wissen muss, um sie zu verstehen. Sie erklärt, was Politikerinnen und Politiker tun, wie politische Institutionen arbeiten, und verbindet dies mit spannenden Einblicken in den politischen Alltag. Schnell, kenntnisreich und mit jener Prise Ironie, die man auch aus ihren TV-Interviews kennt, bietet sie Gedankenfutter für alle Generationen.

Inhaltsübersicht

Widmung

Vorwort

1. Kapitel

Wählen und Demonstrieren: Lohnt sich das?

Warum wurde die Demokratie erfunden?

Regiert werden: Muss das überhaupt sein?

Darf’s ein bisschen mehr sein? Das Menü der Staatsformen

Parteien: Braucht man die oder können die weg?

Auf dem Rechtsweg

Was macht Populisten so populär?

Vom respektvollen Umgang miteinander

2. Kapitel

Wahlkampf für Anfänger und Fortgeschrittene

Deutsches Wahlrecht: Zwei Stimmen zu vergeben

Jetzt wird regiert!

Das Kanzleramt: Die Todeszone der Politik

Der Bundestag: Im Fegefeuer der Fraktionen

Föderalismus: 16 Deutschländer

Von unten nach oben: Die Pyramide der Macht

Ein bisschen königlich: Die Bundespräsidenten

3. Kapitel

Pressefreiheit geht alle an

Was kommt in die Nachrichten?

Medienmacht: Eine vierte Gewalt?

Inside Berlin: Wie viel Nähe ist okay?

Fake News, Desinformation und andere Wahrheiten

4. Kapitel

Willkommen im Kapitalismus

Dreimal Wirtschaft: mit und ohne Plan

Geld regiert die Welt

Wie ein Staat wirtschaftet

5. Kapitel

Ein Staatenbund ohne Grenzen

Chancen und Grenzen der Freiheit

6. Kapitel

Die großen Fragen der Menschheit

Hier trifft sich die Welt: Die Vereinten Nationen

Klimawandel: Alle in einem Boot

Welthandel und Globalisierung

Nachteile der Globalisierung

Vorteile der Globalisierung

Nachwort

Für Sevi, Livia und Bakiye

Vorwort

In der Politik leben seltsame Wesen, sie sind nachtaktiv wie Fledermäuse. Nachts im Kanzleramt ist manchmal genauso viel los wie in Berliner Klubs. Doch die politischen Fledermäuse hängen tagsüber nicht schlafend in ihren Höhlen, sondern tauchen schon frühmorgens wieder in den Morgenmagazinen der Fernsehsender auf und abends im heute journal. Dazwischen sind sie in Bundestag oder Ministerien, in Meetings und Wahlkreisen, auf Parteitagen oder Social Media unterwegs. Wenn man schon tagsüber so viel zu tun hat, warum dann auch noch lange Nachtsitzungen in Berlin oder Brüssel? Dafür gibt es Gründe. So wie es Gründe gibt, warum Politik oft nicht so »liefert«, wie sich das viele Menschen wünschen. Darum wird es in diesem Buch gehen.

Wer dieses Buch gelesen hat, sieht politische Debatten mit anderen Augen. Jedenfalls wünsche ich mir das. Das Buch schaut hinter Kulissen, übersetzt Insidervokabeln und macht sattelfest in vielen der Begriffe, die im Politbetrieb ständig fallen. Politik zu beobachten, kann sehr viel Spaß machen, aber es ist wie beim Fußball: Je mehr man weiß, desto interessanter wird es. Abseitsfalle, Viererkette? Gibt es in der Politik auch. Genauso spannend ist, wie über Politik berichtet wird. Was kommt in die Nachrichten und wie erkennt man Fake News? Außerdem gibt es einen Schnellkurs Wirtschaft. Regiert Geld tatsächlich die Welt – und bei wie viel Grad wäscht man es? Wie misst man die »soziale Gerechtigkeit«, von der ständig die Rede ist? Auch Wirtschaft ist kein trockener Stoff, sondern oft großes Drama.

Leidenschaftlich über Politik und Wirtschaft zu streiten, ist etwas, woran ich schon als Jugendliche Spaß hatte. Bei uns zu Hause war da immer viel los. Meine Eltern und ihre Freunde veranstalteten zu Bundestagswahlen private »Wahlpartys«. Jeder gab eine Prognose ab, und wer am nächsten dran war am Endergebnis, gewann einen Preis. Es wurde viel und fröhlich diskutiert. Damals gab es in Westdeutschland nur drei Parteien im Bundestag und viele Stammwähler. Ich erinnere mich, wie mein Vater und sein Freund diskutierten, der eine war CDU, der andere SPD. Da wurde gestritten und gespottet, aber immer freundschaftlich und witzig. Ich habe Politik als Wettbewerb kennengelernt, nicht als Vernichtungsfeldzug. Dass Menschen kaum noch miteinander reden können, weil sie verschiedenen politischen Lagern angehören, empfinde ich als keine gute Entwicklung. Ich glaube, dass Demokratie Streit und Kritik braucht und erträgt, solange man sich über die Grundwerte einig ist. Aber was sind diese Grundwerte und woher kommen sie? Damit geht’s los – im ersten Kapitel.

1. Kapitel

Demokratie: Hurra, wir sind die Mehrheit!

Wählen und Demonstrieren: Lohnt sich das?

Kommt es auf meine Stimme an? Der Kandidat war sich sicher: Er ist der neue Bundeskanzler. Ein berauschender Moment. Nach Monaten harten Wahlkampfs und kurzer Nächte dieses irre Gefühl, es geschafft zu haben. Hinein ins Kanzleramt! Vor lauter Aufregung kündigte ein strahlender Edmund Stoiber an, dass er »bald ein Glas Champagner aufmachen« werde. Das war unfreiwillig komisch formuliert. Wirklich blöd war: Stunden später, um Mitternacht, zur Geisterstunde also, sah der CSU-Mann Stoiber ein rotes Gespenst. Als alle Stimmen ausgezählt waren, hatte die gegnerische SPD ihn überholt. Kalte Dusche statt Sekt-Fontäne. Seine Union hatte rund sechstausend (Zweit-)Stimmen weniger als die SPD. Was wirklich superwenig ist bei den insgesamt 48 Millionen Menschen, die damals gewählt hatten. Stoiber war ziemlich fassungslos. Dieses Drama ereignete sich im Jahr 2002, ist aber kein seltener Einzelfall: Bei der Bundestagswahl 2021 war das Rennen zwischen SPD und Union auch so eng, dass am Wahlabend noch offenblieb, wer am Ende das Kanzleramt besetzt. Es kann wirklich auf ganz wenige Stimmen ankommen …

 

Wahlrecht: Wer darf in Deutschland wählen? Im deutschen Grundgesetz steht, dass Wahlen allgemein, frei, unmittelbar, gleich und geheim sein müssen. Allgemein: Jeder Erwachsene darf wählen. Frei: Man wird vor und während der Wahl nicht eingeschüchtert und übrigens auch nicht gezwungen zu wählen. Unmittelbar: Die Abgeordneten werden direkt in die Parlamente gewählt, man gibt als Wähler seine Stimme nicht an »Wahlmänner« oder »-frauen« ab. Gleich: Jede Stimme zählt gleich viel. Geheim: Es darf einem dabei keiner über die Schulter sehen. Ob man vorher oder danach erzählt, für wen man gestimmt hat, ist einem selbst überlassen. In der Wahlkabine jedoch muss man ganz allein sein, und der Wahlzettel ist anonym. Das ist wirklich wichtig, weil sonst nicht garantiert ist, dass man sich bei seiner Entscheidung vollkommen frei fühlt.

Aber warum erst ab 18? Über die Altersgrenze wird immer wieder diskutiert. In einigen Bundesländern kann man auch schon ab 16 Jahren bei Kommunal- und Landtagswahlen mitmachen. Ein Argument dafür ist: Mit 16 endet die allgemeine Schulpflicht; Jugendliche, die dann eine Lehre machen, verdienen schon eigenes Geld. Deshalb sollten sie auch Mitsprache haben, wie mit Steuergeldern umgegangen wird. Bei Bundestagswahlen ist das Wahlrecht bislang an die Volljährigkeit gekoppelt. Das Hauptargument dafür: Wer juristisch für sich selbst Verantwortung übernehmen muss, darf auch mitentscheiden, wer die Gesetze macht.

Dass ein Kleinkind kein krakeliges Kreuz machen dürfen sollte, ist natürlich klar. Aber könnten nicht die Eltern für ihr Kind entscheiden? Diesen Vorschlag gibt es tatsächlich: Eltern sollen mehr Stimmen bekommen und damit das Wahlrecht ihrer Kinder wahrnehmen. Aber wie ist dann gesichert, dass die Eltern auch im Sinne ihres Kindes entscheiden? Vielleicht wählen sie ja nicht die Partei, die schönere Schulen bauen will, sondern eine, die für die Wiedereinführung der Prügelstrafe ist? Außerdem wäre die Wahl dann nicht mehr »unmittelbar«, denn Kinder würden ihre Stimme an Stellvertreter abtreten und noch nicht mal gefragt, ob sie das überhaupt wollen. Ob nun ab 16 oder ab 18: Schade ist, dass die Wahlbeteiligung bei jüngeren Wahlberechtigten generell niedriger ist als bei den älteren. Von denen es außerdem auch noch viel mehr gibt. Deshalb schaut die Politik auch eher auf die Interessen älterer Menschen, da ist für sie mehr zu holen.

Man unterscheidet noch zwischen aktivem Wahlrecht (wer wählen darf) und passivem Wahlrecht (wer sich zur Wahl stellen darf). In Deutschland muss man dafür auch mindestens 18 sein. Bundespräsident oder -präsidentin darf man aber erst ab 40 werden. Gut, wenn man noch Ziele hat! Außerdem braucht man fürs Wählen wie fürs Gewähltwerden die deutsche Staatsbürgerschaft. Für Kommunalwahlen genügt die EU-Bürgerschaft. Eine Französin oder ein Pole darf also zum Beispiel zur Gemeinderatswahl, wenn sie oder er in dieser Gemeinde wohnt.

 

Nichtwähler wählen auch. Wer gar keine Stimme abgibt, trägt eventuell dazu bei, dass dann die an die Macht kommen, die man am allerwenigsten wollte. Dann bitte nicht meckern! Wenn Millionen denken, dass es auf sie nicht ankommt, kann das auch dazu führen, dass radikale Parteien einen höheren Stimmenanteil bekommen. Wer nämlich extrem drauf ist, ist auch extrem motiviert, wählen zu gehen. Das kann dann Wahlergebnisse beeinflussen: Die »Irgendwas in der Mitte«-Leute bleiben träge zu Hause, die Hardcore-Typen hingegen laufen eifrig ins Wahllokal.

 

Demos und Bürgerprotest: Bringt das was? Wählen gehen lohnt sich also. Und demonstrieren? Das lohnt sich auch, vielleicht sogar noch mehr, weil man damit an vielen Tagen zwischen Wahlterminen Druck machen kann. Dies gilt natürlich für alle: für die jugendlichen Klimaschützer von »Fridays for Future« genauso wie für »Klimaleugner«. Die antirassistische »Black Lives Matter«-Bewegung nimmt das Demonstrationsrecht genauso für sich in Anspruch wie die rassistischen »Identitären«. Dass Menschen, die man furchtbar findet, das gleiche Recht dazu haben wie man selbst, ist für manche schwer auszuhalten.

Große Demonstrationen können große Wirkung erzielen. Auch weil die Anliegen einer Protestbewegung von den bestehenden Parteien oft aufgegriffen werden. Wenn Politiker merken, hui, das Thema bewegt viele Menschen, schauen sie genauer hin. Könnte ja sonst passieren, dass sie einen Trend nicht mitkriegen und Wähler verlieren oder junge Menschen (künftige Wähler also) gar nicht erst für sich gewinnen. Umweltschutz zum Beispiel ist heute in den Programmen fast aller Parteien verankert. In den 1970er-Jahren wurden Umweltschützer von vielen noch verständnislos belächelt. Und wer hätte gedacht, dass eine schwedische Schülerin namens Greta Thunberg mit ihrem Einsatz für Klimaschutz zu einem Weltstar wird? Neben Demos gibt es noch andere Möglichkeiten, politischen Druck auszuüben: Der Jurastudent Max Schrems aus Österreich legte sich mit großen Internetkonzernen wie Facebook und Microsoft an, indem er erfolgreich gegen sie klagte. Und er gründete eine Organisation, die sich für mehr Datenschutz einsetzt.

Wer die Welt verändern will, braucht einen langen Atem. Manchmal dauert es wirklich verdammt lang. Beispiel Frauenbewegung: Schon 1791 forderten in Frankreich Frauen, dass die im Zuge der Französischen Revolution erkämpften Menschenrechte auch für weibliche Menschen gelten (wer jetzt zuckt: Menschen mit »Bürgerrecht« waren ursprünglich nur Männer). Auch in anderen europäischen Ländern entwickelte sich eine Protestbewegung mit Demonstrationen, die teils ganz schön heftig verliefen. Die in Großbritannien aktiven Sufragetten (»Wahlrechtlerinnen«) beispielsweise trugen zwar altmodische Hüte, machten aber ordentlich Rabatz. In Großbritannien und Deutschland dauerte es bis 1918, bis Frauen das Wahlrecht bekamen. In Frankreich bis 1945. In der Schweiz sogar bis 1971. Ist das nicht unfassbar? Ja. Völlig unfassbar. Aber es zeigt: Bewegungen wirken. Demos können sich lohnen. Insofern: Go for it! (But go in peace …)

 

Demonstrationsrecht. In Deutschland darf sich jeder versammeln und seine Meinung kundtun. Das ist ein Grundrecht, übrigens unabhängig davon, wie alt man ist. Wenn eine Versammlung aber unter freiem Himmel stattfindet, also in der Öffentlichkeit, muss sie als Demonstration angemeldet werden, meist im Rathaus der Stadt, in der man demonstrieren will. Anmeldung heißt aber nur: Man sagt Bescheid. Dann können sich die Behörden darauf einrichten, dass eventuell ein paar Tausend Leute durch die Straßen ziehen und der Verkehr umgeleitet werden muss. Man muss aber nicht um eine Genehmigung bitten. Aufgabe der Polizei ist es, die Demonstranten zu beschützen. Wenn eine Demonstration »die öffentliche Sicherheit gefährdet«, zum Beispiel durch Randale, darf sie von der Polizei aber aufgelöst werden. Außerdem darf man sich nicht vermummen oder uniformieren und keine Waffen mit sich führen. Und wenn von vornherein klar ist, dass bei einer Demo gegen gesetzliche Auflagen verstoßen wird, kann sie auch schon vorher verboten werden. So wurden während der Coronapandemie Demos von »Coronaleugnern« verboten, weil sie vorhatten, ohne Mundschutz und Abstand zu demonstrieren.

Insider: Aufmerksamkeitsökonomie

Komischer Begriff. Kann man denn mit Aufmerksamkeit wirtschaften? Das ist tatsächlich so. Die Aufmerksamkeit anderer zu gewinnen, ist in der Politik das, was Geld in der Wirtschaft ist: Alle gieren danach. Und das gilt natürlich auch für Demonstranten und ihre Anliegen. Politikwissenschaftler haben herausgefunden: Kleine Gruppen können besser Aufmerksamkeit erzeugen als große. Sie haben ein einheitliches Interesse und organisieren sich leichter. Es demonstrieren zum Beispiel Landwirte für höhere Milchpreise, aber praktisch nie »die Milchtrinker« oder »die Steuerzahler« – sie sind zu viele und haben zu unterschiedliche Interessen. Außerdem: Wer besonders laut schreit, wird eher gehört. Die sogenannten Coronaleugner zum Beispiel waren eine kleine Minderheit. Sie bekamen aber so viel Aufmerksamkeit, dass man fast den Eindruck haben konnte, ein Großteil der Bevölkerung lehne die Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus ab. Solche Verzerrungen in der Wahrnehmung gibt es im Internet noch stärker. Wer extrem sauer ist oder zumindest extrem überzeugt und engagiert, postet viel auf Social Media oder in Kommentarspalten und nimmt gerne an Shitstorms teil. Wer nicht so leidenschaftlich angetrieben wird, hat dazu meist keine große Lust. Radikale Minderheiten bekommen so sehr viel mehr Raum …

Warum wurde die Demokratie erfunden?

Alle dürfen mitmachen. Demokratie heißt aus dem Griechischen übersetzt Volksherrschaft. Klingt super – aber »das Volk« besteht ja aus vielen. Wie wird entschieden, wer das Sagen hat und wie viel er oder sie zu sagen hat? In der griechischen Antike, als die Demokratie erfunden wurde, durften erst mal nur bestimmte Männer mitreden, etwa nur solche, die Geld hatten. Man(n) fürchtete andernfalls eine Herrschaft der Armen. Loser sollten draußen bleiben! Und Weiber auch … Der Philosoph Platon hatte dann die Idee, dass nur Philosophen Könige sein sollten. Was er damit meinte: Nur Gebildete seien klug genug, um politisch mitzubestimmen. Das erschien damals zwar als Fortschritt gegenüber prolligen Tyrannen, ist aber auch äußerst ungerecht. Ab wann ist man klug genug? Und was, wenn jemand einfach nur zu arm ist, um zur Schule gehen zu können? Am Ende ist Demokratie nur dann demokratisch, wenn wirklich alle mitbestimmen dürfen, auch die Doofen und Gemeinen. Das Gute daran ist: Wenn das Volk (mehrheitlich) merkt, dass es mit seiner Wahl einen Fehler gemacht hat, kann es ungeliebte Regierungen alle paar Jahre per Stimmzettel wieder loswerden. In einer Diktatur braucht es dafür erst eine blutige Revolution.

Nicht jede Demokratie ist demokratisch. »Die Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.« Dieser Spruch stammt von dem berühmten britischen Staatsmann Winston Churchill, der sein Land im Zweiten Weltkrieg gegen Hitler-Deutschland führte. Fun Fact: Als er das sagte, gab es weltweit gerade mal 15 demokratische Länder. Churchills Kampf war jedenfalls auch ein Kampf der Demokratie gegen die Diktatur. Menschen, die in echten Demokratien leben, sind in der Regel sehr viel zufriedener als Menschen in Unterdrückerstaaten. Wobei Mehrheitsentscheidungen allein auch nicht glücklich machen und zu demokratischen Verhältnissen führen. Beispiel Ägypten: Während des Arabischen Frühlings kämpften in der Hauptstadt Kairo vor allem junge Leute gegen den damaligen Diktator Mubarak. Sie wollten so modern und frei leben wie Menschen in Europa oder den USA. Tatsächlich wurde Mubarak 2011 gestürzt, und es gab freie Wahlen. Endlich. Doch das Ergebnis fiel nicht so aus, wie es sich die Revolutionäre erhofft hatten. Wahlsieger wurden nämlich die islamistischen Muslimbrüder, die abseits großer Städte und unter armen, ungebildeten Menschen viele Anhänger hatten. Die Muslimbrüder hatten vieles im Sinn, nur keine westlich-freiheitliche Demokratie. Demokratisch gewählt waren sie trotzdem.

 

Mehrheit ist nicht gleich Mehrheit. Wenn es in der Demokratie darum geht, dass die Mehrheit entscheidet, wo’s langgeht, sollte man sich mal näher ansehen, wie eine Mehrheit überhaupt definiert wird. Genügt es, wenn eine Partei nur eine einzige Stimme mehr bekommt? Im Prinzip ja. Das ist dann eine relative Mehrheit: Der Gewinner hat relativ mehr Stimmen, als jeder andere für sich ergattert hat (und sei es nur eine). Drei Leute sind angetreten, man schaut nur darauf, wer das beste Ergebnis hat, und das ist dann der Sieger bzw. die Siegerin.

Man kann aber auch verlangen, dass der Gewinner mehr Stimmen braucht als alle anderen Seiten zusammen. Wieder drei Kandidaten, der Gewinner hat 45 Prozent, die anderen beiden zusammen 40 Prozent (15 Prozent haben sich in diesem Beispiel der Stimme enthalten). Das nennt man einfache Mehrheit, dafür sind prozentual schon deutlich mehr der abgegebenen Stimmen erforderlich. Die nächste Stufe ist die absolute Mehrheit. Hier braucht man mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen, also 51 Prozent. Sitzen im Parlament 100 Leute, braucht man mindestens 51 Stimmen. Notfalls müssen dann für eine Mehrheit Abgeordnete zum Wählen aus dem Krankenbett gezerrt und ins Parlament geschleift werden.

Bei Entscheidungen von ganz besonderer Tragweite wird manchmal sogar eine Zweidrittelmehrheit verlangt, also müssen mindestens rund 67 Prozent dafür sein. Das ist in Deutschland bei Änderungen im Grundgesetz der Fall, wenn es also an unsere Verfassung geht. Das soll auf keinen Fall nur eine Partei oder Regierungskoalition allein entscheiden können, da müssen große Teile der Opposition mitmachen.

 

Wer kommt ins Parlament? Für politische Wahlen gibt es im Prinzip zwei Möglichkeiten: Mehrheitswahlrecht und Verhältniswahlrecht. Beim Mehrheitswahlrecht wird das Land in Wahlkreise eingeteilt, in denen es dann jeweils einen Sieger oder eine Siegerin gibt. So läuft es zum Beispiel beim »The winner takes it all«-Prinzip in Großbritannien. Vorteil: Es gibt in der Regel klare Verhältnisse. Von den beiden großen Parteien gewinnt eine und kann dann allein regieren. So sieht auch das britische Parlament aus: Das Unterhaus ist in zwei Hälften geteilt, Regierungspartei und Opposition sitzen sich frontal gegenüber. Nachteil: Die Machtfülle der Regierungspartei kann viel größer sein, als es der Stimmungslage im Volk entspricht. In vielen Wahlkreisen war der Ausgang womöglich sehr knapp, vielleicht hat die Siegerpartei nur wenig mehr als die Hälfte der Bürger hinter sich. Im Parlament hat sie trotzdem eine breite Mehrheit der Sitze und kann ihr Ding durchziehen. Außerdem gehen Stimmen für kleinere Parteien »verloren«: Man wählt tapfer ihre Kandidaten, die es aber eh nicht ins Parlament schaffen.

Deshalb haben sich viele Staaten für das Verhältniswahlrecht entschieden. Ins Parlament ziehen die Parteien entsprechend ihrer Stimmenanteile in der Gesamtbevölkerung ein. In solchen Parlamenten sitzen dann prompt viel mehr Parteien, auch kleinere, und so sind auch die Stühle angeordnet: als Kreis oder Halbkreis. Meist kann die stärkste Partei nicht alleine regieren, sondern muss eine Koalition bilden. Vorteil: Es gehen keine Stimmen verloren, und viele Wähler fühlen sich besser vertreten. Nachteil: Es ist schwieriger, eine Regierung zu bilden, die sich auf ihre Parlamentsmehrheit verlassen kann. In Deutschland gibt es eine Kombination aus Verhältniswahlrecht und Mehrheitswahlrecht. Dazu kommen wir später noch ausführlicher.

 

Selfmade-Demokratie: Volksentscheide. Das Volk muss es nicht seinen Abgeordneten überlassen, ein Gesetz zu verabschieden, sondern kann das auch direkt selbst entscheiden. Meistens geht es bei Volksentscheiden um Ja-Nein-Fragen. »Bist du für ein Rauchverbot in Kneipen?« oder »Bist du dafür, aus der Europäischen Union auszusteigen?« In der Schweiz gibt es traditionell relativ viele Volksentscheide, in Deutschland eher wenige. Sie haben Vor- und Nachteile. Vorteil: Jeder Einzelne wird gefragt und kann direkt mitgestalten. Das Ergebnis kann dann für viele eher akzeptabel sein – die Mehrheit hat halt so entschieden, das ist demokratisch, und darum muss ich das jetzt auch hinnehmen. Nachteil: Manche Themen sind extrem schwierig und haben jede Menge Risiken und Nebenwirkungen. Sich damit intensiv zu beschäftigen, kostet Zeit, erfordert viele Diskussionen und auch eine gute Portion Fachwissen. Das ist eines der Hauptargumente für die repräsentative Demokratie (man wählt Leute, die dann vier Jahre lang für einen entscheiden).

Bei Volksentscheiden gibt es oft wenig Raum für Kompromisse, sondern nur »ganz oder gar nicht«. Das kann eine Bevölkerung extrem spalten, weil sich bei engen Ergebnissen sehr viele als Verlierer fühlen. Beispiel Brexit: Die Entscheidung der Briten, aus der Europäischen Union auszutreten, war sehr knapp ausgefallen. Die Auswirkungen aber sind gewaltig und betreffen alle. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist damit unglücklich, der Konflikt hat ganze Familien entzweit und Freundschaften zerbrechen lassen. Ein weiteres Argument gegen Volksentscheide: Diejenigen, die die konkrete Frage entscheiden, sind nicht diejenigen, die das dann politisch umsetzen und dafür die Verantwortung übernehmen. Ein »Ja« oder »Nein« ist schnell angekreuzt – das Ergebnis dann zu verwirklichen sehr viel komplizierter. Das Volk kann man jedoch später nicht abwählen, wenn es eine falsche Entscheidung getroffen hat.

Regiert werden: Muss das überhaupt sein?

Dem Faustrecht keine Chance. Es gibt Leute, die finden, Regierungen sollte man besser ganz abschaffen. Anarchie in Germany! Der Anarchismus ist das Gegenmodell zu einem Staat mit Regierung. Keiner soll herrschen, alle sind total frei und gleich und teilen sich alles. Klingt verlockend, klappt aber meist nicht. Schon gar nicht in großen Gruppen oder ganzen Gesellschaften mit Millionen Menschen. Es hat immer wieder kleine Gemeinschaften gegeben, die das ausprobiert haben. Am Ende merkte man: Ganz ohne Regeln geht es nicht. Und sobald es Regeln gibt, muss man auch Wege finden, sie durchzusetzen, wenn Leute dagegen verstoßen, zum Beispiel die Bude verdrecken oder andere beklauen oder Schlimmeres. Sonst gilt schnell das Recht des Stärkeren: Wer die härtesten Fäuste hat, setzt sich durch. Oder wer am lautesten ist oder wer das meiste Geld hat. Gerecht ist das dann auch nicht.

 

Wie wird Machtmissbrauch verhindert? Wenn nun per Mehrheitsentscheid eine Regierung gewählt wurde, sollte verhindert werden, dass diese ihre Macht missbraucht, die Wahlverlierer unterdrückt und schlimmstenfalls sogar die Demokratie wieder abschafft, nach dem Motto: Danke schön für den Wahlsieg, aber jetzt weg mit diesem lästigen Demokratiekram. Das kommt in der Welt leider ziemlich häufig vor. Und ist besonders krass, wenn man bedenkt, dass Regierungen in der Regel nur einen Teil der Bevölkerung hinter sich haben. Adolf Hitler wurde anfangs auch demokratisch gewählt. Bei der letzten freien Reichstagswahl 1932, in deren Folge er erstmals Reichskanzler wurde, bekamen seine Nazis nur rund 33 Prozent der Stimmen. Das kann also schon genügen, um an die Macht zu kommen und danach die Demokratie abzuschaffen – wenn es keine starken Kräfte gibt, die das verhindern.

Kluge Philosophen haben sich schon vor Jahrhunderten Gedanken über dieses Problem gemacht. Der Engländer John Locke und der FranzoseMontesquieu entwickelten im 17. und 18. Jahrhundert die Begriffe Gesellschaftsvertrag und Gewaltenteilung. Die Grundideen dahinter gelten bis heute: Die Gesellschaft einigt sich auf einen für alle geltenden Vertrag, die Verfassung (in Deutschland: Grundgesetz). Die darf auch eine Regierung nicht einfach verändern.

Die Verfassung legt fest, welche Rechte die Bürger haben, die sie auch gegenüber Staat und Regierungen einklagen dürfen. Und sie bestimmt, wie Regierungen kontrolliert und eingeschränkt werden. Dazu wird die Macht (die »Gewalt«) geteilt. Vereinfacht gesagt: Das Parlament (Legislative) macht die Gesetze, die Regierung (Exekutive) führt sie aus und unabhängige Gerichte (Judikative) wachen darüber, dass die Gesetze eingehalten werden. Die drei Gewalten kontrollieren sich gegenseitig. Als noch absolutistische Könige herrschten, gab es diese Trennung nicht: Der oberste Herrscher war zugleich oberster Richter, und praktischerweise machte er die Gesetze auch gleich alle selbst. Niemand schränkte seine Macht ein, sie war »absolut«.

Zur Exekutive gehören neben Kanzlerinnen oder Präsidenten und ihren Ministern der ganze »Regierungsapparat« mit Ministerien und Behörden und auch Polizei und Armee. Die Judikative achtet auf die Einhaltung der Gesetze, nicht nur bei den Bürgern, sondern auch bei dem, was Regierung und Behörden tun. Und in modernen Demokratien stimmt die Legislative, also die Parlamente, nicht nur über Gesetze ab, die Abgeordneten sollen der Regierung auch auf die Finger schauen. Sie dürfen sie öffentlich befragen, und sie können Untersuchungsausschüsse einrichten, um zu überprüfen, ob Regierungsmitglieder Fehler gemacht oder gar etwas Verbotenes getan haben. Sie können sogar versuchen, eine Regierung abzusetzen – dazu später mehr.

Es gibt noch eine weitere Idee zur Begrenzung von Macht: den Föderalismus. Man teilt den Gesamtstaat in Bundesstaaten oder Bundesländer auf, mit regionalen Parlamenten und Regierungen, die eigene Befugnisse haben. Die oberste Ebene eines solchen Föderalstaats, die Bundesregierung, kann nicht einfach in allen Belangen noch des letzten Provinzkaffs durchgreifen, sondern muss sich mit den regionalen Regierungen abstimmen. So ist das ja in Deutschland oder auch in den USA. Frankreich und Großbritannien hingegen sind Beispiele für »zentralistische Staaten«. In Paris und London ballt sich viel mehr Macht als in Berlin. Allerdings gibt es auch in Frankreich Regionalregierungen und in Großbritannien einige Landesparlamente in Regionen, die den Status weitgehender Autonomie genießen, wie etwa Schottland.

Insider: Checks and Balances

Das ist die amerikanische Version der Gewaltenteilung. Die drei Staatsgewalten (Parlament, Regierung und Richter) sollen gleichgewichtig nebeneinanderstehen und sich gegenseitig ausbalancieren. In diesem System wird geprüft (»gecheckt«), ob die Regierung mit ihrer Macht verfassungsgemäß umgeht. In der Praxis ist das ziemlich kompliziert. Präsident und Parlament können sich sogar so ineinander verhaken, dass die Staatskassen vorübergehend geschlossen werden und Beamte plötzlich kein Geld mehr bekommen (»Shutdown«). Zur Gewaltenteilung in den USA gehört auch die Möglichkeit, einen Präsidenten aus dem Amt zu jagen (»Impeachment«), was ein paarmal versucht wurde, jedes Mal ohne Erfolg.

Präsidentielle oder parlamentarische Demokratie. Im Prinzip gibt es zwei Formen der demokratischen Abstimmung: Man sagt direkt, was oder wen man will. Oder man bestimmt andere, die entscheiden. Das ist dann eine indirekte oder repräsentative Demokratie. Bei uns in Deutschland läuft das so: Wir wählen Abgeordnete, und die wählen dann eine Kanzlerin oder einen Kanzler. In vielen Ländern sagt man nicht Kanzler(in), sondern Premierminister(in), diese sind aber das Gleiche: Regierungschefs, die vom Parlament gewählt werden.

In einer Präsidialdemokratie hingegen, zum Beispiel in den USA, stehen die Kandidaten direkt zur Wahl. Man spricht dort auch nicht von Parlaments- oder Bundestagswahlen, sondern von Präsidentschaftswahlen. Zwar gibt es in den USA sogenannte Wahlmänner und -frauen, die am Ende den Präsidenten wählen, das ist aber ein rein formeller Akt aus alter Tradition. Als noch der Wilde Westen herrschte und es nur Pferde und keine Autos oder Züge gab, war es praktisch, Wahlmänner zu bestimmen, die dann den langen Weg in die Hauptstadt Washington auf sich nahmen. Diese Wahlleute gibt es immer noch, sie sind aber keine Parlamentarier, sondern quasi nur Beauftragte. Insofern ist die Präsidentschaftswahl trotzdem eine Direktwahl.

Wer direkt vom Volk gewählt wird, hat mehr Macht. Denn er oder sie kann sich direkt auf das Wahlvolk berufen und während der Amtszeit kaum wieder abgesetzt werden. Er oder sie ist zugleich das Staatsoberhaupt, also höchster Vertreter des Staates. Auch das sind deutsche Kanzler oder britische Premierminister nicht. In Deutschland gibt es dafür einen Bundespräsidenten oder eine Bundespräsidentin und in Monarchien die Königin oder den König. Ein Präsident regiert weitaus unabhängiger vom Parlament. Um diese Macht dennoch zu beschränken, wird die Amtszeit in den USA auf zweimal vier Jahre begrenzt, bei französischen Präsidenten sind es zweimal fünf Jahre. Deutsche Bundeskanzler können hingegen, wie Frau Merkel, 16 Jahre und sogar länger regieren, wenn sie oder er immer wieder aufs Neue gewählt wird. Kanzler sind sich aber ihrer Macht weniger sicher, weil das Parlament sie jederzeit abwählen kann, wenn sie unter den Abgeordneten die Mehrheit verlieren. Zum Beispiel, weil ein Koalitionspartner abspringt. Dazu kommen wir später noch in diesem Buch.

 

Ohne Opposition keine Demokratie. In einer repräsentativen, parlamentarischen Demokratie wie Deutschland ist die Regierung Teil des Parlaments. Für die Gewaltenteilung hat das Folgen: Die Regierung hat die Mehrheit der Abgeordneten hinter sich und kann deshalb selbst Gesetze machen. Sie schlägt etwas vor, und das Parlament stimmt zu oder lehnt ab. Exekutive und Legislative gehen also eine Partnerschaft ein. Damit es trotzdem Gewaltenkontrolle gibt, sind nicht nur unabhängige Gerichte besonders wichtig, sondern auch eine starke Opposition, die der Regierung und den Abgeordneten der Regierungsparteien auf die Finger schaut. Sie sollte außerdem jederzeit in der Lage sein, selbst die Regierung zu übernehmen, also ständig als seriöse, professionelle Regierungsalternative zur Verfügung stehen und vom Volk auch so wahrgenommen werden. Hat man im Parlament nur einen Haufen untereinander zerstrittener Kleingrüppchen, ist das schwierig. Dann hat die Regierung leichtes Spiel, und die Gewaltenkontrolle funktioniert nicht.

In Großbritannien gibt es im Wesentlichen nur zwei Parteien. Abwechselnd regiert die eine, während die andere in der Opposition ist. Die jeweilige Oppositionspartei stellt dann immer ein Schattenkabinett auf. Sie benennt offiziell die Personen, die bei einem Regierungswechsel Verteidigungsminister, Finanzministerin usw. werden könnten. Damit zeigt sie: Wir sind allzeit bereit, haben von allem Ahnung und könnten sofort aus dem Schatten heraustreten und die Macht übernehmen.

Darf’s ein bisschen mehr sein? Das Menü der Staatsformen

Das Ich und das Wir. Ein Staat braucht eine Bevölkerung, ein Staatsgebiet und eine Regierung, die Volk und Land nach außen vertritt und eventuell auch verteidigt, falls sich andere den Staat einverleiben wollen. Schon allein dafür muss sich ein Staat finanzieren können, er braucht einen »Staatshaushalt«. Aber wie viel Staat soll’s denn sein? In was soll er sich einmischen und wo soll er die Bürger in Ruhe lassen?

Letztlich sind »der Staat« wir alle. Der Staat ist sozusagen das Wir. Der einzelne Bürger, die einzelne Bürgerin, ist das Ich. In welchem Verhältnis das Ich zum Wir steht, hängt stark davon ab, welches Welt- und Menschenbild einer Staatsform zugrunde liegt. Ob man eher das Ich (Individuum) oder das Wir (Kollektiv) betont. Wer eher individualistisch denkt, traut dem Ich zu, sein Glück selbst zu gestalten und für sich Verantwortung zu übernehmen. Die Idee dahinter: »Wenn es jedem Einzelnen gut geht, geht es auch der Gruppe gut.« Vorteil: viel Freiheit für jeden. Nachteil: Wer schwach ist, hat Pech gehabt und darf wenig Hilfe erwarten. Wer hingegen eher im Kollektiv denkt – »wenn es der Gruppe gut geht, geht es auch dem Einzelnen gut« –, wird dem Staat sehr viel mehr Raum geben. Vorteil: Der Staat sorgt für einen. Nachteil: wenig Freiheit für eigene Lebensentscheidungen. Moderne, freiheitliche Demokratien sind Mischformen: Sie wollen viel Freiheit ermöglichen, vereinbaren aber auch Regeln und Hilfen zur »sozialen Absicherung«.

 

Ein einfaches Freiheitsprinzip? Kann Freiheit grenzenlos sein? Und wenn nicht, wo endet die Freiheit eines einzelnen Menschen? Vor über 160 Jahren machte sich darüber der englische Philosoph John Stuart Mill viele Gedanken und formulierte »a simple principle«, einen einfachen Grundsatz. Die Gesellschaft soll die Freiheit des Einzelnen nur dann einschränken, wenn man mit seinen Verhaltensweisen andere schädigt. Wie immer, wenn etwas auf den ersten Blick ganz einfach und einleuchtend erscheint, wird’s auf den zweiten Blick schwierig. Wenn sich jemand betrinken will, na gut. Wenn man dann aber besoffen Auto fährt, hört der Spaß auf, da darf der Staat eingreifen – Sicherheit geht über Freiheit. Man könnte aber auch der Ansicht sein, dass Alkohol generell ungesund und selbstzerstörerisch ist und verboten werden sollte. Bei anderen, harten Drogen wird das ja zum Beispiel so gehandhabt.

Anderes Beispiel: Ist die Gurtpflicht im Auto laut John Stuart Mill als Freiheitseinschränkung angemessen oder nicht? Man gefährdet doch nur sich selbst? Aber die Zahl der Verkehrstoten und Schwerverletzten ist seit ihrer Einführung gesunken – was auch die Kosten der Krankenkassen senkt. Aber gibt es nicht auch ein Recht auf Selbstgefährdung? Wie viel Sicherheit muss sein, wie viel Freiheit darf sein? Muss der Staat Menschen auch vor sich selbst schützen, so wie Eltern manches durchsetzen, was ihre Kinder nicht einsehen, aber objektiv gut für sie ist (zur Schule gehen, ausreichend Schlaf, nicht nur Schokolade essen)? Darüber darf jetzt jeder selber nachdenken. Freiheit ist Diskussion!

 

Die wichtigsten »Ismen«. Für fast jede Weltanschauung, Idee und Ideologie gibt es einen »-ismus«. Die Frage, wie viel Ich oder Wir es in einem Staat geben soll, hängt eng damit zusammen, wie man miteinander wirtschaften will. Der Liberalismus, der stark aufs Ich setzt, ist verbunden mit dem Kapitalismus bzw. der Marktwirtschaft. Dort herrscht viel Freiheit für den Einzelnen, es gibt das Recht auf Privateigentum, man darf seinen Arbeitsplatz frei wählen (muss aber auch einen finden …), Unternehmen gründen und mit jedem Handel treiben. Im Kommunismus hingegen bestimmt der Staat, was gekauft wird oder wer welche Arbeit macht (Planwirtschaft). Im Kapitalismus darf man reich werden, im Kommunismus darf keiner reich sein. Nachteil Kapitalismus: Menschen können ausgebeutet werden, die Unterschiede zwischen Arm und Reich können extrem sein, es gibt große Ungerechtigkeiten. Im Kommunismus gibt es kein Privateigentum. Maschinen, Fabriken, Ackerflächen gehören dem Staat oder dem Kollektiv. Alle erhalten den gleichen Lohn, egal wie viel oder gut sie arbeiten. Auch Wohnungen werden zugeteilt. Nachteil: keine Freiheit für den Einzelnen, wenig Chance, sich als Individuum zu entfalten oder mit mehr Leistung auch mehr Wohlstand zu erlangen.

Aus dem Versuch, kommunistische Theorien umzusetzen, sind bislang immer Unterdrückerstaaten entstanden, und wirtschaftlich lief es leider auch nicht gut. Außerdem besteht die Gefahr, dass einige »gleicher sind« als andere: Leute, die der Regierung nahestehen, gute Kontakte haben, können sich dann zum Beispiel doch größere Wohnungen besorgen oder hübschere Waren aus dem kapitalistischen Ausland. Die Theorien für den Kommunismus lieferte vor allem der Philosoph Karl Marx, darum spricht man auch von Marxismus. Marx hat zwischen zwei Gesellschaftsklassen unterschieden, dem Proletariat (besitzlose Arbeiterklasse) und der Bourgeoisie (Bürger, die Besitz haben).

Der Sozialismus ist in der ursprünglichen Theorie eine Art Zwischenstufe zum Kommunismus. Die »klassenlose Gesellschaft« ist noch nicht verwirklicht, man befindet sich noch auf dem Weg dorthin. Der Sozialismus will Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Dazu darf auch zu drastischen Mitteln gegriffen werden, zum Beispiel Menschen zu enteignen, ihnen also ihren Privatbesitz wegzunehmen. Notfalls darf Gewalt angewendet werden, um die kommunistischen Ideale zu verwirklichen. In Deutschland ist der Begriff »Sozialismus« belastet, weil viele ihn mit der Diktatur der sozialistischen DDR verbinden. In anderen Ländern wird das entspannter gesehen, da heißen Parteien noch traditionell »sozialistisch«, obwohl sie eher sozialdemokratisch sind. Die (deutschen) Sozialdemokraten unterscheiden sich von den Kommunisten und Sozialisten dadurch, dass sie keine gewaltsame Revolution wollen, sondern Reformen, um einen »demokratischen Sozialismus« zu erreichen.

 

Anti-Demokraten. Freiheitlichen Demokratien stehen die Staatsformen Diktatur und Autokratie gegenüber. In der Diktatur bestimmt nur eine Person (Diktator) oder eine einzige Partei (Einparteienherrschaft). Der Diktator behauptet, dass er den wahren Volkswillen verkörpert. Wer sich gegen ihn auflehnt, ist daher eine Gefahr für alle, ein »Volksfeind«. Die Gefängnisse sind voll mit (als »Terroristen« diffamierten) politischen Häftlingen, die dort nur sitzen, weil sie es gewagt haben, die Regierung zu kritisieren. So läuft das zum Beispiel in China. Nennt sich zwar »Volksrepublik«, das Volk hat aber wenig zu sagen und wird in seinen individuellen Freiheiten stark gegängelt. In China schreibt der Staat sogar vor, an welchen Wochentagen und wie lange Minderjährige Videospiele spielen dürfen. Autokratien stehen zwischen Demokratie und Diktatur. In der Autokratie gibt es nach wie vor allgemeingültige Gesetze und demokratische Wahlen, während in der Diktatur der Diktator selbst das Gesetz ist. Autokraten werden gewählt, Diktatoren hingegen kommen oft durch einen Staatsstreich oder Militärputsch an die Macht.

Diktaturen sind sehr gewalttätige Staatsformen, die nicht davor zurückschrecken, Bürger des eigenen Landes in großer Zahl in Lager zu stecken und auch umzubringen. Vor solchen Massenmorden schrecken Autokraten zurück. Sie gehen zwar auch hart gegen Kritiker vor und lassen manche vielleicht sogar heimlich ermorden, aber das Töten von Gegnern oder, wie in der DDR, von »Republikflüchtlingen« gehört nicht zur offiziellen Staatspolitik, und sie betreiben auch keine systematischen Völkermorde, wie das zum Beispiel Hitler tat. Autokraten wollen von einer Mehrheit des Volkes durchaus gemocht und nicht gehasst werden. Faustregel: Ein Autokrat kann zumindest theoretisch abgewählt werden, ein Diktator nicht. Manche Diktaturen lassen zwar Wahlen stattfinden. Echte Auswahl hat man da aber nicht – und gerne wird auch einfach Wahlbetrug gemacht, damit das Ergebnis stimmt. Üblicherweise bekommen die Diktatoren oder ihre herrschenden Parteien Traumergebnisse von mindestens 90 Prozent der Stimmen. Übrigens: In der Regel nennen sich solche Staaten selbst nicht Diktaturen. Sie finden hübschere Begriffe dafür, zum Beispiel »Demokratische Volksrepublik Nordkorea«. Wo das »Volk« so besonders betont wird, ist meist eh Misstrauen angesagt …

Ein anderer Begriff für Autokratie ist der »autoritär regierte Staat«. Autoritäre Regierungen bzw. Autokratien präsentieren sich zwar wie eine Demokratie, es gibt zum Beispiel freie Wahlen, und auch Oppositionsparteien sind erlaubt, aber die Staatsführung sorgt dafür, dass keiner übermütig wird und ihre Macht zu sehr infrage stellt. Die Gewaltenteilung wird untergraben, etwa indem die Regierung die Unabhängigkeit der Gerichte attackiert und Richter einsetzt, die ihr genehm sind. Auch die Pressefreiheit wird beschnitten, kritische Journalisten werden eingeschüchtert. Weil »autoritär« nicht so schön klingt, prägte der ungarische Regierungschef Viktor Orbán ein anderes Wort dafür: illiberale Demokratie. Autokratien werden oft als »Scheindemokratien« bezeichnet. Sie tun nach außen so, als seien sie demokratisch, sind es aber nur noch teilweise.

 

Noch ein Ismus: Faschismus. Faschistisch zu sein heißt, eine Nulltoleranz-Überzeugung zu haben: Man steht so zu seiner Idee und dessen Zielen, dass einem jedes Mittel zur Durchsetzung recht ist. Auch Mord und Totschlag. Abweichende Meinungen sind für Faschisten nicht möglich. Minderheiten müssen unterdrückt oder besser noch ganz beseitigt werden. Dazu wird ein Feindbild geschaffen: eine gesellschaftliche Gruppe, die angeblich die Mehrheit bedroht und allen schadet.

Der Begriff Faschismus stammt ursprünglich aus dem Italienischen, »Fascio« heißt übersetzt »der Bund« und bezeichnete die verbündeten Anhänger des späteren Diktators Benito Mussolini. Der wiederum verbündete sich mit Adolf Hitler, das passte gut zusammen. Mit dem Faschismus geht meist auch ein Führerkult einher, das heißt, dass eine Person regelrecht angebetet wird. Der deutsche Nationalsozialismus war das Paradebeispiel für eine faschistische Bewegung. Er verband rassistischen Nationalismus mit Judenhass. Am Ende waren ein Weltkrieg angezettelt und sechs Millionen Juden ermordet. Bilanz des Krieges: Bis zu 80 Millionen Todesopfer, und große Teile Europas lagen in Schutt und Asche.

Da der Faschismus in Europa eng mit den Nationalsozialisten verbunden wird, sind mit dem Begriff »Faschisten« oft Rechtsextreme gemeint. Die heutige Antifa etwa sieht sich explizit als eine Gruppe, die gegen rechts kämpft. Es gab aber auch linksextreme Regierungen, die faschistische Methoden anwendeten, zum Beispiel der chinesische Diktator Mao Tse-tung. Er war Kommunist und gründete 1949 die Volksrepublik China. Während seiner jahrzehntelangen Herrschaft wurden Millionen Menschen eingesperrt, »umerzogen« und getötet. Für viele Politikwissenschaftler ist »Faschismus« insofern ein Begriff, der beschreibt, wie unterdrückt wird, und weniger, welche Gesinnung jeweils dahintersteht. Andere lehnen das ab, weil man damit den barbarischen Rassenhass und die industrielle Vernichtung der Juden in Hitler-Deutschland auf eine Stufe mit anderen Diktaturen stelle.

Insider: Totalitarismus

Wenn Extremisten an die Macht kommen, wird der Staat zwangsläufig totalitär. Totalitarismus ist ein Oberbegriff für alles, was keine Kritik, keine Abweichler und keine individuellen Freiheiten zulässt. Faschistische Staaten sind immer totalitär. Totalitarismus greift tief ins Privatleben der Bürgerinnen und Bürger ein. Denn es geht um totale Herrschaft. Am besten bis in die Gedanken jedes Einzelnen hinein. Totalitarismus ist daher meist mit bestimmten Ideologien verbunden.

Old School: Die Monarchie. Die Monarchie als Staatsform kann beides sein, Diktatur oder Demokratie. In früheren Jahrhunderten waren Könige und Kaiser in der Regel Diktatoren mit absoluter Macht. Nachdem die ersten Könige und Königinnen vom Volk geköpft wurden, änderte sich das. Landesherren erließen Verfassungen und herrschten weiter im Rahmen einer konstitutionellen Monarchie. Manche Länder wie Deutschland schafften die Monarchie später ganz ab, als sie zu Demokratien wurden.

Andere Staaten bewahrten sich ihre Königshäuser, beschnitten aber die Rechte der Könige. Die meisten Königreiche sind heute nur noch parlamentarische Monarchien, in denen die gekrönten Häupter nicht mehr viel zu sagen haben. Sie sind eher wie Notare, die Urkunden unterschreiben. Das kann auch die Ernennung neu gewählter Regierungschefs sein, was aber nicht heißt, dass sie das ablehnen dürften, weil ihnen eine Nase nicht passt. Die Könige haben vor allem die Aufgabe, den Staat und seine Geschichte zu repräsentieren, sie empfangen ausländische Gäste, eröffnen Museen, engagieren sich für gute Zwecke usw.

Parteien: Braucht man die oder können die weg?

Alle Parteien entstehen aus Wut. Fun Fact: Die Parteien, die heute im Deutschen Bundestag sitzen, wurden ursprünglich allesamt aus Wut geboren. Bei manchen ist das zwar schon sehr lange her, aber letztlich gehen sie alle auf politische Bewegungen zurück, die gegen etwas waren und genügend gleichgesinnte »Wutbürger« fanden, die diesen Frust teilten:

 

Liberalismus. Im Europa des 18. Jahrhunderts entstand diese Bewegung als Opposition des Bürgertums gegen die Bevormundung durch Königtum und Adel. Man sah nicht mehr ein, dass Menschen nur dank ihrer Geburt besondere Rechte genossen. Wohlhabende Bürger, zum Beispiel Kaufleute, ärgerten sich vor allem darüber, dass ihnen jede Menge Steuern abgeknöpft wurden, sie aber nicht mitreden durften, wofür das Geld ausgegeben wurde, etwa für schräge Partys oder überflüssige Kriege. Und die, die das Geld zum Palastfenster hinauswarfen, erwirtschafteten es noch nicht mal. Auf den Liberalismus bezieht sich eine Partei wie die FDP, die Freie Demokratische Partei – und Klagen über zu hohe Steuern gehören heute noch zu ihrem Programm.

Konservativismus. Auch die Konservativen waren ursprünglich Protestler. Im 19. Jahrhundert fühlten sich deutsche Katholiken von den protestantischen Preußenkönigen unterdrückt. Theoretisch hätten sie sich mit den Liberalen verbünden können, doch die passten ihnen auch nicht: Die Liberalen hatten es nicht so mit Kirche, sie mochten Kapitalismus, Fortschritt und neue Technologien. Die Konservativen sind da bis heute skeptischer und wollen Traditionen und Bewährtes erhalten. Radikale Lösungen sind ihnen nicht geheuer, sie mögen Veränderungen nur schrittweise. Auf diese Bewegung gehen CDU und CSU zurück, die Christlich-Demokratische Union Deutschlands und ihre bayerische Schwesterpartei Christlich-Soziale Union. Wobei die christlichen Wurzeln für sie historisch wichtiger waren als der Konservativismus. In beiden Parteien gibt es auch soziale und liberale Strömungen. CDU und CSU bilden eine Parteiengemeinschaft, die Union. Bei der Gründung der CSU kam dann noch eine besondere Skepsis gegenüber »denen in Berlin« (damals noch Bonn) hinzu. Über »die Preußen« macht man sich in Bayern heute noch lustig.

Nationalismus. Als im 19. Jahrhundert die Nationalstaaten entstanden, wuchs auch der Nationalismus. Grundidee: Völker und Staaten stehen in Konkurrenz zueinander und sollten sich voneinander abgrenzen. Damit einher geht die Forderung, dass ein (Staats-)Volk möglichst »rein« sei: »Deutschland den Deutschen«. Auch hier ist jede Menge Wut im Spiel. Der deutsche Nationalismus bekam Schwung durch die Kriege gegen Frankreichs Herrscher Napoleon, auch wenn es bis zur Gründung des Deutschen Reichs noch ein langer Weg war. Zu den heutigen Parteien, die auf nationalistische Strömungen zurückgehen, gehört die AfD, die Alternative für Deutschland. Gegründet wurde sie 2013 zunächst aus Wut über den Euro, den sie abgeschafft sehen wollte. Das eher trockene Finanzthema genügte aber nicht, um auf Dauer Erfolg zu haben. Inzwischen protestiert sie vor allem gegen die Aufnahme von Flüchtlingen und Einwanderung und ist eine in Teilen rechtsextreme Partei.

Die Arbeiterbewegung. Auch sie entstand im 19. Jahrhundert während der Industrialisierung und richtete sich gegen die Ausbeutung der Arbeiter. Karl Marx schrieb damals sein kritisches Buch Das Kapital und hoffte auf eine »Revolution der Arbeiterklasse«. Aus dieser Bewegung entwickelten sich verschiedene Gruppen und Parteien, die sich damals schon Konkurrenz gemacht und über den richtigen Weg gestritten haben, so wie heute die SPD, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, und die deutlich radikalere sozialistische Partei Die Linke. Aus der frühen Zeit der Arbeiterbewegung kommt der Begriff Genosse/Genossin und dass Parteimitglieder sich duzen, selbst wenn man sich gar nicht persönlich kennt. Die Linke entstand nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 in Ostdeutschland auch aus Frust darüber, dass die DDR untergegangen war. Damals hieß sie noch nicht Die Linke, sondern PDS(Partei des Demokratischen Sozialismus), die aus der DDR-Staatspartei SED hervorgegangen war. Die westdeutschen Linken wiederum waren wütend auf die SPD, die sie nicht mehr links genug fanden. Wie gesagt: Aus Wut wird Partei.

Die Grünen. In den 1980er-Jahren gründeten sich Die Grünen in Westdeutschland aus der Anti-Atomkraft-Bewegung. Sie wollten aber nicht nur die Atomkraft abschaffen und die Umwelt schützen, sondern auch ganz anders sein als die alten Parteien. Sie nannten sich anfangs sogar ausdrücklich eine »Anti-Parteien-Partei«. Sie wollten zum Beispiel keine Parteichefs ernennen, und niemand sollte längere Zeit ein Amt oder einen Parlamentssitz haben. Das erwies sich jedoch als unpraktikabel und wurde längst geändert. Die Partei, heute offiziell Bündnis 90/Die Grünen, kam anfangs sehr revolutionär daher und sieht sich bis heute als eher links. Aber sie war auch immer schon konservativ: wenn es nämlich darum geht, die Natur zu bewahren. Und das Interesse an Umweltschutz gedeiht eher dort, wo es den Leuten wirtschaftlich zumindest so gut geht, dass sie überhaupt den Nerv haben, sich mit solchen Themen zu beschäftigen – wer seine Miete nicht bezahlen kann, dem ist der Baum unterm Wohnzimmerfenster eventuell weniger wichtig.

Insider: Fundamentalopposition

Wer nur gegen alles ist, macht Fundamentalopposition (»Ich bin dafür, dass wir dagegen sind«). Wer mitregieren will, muss dagegen einen Plan bzw. ein Programm haben und braucht auf Dauer auch mehr als ein einziges Thema. Die Grünen zum Beispiel merkten nach ihrem Einzug in die Parlamente schnell, dass sie nicht nur Leute benötigten, die sich mit Atomkraft und Umweltschutz auskennen, sondern auch Fachleute für Finanzen oder Gesundheitspolitik. Sonst kann man nicht mitreden und wird von den Medien zu diesen Themen auch nicht befragt – das Schlimmste in der Politik. Eine Partei kann sich aber natürlich dafür entscheiden, dauerhaft Fundamentalopposition zu betreiben und einfach immer nur dagegen zu sein. Das bewahrt einen auch davor, jemals beweisen zu müssen, dass man es selbst besser könnte als die »Etablierten«.

Links, rechts oder ab durch die Mitte? Die Begriffe »links« und »rechts« gehen zurück auf die Sitzordnung im französischen Parlament Anfang des 19. Jahrhunderts. Rechts saßen Parteien, die eher auf Bewahrung der bestehenden Verhältnisse aus waren (die Konservativen). Links saßen die Parteien, die Veränderungen wollten. So richtig hilfreich sind diese Begriffe heute aber eigentlich nicht mehr, weil man je nach politischem Standort »links« und »rechts« ganz anders definiert. Im Bundestag hat sich das aber noch erhalten: Politiker der Linken sitzen links außen und die AfD rechts außen. Und wo ist die Mitte? Die definieren Politiker und Wähler auch je nach ihrem eigenen Standort. Als Faustregel könnte man sagen: In der Mitte stehen Parteien, die keine radikalen Ideologien vertreten und kompromissfähig genug sind, um mit verschiedenen anderen Parteien Regierungsbündnisse eingehen zu können.

Insider: Flügelkämpfe

Innerhalb einer Partei gibt es immer wieder Gruppierungen, die in Konkurrenz zueinander stehen und sich manchmal auch erbittert bekämpfen. Oft ist dabei vom eher »linken« oder »rechten« Parteiflügel die Rede. Bei den Grünen standen früher »Fundis« (die waren sehr links) gegen »Realos« (die waren weniger radikal und wollten regieren). Bei der AfD heißt sogar eine ganze Strömung »Der Flügel«, das sind die besonders Rechtsradikalen bzw. Rechtsextremen in der Partei. Verschiedene Flügel unter einen Hut zu bekommen, ist für Partei- und Fraktionschefs eine taktisch wichtige und schwierige Aufgabe.

Und was nutzen uns Parteien? Parteien werden oft kritisiert, etwa weil sie sich in so viele Lebensbereiche einmischen und Posten abgreifen. Selbst bei der Entscheidung, wer Schuldirektor werden darf, wollen sie mitbestimmen. Nützlich sind sie trotzdem. Ansonsten müsste man bei jeder einzelnen Person, die sich zur Wahl stellt, erst mal mühsam herausfinden, wer das ist und was sie will. Parteien stehen für Inhalte, und wer von einer Partei als Kandidat oder Kandidatin aufgestellt wird, trägt diese im Prinzip mit. Parteien treffen so auch eine Vorauswahl – wer sich in einer Partei durchsetzt, hat ja zumindest ein paar Leute bereits von sich überzeugt. Und wenn man eine Regierung bilden will, braucht man Leute, die sich kennen, gemeinsame Ziele haben und sich grundsätzlich als »Parteifreunde« verstehen. Wenn im Parlament nur lauter lose Kleingruppen oder Einzelpersonen säßen, bekäme man das nie hin.

Damit der Laden zusammengehalten wird, gibt es in Parteien Hierarchien. Parteichefs und -chefinnen müssen zusehen, dass sie unterschiedliche Interessen unter einen Hut bringen. In manchen Parteien nennen sie sich »Sprecher/Sprecherin«, das klingt weniger streng, ist aber das Gleiche. Wichtig sind auch die Generalsekretäre (in manchen Parteien heißen sie »politische Geschäftsführer«). Die sind weder Sekretäre noch Militärs, aber zuständig für die »Abteilung Attacke«: Sie entwickeln Strategien, um den politischen Gegner anzugreifen und ihrer Partei Gehör zu verschaffen, insbesondere vor Wahlen.

 

Parteijugend. Die Parteien, die zumindest so groß sind, dass sie im Bundestag oder in Landtagen sitzen, haben Jugendorganisationen, in die man bereits ab 14 Jahren eintreten kann, bei der Grünen Jugend geht es sogar noch früher. Die Jugendorganisation der CDU/CSU heißt Junge Union. Bei der SPD nennt sie sich Jusos (Abkürzung für Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD), bei der Partei Die Linke heißt sie Linksjugend. Bei der FDP kürzen sich die Jungen Liberalen als Julis ab, und bei der AfD heißen sie Junge Alternative. Meistens ist die Parteijugend schärfer und radikaler als die »Erwachsenen«. Die Jusos sind besonders links, die Junge Union besonders konservativ, die Grüne Jugend weniger kompromissbereit beim Thema Klimaschutz. Wer in der Politik aktiv mitmischen will, findet bei den Jugendorganisationen die Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln und auf sich aufmerksam zu machen. Ihre Chefinnen und Chefs haben auch in der Gesamtpartei Einfluss.

 

Und wo geht’s hier nach Jamaika? Allen Parteien sind Farben zugeordnet, was an Wahlabenden sehr praktisch ist: Da sieht man gleich an den Balkendiagrammen, wer die Nase vorn hat. Manche Farbe geht auf die Geschichte der Partei zurück. Das Rot der SPD und das Lila-Rot der Linken stammt von den roten Fahnen der Arbeiterbewegung. Das Schwarz bei den Christdemokraten geht wohl auf die schwarze Kleidung der Pfarrer zurück. So entstanden auch Begriffe wie »die Roten« oder »die Schwarzen«. Bei den Grünen ist die Farbe (grün wie die Natur) sogar Parteiname. Die FDP wird mit Gelb verbunden. Die AfD hat sich für Dunkelblau entschieden. Die historische Nazi-Farbe Braun (braun wie die deutsche Erde) will anscheinend keiner …

Aus diesem großen Farbkasten entstehen bei Koalitionen diverse Kombinationen: Rot, Gelb, Grün wie bei einer Verkehrsampel (Ampelkoalition). Oder Schwarz, Gelb, Grün, das sind die Farben der Nationalfahne von Jamaika (deshalb Jamaikakoalition). Und nach Kenia (Nationalflagge: Schwarz, Rot, Grün) reist man mit einer Koalition aus CDU (bzw. Union), SPD