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KwaZulu-Natal, Südafrika heute. Journalistin Maggie Cloete ist in der Welt herumgekommen. Ein Job als stellvertretende Nachrichtenredakteurin der Tageszeitung Gazette bringt sie zurück in ihre Heimatstadt Pietermaritzburg, wo sie prompt zwischen die Fronten widerstreitender Interessen gerät: Der Papierkonzern Sentinel versteht sich gut aufs Greenwashing und stellt sich als Wohltäter der Region dar. Daran ändern auch die Proteste einer Truppe von Umweltschützern nichts, zu denen Maggies Bruder gehört. Die Konzernleitung will nämlich den Sektor Karkloof 7 roden, ein unberührtes Waldstück und Refugium selten gewordener heimischer Arten. Eigentlich war es Stammesland, doch mit den ursprünglichen Eigentümern hat man sich längst arrangiert. Überhaupt verfügt Sentinel über exzellente Beziehungen. Maggie argwöhnt, dass der Tod des Ökologen David Bloom nicht einfach der Selbstmord eines frustrierten Idealisten war, der eine bedrohte Schmetterlingsart retten wollte. Aber ihre Vorgesetzte pfeift sie energisch zurück: Sie will in der Gazette keine schlechte PR für Sentinel sehen. Dann machen die Forstarbeiter im Sektor Karkloof 7 einen grausigen Fund. Maggie mobilisiert ihre Recherchekünste und bekommt den Zipfel einer Vorgeschichte zu fassen, die zurückreicht in die Zeit von Segregation und staatlich protegiertem Mord. Haben hier neue Seilschaften unbekümmert das blutige Erbe der alten angetreten? Aber auf Maggie Cloete wartet noch die vielleicht bitterste Überraschung ihres Lebens … »Karkloof Blue« ist ein atemloser, brisanter Politkrimi. Realitätsnah, glaubwürdig und geschmeidig erzählt Charlotte Otter eine brandaktuelle Story aus Südafrika: herb in den Konsequenzen, von ungeheuer lebendigen Figuren getragen, packend bis zum Showdown.
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Seitenzahl: 379
KwaZulu-Natal, Südafrika heute. Journalistin Maggie Cloete ist in der Welt herumgekommen. Ein Job als stellvertretende Nachrichtenredakteurin der Tageszeitung Gazette bringt sie zurück in ihre Heimatstadt Pietermaritzburg, wo sie prompt zwischen die Fronten widerstreitender Interessen gerät: Der Papierkonzern Sentinel versteht sich gut aufs Greenwashing und stellt sich als Wohltäter der Region dar. Daran ändern auch die Proteste einer Truppe von Umweltschützern nichts, zu denen Maggies Bruder gehört. Die Konzernleitung will nämlich den Sektor Karkloof 7 roden, ein unberührtes Waldstück und Refugium selten gewordener heimischer Arten. Eigentlich war es Stammesland, doch mit den ursprünglichen Eigentümern hat man sich längst arrangiert. Überhaupt verfügt Sentinel über exzellente Beziehungen. Maggie argwöhnt, dass der Tod des Ökologen David Bloom nicht einfach der Selbstmord eines frustrierten Idealisten war, der eine bedrohte Schmetterlingsart retten wollte. Aber ihre Vorgesetzte pfeift sie energisch zurück: Sie will in der Gazette keine schlechte PR für Sentinel sehen.
Dann machen die Forstarbeiter im Sektor Karkloof 7 einen grausigen Fund. Maggie mobilisiert ihre Recherchekünste und bekommt den Zipfel einer Vorgeschichte zu fassen, die zurückreicht in die Zeit von Segregation und staatlich protegiertem Mord. Haben hier neue Seilschaften unbekümmert das blutige Erbe der alten angetreten? Aber auf Maggie Cloete wartet noch die vielleicht bitterste Überraschung ihres Lebens …
»Karkloof Blue« ist ein atemloser, brisanter Politkrimi. Realitätsnah, glaubwürdig und geschmeidig erzählt Charlotte Otter eine brandaktuelle Story aus Südafrika: herb in den Konsequenzen, von ungeheuer lebendigen Figuren getragen, packend bis zum Showdown.
Charlotte Otter, gebürtige Südafrikanerin, schreibt in englischer Sprache, wohnt aber seit Jahren in Deutschland. Charlotte Otter hat als Kriminalreporterin gearbeitet, als Zeitungsredakteurin sowie als freie Journalistin und Autorin. Gegenwärtig ist sie in der IT-Branche tätig, lebt mit ihrem Mann, drei Kindern und Tonnen von Büchern in Heidelberg und nutzt die frühen Morgenstunden zum Schreiben. Ihr Debüt »Balthasars Vermächtnis« erschien 2013 auf Deutsch, 2014 auf Englisch in Südafrika. »Karkloof Blue« ist ihr zweiter Roman.
Charlotte Otter
Karkloof Blue
Mit einer Vorbemerkung von Else Laudan
eBook-Ausgabe: © CulturBooks Verlag 2015
Gärtnerstr. 122, 20253 Hamburg
Tel. +4940 31108081, [email protected]
www.culturbooks.de
Alle Rechte vorbehalten
Karkloof Blue © 2015 by Charlotte Otter
Printausgabe: © Argument Verlag 2015
Lektorat: Iris Konopik
Umschlaggestaltung: Magdalena Gadaj
eBook-Herstellung: CulturBooks
Erscheinungsdatum: 15.09.2015
ISBN 978-3-95988-026-8
Karkloof Blue ist ein virtuoser Politkrimi mit weitem Horizont. Es geht um Artenvielfalt und Monokulturen, um Medienalltag, Kapitalinteressen und Südafrikas Vorgeschichte von Segregation und staatlich protegiertem Mord.
Lassen Sie sich entführen in die östliche Provinz KwaZulu-Natal und zu der gerade für geschichtsbewusste Deutsche so brisanten Frage, was in einer noch jungen Demokratie aus dem blutigen Erbe alter Seilschaften erwächst. Denn hier geleitet uns der Schmetterling Karkloof Blue, lateinisch Orachrysops ariadne, in seinem gattungstypischen Zickzackflug über Stadt und Land, durch alte und neue Intrigen, zu vergangener und gegenwärtiger Gewalt.
Wie schon in ihrem Debüt Balthasars Vermächtnis zelebriert Charlotte Otter die Kunst, Gesellschaft ›in progress‹ zu zeigen, mit den Mitteln des Hardboiled-Kriminalromans eine relevante Story actionreich und tiefenscharf aufzubereiten. Ihre Geschichte öffnet uns ein Fenster zu einem warm, lebhaft und sinnlich geschilderten fernen Kosmos, dessen Reibungspunkte und Widersprüche jedoch vielfältig übertragbar sind und uns alle betreffen. Ihre Hauptfigur, die Investigativreporterin Maggie Cloete (sprich: Kluti), zeigt uns mit Charme und journalistischem Sachverstand ›ihr‹ Südafrika, wie es heute ist: gezeichnet von der Geschichte seiner Verbrechen, mit einer deutlich spürbaren Kluft zwischen Profitinteressen und sozialer Verantwortung sowie der Sisyphos-Aufgabe, auch das atemberaubende Naturerbe einer Region zu bewahren. Eine Aufgabe, an der letztlich das Überleben nicht nur einer Spezies hängt …
Mitreißend und geschmeidig erzählt, bitter realitätsnah und packend bis zum Showdown: Maggie Cloete ermittelt wieder. Das Genre ist bereichert.
Else Laudan
Weiterführende Links hinten am Ende des Glossars.
Für Andrew James, einen wahren Hüter des Walde
Im gelben Wintergras blieben keine Fußspuren zurück. Der Boden war hart wie Zement und das Gras so zäh – nicht mal die vielen Besucher, die tagtäglich von Ishmael’s Howick Falls Café zum Amphitheater schlenderten, um den Wasserfall von Howick zu besichtigen, konnten es zerdrücken oder knicken.
Folglich warnten den verschlafenen Mr. Ishmael an diesem Morgen weder niedergetretenes Gras noch Fußspuren. Er stellte sein Auto – einen quietschgrünen Toyota Camry, Freude seines Lebens und Alptraum seiner Frau – vor dem Café ab, wie er es immer tat. Öffnete die Wagentür, hievte erst ein arthritisches Knie auf den Asphalt, dann das andere, und richtete sich mit einem Ächzen auf, das als Atemwolke in der frostigen Luft hing.
Mr. Ishmael atmete ein paarmal tief durch. Roch die Holzkohlenfeuer der Township knapp westlich von Howick und den Duft von frischgebackenem Brot aus dem Lebensmittelladen am Ende der Straße. Er hatte eben vierundzwanzig Brötchen geholt, und später – jetzt noch nicht, aber bald – würde er Hähnchenteile garen und seine berühmten Hähnchen-Koriander-Brötchen mit Mayonnaise machen. Die Damen, die ein Haus weiter bei der Versicherung arbeiteten, waren ganz verrückt danach. Sie kamen jeden Tag und holten sich drei davon zum Lunch.
Mr. Ishmael warf die Autotür zu, in Gedanken schon bei seinen morgendlichen Gaumenfreuden. Als Erstes würde er den Kessel aufsetzen. Anschließend kam ein Teelöffel Instantkaffee in die Tasse, die Amil ihm einst zum Vatertag geschenkt hatte, damals noch ein sanfter Siebenjähriger, der seinen Papa liebte und bewunderte. Dann würde er die Dose mit der verbotenen Kondensmilch aus dem Kühlschrank holen (Mrs. Ishmael war um seine Arterien besorgt), etwas davon auf einen Löffel träufeln und ihn ablecken. Schließlich würde er heißes Wasser über den löslichen Kaffee gießen und einen ordentlichen Teelöffel von der gesüßten Milch hineinrühren.
Damit würde er sich an den besten Tisch des Cafés setzen und durchs Fenster in Richtung Wasserfall starren. Vor zehn Jahren hätte er ihn von dort aus noch sehen können. Doch dann waren da, wo der Boden abfiel, Unterholz und Sträucher wildwüchsig in die Höhe geschossen, und nun sah man den Wasserfall nur noch vom Amphitheater aus, drüben bei dem kleinen Verkehrskreisel.
Vor zehn Jahren hätte er sich zum Kaffee auch genüsslich eine Zigarette angesteckt, aber nach seiner Lungenentzündung hatte Mrs. Ishmael dem einen Riegel vorgeschoben. »Willst du deine Enkel noch erleben? Dann lass die Finger von diesen albernen Sargnägeln.«
Die Sargnägel hatten ihm aber beim Abschalten geholfen. Ohne sie hatte er ständig den Kopf voller Sorgen. Die nötigen Umbaumaßnahmen am Café, seine Söhne – zwei Plagegeister, die keine Anstalten machten, die Enkel zu produzieren, die seine Frau ihm versprochen hatte, oder das Café zu übernehmen, damit er sich seinen Traum erfüllen und in den vorzeitigen Ruhestand gehen konnte – und auch dieser Wildwuchs machten ihm Sorgen.
Mr. Ishmael hatte der Gemeinde schon mehrfach schriftlich mitgeteilt, dass der Wildwuchs die Aussicht von Ishmael’s Howick Falls Café ruinierte. Die Gemeinde schrieb ihm zurück, Touristen sollten den Wasserfall auch nicht vom Café aus besichtigen. Sondern vom Amphitheater aus, einem massiven Bauwerk, das die Gemeinde zu diesem Zweck errichtet hatte und instand hielt. Aber Mr. Ishmael kannte sich aus mit Touristen. Wenn sie vom Amphitheater aus die Howick Falls betrachtet und dabei die gebotene Anzahl Handyfotos gemacht hatten, bekamen sie Lust, sein Café aufzusuchen, eins seiner berühmten Hähnchen-Koriander-Brötchen zu verspeisen und den Ausblick im Sitzen zu genießen. Und der Wildwuchs, um den die Gemeinde sich nicht kümmern wollte, vereitelte das. Mr. Ishmael hatte ihn bereits mehrmals auf eigene Kosten zurückstutzen lassen. Doch die Wirkung dieser Ausgaben war von kurzer Dauer, und sein vorzeitiger Ruhestand rückte dadurch in noch weitere Ferne.
Jetzt konnte er seine Labsal kaum noch erwarten. Seine Geschmacksknospen lechzten nach ihrem Kondensmilch-Kick. Die Papiertüte mit den Brötchen unterm Arm, klimperte er mit seinem Schlüsselbund und marschierte auf das Café zu, wo die doppelte Verheißung von Koffein und Zucker lockte.
In Anbetracht seiner Vorfreude war es ungewöhnlich für Mr. Ishmael, noch einmal aufzublicken, als er die kurze Strecke vom Wagen zur Tür ging. Aber er tat es.
Da flatterte irgendetwas Weißes in den Büschen.
Verstimmt, weil seine morgendliche Doppeldröhnung noch warten musste, trottete er über das Gras auf das flatternde Ding zu. Wahrscheinlich hatte sich eine Plastiktüte im Gebüsch verfangen, und wenn es etwas gab, das Mr. Ishmael nicht leiden konnte, war es herumfliegender Müll. Müll verschandelte die natürliche Schönheit des Wasserfalls, und war die erst verschandelt, dann kamen immer weniger Touristen, um ihr höchst willkommenes Geld in Ishmael’s Howick Falls Café zu lassen. Und dann konnte er seinen Ruhestand erst recht vergessen.
Grollend erreichte Mr. Ishmael das Gebüsch und sah, dass es keine Plastiktüte war. Es war ein weißes Hemd, ein Businesshemd mit Kragen und Knöpfmanschetten, wie es Männer jeden Morgen fürs Büro anzogen, mit Schlips oder ohne. Es hatte sich auch nicht im Gestrüpp verfangen, sondern war sorgsam dort angebunden, wobei sich ein paar dunkle Stacheln in den Baumwollstoff gebohrt hatten. Auf dem Boden darunter lag ein Stapel gefaltete Kleidung – Hose und Sportjackett –, und obendrauf stand ein Paar glänzend schwarze Herrenhalbschuhe. Im einen Schuh steckten zusammengerollte Socken, im anderen eine rote Krawatte.
Mr. Ishmael löste das Hemd vom Gestrüpp und faltete es ordentlich zusammen. Dann bückte er sich leise ächzend und hob die anderen Sachen auf.
Als er sich aufrichtete, streifte etwas seine Hand. Es war ein Schmetterling. An sich kein ungewöhnlicher Anblick, aber es war Winter, und nur wenige Schmetterlinge überlebten die eisigen Winde vom Drakensberg. Das Tier flog auf und flatterte in Richtung Amphitheater, im Zickzackkurs, als könne es sich nicht recht entscheiden, wo es hinwollte, und er folgte ihm, in den Händen noch die Kleidung und die Schuhe. Am Amphitheater angekommen, hielt der Schmetterling auf den Wasserfall zu, schwebte in ruckendem Sinkflug in den leeren Raum hinein, wo der Boden aufhörte und der Abgrund gähnte.
Mr. Ishmaels Blick folgte seiner Flugbahn hinab zu den geschwärzten Felsen, und da sah er es. Ein länglicher weißer Fleck.
Ein Körper.
Licht quoll aus den Fenstern, bestrich das dunkle Gras um das ehemalige Pfadfinderheim. Herzufinden war leicht gewesen. Sie hatte Pietermaritzburg noch gut im Gefühl. Es gab ein paar kosmetische Veränderungen an Straßennamen und Fassaden, aber darunter war es ganz dasselbe. Noch immer eine Kleinstadt voller Intrigen und Geflüster, mit einer nur allzu schmutzigen Vergangenheit.
Sie parkte den Golf neben einem Pulk von Fahrzeugen, darunter ein alter VW-Bus mit Surfaufklebern am Heck und dem Schriftzug Waldhüter an beiden Seiten. Als sie die Wagentür zuwarf, stieg ihr Atem in weißen Wolken auf.
Drinnen war der große Raum aufgeheizt von Leibern und Inbrunst. Leute saßen auf Stühlen im Halbkreis wie bei einem AA-Treffen oder einer Art Gruppentherapie. Ein großer, schon etwas älterer Mann stand vor einem Flipchart und zeichnete etwas, das aussah wie ein unförmiger Swimmingpool. Sie lehnte sich an den Türrahmen und hörte sich Alex Fields Vortrag an. Er hatte den Glanz eines Erweckungspredigers in den Augen.
»Das hier sind zwölftausend Hektar Wald.« Also kein Pool. »Der Konzern Sentinel hat bereits einen Großteil davon in Kiefernschonungen verwandelt. Was kaum jemand hier in der Gegend weiß, ist, dass in diesem Wald noch ein verborgenes, unberührtes Stück Naturerbe liegt.« Er malte noch ein plumpes Rechteck in das größere hinein. »Eins der letzten verbliebenen Naturwaldgebiete in ganz KwaZulu-Natal, das weder Staatseigentum noch geschütztes Privatgelände ist. Diesen Naturwald mit der Bezeichnung Karkloof Sektor 7 beansprucht Sentinel für sich. Dieses Gebiet ist unser Erbe, es wimmelt von Hunderten seltener Pflanzen- und Tierarten.« Er drückte die Kappe auf den Stift und legte ihn auf die Ablage unter dem Flipchart. »Unseren Informanten zufolge plant Sentinel, diesen Wald in wenigen Tagen abzuholzen, die uralten Bäume zu fällen und durch profitable Kiefern zu ersetzen. Noch mehr Monokultur, nachdem sie schon die ganze Provinz mit Kiefern, Eukalyptus und Zuckerrohr überzogen haben.«
Empörte Unruhe im Raum.
»Genau!« Er begann auf und ab zu tigern. »Wir müssen sie aufhalten. Sentinel hat die Öffentlichkeit überzeugt, dass sie die Guten sind. Reines Greenwashing: Sie tarnen ihre Profitgier mit Marketingkampagnen über Umweltverträglichkeit. Und die Leute kaufen ihnen das allen Ernstes ab.« Er machte eine Pause und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Für einen älteren Mann hatte er noch viel davon, auch wenn es an den Schläfen weiß wurde. »Die Lage ist ernst. Was Sentinel da vorhat, ist übel. Aber es ist auch eine Chance für uns. Endlich bekennen sie Farbe. Jetzt wissen wir, mit wem wir es zu tun haben – mit skrupellosen kapitalistischen Profitmachern, die für ihren Aktienkurs über Leichen gehen. Und wir können jetzt allen zeigen, was sie sind, indem wir vor ihrer Firmenzentrale demonstrieren.«
Diese Gruppe traf sich sonst zur Diskussion eher trockener Umweltthemen wie Grundwasserspiegel, Erosion, Überweidung. Field hatte behauptet, das Thema des heutigen Abends dürfte eine Story hergeben, darum war sie gekommen. Der von Field genannte Konzern war sehr bekannt und galt allgemein als seriös. Wenn man dort Übles im Schilde führte, wollte sie das wissen.
Außerdem hoffte sie Christo zu sehen.
Da war er ja. Zwei Stühle vom Redner entfernt, das Gesicht ihm zugewandt wie eine Blume dem Sonnenlicht. Alex Field war Christos neuer Held. Sie reagierte sonst allergisch auf Gurus, aber wie Field ihren Bruder nach seiner Entlassung aus der Klinik unter seine Fittiche genommen hatte, erwärmte sie für ihn. Er hatte Christo einen Job verschafft, ein Zimmer zum Wohnen und Einbindung in diese Gemeinschaft von Umweltaktivisten.
Christo brauchte eine Familie. Nur deshalb war sie überhaupt hier.
»Fragen?«, bot Field an.
Jemand mit einer grauen Strickmütze hob die Hand. »Demonstrieren ist gut und schön, nur wie können wir den Kahlschlag tatsächlich verhindern?«
»Proteste sind der erste Schritt. Aber macht euch bitte klar, dass es ein zähes Ringen werden kann. Solche Megakonzerne haben die Regierung in der Tasche. Mit ihren Kampagnen und cleverer PR machen sie dem kleinen Mann auf der Straße weis, dass sie dem Gemeinwohl verpflichtet sind und für Nachhaltigkeit eintreten, und ihre Gewerkschaften haben sie so mit Häppchen gestopft, dass sie übersättigt im Koma liegen wie Masthähnchen in der Legebatterie.« Beim Sprechen durchmaß Field mit langen Schritten den Raum und schwenkte die Arme. Er hatte die straffe Statur eines halb so alten Mannes.
Graue Mütze nickte. »Du sagst also, es ist ein Krieg.«
Field blieb stehen. »Es ist ein Krieg, ja! Falls jemand glaubt, wir stehen ein paar Stündchen vor den Sentinel-Büros und schlürfen Latte Macchiatos, braucht er gar nicht erst mitzumachen. Wenn sie nicht auf unsere Forderungen eingehen, müssen wir als nächsten Schritt den Wald besetzen.«
»Occupy!« Graue Mütze sprang auf und stieß eine Faust in die Luft. Dann sah er sich um, als wäre er überrascht, auf den Beinen zu sein, und setzte sich rasch wieder.
Sie öffnete den Reißverschluss ihrer Jacke. Der Raum wurde wärmer, je mehr sich die Gemüter erhitzten.
Sie beobachtete ihren Bruder. Nach Christos Entlassung aus der Privatklinik, wo er fast zwanzig Jahre verbracht hatte, war sein Gleichgewicht noch nicht gefestigt. Seine Psychiaterin Dr. Kruger hatte ihr eingeschärft, dass er Familie um sich brauchte, wenn er den Auszug aus der Anstalt bewältigen sollte. Maggie war seine ganze Familie. Es gab sonst niemanden.
Sie hatte also ihre alten Kontakte in Pietermaritzburg durchtelefoniert. Ihr einstiger Chef Zacharius Patel klang am Telefon noch genau wie damals. Sie erklärte ihm, dass sie für ihren Bruder da sein und ihm helfen musste, in die Gesellschaft zurückzufinden. Wie immer hatte Zacharius eine Lösung parat. Und sie hatte jetzt eine befristete Stelle bei der hiesigen Tageszeitung.
Was sie nicht erwähnt hatte, war, dass sie auch dringend für eine Weile aus Joburg verschwinden musste. Dort war sie in gewissen Kreisen zur Persona non grata geworden. Sehr non grata. In sehr hohen Kreisen.
Ihr Handy vibrierte, sie zog es aus der Hosentasche. SMS von Leo.
Darf ich Skyfall gucken?
Nein, tippte sie als Antwort. Du bist zu jung.
Maggie ich werd bald 12! Dad sagt ich darf wenn du dein Okay gibst.
Sie fluchte tonlos. Typisch Joachim, missliebige Entscheidungen auf sie abzuwälzen. Sag ihm, ich bin strikt dagegen.
Na toll vielen Dank auch!
Bitte sehr.
Sie steckte das Telefon weg. Leos Groll würde nicht lange vorhalten. Sein Vater Joachim war alles andere als eine ideale Kinderbetreuung, aber ihre einzige Möglichkeit. Er arbeitete als Sprengstoffexperte beim Film, hatte gerade eine Lücke zwischen zwei Aufträgen und war willig, den gemeinsamen Sprössling zu hüten, solange sie in ihrer alten Heimat weilte. Joachim war nicht der Typ für regelmäßige Mahlzeiten, Hausaufgabenkontrolle oder pünktliches Zubettgehen. Damit musste sie leben. Sie war auf ihn angewiesen. Vorübergehend.
Sie atmete tief durch und konzentrierte sich wieder auf die Versammlung. Field tigerte erneut hin und her. »Mit der Vernichtung des Naturwalds in Karkloof Sektor 7« – er klopfte gegen den Swimmingpool, und das Flipchart schwankte – »raubt Sentinel uns allen, dem gesamten Land, ein wertvolles Naturerbe. Das hier mag aussehen wie ein winziges Waldstück, aber es ist schon wieder ein weiteres Mosaiksteinchen in dem endlosen Puzzle aus Profitgier, das Großkonzerne über das ganze Land legen, über den ganzen Kontinent. Wir müssen ihnen entgegentreten, um Sektor 7 zu bewahren – für unsere Kinder und für all die Spezies, die in diesem Wald leben und deren Habitat sonst zerstört wird.«
Christo wandte den Kopf, sah sich in der Gruppe um und entdeckte sie. Schnell drehte er sich weg. Dr. K. hielt es für eine gute Idee, dass Maggie sich in seiner Nähe aufhielt. Christo nicht.
»Wir brauchen jetzt Leute, die echten Einsatz bringen«, fuhr Field fort. »Das wird kein Spaziergang. Es wird zum Fürchten. Und gefährlich. Ich kann dabei nur Leute brauchen, die ohne modernen Komfort auskommen, ohne heiße Dusche und Dreigängemenüs. Ich brauche standhafte Mitstreiter, Kämpfer und Krieger, mit starken Nerven und viel Kraft.«
Er blieb stehen und nahm die Gruppe ins Visier. »Wer macht mit?«
Jeder im Raum einschließlich Maggies Bruder hob die Hand. Alex Field hatte seine Krieger gefunden.
Sie schüttete gemahlenen Kaffee in einen Filter und befüllte die Röchelmaschine. Während das Wasser durchlief, packte sie ihre Füße und dehnte ihre Oberschenkelmuskeln. Die Laufstrecke heute früh war mörderisch gewesen – die ganze Old Howick Road hoch bis nach Hilton und wieder zurück. Hügel gab es auch in Joburg, aber längst nicht so bösartig steile wie den Town Hill.
Mit dem Kaffee in der Hand ging sie durch den Linoleumkorridor Richtung Newsroom. An den Wänden hingen in schwarzen Plastikrahmen wahllos Titelseiten aus der Geschichte der Zeitung. Statt wie früher im viktorianisch-altehrwürdigen Herzen der Stadt residierte die Gazette jetzt in einem grauen, gesichtslosen Büropark am Stadtrand, umgeben von anderen Unternehmen, deren Tage in den roten Backsteinbauten gezählt gewesen waren. Alles hier wirkte in jedem Sinne billig.
Kostenfaktoren nannte es die Chefredakteurin bei einem ihrer Vorgespräche. Redaktion und Druckerei unter einem Dach. Synergie war das Wort, das Tina Naidoo gern benutzte und bei dem Maggie unwillkürlich zusammenzuckte.
Sie schaltete ihren Computer ein und sah die Agenturmeldungen durch, um sich einen Überblick über die Tagesnachrichten zu verschaffen: Kriminalität, Korruption und Stromausfälle in Südafrika, die Hölle im Gazastreifen, ein Flugzeugabsturz in den USA, die Tories geißelten Großbritannien mit ihrer Austeritätspolitik. Wenigstens war der Rest der Welt genauso vermurkst.
Die Schwingtür zur Redaktion flog auf, und Menzi kam herein, begleitet von einem unterschwelligen Beat. Er war der Kriminalreporter, immer früh da, immer ein Lächeln auf den Lippen und gigantische Kopfhörer auf den Ohren. »Morgen, Chefin«, er winkte im Vorbeischlendern, und seine kurzen Dreadlocks wippten.
Sie winkte zurück, blätterte die Montagsausgabe durch und prägte sich für ihre Morgenbesprechung mit Patti um sieben ein, welche Storys ein Nachfassen lohnten. Sie und die Chefin vom Dienst hatten letzte Woche keinen guten Start gehabt. Je weniger Patti von ihr sah, desto glücklicher war sie.
»Hey, Chefin, die Cops melden einen Selbstmord an den Howick Falls«, rief Menzi ihr von seinem Schreibtisch zu.
»Gibt’s einen Namen?« Den würden sie aus Rücksicht auf die Familie nicht drucken, aber der journalistische Spürsinn saß tief. Hol dir den Namen und roll die Story von vorn auf.
»Dave Bloom, dreiundvierzig, aus Clarendon, Frau und zwei Kinder.«
»Okay, nur eine Kurzmeldung, Menzi.« Sie würde sie irgendwo auf Seite fünf unterbringen.
Jetzt hörte sie Patti ankommen. Sie wartete, bis die Chefin vom Dienst ihren ersten Kaffee intus hatte, dann ließ sie sich auf einen Stuhl neben ihrem Schreibtisch plumpsen. »Nachrichtenredakteurin meldet sich zur Stelle.«
Patti sah kurz auf. Nickelbrille und kurzgeschorenes graues Haar rahmten ihr Gesicht ein. »Tag.« Nichts an ihr wies auf den strahlend sonnigen Wintermorgen hin. Stattdessen umwehte sie dicke Luft wie der ewige Nebel von Hilton.
Maggie ignorierte den Smog. »Ich hab eine Liste möglicher Storys. Gehen wir sie durch.« Sie rasselte die geplanten Artikel des Tages herunter, während Patti auf ihren Monitor starrte.
»Gibt irgendwas eine Titelstory her?« Die CvD wandte sich ihr zu und schob sich die Brille auf die Stirn. Es war das erste Mal, dass sie Maggie direkt ansah.
»Menzis Farm-Mord vielleicht, wenn die Indizien sich erhärten. Ich sag nach der Morgenbesprechung Bescheid.«
Patti schürzte skeptisch die Lippen. Ihr konnte Maggie nichts recht machen. Ed hatte ihr den Grund dafür erklärt.
»Kurz gesagt, du warst nicht die Kandidatin ihrer Wahl«, verriet ihr der Bildredakteur an ihrem ersten Tag, als sie vor dem Gebäude auf einer Bank in der Sonne hockten und traurige Sandwichs vom Kantinenwagen aßen.
»Wen wollte sie denn?«
»Johnny Cupido war scharf auf den Posten. Patti hat sich für ihn ausgesprochen.«
»Und warum haben sie dann mich genommen?«
»Du bist eine Externe.«
»Soll heißen?«
Ed legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie sah Fortunate am Empfang die Ohren spitzen. »Soll heißen, du bist leichter wieder loszuwerden.«
»Ich bin also entbehrlich. Schöne Scheiße.«
»Kommt noch schöner«, sagte Ed. »Da ist auch Geld im Spiel. Es läuft eine Bürowette.«
»Worüber?« Fortunates Lauscher krochen förmlich auf sie zu.
»Ob du dich hältst. Den Quoten nach dürfte Patti gewinnen und Johnny im Dezember Nachrichtenredakteur sein.«
»Was macht ihn zum Favoriten und nicht mich?«
Ed grinste und gab ihr einen Klaps auf den Rücken. »Dein Ruf, Maggie. Jeder weiß doch, dass du Ärger anziehst wie ein Magnet.« Niemand wusste das besser als Ed. Sie hatten jahrelang bei der Gazette zusammengearbeitet, bevor der Glanz der Großstadtlichter Maggie in die Ferne lockte. Damals hatte sie mehr verbunden als nur die Arbeit, aber jetzt knisterte nichts mehr zwischen ihnen. Es gab bloß noch Freundschaft, so vertraut und gemütlich wie lange getragene Hausschuhe.
»Wann sollen wir heute zur Chefredakteurin?«, fragte sie die CvD, deren Stirn in einem Dauerrunzeln erstarrt war.
Patti setzte ihre Brille wieder auf die Nase und stierte statt Maggie den Monitor finster an. »Um drei.«
In jeder anderen Nachrichtenredaktion, die sie kannte, war die Besprechung mit dem Chefredakteur eine regelmäßige Sitzung zu festgesetzter Zeit. Diese willkürlich anberaumten Treffen fand sie absolut nervtötend, aber Patti hatte ihr letzte Woche unmissverständlich klargemacht, dass Beschwerden nicht geduldet wurden. Tina Naidoo war ihr eigenes Gesetz.
Um neun ging sie rüber zum Konferenzraum. Das kleine Nachrichtenteam war fast vollzählig. Einige sahen sie erwartungsvoll an, andere saßen über ihre Smartphones gebeugt, tippten und wischten. Sie hörte den sausenden Sound, der mit dem Verschicken einer E-Mail einherging. Johan Liebenberg nahm geräuschvoll einen Schluck Kaffee und knallte seinen Becher auf den Konferenztisch. Ob er Geld auf Maggies vorzeitigen Abgang gesetzt hatte?
Sie deutete auf Menzi. Aus den Kopfhörern, die er um den Hals trug, wummerte es leise. »Was steht bei dir an?«
»Also, der Farm-Mord ist vor Gericht. Die Verteidigung will heute Beweise vorlegen, wenn alles nach Plan läuft.«
»Danke, Menzi. Das ist vorerst unsere potenzielle Titelstory. Ed, wie sieht’s mit Fotos aus?«
»Kriegst du, Maggie. Ahmed ist schon vor dem Gericht in Stellung, um ihn beim Reinkommen zu erwischen. Wenn er ihn jetzt nicht vor die Linse kriegt, versuchen wir’s noch mal in der Mittagspause.«
Die Zeiten von Leuchttisch und Kontaktbögen waren vorbei. Eds Team betrieb eine Phalanx von Rechnern, auf denen sie Bilder auswählten und archivierten. Es war eine kleine Abteilung – ein paar Digitalfreaks für die Computer und den Online-Auftritt der Zeitung, dazu drei Fotografen. Die Computerfreaks standen im Ruf, nur mit ihresgleichen zu reden, und die Fotografen waren bekannt für ihre lässige Haltung, ihren Schlag bei Frauen und dafür, dass sie den besten dagga in ganz KwaZulu-Natal auf Tasche hatten.
»Sonst noch was von den Cops, Menzi?«
»Hab heute früh mit Ernest gesprochen. Nur der Selbstmord.«
»Selbstmord?« Liebenberg sah auf.
»Ein Mann namens David Bloom hat sich Samstagnacht die Howick Falls runtergestürzt.«
Liebenberg keuchte auf und schlug sich die Hand vor den Mund.
»Du kennst ihn?«, fragte Maggie.
»Ich habe lange mit ihm gearbeitet, bei Sentinel.« Johan Liebenberg war der neue Umweltreporter der Gazette, erst kürzlich der Forstindustrie abgeworben. Naidoo hatte ihr beim Vorstellungsgespräch stolz erklärt, die Zeitung müsse sich bei Umweltthemen (Zitat) zum topaktuellen Leitmedium mausern, und Johan werde sie dorthin führen.
Bis jetzt hatte sie von Liebenberg nichts Topaktuelles gesehen. Das galt auch für seinen heutigen Beitrag – eine Presseerklärung von Sentinel über eine neue Rennpiste in einer ihrer Plantagen im Distrikt Zululand.
»Downhill oder Motocross?« Maggies Gelände-Sternstunden waren Vergangenheit, aber die Plantagen der Stadt waren ihr Spielplatz gewesen.
»Downhill«, sagte Liebenberg. »Sentinel sponsert kein Motocross. Sie sagen, es ist zu laut und nicht umweltfreundlich.«
»Na klar, das müssen die gerade sagen.« Alex Field zufolge hatte Sentinel das Savannenland von KwaZulu-Natal ausgemerzt, um auf Tausenden von Hektar identische Bäume für die Papierindustrie anzupflanzen, trotzdem brachte der Konzern es fertig, sich als Inbegriff ökologischer Nachhaltigkeit zu präsentieren.
Fatima Rajab, Gesundheitsreporterin und Amateurfußballfan, hatte eine Story über eine neue Diät, die Gewichtsverlust im Turbo-Tempo garantierte. Der Hit bei den Schulmädchen von Pietermaritzburg, die im Unterricht dutzendweise in Ohnmacht fielen.
Als sie durch waren, klatschte Maggie in die Hände. »An die Arbeit, Leute. Gebt mir bis zur Mittagspause Bescheid, wie ihr mit euren Artikeln vorankommt. Dass uns ja nichts durchrutscht.«
Alle verdrückten sich. Menzi enteilte zum Gericht, und Maggie starrte ihm nach. Am liebsten wäre sie mitgegangen – raus an die frische Luft, raus in die Welt, in der sich alles ereignete, ein Körnchen Neuigkeit aufstöbern, der Sache nachgehen und das vertraute Prickeln im Nacken spüren, wenn eine Story im Busch war. Aber nein, sie durfte sich hier nicht aus dem Fenster lehnen. Es war besser so.
Stattdessen konnte sie vom Schreibtisch aus einer Sache nachgehen. Sie rief ihren Bruder an.
»World Shoes, Chris Cloete.« Er arbeitete in Fields Laden, wo er in Handarbeit rustikale Ledersandalen und Stiefel von der Art herstellte, wie sie linke Studenten und Müslis trugen. Seit seiner Entlassung aus der Klinik benutzte er die englische Version seines Namens. Warum auch nicht? Es war schon sehr lange her, dass jemand Magdalena zu ihr gesagt hatte.
»Hey, ich bin’s, Maggie.«
»Hallo.« Sein Ton wurde eisig.
So lange hatte sie ihn durch die wahnhafte Landschaft seines gestörten Geists verfolgt und sich schließlich damit abgefunden, dass er nie mehr zurückkommen würde. Dann hatte er es gegen alle Erwartungen doch geschafft und konnte ihr nun nicht verzeihen, dass sie ihn aufgegeben hatte.
»Ich war Samstagabend bei eurem Treffen.«
»Hab’s bemerkt.«
»Christo, ich glaube, da steckt eine Story drin.«
»Es geht nicht um deine Storys. Es geht um echten Handlungsbedarf.«
Es war, als kommunizierten sie über eine zwei Meter hohe Mauer. Bewehrt mit Eisenspitzen, Glasscherben und Natodraht.
»Hör mal, ich muss dich was fragen.«
»Frag.«
»Dave Bloom. Hiesiger Ökologe. Sagt dir der Name was?«
»Ja. Er arbeitet bei Sentinel.« Das bestätigte, was Liebenberg gesagt hatte. »Warum willst du das wissen?«
»Er wurde am Sonntagmorgen am Grund der Howick Falls tot aufgefunden.«
»Ach du Scheiße.«
Sie sah auf. Vor ihrem Schreibtisch stand Liebenberg. Er trug Designer-Trekkinghosen mit raffinierten Taschen für Schweizer Armeemesser, Wanderkarten und Proviantpäckchen mit Studentenfutter. Die Art Hose, die in Outdoorläden ein Vermögen kostete. Sie hob die Hand, um ihm anzuzeigen, dass sie gleich fertig war. »Muss Schluss machen, Christo – ich hab eine Nachrichtenredaktion zu leiten.«
»Und ich Schuhe zu reparieren.« Christo fügte hinzu: »Frag Spike nach Dave Bloom.«
»Spike?« Maggies Exfreund – inzwischen verheiratet, drei Kinder – war Unidozent für Umwelt und Nachhaltigkeit und wurde von Fields Gruppe gern für Vorträge eingeladen. Er und Maggie hatten sich nicht im Guten getrennt, und für keine Story der Welt, der Galaxie oder des Universums würde sie Spike hinterhertelefonieren.
Liebenberg parkte ungebeten seinen Hintern auf ihrem Schreibtisch. Früher im alten Büro hatte der Schreibtisch des Nachrichtenredakteurs genau in der Mitte des riesigen Newsrooms gestanden, wo er alles im Blick hatte. Jetzt war er in einer Nische untergebracht – wohl zugunsten von Prestige und Privatsphäre, aber das gab Leuten auch die Möglichkeit, sie zu überfallen.
»Ich wollte das bei der Konferenz nicht sagen«, begann Liebenberg, »aber Bloom hatte so seine Probleme.«
»Ihr kanntet euch näher?«
»Wir waren nicht gerade eng befreundet«, sagte Liebenberg. »Aber doch gute Bekannte. Dave Bloom ist – war – manisch-depressiv. Das war allgemein bekannt.«
»Und das ist inwiefern relevant?«
Liebenberg schüttelte betrübt den Kopf. »Es geht mit einem potenziellen Suizidrisiko einher.« Er zögerte. »Willst du Menzi zu der Familie schicken?«
»Nicht im Fall eines Selbstmords, nein. Sie machen so schon genug durch.«
Liebenberg stand auf, hakte die Daumen in die Gürtelschlaufen und reckte die Schultern. »Tja, wenn die Story doch noch was ergeben sollte, denk dran – Umwelt ist mein Ressort.«
Maggie starrte ihn an. »Und falls rauskommt, dass Bloom nicht gesprungen ist, sondern gestoßen wurde, dann denk du dran: Verbrechen ist Menzis Ressort.«
Sie schreckte aus dem Schlaf. Wo war sie? Setzte sich auf und sah das Arrangement aus getrockneten Blumen auf einer Kommode unter dem Fenster ihrer möbliert gemieteten Bude. Sie verabscheute Schnittblumen, aber getrocknete waren noch schlimmer.
Sie stand auf, packte Blumen und Vase und stopfte sie in einen Schrank im anderen Zimmer zu den zwei impressionistischen Drucken nebliger europäischer Landschaften, drei mit Rosenknospen verzierten Kissen und ein paar Teelichtbehältern, die sie schon dorthin verfrachtet hatte.
Nachdem sie den industriellen Kitsch entsorgt hatte, schlüpfte sie in ihre Laufsachen, mehrere Schichten gegen die Kälte. Zeit für eine Runde Schmerzen. Im Licht ihrer Stirnlampe lief sie durch die Vorstadtstraßen, vorbei an hohen Mauern, die geräumige Häuser schützten. Die Häuser waren protziger geworden, seit sie vor zwölf Jahren fortgegangen war, und die Mauern noch höher.
Die Straße gabelte sich. Sie hatte die Wahl: den Hügel rauf zu den größeren Anwesen oder runter in die Stadt. Aus reiner Nostalgie bog sie links ab und lief bergab Richtung Stadtzentrum, ihr Herzschlag hämmerte ihr in den Ohren.
Ein silberner Audi mit Gautenger Kennzeichen rollte gemächlich neben ihr her, die Scheiben dunkel getönt, undurchsichtig. Sie lief etwas schneller, doch der Wagen fuhr weiter neben ihr, genau in ihrem Tempo. Die Straßen waren menschenleer, nicht mal ein Hundebesitzer in Sicht.
Am Fuß des Hügels schaltete eine Ampel auf Rot, der Audi blieb stehen. Ein Minibustaxi kam angebraust und spuckte seine Passagiere aus – hauptsächlich Frauen auf dem Weg zu ihren Jobs als Hausangestellte in den Vororten. Sie erwog kurz, hineinzuspringen, aber sie hatte kein Bargeld dabei. Stattdessen sprintete sie die Peter Kerchoff Street runter und schlug einen Haken nach links, um in den kleineren Straßen abzutauchen.
Im Rennen warf sie einen Blick über die Schulter. Kein Audi.
Lächerlich. Sie hatte sich bloß in was hineingesteigert.
Bei der nächsten Hauptstraße wandte sie sich wieder nach rechts und lief nun direkt aufs Stadtzentrum zu, ihr altes Revier. Erspähte ein Karate-Dojo und nahm sich vor, demnächst hinzugehen. Sie durfte ihr Training nicht gänzlich schleifen lassen, erst recht nicht, wenn Leute in Audis aus Gauteng womöglich mal ausstiegen, um ihr Anliegen persönlich vorzubringen.
Sie kam am Rathaus vorbei, dessen sonorer Glockenschlag verkündete, dass es sechs Uhr früh war. Vor der einstigen Gazette-Redaktion blieb sie kurz auf dem Gehweg stehen und genehmigte sich einen Schluck Wasser. Eigentlich hatte sie keine Zeit, in Nostalgie zu schwelgen, aber sie vermisste das lebendige, pulsierende Herz der Stadt. Der Büropark, wo die Zeitung jetzt saß, war so verdammt seelenlos.
Minibustaxis rauschten die Einbahnstraße entlang. Hupen quäkten, Musik wummerte aus hundert verschiedenen Woofern. Bald würde es in den Büros, Läden und Restaurants wimmeln von Leuten, die ihrem Tagwerk nachgingen. Dann füllten sich die Straßen mit fliegenden Händlern, die auf Decken oder wackligen Tischen ein verqueres und verblüffendes Warensortiment feilboten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Was sie jetzt auch tun musste.
Mit noch nassen Haaren stellte sie den Golf auf dem neuen Gazette-Parkplatz ab und machte einen Abstecher in die Büroküche, um sich mit Kaffee zu versorgen. Als sie genug Koffein getankt hatte, ging sie zu ihrem Schreibtisch, um die Agenturmeldungen zu durchwühlen und ihren Tag zu planen.
Ihr Handy summte. SMS von Christo.
Ich hab Spike angerufen, weil ich wusste, du machst es nicht. Zitat: Dave Bloom ist der ausgeglichenste Typ, den ich kenne. Leidenschaftlicher Umweltschützer. Versucht die Forstindustrie von innen zu verändern. Ausgeschlossen, dass er sich umgebracht hat. Zitat Ende.
Sie las Spikes Worte noch mal. Sie standen da, als hätte er sie selbst geschickt. Ihre Zeit zusammen war kurz – bloß gut ein Jahr – und stürmisch gewesen. Spike hatte mehr gewollt, aber auf die Art Beziehung konnte Maggie sich nicht einlassen. Bei einem katastrophal verlaufenen Essen im Haus seiner Eltern hatte seine Mutter sich erfolglos abgemüht, einen Anknüpfungspunkt zu finden.
»Gehört ihr zu den Cloetes aus Ladysmith?«
»Nö.«
»Vielleicht verwandt mit Jan Cloete, dem ehemaligen Richter? Er ist jetzt pensioniert und nach Zimbali gezogen.«
»Äh, nein.«
»Gab es nicht eine Mrs. Cloete mit einer Boutique in Musgrave? Reizender kleiner Laden.«
»Keine Ahnung.« Maggies Familie war nicht die Bohne glamourös. Nach Christos unehrenhafter Entlassung aus der National Defense Force mit anschließendem Aufenthalt in einem Apartheid-Knast hatten ihre Eltern in ihrer Schande alles hingeschmissen und waren an die Südküste gezogen. Es gab in der ganzen Stadt keine Cloetes, mit denen sie verwandt war, nur ihren Bruder. Der damals in der Klapsmühle saß.
Auf dem Heimweg hatte Maggie Spike klargemacht, dass dies ihr erstes und letztes Sonntagsessen bei seinen Eltern gewesen war.
»Du wirst dich schon an sie gewöhnen«, hatte er gesagt.
»Kann sein. Aber sie sich nicht an mich.«
Darauf hatte er keine Antwort gehabt, und kurz danach hatte sie es beendet. Spike brauchte Harmonie, alle Aspekte seines Lebens sollten sich zu einer frohsinnigen Symphonie vereinigen. Sie aber wäre immer der dissonante Ton in diesem Akkord gewesen.
Sie nippte an ihrem Kaffee. Er war kalt. An Spike zu denken war eben ein Fehler.
Die Schwingtür zur Nachrichtenredaktion öffnete sich quietschend. Frischer Zitrusduft kündete den Neuankömmling an, noch bevor er mit weit ausgebreiteten Armen in Maggies Nische auftauchte. »Liebling!«
Sie stand auf und umarmte ihn. »Aslan, wie zum Teufel geht’s dir?« Der Feuilletonredakteur war noch im Urlaub gewesen, als sie letzte Woche anfing.
»Nun ja, ich könnte sagen glänzend, wenn das hier nicht wäre.« Er knallte die gestrige Ausgabe auf ihren Tisch. Sie war zu einem peniblen Rechteck gefaltet, die Kunstseite obenauf.
Aslan Chetty hatte das Feuilleton übernommen, als die frühere Kunstjournalistin zu einer PR-Agentur in Kapstadt desertierte. Lange war es Aslans großer Traum gewesen, von einem Headhunter in eine echte Metropole abgeworben zu werden. Das hatte er allerdings selbst vereitelt, als er sich einen Namen damit machte, KwaZulu-Natals neueste Künstler zu entdecken und groß herauszubringen. Jetzt arbeitete er zwei Tage die Woche für die Gazette und ansonsten freiberuflich als Kunstreferent und Gutachter.
Maggie betrachtete prüfend das Rechteck. »Was soll ich hier sehen?«
»Meine neustes Fiasko.«
»Seh ich nicht.«
»Die Subs haben mein Feature ruiniert. Da!« Er stieß den Finger auf die Zeitung. »Drei falsch gesetzte Apostrophe. Ganz zu schweigen von der Headline.«
Die Überschrift war ihr gestern schon aufgefallen: Krieg der Künste. Sie fand sie ziemlich gut, doch Aslan sah das offensichtlich anders.
»Verdammt, Maggie, ich hab einen Ruf zu wahren. Den lass ich mir nicht von mental Dreijährigen besudeln, die kindische Kalauer absondern und nicht mal die Grundregeln der Grammatik beherrschen. Das ist schlicht niveaulos.« Er warf sich auf den Stuhl ihr gegenüber und begann an den Nägeln zu kauen.
»Neue Angewohnheit?«
»Ja.« Er nagte weiter. »Seit heute. Wegen dieser Flitzpiepen, die meine Texte redigieren.«
»Ich rede mal mit den Subs.« Deren Job war es, jedes Wort zu prüfen und solchen Patzern vorzubeugen.
»Als ob das was bringen würde. Die scheren sich doch keinen Deut um Qualität.« Aslan ließ von seinen Nägeln ab und verschränkte die Arme. »Aber sag mal, was machst du überhaupt in diesem Saftladen? Du hast es doch geschafft, von hier wegzukommen, und jetzt bist du wieder da. Niemand kommt hierher zurück.«
»Na ja, Christo ist aus der Klinik raus, und er braucht mich in seiner Nähe.«
»Er ist draußen? Das ist doch toll, Maggie.«
Sie nickte matt. Irgendein Funke hatte gezündet und ihn zurück in die Wirklichkeit geleitet. Nur nicht zu ihr.
»Und, wie findest du die neue Redaktion?« Aslan wies auf die Kabäuschen ringsum.
»Trostlos«, sagte Maggie. »Mir fehlt die Innenstadt.«
»Meine Rede«, stimmte er zu. »Weißt du noch, früher? Wir konnten einfach in die City schlendern, uns ein Curry holen, und dazu gab’s Straßenmusik und Jongleure.« So hatte Maggie damals Spike kennengelernt: als Jongleur in den Altstadtgassen von Pietermaritzburg. Aslan hob anzüglich eine Braue. »Du erinnerst dich doch an den Jongleur?«
»Der Jongleur ist verheiratet und hat drei Kinder.«
»Jane sagt, Glück in der Ehe ist allein eine Sache des Zufalls.« Noch immer zitierte Aslan mit Vorliebe Jane Austen. Seit jeher versuchte er Maggie zum Lesen zu agitieren – also zu schöngeistigerer Lektüre als Motorradmagazinen.
»Aslan, ich bin zum Arbeiten hier und um ein Auge auf meinen Bruder zu haben. Ich hab null Interesse an Jongleuren, weder damals noch heute noch in Zukunft. Das hier ist nur ein Zwischenspiel. Ich bin weg, sobald Zacharius nächstes Jahr von seinem Sabbatical zurückkommt.«
»Falls er zurückkommt.«
»Was meinst du damit?«
»Der Mann ist müde, Maggie. Er macht den Job seit fünfundzwanzig Jahren. Ich denke, er absolviert gerade einen Testlauf für den Ruhestand.« Er grinste und stand auf. »Du, ich muss noch ein paar Artikel einreichen. Bis später.«
Bei der Konferenz bat sie Menzi, Kontakt zu Natalie Bloom aufzunehmen. »Ich weiß, das ist knifflig«, sagte sie. »Aber gewissen Quellen zufolge war er absolut kein Selbstmordkandidat. Vielleicht hat sie dazu auch was zu sagen.«
»Der Mann war manisch-depressiv«, warf Liebenberg ein, kippte seinen Stuhl nach hinten und verschränkte die Arme vor der Brust. »Da gehören Suizidtendenzen zur Symptomatik.«
»Danke für die Information, Johan. Was liegt bei dir heute an?«
»Sentinel nimmt einen Minibus voller Presseleute mit zu der neuen Rennpiste. Ich würde gerne mitfahren und sie mir ansehen.«
»Hast du nichts Neues? Klingt wie die Story von gestern.«
»Ich könnte ein paar gute Fotos kriegen.«
»Wir haben keinen Fotografen übrig.« Ed hatte einen Fototermin mit ein paar neuen Stadträten, und Ahmed, seine Nummer zwei, sollte sich beim Gericht an den Farm-Mörder hängen.
»Ich kann sie selber machen. Ich habe eine tolle kleine Spiegelreflex.« Natürlich. War doch klar, dass Liebenberg die zur Trekkinghose passende Designerkamera besaß.
»Nichts da, du bleibst hier. Wir können nicht immer nur Forstwesen bringen. Finde mal raus, was am Land Claims Court los ist – frag nach, ob sie in letzter Zeit irgendwelche Fälle abschließen konnten.« Dieses Gericht bearbeitete hauptsächlich Entschädigungsansprüche und Rückforderungen von unter dem Apartheidregime enteigneten Familien und Gemeinden. Es war berüchtigt für seine Langsamkeit, ausgebremst von Amtsschimmel und Bürokratie.
»Ich habe dort keine Kontakte.« Liebenberg hörte auf, mit dem Stuhl zu kippeln.
»Dann leg dir welche zu.« Maggie stand auf. »Das nennt sich Journalismus.«
Die Leute verließen den Raum. Liebenberg blieb sitzen. Als Maggie an ihm vorbeiging, sagte er: »Kann ich dich mal sprechen?«
Gegen ihren Willen sagte sie ja und schloss die Tür des Konferenzraums.
»Wie lange bist du schon Journalistin?«
»Gut zwanzig Jahre.«
»Ich bewundere deine Erfahrung. Ich war wirklich gut in meinem alten Job. Kurz bevor ich ging, hat man mir eine traumhafte Beförderung angeboten, obere Gehaltsklasse, Überholspur in den Vorstand.«
»Und du hast nicht zugeschlagen?«
»Meine Mutter ist alt und sehr gebrechlich. Mir war klar, wenn ich den Posten annehme, habe ich keine Zeit mehr, um mich um sie zu kümmern.«
»Was ist mit Teilzeitfreistellung oder Beurlaubung aus familiären Gründen? In so was sollen Großunternehmen doch ganz groß sein.«
Mit Verschwörermiene legte er ihr eine Hand auf den Arm. »Um ehrlich zu sein, nachdem ich jahrelang für den Laden geschuftet hatte, brauchte ich dringend eine Veränderung meines Lebensstils.«
»Und da hast du dir gedacht, es verbessert deinen Lebensstil, für eine Zeitung zu arbeiten? Sieh dich doch mal um. Jede Menge Stress, Überstunden und Leute mit Suchtproblemen.« Ganz zu schweigen von silbernen Audis mit Gautenger Kennzeichen, die einem an den Fersen klebten. »Hör mal, ich hab keine Zeit für Schwätzchen. Ich muss die Chefredakteurin briefen und die Ausgabe ins Rollen bringen.«
»Ich bitte ja nur um etwas Spielraum. Ich lerne doch noch.«
»Na gut. Spielraum kannst du kriegen, aber nicht für diese Sentinel-Nummer. Das ist bloß eine nutzlose Bespaßungsaktion. Wenn du nicht zum Land Claims Court gehen willst, schlage ich vor, du legst einen Archivtag ein. Geh die Akten durch, sieh dir an, was für Umweltthemen in den letzten sechs Monaten Schlagzeilen gemacht haben. Such die Beteiligten raus, vereinbare Termine, geh hin und sprich mit ihnen. Du brauchst einen Kontaktfundus. Höchste Zeit, dass du dir den zulegst.«
»Danke, Maggie. Mach ich.«
Sie nickte und ging hinaus.
Nach der Besprechung mit Naidoo und Patti kehrte sie zu ihrem Schreibtisch zurück. Als sie sich setzte, klingelte ihr Handy. Nummer unbekannt. »Cloete.«
»Natalie Bloom hier. Dave Blooms Frau. Spike Lyall hat mir Ihre Nummer gegeben.«
Die Härchen an ihren Armen stellten sich auf. Blooms Frau. Und Spike, regelte der ihr Leben jetzt aus dem Hintergrund? »Hallo.«
»Können wir reden?«
»Sicher. Jetzt gleich?«
»Ich möchte Ihnen etwas zeigen. Haben Sie Zeit?«
Sie sah auf die Uhr. Zehn nach elf – eigentlich kurz genug vor der Mittagspause, um eine Spritztour zu rechtfertigen. Aber es war erst ihre zweite Arbeitswoche hier. Sichtbare Präsenz im Büro war geboten. »Hören Sie, Mrs. Bloom, ich komme hier jetzt nicht weg. Ich kann unseren Kriminalreporter anrufen und ihn bitten, auf dem Rückweg vom Gericht kurz bei Ihnen vorbeizuschauen.«
»Nein«, sagte die Frau. »Ich will nur mit Ihnen reden. Spike sagt, Sie sind die Beste.«
Die Beste wobei?
»Sie oder keiner, Ms. Cloete.«
Sie sagte zu, machte sich auf und blieb bei Fortunate am Empfang stehen. »Wo kriege ich einen Wagen?«
»Ist es dienstlich?« Die Rezeptionistin hackte mit spitzen Fingernägeln auf ihre Tastatur ein.
»Ja.«
»Wir unterhalten keinen Fuhrpark mehr. Alle nehmen ihre eigenen Autos und beantragen die Rückerstattung der Benzinkosten.« Fortunate hörte zu tippen auf, wühlte in einer Dokumentenablage und zog ein eng bedrucktes zweiseitiges Formular heraus.
»Das soll ich jedes Mal ausfüllen, wenn ich meinen Wagen benutze?«
»Ja, bitte. Den Kilometerstand zu Beginn und Ende der Fahrt tragen Sie hier ein.« Fortunate deutete mit einem langen roten Fingernagel auf das Formular. »Und Ihre Tankfüllung zu Beginn und Ende der Fahrt tragen Sie hier und hier ein. Sie erhalten die Benzinauslagen dann mit Ihrem Gehaltsscheck zurückerstattet.«
»Und all das andere Zeug da?« Maggie wedelte über das Formular.
»Das System will es so haben.« Fortunate schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. Ihr Lippenstift passte zum Nagellack.
Sie steckte den Schlüssel ins Zündschloss des Golfs. Hässliche Büroräume, noch mehr Papierkrieg und beschissene Sandwichs. Bei der Gazette hatte sich einiges verändert.
Der Wagen sprang hustend an, und sie rollte zur Roberts Road, wo sie nach dem Wohnsitz der Blooms Ausschau hielt. Er war leicht zu finden – rechterhand eine lange weiße Mauer, wie Natalie gesagt hatte, beschirmt von einem Baumriesen. Das Haus war ein gewöhnlicher Vorstadtbungalow. Das Leben wirkte so normal, wenn man nach dem äußeren Anschein ging.
Sie drückte auf die Klingel.
»Kommen Sie rein«, rief eine Frauenstimme. Maggie schob das Sicherheitstor auf und stieg die flachen Stufen hoch zu einer Veranda mit vereinzelten Kräutertöpfen.
Die Haustür ging auf, Natalie Bloom stand im Eingang. Der Tod ihres Mannes hatte sie sichtlich gezeichnet – dunkle Schatten unter den Augen, keine Spur von Lächeln, dünn und durchlässig wirkende Haut. »Hallo.« Ihre Stimme war leiser als am Telefon.
»Hey«, sagte Maggie. »Ihr Verlust tut mir wirklich leid.« Diese Worte klangen immer hohl. Als Kriminalreporterin hatte sie sie unzählige Male gesagt.
»Kommen Sie.« Die Frau führte sie durch eine kleine Pantryküche in ein Esszimmer mit acht Stühlen um einen runden Tisch. »Nehmen Sie Platz.«
Natalie Bloom setzte sich ebenfalls und starrte ihre auf dem Tisch gefalteten Hände an. Sie grub den Fingernagel eines Daumens in die Nagelhaut des anderen und schien unfähig, den Blick zu heben.
»Wir haben Dave gestern beerdigt.« Die Frau zwang sich mit Mühe, in Maggies Richtung zu schauen. »In der jüdischen Tradition ist Selbstmord ein Frevel gegen Gott. Selbstmörder kriegen keine Trauerfeier und dürfen nicht auf dem jüdischen Friedhof begraben werden. Allerdings gehören wir einer Reformgemeinde an, und der Rabbi hat ein Auge zugedrückt. Ich musste ihn regelrecht anflehen, Dave ein ehrenvolles Begräbnis zu gewähren, im Rahmen unseres Glaubens.«
Maggie nickte. »Das ist gut.«
»Sie kapieren es nicht, was?« Natalie hatte aufgehört, ihre Nagelhaut zu malträtieren.
»Ich bin nicht sicher, was Sie meinen.«
»Mein Mann hat auf gar keinen Fall Selbstmord begangen.«
»Er hatte wohl gute Gründe, leben zu wollen?«
»Und ob!« Natalie Blooms kleine Faust fuhr auf den Tisch nieder, eine Obstschale klirrte. Sie stand auf. »Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.«
Maggie folgte ihr einen Flur entlang, bis sie eine Tür öffnete.