Karl-Daske-Thriller-Sammelband: Der Klang der Rache, Perfekte Freunde - André Winkler - E-Book
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Karl-Daske-Thriller-Sammelband: Der Klang der Rache, Perfekte Freunde E-Book

Andre Winkler

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Beschreibung

***BAND 1 UND 2 DER HOCHSPANNENDEN KARL-DASKE-THRILLER-REIHE IN EINEM SAMMELBAND***

Band 1: DER KLANG DER RACHE

Kriminalhauptkommissar Karl Daske hatte sich schon auf ein ruhiges Wochenende mit seiner Frau und einer Partie Rommé gefreut, als er zu einem Tatort gerufen wird. Unbemerkt von ausgelassen feiernden Festivalbesuchern ist ein Mann zu Tode gekommen. Als Daske eintrifft, erwartet ihn bereits sein junger und unerfahrener Kollege Alex Zabinski, der sich ihm gegenüber nicht nur respektlos verhält, sondern zu allem Übel auch noch mit seiner Tochter, der Kriminaltechnikerin Isabell, zusammen ist, zu der Daske selbst kaum noch Kontakt hat. Gemeinsam nehmen die drei die Ermittlungen auf und versuchen, die Spannungen zu umgehen. Erfolglos.

Der Fall selbst steht ebenfalls unter keinem guten Stern. Daske traut seinen Ohren kaum, als er von einem der beiden Freunde des Ermordeten erfährt, dieser habe sich nachts im betrunkenen Zustand noch neben die Leiche gelegt und erst am Morgen dessen Tod bemerkt. Der Tatort ist kontaminiert und die beiden Zeugen dank ihres starken Alkoholkonsums vom Vortag keine Hilfe.

Zumindest die Todesursache lässt nicht lange auf sich warten: Das Opfer wurde mit Wespengift vergiftet. Doch gerade als Daske einem möglichen Motiv auf der Spur ist, verschwinden die beiden Hauptverdächtigen spurlos.


Band 2: PERFEKTE FREUNDE

Kriminalhauptkommissar Karl Daske findet sich inmitten eines neuen Rätsels wieder. Am Morgen nach einer ausgelassenen Einweihungsparty in seinem Kleingartenverein wird sein direkter Nachbar Effe tot aufgefunden – erstochen mit Daskes Steakmesser. Mit seiner neuen strengen Chefin im Nacken, muss er gegen den Verdacht ankämpfen, selbst in den Mord verwickelt zu sein. Zu allem Überfluss erinnert sich der Kriminalhauptkommissar nicht einmal selbst an das Ende seiner Feier. Zu viel Alkohol war im Spiel. Da er dennoch von seiner Unschuld überzeugt ist, beschließt er, auf eigene Faust zu ermitteln, und stößt dabei auf eine Vielzahl von Verdächtigen innerhalb seines Bekanntenkreises. Doch je tiefer Daske gräbt, desto mehr dunkle Geheimnisse kommen ans Licht. Zwischen Intrigen und Verstrickungen droht er sich selbst zu verlieren.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der Klang der Rache
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Perfekte Freunde – Jeder hat Geheimnisse
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Epilog

André Winkler

Der Klang der Rache und Perfekte Freunde

Über den Autor:

 

 

 

André Winkler wurde 1980 als Kind des Ruhrgebiets in Essen geboren, lebt seit über zehn Jahren in Recklinghausen und arbeitet als Lehrer an einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung.

Das kreative Schreiben hat ihn seit jeher fasziniert und er hat im Rahmen seines Lehramtsstudiums u.a. Literaturwissenschaft an der TU Dortmund studiert und sich im ›creative Writing‹ an der Pace University in New York erprobt.

›Der Klang der Rache‹ ist der Auftakt einer Reihe rund um den Protagonisten ›Karl Daske‹ und gleichzeitig der Debütroman des Autors.

 

 

Buchbeschreibung:

 

Der Klang der Rache

 

Auf einem Rockfestival vor den Toren von Recklinghausen kommt ein junger Mann auf rätselhafte Weise ums Leben.

Kriminalhauptkommissar Karl Daske und sein Team ermitteln, dass das Opfer scheinbar willkürlich mit einer Spritze Wespengift ermordet wurde. Trotz aller Anstrengungen lässt sich kein Motiv erkennen und der fast unsichtbare Täter ist ihnen zu jeder Zeit einen Schritt voraus.

Als plötzlich die beiden Freunde des Opfers und somit die einzigen Zeugen spurlos verschwinden, beginnt ein Wettlauf gegen einen äußerst gerissenen Täter, dessen Mordserie gerade erst begonnen hat.

Während sich Daske in den Ermittlungen aufreibt, gerät auch sein Privatleben mehr und mehr in die Schieflage. Seine Tochter, die Kriminaltechnikerin Isabell, wendet sich dem ungeliebten Kollegen Zabinski zu, seine Ehe wankt bedrohlich und Daske gerät zunehmend in einen Strudel aus Zwietracht, Alkohol und Rache.

 

Perfekte Freunde

 

Kriminalhauptkommissar Karl Daske findet sich inmitten eines neuen Rätsels wieder. Am Morgen nach einer ausgelassenen Einweihungsparty in seinem Kleingartenverein wird sein direkter Nachbar Effe tot aufgefunden – erstochen mit Daskes Steakmesser. Mit seiner neuen strengen Chefin im Nacken, muss er gegen den Verdacht ankämpfen, selbst in den Mord verwickelt zu sein. Zu allem Überfluss erinnert sich der Kriminalhauptkommissar nicht einmal selbst an das Ende seiner Feier. Zu viel Alkohol war im Spiel. Da er dennoch von seiner Unschuld überzeugt ist, beschließt er, auf eigene Faust zu ermitteln, und stößt dabei auf eine Vielzahl von Verdächtigen innerhalb seines Bekanntenkreises. Doch je tiefer Daske gräbt, desto mehr dunkle Geheimnisse kommen ans Licht. Zwischen Intrigen und Verstrickungen droht er sich selbst zu verlieren.

 

 

André Winkler

Der Klang der Rache und Perfekte Freunde

 

Karl Daske ermittelt 1 & 2

 

Kriminalroman

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© April 2025 Empire-Verlag

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

[email protected]

Ansprechpartner: Thomas Seidl

 

Lektorat: Dr. Daniela Guse – https://www.danibakerbooks.com/lektorat

Korrektorat: Jasmin Schulte – http://www.zeilenstark.de/

Korrektorat: Rebekka Maria Packery – www.sprachkunst.art

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –

nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Songtextauszug: »Waffenschein bei Aldi« mit freundlicher Genehmigung der Band Sondaschule.

 

Cover: Chris Gilcher

https://buchcoverdesign.de/

Illustrationen: Adobe Stock ID 248500036

 

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André Winkler

Der Klang der Rache

 

Karl Daske ermittelt 1

 

Kriminalroman

Sommer

 

1

 

Los, zieh’ dich warm an, Kleiner! Du weißt, da draußen ist es kalt! Und halt dich fern von Menschen, sonst trifft dich Terror und Gewalt. Du bist hier nicht mehr sicher! Nicht mal in deinem eigenen Haus! Im Baumarkt gehen schon langsam wieder die Hängeschlösser aus!

 

Paul schrie den Text aus vollem Leibe mit.

Was für ein Konzert! Was für ein Rausch! Der Mob tobte im Pogokreis!

Paul gab Vollgas und ließ sich in einen Strudel aus Menschen saugen. Er hüpfte wild durch die Massen, nahm einen tiefen Schluck Rotwein aus dem Tetra Pak und schüttelte sich. Er schmeckte schal und vergoren, aber es machte ihm nichts aus.

Ellenbogen raus! Knie hoch! Springen! Schattenboxen! Springen! Drehen! Springen! Faustschlag! Links! Rechts! Doppelschlag! Text grölen!

 

Zum Glück gibt es ab Donnerstag Waffenschein bei Aldi!

Und wer weiß, vielleicht sind hoffentlich schon Freitag endlich alle Menschen tot!

 

Verschwitzte Leiber klatschten mit Wucht aufeinander und wirbelten umher.

Links, rechts, kurze Rempler. Helfende Hände griffen nach ihm und Paul stand wieder auf den Beinen. Er wurde mächtig durchgeschüttelt und ein tiefroter Fleck Tütenwein machte sich hüfthoch auf seinem Hemd breit. Nach einem allerletzten Schluck schleuderte er den flüssigen Begleiter in hohem Bogen in das begeisterte Volk.

Springen! Schreien! YEAH!

 

All’ die Pessimisten All’ die Terroristen Nur die Lobbyisten singen Halleluja

 

Auf der Bühne knallten laute Explosionen und Konfettiregen setzte ein. Er spürte die schweißnasse Haut eines waghalsigen Crowdsurfers, der unkontrolliert auf dem Händemeer schwamm. Die Sondaschule nahm immer weiter Fahrt auf und Paul pflügte im Beat durch die Reihen. Arme. Beine. Nackte Bäuche. Die Menschen um ihn herum purzelten munter durcheinander, während Costa Cannabis und die Seinen auf der Bühne alles aus sich rausholten.

Paul gab sich komplett der Musik hin und genoss seinen Rausch in vollen Zügen.

Ausruhen könnte er sich auch noch, wenn er tot sei.

 

Feuer frei!

 

***

 

In der Zivilisation saß Karl Daske derweil zusammen mit seiner Frau Petra beim gemeinsamen Rommé. Sie hatten mehrere Runden gespielt und Daske freute sich jedes Mal diebisch, wenn seine Gattin noch hohe Karten in der Hand hielt, während er gänzlich ablegen konnte.

Zurzeit sah es für ihn gut aus, denn Petra hatte bisher 253 Minuspunkte mehr auf ihrem Konto gesammelt. Daske lag souverän in Führung und würde garantiert einen historischen Sieg davontragen. So könnte das Wochenende ruhig weitergehen.

Da es momentan im Recklinghäuser Polizeipräsidium nicht viel zu tun gab, freute sich der Kriminalhauptkommissar auf ein ruhiges Wochenende in der Rufbereitschaft und hoffte, dass er nicht doch zu einem Einsatz gerufen wurde.

Den heutigen freien Tag hatte Daske mit seiner Frau Gemahlin im heimischen Beet verbracht. Wobei er vermehrt Anweisungen und Ratschläge vom Liegestuhl aus erteilt hatte, während Petra den Unkräutern zu Leibe gerückt war.

Am Nachmittag hatte er schließlich den stattlichen Gasgrill bemüht und für beide eine mittelgroße Schlachtplatte den Flammen übergeben.

Um den Tag abzurunden, war er ihr zuliebe am frühen Abend bei einer der letzten Inszenierungen der Ruhrfestspiele im Theater gewesen.

Daske hatte sich in seinen feinsten Anzug gequält und Petra damit verzückt. Sie hatten zusammen Der Meister und Margarita von Michail Bulgakow im großen Haus angeschaut. Eigentlich. Denn tatsächlich genoss Petra die Aufführung, während Daske vorwiegend auf das Smartphone schielte, um die Zwischenstände des Eröffnungsspiels der Europameisterschaft per Liveticker zu erhaschen.

Frankreich gegen Italien.

Ein echter Fußballklassiker und packender Auftakt. Italiens Torhüter hatte direkt zu Beginn die rote Karte gesehen und der Ersatzkeeper den fälligen Strafstoß der Franzosen gehalten. Große Dramaturgie!

In der Pause hatte Daske sich auf der Herrentoilette mit anderen Leidensgenossen über die Partie ausgetauscht und solidarisch erklärt. Die zweite Hälfte war, dank Liveticker, wie im Fluge vergangen und auch Petra hatte sich köstlich amüsiert. Sie war sehr angetan von der exzellenten schauspielerischen Leistung und es war ein rundum gelungener Abend gewesen.

Nun saßen Petra und Karl Daske zu später Stunde bei sommerlichen Temperaturen entspannt auf ihrer Terrasse, tranken Bier aus dem Sauerland und roten Wein aus der Toskana. Sie vertieften sich in ein sorgloses Kartenspiel und vergaßen die Welt um sich herum. Daske hatte den feinen Zwirn gegen den rot-weißen Trainingsanzug seiner Lieblingsmannschaft Rot-Weiss Essen eingetauscht und von Zeit zu Zeit hallten brachiale Musikfetzen vom Flugplatz in der Loemühle zu ihnen herüber, welche aber nicht die Idylle störten.

 

***

 

Nach dem Konzert der Sondaschule konnte sich Paul kaum noch auf den Beinen halten. Er hatte ein pfeifendes Piepsen in den Ohren, das mit den rauschenden Baumkronen des nahen Waldes einen wirren Chor ergab.

Es hatte ordentlich gekracht und gewaltig gerockt. Paul hatte sämtliche Orientierung von Zeit und Raum verloren.

Seine Freunde Martin und Fabian hatte er schon vor Stunden aus den Augen verloren. Sie waren vom Schwamm der Entfesselten förmlich aufgesogen worden.

Erschöpft ließ er sich vor ihrem Wohnmobil in einen Campingstuhl fallen. Wobei die Bezeichnung Wohnmobil ein wenig übertrieben war.

Er hatte sich mit Martin einen großen Transporter gemietet und auf der Ladefläche wohnlich eingerichtet. Fabian hatte auf diese Art von Luxus gänzlich verzichtet und war mit seinem Golf angereist, in welchem er gestern irgendwie gepennt hatte.

Über beide Fahrzeuge hatten sie eine Zeltplane gespannt, die sich nun geräuschvoll im Wind bog.

Paul streckte die strapazierten Glieder aus und schaute auf die Uhr seines Smartphones. Der Alkoholkonsum zwang ihn ein Auge zu schließen, damit er nicht doppelt sah.

23.45 Uhr.

›Wo seid ihr? Ich hab’ Durst!‹ Er texte seinen Freunden und hoffte, endlich ein Lebenszeichen von ihnen zu erhalten.

Paul seufzte. Martin hatte den Autoschlüssel und ohne ihn kam er nicht an ein Gute-Nacht-Bier.

Vor lauter Langeweile angelte er eine zerknüllte Zigarettenschachtel vom Boden und warf sie lustlos über den selbstgezimmerten Jägerzaun, der ihren Campingbereich stilecht eingrenzte.

Wo blieben seine beiden Freunde nur? Das Konzert war schon seit einer halben Ewigkeit vorbei.

Er gähnte herzhaft und spürte einen deutlichen Spannungsabfall. Leicht verärgert stand er auf und rüttelte trotzig an der Seitentür des Transporters.

Zu seiner Verwunderung ließ sich die Schiebetür ohne Probleme öffnen.

Paul blickte stutzig in den stockdüsteren Innenraum.

Lag da etwa Martin?

Waren seine Freunde doch schon zurück?

Paul angelte in seinen Hosentaschen nach seinem Smartphone. Bevor er die Taschenlampen-App aktivieren konnte, vernahm er ein kurzes Röcheln, gefolgt von einem nicht ganz so kurzen Furz. Martin drehte sich brummelnd um und begann lautstark zu schnarchen.

Paul musste grinsen.

»Warte ab, wenn ich gleich ins Bettchen komme, Schätzchen«, murmelte er gefällig.

Trotz aller Müdigkeit nahm er sich doch noch ein Bier aus dem Wageninneren, welches aufgrund der nächtlichen Temperaturen erstaunlich gut gekühlt war.

Zufrieden ließ er sich wieder in den Campingstuhl fallen, während aus dem geöffneten Wagen wiederkehrendes Schnarchen und Röcheln hervordrang.

Blieb nur die Frage, wo sich Fabian rumtrieb. Im Golf ratzte er jedenfalls nicht vor sich hin.

Nachdem er eine Weile in seinem Campingstuhl gesessen und Bier getrunken hatte, war es an der Zeit Martin im Transporter zu beehren.

Fabian wird schon wieder auftauchen, dachte er sich und warf die leere Bierflasche geräuschvoll in den Kasten im Inneren des Transporters.

Da er vergeblich auf eine Reaktion von Martin wartete, langte er schließlich ein letztes Mal nach seinem Handy und machte ein schnelles Foto von Martin.

›#BesoffeneDekorieren?! :D‹ Er schickte das Foto in ihre WhatsApp-Gruppe.

Dann zog er die Wagentür von innen zu und legte sich in kompletter Montur neben seinen Freund auf die Luftmatratze. Er zog noch nicht einmal die Schuhe aus.

 

***

 

Vorsichtig schlug Paul die Augen auf und versuchte, sich hilflos im Raum zu orientieren.

Doch im selben Augenblick explodierte sein Kopf.

Nie wieder Alkohol! In meinem ganzen Leben werde ich nie wieder etwas trinken, schwor er sich kläglich und feierlich zugleich.

Ihm war speiübel und dennoch hatte er Durst. Einen Riesendurst.

Nur bitte keinen Alkohol. Nie wieder!

Eine halbvolle Wasserflasche stand am Fußende der Luftmatratze.

So weit weg. Viel zu weit weg.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und das grelle Tageslicht fiel aggressiv in den Innenraum.

»Wach werden, ihr alten Schnurzelhäschen!«, brüllte Fabian in die miefige Kabine des Transporters und rümpfte die Nase. »Boah, stinkt dat bei euch! Alter Vatter!«

Der Freund hielt triumphierend eine Kanne Kaffee hoch.

»Frühstück is’ feddich! Ich hab’ euch wat ganz Feines gezaubert!«

Doch Paul rührte sich nicht.

»Wat habt ihr denn wieder die ganze Nacht getrieben?«, fragte Fabian vorwurfsvoll, nachdem er in den Transporter geäugt hatte. »Wat is’ mit euch nur kaputt?«

Paul lag weiterhin in Embryonalstellung und schloss die Augen, bis sein Freund endlich abgezogen war.

War das gestern ein geiler Tag gewesen! Die Konzerte waren der absolute Hammer und die Leute waren alle megagut drauf gewesen. Echt sehr entspannt das Ganze.

Er hatte bei der Sondaschule gepogt wie ein junger Gott und einfach nur abgefeiert.

Jetzt wälzte er sich mit bohrenden und hämmernden Kopfschmerzen auf der Luftmatratze herum.

Nie wieder Alkohol!

Er rieb sich die Schläfen und streckte seine linke Hand aus, die plötzlich in irgendetwas Kaltem und Feuchtem landete. Angeekelt zog er die Hand sofort wieder zurück, führte sie aber dennoch instinktiv an die Nase und roch vorsichtig daran. Sie stank säuerlich und vergoren.

»Alter, hast du etwa in die Karre gekotzt? Bist du behämmert? Das ist ja richtig ekelhaft!«, raunte er Martin an.

Er war gänzlich angewidert, brachte es jedoch nicht fertig sich aufzuraffen, geschweige denn die Augen zu öffnen. Sein Kumpel lag mit dem Rücken zu ihm und rührte sich nicht.

»Mann, und ich dachte, ich wäre gestern richtig voll gewesen. Das war aber auch ein krasser Scheiß«, versuchte er kläglich zu lachen.

Keine Reaktion.

Er blinzelte misstrauisch und versuchte, die Schmerzen in seinem Kopf für einige Sekunden zu ignorieren.

Aus schmalen Augen heraus erkannte er schemenhaft kleine Brocken halbverdauter Fleischreste, in welche er gerade gelangt haben musste. Er erkannte Überbleibsel von Toastbrot, die in ein schillerndes Grünorange getaucht waren. Die ganze Luftmatratze neben ihm war vollgereihert und ein Schauer des Ekels lief ihm den Rücken herunter. Sein Freund bewegte sich immer noch nicht.

Er putzte die versiffte Hand am Pullover des Kumpels ab und rüttelte an ihm.

»Wach auf, Mann!«, rief er.

Da dieser sich immer noch nicht rührte, ignorierte er die Kopfschmerzen, schluckte den Ekel herunter und ging auf die Knie, um sich über seinen Freund zu beugen. Er rüttelte ihn erneut und drehte ihn schließlich zu sich herum.

»Wach endlich auf! Hörst du schlecht!«, brüllte er ihn an.

Plötzlich hielt er in der Bewegung inne. Martins Augen waren auf die Größe von Aprikosen angeschwollen und schimmerten in einem tiefen Rot.

»Ach, du Scheiße«, entfuhr es Paul und er wich erschrocken zurück. »Was ist denn mit dir los?«

Sein Blick fiel auf den Brustkorb des Freundes. Dieser hob sich nicht und senkte sich schon gar nicht. Er zeigte keine Regung.

Hob und senkte sich nicht.

Martin atmete nicht!

Verzweiflung machte sich in Paul breit.

»Das kann doch nicht wahr nicht sein!«

Er rüttelte heftig an dem Freund, schlug auf dessen Brustkorb und hämmerte an die Wagenwand.

Er schrie.

Kreischte nach Fabian.

Schrie um Hilfe.

Paul war mit einem Mal hellwach.

2

 

Die Anfahrt aus der Recklinghäuser Innenstadt gestaltete sich schwieriger als gewöhnlich. Die Zufahrten zum Gelände am Flugplatz waren für den normalen Verkehr abgeriegelt und einzig seine Dienstmarke erlaubte es ihm, zeitnah an der Loemühle anzukommen. Vor Ort war erst recht alles gesperrt.

Kriminalhauptkommissar Karl Daske blickte sich um und konnte in der Ferne auf dem Flugplatzgelände die zwei riesigen Bühnen für das Musikfestival erspähen. Rocklinghausen stand dort in gewaltigen Lettern auf einer leichten Anhöhe geschrieben und erinnerte im großen Stil an den berühmten Schriftzug in den Hollywood Hills.

Da Daske keine genauen Instruktionen bezüglich des Fundortes der Leiche erhalten hatte, rief er seinen Kollegen Zabinski an. Dieser war schon etwas eher eingetroffen und koordinierte bisher die Ermittlungen vor Ort. Trotz des niedrigeren Dienstgrads besaß Zabinski die Nerven, Daske an den Ordnungsdienst des Festivals zu verweisen. Die Security würde ihn schon zum Leichenfundort leiten.

Mehrfach versuchte Daske daraufhin sein Anliegen diesen bemuskelten Hornochsen zu erklären, bevor er endlich jemanden mit einem letzten Fünkchen Verstand auftat. Von diesem Genie in Neonweste wurde er schließlich mit seinem Wagen im Schritttempo durch umherwandernde Massen geführt. Daske musste torkelnden Betrunkenen, grölenden Fußballtrikotträgern und verzauberten Elfen in Gummistiefeln ausweichen. Die meisten Leute schleppten dabei palettenweise Dosenbier und schrien ihm unbekannte Lieder entgegen. Die Stimmung war ausgelassen und nahezu hemmungslos.

Daske parkte seinen Dienstwagen mitten auf einem Feldweg zwischen flanierenden Festivalbesuchern und betrat einen von Bauzäunen umfassten Acker, auf dem tausende Menschen campierten. Das Zaungitter diente zudem als öffentliche Toilette und wurde ausführlich von Männern in teils vollkommen heruntergelassenen Hosen frequentiert.

Er blickte sich um. Als wohlgenährter Mittfünfziger in einem dezent verknitterten Jackett mit angegrautem vollem Haar, unscheinbarer Brille und stattlichem Schnauzbart wirkte er gänzlich verloren und fehl am Platze.

Was seine Augen in diesem frühen Sonnenlicht wahrnahmen, konnte sein Gehirn noch nicht richtig umsetzen, geschweige denn einordnen.

Auf dem Acker grassierte der absolut nackte Wahnsinn.

Dicht an dicht standen alle erdenklichen Möglichkeiten des motorisierten Untersatzes. Daske erblickte Wohnwagen, Busse, Baustellenwagen, Kleintransporter und PKWs. Mit Folien, Planen oder Zeltstoffen waren einzelne Autos zu vielen kleinen Wagenburgen zusammengetackert worden und schützten auf diese Weise vor Sonnenlicht und Regen sowie primär vor Bierduschen und umherfliegenden Grillwürstchen. Überall lag Müll herum und Musik wummerte ihm nicht nur aus einer Himmelsrichtung entgegen. Rockgitarren mischten sich mit noch härteren Heavy-Metal-Gitarren, die sich wiederum mit Sprechgesang und besonders dicken Beats abwechselten.

Dass dies im Herbst und Frühling ein ertragreicher Acker sein sollte, wollte Daske nicht einleuchten.

Auf ihrem Weg zu einer ausgedehnten Tour in die hügelige Landschaft der Haardt war er hier noch im Frühjahr zusammen mit seiner Frau Petra auf dem E-Bike unterwegs gewesen. Sie waren an blühenden Feldern und saftigen Wiesen vorbeigeradelt. Damals war es ihm herrlich vorgekommen. Ruhig und voller Natur.

Der Versuch, im Hier und Jetzt frische Luft einzuatmen, misslang Daske eindeutig. Das Gemisch, welches die Leute durch die Nase zu sich nahmen, war stark mit Holzkohle angereichert. Es roch zudem nach Fleisch, Schweiß und Pisse. Die Menschen um ihn herum fühlten sich dennoch pudelwohl und feierten ausgelassen in diesem Dreck.

Es war ihm ein Rätsel und Daske schüttelte den Kopf. Früher war er selbst ein passionierter Konzertgänger gewesen und liebte die Gitarrenmusik des Jimi Hendrix′ immer noch über alles.

Aber dieser Dreck!

Dieser Lärm!

Nein, das war nichts mehr für ihn und er fühlte sich alt und auf eine gewisse Weise abgehängt.

Endlich erspähte er in diesem Chaos einen Streifenwagen und zwei Rettungswagen der Feuerwehr.

»Wieso musste ich eigentlich außerhalb des Geländes parken?«, ärgerte er sich und ging auf die Kollegen zu.

Als er den Leichenfundort erreicht hatte, zog eine fünfköpfige Gruppe altpubertierender Jungs an ihm vorüber und gab mit Blick auf den Streifenwagen den allseits beliebten Klassiker Blau-weißer Partybus zum Besten. Die vermeintlichen Künstler waren trotz des frühen Morgens mit Bier und Whiskey-Colaflaschen ausgestattet.

Feixend und winkend gingen die Typen aufreizend langsam an dem Leichenfundort entlang, bis Daske sie mit seiner grimmigen Miene vertrieb.

Während er mit gedanklichem Mittelfinger mitten auf dem chaotischen Feld stand und den jungen Menschen feindlich hinterherblickte, stand Zabinski plötzlich neben ihm.

»Mit dem falschen Fuß aufgestanden?«, fragte der Kollege grinsend.

Kriminalkommissar Alex Zabinski war eine Generation jünger als Daske und hatte die Laufbahn des Kommissars erst vor kurzem eingeschlagen. Er war einer der jungen Wilden im Recklinghäuser Präsidium. Doch bei allem Elan musste er sich Respekt und Anerkennung erst noch verdienen.

Zabinski unterstützte Daske seit Anfang des Jahres in der täglichen Arbeit, sie hatten aber bisher noch keine großen Fälle gemeinsam bestreiten müssen.

Daske grunzte zur Begrüßung und ließ sich von Zabinski mit den bisher bekannten Informationen versorgen.

Während Zabinski berichtete, legte Daske die Stirn in Falten, strich sich durch den Schnauzbart und schaute grübelnd auf den eingezäunten Leichenfundort.

Was war hier in der letzten Nacht nur vor sich gegangen?

Gedankenverloren ging er in die Hocke und richtete sich die Socken.

Daske war ein leidenschaftlicher und leidensfähiger Fußballfan und trug aus Verbundenheit zu seinem RWE bei jedem Anlass rot-weiße Socken. Die Angewohnheit war mit den Jahren zur Marotte ausgewachsen und Kollegen beehrten ihn zu jedem Geburtstag mit einer weiteren, modisch teils fragwürdigen, Variante. Heute bevorzugte er eine dezente Version mit rot-weißen Längsstreifen, welche er nun am Bund packte und nachdenklich hochzog.

Zabinski schloss seinen kurzen Bericht, doch seine Ausführungen waren insgesamt sehr dürftig gewesen und enthielten bislang nur wenig brauchbare Informationen. Daske seufzte innerlich. Es lag viel Arbeit vor ihnen.

 

***

 

»Guten Morgen, Karl!«

Eine junge Kriminaltechnikerin von Anfang dreißig, mit langer schwarzer Lockenpracht und legerer Kleidung war an den Leichenfundort herangetreten. Sie schulterte eine große Umhängetasche und trug einen silbernen Koffer. Isabell.

Daske straffte sich und reichte ihr die Hand. Sie schüttelten kurz und professionell die Hände.

Dienstlich gesehen war dies eine alltägliche Begegnung zwischen zwei Kollegen. Schaute man jedoch genauer hin, konnte man die Ähnlichkeit der Grübchen am Kinn von beiden nicht leugnen.

»Guten Morgen, Isabell«, begrüßte er seine Tochter.

»Was zur Hölle geht hier vor?«

Isabell ging sofort zum Geschäftlichen über und wollte keine Zeit für Privates verlieren.

Daske zuckte mit den Schultern und machte eine ausschweifende Geste über die Zeltstadt hinweg.

»Wir befinden uns mitten in Rocklinghausen. Der krönende Abschluss der Ruhrfestspiele. Vier Tage lang Party und Musik«, sagte er mehr entschuldigend als amüsiert.

In der Tat war Rocklinghausen der ungewöhnliche Gegensatz zum sonstigen Programm der Ruhrfestspiele. In jedem Jahr war das Theaterfestival ab dem 1. Mai für sechs Wochen der kulturelle Mittelpunkt Europas und es kamen zehntausende Besucher nach Recklinghausen. Vornehmlich bestaunten die Menschen die schauspielerische Kunst und huldigten berühmten Darstellern sowie renommierten Regisseuren. Mit einem beinharten Rockfestival hatte dies wenig gemein.

Vor einigen Jahren griff der Intendant jedoch die Idee eines großen Abschlussfestivals für die jüngere Generation auf und hob Rocklinghausen aus der Taufe. Fortan zog das Festival auf dem Flugplatz Loemühle zehntausende Musikjünger in ihren Bann. Das viertägige Rockfest steigerte den Stellenwert der Ruhrfestspiele in allen Altersschichten enorm und machte es international noch populärer.

»Wir haben einen zirka 25-jährigen Mann, mittelgroß, ungefähr 75 Kilo«, fasste Daske schließlich Zabinskis Worte zusammen und seine Tochter notierte sich die Daten.

»Wir warten aktuell noch auf den Pathologen und können bisher weder etwas zur Todesursache noch zum Todeszeitpunkt sagen«, fuhr er fort. »Eins kann ich aber jetzt schon sagen: Es sieht nicht sehr appetitanregend da drin aus.«

Daske deutete auf einen Transporter innerhalb des abgesperrten Areals, dessen Seitentür geschlossen worden war, und verzog gleichzeitig den Mund. Er hatte den Fundort vor ein paar Minuten nur für einige Sekunden selbst in Augenschein genommen und sich beinahe übergeben. Der Anblick des Toten hatte ihn bis ins Mark getroffen. Die genaue Untersuchung der Leiche sollten andere für ihn übernehmen.

Noch bevor er seiner Tochter weitere Details nennen konnte, rollte ein Ball zwischen seine Füße. Kaum bückte er sich nach ihm, kam ein abgehalfterter Hipster mit Fliegersonnenbrille, herunterhängenden Hosenträgern und voluminöser Wollmütze angeschlurft.

Er nahm Daske »’schuldigung« nuschelnd den Ball aus den Händen und schlenderte zu seinen Bekannten zurück, die keine zwanzig Meter vom abgesperrten Leichenfundort entfernt auf ihn warteten.

Die jungen Männer gingen einem sonderbaren Spiel nach. Sie warfen mit dem Ball nach einem Holzklotz in ihrer Mitte und je nach Trefferquote durfte die gegenüberstehende Gruppe in rasender Geschwindigkeit ihre Bierdosen leertrinken.

Eine interessante Freizeitbeschäftigung an einem Samstagmorgen direkt neben einem Leichenfundort, dachte Daske kopfschüttelnd und richtete die Aufmerksamkeit wieder auf seine Tochter, die ihn endlich nach möglichen Zeugen befragen konnte.

»Wie es aussieht, haben zwei männliche Personen in dem Transporter geschlafen. Der Tote heißt Martin Lorenz und der andere …«, Daske blätterte in seinem Notizblock, »… der andere heißt Paul Biedermeier und hat direkt neben dem Opfer geschlafen.«

Isabell hielt sich bestürzt die Hand vor den Mund.

»Laut eigener Aussage hat Herr Biedermeier ›nix mitbekommen‹«, zitierte Daske den Überlebenden. »Die herbeigerufenen Kollegen vom Rettungsdienst konnten letztendlich nur noch feststellen, dass das Opfer sämtliche vitalen Funktionen eingestellt hatte und haben uns daraufhin verständigt.« Er deutete auf die drei Männer der Berufsfeuerwehr und den Notarzt, die soeben die medizinischen Koffer in die beiden Rettungswagen verstauten.

»Fremdverschulden?«, hakte seine Tochter nach.

»Nicht auszuschließen, aber vielleicht schaust du dir die Leiche erst mal an und machst dir selbst ein Bild.«

Isabell öffnete ihre Tasche und holte einen weißen Ganzkörperanzug heraus.

»Wer hat das Areal bisher alles betreten?«

»Nachdem der Zeuge bei uns angerufen hatte, haben nur noch die vier Kollegen vom Rettungsdienst, die zwei Kollegen von der Streife, Zabinski und meine Wenigkeit den Leichenfundort betreten.«

Daske hatte genau registriert, wie seine Tochter bei dem Namen Zabinski kurz aufblickte.

Wahrscheinlich hatten sie wieder die Nacht zusammen verbracht und sich auf ein Wochenende voller Zweisamkeit gefreut, dachte er griesgrämig und hoffte, dass sie seine Reaktion nicht wahrgenommen hatte.

»Okay, ich benötige die DNA und Fingerabdrücke des Opfers sowie von den beiden Zeugen. Könntest du das veranlassen?«

Daske tippte sich zur Bestätigung mit dem Zeigefinger an den Kopf und machte sich eine entsprechende Notiz.

Keine Viertelstunde später betrat Isabell in Schutzhandschuhen, Schuhüberziehern, Mundschutz und dem weißen Ganzkörperanzug verpackt das abgesperrte Areal.

Daske blieb außen vor und beobachtete seine Tochter bei jedem Schritt.

»Bevor ich einen Blick in den Wagen und auf die Leiche werfen, dokumentiere ich erst mal dieses Chaos zwischen Transporter und Golf«, erklärte sie ihm und machte erste Bilder mit einer hochauflösenden Digitalkamera.

Zwischen drei Campingstühlen standen auf einer Sperrholzplatte dutzende Bierflaschen und allerlei Unrat. Der Tisch war in seiner Gesamterscheinung total versifft und schwarzer Dreck klebte an allen Gegenständen. Überall lagen Müll und allerlei merkwürdiges Partyzubehör wie eine rosa Gießkanne voller Schnaps.

Daske war zu gleichen Teilen erstaunt und interessiert ob der ganzen Eigenarten, die so ein Musikfestival mit sich brachte.

»Schon was gefunden?«, rief er seiner Tochter zu.

Isabell schüttelte nur den Kopf und ging in die Hocke, um einen Blick unter den Transporter zu werfen.

»Die Asservierung bereitet mir ein paar Kopfschmerzen«, sagte sie. »Viel zu viele Spuren und Vermischungen von DNA.«

Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass sich Zabinski ebenso an das Flatterband gestellt hatte und ihr bei der Arbeit zusah. Er hielt zwar einen gebührenden Abstand, aber Daske sah trotzdem, wie er ihr verstohlen zuwinkte.

Als Isabell gerade die letzten Spuren verstaut hatte, kam ein kleiner Mann auf Daske zu.

Die füllige Person stand wahrscheinlich kurz vor ihrer Pensionierung und passte ebenso wenig auf diesen Campingplatz wie er. Er trug eine Nickelbrille und hatte einen zauseligen Haarkranz. Der Mann streckte ihm die Hand entgegen.

»Wesseling, Pathologie, Prosper-Hospital«, sagte er mit kräftiger und klarer Stimme.

»Angenehm. Daske.«

Sie schüttelten die Hände und lachten beide kurz auf.

Isabell kam hinzu und begrüßte den alten Freund ihres Vaters, den sie bereits seit Kindestagen kannte.

»Wir verschaffen uns gerade einen ersten Eindruck vom Fundort. Ein Fremdverschulden kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ausschließen«, sagte Daske an Wesseling gerichtet.

»Bevor ich an die Kollegen der Rechtsmedizin übergebe, möchte ich mir das Opfer vorab persönlich anschauen.« Der Pathologe blickte sich interessiert um. »Sag mal, Karl, kann man hier einen Kaffee bekommen?«

Daske zuckte mit den Schultern.

»Ein Bier könnte ich dir bestimmt sofort besorgen.«

 

***

 

Daske war froh, dass Wesseling endlich am Leichenfundort eingetroffen war. Er hob das Flatterband an, sodass der Pathologe und Isabell durchschlüpfen konnten, zögerte kurz, tauchte dann aber ebenfalls unter dem Flatterband durch und ging den beiden nach. Grundsätzlich ging er dem direkten Leichenkontakt aus dem Weg, aber dieses Mal trieb ihn die Neugier an.

Bevor sie den Transporter öffneten, versorgte Wesseling alle mit japanischem Heilpflanzenöl.

»Altes Familienrezept gegen das Odeur des Klientel.« Er zwinkerte vergnügt.

Mit wohltuenden Kräutern in der Nase schob Daske vorsichtig die Seitentür auf und trat dann respektvoll beiseite.

Die auf acht Kubikmetern gebündelte Luft aus vergorenem Mageninhalt, verschaltem Bier, Schweiß und Fäkalien schlug ihnen augenblicklich und unverdünnt entgegen. Trotz des japanischen Öls bahnte sich der Geruch seinen Weg und knallte mit Wucht auf die Nervenfasern in ihren Nasen.

Daske, Wesseling und Isabell gingen alle einen Schritt zurück und überließen dem Wind die Ehre des ersten Besuchs.

Sie schwiegen für sehr lange zehn Sekunden und sogen zunächst die visuellen Eindrücke auf.

Das Interieur deckte sich eins zu eins mit dem Geruch. Gepäck und Bierkästen stapelten sich chaotisch im rechten Einstiegsbereich, zwei Handtücher hingen neben aufgeklappten Kulturtaschen von der Decke und eine mittelgroße Musikbox stand vor den Bierkästen.

Im linken Teil des Transporters befand sich das Nachtlager, das die komplette hintere Ladefläche einnahm. Dort lag die Leiche des jungen Mannes bäuchlings und ohne Schlafsack bedeckt auf einer Doppelluftmatratze. Die Füße steckten in schweren Lederstiefeln und zeigten in Richtung Schiebetür.

»Das sieht ja nicht sehr appetitanregend aus«, sagte Daske.

Er konnte erkennen, dass die Shorts des Mannes von Kot und Urin dunkel eingefärbt waren. Erbrochenes befand sich auf dem linken Ärmel und Rücken des Pullovers, das bis zum Hosenboden reichte. Die Leiche war bewegt worden oder das Opfer war noch lebend durch sein eigenes Erbrochenes gerollt.

Der Rest des Mageninhalts hatte sich links neben dem Toten auf der Luftmatratze und Seitenwand des Transporters verteilt.

»Ich schau mir das mal aus der Nähe an«, sagte Wesseling, während Isabell erste Fotos machte.

Trotz seiner dicklichen Statur stieg er geschickt in den Frachtraum. Der Pathologe hangelte sich an der Musikbox vorbei und platzierte seine beiden Füße auf dem winzigen Platz zwischen dem Gepäck, den Füßen des Opfers und der Luftmatratze. Daske hielt sich weiterhin vornehm zurück, während er jede Bewegung des Pathologen genau beobachtete.

Wesseling ging in die Hocke und tastete nach der Kniekehlenarterie des Mannes.

»Wer hätte das gedacht. Kein Puls. Sieht schlecht aus für den armen Kerl.«

Daske zeigte unter seinem Mundschutz ein Lächeln. Er mochte den tiefschwarzen Humor der Pathologenzunft. Wesseling legte derweil eine Hand auf den Oberschenkel der Leiche und umfasste mit der anderen Hand den Knöchel. Er zog und drückte mit einiger Kraftanstrengung an dem Bein des Opfers und versuchte, es vergeblich anzuwinkeln. Die Leichenstarre hatte bereits eingesetzt.

»Ich würde vermuten, dass der Todeszeitpunkt zwischen sechs und zwölf Stunden zurückliegt.«

Nickend notierte Daske die Aussagen des Pathologen.

»Ich würde als Nächstes die Luftmatratze auf Spuren prüfen«, warf Isabell ein.

Daske sah dem kritischen Blick seiner Tochter an, dass sie befürchtete, Wesseling könnte den Leichenfundort mit einer längeren Untersuchung womöglich verändern.

»Tu dir keinen Zwang an.« Wesseling hüpfte mit einem Satz aus dem Wagen.

Isabell kletterte ihrerseits in den Transporter.

Sie fotografierte zuerst den Leichnam in Gänze und lichtete danach einzelne Abschnitte der Hose, des Pullovers, der Arme und Beine ab. Daske nahm wohlwollend zur Kenntnis, dass sich seine Tochter Zeit nahm und die Szenerie auf sich wirken ließ.

»Kein Blut und keine offensichtlichen Wunden sind auf den ersten Blick zu erkennen«, sagte sie. »Ich glaube nicht, dass wir es mit einer tödlichen Schuss- oder Stichverletzung zu tun haben.«

Isabell stand auf und betrachtete das Gepäck mit den vielen Bierkästen.

»Alkoholintoxikation ist allerdings eine Möglichkeit. Wir sollten einen Drogennachweis veranlassen«, sagte sie zu ihrem Vater. »Wer derartige Mengen Alkohol getrunken hat, könnte noch andere Dinge konsumiert haben.«

Die Chance einer Alkoholvergiftung oder einer Überdosis waren nicht abwegig. Er machte sich eine weitere Notiz und seine Tochter setzte ihre Inspektion fort. Isabell ließ die Leiche auf dem Bauch liegen und sammelte Haare, Lehmbröckchen und etwas von dem Erbrochenen ein. Die einzelnen Fundstücke packte sie erneut in kleine Plastiktüten.

Abschließend schob sie zwei Klumpen Erbrochenes beiseite und kontrollierte die Hosentaschen am Gesäß der Leiche.

Beide Taschen waren dunkel gefärbt von weichem Kot. In der linken Gesäßtasche befand sich das Portemonnaie des Opfers und in der rechten Tasche zwei zerknüllte, braun verfärbte Papierkügelchen. Vermutlich Kassenbons. Die beiden Papierkügelchen und das Portemonnaie steckte sie in entsprechende Plastikbeutel, folgte dem standardisierten Verfahren zur Beweismittelsicherung und stieg danach aus dem Transporter.

»Ohne konkrete Todesursache ist es zu diesem Zeitpunkt sinnlos, den Inhalt des Gefährts nach einer möglichen Mordwaffe zu durchsuchen«, sagte sie.

Daske legte die Stirn in Falten.

Mord? Stand das überhaupt zur Debatte?

Die Kriminaltechnik würde sich viel Zeit nehmen müssen, um jeden Winkel des Transporters abzusuchen. Die Asservierung von Spuren und menschlichen Sekreten rund um die Leiche war deswegen vor Ort nicht notwendig. Sollte sich die Todesursache hinterher als Eigenverschulden darstellen, wäre ihre gesamte Arbeit eh für die Katz gewesen.

 

***

 

Nachdem Daske die Seitentür des Transporters ordentlich verschlossen und versiegelt hatte, verließ er mit Isabell und Wesseling den Leichenfundort. Außerhalb der Umrandung wartete Zabinski breit grinsend und mit vier dampfenden Kaffeebechern auf sie.

»Unvorstellbar, was man hier alles kaufen kann«, sagte der junge Kommissar. »Dort hinten ist ein halbes Dorfzentrum mit Supermarkt, Tattoostudio und Klamottenständen aufgebaut. Da bekommt man echt alles.«

Daske schnaubte nur, griff nach dem erstbesten Becher und versuchte mit der freien Hand sich ungeschickt seiner Handschuhe und dem Mundschutz zu entledigen. Zabinski gab einen Becher an Wesseling und einen an Isabell.

»Mit Milch, aber ohne Zucker.« Er zwinkerte ihr zu.

Isabell nahm den Becher dankbar entgegen und entledigte sich ebenfalls des Mundschutzes. Sie trank einen Schluck und stellte den Kaffeebecher zwischen die Stoppel auf den Feldboden. Anschließend zog sie die Plastiktüte mit dem Portemonnaie des Opfers aus ihrer Tasche. Beidhändig öffnete sie die Geldbörse und langte nach dem Personalausweis.

»Martin Lorenz, geboren am 1. März 1994«, las sie vor.

Betretene Stille trat zwischen ihnen inmitten des musikalischen Tohuwabohus auf dem Campinggelände ein. Alle tranken für einige Augenblicke ihren Kaffee, bis Daske als erster seine Stimme erhob: »Zabinski, rufen Sie in der Rechtsmedizin an und lassen Sie das Opfer abholen.«

Während Zabinski ins Handy sprach, verstaute Isabell das Portemonnaie wieder in dem leeren Plastikbeutel.

Wesseling räusperte sich.

»Wir sollten das Opfer wenigstens einmal umdrehen, um es vor seinem Abtransport von vorne zu untersuchen«, regte er an.

Die kurze Pause war somit offiziell beendet und ihre Kaffeebecher blieben auf dem staubigen Feldboden zurück.

Damit sie besser an die Leiche kamen, öffnete Daske den Transporter von der Rückseite. Da der Kopf des Leichnams jedoch im Zugang des Hecks lag, fiel er ihm recht unsanft entgegen. Daske erschrak und hätte beinahe laut aufgeschrien.

Dennoch bewahrte er Haltung und blickte zum ersten Mal in das Gesicht des Toten.

Als Erstes stach ihm das Erbrochene ins Auge. Es hing mit Speichel versetzt in Fetzen am Kinn fest und zog lange Fäden.

Seine Blicke wanderten auf die Augen des Opfers. Sie waren zwar geschlossen, aber dennoch sah man sofort, dass sie stark angeschwollen und hervorgetreten waren. Das Gesicht des Leichnams war regelrecht zu einer Fratze verzerrt.

Daskes Herz raste, während er prüfend auf die Leiche blickte.

»Ist das eine Reaktion auf ein Gift?«, fragte er seine Tochter, die sich dicht neben ihn gestellt hatte.

»Das wird das Labor herausfinden.«

Obwohl ihm richtig flau war, konnte er seinen Blick nicht von der Leiche abwenden.

Lag hier doch ein Fremdverschulden vor?

Ein ungeduldiges Kribbeln stieg langsam in ihm auf.

»Ich geh noch mal rein.« Wesseling riss Daske aus seinen Gedanken und kletterte erneut in den Transporter.

Beherzt zog er der Leiche die Hose herunter und führte ein Thermometer in den Mastdarm des Opfers ein.

»Fünfundzwanzig Grad«, las er die Temperatur ab und legte eine nachdenkliche Miene auf. »Ich würde auf ein Ableben gegen zirka 2 Uhr heute Morgen tippen«, sagte er schließlich.

Daske notierte sich die Uhrzeit und schaute seiner Tochter zu, wie diese ihrerseits in das Fahrzeug kletterte. Isabell sammelte zunächst ein Feuerzeug und ein Handy aus einer der vorderen Hosentaschen ein und nahm dem Leichnam die Fingerabdrücke ab.

Im Anschluss drehten sie den Toten gemeinsam auf den Rücken.

Wesseling deutete wortlos auf die Oberschenkel des Toten, auf welchen sich dunkle Totenflecken deutlich abzeichneten. Er hob den Pullover des Toten etwas an und auch am Bauch waren die dunklen Flecken zu erkennen. Das Muster der Luftmatratze hatte sich negativ eingedrückt und zeichnete sich bizarr auf dem Körper des Toten ab.

»War es ein unnatürlicher Tod?«, fragte Daske ernst, während seine Tochter und Wesseling aus dem Transporter kletterten.

»Es ist noch zu früh, um erste Schlüsse zu ziehen. Wir müssen das Opfer jetzt erst einmal obduzieren«, wiegelte Wesseling ab. »Aber ich glaube nicht, dass der Junge an einem altersschwachen Herz gestorben ist.«

Dabei ließ es Daske bewenden. Er wollte sich das entstellte Gesicht des Toten unter keinen Umständen näher anschauen. Er würde sich gedulden müssen.

3

 

Daske setzte sich wortlos neben Isabell in den mittlerweile herbeibeorderten Mannschaftswagen der Polizei. Seine Miene verriet dabei nicht, ob er sich freute, seine Tochter an diesem Ort anzutreffen. Er bemühte sich sichtlich, eine professionelle Fassade zu bewahren und die vor ihnen liegenden Aufgaben polizeilich und dienstlich korrekt zu regeln. Es war der falsche Ort und die falsche Zeit für familiäre Gespräche.

Seit über einem Monat hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt, da würden die nächsten paar Stunden jedenfalls kaum ins Gewicht fallen.

Seine Tochter hatte sich, soweit es ging, in dem Mannschaftswagen eingerichtet und all ihre Arbeitswerkzeuge vor sich ausgebreitet. Die Pflicht rief.

Als Erstes baten sie Fabian Dietz zu sich herein.

Daske beäugte Dietz kritisch. Eine seiner Faustregeln besagte, dass der erste Zeuge immer der erste Verdächtige ist.

»Damit wir Sie später bei einer möglichen Ermittlung als Täter ausschließen können, müssen wir jetzt Ihre DNA und Fingerabdrücke nehmen. Sind Sie mit der Abgabe einverstanden oder müssen wir Sie per richterlichem Bescheid vorladen?«, fragte er mit strenger Stimme den sichtlich bedrückten Zeugen.

»Wurde Martin ermordet?«, fragte Dietz mit ehrlichem Erstaunen in der Stimme, während Isabell ihm routiniert die Fingerabdrücke abnahm.

»Das können wir Ihnen nicht sagen«, ließ Daske keinen Spielraum für Zweifel aufkommen.

»Martin war ein super Typ. Er war immer gut gelaunt und locker drauf, verstehen Sie? Wer sollte so etwas getan haben?«, jammerte Dietz sichtlich mitgenommen.

»Wir stehen erst am Beginn unserer Ermittlungen, Herr Dietz. Darauf kann ich Ihnen keine erschöpfende Antwort geben.«

Daske versuchte Dietz mit den Augen zu fixieren, doch er verlor ihn schnell wieder. Der leere Blick des Zeugen verlief sich auf dem Boden des Mannschaftsbusses.

»Ihren Golf und alles, was sich in ihm befindet, werden wir bis auf Weiteres beschlagnahmen.« Er sah den Zeugen ernst an. »Mein Kollege Zabinski wird Ihnen gleich einen Streifenwagen besorgen, der Sie nach Hause fährt.«

Dietz nickte kaum merkbar und Isabell nahm dem niedergeschlagenen Mann abschließend eine Speichelprobe zur DNA-Bestimmung ab. Mit hängenden Schultern und einem Termin für den nächsten Morgen im Präsidium verließ Fabian Dietz den Mannschaftswagen. Die Nummer des psychologischen Dienstes hatte er sich dankbar in die Hosentasche gesteckt. Das Punkrockfestival hatte für ihn ein frühzeitiges Ende genommen.

Nach Fabian Dietz betraten hintereinander vier weitere Camper aus dem näheren Umfeld des Leichenfundorts das provisorische Arbeitszimmer von Daske und seiner Tochter und gaben selbstverständlich eine DNA-Probe sowie ihre Fingerabdrücke ab. Sie alle zeichnete eine große Fassungslosigkeit und Unverständnis aus.

Die Routine seiner Arbeit half Daske in solchen Augenblicken, die ganze Tragik des plötzlichen Todes auszublenden.

Die Befragungen dauerten insgesamt eine gute Stunde und bis auf das Sammeln der Personalien, Fingerabdrücke und DNA-Abstriche hatten sie bisher nicht viel Brauchbares in Erfahrung bringen können.

Daske seufzte.

»Das war ja nicht besonders ergiebig. Immer dieselbe Leier: Party, Musik und saufen.« Er verzog säuerlich das Gesicht.

»Wir haben doch gerade erst angefangen zu ermitteln.« Isabell hatte mal wieder seine Ungeduld durchschaut.

Als Nächstes betrat Paul Biedermeier den Mannschaftswagen und nahm gegenüber von Daske und Isabell Platz.

Er sah noch angeschlagener aus als Dietz. Man merkte ihm an, dass er sturzbetrunken für einige Stunden neben seinem toten Freund geschlafen hatte und neben ihm aufgewacht war. Er wirkte nervös und kratzte sich verlegen am Arm.

Biedermeier war niedergeschlagen, aber Trauer lag nicht in seinem Blick. Noch nicht. Er stand unter Adrenalin, aber der Schock würde noch kommen und dann heftig zuschlagen.

Trotz der fehlenden Tränen waren seine Augen gerötet. Würde man sein Schicksal der letzten Stunden nicht kennen, könnte man vermuten, dass er hochinfektiös erkrankt wäre.

Daske versuchte es mit einem Lächeln.

»Meine Kollegin wird Ihnen Ihre Fingerabdrücke abnehmen und im Anschluss einen Abrieb mit einem Wattestieltupfer aus Ihrer Mundhöhle für die Ermittlung eines DNA-Profils entnehmen. Danach sind Sie schon entlassen.«

Biedermeier streckte mechanisch die Hände aus. Sie waren stark verschwitzt und eiskalt. Er ließ sich willenlos jeden einzelnen Finger auf den Scanner drücken. Seine Augen zuckten dabei stetig und er hatte einen unsteten Blick.

»Wenn Sie jetzt bitte den Mund öffnen würden.«

Biedermeiers Mund öffnete sich langsam. Plötzlich ertönte ein kurzes Glucksen, gefolgt von einem tiefen Gurgeln und mit einem abrupten Schwall entlud sich eine größere Menge Mageninhalt mitten in den Mannschaftswagen. Es geschah so unverhofft und plötzlich, dass weder Daske noch seine Tochter hätten reagieren können.

Daske saß für einige Sekunden erstarrt auf seinem Sitz und guckte mehr erschreckt denn angeekelt auf die sich darbietende Situation. Seine Tochter und er hatten eine ordentliche Menge Erbrochenes abbekommen und weitere Magensäure tropfte als Zugabe vom Tisch auf seine Hosenbeine. Der junge Mann würgte erneut und machte dabei gruselige Geräusche. Daske schüttelte sich aus seiner Erstarrung und riss den apathischen Biedermeier von dessen Sitz.

»Komm schon, Freundchen. Du hast wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank!«, herrschte er ihn an.

Isabell reichte ihrem Vater ein Päckchen Pflegetücher. Sie trug immer noch ihren Ganzkörperanzug und war von dem Erbrochenen weitestgehend verschont geblieben.

Notdürftig tupfte sich Daske das Erbrochene von Hemd und Jackett. Seine Hose würde er wechseln müssen. Lediglich die rot-weißen Socken waren verschont geblieben. Wenigstens ein schwacher Trost.

Biedermeier klammerte sich an Daskes linke Hand und verharrte immer noch vornübergebeugt.

»Was für eine Sauerei«, schnaubte Daske.

Er war aufgebracht und hatte für einen kurzen Moment die tragische Situation des Zeugen verdrängt.

»Jeder reagiert anders auf den Tod eines Menschen, Karl«, versuchte seine Tochter ihn zu beruhigen.

»Aber deswegen kotze ich nicht gleich anderen Leuten in die Karre«, schnauzte er verärgert. »Der ist doch noch völlig besoffen.«

Daske packte den jungen Mann an Arm und Schulter und führte ihn kopfschüttelnd in Richtung Zabinski ab, damit dieser ihn nach Hause fahren konnte.

»Lass ihn auf jeden Fall von einem Arzt durchchecken«, rief ihm Isabell hinterher.

Nachdem Daske ohne Biedermeier zurückgekehrt war, schauten sie schließlich in das Wageninnere.

Das Erbrochene war überall und tropfte von allen Gegenständen. Isabell checkte kurz ihre Ausrüstung und entnahm dem Mageninhalt des Zeugen einige Proben.

»Die Jungs und Mädels im Labor werden begeistert sein«, sagte sie und verstaute alles in ihrer Tasche.

Daske nahm die einzelnen Arbeitsschritte seiner Tochter kaum zur Kenntnis. Er sah mitgenommen aus. An seiner Kleidung waren die Spuren von Biedermeiers Mageninhalt noch deutlich zu sehen und seine Haare waren verschwitzt und durcheinander. Er spürte Isabells kritischen Blick.

»Tut mir leid, dass ich ausgerastet bin«, sagte er abwehrend und fügte schnell hinzu: »Was ist mit deinem Scanner und den Abrieben?«

»Alles in Sicherheit.« Sie klopfte auf die Tasche und schaute ihren Vater dann mit ernster Miene an. »Karl, setze dich bitte dafür ein, dass der Junge in ein Krankenhaus kommt. Gib ihm einen Tag Ruhe.«

Daske stimmte seiner Tochter zu. Es bestand weder akuter Tatverdacht noch erhöhte Fluchtgefahr.

Während er mit dem Notarzt telefonierte, sah er, wie der Leichnam von Martin Lorenz von zwei Helfern der Rechtsmedizin unter der Anleitung von Wesseling für den Abtransport vorbereitet wurde. Isabell bewachte dabei jede Bewegung.

Ein Lächeln breitete sich auf Daskes Gesicht aus. Auch wenn ihr Verhältnis gerade im Argen lag, ließ sich seine Tochter nichts anmerken. Sie arbeitete penibel wie eh und je.

Der Sarg verschwand im Fond des Wagens der Rechtsmedizin. Wesseling und Isabell sahen zufrieden aus. Manch ein alkoholgeschwängerter Festivalgänger mochte bei dem Spektakel an eine morbide Werbemaßnahme denken. Für Martin Lorenz endete mit diesem Auftritt hingegen das Musikfestival und für Daske und sein Team begannen die Ermittlungen.

 

***

 

Daske war zurück ins Präsidium gefahren. Das Gebäude war von außen ein alter und würdevoller Bau, der in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts erbaut worden war. Über dem Eingang musterte ein furchteinflößender, steinerner Adler jeden, der das Gebäude betreten wollte, und innen schirmten weiße Lamellen die Außenwelt vor der Mordkommission hermetisch ab. Trotz der historischen Dimensionen des Präsidiums konnten die Beamten mit den neuesten digitalen Techniken arbeiten und sie für die Verbrechensbekämpfung einsetzen.

Jetzt saß er an seinem Schreibtisch und telefonierte.

»Mhm. Ja. Ich verstehe.«

Er hatte sich umgezogen und die von Erbrochenem ruinierte Kleidung in einem Mülleimer entsorgt. Nun lief er unruhig in seinem Büro auf und ab. Er machte Meter um Meter. Er umkurvte den Schreibtisch bereits zum vierten Mal und pendelte zwischen Ficus und Papierkorb, während der behandelnde Arzt am anderen Ende der Leitung sprach.

»Ja. Alles klar. Ich melde mich, wenn ich weitere Informationen benötige. Haben Sie vielen Dank.« Daske wollte auflegen, als ihm noch etwas einfiel. »Wann kann ich denn mit dem Patienten sprechen? Ist er fit genug, um ins Präsidium zu kommen?«

Er lauschte angestrengt und bedeutete Zabinski mit der freien Hand sich still zu verhalten, nachdem dieser sein Büro betreten hatte.

»Ah, ok. Ich danke Ihnen vielmals.«

Daske beendete das Gespräch, ging in aller Seelenruhe um den Schreibtisch herum und nahm auf dem großzügigen Bürostuhl Platz.

»Also, was sagt das Krankenhaus? Jetzt machen Sie es nicht unnötig spannend«, sagte Zabinski sichtlich ungeduldig.

Daske genoss seinen Wissensvorsprung, zog auffällig langsam einen Schreibblock heran und notierte etwas. Dann zerknüllte er das gerade erst beschriebene Papier, warf es weg und schrieb sich die Notiz erneut in abgeänderter Form auf. Plötzlich hielt er inne und blickte Zabinski eindringlich an.

»Es sieht so aus, als ob der Zeuge Biedermeier einen kleinen Schwächeanfall erlitten hat. Deswegen hat er uns in die Karre gekotzt. Gemessen an seinen Erlebnissen von heute Morgen und dem Alkoholpensum am Tag zuvor, ist dies scheinbar nicht weiter verwunderlich.«

»Sonst nichts?«

»Er hat offenkundig einen Schock erlitten. Die Ärzte haben ihm Blut und Urin abgenommen, warten aber noch auf die toxikologischen Befunde.«

»Wann können wir ihn verhören?«

»Die Ärzte waren der Meinung, dass er jetzt vor allem Ruhe braucht, aber aufgrund der Dringlichkeit dürfen wir ihm heute Nachmittag kurz ein paar Fragen vor Ort im Krankenhaus stellen.«

Daske gab Zabinski per Handzeichen zu verstehen, dass er nicht mehr in seinem Büro erwünscht war. Die Unterredung war beendet.

Nachdem Zabinski die Tür hinter sich geschlossen hatte, war er endlich wieder allein. Er atmete schwer aus, als die Tür ins Schloss fiel.

Er konnte das nicht. Jetzt noch nicht.

Es fiel ihm nicht leicht, wieder zurück zur Normalität überzugehen. Als wäre nie etwas passiert. Als hätte seine Welt vor gut einem Monat nicht plötzlich kopfgestanden.

Vieles hatte sich seitdem verändert.

Immer wieder durchlebte er diese eine Szene.

Diese eine Szene, in der sie plötzlich vor Petra und ihm gestanden hatte.

Isabell.

Seine Isa.

Etwas stieg unwillkürlich in ihm hoch und wollte sich dunkel über sein Gemüt legen. Doch bevor dieses Gefühl überhandnahm, schob Daske die düsteren Gedanken beiseite und richtete den Blick wieder auf die soeben erstellten Notizen.

So weit, so gut. Bis die genaue Todesursache nicht geklärt war, bestand für ihn noch keine Notwendigkeit, eine Ermittlungstruppe zusammenzutrommeln. Er schaute auf die Uhr und beschloss, zu Wesseling in die Pathologie zu fahren.

Immerhin lag ihr Zeuge Paul Biedermeier nach seinem Schwächeanfall im selben Krankenhaus. Er konnte also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

 

***

 

Daske nahm seinen Dienstwagen für den kurzen Weg vom Polizeipräsidium zur Pathologie im Prosper-Hospital und fuhr dabei mit viel zu hoher Geschwindigkeit. Etwas säuerlich hatte er festgestellt, dass Isabell mit ihrem eigenen Wagen zu Wesseling aufgebrochen war. Insgeheim hatte er gehofft, dass sie gemeinsam fahren würden. Wie früher.

Während Daske zügig durch die Gänge des Krankenhauses lief, dachte er daran, wie froh er darüber war, endlich wieder mit seinem alten Kumpel Wesseling zusammenzuarbeiten.

Früher war der Pathologe eine Koryphäe der Rechtsmedizin gewesen und hatte Vorträge in der gesamten forensischen Welt gehalten. Doch kurz vor seinem 50. Geburtstag war Daskes Freund mit großer Wucht von einer Midlife-Crisis getroffen worden und hatte sich eine Auszeit genommen. Daske hatte über fünf Jahre lang Postkarten aus der ganzen Welt geschickt bekommen und war teilweise regelrecht neidisch gewesen. Nachdem Wesselings Erspartes langsam zur Neige gegangen war, hatte er sich schließlich als Pathologe in seiner Heimatstadt Recklinghausen niedergelassen. Er hatte einen Job mit weniger Verantwortung gebraucht und sich nicht länger in der Lage gefühlt, als Rechtsmediziner täglich in die schlimmsten Abgründe des menschlichen Seins zu blicken. Neben der Arbeit im Krankenhaus hatte Wesseling einen Lehrauftrag am Klinikum der Universität Essen im Bereich der Rechtsmedizin angenommen und war somit seinem alten Fachbereich treu geblieben.

Als Daske endlich in den Räumlichkeiten der Pathologie ankam, schnitt Wesseling gerade vorsichtig die Kleidung ihres Opfers auf und reichte sie Stück für Stück an Isabell weiter, die wiederum alles in einzelnen Plastikbeuteln asservierte.

Die beiden waren sehr konzentriert und bemerkten Daske zunächst nicht, der erst mal an der Tür stehen blieb und sie in Ruhe arbeiten ließ.

Nachdem alle Kleidungsstücke schließlich in Plastikbeuteln verpackt worden waren und die Leiche nackt auf dem Seziertisch lag, räusperte er sich.

Wesseling trat vom Tisch ab und kam auf Daske zu, während Isabell weiter die asservierten Gegenstände sortierte und beschriftete.

»Stehst du schon länger hier, Karl?«, fragte der Pathologe.

»Nicht der Rede wert«, antwortete Daske. »Hast du schon etwas an der Leiche entdeckt?«

»Ich kann dir noch nichts über die Todesursache sagen, wenn du das meinst«, schüttelte Wesseling den Kopf. »Wir stehen noch am Anfang der Untersuchung.«

Er klopfte Daske tröstend auf die Schulter.

»Die Obduktion ist richterlich angeordnet und meine Kollegin von der Rechtsmedizin schon auf dem Weg. Die Rechtsmedizin ist in Essen dermaßen überlastet, dass wir die Obduktion in Recklinghausen machen können. Solange ich hier die Pathologie leite und in Essen lehre, werden wir das auch in Zukunft so handhaben. Du kannst dich also bei mir bedanken, dass du demnächst nicht die schönsten Autobahnstaus auf dem Weg nach Essen bestaunen darfst.«

Wesseling zwinkerte vergnügt und auch Daske war hocherfreut über die Zeitersparnis und weitere Zusammenarbeit mit seinem Freund.

Nach einer kurzen Kaffeepause mit einem kleinen Pläuschchen stand der Pathologe tatsächlich mit besagter Kollegin von der Rechtsmedizin zusammen am Seziertisch, um den Leichnam endlich zu obduzieren.

Die Medizinerin war wie Wesseling ebenfalls kurzgewachsen und beleibt, sodass sie zusammen ein sehr homogenes Pärchen abgaben. Daske hatte sich wieder an seinen Platz neben der Tür verzogen und musste bei dem Anblick der beiden leicht schmunzeln.

Die Leiche lag vollständig entkleidet vor den Medizinern und die stark fortgeschrittenen Totenflecken waren deutlich zu sehen. Durch das gleißende Neonlicht in der weißgekachelten Umgebung wirkten sie auf der Haut des Toten wesentlich farbenfroher als noch in dem Transporter auf dem Festivalgelände. Die Atmosphäre in dem Seziersaal war sachlich abgeklärt und erinnerte in keiner Weise an düstere Horrorfantasien von knochensägenden, wahnwitzigen Medizinern.

Isabell trat zu ihrem Vater, der sich seit Beginn der Untersuchung nicht vom Fleck gerührt hatte. Seine Tochter wusste, dass er die anstehende Obduktion absolut furchtbar finden würde. Einzig die Neugier hatte ihn in den Saal des Pathologen geführt. Stillschweigend drückte sie ihm beide Hände. Es war eine Geste der Unterstützung, in welcher für ihn auch eine Art Friedensangebot lag.

In einer Ecke des Saals dudelte ein Radio leise und fröhlich vor sich hin, während Wesseling zu den Instrumenten griff. Es war an der Zeit, dem Tod auf die Schliche zu kommen.

 

***

 

Daske stand nervös in der hinteren Ecke der Pathologie und schaute dem geschäftigen Treiben rund um den Leichnam zu. Seine Tochter schwirrte mittlerweile ebenso um den Toten herum wie Wesseling und dessen Kollegin von der Rechtsmedizin.

Daske schnappte hin und wieder ein paar brauchbare Informationen auf, vermied es aber tunlichst, sich dem Leichnam weiter zu nähern. Er überließ lieber den Fachleuten das Feld.

Der Anblick des Opfers war allerdings auch aus seiner Entfernung furchtbar genug.

Im verzerrten Gesicht des Toten waren die Schwellungen der Augen weiterhin deutlich zu erkennen. Sie sahen aus wie zwei halbe, sehr reife Aprikosen, die man dem Opfer ins Gesicht gedrückt hatte. Vom Rumpf des Toten stand die Muskulatur der Arme steif hervor und ließen ihn wie einen Roboter mit viel zu großen Augen aussehen.

Wesseling schoss zunächst aus allen möglichen Perspektiven und mit sämtlichen Objektivgrößen einige Fotos von dem Toten. Nachdem er alles festgehalten hatte, legte er die Kamera zur Seite und nahm einen Kamm, um dem Opfer damit durch die kurzen Haare zu fahren.

Der Tote hatte dichtes, buschiges Haar. Es war sehr fettig und an den Enden leicht verknotet. Die Rechtsmedizinerin fing sämtliche Schuppen, Haare und Dreck auf dem Obduktionstisch auf und übergab das Gesammelte an Isabell, die wiederum alles beschriftete.

»Totenflecken auf allen vier Extremitäten und dem Rumpf ausgeprägt«, diktierte Wesseling in ein Handgerät, nachdem er sich die Kopflupe in sein Sichtfeld geschoben hatte. »Keine Druckstellen zu erkennen. Hals frei von Würgemalen. Blauverfärbungen aufgrund von Sauerstoffmangel an Lippen und Fingernägeln. Letztere weisen keine Verteidigungsmale auf. Augen geschwollen und mit rötlicher Verfärbung. Zunge belegt; Narbe auf der Stirn – wahrscheinlich von Kindheit an; Füße leicht geschwollen; Tätowierung auf dem linken Oberarm; Muttermal am linken Oberschenkel. Keine Stich- oder Schusswunde. Venen weisen keine Einstiche auf. Zähne regelrecht.«

Nicht wirklich neue Erkenntnisse, dachte Daske in seiner Ecke ungeduldig. Martin Lorenz war weder erstochen, noch erwürgt worden. Und niemand hatte ihn erschossen. Halleluja! Manchmal könnte ein Erstklässler Wesselings Job machen.

Der Pathologe betrachtete derweil die geschwollenen Augen des Opfers und ging um den Tisch herum zu dessen Kopf. Langsam öffnete er die Lider.

»Petechien!«, rief er plötzlich begeistert aus und klatschte in die Hände.

Noch bevor sich Isabell und die Rechtsmedizinerin über die Leiche beugen konnten, winkte er Daske aufgeregt herbei.

Daske verließ widerwillig seinen Platz und ging zum Obduktionstisch, hielt aber einen respektvollen Abstand.

»Siehst du die Petechien, Karl?« Wesseling war immer noch aus dem Häuschen. »Siehst du diese kleinen, roten Punkte in den Augen? Das sind Petechien!«

Daske musste ein Stück nähertreten und sich über den Leichnam beugen.

Tatsächlich!

Die Augen des Opfers wiesen kleine rote Punkte auf.

Der junge Mann hatte einen akuten Sauerstoffmangel erlitten. Das gab Daskes medizinisches Wissen gerade noch her.

»Tod durch Ersticken!«, stieß er hervor.

»Für den Sauerstoffmangel spricht ebenfalls die violette bis bläuliche Verfärbung der Lippen und Fingernägel«, ergänzte Wesseling. »Das Blut war zum Zeitpunkt des Ablebens tödlich unterversorgt.«

Daske trat vom Obduktionstisch ab und grübelte.

»Woran ist er denn erstickt?«, fragte er laut in den Saal hinein und sprach damit aus, was in diesem Moment alle vier Anwesenden dachten.

Ohne Zeit zu verlieren, griff Wesseling erneut zur Lupe. Er war offenbar fest entschlossen, die genaue Todesursache schnellstens zu finden. Daske wanderte freiwillig in die angestammte Ecke zurück und das Schauspiel rund um die Leiche des jungen Mannes begann von vorne.

Wesseling suchte gemeinsam mit der Kollegin von der Rechtsmedizin die Haut der Leiche von Kopf bis Fuß ab, während Isabell sich zur Verfügung hielt. Das Neonlicht aus den Kopf- und Deckenleuchten gab den Totenflecken dabei ein beruhigendes Glänzen.

Die beiden Mediziner sammelten kleinste Spuren – auf den ersten Blick vornehmlich Dreck und Staub – mit Pinzette oder Klebestreifen auf. Erneut wanderte das Eingesammelte in Plastiktüten und Isabell nahm alles an sich. Schließlich legte Wesseling die Kopfbedeckung ab und zog seine Schürze aus.

»Die äußere Besichtigung des Toten ist nun abgeschlossen«, sagte er zu Daske. »Von außen ist es nicht ersichtlich, woran das Opfer erstickt ist. Ich kann dir noch nicht einmal sagen, ob es sich überhaupt um einen Mord handelt.«

Daske wusste genau, was das bedeutete und er verließ ungeduldig den Saal.

Der anstehenden Öffnung des Körpers wollte er unter keinen Umständen beiwohnen.

 

4

 

Vier Stockwerke oberhalb der Pathologie saß Daske mittlerweile seit einer Viertelstunde neben Paul Biedermeier an dessen Bett, während Wesseling mit der Kollegin von der Rechtsmedizin die Obduktion in den Kellerräumen fortführte.

Sein Handy vibrierte. Isabell teilte ihm kurz und knapp mit, dass sie zurück zur KTU fahre, um erste Spuren im Labor zu analysieren.

Unwillkürlich dachte Daske an den Händedruck seiner Tochter während der Obduktion, verwarf jedoch alle Gedanken an Isabell, als sich Biedermeier geräuschvoll im Schlaf umdrehte.

Der junge Mann schlief immer noch den Schlaf der Gerechten und Daske zwirbelte mittlerweile nervös an den Enden seines Schnauzbartes. Er wurde langsam ungeduldig. Er wäre am liebsten wieder zurück zum Präsidium gefahren, wollte den Moment des Aufwachens aber auf keinen Fall verpassen.

Das Aufwecken des jungen Mannes war ihm zuvor unter Androhung der Höchststrafe von einer Krankenschwester eindringlich verboten worden. Sie hatte sich da sehr deutlich ausgedrückt.

Das Warten hatte Daske zumindest bislang damit überbrückt, sich ein paar Fragen zurechtzulegen, während sein Magen leise vor sich hin grummelte.

Daske verzog das Gesicht.

Der Anblick der Leiche war für ihn kein Genuss gewesen. Er musste sofort an die aufgequollenen Augen inmitten des zur Fratze entstellten Gesichts denken.

Daske fuhr sich erneut über den Schnauzbart und brachte ihn wieder mit Daumen und Zeigefinger in Form.

»Wenn der Bengel nicht bald wach wird, dann vergesse ich mich«, murmelte er leise vor sich hin und wie auf Kommando flog in diesem Moment die Tür des Krankenzimmers auf.

Ein junger Assistenzarzt mit weichem, fast bartlosem Gesicht und Hornbrille kam schnellen Schrittes herein.

»Sind Sie der Vater?«, fragte der Mediziner ohne Umschweife.

Er trug einen teuren Anzug mit Weste und Krawatte unter dem geöffneten Kittel. Seine Haare waren nach hinten gegelt und er wirkte wie der klassische Arztsohn, der die eingebaute Karriereleiter emporeilte.

»Sehe ich vielleicht wie sein Vater aus?«, raunte Daske zurück und merkte sofort, dass er einen viel zu ablehnenden Tonfall angeschlagen hatte.

Stress und Ungeduld verschafften sich gerade Luft.

Ruhig Brauner, der hat dir nichts getan, besänftigte er sich selbst.

»Entschuldigung. Daske von der Kriminalpolizei. Ist nicht mein Tag heute, Doc.« Er reichte ihm friedvoll die Hand. »Ich warte darauf, dass Herr Biedermeier aufwacht und ich ihm ein paar Fragen stellen kann. Können Sie mir denn wenigstens schon etwas über seine Blut- und Urinwerte sagen?«

»Ach, Polizei.« Der Assistenzarzt nickte. »Wegen der Testergebnisse bin ich gerade hier.«

Daske war mittlerweile aufgestanden und wippte ungeduldig mit dem gesamten Oberkörper hin und her. Er hasste es, auf die Folter gespannt zu werden.

»Ich hatte gehofft, Herrn Biedermeier die Ergebnisse persönlich mitzuteilen«, sagte der Mediziner und zeigte mit seiner Körperhaltung an, dass er Daske die Ergebnisse am liebsten vorenthalten würde.

»Jetzt passen Sie mal schön auf, Herr Doktor.« Daske verlor endgültig die Beherrschung.

Er stand dem Kittelträger jetzt direkt gegenüber und hatte die Hände zu Fäusten geballt.

»Es handelt sich hier um eine Mordermittlung!«, brüllte er den Mediziner an. »Sie behindern meine Arbeit mit Ihren Volksreden gerade gehörig.«

Das Gesicht des Arztes wechselte schlagartig in die Farbe seines weißen Kittels.

»Rücken Sie endlich mit der Sprache raus«, herrschte Daske ihn weiter an.

»Der … der Patient … weist einen erhöhten Alkoholgehalt im Blut auf«, stammelte der Assistenzarzt.

Er hatte sämtliche Souveränität und Autorität verloren.

»Das weiß ich bereits alles. Verkaufen Sie mich nicht für dumm!«, schnauzte Daske ihn an.

Er genoss förmlich die Nervosität und Unsicherheit des hochnäsigen Assistenzarztes. Dieser atmete kurz durch und fing sich zumindest sprachlich ein wenig.

»Wir haben zusätzlich eine sehr hohe Konzentration Histamin im Blut des Patienten festgestellt. Daher fiel unser Verdacht auf eine allergische Reaktion.«

Daske trommelte ungeduldig mit den Fingernägeln auf der metallischen Bettumrandung.

»Und?«, schnauzte er ihn weiter an.

»Wir haben unsere Suche erweitert und festgestellt, dass das Blutbild gesteigerte Werte von Hyaluronidase sowie Phospholipase A und B aufweist«, sagte der Assistenzarzt etwas gefasster. »Die Werte sind viel zu hoch.«

»Geht das vielleicht noch präziser?«, preschte Daske zynisch hervor. Er hatte sämtliche Geduld mit seinem Gegenüber verloren. »Über die Verwendung von Hochdeutsch wäre ich sehr erfreut.«

Der Assistenzarzt räusperte sich gefällig. Er erfreute sich nahezu an Daskes Abhängigkeit von seinen Worten.

»Nun, Herr Kommissar, Hyaluronidase, Phospholipase A und B sind allesamt Allergene, die die gemeine Wespe benutzt, um ihre Feinde in die Flucht zu schlagen.«

»Wespengift?« Daske schaute den Assistenzarzt ungläubig an. »Sind Sie sich da sicher?«

»Absolut«, sagte der Mediziner aus dem Brustton der Überzeugung. »Es besteht kein Zweifel.«

Daske blickte kritisch auf den schlafenden Patienten im Bett.

»Hätten wir nur Phospholipase A gefunden, hätte es sich auch um das Gift einer Biene handeln können«, fuhr der Assistenzarzt fort. »Aber da wir kein Melittin, sondern Phospholipase B nachweisen konnten, kann ich zu einhundert Prozent sagen, dass es sich um das Gift der gemeinen Wespe handelt.«

»Er wurde also von einer Wespe gestochen?«

Der Mediziner schüttelte den Kopf.

»Die Konzentration ist für einen Wespenstich viel zu hoch«, merkte er an. »Den Patienten müssten demnach mindestens zehn Wespen gleichzeitig gestochen haben. Allerdings haben wir bei der ersten Untersuchung keinerlei Quaddeln festgestellt.«

»Wie konnte denn so viel Gift in den Körper des Patienten gelangen?«, fragte Daske ungläubig. »Hat er etwa ein ganzes Wespennest im Schlaf verschluckt?«

»Er wird die Wespen definitiv nicht verschluckt haben«, beantwortete der Assistenzarzt Daskes Ironie sachlich. »Der Rachenbereich und die Mundhöhle sind nicht geschwollen. Ich kann Ihnen nicht genau sagen, wie das Gift in den Körper gelangt ist. Dahingehend müssen wir den Patienten später untersuchen.«

»Hätte Biedermeier auch an dem Gift ersticken können?«

»Das kommt ganz darauf an, wie allergisch der Patient ist.«

Daske horchte auf. Sie hatten eine erste zaghafte Spur. Er musste sofort zurück zu Wesseling in die Pathologie.

»Na, was ist los? Worauf warten Sie noch?«, herrschte Daske den Assistenzarzt ein letztes Mal an und zeigte auf den immer noch selig schlafenden Biedermeier. »Machen Sie sich endlich an die Arbeit und suchen Sie die verdammten Einstiche.«