Karl Kraus: Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt - Karl Kraus - E-Book

Karl Kraus: Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt E-Book

Karl Kraus

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Beschreibung

Karl Kraus war neben Georg Christoph Lichtenberg der wohl bedeutendste deutschsprachige Satiriker. 1899 gründete er die Zeitschrift Die Fackel, die er nicht nur zu einem der führendsten Medien für Kultur- und Gesellschaftskritik, sondern auch zum "Gewissen seiner Zeit" entwickelte. Kein Autor des 19. und 20. Jahrhunderts hat mit derart unablässiger Leidenschaft den Wörtern und Wendungen seiner Zeitgenossen, dem Umgang mit der deutschen Sprache nachgespürt, der Korruption und "Preßdiktatur", den heuchlerischen Sittenprozessen, vor allem aber der bürgerlich-patriarchalen Doppelmoral den Kampf angesagt wie dieser einsame Meister der Ironie. Seine in Aphorismen gegossenen Ansichten, Essays und Kritiken in ihrer gewaltigen, thematischen Vielfalt faszinieren und polarisieren noch heute.

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Karl Kraus

Ich bin der Vogel,den sein Nestbeschmutzt

Aphorismen, Sprüche undWidersprüche

Herausgegeben von Bruno Kern

INHALT

Die Geburt des Gedankens aus der Sprache Vorbemerkung zu dieser Ausgabe

Erstes Buch: Sprüche und Widersprüche

I.Weib, Fantasie

II.Moral, Christentum

III.Mensch und Nebenmensch

IV.Presse, Dummheit, Politik

V.Der Künstler

VI.Schreiben und Lesen

VII.Länder und Leute

VIII.Stimmungen, Worte

IX.Sprüche und Widersprüche

Zweites Buch: Pro domo et mundo

I.Vom Weib, von der Moral

II.Von der Gesellschaft

III.Von Journalisten, Ästheten, Politikern, Psychologen, Dummköpfen und Gelehrten

IV.Vom Künstler

V.Von zwei Städten

VI.Zufälle, Einfälle

VII.Pro domo et mundo

Drittes Buch: Nachts

I.Eros

II.Kunst

III.Zeit

IV.Wien

V.1915

VI.Nachts

DIE GEBURT DES GEDANKENS AUS DER SPRACHE

VORBEMERKUNG ZU DIESER AUSGABE

Dass gerade zur sprachlichen Kurzform des Aphorismus der längste Atem gehöre, hat Karl Kraus selbst formuliert. Diese kondensierteste Form des sprachlichen Ausdrucks ist zugleich höchst anspruchsvoll. Viele Essays und Glossen mündeten bei Karl Kraus wie von selbst in diese literarische Abbreviatur ein, und gerade einige seiner brillantesten Texte muten in ihrer Pointierungskunst wie eine Aneinanderreihung von Aphorismen an, etwa sein Essay über Heine und die Folgen (Kraus 2018, 17–45). So wuchsen die drei Aphorismenbände, die Karl Kraus selbst zwischen 1906 und 1919 herausgegeben hat, organisch aus seiner satirischen Zeitschrift, Die Fackel, heraus, die es auf fast 1000 Nummern brachte.

Vielen gilt Kraus als der größte Virtuose auf dem Gebiet dieser literarischen Gattung. Unverkennbar aber sind seine Vorbilder. An erster Stelle ist hier Georg Christoph Lichtenberg mit seinen Sudelbüchern zu nennen, dem Kraus selbst einen Aphorismus widmet. Dann natürlich Johann Nestroy, dessen über achtzig volkstümliche Komödien gerade aufgrund ihres genialen Umgangs mit der Sprache trotz ihrer Dialektgebundenheit zur Weltliteratur wurden. In seinem bedeutenden Essay über Nestroy (Nestroy und die Nachwelt, vgl. Kraus 2018, 56–79) zeigt Kraus selbst auf, wie es Nestroy mithilfe der sparsamsten Stilmittel gelingt, die Sprache dazu zu bringen, von selbst ihre Pointen abzuwerfen. Sicher stehen auch Goethes Maximen und Reflexionen Pate, und die Nähe zum Aphoristiker Friedrich Nietzsche ist unverkennbar, auch wenn sie Karl Kraus nicht zugeben mag. Dagegen zielt etwa Oscar Wilde, dem Kraus ansonsten höchsten Respekt zollt, eher auf den oberflächlichen Effekt ab. Dieser Auswahlband orientiert sich in seiner Gliederung an den Titeln der zu Kraus’ Lebzeiten erschienenen Bände (Sprüche und Widersprüche, Pro domo et mundo, Nachts), legt die letzte von ihm selbst redigierte Fassung zugrunde und behält auch die Anordnung samt den von Kraus selbstgewählten Kapitelüberschriften bei. Bereits vor etlichen Jahren ist im marixverlag ein erster Auswahlband erschienen (Kraus 22016)1, der mit diesem Band nun seine Ergänzung erfährt. Zur inhaltlichen Einordnung in das Gesamtwerk von Karl Kraus sei deshalb auf meine ausführliche Einleitung in diesem ersten Band verwiesen. Thematisch spiegeln die Aphorismenbände die Schwerpunkte des literarischen Werkes von Karl Kraus selbst wider: die Philistermoral seiner Zeit, Journalismus und Presse, die ihre kommerziellen Interessen literarisch verschleiern, die Psychoanalyse, die alles, nur nicht sich selbst zu entlarven imstande ist, einen eitlen Literaturbetrieb und schließlich jene mentale Zurüstung der Gesellschaft, die in die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, in den Ersten Weltkrieg, mündet.

Dieser zweite Auswahlband stellt also die von vielen Leserinnen und Lesern gewünschte Ergänzung des Bandes Auch Zwerge werfen lange Schatten dar und reagiert auf die große Resonanz, die jener erfuhr. Bestimmend für die Auswahl waren folgende Kriterien: Sie sollte möglichst repräsentativ sein und thematisch die Schwerpunkte des satirischen Werks von Karl Kraus abbilden. Verzichtet wurde auf Texte, die aus heutiger Sicht in Formulierung und Inhalt zu Recht als problematisch, zuweilen auch als unzumutbar, empfunden werden. Das betrifft vor allem Texte zum Geschlechterverhältnis, die heute zum Teil schlicht unverdaulich sind oder zumindest einer längeren erörternden Einordnung bedürften (vgl. dazu meine Einleitung in Kraus 22016). Weggelassen wurden Aphorismen, deren Verständnis längerer Erörterungen ihres zeitbedingten Entstehungskontextes bedurft hätten. So konnte ich mich auf einige wenige spärliche Hinweise in Fußnoten beschränken. Kraus sprengt zuweilen die literarische Form des Aphorismus zugunsten längerer satirischer Betrachtungen. In manchen dieser Fälle habe ich mir erlaubt, nur einzelne pointierte Sätze zu entnehmen, die für sich bestehen können, und dies durch Auslassungspunkte in eckigen Klammern gekennzeichnet.

Seine Popularität bis heute verdankt Karl Kraus neben seinem großen Weltkriegsdrama, Die letzten Tage der Menschheit, vor allem seinen Aphorismen – die leider oft recht oberflächlich rezipiert und außerhalb ihres Entstehungszusammenhangs als harmloswitzige Bonmots aufgefasst werden. Dabei stellt die literarische Kurzform des Aphorismus nicht nur für den Autor, sondern auch für die Leserinnen und Leser die höchsten Ansprüche. Gerade das Sperrige, das sich nicht schon beim ersten Lesen erschließt, sondern zunächst irritiert und uns in unserem eigenen Umgang mit der Sprache verunsichert, ist imstande, uns neue Denkwelten zu erschließen.

Wie von selbst sind Kraus’ Aphorismen seinem Werk entsprungen und verweisen deshalb auf dieses zurück (vgl. die Literaturangaben im Anschluss). Mögen sie den Leserinnen und Lesern den Zugang erschließen zu einem Satiriker, der gerade deshalb bis heute so aktuell ist, weil er allem misstraute, was sich als »Fortschritt« ausgab.

Bruno Kern

Werke von Karl Kraus

Auch Zwerge werfen lange Schatten. Sprüche und Widersprüche, Wiesbaden 22016.

Weltgericht. Satiren und Polemiken, Wiesbaden 2014.

Die dritte Walpurgisnacht, Wiesbaden 2015.

Sittlichkeit und Kriminalität. Und weitere Satiren zu Justiz und Moral, Wiesbaden 2017.

Nestroy, Heine & Co. Aufsätze zur Literatur, Wiesbaden 2018.

1Die Titelformulierung dieses ersten Auswahlbandes legt allerdings einen Aphorismus zugrunde, der Kraus fälschlicherweise zugeschrieben wird.

ERSTES BUCH

SPRÜCHE UND WIDERSPRÜCHE

I. WEIB, FANTASIE

Wenn die Sinne der Frau schweigen, verlangt sie den Mann im Mond.

Ist eine Frau im Zimmer, ehe einer eintritt, der sie sieht? Gibt es das Weib an sich?

Die Frau braucht in Freud und Leid, außen und innen, in jeder Lage, den Spiegel.

Die männliche Überlegenheit im Liebeshandel ist ein armseliger Vorteil, durch den man nichts gewinnt und nur der weiblichen Natur Gewalt antut. Man sollte sich von jeder Frau in die Geheimnisse des Geschlechtslebens einführen lassen.

Man muss das Temperament einer Schönen so halten, dass sich Laune nie als Falte festlegen kann. Das sind Geheimnisse der seelischen Kosmetik, deren Anwendung die Eifersucht verbietet.

Eine je stärkere Persönlichkeit die Frau ist, umso leichter trägt sie die Bürde ihrer Erlebnisse. Hochmut kommt nach dem Fall.

Die geniale Fähigkeit des Weibes, zu vergessen, ist etwas anderes als das Talent der Dame, sich nicht erinnern zu können.

Die sinnliche Frau stellt die sittlichste Aufgabe, die sittliche Frau dient sinnlichem Verlangen. Die Unbewusstheit zum Bewusstsein zu bringen ist Aeroismus; die Bewusstheit ins Unbewusstsein zu tauchen, Finesse.

Die Begierde des Mannes ist nichts, was der Betrachtung lohnt. Wenn sie aber ohne Richtung läuft und das Ziel erst sucht, so ist sie wahrlich ein Gräuel vor der Natur.

Den Vorzug der Frau, immer erhören zu können, hat ihr die Natur durch den Nachteil des Mannes verrammelt.

Für den Nachteil des Mannes, nicht immer erhören zu können, wurde er mit der Feinfühligkeit entschädigt, die Unvollkommenheit der Natur in jedem Falle als eine persönliche Schuld zu empfinden.

Dass Titania auch einen Esel herzen kann, wollen die Oberone nie verstehen, weil sie dank einer geringen Geschlechtlichkeit nicht imstande wären, eine Eselin zu herzen. Dafür werden sie in der Liebe selbst zu Eseln.

Umschreibung: »Er füllt mit seiner Stimme mein Ohr ganz aus!« sagte sie vom Sänger.

Dasselbe Mädchen konnte einmal von einem, der ihr nachgegangen war, sagen: »Er hatte einen Mund, der küsste von selbst.«

Wie unwesentlich und ungegenwärtig dem Mann das Geschlechtliche ist, zeigt sich darin, dass selbst die Eifersüchtigen ihre Frauen auf Maskenbällen sich frei bewegen lassen. Sie haben vergessen, wie viel sie sich ehedem mit den Frauen anderer dort erlauben konnten, und glauben, dass seit ihrer Verheiratung die allgemeine Lizenz aufgehoben sei. Ihrer Eifersucht opfern sie durch ihre Anwesenheit. Dass diese ein Sporn ist und kein Zügel, sehen sie nicht. Keine eifersüchtige Frau würde ihren Mann auf die Redoute gehen lassen.

Wenn eine Frau Gescheitheiten sagt, so sage sie sie mit verhülltem Haupt. Aber selbst dann ist das Schweigen eines schönen Antlitzes noch anregender.

Die Frauen sind die besten, mit denen man am wenigsten spricht.

Man entscheidet für die Mütter gegen die Hetären, die nichts hervorbringen, höchstens Genies.

Man achte den Acker und man liebe die Landschaft. Dieses ist nahrhafter.

Es kommt schließlich nur darauf an, dass man überhaupt über die Probleme des erotischen Lebens nachdenkt. Widersprüche, die man zwischen seinen eigenen Ergebnissen finden mag, beweisen nur, dass man in jedem Fall recht hat. Und die Widersprüche zwischen den eigenen und den Ergebnissen, zu denen andere Denker gelangt sind, entfernen uns nicht so weit von diesen, wie uns der Abstand von solchen entfernt, die überhaupt nicht über die Probleme des erotischen Lebens nachgedacht haben.

Wenn man einmal durch Erleben zum Denken gelangt ist, so gelangt man auch durch Denken zum Erleben. Man genießt die wollüstigen Früchte seiner Erkenntnis. Selig, wem Frauen, auf die man Gedachtes mühelos anwenden kann, zu solcher Erholung beschieden sind!

Die Schätzung einer Frau kann nie gerecht sein; aber die Über- oder Unterschätzung geschieht immer nach Verdienst.

Der Erotiker hatte an ihr eine Ähnlichkeit entdeckt. Die pflegte er; saß täglich an ihrem Lager und schob ihr die Nase zurecht, um die Ähnlichkeit auszubilden. Der Ästhetiker hatte an ihr eine Verschiedenheit entdeckt. Die pflegte er; saß täglich an ihrem Lager und pries die Heiligkeit der Nase um ihrer selbst willen. Dieser dankt dem Schöpfer. Jener ist ein Schöpfer.

Die Hand einer schönen Frau zu verewigen, sie gleichsam von ihrer Anmut abzuschneiden, ist ein Werk jener grausamen Nichtachtung der Frauenschönheit, deren nur ein Ästhet fähig ist. Eine Hand müsste gar nicht schön sein, und die Wirkung, die von der Frau ausgeht, könnte die Wirkung sein, die man von einem Elementarereignis empfängt. Es gibt Frauen, die wie der Blitz in die erotische Fantasie einschlagen, erbeben machen und die Luft des Denkens reinigen.

Ihre Züge führten einen unregelmäßigen Lebenswandel.

Große Züge: großer Zug.

Lieber ein hässlicher Fuß verziehen als ein hässlicher Strumpf!

Die Weiber haben wenigstens Toiletten. Aber womit decken die Männer ihre Leere?

»Du wesenlose Luft, die ich umfasse!«: das Bekenntnis jeglicher erotischen Verfeinerung.

Ein Weib sei Wasser auf einer Tablette. Man zieht es mit dem Finger, wohin man will, und es hinterlässt keine Spur, wo es gewesen. Das kann die schönste Erinnerung sein.

In der Erotik gilt diese Rangordnung: Der Täter. Der Zeuge. Der Wisser.

Die Einteilung der Menschheit in Sadisten und Masochisten ist beinahe so töricht wie eine Einteilung in Esser und Verdauer. Von Abnormitäten muss man in jedem Falle absehen, es gibt ja auch Leute, die besser verdauen als essen und umgekehrt. Und so wird man, was den Masochismus und den Sadismus betrifft, getrost behaupten können, dass ein Gesunder über beide Perversitäten verfügt. Hässlich an der Sache sind bloß die Worte, besonders entwürdigend jenes, das sich von dem deutschen Romanschriftsteller herleitet, und es ist schwer, sich von den Bezeichnungen nicht den Geschmack an den Dingen verderben zu lassen.

Wenn man vom Sklavenmarkt der Liebe spricht, so fasse man ihn doch endlich so auf: Die Sklaven sind die Käufer. Wenn sie einmal gekauft haben, ist’s mit der Menschenwürde vorbei: Sie werden glücklich. Und welche Mühsal auf der Suche des Glücks! Welche Qual der Freude! Im Schweiße deines Angesichts sollst du deinen Genuss finden. Wie plagt sich der Mann um die Liebe! Aber wenn eine nur Wanda heißt, wird sie mit der schönsten sozialen Position fertig.

Tänzerinnen haben die Sexualität in den Beinen, Tenore im Kehlkopf. Darum täuschen sich die Frauen in den Tenoren und die Männer in den Tänzerinnen.

Das eben ist der Unterschied der Geschlechter: Die Männer fallen nicht immer auf einen kleinen Mund herein, aber die Weiber immer auf eine große Nase.

Eine schöne, aber keine echte Flamme der Sinnlichkeit, wenn sich der Spiritus entzündet!

Sie gewährt, an die Pforte ihrer Lust zu pochen, und lässt die Schätze ahnen, von denen sie nicht gibt. Die Unlust des Wartenden bereichert indessen ihre Lust: Sie nimmt dem Bettler ein Almosen ab und sagt, hier werde nichts ausgeteilt.

Er hatte sie mit Lustgas betäubt, um eine schwere Gedankenoperation an ihr vorzunehmen.

Man unterscheide culpose und dolose Frauen.

Wenn der Dieb in der Anekdote stehlen geht, so hält ihm der Wächter das Licht. Diese Situation ist auch den Frauen nicht unerwünscht.

Der ist ein unkluger Berater einer Frau, der sie vor Gefahren warnt.

Es ist etwas Eigenes um die gebildeten Schönen. Die Mythologie wird umgekrempelt. Athene ist schaumgeboren und Aphrodite in eherner Rüstung dem Haupte Kronions entsprossen. Klarheit entsteht erst wieder, wenn die Scheide am Herkuleswege ist.

Dass eine Frau bei naher Betrachtung verliert, ist ein Vorzug, den sie mit jedem Kunstwerk gemein hat, an dem man nicht gerade Farbenlehre studieren will. Nur Frauen und Maler dürfen sich untereinander mikroskopisch prüfen und ihre Technik abschätzen. Wen die Nähe enttäuscht, der hat es nicht besser verdient. Solche Enttäuschungen lösen ihm die Rosenketten des Eros. Der Kenner aber versteht es, sie erst daraus zu flechten. Ihn enttäuscht nur die Frau, die in der Entfernung verliert.

Es kann aber eine Wohltat der Sinne sein, von Zeit zu Zeit einem komplizierten Räderwerk nahezustehen. Die anderen sehen nur das Gehäuse mit dem schönen Zifferblatt; und es ist bequem, zu erfahren, wie viel’s geschlagen hat. Aber ich habe die Uhr aufgezogen.

Auch in männermordenden Geisteskämpfen kann man manchmal einer Frau einen Blumenstrauß zuwerfen, ohne dass die Menge es merkt. Aber bei der zweiten Lektüre offenbart sich dem Feingefühl ein Pamphlet als Liebesbrief.

Wenn der Wert der Frauen absolut messbar ist, so ist er es gewiss eher nach der Fähigkeit, zu spenden, als nach dem Wert der Objekte, an die sie spenden. Nicht einmal dem Blitz, der statt in die Eiche in einen Holzschuppen einschlägt, darf man einen moralischen Vorwurf machen. Und dennoch besteht kein Zweifel, dass hier die Schönheit des Schauspiels wesentlich von der Würdigkeit des Objektes abhängt, während die Blitze der Sinnlichkeit bei größerem Abstand umso heller leuchten. Nur wenn die Eiche vergebens bittet, dass der Blitz sie erhöre, dann treffe den Blitz die Verdammnis!

Langweile und Unbequemlichkeit sind die Pole, zwischen denen das Entzücken an den Frauen schwankt. In ihrer äußersten Konsequenz sind sie entweder barmherzige Schwestern oder unbarmherzige Schwestern.

Seiner ersten Geliebten trägt man keine Enttäuschung nach. Besonders wenn man sie in der Turnstunde kennengelernt hat und es eine Kletterstange war.

Höchster Überschwang der Gefühle: Wenn du wüsstest, welche Freude du mir mit deinem Kommen bereitest – du tätest es nicht, ich weiß, du tätest es nicht!

Er wollte seine Geliebte zur Freiheit verurteilen. Das lassen sie sich schon gar nicht gefallen.

In der Liebe kommt es nur darauf an, dass man nicht dümmer erscheint, als man gemacht wird.

Was ich nicht weiß, macht mir nicht heiß.

Wenn’s einem kein Vergnügen macht, eine Frau zu beschenken, unterlasse man es. Es gibt Frauen, gegen die ein Danaidenfass die reinste Sparbüchse ist.

Man muss endlich wieder dahin kommen, dass man nicht mehr an der Krankheit, sondern an der Gesundheit einer Frau zugrunde geht.

So erhaben kann sich nie ein wertvoller Mann über ein wertloses Weib dünken wie ein wertloser Mann über ein wertvolles Weib.

Es ist die wichtigste Aufgabe, das Selbstunbewusstsein einer Schönen zu heben.

Der Losgeher hat nichts zu verlieren. Der andere nähert sich einer Frau nicht, weil er einen ganzen Lebensinhalt, den er zitternd trägt, aus der Hand fallen lassen könnte.

Das Tragische leitet seinen Ursprung von einem Bocksspiel her.

Eine Nachtwandlerin der Liebe, die erst fällt, wenn sie angerufen wird.

Sie lebte dem Gattungswillen entrückt, aber sooft sie liebte, selbst zu neuem Leben geboren. Sie war nicht zum Gebären geschaffen, sondern zum Geborensein.

Zuerst sieht man eine, der andere ähnlich sehen. Dann eine, die ähnlich sieht. Schließlich aber ist keine mehr da, und man sieht alles von selbst.

II. MORAL, CHRISTENTUM

Der Mann hat den Wildstrom weiblicher Sinnlichkeit kanalisiert. Nun überschwemmt er nicht mehr das Land. Aber er befruchtet es auch nicht mehr.

Die Gründer der Normen haben das Verhältnis der Geschlechter verkehrt: Sie haben das Geschlecht des Weibes in die Konvention geschnürt und das männliche entfesselt. So ist die Anmut vertrocknet und der Geist. Es gibt noch Sinnlichkeit in der Welt; aber sie ist nicht mehr die triumphierende Entfaltung einer Wesenheit, sondern die erbärmliche Entartung einer Funktion.

Als die Zugänglichkeit des Weibes noch eine Tugend war, wuchs dem männlichen Geiste die Kraft. Heute verzehrt er sich vor der Scheidemauer einer verbotenen Welt. Geist und Lust paaren sich wie ehedem. Aber das Weib hat den Geist an sich genommen, um dem Draufgänger Lust zu machen.

Das vom Mann verstoßene »Weibchen« rächt sich. Es ist eine Dame geworden und hat ein Männchen im Haus.

Der Philister verachtet die Frau, die sich von ihm hat lieben lassen. Wie gerne möchte man ihm recht geben, wenn man der Frau Schuld geben könnte!

Ein Bettler wurde verurteilt, weil er auf einer Bank gesessen und »traurig dreingeschaut« hatte. In dieser Weltordnung machen sich die Männer verdächtig, die traurig, und die Weiber, die lustig dreinschauen. Immerhin zieht sie die Bettler den Freudenmädchen vor. Denn die Freudenmädchen sind unehrliche Krüppel, die aus dem Körperfehler der Schönheit Gewinn ziehen.

Dass eine Kokotte nach sozialen Ehren strebt, ist eine traurige Erniedrigung; aber sie entschädigt sich wenigstens durch heimliche Freuden. Viel verwerflicher ist die Praxis jener Frauen, die durch den Schein eines Freudenlebens über ihre heimliche Ehrbarkeit zu täuschen wissen. Sie schmarotzen an einer sozialen Verachtung, die sie sich nicht verdienen; und das ist die schlimmste Art von Streberei.

Gretchen-Tragödie – welch ein Aufhebens! Die Welt steht stille, Himmel und Hölle öffnen sich, und in den Sphären klingt die Musik unendlichen Bedauerns: Nicht jedes Mädchen fällt so ’rein!

Liebe soll Gedanken zeugen. In der Sprache der Gesellschaftsordnung sagt die Frau: Was werden Sie von mir denken!

Wie eine lebensfähige Frau ihren faulen Frieden mit der Welt macht: Sie verzichtet auf die Persönlichkeit und bekommt dafür die Galanterien zugestanden.

Was doch die soziale Sitte vermag! Nur ein Spinnweb liegt über dem Vulkan, aber er hält sich zurück.

Im Orient haben die Frauen größere Freiheit. Sie dürfen geliebt werden.

Die Eifersucht des Mannes ist eine soziale Einrichtung, die Prostitution der Frau ist ein Naturtrieb.

Das Wesen der Prostitution beruht nicht darauf, dass sie sich’s gefallen lassen müssen, sondern dass sie sich’s missfallen lassen können.

Eine sittliche Prostitution fußt auf dem Prinzip der Monogamie.

Die sittliche Weltordnung ist den geheimnisvollen Fähigkeiten des Weibes, prostituiert zu werden und selbst zu prostituieren, in zwei monogamen Lebensformen gerecht geworden: Sie schuf die Maitresse und den Zuhälter.

Die Unsittlichkeit der Maitresse besteht in der Treue gegen den Besitzer.

Die Rechtsstellung des Zuhälters in der bürgerlichen Gesellschaft ist noch nicht geklärt. Er ist ihr Auswurf. Denn er achtet, wo geächtet wird; er beschützt, wo verfolgt wird. Er kann für seine Überzeugung auch Opfer bringen. Wenn er jedoch für seine Überzeugung Opfer verlangt, fügt er sich in den Rahmen einer Gesellschaftsordnung, die zwar dem Weib die Prostitution nicht verzeiht, aber die Korruption dem Manne.

Die Unmoral des Mannes triumphiert über die Nichtmoral der Frau.