Karriere und Familie - Claudia Goldin - E-Book

Karriere und Familie E-Book

Claudia Goldin

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Beschreibung

»Ein Weckruf für mehr  Chancengleichheit« DHI-Präsident Marcel Fratzscher über den Nobelpreis für Claudia Goldin Es war ein Paukenschlag aus der Stockholmer Akademie für Wissenschaften: Eine Frau erhält den Wirtschaftsnobelpreis, und sie arbeitet über – Frauen. Seit Jahrzehnten und auf der Grundlage von über 200 Jahre zurückreichenden Daten forscht Claudia Goldin zu der großen Gerechtigkeitslücke, an der viele gutausgebildete Frauen und Mütter bis heute scheitern. Warum übernehmen sie den größten Teil der Care-Arbeit? Warum verdienen sie weniger als Männer, in Deutschland durchschnittlich 18 Prozent? Warum arbeiten so viele von ihnen Teilzeit, obwohl sie dadurch hohe Abstriche bei der Altersversorgung in Kauf nehmen müssen? Claudia Goldin beschreibt, wie Generationen von Frauen mit dem Problem der Vereinbarkeit von Karriere und Familie gekämpft haben. Ihre bahnbrechenden Forschungen erklären, wie Frauen in der Arbeitswelt benachteiligt wurden – und warum sich das bis heute kaum geändert hat. In ihrem wegweisenden Buch weist die Nobelpreisträgerin nach, was viele Frauen nur ahnten. Und mehr noch: Sie liefert den Schlüssel zur Veränderung.

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Karriere und Familie

Claudia Goldin, geboren 1946 in New York, ist studierte Volkswirtin und seit 1990 Professorin an der Universität Harvard. 2023 wurde sie mit dem Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Sie erhielt den Preis für die »Aufdeckung der wichtigsten Ursachen für geschlechtsspezifische Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt«, so das Nobelpreiskomitee in seiner Begründung.

Es war ein Paukenschlag aus der Stockholmer Akademie für Wissenschaften: Eine Frau erhält den Wirtschaftsnobelpreis, und sie arbeitet über – Frauen. Seit Jahrzehnten und auf der Grundlage von über 200 Jahre zurückreichenden Daten forscht Claudia Goldin zu der großen Gerechtigkeitslücke, an der viele gutausgebildete Frauen und Mütter bis heute scheitern. Warum übernehmen sie den größten Teil der Care-Arbeit? Warum verdienen sie weniger als Männer, in Deutschland durchschnittlich 18 Prozent? Warum arbeiten so viele von ihnen Teilzeit, obwohl sie dadurch hohe Abstriche bei der Altersversorgung in Kauf nehmen müssen?In ihrem epochalem Buch Karriere und Familie beschreibt Claudia Goldin, wie Generationen von Frauen mit dem Problem der Vereinbarkeit von Karriere und Familie gekämpft haben. Sie kommt den vielen Ungerechtigkeiten auf die Schliche, die Frauen am Arbeitsmarkt bis heute erfahren. Und sie zeigt, was zu tun ist, damit es in unserer Gesellschaft künftig gerechter zugeht.

Claudia Goldin

Karriere und Familie

Der jahrhundertelange Weg der Frauen zu mehr Gleichberechtigung

Aus dem Englischen von Sigrid Schmid, Rita Gravert, Marlene Fleißig und Caroline Weißbach

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2024Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenAlle Rechte vorbehaltenDie automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.Autorenfoto: © BBVA FoundationE-Book Konvertierung powered by pepyrus

ISBN 978-3-8437-3207-9

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

1    Das neue Problem ohne Namen

Greedy Work – Gierige Arbeit

Eine Ehe von Gleichgestellten

2    Der Staffelstab wird weitergegeben

Gruppe Eins: Familie oder Karriere

Gruppe Zwei: Erst Job, dann Familie

Gruppe Drei: Erst Familie, dann Job

Gruppe Vier: Erst Karriere, dann Familie

Gruppe Fünf: Karriere und Familie

Wichtige Grenzen

3    Weggabelung

Hindernisse und Einschränkungen

Die Namhaften

4    Die Brückengruppe

Beschäftigungsverbot für verheiratete Frauen

Ein Leben in Serie

5    Am Scheideweg mit Betty Friedan

Gezeiten des Wandels

Ein Schlachtplan

6    Die stille Revolution

Die Macht der Pille

Erweiterter Horizont

7    Revolution mit Unterstützung

Die Definition von Erfolg

Der Zeitfaktor

8    Lückenbüßerinnen

9    Der Fall der Rechtsanwältin und der Apothekerin

10    Auf Abruf

Leaky Pipelines

Hoffnungsschimmer

Arbeit umgestalten

Eine Frage der Zeit

Epilog    Am Ende der Reise

Unzufriedenheit

Care-Arbeit

Lösungen

Dank

Anmerkungen

Abbildungen und Tabellen: Quellen und Anmerkungen

Quellenanhang

Bibliografie

Liste der Abbildungen und Tabellen

Liste der Online-Abbildungen, Online-Tabellen und Online-Quellen

Anmerkungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1    Das neue Problem ohne Namen

1    Das neue Problem ohne Namen

Arbeit und Familie, Arbeits- und Privatleben unter einen Hut zu bringen ist für Paare aller Art heute schwieriger als je zuvor. In den Vereinigten Staaten bemerken wir gerade kollektiv, wie wichtig, wie wertvoll für die Gegenwart und für zukünftige Generationen Care-Arbeit ist. Die Kosten dieser Care-Arbeit werden uns erst langsam bewusst: das geminderte Einkommen, die abgeflachte Karriere und die Kompromisse, die Paare (heterosexuell und gleichgeschlechtlich) dafür eingehen müssen, sowie die besondere Belastung für alleinerziehende Mütter und Väter.

Betty Friedan schrieb 1963 über Collegeabsolventinnen, die über ihr Hausfrauen- und Mütterdasein frustriert waren, sie hätten »ein Problem ohne Namen«. Fast 60 Jahre später stehen die meisten Collegeabsolventinnen im Berufsleben, aber im Vergleich zu den Absolventen werden sie bei Gehalt und beruflichem Aufstieg offenbar oft immer noch benachteiligt. Auch sie haben ein »Problem ohne Namen«.

Doch in Wirklichkeit hat ihr Problem viele Namen: Geschlechterdiskriminierung, Gender Bias, gläserne Decke, Mutti-Syndrom, aufs Abstellgleis geschoben werden – suchen Sie sich etwas aus. Eine unmittelbare Lösung für dieses Problem ist nicht in Sicht. Wir sollten Frauen beibringen, konkurrenzfreudiger zu sein und besser zu verhandeln. Wir müssen die unausgesprochenen Vorurteile der Führungskräfte aufdecken. Die Regierung sollte Geschlechterparität in Unternehmensvorständen verpflichtend machen und den Grundsatz von gleicher Bezahlung für gleiche Arbeit durchsetzen.

Frauen in den Vereinigten Staaten und andernorts fordern immer lauter eine solche Lösung. Landesweit machen ihre Anliegen Schlagzeilen (und werden in Büchern veröffentlicht). Brauchen sie mehr Biss? Müssen sie sich mehr reinhängen? Warum steigen Frauen in Unternehmen langsamer auf als ihre männlichen Kollegen? Warum werden ihre Erfahrung und die Dauer der Betriebszugehörigkeit nicht angemessen vergütet?

Viele Frauen werden zusätzlich von persönlicheren Zweifeln geplagt, die sie nur Lebenspartnern oder guten Freundinnen anvertrauen. Ist es klug für eine Frau, mit jemandem auszugehen, der genauso viel Zeit für seine Karriere aufwendet wie sie selbst? Soll sie die Gründung einer Familie aufschieben, selbst wenn sie sicher ist, dass sie Kinder will? Soll sie Eizellen einfrieren lassen, wenn sie mit 35 noch keinen Partner gefunden hat? Ist sie bereit, eine ehrgeizige Karriere (an der sie womöglich seit dem Schulabschluss gearbeitet hat) aufzugeben, um Kinder großzuziehen? Wenn sie es nicht tut, wer wird dann die Pausenbrote schmieren, das Kind vom Schwimmtraining abholen und auf Notfallanrufe aus der Schule reagieren?

Frauen fühlen sich immer noch ausgenutzt. Sie geraten bei ihrer Karriere ins Hintertreffen und verdienen gleichzeitig weniger als ihre Ehemänner und männlichen Kollegen. Man sagt ihnen, sie seien selbst schuld an ihren Problemen. Sie seien nicht aggressiv genug und verhandelten nicht ausreichend; sie forderten ihren Platz am Tisch nicht ein, und wenn sie es täten, verlangten sie nicht genug. Aber Frauen wird auch gesagt, dass sie nicht selbst schuld an ihren Problemen sind, selbst wenn diese Probleme ihr Verderben sind. Sie werden ausgebeutet, diskriminiert, schikaniert und aus dem Männerclub ausgeschlossen.

All diese Faktoren sind real. Aber sind sie wirklich die Wurzel des Problems? Summieren sie sich zu dem großen Unterschied bei Gehalt und Karriere auf, der zwischen Männern und Frauen besteht? Wenn all diese Probleme auf wundersame Weise beseitigt würden, würde die Welt von Frauen und Männern, die Welt der Paare und der jungen Eltern völlig anders aussehen? Bilden sie zusammen das »neue Problem ohne Namen«?

Öffentliche und private Diskussionen haben diese wichtigen Themen ans Licht gebracht, dennoch ignorieren wir häufig die riesigen Ausmaße und die lange Geschichte des Geschlechtergefälles. Ein einzelnes Unternehmen, dem man auf die Finger klopft, eine weitere Frau, die es in den Aufsichtsrat schafft, ein paar wenige fortschrittliche IT-Führungskräfte, die in Elternzeit gehen – derartige Lösungen sind ebenso unzureichend wie eine Packung Pflaster in einer Pestepidemie.

Diese Maßnahmen haben den Gender-Pay-Gap nicht beseitigt. Und sie werden nie eine umfassende Lösung für die Geschlechterungleichheit liefern, weil sie nur an Symptomen herumdoktern. Sie werden Frauen nie ermöglichen, Karriere und Familie im selben Umfang zu verwirklichen, wie Männer es können. Wenn wir den Pay-Gap auslöschen oder auch nur verringern wollen, müssen wir erst näher an die Ursachen dieser Rückschläge heran und dem Problem einen zutreffenderen Namen geben: gierige Arbeit – greedy work.1

Ich kann nur hoffen, dass, wenn Sie dies lesen, die Corona-Pandemie – die immer noch wütet, als ich dieses Kapitel beende – abgeflaut ist und wir etwas aus ihr gelernt haben. Die Pandemie hat einige Probleme vergrößert, andere beschleunigt und weitere offengelegt, die schon lange gegärt haben. Aber die Zerreißprobe zwischen Familie und Beruf, vor der wir stehen, ist viele Jahrzehnte älter als diese globale Katastrophe. Tatsächlich begannen Frauen den Kampf, zunächst einmal überhaupt arbeiten zu dürfen und dann Familie und Beruf miteinander vereinbaren zu können, vor mehr als 100 Jahren.

Im 20. Jahrhundert war Diskriminierung ein großes Karrierehindernis für Frauen. Historische Dokumente aus den 1930ern bis zu den 1950ern beweisen allzu deutlich, wie stark Frauen bei Anstellung und Verdienst benachteiligt und diskriminiert wurden. In den späten 1930ern gaben Firmenchefs in Umfragen an: »Lohnarbeit ist für Mädchen nicht geeignet«, »Wer in diesen Jobs (Autohandel) arbeitet, hat Kontakt mit der Öffentlichkeit … Frauen wären da nicht akzeptabel«, und »Ich würde keine Frau als Maklerin beschäftigen«.2 Das war am Ende der Weltwirtschaftskrise. Doch auch in den 1950er-Jahren, als die Arbeitsmarktlage angespannt war, erklärten Unternehmenssprecher grundsätzlich: »Mütter mit kleinen Kindern werden nicht eingestellt«, »Verheiratete Frauen mit … Kleinkindern werden nicht ermutigt, zur Arbeit zurückzukehren«, und »Eine Schwangerschaft ist ein Grund für eine freiwillige Kündigung, [auch wenn] die Frauen gerne wieder ins Unternehmen zurückkehren können, wenn die Kinder, sagen wir, die Mittelstufe erreicht haben«.3

Die Beschäftigung verheirateter Frauen war bis in die 1940er-Jahre durch allerlei Gesetze und Unternehmensgrundsätze eingeschränkt. Danach wurden Schwangerschaften zum Einstellungshindernis oder gar zum Kündigungsgrund, und Unternehmen schlossen die Einstellung von Frauen mit kleinen Kindern aus. Bei manchen Institutionen aus dem akademischen Bereich war Vetternwirtschaft bei der Arbeitsplatzvergabe verboten. Der Zugang zu zahllosen Jobs war nach Geschlecht, Familienstand und natürlich Hautfarbe beschränkt.

Heute geschieht das nicht mehr ganz so offensichtlich. Aktuelle Daten zeigen, dass echte Diskriminierung bei Bezahlung und Einstellung immer noch eine Rolle spielt, aber relativ gering ist. Das bedeutet nicht, dass Frauen nicht mehr mit Benachteiligung oder Diskriminierung konfrontiert sind oder es keine sexuellen Belästigungen und Übergriffe am Arbeitsplatz mehr gibt. Die landesweite #MeToo-Bewegung gab es nicht ohne Grund. In den späten 1990ern reichte Lilly Ledbetter Klage wegen sexueller Belästigung gegen Goodyear Tire ein, und die Klage wurde zugelassen. Das war ein echter Sieg für sie, aber sie zog die Anzeige zurück, als sie ihre alte Stelle als Abteilungsleiterin zurückbekam. Jahre später führte sie ihren inzwischen berühmten Prozess wegen ungerechter Bezahlung. Ledbetter bekam schlechte Leistungsbeurteilungen und so gut wie keine Gehaltserhöhungen, weil die Männer, deren Vorgesetzte sie war, sie ebenso diskriminierten wie die Männer, die letztendlich das Sagen hatten, aber den Sexismus ihrer Untergebenen ignorierten. In Ledbetters Fall war der Unterschied zwischen ihrem Gehalt und dem ihrer Kollegen zu 100 Prozent auf Diskriminierung zurückzuführen.

Also warum gibt es dann immer noch Unterschiede bei der Bezahlung, wenn Geschlechtergerechtigkeit bei der Arbeit doch nun endlich in greifbare Nähe gerückt zu sein scheint, und in einer Zeit, in der Frauen mehr Berufe offenstehen als je zuvor? Bekommen Frauen tatsächlich weniger Geld für die gleiche Arbeit? Im Großen und Ganzen sind die Unterschiede nicht mehr sehr groß. Tatsächlich macht eine geringere Bezahlung für die gleiche Arbeit nur einen kleinen Teil der Einkommenslücke insgesamt aus. Heute ist das Problem ein anderes.

Manche führen das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern auf Geschlechterklischees bei der Berufswahl zurück – die Vorstellung, dass Frauen und Männer selbst Berufe wählen oder in Berufe gedrängt werden, die für ihr Geschlecht typisch sind (etwa bei Krankenpflegerin vs. Arzt, Lehrerin vs. Hochschuldozent), und dass diese Berufe unterschiedlich vergütet werden. Doch die vorliegenden Daten ergeben ein anderes Bild. Bei fast 500 Berufen, die der US Census aufführt, basieren zwei Drittel der geschlechtsbasierten Unterschiede beim Einkommen auf Faktoren innerhalb der jeweiligen Berufe.4 Selbst wenn Frauen bei ihrer Berufswahl der männlichen Verteilung folgen würden – wenn Frauen Ärztinnen und Männer Krankenpfleger wären –, würde das nur ein Drittel des Einkommensunterschieds zwischen Männern und Frauen beseitigen.5 Es ist damit empirisch nachgewiesen, dass der Löwenanteil des Gender-Pay-Gaps andere Gründe haben muss.

Langzeitdaten – die im Verlauf eines Lebens über das Einkommen eines Menschen gesammelt werden – lassen erkennen, dass direkt nach dem College (oder dem Aufbaustudium) die Gehälter von Männern und Frauen auffallend gleich sind. In den ersten Berufsjahren fällt der Gender-Pay-Gap für Collegeabsolventen und frisch gebackene MBAs zum Beispiel gering aus und lässt sich zum Großteil durch unterschiedliche Studienfach- und Berufswahl zwischen Männern und Frauen erklären.6 Zu Beginn ihrer Karriere stehen Männer und Frauen also fast gleichberechtigt da. Sie haben sehr ähnliche Möglichkeiten, treffen aber unterschiedliche Entscheidungen, durch die anfänglich ein leichtes Einkommensgefälle entsteht.

Erst später im Leben, etwa zehn Jahre nach dem Collegeabschluss, treten große Differenzen bei der Bezahlung von Männern und Frauen auf. Sie arbeiten in verschiedenen Marktbereichen für verschiedene Firmen. Meist beginnen diese Veränderungen ein oder zwei Jahre nach der Geburt eines Kindes, und sie wirken sich fast immer negativ auf die Karriere der Frauen aus. Aber auch unmittelbar nach der Hochzeit beginnt sich das Einkommensgefälle zu vergrößern.

Durch den Eintritt der Frauen ins Berufsleben veränderte sich die Beziehung zwischen Familie und Wirtschaft in den Vereinigten Staaten grundlegend. Der Gender-Earnings-Gap ist nur Symptom eines weit größeren Problems, und wir werden seine Ursache erst ergründen können, wenn wir seine Entwicklung verstehen. Die Einkommenslücke zwischen den Geschlechtern ist das Resultat einer Karrierelücke, die wiederum Grundlage für die Ungleichheit in Paarbeziehungen ist. Um wirklich zu verstehen, was das bedeutet, muss man die Rolle der Frau in der US-amerikanischen Wirtschaft betrachten und überlegen, wie sie sich im letzten Jahrhundert verändert hat.

In diesem Buch werden wir uns überwiegend auf Frauen mit Collegeabschluss konzentrieren, weil sie die größten Chancen auf eine Karriere haben und ihre Anzahl seit einiger Zeit immer weiter zunimmt. Im Jahr 2020 hatten fast 45 Prozent der 25-jährigen Frauen einen Abschluss von einem vierjährigen College oder standen kurz davor.7 Bei Männern waren es nur 36 Prozent. Natürlich gab es nicht schon immer mehr Absolventinnen als Absolventen. Lange Zeit und aus vielerlei Gründen standen Frauen vor enormen Hürden, wenn sie ein College besuchen oder gar einen Abschluss machen wollten. Im Jahr 1960 machten für jede Frau 1,6 Männer einen Abschluss an einem vierjährigen College oder einer Universität. Doch ab Ende der 1960er- und frühen 1970er-Jahre änderte sich das. Im Jahr 1980 war der Vorsprung der Männer dahin. Seither haben jedes Jahr mehr Frauen als Männer eine vierjährige Hochschulausbildung abgeschlossen.8

Und nicht nur die Abschlüsse von Frauen an Colleges und Universitäten erreichen Rekordzahlen – die Frauen stecken sich immer höhere Ziele. Heute streben mehr Absolventinnen als je zuvor ein Aufbaustudium und danach ehrgeizige Karrieren an. Kurz vor der Weltfinanzkrise erwarben 23 Prozent der Collegeabsolventinnen einen der höchsten akademischen Grade, Master- oder Doktortitel. Das ist mehr als das Vierfache im Vergleich mit 40 Jahren zuvor. Bei Männern blieb der Anteil im selben Zeitraum konstant um 30 Prozent. Frauen planten zunehmend langfristige, lukrative und erfüllende Karrieren – anhaltenden Erfolg, der die individuelle Identität prägt.

Immer mehr von diesen Frauen haben auch Kinder – mehr als seit dem Ende des Babybooms. Fast 80 Prozent der Collegeabsolventinnen, die heute Mitte bis Ende 40 sind, haben ein Kind zur Welt gebracht (weitere 1,5 Prozent haben Kinder adoptiert, ohne selbst eines geboren zu haben). Vor 15 Jahren hatten nur 73 Prozent aller Collegeabsolventinnen Mitte 40 mindestens ein Kind bekommen. Die Geburtenrate ist bei Collegeabsolventinnen, die in den frühen 1970ern geboren wurden, also wesentlich höher als bei jenen, die Mitte der 1950er-Jahre geboren wurden.9 Heute gibt es mehr Frauen als je zuvor – wie Keisha Lance Bottoms, Liz Cheney, Tammy Duckworth, Samantha Power und Lori Trahan –, die alle eine erfolgreiche Karriere und Kinder haben und derzeit etwa 50 Jahre alt sind.

Collegeabsolventinnen nehmen nicht mehr fraglos hin, dass sie nur eine Karriere haben können, wenn sie auf eine eigene Familie verzichten. Jene mit Kindern sind nicht mehr zufrieden damit, eine Familie zu haben, aber keine Karriere. Im Großen und Ganzen wollen Collegeabsolventinnen in beiden Bereichen erfolgreich sein. Doch dafür müssen sie jede Menge Zeitkonflikte lösen und viele schwierige Entscheidungen treffen.

Die Zeit macht keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Wir alle haben gleich viel Zeit zur Verfügung und müssen entscheiden, wofür wir sie verwenden. Das zentrale Problem für Frauen, die eine erfolgreiche Karriere und ein erfüllendes Familienleben miteinander vereinbaren wollen, sind Zeitkonflikte. In den Aufbau einer Karriere muss man vor allem zu Anfang erheblich Zeit investieren, genau in den Jahren, in denen man Kinder haben »sollte«. Auch für die Familie braucht man eine erhebliche Menge Zeit. Diese Entscheidungen haben heftige Konsequenzen, und schlechte Entscheidungen lassen sich nur schwer wiedergutmachen. Vor 50 Jahren gab eine Unternehmensleiterin und dreifache Mutter jüngeren Frauen bezüglich Karriere den Rat: »Es ist schwierig – aber machen Sie es.«10

Wir treffen ständig Entscheidungen, ob wir Party machen oder lieber lernen, ob wir anspruchsvolle Kurse belegen oder einfache. Manche Entscheidungen sind folgenreicher als andere. Ob man jung heiratet oder erst später. Ob man ein Aufbaustudium macht oder gleich einen Job sucht. Ob man jetzt ein Kind bekommt oder das Risiko eingeht, dass man es später nicht mehr kann. Ob man Zeit mit einem Kunden verbringt oder mit dem Kind. Diese großen, folgenreichen Entscheidungen, wie man als Collegeabsolventin seine Zeit einteilt, fangen nach dem Bachelorabschluss an.

Bis vor Kurzem heirateten Collegeabsolventinnen überraschend jung. Bis circa 1970 lag das mediane Alter bei der ersten Hochzeit für Collegeabsolventinnen bei etwa 23 Jahren.11 Das erste Kind wurde wenig später geboren. Wenn eine Frau jung heiratet, kann sie meist kein Aufbaustudium beginnen, zumindest nicht sofort. Junge Ehepaare wechseln den Wohnort häufiger wegen der Karriere und Ausbildung des Mannes als der Frau. Frauen räumten ihren eigenen Karriereaussichten nicht immer Priorität ein. Stattdessen opferten sie ihre Karriere häufig zugunsten der Familie.

Frauen, die von den 1940ern bis in die späten 1960er das College abschlossen, heirateten früh, weil es riskant war, die Heirat hinauszuschieben. Eine feste Beziehung einzugehen und – letztendlich – sich zu verloben, kurz nachdem man eine ernsthafte (und sexuelle) Beziehung eingegangen war, galt als wichtige Absicherung gegen eine voreheliche Schwangerschaft. In einer Welt, in der Frauen keine effektive Empfängnisverhütung zur Verfügung stand, waren die Wahlmöglichkeiten eingeschränkt.

Im Jahr 1961 war die Pille erfunden und als Arzneimittel in den USA zugelassen worden, und viele Frauen hatten sie sich beschafft. Aber Gesetze und gesellschaftliche Konventionen verhinderten, dass die Pille an junge, unverheiratete Frauen ausgegeben wurde. Diese Beschränkungen wurden erst um 1970 aus verschiedenen Gründen gelockert, die meist nichts mit Verhütung zu tun hatten. Die Pille eröffnete Collegeabsolventinnen neue Möglichkeiten für die Lebensplanung und räumte die erste Hürde aus dem Weg. Frauen konnten nun zeitaufwendige – und tatsächlich in allen Bereichen aufwendige – Aufbaustudiengänge und Ausbildungen beginnen. Ehe und Kinder konnten aufgeschoben werden, bis die Frau die Grundlagen für eine nachhaltige Karriere gelegt hatte.

Ab diesem Zeitpunkt veränderte sich die Situation radikal. Nach 1970 stieg das Heiratsalter mit jedem Jahr weiter an, und heute heiraten Collegeabsolventinnen zum ersten Mal im Durchschnitt mit 28 Jahren.12

Nachdem das Problem der zeitlichen Beschränkung gelöst war, tauchten allerdings neue Probleme auf. Collegeabsolventinnen begannen später mit Aufbaustudiengängen, die auch noch länger dauerten. In einigen akademischen Fachbereichen, in Medizin, Jura und BWL wurde immer später promoviert. Die zusätzlichen Jahre summierten sich auf, bis ein neuer Zeitkonflikt bewältigt werden musste.

Vor etwa zehn Jahren promovierte man mit Anfang bis Mitte 30. Inzwischen sind die meisten Doktoranden Mitte bis Ende 30. Bei dieser Planung bleibt nicht mehr genug Zeit, um das erste Kind nach der ersten Beförderung, Festanstellung oder sonstigen beruflichen Fortschritten zu bekommen. Das erste Kind kommt nicht selten schon vor diesen Meilensteinen in der Karriere. Kinder bringen eine Karriere oft durcheinander. Und auch umgekehrt bringt eine Karriere oft die Familienplanung von Frauen durcheinander.

Das Timing ist brutal. Wenn eine Frau bis Mitte 30 mit dem Kinderkriegen wartet, sinken die Chancen, dass es überhaupt noch klappt. Doch Collegeabsolventinnen haben Mittel und Wege gefunden, ihre Chancen zu erhöhen, auch mithilfe der Reproduktionsmedizin. Der Anteil der Mütter unter den heute 45-Jährigen hat sich überraschend erhöht.13 Doch die höhere Geburtenrate ändert nichts an den Frustrationen, der Trauer und den körperlichen Schmerzen, die jene erlitten, die es nicht geschafft haben. Wer erfolgreich Mutter geworden ist, konnte die Karriere nicht in jedem Fall fortsetzen.

Trotz all dieser Schwierigkeiten hat sich historisch betrachtet viel positiv verändert, die Selbstwirksamkeit der Frauen hat zugenommen und auch die Gleichberechtigung der Geschlechter. Frauen haben mehr Kontrolle über ihre Fortpflanzung. Ehen werden später eingegangen und halten in der Folge länger. Frauen machen heute den Löwenanteil der Collegeabsolventen aus. Viele von ihnen schließen Berufsausbildungen und Studiengänge als Jahrgangsbeste ab. Die besten Firmen, Organisationen und Ämter stellen sie ein. Und was geschieht dann?

Wenn die Karriere einer Frau erfolgreich verläuft und sie Kinder bekommt, ergibt sich der größte aller Zeitkonflikte: Kinder brauchen Zeit. Eine Karriere braucht Zeit. Nicht einmal die Wohlhabendsten können alle Care-Aufgaben Angestellten übertragen. Und warum sollte man überhaupt Kinder in die Welt setzen, wenn man sie dann nicht lieben und aufziehen kann?

Der wichtigste Verhandlungspunkt ist, wer auf Abruf bereitsteht – wer also das Büro verlassen und in kurzer Zeit zu Hause sein kann. Das können beide Eltern übernehmen. Wenn in einer Partnerschaft volle Gleichberechtigung herrscht, übernehmen beide 50 Prozent der Care-Arbeit. Aber wie viel würde das die Familie kosten? Eine Menge Geld – das wird Paaren heute bewusster denn je.

Der Wunsch nach Karriere und Familie hat zugenommen, und gleichzeitig wurde ein wichtiger Aspekt der meisten Karrieren manifest, sichtbar und zentral. Viele Menschen, die Karriere machen wollen, erleben die Arbeit als gierig. Wer viele Überstunden macht, an Wochenenden oder abends zusätzlich arbeitet, verdient mehr – so viel mehr, dass es sich sogar auf den Stundenverdienst auswirkt.

Greedy Work – Gierige Arbeit

Die Gier der Arbeit führt dazu, dass es für Paare mit Kindern und anderer Care-Verantwortung vorteilhaft ist, wenn sie sich spezialisieren. Das bedeutet nicht, dass man die heile Welt der 1950er-Jahre wieder aufleben lässt. Frauen verfolgen noch immer anspruchsvolle Karrieren. Aber eine Hälfte des Paars steht auf Abruf bereit und kann im Notfall das Büro oder den Arbeitsplatz schnell verlassen. Diese Person braucht bei der Arbeit erhebliche Flexibilität, und man wird in aller Regel nicht von ihr erwarten, dass sie um 22 Uhr noch auf E-Mails oder Anrufe reagiert. Dieser Elternteil wird kein Fußballtraining wegen einer dringenden geschäftlichen Besprechung absagen. Der andere Elternteil wird hingegen immer für die Arbeit auf Abruf bereitstehen – mit offensichtlichen potenziellen Auswirkungen auf Beförderungen, Aufstiegschancen und Verdienst.

Die Arbeit von Freiberuflern und Managern war schon immer gierig. Rechtsanwälte haben schon immer bis spät in die Nacht gearbeitet. Akademiker wurden schon immer nach ihrer geistigen Leistung beurteilt und sollten ihre Gehirne auch abends nicht ausschalten. Früher waren die meisten Ärzte und Tierärzte rund um die Uhr erreichbar.

Der Wert gieriger Jobs hat sich stark erhöht, während die Einkommen ungleicher wurden, und diese Ungleichheit ist seit den frühen 1980er-Jahren sprunghaft angestiegen. Die Einkommen am oberen Ende der Verteilungsskala sind explodiert. Wer es am weitesten die Karriereleiter hinauf schafft, bekommt eine immer größere Belohnung. Die Bezahlung für Jobs, die lange Arbeitszeiten und wenig Flexibilität verlangen, ist überproportional angestiegen, während die Verdienste in anderen Bereichen stagniert haben. Positionen, die für Frauen schwieriger zu erreichen waren, etwa im Finanzwesen, sind genau die, bei denen das Einkommen in den letzten Jahrzehnten besonders stark gestiegen ist. Der Private Equity Associate, der ein Beteiligungsgeschäft von Anfang bis Ende abwickelt, die komplexen Modellrechnungen durchführt und zu jedem Meeting und jedem späten Abendessen geht, hat die größten Chancen auf einen großen Bonus und die ersehnte Beförderung.

Die zunehmenden Einkommensunterschiede könnten ein wichtiger Grund sein, warum sich der Gender-Pay-Gap bei Menschen mit Collegeabschluss in den letzten Jahrzehnten nicht verändert hat, obwohl es Verbesserungen bei Qualifikation und Positionen von Frauen gab. Sie könnten der Grund sein, warum die Einkommenslücke zwischen den Geschlechtern bei Collegeabsolventen in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren größer wurde als die in der Gesamtbevölkerung. Frauen haben sich Fortschritte erkämpft, aber der starke Trend der endemischen Einkommensungleichheit arbeitete gegen sie.

Gierige Arbeit bedeutet auch, dass die Gleichberechtigung bei Paaren, die Couple Equity, oft über Bord geworfen wird, um das Familieneinkommen zu erhöhen. Das geht meist auf Kosten der Geschlechtergerechtigkeit, außer bei gleichgeschlechtlichen Paaren. Gendernormen, die wir geerbt haben, werden in vielerlei Hinsicht bestärkt, damit die Mütter überwiegend die Kinderbetreuung übernehmen – und andere Care-Verantwortung in der Familie die erwachsenen Töchter.

Nehmen wir als Beispiel das Ehepaar Isabel und Lucas (die einem Paar nachempfunden sind, das ich vor einigen Jahren kennengelernt habe). Beide haben am selben College einen Abschluss in Geisteswissenschaften gemacht und später das identische Aufbaustudium in Informatik abgeschlossen. Danach wurden sie vom selben Unternehmen eingestellt, das wir InfoServices nennen werden.

InfoServices stellte beide vor die Wahl zwischen zwei Positionen: Beim ersten Job gibt es geregelte Arbeitszeiten mit der Option auf Gleitzeit. Beim zweiten muss man auch kurzfristig abends und am Wochenende auf Abruf bereitstehen, selbst wenn die Jahresarbeitszeit nicht unbedingt sehr viel höher ist. Die zweite Stelle ist als Ausgleich für die unsicheren Arbeitszeiten um 20 Prozent besser bezahlt. Aus dieser Position wählt InfoServices auch die späteren Manager aus. Das ist die »gierige« Position, und zunächst entscheiden sich Isabel und Lucas beide dafür. Sie haben beide die gleichen Fähigkeiten und keine externen Verpflichtungen, und so arbeiten sie ein paar Jahre lang auf demselben Gehaltsniveau.

Mit Ende 20 stellt Isabel fest, dass sie mehr Raum und Flexibilität in ihrem Leben braucht, um mehr Zeit mit ihrer kränklichen Mutter verbringen zu können. Sie bleibt bei InfoServices, wechselt jetzt aber auf die Stelle, bei der sie zwar die gleiche Anzahl Stunden arbeitet, die Einteilung der Arbeitszeit jedoch flexibler ist. Die Stelle hat weniger gierige Anforderungen, bietet aber auch weniger Geld.

Die Einkommensentwicklung der beiden ist in Abbildung 1.1 dargestellt. Der Weg, auf dem sie beide gestartet waren und auf dem Lucas auch blieb – der gierige, unflexible –, ist durch die durchgezogene Linie dargestellt. Der Stundenverdienst (implizit, wenn die Person ein Gehalt bezieht, explizit, wenn sie auf Stundenbasis entlohnt wird) steigt mit der Anzahl der Arbeitsstunden oder einer besonderen Anforderung an die geleisteten Stunden. Wenn er 60 Stunden die Woche arbeitet, verdient er mehr als das Anderthalbfache von dem, was er bei 40 Stunden bekommen würde. Lucas’ impliziter Stundenverdienst erhöht sich, wenn er mehr Stunden arbeitet (oder je unflexibler die Arbeitszeiten sind), sodass er sein Wocheneinkommen verdoppeln könnte, ohne die doppelte Stundenzahl arbeiten zu müssen.

Isabels neue Stelle, mit flexibler Arbeitszeit, ist durch die gestrichelte Linie dargestellt. Ihr Stundenverdienst ist konstant, daher ist es egal, wie viele Stunden sie arbeitet oder in welcher Zeit, sie verdient immer dasselbe. Wenn sie 60 Stunden arbeitet, verdient sie das Anderthalbfache dessen, was sie bei 40 Stunden bekäme. In einer normalen Arbeitswoche erreicht Lucas, in seiner gierigen Stelle, den Punkt, der durch die Raute markiert ist. Isabel schafft es mit ihrem neuen Job in einer normalen Arbeitswoche bis zum Punkt.

Als das Paar beschließt, ein Kind zu bekommen, muss mindestens ein Elternteil auf Abruf bereitstehen. Dazu können sie nicht beide in Lucas’ Position arbeiten, wegen der unflexiblen und nicht planbaren Arbeitszeiten. Wenn sie es täten, wäre keiner von ihnen verfügbar, falls das Kind überraschend von der Schule abgeholt werden muss oder die Kinderbetreuung plötzlich mitten am Tag schließt. Wenn die Position verlangt, dass man donnerstags pünktlich um elf Uhr vormittags im Büro zu sein hat, könnten sie sonst nur hoffen, dass ihr Kind nicht um diese Zeit von der Schaukel fällt oder ein älteres Familienmitglied einen Arzttermin hat.

Abb. 1.1: Geschlechterungleichheit und Couple Inequity.

Anmerkungen: Isabel und Lucas werden zwei Stellen angeboten. Eine ist flexibel, und Mitarbeitende verdienen denselben Stundenlohn, unabhängig von der Wochenarbeitszeit. Die andere Stelle ist weniger flexibel (oder »gieriger«), und je mehr Stunden man arbeitet, umso höher wird der Stundenverdienst. Die x-Achse zeigt die Wochenarbeitszeit an (oder dass eine bestimmte Stundenanzahl in der Woche gearbeitet werden muss). Die y-Achse zeigt den Gesamtverdienst pro Woche an. H* steht für eine übliche Anzahl an Wochenstunden, etwa 40 oder 45. Der Unterschied zwischen Raute (gierige Stelle) und Punkt (flexible Stelle) verdeutlicht, auf wie viel Geld ein Mitarbeiter verzichtet, der sich gegen die gierige Stelle entscheidet.

Beide hätten Isabels Stelle haben können. Aber sie konnten sich diese Entscheidung nicht leisten, vor allem, weil sie eine Familie planten. Sie hätten sonst auf das zusätzliche Wocheneinkommen verzichtet, das Lucas verdiente. Sie mussten den Wunsch nach paritätischer Kinderbetreuung gegen den Einkommensverlust abwägen, den das bedeutet hätte. Der Verdienstunterschied könnte bedeutend sein – groß genug, dass sie die Couple Equity für ein höheres Familieneinkommen aufgegeben hätten.

Wie bei den meisten heterosexuellen Paaren, die ein Kind erwarten, behielt Isabel die flexible Stelle und Lucas die gierigere. (Das trifft auch zu, wenn man die ersten Monate nach der Geburt und die frühe Kindheit ausnimmt.)

Lucas verdiente weiterhin mehr als Isabel, und der Einkommensunterschied wurde noch größer, als sie Kinder hatten. Er wurde befördert, sie nicht. Bei anderen Paaren in ähnlichen Situationen könnte sich der Verdienstunterschied sogar schon vergrößern, bevor sie Kinder bekommen, weil Paare, die eine Familie gründen wollen, oft den Wohnort wechseln, um die Arbeitsmöglichkeiten zu optimieren, vor allem die des Mannes. Auch aus diesem Grund ist der Gender-Pay-Gap immer noch erheblich.

Bei gleichgeschlechtlichen Paaren gibt es keine Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern, aber wahrscheinlich werden auch diese Paare die Couple Equity aus denselben Gründen aufgeben, die auch zu Isabels und Lucas’ Entscheidung geführt haben. In einer Welt der gierigen Jobs ist Couple Equity eine teure Angelegenheit.

Wenn Frauen nicht für familiäre Angelegenheiten auf Abruf bereitstünden, könnten sie Jobs mit hoher Bezahlung annehmen, die lange Arbeitszeiten, schlecht planbare Arbeitszeiten, Abrufbereitschaft auch abends und gelegentlich Wochenendarbeit verlangen – und tatsächlich haben viele Frauen solche Jobs. Für Frauen direkt nach dem Collegeabschluss und mit weniger Haushaltspflichten sind lange und anstrengende Arbeitszeiten durchaus eine Möglichkeit. Aber sobald das erste Kind da ist, verschieben sich die Prioritäten. Sich um kleine Kinder zu kümmern kostet Zeit, und plötzlich müssen Frauen für häusliche Probleme auf Abruf bereitstehen. Um verfügbarer für ihre Familien zu sein, müssen sie weniger verfügbar für Arbeitgeber und Kunden sein. Meist kürzen sie dafür ihre Arbeitszeiten oder nehmen Jobs in Bereichen an, die mehr Flexibilität bieten – und weniger Einkommen. Wenn die Kinder älter und unabhängiger werden, nehmen die Verpflichtungen ab, und in diesen Zeiten steigen die Einkommen der Frauen entsprechend dem der Männer. Aber später im Leben kommen andere Aufgaben in der Familie hinzu, welche die nun geringeren Ansprüche der Kinder ersetzen.

Die Geschichte von Isabel und Lucas ist nicht ungewöhnlich. Wenn Collegeabsolventinnen Lebenspartner finden und eine Familie gründen wollen, müssen sie sich de facto zwischen einer Ehe von Gleichgestellten und einer Ehe mit mehr Geld entscheiden.

Eine Ehe von Gleichgestellten

Vor einiger Zeit fragte ich die Studierenden in einem Proseminar, was sie von einer Ehe erwarteten. Eine Studentin antwortete spontan: »Ich will einen Mann, der will, was ich will.« Ihre Antwort verstand ich als deutlichen Ausdruck des Wunsches nach Gleichstellung. Seither haben viele Studierende, Freunde und Freundinnen ähnlich geantwortet, aber es nie so deutlich auf den Punkt gebracht. Allerdings besteht weiterhin das Dilemma, dass man bei einer solchen Verbindung, so sie denn zustande kommt, entweder einen hohen Preis bei der Gleichstellung in der Familie bezahlt, wenn beide anspruchsvolle Karrieren verfolgen, oder beim Einkommen der Familie Einbußen hat, wenn beide weniger anstrengende Karrieren haben. Um das Familieneinkommen zu maximieren, steckt ein Partner seine oder ihre ganze Energie in den zeitaufwendigen Job im Büro, während der oder die andere bei der Karriere zurücksteckt, um den zeitaufwendigen Job zu Hause zu erledigen. Unabhängig vom Geschlecht wird der oder die Letztere weniger verdienen.

Das Geschlecht ist ein nicht zu ignorierender Faktor, weil die Person, die die Karriere opfert und zu Hause bleibt – in der Vergangenheit und auch heute noch –, meist eine Frau ist. Frauen sind nicht faul oder weniger talentiert, und sie beginnen ihre Karriere auf Augenhöhe mit den Männern. Doch aufgrund tief verwurzelter Geschlechternormen, mit denen wir uns noch näher beschäftigen werden, haben auch ehrgeizige, talentierte Frauen das Gefühl, sie müssten ihre Karriere zum Wohl der Familie zurückstellen. Männer können eine Familie haben und Karriere machen, weil Frauen zurückstecken, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Beide verlieren dabei: Männer verzichten auf Zeit mit der Familie, Frauen auf ihre Karriere.

Für heutige Leser ist die Vorstellung, dass Frauen eine Karriere haben, die sie zurückstellen oder vorantreiben können, so normal, dass man es eigentlich nicht erwähnen müsste. Frauen gehen zur Schule wie Männer, besuchen Hochschulen und ergreifen profitable Berufe wie Männer. Aber das ist noch nicht sehr lange so. Im Jahr 1900 gab es unter den Erwerbstätigen nur wenige Collegeabsolventinnen mit kleinen Kindern, und so etwas wie eine Karriere hatten sie schon gar nicht. Die erwerbstätigen Frauen hatten in aller Regel keine Kinder und heirateten häufig auch nicht. Mehr als 100 Jahre später arbeiten Frauen nicht nur, sie haben bedeutende Karrieren, und viele schaffen es auch, oder planen zumindest, sie in einer gleichberechtigten Ehe mit einer Familie zu verbinden. Das gab es in der gesamten Menschheitsgeschichte noch nie.

Wenn sich die wirtschaftliche Rolle von mehr als der Hälfte der Bevölkerung verändert, dann markiert das eine historische Verschiebung – mit immensen Auswirkungen. Die Leben von Collegeabsolventinnen haben eine besonders starke Entwicklung erlebt, aber die Effekte dieser grundsätzlichen Veränderungen waren in der gesamten US-amerikanischen Gesellschaft spürbar, betrafen die gesamte soziale Organisation von Arbeit, Schule und Familien. Als die Frauen vom Heim an den Arbeitsplatz wechselten, tauschten sie nicht nur unbezahlte gegen bezahlte Arbeit ein. Anders als bei den bisherigen häuslichen Aufgaben verlangte die neue Arbeit eine umfangreiche Ausbildung, die die Identität der Frauen prägte und oft ein Leben lang andauerte.

Jede Frauengeneration im 20. Jahrhundert unternahm einen weiteren Schritt auf dieser Reise, während zahlreiche Fortschritte zu Hause, in Firmen und Schulen sowie bei der Empfängnisverhütung den Weg dafür ebneten. Jede Generation hat ihre Horizonte erweitert, aus den Erfolgen und Fehlschlägen der vorherigen Generation gelernt und Lektionen für die nächste Welle der Frauen hinterlassen. Jede Generation hat den Staffelstab an die nachfolgende weitergegeben. Diese Reise hat uns vom Zwang, sich zwischen Familie oder Beruf entscheiden zu müssen, zur Möglichkeit geführt, eine Karriere und eine Familie zu haben. Sie hat uns auch zu gerechterer Bezahlung und mehr Gleichberechtigung in der Paarbeziehung geführt. Diese komplizierte und facettenreiche Entwicklung ist immer noch in vollem Gange.

Diese Veränderung im Lauf der Jahrzehnte war überwiegend positiv, aber warum gibt es dann immer noch riesige Unterschiede bei Einkommen, Beschäftigung und Positionen zwischen Männern und Frauen? Und warum sind die familiären Verpflichtungen immer noch so extrem ungleich verteilt?

Moderne junge Frauen machen sich Sorgen, vor allem in der aktuellen Corona-Krise – und das zu Recht. Trotz des langen Weges, den ihre Urgroßmütter, Großmütter und Mütter zurückgelegt haben (von denen die meisten sich ebenfalls Sorgen machten), können sie immer noch in das Dilemma geraten, sich zwischen Karriere und Familie entscheiden zu müssen. Durch technologische Fortschritte, bessere Ausbildungsmöglichkeiten und berufliche Chancen wurden viele Beschränkungen und Diskriminierungen auf dem Weg zum Erfolg für Frauen ausgeräumt. In den vergangenen 100 Jahren wurden die Unterschiede zwischen den Geschlechtern schichtweise abgetragen, Hürden, die verhinderten, dass Frauen beschäftigt wurden, sind gefallen, und viele Zeitprobleme wurden beseitigt. Die dunklen Wolken sind aufgebrochen. Und bei zunehmendem Licht wurden die Gründe für die letzten Unterschiede deutlich.

Wir haben den Punkt erreicht, an dem wir überlegen können, wie sich das System so verändern lässt, dass eine größere Gleichberechtigung und mehr Couple Equity erreicht werden. Wie können wir das Diagramm mit Lucas’ gierigem Job und Isabels flexiblem Job so abändern, dass sich beides verwirklichen lässt? Die Antwort: Wir müssen die Struktur der Arbeit verändern.

Wir müssen flexible Positionen verfügbarer und produktiver machen. Ob und wie das möglich ist, wird sich auf dieser Reise zeigen. Sie wird offenbaren, dass mehr Unterstützung gebraucht wird, damit Eltern und andere Menschen mit Care-Aufgaben produktivere Mitglieder der Wirtschaft werden können. Sie wird die Beziehung zwischen wirtschaftlicher Produktivität und der Betreuung von Klein- und Schulkindern aufzeigen – das Thema, das uns so plötzlich vor Augen geführt und überraschend relevant für uns wurde.

In dem Moment, als wir klar erkennen konnten, warum es so schwierig für Frauen ist, Familie und Karriere zu verwirklichen – und dadurch eine Lösung ins Auge fassen konnten –, wurden wir von einer Pandemie globalen Ausmaßes überrollt, einem Tsunami. Wir erlebten eine Zeitenwende von »vor Corona« zu »während Corona«; wir wechselten von einer »alten Normalität« in Lebensumstände, die Familien auf den Kopf stellte, Millionen Menschen erkranken ließ, Hunderttausende in den USA tötete und mehrere Jahre Wirtschaftswachstum in den Ländern der Welt auslöschte. Wahrscheinlich hat die Pandemie auch viele junge Mütter von der wackeligen Karriereleiter geschubst, während sie versuchten, kurze Schriftsätze, akademische Aufsätze und Consultingberichte zu verfassen, sich um Kunden und Patienten zu kümmern und gleichzeitig ihren Kindern Addition und Subtraktion beizubringen.

Wir steuern jetzt, während ich dies schreibe, auf eine Zwischenzeit zu – eine Welt, die sich zum Teil schon »nach Corona« befindet, weil viele Schulen und Geschäfte wieder geöffnet haben, in der aber immer noch Einschränkungen und Reste der Coronazeit überdauert haben. Dieser erneute Ärawechsel hat eine weitere Schwäche der US-amerikanischen Gesellschaft und Wirtschaft aufgedeckt: Care-Arbeit, die so entscheidend für die Karriereziele von Frauen und die Couple Equity ist, hat auch großen Einfluss auf die Wirtschaft insgesamt. Frauen können nicht an zwei Orten gleichzeitig unverzichtbare Arbeit leisten. Eines von beiden muss dabei zu kurz kommen.

Wir werden uns – viele Seiten weiter unten – noch einmal mit der Welt während und nach Corona beschäftigen, aber um vollständig zu begreifen, wie wir an diesen Punkt gelangt sind und wie wir diese Gelegenheit am besten nutzen können, um die gierige Arbeit zu korrigieren, müssen wir an den Anfang zurückkehren. Der Wunsch von Collegeabsolventinnen nach Karriere und Familie entwickelte sich langsam. Dieses hohe Ziel gärte, veränderte sich, trat hervor und verwandelte sich in verschiedenen wichtigen Phasen unserer Geschichte.

Am Beginn unserer Reise gab es riesige Unterschiede bei der Bildung von Frauen und Männern, und das Führen eines Haushalts war sehr viel zeit- und arbeitsaufwendiger als heute. Damals hätte sich niemand vorstellen können, was die letzten Hindernisse vor der Chancengleichheit sein würden: die Struktur der Arbeit und unserer Pflege- und Betreuungseinrichtungen.

Heute leben wir in einer Zeit noch nie da gewesener wirtschaftlicher Gleichstellung von Männern und Frauen, befinden uns aber in mancherlei Hinsicht noch immer im finsteren Mittelalter. Unsere Arbeits- und Care-Strukturen sind Relikte einer Vergangenheit, in der nur Männer Familie und Karriere hatten. Unsere gesamte Wirtschaft steckt in alten Funktionsweisen fest und wird durch eine vorsintflutliche Aufteilung der Aufgaben behindert.

Heute streben mehr Frauen als je zuvor Karriere, Familie und Couple Equity an, und mehr Paare als je zuvor jonglieren mit Zeitkonflikten. Da ist es unumgänglich, dass wir verstehen, was der wirtschaftliche Gender-Gap in Wirklichkeit über unsere Wirtschaft und Gesellschaft enthüllt – damit wir Lösungen erarbeiten können, um diese Lücke zu schließen und ein gleichberechtigtes Arbeiten und Leben für alle zu ermöglichen. Die Daten in den folgenden Kapiteln werden zeigen, welche Fortschritte in jeder Generation erzielt wurden, wie sich Gendernormen und Arbeitsplatzstrukturen über die Jahrzehnte hinweg entwickelt haben und wohin die Reise von hier aus gehen muss.

Dieses Buch erzählt die Geschichte, wie die Hoffnung auf Karriere, Familie und Gleichstellung im letzten Jahrhundert aufkeimte und wie wir sie heute verwirklichen können. Eine einfache Lösung gibt es nicht, aber wenn wir das Problem endlich erkennen und es beim Namen nennen, können wir einer besseren Marschrichtung den Weg bereiten.

2    Der Staffelstab wird weitergegeben

Jeannette Pickering Rankin wurde im Jahr 1880 im Hellgate Township, Montana Territory, geboren und machte im Jahr 1902 ihren Abschluss an der University of Montana.14 Ursprünglich hatte sie in die Sozialarbeit gehen wollen, verschrieb sich dann jedoch der Frauenwahlrechtsbewegung an beiden US-Küsten und wurde nach ihrer Rückkehr nach Montana Vorsitzende der landesweiten Bewegung. Im Jahr 1916 wurde sie als erste Frau in ein Bundesamt gewählt und zog als Abgeordnete ins US-Repräsentantenhaus ein. Sie war die einzige Frau, die über das Gesetz abstimmen konnte, für das sie unermüdlich gearbeitet hatte, und den 19. Verfassungszusatz – das Wahlrecht für Frauen – zur Ratifizierung in die einzelnen Staaten schicken konnte.

Als überzeugte Pazifistin stimmte Rankin als eine von 50 Kongressabgeordneten im Jahr 1917 gegen die Kriegserklärung an Deutschland. Sie stellte sich nicht zur Wiederwahl ins Repräsentantenhaus, sondern bewarb sich für einen Sitz im Senat, ohne Erfolg. Viele Jahre später, im Jahr 1940, gewann sie ihren Sitz im Repräsentantenhaus zurück, gerade rechtzeitig, um als einzige Gegenstimme am 8. Dezember 1941 gegen die Kriegserklärung an Japan verzeichnet zu werden. Sie weigerte sich trotz des großen Drucks, die Kriegserklärung einstimmig zu machen, mit der Begründung: »Als Frau kann ich nicht in den Krieg ziehen, und ich weigere mich, irgendjemand anderen zu schicken.«15

Sie erreichte zwar einen einzigartigen Status in der Politik, dennoch war sie typisch für eine Karrierefrau mit Collegeabschluss zu ihrer Zeit. Sie hatte keine Kinder, heiratete nie. Von den 23 Frauen ihrer Generation, die ins US-Repräsentantenhaus gewählt wurden, hatten mehr als 30 Prozent keine Kinder.16 Diese Zahl mag hoch erscheinen, ist aber immer noch niedriger als der Anteil aller Collegeabsolventinnen jener Zeit, die nie Kinder hatten (oder adoptierten).

Tammy Duckworth wurde 1968 geboren und machte ihren Abschluss an der Universität Hawaii 1989. Im Jahr 2012 wurde sie ins US-Repräsentantenhaus gewählt und 2016 zur Senatorin für Illinois. Mit 46 Jahren, im Jahr 2014, brachte sie ihr erstes Kind zur Welt, das zweite wurde 2018 geboren.17 Ihre Tochter Maile war das erste Baby in der US-Geschichte, das während einer Sitzungswoche in die heiligen Hallen des US-Kongresses eingelassen wurde. Senatorin Duckworth war in vielerlei Hinsicht eine Pionierin: Sie war eine hochdekorierte Veteranin, die erste behinderte Frau, die in den Kongress gewählt wurde, und die erste US-Amerikanerin asiatischer Herkunft, die aus Illinois gewählt wurde. Bemerkenswert ist außerdem, dass sie erfolgreich eine lohnende Karriere mit einer Familie vereinbart hat.

Damit ist sie im US-Kongress nicht die Einzige. Die aktuelle New Yorker Senatorin Kirsten Gillibrand, geboren 1966, hat zwei Kinder.18 Ihr zweites kam 2008 zur Welt, als sie noch im Repräsentantenhaus saß. Die Abgeordnete Jaime Herrera Beutler aus Washington, geboren 1978, hat seit 2013 drei Kinder bekommen. Zehn weibliche Kongressabgeordnete aus beiden Parteien haben während ihrer Amtszeit Kinder zur Welt gebracht. Außer Yvonne Brathwaite Burke, die 1973 als erste Kongressabgeordnete während ihrer Amtszeit ein Kind bekam, haben die anderen neun Kongressabgeordneten, die während ihrer Amtszeit mindestens ein Kind zur Welt gebracht haben, dies alle seit 1995 im Alter zwischen 34 und 46 Jahren getan.19 Diese Frauen haben Familie und Karriere miteinander vereinbart, wie es ihre männlichen Kollegen im Kongress schon immer tun konnten.

Rankin und Duckworth gehören zur ersten beziehungsweise letzten von fünf Altersgruppen von Collegeabsolventinnen, die seit Ende des 19. Jahrhunderts geboren wurden. Rankin gehört zu Gruppe Eins, Duckworth zu Gruppe Fünf. Die Frauen in jeder der fünf Gruppen ähneln einander mehr als Frauen in anderen Gruppen.

Die Gruppen haben ein Anfangsdatum, aber – bisher – kein Enddatum. Für dieses Buch enden die Geburtsjahrgänge für Gruppe Fünf um 1980, damit wir die Lebensläufe von Frauen betrachten können, die heute Anfang 40 sind, und uns ein umfassendes Bild von ihrer Karriere und Familiengeschichte machen können. Das hat zur Folge, dass Frauen wie die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, geboren 1989, nicht in die Daten einfließen, mit denen wir uns beschäftigen werden.

Um einen ersten Eindruck zu bekommen, welchen Weg diese Frauen zurückgelegt haben, wird hier jede Frauengruppe, von Eins bis Fünf, kurz vorgestellt.

Bei den Unterschieden zwischen den Gruppen geht es vor allem um die Ziele der Frauen, um die Entscheidungen in Bezug auf Arbeit und Familie, die sie trafen, zu denen sie ermutigt wurden und die sie treffen konnten. Jeannette Rankins Collegeabsolventinnen-Gruppe musste sich fast immer zwischen Arbeit – manchmal eine Karriere, meistens eher ein Job – und Familie entscheiden. Ein Jahrhundert später wünschen und erwarten Duckworths Altersgenossinnen beides.

In diesem ganzen Jahrhundert standen Frauen immer wieder vor Hürden in beiden Bereichen, Arbeit und Familie. Es gab Arbeitsbeschränkungen, etwa das Verbot, verheiratete Frauen als Lehrerinnen zu beschäftigen, oder Einschränkungen bei manchen Bürojobs. Frauen durften oft auch keine Abschlüsse von Hochschulen erwerben. Einige der besten Jura-, Wirtschafts- und Medizinhochschulen ließen keine Frauen zu. Firmen boten bestimmte Stellen ausschließlich Männern an, andere nur Frauen. Viele wurden nur an Weiße vergeben, sodass die Hürden für farbige Frauen noch höher waren. Die gesellschaftlichen Normen von Gemeinden und Familien gaben weniger offiziell, aber genauso wirksam vor, dass Mütter nicht arbeiten sollten, solange ihre Kinder klein waren – oder überhaupt jemals.

Diese gesetzlichen und prozeduralen Barrieren, die die Möglichkeiten von Frauen früher einschränkten, sind heute zum größten Teil gefallen. Gesellschaftliche Normen haben sich weitgehend geändert. Aber Sexismus, Männer-Seilschaften und sexuelle Belästigung gibt es noch immer. Der Weg zu Karriere und Familie war anstrengend – ein langer, gewundener Weg mit Hochs und Tiefs, Blockaden und Wegzöllen. Frauen hegten schon lange zuvor den Wunsch nach Karriere und Familie, dennoch beginnt unser Abenteuer vor etwas mehr als 100 Jahren, als erstmals verlässliche Daten aufgezeichnet wurden, insbesondere bei der US-Volkszählung.20

Keine Definition von Familie oder Karriere wird für jeden perfekt sein, und keine wird umfassend sein. Aber um besser zu verstehen, wie sich die Entscheidungen, Ziele und Chancen von Frauen im letzten Jahrhundert verändert haben, ist es notwendig, erkennbare Grenzen zu ziehen und verlässliche Definitionen zu entwickeln.

Für unsere Reise durch das Jahrhundert der Frauen wird »Familie« als die Geburt – oder Adoption – eines Kindes definiert. Ein Ehepartner ist nicht zwingend notwendig. Eine Familie ist etwas sehr Persönliches. Ich habe einen Ehemann und einen Hund, und sie sind meine Familie. Doch gemäß der Definition, die ich auf den folgenden Seiten verwende, würden sie nicht als Familie zählen.

»Karriere« ist ebenso schwer zu definieren, auch wenn sie weniger persönlich ist. Das Wort »Karriere« leitet sich von dem lateinischen Wort für »Wettrennen« her. Eine Karriere ist ein Entwicklungsweg im Leben. Sie muss eine gewisse Zeit andauern. Der Begriff »Karriere« bedeutet nicht einfach, dass man eine Arbeit hat. In der Regel gehört beruflicher Aufstieg und Beständigkeit dazu. Man lernt, wächst, investiert und wird dafür belohnt. Bei den Frauen, mit denen wir uns beschäftigen werden, ist Karriere als dauerhafte, angestrebte Arbeit – etwa als Journalistin, Lehrerin, Ärztin, Buchhalterin – definiert, die häufig die Identität prägt. Eine Karriere muss nicht unmittelbar nach dem höchsten Bildungsabschluss beginnen, sondern kann sich später im Leben entwickeln.

Im Gegensatz dazu werden Jobs in aller Regel nicht Teil der Identität oder des Lebenssinns. Sie werden oft angenommen, um Einkommen zu generieren, und bieten für gewöhnlich keine deutlichen Entwicklungsziele. Eine Vertreterin von Gruppe Zwei sagte in einem Interview in den 1970ern: »Eine Karriere erfordert die volle Aufmerksamkeit – beim Aufbau und bei der Weiterentwicklung. Ansonsten ist es keine Karriere, sondern ein Job.«21

In der Praxis ist eine Karriere die Vorstellung eines Menschen von Arbeit, bei der die Bezahlung womöglich nicht das Wichtigste ist. Ehrenamtliche Helfer und Gemeindeleiter haben die Leben von vielen Menschen positiv verändert, dabei aber wenig oder gar nichts verdient. Doch trotz der wichtigen Rolle, die Heilige und Erlöser spielen, gewinnt man die wichtigsten Erkenntnisse über den Fortschritt der Frauen, wenn die Definition von Karriere auf der Arbeit und dem Einkommen von Einzelnen in einem bestimmten Zeitraum basiert. Der Quellenanhang (Kapitel 7) »Career and Family Success« beschreibt die Definition von Karriere, die ich verwende.

Sandra Day O’Connor arbeitete an der Law Review ihres Jurajahrgangs 1952 der Stanford-Universität mit – bekam aber danach in keiner Anwaltskanzlei einen Job. Shirley Chisholm wurde als erste schwarze Frau in den US-Kongress gewählt und bewarb sich als erste Frau – und erste Person of Color – für die Nominierung zur Präsidentschaftskandidatin der Demokratischen Partei. Sie war zweimal verheiratet und hatte keine Kinder. Die Ärztin und Geburtshilfe-Anästhesistin Virginia Apgar, die das nach ihr benannte Beurteilungssystem für Neugeborene entwickelte, wurde im Jahr 1909 geboren. Sie gab ihr Ziel, Chirurgin zu werden, auf, nachdem ihr Doktorvater ihr von einer Bewerbung als Assistenzärztin in der Chirurgie abgeraten hatte, weil, wie er sagte, zu viele Frauen dabei versagt hätten. Er ermutigte Apgar stattdessen, sich auf den neuen Fachbereich der Anästhesie zu spezialisieren, die bisher eine Zusatzausbildung für Pflegekräfte gewesen war. Apgar heiratete nie und begründete das mit: »Ich habe einfach nie einen Mann gefunden, der kochen kann.«22

O’Connor, Chisholm und Apgar wurden auf verschiedene Arten ausgebremst und entmutigt, aber sie gaben nicht auf. Sie waren außergewöhnlich. Nur wenige Menschen studieren Jura und erleben, dass ihnen nach dem erfolgreichen Abschluss eine Anstellung verweigert wird. Niemand will gesagt bekommen, dass seine oder ihre Träume wegen des Geschlechts nicht Realität werden können. Die meisten Frauen streben keine anspruchsvolle Karriere an, wenn sie dafür auf Kinder, Ehe oder eine ernsthafte Beziehung verzichten müssen. Wie viel weibliches Talent dadurch ungenutzt blieb und immer noch bleibt, ist nicht bekannt und lässt sich auch nicht messen.

Nachdem Frauen beim Erreichen ihrer Ziele weniger behindert wurden, strebten Collegeabsolventinnen gleichermaßen Karriere und Familie an. Diese Angleichung der Lebensziele von Collegeabsolventen und -absolventinnen ist wichtig, weil fast alle davon profitiert haben – nicht nur die Frauen, die zunehmend befriedigende und bedeutungsvolle Leben führen. Diese Angleichung ist nicht nur für Einzelne ein Gewinn. Sie hat weitreichendere Folgen als eine größere Selbstwirksamkeit.

Wenn die Hürden abgebaut werden, die Ausbildungskosten sinken, die Akzeptanz zunimmt und Diskriminierung beseitigt wird, verbessert sich die Talentverteilung in der gesamten Wirtschaft. Laut einer aktuellen Schätzung sind 20 bis 25 Prozent des Wirtschaftswachstums seit 1960 darauf zurückzuführen, dass Beschränkungen bei Arbeitsplätzen, Aus- und Schulbildung für Frauen und Minderheiten in den Vereinigten Staaten abgebaut wurden.23 Die Frau, die in früheren Zeiten Rechtsanwaltsgehilfin geworden wäre, hat heute die Möglichkeit, selbst Anwältin zu werden. Die Frau, die früher Naturwissenschaften in der Grundschule unterrichtet hätte, kann heute selbst Physikerin werden. Einzelne Frauen haben einen persönlichen Gewinn. Aber dieser persönliche Gewinn nutzt allen Mitgliedern der Gesellschaft, weil Ressourcen besser verteilt werden und das Wirtschaftswachstum steigt.

Karriere und Familie erfolgreich zu verbinden wurde für Collegeabsolventinnen ermöglicht, als die größten Hürden, die verheiratete Frauen von der Erwerbstätigkeit ausschlossen, abgebaut wurden. Die bedeutenden Fortschritte bei Haushaltstechnologie und -geräten sowie bei der Empfängnisverhütung halfen ebenfalls. Späteren Generationen wurde nach und nach bewusst, dass man beide Ziele parallel anstreben musste, wenn man Karriere und Familie haben wollte. Und schließlich entdeckten immer mehr Paare in den vergangenen Jahrzehnten, wie wertvoll gleichberechtigte Partnerschaften sein können. Diese Entwicklungen lassen sich am besten verstehen, wenn man die fünf Gruppen der Collegeabsolventinnen betrachtet, deren Werdegang von der jeweils älteren beeinflusst wurde. Zusammengefasst zeichnen die Lebensläufe dieser Frauen eine der einflussreichsten Entwicklungen in der Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte nach.

Erstaunlicherweise lassen sich die Collegeabsolventinnen der letzten (mehr oder weniger) 100 Jahre gut in fünf Gruppen einteilen (siehe Abbildung 2.1). In jeder Gruppe standen die Frauen etwa denselben Beschränkungen gegenüber und hatten dieselben Lebensziele, die oft diesen Beschränkungen entgegenstanden. Auch das Heiratsalter und das Alter bei der ersten Geburt eines Kindes sind innerhalb dieser Gruppen ähnlich, während sie sich über die Gruppen hinweg stark unterscheiden.

Abb. 2.1: 100 Jahre mit fünf Gruppen von Collegeabsolventinnen.

Quellen: Bild von Betty Friedan ©Schlesinger Library, Radcliffe Institute, Harvard University; Bild von Tammy Duckworth

Zwischen den Gruppen gibt es außerdem Unterschiede, was die Kombinationen von Karriere, Job, Ehe und Familie betrifft. Man könnte annehmen, dass diese Verteilungen darauf zurückzuführen sind, dass im Lauf der Zeit deutlich mehr Frauen das College besuchten und ihren Abschluss machten oder dass zunehmend andere Frauen an die Colleges gingen. Zum größten Teil sind das aber nicht die Ursachen. Wie wir im ganzen Buch noch sehen werden, sind die veränderten Prioritäten und Erfolge symptomatisch für grundlegende Entwicklungen in Gesellschaft und Wirtschaft. Die Brüche zwischen der einen Gruppe und der nachfolgenden sind auf Kräfte zurückzuführen, die sich der Kontrolle Einzelner entzogen und nicht nur für Frauen galten, schon gar nicht nur für Collegeabsolventinnen.

Die Gruppen sind unterschiedlich und lassen sich gut einteilen, doch hat jede einen bedeutsamen Staffelstab an die jeweils nachfolgende übergeben. Dieser Staffelstab ist geprägt von Mentorinnen, Vorbildern und Ratgebern, die bedeutende Zugewinne und Fortschritte erzielten. Die Frauen aus Gruppe Fünf zum Beispiel haben sehr von den Pionierinnen aus Gruppe Vier profitiert, die in großer Zahl in verschiedene Berufszweige einstiegen wie Rechtsprechung, Management, Universitäten und Medizin. Aber der Staffelstab diente auch als Warnung vor verschiedenen Fehltritten und zeigte alternative Wege für die nächste Gruppe auf. Die Frauen aus Gruppe Fünf lernten aus den Erfahrungen der Frauen aus Gruppe Vier, dass es einen Preis hat, wenn man das Kinderkriegen zu lange aufschiebt. Die Frauen aus Gruppe Vier lernten aus den Erfahrungen von Gruppe Drei, dass sich der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt oft schwierig gestaltet.

Die Gruppen sind nach Geburtsjahrgängen zusammengestellt. Die Zeiträume sind dabei unterschiedlich lang. Die erste Gruppe umfasst 20 Jahrgänge, die zweite 26, die dritte wieder 20, die vierte nur 14 und die fünfte 21 Jahrgänge, bei denen Frauen bis mindestens Anfang 40 betrachtet werden, weitere kommen hinzu. Auf den Seiten dieses Buches wird aufgeklärt, warum sich diese Frauen in diesen fünf aussagefähigen Gruppen vereinigten, wie sich die Grenzen jeder Gruppe definieren und was die gerade entstehende Gruppe von Frauen besser machen kann, basierend auf den Entscheidungen und Lebensumständen der Frauen, die diesen Weg vor ihnen beschritten haben. Nun aber ein kurzer Überblick über die Gruppen.

Gruppe Eins: Familie oder Karriere

Die Frauen aus Gruppe Eins wurden zwischen 1878 und 1897 geboren und schlossen das College zwischen 1900 und 1920 ab. Sie waren die am wenigsten einheitliche Gruppe, was die Verwirklichung ihrer Lebensziele betrifft. Die eine Hälfte bekam (oder adoptierte) nie ein Kind, die andere Hälfte tat es.24 Von den kinderlosen Frauen arbeitete die große Mehrheit, oder wahrscheinlich fast alle, irgendwann im Leben. Von den Müttern unter den Frauen waren nur wenige jemals in Lohnarbeit. Fast ein Drittel der Gruppe heiratete nie. Bei den 70 Prozent, die eine Ehe eingingen, kam die Hochzeit oft spät im Leben.

Grob gesagt, verwirklichte diese Vorreitergruppe entweder eine Familie oder eine Karriere, auch wenn viele Frauen Jobs hatten (keine Karrieren). Nur ein paar wenige Auserwählte hatten bezahlte Arbeit und eine Familie. Sie waren selbstverständlich Ausnahmen. Und ein winziger Anteil von ihnen hatte eine Familie und eine Karriere.

Viele Collegeabsolventinnen dieser Zeit hatten erfolgreiche Karrieren, aber sie heirateten nie und hatten keine Kinder. Auf der Liste der Erfolgreichen aus Notable American Women stehen so bekannte Namen wie Edith Abbott, Grace Coyle, Helen Keller, Alice Paul und Jeannette Rankin. Neben Edith Abbott finden sich noch weitere große Wirtschaftswissenschaftlerinnen darauf wie Mary van Kleeck, Hazel Kyrk und Margaret Reid, die an der University of Chicago zu Wirtschaftsthemen forschte (und die einzige führende Frau unter den Wirtschaftswissenschaftlern war, von denen ich in meinem Studium gehört habe).

In Gruppe Eins sind auch Frauen, die zwar geheiratet haben, aber nie Kinder bekamen, wie Katharine Dexter McCormick, die mit dem Vermögen, das ihr verstorbener Ehemann mit landwirtschaftlichen Maschinen verdient hatte, die Forschung unterstützte, die zur Antibabypille führte. Katharine war aber mehr als eine wohlhabende Erbin, die ihr Erbe gut einzusetzen wusste. Sie war auch die erste Frau in der Geschichte des Massachusetts Institute of Technology, die dort einen Abschluss als Undergraduate in Biologie erwarb.

Ein winziger Teil dieser Gruppe hatte eine Karriere, heiratete und hatte Kinder. Diese Liste, ebenfalls aus Notable American Women, ist kurz. Auf ihr stehen Mary Ritter Beard, die mit ihrem Mann Charles The Rise of American Civilization schrieb; Jesse Daniel Ames, die als Gründerin der Anti-Lynch-Bewegung in den US-Südstaaten gilt; Pearl Sydenstricker Buck, die in ihrer Literatur chinesische Bauern lebendig werden ließ; und die Feuilleton-Redakteurin des New Yorker Katharine Sergeant Angell White (Ehefrau von E. B. White, der die Welt mit Wilbur und Charlotte verzauberte).

Ebenfalls auf dieser Liste befindet sich Sadie Mossell Alexander, die erste schwarze Frau mit einem Doktortitel in Wirtschaftslehre. Sie steht nicht auf der Liste der bekannten Wirtschaftswissenschaftlerinnen, die ich gerade erwähnt habe, weil sie den Fachbereich verließ, nachdem sie keine Stelle an einer Universität bekam. Sie heiratete, erwarb einen Doktortitel in Jura, hatte zwei Kinder und arbeitete einen Großteil ihres Lebens in der Anwaltskanzlei ihres Mannes, bis sie eine eigene Kanzlei eröffnete und als erste schwarze Richterin an den Philadelphia Court of Common Pleas berufen wurde.

Von den 237 Collegeabsolventinnen aus Gruppe Eins, die in Notable American Women aufgeführt werden, hatten weniger als 30 Prozent Kinder, und nur etwas mehr als die Hälfte heiratete.25 Die Frauen, die es in Notable geschafft haben, hatten außergewöhnlich erfolgreiche Karrieren. Der Prozentanteil der Frauen, die Kinder hatten, und von jenen, die verheiratet waren, ist bei allen Collegeabsolventinnen etwas höher. Aber auch dort sind die Zahlen immer noch sehr niedrig.

Die Liste der namhaften Frauen wäre um einiges länger, wenn die Frauen aus Gruppe Eins die Möglichkeit gehabt hätten, zu heiraten und eine Familie zu gründen und gleichzeitig intensiv zu arbeiten. Sie hätten weniger Hürden zu überwinden gehabt. Sie hätten nicht die schwierigen, lebensverändernden Entscheidungen treffen müssen, die ihnen so oft aufgezwungen wurden. Weitergedacht, und vielleicht noch wichtiger, hätte die Liste, wenn sie länger gewesen wäre, weitere Frauen dazu ermutigt, in zusätzliche Ausbildung zu investieren und Karrieren anzustreben, was wiederum zu mehr Talenten in zukünftigen Generationen geführt hätte.

In diesem Fall wären Frauen, die später kamen, etwa in Gruppe Drei, weniger ans Haus gefesselt gewesen, hätten mehr Vorbilder für erfüllende Karrieren gehabt. Sie hätten mehr in ihre Ausbildung investiert und im College Hauptfächer gewählt, die zu einer beruflichen Tätigkeit geführt hätten. Die Talente wären in der Gesellschaft besser genutzt worden. Die Produktivität wäre höher gewesen. Die Anzahl der möglichen Konsequenzen ist endlos.

Viele Frauen, die lesbisch waren, offen oder nicht, hätten in der Vergangenheit gar nicht legal heiraten können. Manche Lesben versteckten ihre Beziehungen nicht, auch im frühen 20. Jahrhundert schon, so wie die Wirtschaftswissenschaftlerin von der Universität Amherst Dorothy Wolff Douglas. Dorothy war mit Paul Douglas, Ökonom von der University of Chicago und US-Senator aus Illinois, verheiratet gewesen, aber nach der Trennung lebte sie mit der Soziologin und Autorin Katharine DuPre Lumpkin zusammen. Viele andere hinderten soziale oder persönliche Normen daran, sie selbst zu sein, auch privat. Von Rachel Carson, deren Buch Der stumme Frühling die Vereinigten Staaten auf die Gefahren von DDT aufmerksam machte, glauben Biografen, sie sei lesbisch gewesen.

Collegeabsolventinnen aus wohlhabenden Familien konnten es sich leisten, nicht zu heiraten, ob sie nun lesbisch waren oder nicht. Wer aus finanziell weniger gut gestellten Familien kam, musste oft früh heiraten, um das Auskommen zu sichern.

Für Gruppe Eins galten Einschränkungen, die eine Verbindung von Arbeit und Familie nahezu unmöglich machten. Wenn sie später im Leben gefragt wurden, warum sie nicht geheiratet hätten, antworteten viele dieser Frauen, sie hätten es nicht gemusst. Auch Frauen aus weniger begüterten Familien konnten mit dem höheren Lohn, den sie als ausgebildete Erwerbstätige erhielten, ihren Lebensunterhalt bestreiten. Viele blieben nicht wegen einer höheren Berufung unverheiratet, sondern um den patriarchalen Normen ihrer Zeit zu entkommen.

Gruppe Zwei: Erst Job, dann Familie

Gruppe Zwei, die zwischen 1898 und 1923 geboren wurde und zwischen 1920 und 1945 das College abschloss, ist eine Übergangsgruppe. Die Lebensumstände dieser Frauen entsprechen anfangs jenen aus Gruppe Eins, mit einem geringen Anteil verheirateter Frauen – aber am Ende ähneln sie Gruppe Drei, in der die Frauen oft eine Ehe eingingen, bei der ersten Hochzeit sehr jung waren und viele Kinder bekamen.

Weil die Frauen aus Gruppe Zwei relativ spät heirateten (wie Gruppe Eins), wird diese Gruppe grob so beschrieben, dass sie erst einen Job hatten und dann eine Familie gründeten. Die meisten Frauen, die irgendwann heirateten, bekamen auch Kinder, und die meisten gingen nach der Hochzeit keiner bezahlten Arbeit mehr nach, auch wenn die Mehrheit vor der Ehe einige Zeit gearbeitet hatte.

Viele von ihnen hatten höher gesteckte Ziele, die durch äußere Kräfte unmöglich wurden, wie etwa den Beginn der Weltwirtschaftskrise. Der enorme Wirtschaftsabschwung führte zu restriktiveren Gesetzen, unter anderem zu einem Beschäftigungsverbot für verheiratete Frauen als Büroangestellte und ähnlichen Verboten im öffentlichen Dienst, wo Frauen nicht mehr als Lehrerinnen arbeiten durften.

Zu den ersten Frauen aus Gruppe Zwei gehörten, zum Beispiel, Barbara McClintock, die für ihre Forschungen zur Genetik einen Nobelpreis erhielt, und Alice Kober, die half, die historische Linear-B-Schrift zu entziffern. Keine der beiden heiratete je. Ebenfalls zu den frühen Vertreterinnen von Gruppe Zwei zählen Zora Neale Hurston, die Volkskundlerin und Autorin, die über das Leben der Schwarzen in den USA schrieb, und die Informatik-Pionierin und Konteradmiralin der US Navy Grace Hopper. Beide heirateten, aber die Ehe blieb kinderlos. Ada Comstock, ebenfalls in Gruppe Zwei, heiratete im Alter von 67 Jahren nach einer langen und bedeutenden Karriere als erste Präsidentin des Radcliffe Colleges. Das sind keine durchschnittlichen Frauen, aber sie stehen symbolisch für die Leben der ersten Frauen aus Gruppe Zwei.

Die temperamentvolle Kongressabgeordnete Bella Savitzky Abzug, die Autorin von Der Weiblichkeitswahn Betty Friedan und die Sängerin und TV-Berühmtheit Dinah Shore gehören ebenfalls zu Gruppe Zwei. Sie alle heirateten und hatten Kinder. Sie stehen für die Übergangsphase des Kollektivs zu Gruppe Drei. Weniger berühmte Vertreterinnen von Gruppe Zwei sind zwei mutige Lehrerinnen aus St. Louis, Missouri: Anita Landy und Mildred Basden, die gegen die Gesetze klagten, die nach der Hochzeit zu ihrer Entlassung führten. Wie wir später noch sehen werden, setzte ihre Klage den meisten Beschäftigungsverboten für Lehrerinnen in den Vereinigten Staaten ein Ende.

Gruppe Drei: Erst Familie, dann Job

Die Frauen aus Gruppe Drei, die zwischen 1924 und 1943 geboren wurden, sind einander ähnlicher als die Frauen in jeder anderen Gruppe. Sie haben ähnliche Hoffnungen und Erfolge, heiraten jung, haben häufig Kinder sowie ähnliche Collegeabschlüsse und erste Jobs. Während Gruppe Eins zweigeteilt war in jene, die eine Familie hatten, und jene mit einem Job oder einer Karriere, marschieren die Frauen in Gruppe Drei im Gleichschritt.