Kassing 1996 - Jan-Michael Rogalla - E-Book

Kassing 1996 E-Book

Jan-Michael Rogalla

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Beschreibung

Minnesota, USA, 1996. Ein grausamer Mordfall erschüttert den Bundesstaat. Eine Familie, getötet von der eigenen Mutter. Schizophrenie und Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom lautet die offizielle Diagnose. Doch je weiter sich die Ermittlungen aufrollen, umso merkwürdiger gestalten sich die Vorkommnisse im Haus der Kassings. Denn etwas ist in dem vereinsamten Haus – und es labt sich an der Angst.

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Jan-Michael Rogalla

Kassing 1996

Kassing l996

Ein Horror-Roman in drei Akten

Jan-Michael Rogalla

IMPRESSUM

1. Auflage 2022

© Wortschatten Verlag

In der Verlagsgruppe Mainz

Alle Rechte vorbehalten

Printed in Germany

Wortschatten Verlag

Verlagsgruppe Mainz

Süsterfeldstraße 83

52072 Aachen

[email protected]

0241 873434 00

www.wortschatten.de

Gestaltung, Druck und Vertrieb:

Druckerei und Verlagshaus Mainz

Süsterfeldstraße 83

52072 Aachen

www.verlag-mainz.de

Lektorat:

Julia Huntscha

Umschlaggestaltung:

Dietrich Betcher

Druckbuch:

ISBN-10: 3-96964-034-2

ISBN-13: 978-3-96964-034-0

E-Book:

ISBN-10: 3-96964-035-0

ISBN-13: 978-3-96964-035-7

AKT 1

Der gemeine Traum

Einsamkeit, Stille und Verzweiflung quellen aus jeder Pore des Hauses, quälen mich, würgen mich. Genau vor einem Jahr starben jene Menschen, die am wichtigsten für mich sind. Meine Frau und meine zwei Kinder verunglückten qualvoll bei einem Autounfall. Sie waren auf dem Weg nach Hause zu mir. Auf dem Weg zu einem schönen Silvesterabend mit der Familie. Ich war auf fast alles vorbereitet, nur nicht auf den Schmerz, den ich spüren musste, als es an der Haustür klingelte und ich jene traurige Nachricht erhielt. Das Leid durch einen Messerstich direkt in mein Herz …

Pillagers Sheriff Dick Winston und sein schmächtiger Deputy Marvin-Timothy Bell standen wortsuchend an meiner Türschwelle, als ich mit großen Augen auf sie hinabstarrte. Für gewöhnlich sah man jeweils nur einen Polizisten im Dorf, der die regelmäßige Streife fährt. Es musste also ein ernsteres Anliegen sein, wenn gleich zwei von ihnen ihre Aufwartung machten.

Ich erinnere mich noch daran, als vor elf Jahren Sheriff Winston eine Rede auf dem Dorfplatz gehalten hatte. Es müsste der 21. Juli 1986 gewesen sein. Der arme Willy konnte während der Rapsernte die Hände nicht von der Dreschmaschine lassen, dabei hatte sein Vater ihm mehrmals auf die Finger geklopft. Farmer John Bucking hatte sich immer stets bemüht, seinem Sohn und Nachwuchs-Farmer Wiles »Willy« Bucking die richtigen Handgriffe zu lehren. Doch leider wurden an jenem heißen Julitag keine trockenen Rapsschoten gedroschen, sondern leider Gottes ein junger Farmer mit eifrigen Fingerchen. Die gefräßige Maschine hatte Willy bis zu den Lendenwirbeln regelrecht gefressen. Aber die breiten Hüftknochen konnte sie nicht mehr zermalmen, da blockierte sie und gab sich gesättigt.

Nachdem die Dreschmaschine zur Fehlerüberprüfung in die Werkstatt von Pitt-Max nach Brainerd gefahren wurde, rief Sheriff Winston die Einwohner auf dem Dorfplatz zusammen, um sich für die große Sauerei zu entschuldigen. Denn während der Pitt-Max Drescher die River Street hinauf polterte, fielen Willys Körperteile vereinzelnd auf Pillagers Pflasterstraßen. Erst, als Pitt-Max nach Osten auf die gut befahrene 210 in Richtung Brainerd abbog, lief ein Bewohner zum Sheriff und teilte ihm dieses »Malheur« mit. Natürlich haben sich etliche Bewohner Willy angeschaut, obwohl nicht alle in diesem Moment wussten, dass es Willy war. Bis der bemitleidenswerte Farmerssohn aufgesammelt wurde, vergingen etliche Minuten. Gerüchten zufolge sollen noch elf Meilen bis nach Baxter Körperfetzen von ihm gefunden worden sein.

Winstons Rede schien ewig anzudauern. Beeindruckend war es, wie Dick auf dem Podest stand, sein Schnurrbart rau und borstig, seine von Arbeit gezeichneten Hände auf dem Pult. Er suchte mit kaltschweißiger Stirn nach den richtigen Worten. Wie soll man den Einwohnern von dem Unfallhergang berichten und sich für eine fatal gelaufene Leichenbergung entschuldigen? Niemand von uns wäre in dem Moment gerne an Dicks Stelle gewesen: dort oben auf dem Podest.

Dieser 21. Juli 1986 war der Tag, an dem Sheriff Winston das Stottern erlernte, und an dem Farmer Bucking mit seiner Frau das idyllische und recht übersichtliche Pillager verließ und niemals wieder besuchte. Seine gigantische Farm veräußerte er für nicht einmal 180.000 USD an Frances McHampton, einem stinkreichen Briten, der weiterhin in seiner Heimat in Birmingham wohnte, da er mit einer gigantischen Farm nichts anfangen konnte. Er sagte, es wäre äußerst sinnvoll, Land und Immobilien zu erwerben.

An jenem Silvesterabend war ich es nun allerdings, der auf einem Podest stand und auf Sheriff Winston hinabblickte. Seine vom grauen Bart umgebenden Lippen zuckten vor sich hin und das kommende Gestotter war so sicher, wie der auslaufende Gulasch aus dem Mähdrescher. Er suchte nach den richtigen Worten und stotterte mit feuchten Augen: »E-E-Eric, w-w-wir m-m-m-müssen d-d-dir …«

Winston neigte seinen Kopf und schaute auf den Boden, als würde er meinem Blick nicht standhalten können. Dann schüttelte er leicht den Kopf und versuchte es noch ein weiteres Mal: »W-w-wir m-m-müssen …«

Ich befürchtete nichts Gutes, der Sheriff stotterte meistens nicht so exzessiv. Aber der innere Optimist in mir erhoffte sich eine nicht allzu schlechte Nachricht von einem Mann des Gesetzes, genau genommen sogar von zwei, welche womöglich die letzten zwanzig Jahre nicht an einer einzigen Haustür hier in Pillager geklingelt, sondern sich lediglich die Jahre über mit gefüllten Muffy-Donuts vollgestopft hatten.

Deputy Bell suchte verzweifelt in meinen Augen um dienstlichen Rat, welchen ich dem jungen Rechtschaffenen nicht geben konnte. Er stupste seinen Mentor an, der daraufhin die Stotterzeremonie beendete und die Luft anhielt. Bell versuchte nervös die richtigen Worte zu finden: »Entschuldigen Sie bitte, Mr. Reverend Camden.«

Winston und Bell schauten sich an, seufzten und blickten wieder zu mir.

»Sir, wir müssen mit Ihnen sprechen. Dürfen wir bitte hereinkommen? Es ist wichtig.«

Als würde ich die Antwort nicht bereits kennen, fragte ich, ob meiner Frau und meinen Kindern etwas geschehen sei. Außer zu schweigen und dabei den Kopf zu senken, taten sie in diesem Moment nichts. Das war der Tag, an dem ich anfing Polizisten zu hassen.

Nun sitze ich hier alleine auf meinem schwarzen Ledersofa im vereinsamten Haus und warte auf Menschen, die nicht kommen werden. Oder doch? Wohl eher nicht.

Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich damit verbracht habe unseren Fußboden anzustarren: ein leerer Blick auf die rustikalen Landhausdielen, den Kopf in die Hände gesenkt und die Arme auf den Oberschenkeln abgestützt. So ähnlich mussten mich meine Freunde, Nachbarn und die restlichen Einwohner angeschaut haben, als ich die Andacht gehalten habe, nachdem Pitt-Max Willy auf brutale Art und Weise verspeist hatte. Der Trauergottesdienst wurde grotesker Weise in Brainerd gehalten, weil dort im Pitt-Max-Werk Wiles’ Hände und Ohren im Spindelwerk gefunden wurden. Die Amputate wurden in der Rechtsmedizin vor Ort in Brainerd eingelagert.

Die Kirche in der Kingwood Street war sehr beliebt und nahe am Evergreen Friedhof. Willys Vater, John, bat mich darum, den Gottesdienst zu halten. Ich tat es. Ich hielt für Wiles Bucking eine würdige Rede. Normalerweise hielt ich Gottesdienste in der kleinen Kirche von Motley, nur knapp neun Meilen westlich von meinem Haus in Pillager.

Als ich am Podest stand und die Bibel vor mir aufgeschlagen hatte, schwebte meine Stimme laut und hochwürdig durch die Hallen der gewaltig gebauten Kirche von Brainerd. Ich war für Pillager da. Ich hatte den Einwohnern Gottes Hilfe versprochen. Sie durften sich von Willy verabschieden.

Nach der Zeremonie sagte Mr. Bucking zu mir: »Reverend Camden, danke, dass Sie meinem Sohn geholfen haben, die Tür zu Gott zu öffnen.«

Im Nachhinein hatte ich mir vor Augen gehalten, dass Willy beim Ableben keine Arme und Hände mehr hatte, um die Tür zu Gott selbst überhaupt öffnen zu können. Mein Vater sagte immer, dass sich in einem schlechten Ereignis immer etwas Gutes wiederfinden lässt. Ob er damit allerdings auch solche absurden Gedanken meinte, ist fraglich. Jedenfalls glaube ich nicht, dass die Besucher der Kirche ähnliche Gedanken hatten. Die trauernden leeren Blicke waren absolut humorbefreit.

Sollte man so sein Leben verbringen, indem man Tag für Tag Löcher in den Fußboden starrt? Worauf warte ich wirklich? Hilft es einem verzweifelten Mann?

Es ist überaus ruhig hier im Haus. Silvester ist doch ein Fest, sollte man nicht Spaß haben?

Dumpf höre ich Knallkörper auf der Straße zerplatzen und leises Gelächter der Nachbarschaft ist wahrzunehmen. Ich frage mich, wie das Geräusch von zusammenkrachenden Fahrzeugen klingt. Ist es ebenfalls ein lauter Knall, wie jene chinesischen Mini-Bomben auf der Straße? Ist es wie ein zerschellender Porzellan-Becher, der wie ein Kristall auf dem Fußboden in die Einzelteile zerfällt?

Es ist noch nicht Mitternacht; es dauert noch einige Stunden. Dunkel ist es auch noch nicht. Zeit, um eine Dusche zu nehmen.

Wenigstens jetzt ist nicht mehr die Stille da. Nun fällt mir auf, dass selbst die kleinen Dinge laut sein können: Kleine Wassertropfen prasseln gegen die Wände. Es tut gut, wie sie auf meine Haut drücken. Ich schließe die Augen und versuche den tiefen Schmerz zu verdrängen. Immer und immer wieder denke ich an meine Familie. Meine Kinder, meine liebe Frau … haben sie den Tod verdient? Niemand hat ihn verdient. Wie so oft passieren einem guten Menschen Dinge, die er nicht verdient hat.

Jetzt spüre ich meine Tränen nicht mehr. Nie zuvor hatte ich Tränen in den Augen, so groß der Schmerz auch war. Als meine Familie starb, war es anders: Ein Fluss von Tränen bildete sich auf meinem Gesicht und hinterließ eine tiefe Narbe vom rechten Auge, über den Wangenknochen, bis hin zum Kinn. So etwas habe ich nicht für möglich gehalten. Die Tränen haben sich regelrecht hinein gebrannt. Dies ist eines der seltsamen Dinge, die sich seit dem Tod meiner lieben Frau ergeben haben. Oft fühle ich mich beobachtet, als sei jemand anwesend. Etwas ist hier. Jemand ist hier. Obwohl ich ganz alleine in diesem Haus lebe. Manchmal bin ich überzeugt davon, dass ich allmählich den Verstand verliere. Trauer kann die furchtbarsten Dinge mit der Psyche anstellen.

Oder ist meine Familie hier? Sie sind tot, damit muss ich mich abfinden. Tote kommen nicht zurück!

Ich lehne mich gegen die Wand, um meinen Körper zu entspannen. Ich schlucke den Schmerz herunter. Ich höre den Wassertropfen zu. Mir scheint, dass sie etwas sagen wollen.

Plötzlich nehme ich ein Geschrei wahr: schmerzhaft und quälend. Ich öffne die Augen und versuche die Wassertropfen zu überhören. Nein, das habe ich mir eingebildet. Es ist nicht das erste Mal, dass ich seltsame Dinge höre, die nicht da sind ...

Doch wieder! Dieses Mal ein Rufen! Mein Name? Mein Herz schlägt stärker und schneller.

Rasch ziehe ich den Duschvorhang auf und schaue hinaus. Ein Dampf von warmen Nebel umhüllt mich. Stille. Ich kneife die Augen zu. Verdammt, ich werde verrückt. Niemals zuvor habe ich solche Klageschreie gehört. Es hört sich wirklich schrecklich an!

Ich lehne mich zurück in den warmen Wasserstrahl und atme tief durch. Meine schwarzen nassen Haare hängen vor meinen Augen. Das Wasser tropft dort herab.

Jetzt ein noch grässlicherer Schrei! Mein Name, ganz deutlich zu hören! Das ergibt doch keinen Sinn. Niemand ist mit mir in diesem Haus. Vielleicht sind es die Wasserrohre. Manchmal machen sie komische Geräusche.

Schnell drehe ich das Wasser ab und steige aus der Dusche. Ich lausche und rühre mich nicht. Es ist kalt. Im Keller ist es immer kalt. Dieser verdammte Durchzug hier! Die Leuchtröhren an der Decke tauchen die Räume und Gänge in ein dumpfes gelbes Licht. Erdrückend. Meine Frau und ich haben uns im Kellergeschoss eine Dusche und eine Sauna bauen lassen, doch jetzt bereue ich es sehr. Warum ist uns damals nicht aufgefallen, wie kalt und gruselig es ist?

Ich würde am liebsten schnell nach oben laufen. Die Treppe befindet sich nur ein paar Meter vor mir, doch nach rechts befindet sich noch ein Flur, und mir kam es vor, als ob das Geschrei aus diesem zu hören war.

Meine Haut ist feucht und kalt. Ich binde mir schnell ein Handtuch um die Hüften. Was nun? Schnell nach oben laufen und die Kellertür abschließen? Das ist Blödsinn, hier kann niemand außer mir sein! Ich muss die Paranoia aus meinem Kopf vertreiben. Das geht am besten, indem ich der Sache einfach auf den Grund gehe. Es wird ein Wasserrohr sein, ganz sicher. Es muss eine Erklärung geben. Eine ganz normale, rationale Erklärung.

Langsam gehe ich bis zu dem Flur und schaue nach rechts um die Ecke. Ein noch lauteres und schrecklicheres Geheul aus der Tür am Ende des Flurs! Gräss­lich und quälend. Nein, das ist kein metallisches Geräusch, das ist definitiv eine Stimme. Vor Schreck und Angst hocke ich mich mit dem Rücken an den Schrank, der an der Ecke steht. Meine Hände halten sich wie von alleine an meinem Mund fest. Ein schwacher Tränenschleier zieht durch mein Blickfeld.

Was nun? Angst fesselt mich, ich kann mich nicht bewegen. Trotzdem, am besten schaue ich nach, wer mir hier diesen Streich spielt. Ein Einbrecher?

Eine gehörige Portion Tapferkeit wäre jetzt von Vorteil. Ich kneife die Augen zu und suche in meinem Gehirn nach etwas, was mir Mut machen könnte. Da fallen mir Worte ein, welche mein Vater mir zugesprochen hat, wenn ich mich als kleiner Junge gefürchtet habe:

Thor, der Mächtige! Thor, der Mutige!

Zermalme die Ungläubigen, die sich dir entgegenstellen.

Nicht einer soll von deinem Hammer verschont bleiben.

Lebe, um an diesem jüngsten Tag zu sterben.

Götter, Monster und Männer, wir alle werden am Ende sterben.

Wer hätte gedacht, dass Thor aus Asgard mir in diesem Augenblick die Courage verschaffen würde aus meiner erbärmlichen Lage zu entkommen? Ein Heavy­-Metal-Song aus dem Jahre 1984 der Lieblingsband meines Vaters? Hab’ keine Angst, mein Sohn. Thor, the mighty! Thor, the brave!

Ich schleiche um die Ecke und bewege mich in Richtung Tür. Meine nackten und feuchten Füße tapsen auf den alten Fliesen und werden eiskalt. Mein Herz schlägt laut und deutlich. Es ist fast das Einzige, was ich in diesem Moment höre.

Nun ist die Tür nur noch fünf Schritte entfernt. Soll ich sie öffnen? Bin ich so mutig? Was habe ich zu verlieren? Ich habe bereits alles, was mir nahestand, verloren.

Ich traue mich nicht einmal den Griff anzufassen. Ich habe solche Angst vor dem, was mich erwartet. Mein Herz rast. Meine Schläfen pulsieren. Mit zitternden Fingern strecke ich meine Hand aus, doch erstarre erneut. Der Griff geht von selbst nach unten. Langsam und leise. Mir scheint, mein Herz bleibt stehen. Ich will schreien, aber es kommt kein Ton hervor.

Mit voller Wucht springt die Tür von mir weg nach innen auf! Schwärze befindet sich dort drinnen. Der Raum ist von Dunkelheit gefüllt. Ohne weiter dort hinein zu starren, drehe ich mich weg und hetze die Treppe hinauf. Jemand verfolgt mich, das spüre ich. Es fühlt sich an, als würde jemand in meinen Na­cken atmen, pusten oder versuchen ihn zu greifen. Ich habe Angst nach hinten zu schauen.

Die Treppe nach oben scheint augenblicklich endlos zu sein. Mir kommt es vor, als würde ich sie unzählige Male steigen: Immer und immer wieder! Blitzartig erinnert es mich an damals. An etwas vor langer Zeit: Mein Ziel scheint unerreichbar.

Jemand ist dicht hinter mir. Ich fühle es in meiner Brust, in meinem Kopf!

Die Tür ist greifbar nahe, aber ich erreiche sie nicht. Mein Herz rast mit schnellen Schlägen. Die Kellertür steht offen und grelles Licht dringt mir in die Augen. Ich laufe hindurch, schlage die Tür hinter mir zu, und drehe den Schlüssel um.

Die Tür bebt und poltert, als wäre jemand von innen gegen sie gelaufen. Ich reiße die Hand zurück und stürze vor Schreck von der Tür nach hinten weg mit dem Rücken gegen die Wand, und schlage mir den Hinterkopf an. Warmes Blut trieft an meinem Nacken herab. Völlig erschöpft, nur mit einem Handtuch bekleidet, bleibe ich im Flur sitzen. Meine noch feuchte Haut zittert vor Angst und Kälte. Wer befindet sich hinter der Tür? Wer verfolgt mich?

Ich atme schnell und versuche mich angestrengt zu beruhigen.

»Wer ist da?!«, kreische ich zitternd. Das Gefühl der Sicherheit, mit der unüberwindbaren Tür zwischen uns, lässt mich mutiger werden.

Doch nur Stille umhüllt mich. Vorsichtig wage ich mich nach vorn zum Schlüsselloch und schaue hindurch. Zum Glück habe ich das Licht im Keller angelassen, aber leider sehe ich nichts weiter als die Wand.

Wieder ein heftiges Poltern an der Tür; und ein quälendes Geschrei, das sich wie ein Messerstich in mein Herz bohrt. Ich hasse dieses Messer!

Ich falle wieder zurück. Ist es besser, wenn ich den Deputy rufe? Halten die mich dann für verrückt? Nein, denn hier ist jemand im Keller, ganz klar. Und diese Person will mich. Sie will mich zerfleischen und mich in die Hölle schicken. Jetzt die Polizei zu rufen ist das einzig Richtige. Ich hasse sie, aber ich muss es tun. Sie überbringen schlechte Nachrichten, aber jetzt können die Bullen mir helfen. Ich könnte jedes Mal aufs Neue kotzen, wenn mir die Worte von Sheriff Dick Winston in Erinnerung kommen.

»E-E-Eric, d-d-du … du k-kannst s-s-sie i-in der R-R-Rechtsmedizin in S-s-s-s… St. Paul sehen. A-a-aber«, stotterte Dick vor sich hin. »A-a-aber s-sie s-s-sehen n-n-n n-n-nicht gut aus.«

In diesem Moment hätte ich es bevorzugt ihm mit ganzer Kraft den Unterkiefer zu zerschmettern und mich anschließend an den Schultern des jungen Nachfolgers Marvin zu klammern, anstatt an die des rauen und stotternden Sheriffs.

Marvin fasste mir auf die Schulter, schaute mich an und sagte mit fast schon engelhafter Stimme: »Reverend Camden, behalten Sie Ihre Frau und Ihre Kinder in schöner Erinnerung. So, wie Sie sie zuletzt gesehen haben.«

Wie ein langjähriger und gestandener Sheriff packte er auch seine zweite Hand auf meine andere Schulter, zog mich etwas an sich heran und blickte mir tief in die Augen, während seine knöchrigen Finger sich in meine Haut bohrten. Es war nicht unangenehm, es war irgendwie vertraut. Ich wusste, dass ich ihm vertrauen sollte. Auch jetzt mit einem verrückten Einbrecher in meinem Keller sollte ich den Deputys von Pillager Vertrauen schenken und sie hierher rufen.

Schweigend schleiche ich in das Wohnzimmer. Das Telefon steht neben dem Sofa. Ich ergreife es. Es ist still im Haus. Ich überlege noch ein letztes Mal.

Dann wähle ich die Notrufnummer. Nach wenigen Minuten Gesprächszeit bin ich erleichtert: Sie kommen.

»Schönen Silvesterabend noch. Kommen Sie gut in das neue Jahr, Reverend«, sagt Marvin mit einem höflichen Lächeln. Er nickt und geht aus der Eingangstür. Bell kennt meine Vergangenheit. Man sieht in seinen Augen, wie er sagen möchte: Ich hoffe, es geht Ihnen gut, Reverend Camden.

Dick ist heute nicht an seiner Seite. Es ist Deputy-Anwärterin Fernandez. Sie verabschiedet sich höflich mit ihrem spanischen Akzent, legt ihre Hände an die Halfter und stiefelt Marvin hinterher. Jetzt stolpert sie über die Türschwelle und fuchtelt unbeholfen mit den Händen. Dabei klimpern ihre Handschellen, und ihr Revolver knirscht lautstark im Waffenhalfter. Sie hätte John Wayne im Wilden Westen jede Ehre erwiesen, keinen Zweifel.

Ich sage nichts und schließe die Tür. Von starkem Zorn erfüllt starre ich auf die Kellertür, die zehn Schritte entfernt ist. Super, da habe ich mich ja lächerlich gemacht.

Die Polizisten haben den Keller gründlich durchsucht. Das sagten sie jedenfalls. Nichts gefunden, heißt es. Was lernen die Anwärter eigentlich noch, wenn sie nicht einmal einen Keller richtig durchsuchen können?! Es muss jemand dort unten gewesen sein. Selbst wenn sie niemand gesehen haben, weil die Person schon abgehauen ist, es muss doch zumindest Spuren geben …

Ich stelle mir gerade vor, wie Deputy Bell seiner neuen Anwärterin Lady John Wayne im Auto meine vergangene Geschichte erzählt und den erfahrenen Sheriff mimt: Mr. Reverend Eric Camden hat vor einem Jahr seine Frau und seine zwei Kinder verloren. Ein fürchterlicher Unfall. Sie waren von seinen Schwiegereltern aus River Falls in Wisconsin mit dem Auto auf dem Rückweg. Fährt man über Minneapolis und die Interstate 94, sind es ungefähr 150 Meilen bei zwei Stunden Fahrzeit. Doch leider endete die Fahrt auf dem Highway kurz vor St. Cloud. Der arme Mr. Camden. Er führt jetzt ein jämmerliches einsames Leben. Er war mal ein so guter Reverend in Motley. Die Narbe in seinem Gesicht ist vermutlich ein Zeichen Gottes, für den Schmerz, den er erleiden musste.

Ich könnte kotzen! Und wahrscheinlich ist Ms. Cowboy Fernandez von dem abgemagerten Deputy so sehr beeindruckt, dass sie mit ihm heute noch ins Bett steigt. Dabei wird das abgemagerte Frettchen vermutlich qualitativ versagen. Aber warum rege ich mich auf? Ich kann Marvin eigentlich gut leiden. Optisch erinnert er mich irgendwie an einen weißhäutigen Steve Urkel aus der TV-Serie »Alle unter einem Dach«. Tollpatschig ist er allerdings nicht. Marvin macht einen guten Job.

Eines ist sicher: Ich werde heute Abend definitiv nicht mehr in den Keller gehen. Ich blicke misstrauisch auf die Tür: Sie wirkt bedrohlich. Die Tür hat keine Augen, aber sie starrt mich an. Sie ist wütend, sie will mich auffressen. Genauso wie Pitt-Max es mit Willy gemacht hatte. Und am Ende bleibt mein Kopf über, so wie auf der River Street, als sein Kopf aus der Spindel herausfiel und mich direkt so ansah, als wäre ich verantwortlich für seinen Tod gewesen. Laut schnaubend schließe ich die Tür wieder ab. Was auch immer da unten ist, entweder es ist tatsächlich weg oder es bleibt zumindest da.

Ich fühle mich nicht nach Feiern, aber nichtsdestotrotz ist es Silvester. Also bewege ich mich in den ersten Stock, um mir etwas Schönes anzuziehen. Im Obergeschoss befinden sich zwei Kinderzimmer, ein Schlafzimmer und ein Badezimmer. Ich kleide mich einigermaßen ansehnlich an.

Auf in das Esszimmer. Ich bereite mir Hummer und Shrimps mit Kräuterbutter und Brot vor wie jedes Jahr. Das Essen sieht gut aus, der Rotwein duftet auch köstlich, äußerst sinnvolle Anschaffung.

Diese Stille tut meinem Unwohlsein nicht gut. Ein bisschen Rockmusik wäre ideal. Ich lege im Wohnzimmer eine CD ein. Das Lied »Bad Medicine« läuft. Der Song ist klasse:

»Deine Liebe ist wie schlechte Medizin.

Schlechte Medizin ist das, was ich brauche.

Es schüttelt dich durch, wie schlechte Medizin.

Da ich kein Arzt bin, kann ich meine Krankheit nicht kurieren.«

Fehlt noch irgendetwas? Nein. Ich setze mich hin und fange an zu essen. Der Gedanke daran, dass ich das allererste Mal alleine an Silvester hier am Tisch sitze, stört mich. Ich sitze hier, drei Stühle sind frei. Einsamkeit fängt mich wieder ein. Meine Narbe auf der rechten Gesichtshälfte beginnt zu brennen. Die Gewissheit, dass es nun jedes Jahr so sein würde, nein, jeden Tag, frisst mir ein Loch in die Brust.

»Ich brauche Euch!«, schluchze ich und breche in Tränen aus.

Erinnerungen treiben mich voran, das Leben nicht wegzuwerfen. Aber warum sollte ich leben, wenn ich nichts besitze, was mir noch nahesteht? Hier ist niemand, der mir Liebe schenkt. Ein neues Leben anfangen? Nein, ich will mein altes Leben wiederhaben. Aber das wird niemals wiederkommen. Also hör auf in Selbstmitleid zu verfallen!

Ich speise weiter, bevor das Essen kalt wird, bis ich satt bin. Verzweifelt versuche ich, es zu genießen, aber es schmeckt doch irgendwie alles wie Pappe. Ich stütze meinen Kopf auf die Hände. Starre nach vorn. Sehe die Uhr rechts in der Ecke: 20 Uhr und 23 Minuten.

Ich schaue wieder nach vorn aus dem Esszimmerfenster: Draußen ist es dunkel und es ist nicht viel zu erkennen. Das Einzige, was man noch sehen kann, ist die Straßenlaterne und mich selbst im Spiegelbild. Ich beobachte, wie ich mich anstarre. Was sehe ich in mir? Sehe ich einen Sinn?

Auf einmal sehe ich meine Familie im Spiegelbild am Tisch sitzen: meine Frau rechts neben mir, die Kinder auf den anderen beiden Sitzplätzen beim Essen.

Meine Augen werden feucht und ich fange an, erneut an mir selbst zu zweifeln. Rasch kneife ich meine Augen zu und versuche in mich zu kehren. Gedrängt stoße ich einen kräftigen Schrei aus, wie ein verwundetes Tier, und zerschlage mit der Faust meinen verschmutzten Teller auf dem Tisch. War das real? Auf jeden Fall ist das Spiegelbild jetzt wieder glaubwürdig: Ich bin allein.

Plötzlich schwingt ein tiefer basslastiger Ton durch den Raum. Ich frage mich, ob der Ton wirklich da ist. Er klingt dumpf, als wäre er gar nicht richtig da. Aber ich spüre es. Etwas donnert. Es kommt dichter. Ich spüre es in meinem Bauch. Kurz darauf, als der Basston eine gewaltige und durchdringende Lautstärke erreicht, fliegt das gesamte Geschirr mit hoher Geschwindigkeit vom Tisch. Es fliegt hoch gegen die Zimmerdecke und zerberstet in einen Porzellan-Regenschauer. Anschließend zerschellt es auf dem harten Fußboden. Die drei leeren Stühle kippen um und geben ein lautes Poltern von sich. Ich kralle mich mit meinen Händen an dem Tisch fest und halte unbewusst die Luft an. Alles scheint in diesem Moment still zu stehen, abgesehen von dem Ereignis, was sich gerade vor meinen Augen abgespielt hat. Die hängende Lampe über dem Esstisch wackelt, und das Licht flackert. Ein lautes Nachbeben ist zu hören und zu spüren. Hier bei mir. Ich bin auf meinem Stuhl und an diesem Tisch gefangen. Gefesselt, gebunden und angekettet an ein mächtiges Schauspiel. Wie komme ich aus dieser Situation? Was macht man, wenn man etwas erlebt, was man niemals für möglich gehalten hat? Was tut man? Thor, the mighty! Thor, the brave! Aber ich bin nicht Thor, sondern nur ein einfacher Reverend.

Ich beschließe nach einigen Minuten, in denen ich blind in den Raum gestarrt habe, den Rest vom Tisch abzudecken und trage als erstes mein Besteck in die Küche. Ich tu einfach so, als wäre nichts gewesen. Ich schniefe mir die Nase hoch, wische mit meiner Hand die feuchten Augen frei, und blicke wirr durch das Zimmer. Die Lampe schwingt gleich in wenigen Minuten bestimmt nicht mehr nach. Die Glühbirne erstrahlt wieder durchgehend und die Geräusche im Haus sind zur Normalität zurückgekehrt.

Ich bücke mich mit dem Handfeger in der Hand, um die Scherben und die Essensreste aufzulesen. Aber die Angst lässt sich nicht einfach so ignorieren. Gedanken rasen durch meinen Kopf. Was ist, wenn etwas hinter mir steht und mich anfasst? Was ist, wenn ein Geist vor mir erscheint? Ich mag gar nicht daran denken …

Nun fällt mir auf, dass die Musik aus ist. Es ist so still geworden. Ich schaue durch das Esszimmer in die Stube, wo die Musikanlage steht, und gehe dann dorthin, um genauer nachzusehen. Das Lied ist auf Pause gestellt. Der digitale Zeitgeber zuckt und blinkt.

Taste Play: Es läuft wieder normal weiter. Ich gehe zurück zum Esstisch und bringe die Reste vom Hummer in die Küche. Musik ist wirklich das Beste, was jemals erfunden wurde! Es macht gute Laune und man neigt zum Mitsingen.

Die Musik verstummt wieder nach wenigen Minuten. Was zum Teufel ist das? Der finstere und boshafte Loki, mein Bruder und Feind, um mich hier auf der Menschenwelt Midgard niederzustrecken? Ich bin Thor, weiche von mir böser ungläubiger Feind!

Ich blicke um die Ecke und erwarte einen stechenden Blick in die brennenden Augen des bösen Feuergottes. Mit einem Mal kommt mir der Gedanke an das Ereignis vor einigen Stunden im Keller. Wer spielt mir hier einen Streich? Ein leichter Schauer kommt über mich. Welcher Dämon, welch ein Schurke, welche Absurdität, was für ein Mähdrescher will mir die Haut vom Leibe reißen?

Ich gehe nochmals zur Anlage: Sie ist wieder auf Pause gestellt! Wiederholt drücke ich Play und die Musik läuft einwandfrei weiter.

Stop. Vorsichtshalber nehme ich die CD heraus und überprüfe sie auf Kratzer. Sie ist in Ordnung.

Ich schalte die Musik ein weiteres Mal an.

Warte, wo ist die Fernbedienung?

Nach einer langen Sucherei im Wohnzimmer und im Esszimmer gebe ich auf. Ich finde sie nicht. Normalerweise liegt die Fernbedienung immer auf dem Stubentisch. Ich schaue mich abermals um.

Plötzlich höre ich ein Tippeln. Ein leises, schleichendes Tippeln, wie von sehr kleinen Füßen. Es ist auf der anderen Seite der Wand zu hören. Der Flur!

Ich eile um den Kaminsims herum und öffne ruckartig die Tür zum Hausflur. Aber es ist nichts zu sehen. Allerdings bin ich irgendwie froh, nichts gesehen zu haben. Es ist wie bei den Schaulustigen bei einem Feuerwehreinsatz: Die Schaulustigen fahren mit ihren Autos an den Hochhäusern vorbei und beobachten die suizidalen Patienten auf den Dächern. Wenn die Patienten springen und kurz darauf auf dem Fußboden, wie hätte es mein Sohn so schön formuliert: zersplattern, dann erwarten die Zuschauer es, aber sind zuletzt froh darüber, wenn sie die Sauerei nicht mit ansehen.

Nachdem ich meine Nase gerümpft habe, durchstreife ich wie ein übervorsichtiger Jäger den Flur, um nach dem Tippeln zu suchen. Ich finde keine Maus, keine Ratte und kein Loki aus Vaters Mythologien-Lektüre. Allerdings liegt am Fußleistensockel ein schwarzes Etwas. Ich gehe dichter heran, und knie mich direkt daneben. Es ist ein kleiner handflächengroßer Zylinderhut, gefertigt aus Filz. Mir kommt es sehr komisch vor, so etwas lasse ich nicht herumliegen. Wo kommt es überhaupt her?

Ich nehme mir vor, den Hut genauer zu inspizieren, und drehe ihn um. Von Innen kleben einige feine, orangene Kunststoffhaare dran.

Plötzlich, mit voller Lautstärke, spielt die Musik im Wohnzimmer wieder. Mein Herz scheint augenblicklich in meiner Hose zu verschwinden. Kurzzeitig stütze ich mich vor Schreck an der Wand ab und streife mit meiner Schulter zwei Familienfotos von den Bilderhaken. Zu hören, wie sie auf den Boden krachen und zersplittern, schmerzte in meinen Ohren! Ich stürme zurück in das Wohnzimmer und drü­cke Power, um die dröhnende Anlage abzuschalten.

Eine Hyperventilation droht: Ganz ruhig bleiben! Atme ruhig. Es ist alles ok. Es ist nichts zu sehen. Du bist alleine. Die Anlage ist defekt. Es war nur laute Musik von dem guten alten Rocker Jon Bon Jovi. Langsam ausatmen, bleib ruhig. Du bist Thor, der Donnergott. Niemand kann dir etwas anhaben.

Zufälligerweise entdecke ich das, was ich suche: weit weg vom Stubentisch; im Vorraum, wo nebenan der Keller ist, auf dem Regal. Hab ich sie dort hingelegt? Warum sollte ich sie dort ablegen?

Stutzig hole ich die Fernbedienung, setze mich auf das Sofa und tippe wahllos herum. Seltsamerweise funktioniert sie gar nicht. Ich öffne die Batterieabdeckung, um nachzuschauen. Nein, es sind keine Batterien eingelegt. Mein Herz stampft und wird angeheizt, so als würde eine Lokomotive in meinem Körper in Schwung gebracht werden. Ich verstehe das nicht.

Alles ist jetzt still. Außer meine vom kochenden Blut gefüllten und pulsierenden Arterien höre ich nichts.

Irgendwie fühle ich mich beobachtet, bespitzelt. Gehänselt. Ich schaue mich um. Ich höre etwas aus der Ferne stets dichter kommend. Nun noch deutlicher!

Es spricht. Es hallt aus dem Flur heraus. Eine gemeine raue Stimme, wie ein hinterhältiger Schelm. Es spricht hallend in Reimen:

»Flinke Finger, Türen poltern,

je suis là und werd’ Dich foltern.

Zucker, Zimt und Apfelmus,

Monsieur Mordre de Pied knabbert heut’ Nacht an deinem Fuß.«

Ein leiser werdendes Kichern hallt durch den Flur und schwindet. Daraufhin tippelt es ein letztes Mal. Was zur Hölle …