Kastanienfeuer - Christine Rath - E-Book

Kastanienfeuer E-Book

Christine Rath

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Beschreibung

Leuchtend rot lodern die Flammen durch das goldene Laub am herbstlichen Bodensee. Nach einem furchtbaren Brand in ihrem Café »Butterblume« findet Maja Zuflucht in einer hübschen Ferienwohnung. Sie ahnt nicht, was sie dort erwartet. Schon bald geschehen unheimliche Dinge, die Maja an ihrem Verstand zweifeln lassen. Sie trifft auf den charismatischen Arzt Dr. Erik Bergmann, der ihr Herz berührt … doch auch er hat ein Geheimnis. Als Maja eines Abends bemerkt, dass sie nicht alleine in der Wohnung ist, bekommt sie Todesangst ...

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Christine Rath

Kastanienfeuer

Ein Romantikkrimi

Zum Buch

Brennende Angst Golden leuchtet die Oktobersonneauf den herbstlichen Bodensee. Plötzlich lodern hellrote Flammen durch das bunte Laub: Majas Café »Butterblume« brennt lichterloh! War es Brandstiftung? Maja sucht Zuflucht in einer Ferienwohnung, in der sie ein wenig zur Ruhe kommt. Doch nach einem mysteriösen Einbruch häufen sich dort seltsame Ereignisse: Majas persönliche Dinge wechseln auf unerklärliche Weise ihren Platz und sie fühlt sich ständig beobachtet. Ein unheimlicher Anrufer verstärkt ihre Angst, denn er scheint offenbar sehr gut über sie Bescheid zu wissen. Majas Freunde halten ihre Nerven für überreizt und auch sie selbst beginnt schon bald, an ihrem Verstand zu zweifeln. Psychisch am Ende verursacht sie einen Unfall, bei dem sie den charismatischen Arzt Dr. Erik Bergmann kennenlernt. Seine einfühlsame Art gibt Maja Halt und berührt ihr Herz … bis sie hinter sein Geheimnis kommt. Traurig sucht sie Zuflucht in der Ferienwohnung. Plötzlich wird ihr klar, dass sie dort nicht alleine ist! Maja bekommt Todesangst …

Die Autorin Christine Rath, Jahrgang 1964, lebt und schreibt am schönen Bodensee, wo sie mit ihrer Familie ein kleines Hotel betreibt. Hier findet sie durch die vielen interessanten Begegnungen und Situationen mit anderen Menschen viele neue Ideen für ihre Romane. Ihre Wurzeln hat sie jedoch an der Ostsee und auf der Insel Sylt, auf der ihre Eltern einige Zeit lebten. An beiden Meeren findet sie in der zauberhaften Natur Ruhe und Erholung.

 

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Windflüstern (2017)

Eisblumenglitzern (2016)

Heidezauber (2016)

Maiglöckchensehnsucht (2015)

Sanddornduft (2014)

Wildrosengeheimnisse (2013)

Butterblumenträume (2012)

Impressum

Ausgewählt durch Claudia Senghaas

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2017 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2017

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Benjamin Arnold

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © dietwalther / fotolia.com

ISBN 978-3-8392-5542-1

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Gedicht

Novembertag

 

Nebel hängt wie Rauch ums Haus,

drängt die Welt nach innen;

ohne Not geht niemand aus;

alles fällt in Sinnen.

Leiser wird die Hand, der Mund,

stiller die Gebärde.

Heimlich, wie auf Meeresgrund,

träumen Mensch und Erde.

 

Christian Morgenstern

1. Kapitel Wo Rauch ist, ist auch Feuer

Golden leuchtet das sanfte Licht der untergehenden Sonne auf den herbstlichen Bodensee. Ein paar einzelne Segelboote ziehen auf ihrem Weg zum Hafen an mir vorüber. Ich lege die Kastanien, die ich gerade im Garten gesammelt und die ich für die Tischdekoration im Gastraum verwenden möchte, auf einen der Terrassentische und verweile einen Moment, um diesen romantischen Ausblick in mich aufzunehmen. Obwohl ich mein Café »Butterblume« nun schon seit über vier Jahren direkt am lieblichen Seeufer in Überlingen-Nußdorf betreibe, vermag mich die wundervolle Natur, die sich häufig so stimmungsvoll wie heute zeigt, immer wieder zu bezaubern. Ich setze mich einen Augenblick auf einen der Terrassenstühle und genieße diesen vollkommenen Moment der Ruhe. Meine müden Füße, die aufgrund der noch immer milden Temperaturen in Sandalen stecken, lege ich auf einen der anderen Stühle und atme tief durch. Der heutige Tag war wieder einmal sehr anstrengend gewesen. Obwohl es schon Mitte Oktober ist, hatten die warmen Sonnenstrahlen viele Radfahrer und Spaziergänger herausgelockt, die sich nach einem Spaziergang oder ihrer Radtour auf unserer Terrasse am See einer guten Tasse Kaffee und einer unserer leckeren selbstgebackenen Gebäckspezialitäten erfreuten. Offenbar wollten sie alle noch einmal so viele Sonnenstrahlen wie möglich in sich aufnehmen, denn wer kann schon sagen, wie lange das gute Wetter anhalten wird? Schon bald werden sich Regen, Herbststürme und vor allem der typische Bodenseenebel ablösen und solch goldene Tage wie der heutige nur noch eine schöne Erinnerung sein.

»Puh … das war ja wieder mal ein Tag heute«, sagt Ruth und lässt sich auf den Stuhl neben mir fallen.

Sie stellt zwei Gläser mit Suser, dem neuen Wein, und zwei Teller mit Zwiebelkuchen auf den Tisch vor uns und pustet sich eine Strähne ihrer blonden Haare aus der Stirn. Dafür, dass Ruth schon Mitte 50 ist, sieht sie immer noch sehr gut aus, auch wenn an Tagen wie dem heutigen ein paar müde Augenschatten unter ihren Augen liegen.

»Endlich Feierabend, Maja. Das sind die letzten beiden Stücke«, sagt Ruth und schiebt mir den Teller mit einem besonders großen Stück Zwiebelkuchen herüber. »Drei Bleche habe ich heute früh davon gebacken … und nun sind alle weg.« Sie schiebt sich eine Gabel von dem herzhaften Kuchen in den Mund.

»Kein Wunder. Der schmeckt ja auch besonders gut. Wie alles, was du herstellst«, lobe ich sie mit einem Lächeln und ohne jede falsche Schmeichelei. Nicht umsonst haben wir so viele Stammkunden: Ruth hat einfach die tollsten Backideen und setzt diese scheinbar mühelos und voller Freude täglich um.

Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie ich das Café je ohne sie betreiben konnte. Zu Beginn unserer Freundschaft war Ruth eigentlich nur eine treue Stammkundin, die jedoch spontan einsprang, als sie merkte, dass ich Hilfe brauchte. Doch inzwischen ist sie natürlich weit mehr als das. Sie kümmert sich einfach um alles: die Gäste, die Kuchenauswahl, den Wareneinkauf und vieles mehr. Dabei habe ich nicht im Geringsten das Gefühl, die Arbeit könnte ihr zu viel werden, ganz im Gegenteil. Ich glaube, Ruth ist glücklich, noch einmal eine Aufgabe gefunden zu haben, die sie erfüllt und die ihrem Leben einen Sinn gibt. Darin unterscheiden wir uns gar nicht so sehr. Auch ich bin froh, dass das Schicksal mir vor einigen Jahren noch einmal die Möglichkeit geschenkt hat, meinem Leben eine neue Wendung zu geben und mich mit dem Café, das sich in einer alten Villa direkt am See befindet, selbstständig zu machen.

»Ist es nicht herrlich heute Abend?«, frage ich sie und trinke einen großen Schluck von dem leckeren Suser.

»Hmmm …«, antwortet Ruth nickend mit vollem Mund. »… einfach traumhaft. Wir sollten es genießen … solche Abende wird es in diesem Jahr nicht mehr viele geben«, setzt sie hinzu, als sie den Bissen heruntergeschluckt hat.

»Hoffentlich hast du dieses Mal ausnahmsweise einmal nicht recht«, antworte ich lachend. »Ich finde, ein paar goldene Oktobertage wie diesen haben wir uns mehr als verdient, nachdem wir den ganzen Sommer so hart gearbeitet haben.«

»Ach, wer fragt uns schon?«, sagt Ruth seufzend und legt ihre Beine ebenfalls auf einen der Stühle.

Ihr Gesichtsausdruck wird auf einmal ernst.

»Ich glaube, es wird nicht mehr lange dauern, dann wird das Wetter umschlagen. Ich darf gar nicht daran denken: Bald kommen die grauen und dunklen Tage … der November mit seinem Trübsinn …«

»Ach, Ruth. Nun sei doch nicht so pessimistisch. Ich finde die verträumten Nebelstimmungen hier am See durchaus ganz romantisch«, entgegne ich.

Ungläubig zieht Ruth eine Augenbraue nach oben.

»Aha. Du findest es also toll, eine dicke Jacke anzuziehen und einsam im grauen Nebel an der Uferpromenade spazieren zu gehen?«

»Manchmal schon. Irgendwie hat das so etwas Melancholisches …«, antworte ich.

Ruth verdreht die Augen.

»Ich weiß nicht recht. Mir sind der Frühling und der Sommer am See tausendmal lieber. Das Vogelgezwitscher … die blühenden Obstbäume … das Lachen der Kinder in den Strandbädern … die weißen Segel auf dem blauen See … ganz zu schweigen von den gemütlichen Abenden auf dem Balkon …«, schwärmt sie.

»Dann verbringst du eben die gemütlichen Abende in den nächsten Monaten auf dem Sofa. Im Arm von deinem Mausebär«, necke ich sie.

Ruths ›Mausebär‹ ist mein bester Freund, der Kriminalhauptkommissar Michael Harter, mit dem Ruth vor Kurzem zusammengezogen ist.

»Wenn er dann mal zu Hause ist«, antwortet Ruth seufzend und schiebt sich den letzten Bissen Zwiebelkuchen in den Mund.

»Michael ist eben sehr beschäftigt, Ruth. Immerhin hast du einen ›Mausebär‹, der die langen Winterabende mit dir gemeinsam verbringt.«

Ruth und Michael sind beide seit Jahren verwitwet und haben sich bei einem von Michaels zahlreichen Besuchen in der »Butterblume« ineinander verliebt. Als Michael Ruth vor ein paar Monaten fragte, ob sie nicht zu ihm ziehen wolle, war ihr Glück perfekt.

»Komm schon, Maja. Kein Selbstmitleid bitte. Du weißt ganz genau, dass auch DU jemanden zum Kuscheln hattest. Aber diesen musstest du ja in die Flucht treiben. Nun beschwere dich nicht.«

»Ich beschwere mich doch gar nicht«, antworte ich und gebe mir Mühe, nicht allzu verschnupft zu wirken.

Obwohl ich Ruths Ehrlichkeit sehr schätze, könnte ich sie ebenso gut manchmal verfluchen. Die Wahrheit ist eben schwer zu ertragen, sogar oder vielleicht gerade wenn sie von einem uns nahestehenden Menschen kommt.

»Ach, Maja … sei mir nicht böse«, schlägt Ruth auf einmal versöhnliche Töne an. Möglicherweise hat sie gespürt, dass sie doch etwas zu harsch war.

»Aber ich weiß immer noch nicht, warum du Klaus hast gehen lassen. Er hat dir doch so gut getan«, setzt sie hinzu.

»Das hat er. Klaus hat mir wirklich gut getan. Er war genau der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt«, antworte ich ruhig.

»Du meinst, er war nur eine Art Lückenbüßer, um dir über Christians Tod hinwegzuhelfen?«, fragt Ruth ein wenig schnippisch und setzt hinzu: »Hast du ihn deshalb in die Wüste geschickt?«

»Ich habe Klaus keineswegs ›in die Wüste geschickt‹, Ruth«, antworte ich, nun auch leicht angesäuert. »Klaus hat entschieden, in Zukunft auf Fuerteventura leben zu wollen.«

»Fuerteventura? Wollte er nicht früher einmal nach Teneriffa?«, wundert sich Ruth.

»Klaus will heute dies und morgen das. DAS genau war ja unser Problem.«

Das Angebot, eine Surfschule auf Teneriffa zu übernehmen, hatte Klaus meinetwegen ausgeschlagen. Eigentlich hatte er im vergangenen Winter geplant, das Strandbad in Ludwigshafen zur neuen Saison zu übernehmen, doch er hatte so lange mit seiner Zusage gezögert, bis die Gemeinde einen neuen Pächter eingesetzt hatte. Auf einmal hatte Klaus kein Ziel mehr gehabt … Schuld daran waren natürlich alle anderen. Irgendwann war der Sommer halb vorüber und Klaus hatte noch immer keine Ahnung, was er tun sollte. Ich muss mir selbst eingestehen, dass mir seine Unschlüssigkeit und sein mangelnder Ehrgeiz gehörig auf die Nerven gingen. Hauptsächlich deshalb, weil ich selbst durch die viele Arbeit im Café und in der Pension »Maiglöckchen« nebenan, die für uns in der Hauptsaison selbstverständlich ist, ständig unter Stress stand … während er es sich den ganzen Tag in den Strandbädern und Biergärten gut gehen ließ. Je besser seine Laune nach einem schönen Tag war, desto gereizter und ungerechter wurde ich. Ich machte ihm Vorwürfe, dass er »so gar nichts aus seinem Leben machte«, wodurch er sich immer mehr als Versager gefühlt haben musste. Auch wenn mir bewusst war, dass mein Verhalten nicht in Ordnung war, konnte ich doch nichts dagegen tun. An einem schönen Sommerabend gab es wieder einmal eine Missstimmung zwischen uns. Da platzte Klaus mit dem Angebot, einen Surfladen auf Fuerteventura zu übernehmen, heraus. Ohne auch nur eine einzige Minute zu zögern, bat ich ihn, es anzunehmen. Voller Wut und Enttäuschung darüber, dass ich ihn so schnell und leicht loslassen wollte und offenbar auch konnte, packte Klaus seine Siebensachen und verabschiedete sich enttäuscht in Richtung Kanarische Inseln.

»Du meinst, er war einfach nicht zuverlässig genug für dich, Maja?«, hakt Ruth nach.

Ich sehe sie an, unschlüssig, ihr wirklich zu sagen, was ich empfinde. Klaus ist ganz bestimmt nicht der zuverlässigste Geselle auf Erden … aber das allein war nicht der Grund, warum ich ihn bat zu gehen. Es ist nur die halbe Wahrheit und vielleicht nicht einmal das.

»Klaus ist ein sehr wertvoller und liebenswürdiger Mann …«, antworte ich daher ausweichend.

»Aber du liebst ihn nicht«, bringt Ruth es in ihrer direkten Art auf den Punkt.

Ich bin unfähig, ihr ebenso ehrlich darauf zu antworten. Würde sie nicht fragen, warum ich dann überhaupt mit ihm monatelang zusammen war? Müsste sie nicht ernsthaft glauben, ich habe ihn nur benutzt? Benutzt, um meine durch Christians Tod verletzte Seele und mein einsames Herz zu heilen? Ganz tief in mir drin weiß ich, dass die Antwort darauf ein klares »Ja« wäre. Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit. Klaus hat mir wirklich unendlich gut getan. In einer Zeit, in der ich vor lauter Kummer und Schmerz völlig am Boden war, stand mein alter Schulfreund Klaus plötzlich – als Weihnachtsmann verkleidet – vor mir in meinem Café »Butterblume«. In gewisser Weise hatte ich an ein Zeichen des Himmels geglaubt, ein unerwartetes Weihnachtsgeschenk, das das Schicksal mir gnädigerweise in den Schoss fallen ließ. Klaus hatte mich mit seiner unbekümmerten Art so oft zum Lachen gebracht und seine Liebe und seine Zärtlichkeit hatten mich zurück ins Leben geholt. Doch abgesehen davon gab es keine Gemeinsamkeiten zwischen uns. Wir waren zu gegensätzlich, um in der Lage zu sein, uns ein gemeinsames Leben aufzubauen.

»Ich habe es wirklich versucht, Ruth«, verteidige ich mich, auch wenn ich im Moment gerade nicht weiß, warum ich meine Gefühle vor irgendjemandem rechtfertigen sollte. Außer vor Klaus vielleicht oder mir selbst.

»Vielleicht hast du ja recht. Ich glaube, meine Gefühle für ihn waren einfach nicht stark genug. Sonst hätte ich sicher über manches hinweggesehen und ihn gebeten zu bleiben.«

Ich lasse meinen Blick über den See schweifen. Die Sonne steht schon reichlich tief und das Blau des Himmels hat sich in ein helles Graublau verwandelt. Auf dem Wasser ziehen leichte Nebelschwaden auf und lassen das andere Ufer wie durch einen Weichzeichner verschwimmen. Fröstelnd streiche ich über meinen Arm.

»Weißt du, in gewisser Weise war ich erleichtert, als er weg war. Kannst du dir das vorstellen? Dieses ganze Hin und Her, die Zweifel … das Unbehagen tief in mir drin … auf einmal war das alles weg.«

»Klaus war und ist eben nicht Christian, Maja«, sagt Ruth leise und streicht mir über die Hand. »Und das wird auch kein anderer Mann sein. Wenn du ständig alle mit ihm vergleichst, wirst du nie glücklich werden … und auf Dauer alleine bleiben.«

»Na und? Dann bleibe ich eben alleine. Was ist daran so schlimm? Es gibt Millionen Singles auf der Welt, die glücklich und zufrieden sind. Ich brauche keinen Mann, um glücklich zu sein«, antworte ich mit Nachdruck.

Ruth nickt, sieht mich aber zweifelnd an.

»Irgendwann wird es wieder jemanden geben, der dein Herz berührt, Maja. Da bin ich mir ganz sicher. Du bist viel zu jung und zu hübsch, um alleine zu bleiben.«

»Irgendwann vielleicht. Aber im Moment ist alles gut so, wie es ist. Sag mal, was stinkt hier eigentlich so? Es sieht so aus, als wäre es der Nebel.«

Dicke Rauchschwaden ziehen zu uns herüber.

»Das ist kein Nebel, Maja. Das ist Rauch«, antwortet Ruth und steht auf, um nachzusehen, wo der Rauch herkommt. »Ach, das ist wieder dieser komische Pankow«, sagt sie, nachdem sie um die Ecke des Hauses gesehen hat, und setzt sich wieder hin. »Du weißt schon, unser neuer Nachbar von schräg gegenüber, der vor Kurzem aus Brandenburg hierhergezogen ist. Er hat doch das kleine Häuschen mit dem verwilderten Garten von der alten Frau Müller geerbt.«

»Ach der. Pankow heißt der? Jetzt weiß ich, wen du meinst. Irgendwie ist das ein komischer Kauz. Er scheint weder einen Job, noch eine Frau zu haben und wurschtelt den ganzen Tag im Garten herum«, antworte ich.

»Genau der. Hundertprozentig verbrennt er wieder seine Gartenabfälle. Also Maja, wenn ich DU wäre, dann würde ich diesen Pankow anzeigen. Es kann doch nicht sein, dass er ständig in seinem Garten Feuer macht … das stinkt doch einfach entsetzlich. Erst gestern, als du auf dem Markt warst, konnte ich die ganze Wäsche wieder abnehmen, weil der stinkende Rauch in deinen Garten gezogen ist. Dabei war es so ein schöner Tag und die Wäsche hätte wunderbar draußen getrocknet werden können. Wie gesagt: Ich würde ihn anzeigen.«

»Das kann ich doch nicht machen, Ruth. Was soll das denn für eine Nachbarschaft werden, die schon mit einer Anzeige losgeht? Wenn der Rauch wirklich von einem Feuer aus dem Garten von diesem Pankow stammt, dann rede ich lieber einmal mit ihm. Mal abgesehen von dem Müll-Verbrennen scheint er ja eigentlich ganz nett zu sein. Jedenfalls hat er schon ein paarmal freundlich gegrüßt und mir erst neulich mit einer Sonnenblume aus seinem Garten zugewunken.«

»Ach so.« Ruth verdreht die Augen. »Das ändert natürlich alles.«

»Es wird langsam kühl.« Ich ziehe fröstelnd die Strickjacke um meine Schultern und stehe auf. »Lass uns lieber reingehen. Komisch … am Nachmittag ist es oft noch so schön, dass man im T-Shirt und barfuß draußen sitzen kann. Gegen Abend wird es von einer Minute auf die andere auf einmal kalt.«

»Sag ich doch. Die dunkle Jahreszeit steht vor der Tür«, antwortet Ruth, steht ebenfalls auf und stapelt die Teller übereinander.

»Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben …«, zitiert sie das wundervolle Herbstgedicht von Rilke, das ich sehr liebe. Auf einmal macht mich dieser Satz seltsam traurig.

Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben … auch ich werde in der bevorstehenden dunklen Jahreszeit wohl alleine sein. Im Café wird nach all der Hektik vom Sommer endlich Ruhe einkehren … doch was in aller Welt soll ich anfangen mit dieser Ruhe? Meine Tochter Nini ist nach dem erfolgreichen Abschluss ihrer Ausbildung zur Fotografin ihrem Freund Freddy nach Hamburg gefolgt und hat dort im September eine tolle Stelle bei einem renommierten Zeitschriftenverlag angetreten.

Als könne sie meine Gedanken lesen, fragt Ruth als wir hineingehen: »Warum fährst du nicht einmal in Urlaub?«

»Urlaub? Was soll ich denn im Urlaub, Ruth?«, frage ich sie erstaunt.

»Nun, seitdem ich dich kenne … und das sind immerhin schon einige Jahre … hast du dir meines Wissens keinen Urlaub gegönnt. Du hast immer nur gearbeitet. Erst hast du deine ganze Zeit und Kraft in das Café gesteckt. Dann hast du auch noch die Pension übernommen, das ganze Haus renoviert und jeden Tag bis zum Umfallen geackert. Tja, und nach Christians Tod hast du dich noch mehr in die Arbeit gestürzt … um deine Trauer zu vergessen. Das ist ja alles schön und gut, aber irgendwann muss man auch einmal ein paar Tage Urlaub machen. Ehrlich gesagt, Maja …«

»Ehrlich gesagt was?«

Fragend ziehe ich eine Augenbraue hoch. Was kommt jetzt? Wieder eine von Ruths ehrlichen Wahrheiten? Ich bin nicht so sicher, ob ich sie hören will.

»Ehrlich gesagt warst du in diesem Sommer so gestresst wie noch nie. Du bist mir oft furchtbar gereizt und genervt vorgekommen … und du hast viele Sachen durcheinandergebracht …«, antwortet Ruth vorsichtig.

»Wie bitte? Ich soll ›Sachen durcheinandergebracht‹ haben? Was meinst du denn damit? Das ist doch Blödsinn«, antworte ich aufgebracht und räume wütend das Geschirr in die Spülmaschine.

»Schon gut, Maja. So habe ich das nicht gemeint. Trotzdem glaube ich, dass dir eine kleine Auszeit sehr gut tun würde. Wie wäre es, wenn du einfach einmal ein paar Tage abhaust? Im November, wenn es hier grau und kalt wird? Im Café wird dann nicht mehr viel los sein … und mit den Stammgästen werde ich auch alleine fertig. Dasselbe gilt für Nora und die Pension ›Maiglöckchen‹.«

Begeistert von ihrer eigenen Idee sieht mich Ruth aufmunternd an.

»Ich weiß nicht recht …«, sage ich unbestimmt, obwohl plötzlich der Gedanke, wirklich einmal allem zu entfliehen, in der Tat etwas Verführerisches hat. Ich weiß, dass es Ruth gut mit mir meint und mich nicht kritisieren wollte. Möglicherweise hat sie ja recht und ich war in der letzten Zeit tatsächlich ein wenig überfordert. In den letzten Jahren habe ich ja wirklich viel zu viel gearbeitet, und zwar nicht nur, um meine Existenz zu sichern, sondern auch um den schrecklichen Unfall und Christians Tod vergessen zu können. Auch wenn ich mein Café und den Umgang mit den vielen verschiedenen Menschen wirklich liebe, so ist die Arbeit doch manchmal sehr anstrengend und einen geregelten Feierabend beziehungsweise ein Wochenende gibt es eigentlich nie.

»Du könntest nach Fuerteventura reisen. Es muss herrlich dort sein um diese Jahreszeit … und ich wüsste da jemanden, der sich ganz bestimmt gut auskennt und dich herumführen könnte«, sagt Ruth mit einem Augenzwinkern.

»Vergiss es«, antworte ich lächelnd.

Allerdings tauchen plötzlich Bilder in meinem Kopf auf … Bilder von einer anderen wunderschönen Insel mit vielen Palmen, Sonnenschein über dem blauen Meer und sanften grünen Hügeln. Teneriffa. Klaus hatte mir damals diese Bilder auf dem Computer gezeigt, als er mit dem Gedanken gespielt hatte, dort als Surflehrer zu arbeiten. Hohe Wellen, die auf den schwarzen Lavasand zurollen … bunte Stühlchen vor kleinen Tapas-Bars, auf denen gut gelaunte Urlauber das milde Klima bei einem Glas spanischem Rotwein genießen … im Hintergrund der schneebedeckte Gipfel des höchsten Berges und gleichzeitig Wahrzeichens Teneriffas »Teide« … die bunten Bilder sind auf einmal präsent in meinem Kopf, dabei hatte ich schon geglaubt, sie vergessen zu haben.

Ob so ein Urlaub mir wirklich gut tun würde? Auch alleine?

»Hättest du denn vielleicht Lust, mit mir zu kommen?«, frage ich spontan. Der Gedanke an Ferien im warmen, sonnigen Süden gerade jetzt, wo hier praktisch der Winter vor der Tür steht, beflügelt mich auf einmal.

Doch Ruth schüttelt lachend den Kopf.

»Das geht doch nicht. Eine von uns muss sich um den Laden hier kümmern.«

Ich habe den Verdacht, dass sie nicht nur den Laden, sondern auch ihren Mausebär meint.

»Ach Ruth, alleine macht Verreisen aber doch keinen Spaß. Ich bleibe lieber hier und kümmere mich um das Café. Fahr du doch mit deinem Michael ein paar Tage weg.«

»Michael kann im Moment keinen Urlaub nehmen. Außerdem haben wir doch im Frühling eine tolle gemeinsame Radtour durch Holland unternommen und einige schöne Sommerwochenenden auf dem See verbracht. Nein, Maja … jetzt bist du einmal dran. Du kannst nicht immer nur arbeiten. Und hast du nicht eben erst gesagt, du brauchst keinen Mann, um glücklich zu sein? Dann kannst du auch alleine verreisen. Nur zu. Es gibt ganz tolle Reiseangebote, gerade jetzt außerhalb der Schulferien. Die Welt ist soo schön.«

Die Welt ist so schön. Und ich habe noch gar nicht viel davon gesehen. Als alleinerziehende Mutter konnte ich es mir nie leisten, große Reisen zu unternehmen. Nini und ich haben das auch nie vermisst, denn immerhin leben wir ja in einer der schönsten Urlaubsregionen von ganz Deutschland. Hin und wieder haben wir Tagesausflüge in die Berge oder nach Stuttgart und München, sowie kleinere Touren nach Österreich oder in die Schweiz unternommen. Vielleicht haben wir deshalb gar nicht so viel entbehrt. Die Saison war gut und ich habe ein wenig Geld gespart. In den letzten Jahren habe ich immer alles, was ich verdient habe, ins Geschäft gesteckt … warum sollte ich mir nicht auch einmal etwas gönnen?

»Warum lächelst du so?«, fragt Ruth neugierig.

»Das fragst du noch? Du hast mir gerade einen Floh ins Ohr gesetzt«, antworte ich lachend.

»Super. Glaub mir, Maja … so ein Urlaub wird dir gut tun. Fuerteventura muss eine wunderbare Insel sein …«

»Wenn man Surfer ist, ganz bestimmt«, antworte ich. »Doch ich habe an ein anderes Urlaubsziel gedacht, Ruth.«

»Was ist denn das?«, ruft sie plötzlich statt einer Antwort.

Erschrocken springen wir beide auf, weil das laute Geheul des Martinshorns unser Gespräch unterbricht. Wir laufen zum Fenster und blicken auf die Straße.

Hell leuchtet Blaulicht in der einsetzenden Dämmerung. Es kommt immer näher und schließlich erkennen wir die großen Wagen, die mit hoher Geschwindigkeit auf uns zu durch die Seestraße fahren.

»Die Feuerwehr«, rufen wir beide wie aus einem Mund.

2. Kapitel Die Rübengeister

Im Nu ist die ganze Seestraße von den blau blinkenden Lichtern der Feuerwehr und den Einsatzfahrzeugen der Polizei hell erleuchtet. Nicht nur Ruth und ich, sondern viele Nachbarn und Schaulustige haben sich vor dem Haus von unserem neuen Nachbarn Pankow eingefunden.

»Sind Sie verrückt geworden? Was soll das Feuer in Ihrem Garten?«, ruft einer der Feuerwehrleute Pankow zu, der gerade in Jogginghose mit einer Bierdose in der Hand aus dem Haus tritt.

»Na und? Was regen Sie sich denn so auf? Man wird doch wohl noch ein kleines Feuerchen machen dürfen, um seine Gartenabfälle zu verbrennen«, schreit Pankow zurück.

»Ein ›kleines Feuerchen‹ nennen Sie das? Meterhohe Flammen und dicke, graubraune Rauchwolken, die die Umwelt verpesten und den ganzen Anwohnern Angst machen?«, mischt sich nun einer der Polizeibeamten ein.

»Mein Gott, jetzt machen Sie mal halblang. Was ist denn schon dabei? Ihr Süddeutschen seid aber auch päpstlicher als der Papst. Bei uns im Osten wurden früher in allen Gärten Gartenabfälle abgebrannt … das hat kein Schwein interessiert«, schimpft Pankow vor sich hin.

»Hier ist das aber schon von Interesse. Sorgen Sie dafür, dass das Feuer ausgeht und zwar schleunigst. Sobald die Feuerwehr zur Tat schreitet, wird es teuer für Sie. Mit einer Anzeige wegen Umweltverschmutzung müssen Sie trotzdem rechnen«, warnt der Polizeibeamte.

Widerwillig läuft Pankow zu seinem Gartenschlauch und beginnt, das Feuer zu löschen, das nun noch mehr Rauch entwickelt.

»Was für ein höllischer Gestank. Das war hoffentlich das letzte Mal«, sagt der Polizeibeamte ernst.

»Michael. Was machst du denn hier?«, ruft Ruth erfreut, als sie ihren Freund aus seinem Dienstwagen klettern sieht.

»Ich habe über Funk eine Meldung von einem Feuer in der Seestraße gehört und da wir gerade zufällig in der Gegend waren, dachte ich: Sehen wir doch einmal nach, ob bei den Damen in der ›Butterblume‹ alles in Ordnung ist.«

»Wir?«, fragt Ruth erstaunt und gleichzeitig sehen wir beide in die Richtung von Michaels Dienstwagen, aus dem gerade eine atemberaubend schöne junge Frau klettert.

»Bahar. Komm doch bitte mal kurz rüber … ich möchte dich gerne jemandem vorstellen«, ruft Michael ihr zu.

Die junge Frau, die Michael eben »Bahar« gerufen hat, wirft ihr langes, seidiges dunkles Haar nach hinten und kommt lächelnd auf uns zu. Ihre langen Beine stecken in hautengen Jeans, die ihre schlanke Figur betonen. Dazu trägt sie eine rote Lederjacke und schwarze Stiefeletten mit höheren Absätzen.

»Das ist Bahar Yilmaz, unsere neue angehende Kommissarin, die bei uns ihr Praktikum absolviert. Und diese nette junge Dame hier ist Maja Winter. Sie betreibt das Café ›Butterblume‹, in dem ich mir öfter einmal eine Tasse Cappuccino gönne. Na ja, du wirst es in der nächsten Zeit mit Sicherheit noch besser kennenlernen. Glaube mir, nicht nur der Cappuccino ist dort einfach spitze. Es gibt zum Beispiel auch einen wundervollen Schokoladenkuchen, zubereitet von meiner herzallerliebsten Ruth.«

Angehende Kommissarin? Ich hätte eher gedacht, dass wir gerade »Germany’s next Topmodel« vor uns stehen haben. Ich sehe an Ruths Blick, dass sie derselben Ansicht ist. Ihr Lächeln fällt im Gegensatz zu meinem allerdings recht sparsam und gequält aus, als Bahar mit hoher Stimme flötet:

»Oh, ich liebe Schokoladenkuchen. Ich kann es nicht erwarten, ihn zu probieren. Eigentlich könnte ich mich den ganzen Tag von Schokoladenkuchen ernähren. Aber man muss ja auf seine Figur achten … hihi.«

Bahar schenkt uns einen Blick aus großen, dunklen Augen.

»Du doch nicht«, sagt Michael und lässt seinen Blick anerkennend über ihre schmale Taille wandern.

Ruth wirft mir einen Blick zu, der besagt, dass ihr diese Bahar nicht halb so gut gefällt wie Michael.

»Dann werden wir Sie ja ganz bestimmt demnächst einmal in der ›Butterblume‹ begrüßen dürfen«, sage ich freundlich zu der jungen Frau, um abzulenken.

»Ganz bestimmt«, antwortet Bahar ebenso freundlich. »Ich werde in der nächsten Zeit viel mit Michael unterwegs sein.«

Sie schenkt ihm ein strahlendes Lächeln und setzt hinzu: »Obwohl ich erst seit zwei Tagen hier bin, habe ich schon soo viel von ihm gelernt.«

»Bahar ist ein echtes Naturtalent«, sagt Michael grinsend und setzt hinzu: »Sie ist die Beste auf der Hochschule der Polizei Baden-Württemberg in Villingen-Schwenningen und wird mich nun in der nächsten Zeit begleiten, um praktische Erfahrungen zu sammeln.«

»Wie schön«, antwortet Ruth mit schmalen Lippen. »Davon hast du mir ja noch gar nichts erzählt.«

»Ich kam noch gar nicht dazu, Hasimausi«, antwortet Michael. »Also dieser Nachbar von euch hat ja wohl wirklich einen an der Waffel, oder?«, wechselt er auf einmal das Thema. »Offensichtlich fühlt er sich auch noch im Recht.«

»Schon seit Tagen fackelt er in seinem Garten irgendwelche Abfälle ab«, klärt ihn Ruth auf. »Der ganze Rauch und Gestank zieht dann je nach Windrichtung zu uns herüber. Gerade eben habe ich erst zu Maja gesagt, dass sie ihn anzeigen soll. Das geht doch so nicht weiter.«

»Nun, ich hoffe, er hat heute einmal einen kleinen Denkzettel bekommen. Es wird sicher eine Anzeige gegen ihn geben. Vielleicht überlegt er sich ja dann in Zukunft, ob er wieder ein Feuerchen macht.«

»Ich weiß ja nicht, wie es euch geht …«, sage ich und zeige auf meine nackten Füße in den Sandalen. »Aber mir ist so langsam wirklich kalt und ich würde gerne zurück ins Haus gehen. Wie es aussieht, scheint das Feuer ja aus zu sein. Wollt ihr mitkommen und eine Tasse Tee mit mir trinken?«

Bahar nickt erfreut, doch Michael antwortet für sie beide:

»Ein andermal gerne, Maja. Aber Bahar und ich müssen zurück zur Dienststelle und noch ein paar Berichte schreiben.«

»Bist du zum Abendessen zu Hause?«, fragt Ruth ihn, doch er winkt ab.

»Es kann später werden. Ich melde mich.«

Michael winkt uns noch lächelnd zu, dann setzen sich die beiden ins Auto und fahren lachend davon.

»Bahar Yilmaz. Das ist doch ein türkischer Name, oder?«, fragt Ruth mich angesäuert. »Müssen die Türkinnen kein Kopftuch tragen?«

»Als Polizeibeamtin doch nicht. Nun sei doch nicht so eifersüchtig«, antworte ich lächelnd.

Ruth zieht eine Schnute. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie die Tatsache, dass ihr Michael in der nächsten Zeit jeden Tag viele Stunden mit dieser hübschen jungen Frau verbringen wird, nicht so gut findet. Ob Bahar nun Türkin oder Deutsche ist, macht dabei keinen Unterschied. Wäre Bahar nicht so attraktiv, hätte Ruth ganz bestimmt gar kein Problem mit ihr.

»Ruth, mir ist jetzt wirklich kalt.« Ich bewege mich in Richtung »Butterblume«. »Was ist, kommst du noch mit rein?«

Aber Ruth schüttelt den Kopf.

»Ich fahre lieber heim und lege mich in die Wanne. Ehrlich gesagt, muss ich das mit dieser Bahar erst einmal verdauen. Warum hat mir Michael nichts von ihr erzählt?«

»Vielleicht war es ihm nicht so wichtig, Ruth. Entspanne dich ein bisschen und freue dich, wenn er nachher nach Hause kommt. Streitet euch nicht. Es war für uns alle ein langer Tag.«

Seufzend nimmt mich Ruth in den Arm.

»Dann bis morgen, Maja. Gute Nacht.«

Noch während ich die Tür zur »Butterblume« aufschließe, habe ich den Brandgeruch in der Nase. Hoffentlich hat Michael recht und dieser Pankow hört jetzt auf mit den Feuerchen.

In der »Butterblume« ist es warm und gemütlich und es riecht zum Glück nach gebackenem Kuchen und nicht mehr nach verbranntem Grünzeug.

Ehrlich gesagt bin ich ganz froh, dass ich nun endlich meine Ruhe habe. Nach dem Zwiebelkuchen habe ich gar keinen Hunger mehr, sodass das Abendessen heute ausfallen kann. Ruths Idee mit der Badewanne ist gar nicht so schlecht, denke ich und so liege ich schon kurze Zeit später in duftendem Schaum und träume von Teneriffa.

Gleich nach dem wohltuenden Bad schlüpfe ich in meinen Schlafanzug und gieße mir ein Glas Spätburgunder ein. Das ist der Vorteil des Singledaseins, denke ich. Man kann in einem viel zu großen Flanell-Pyjama und ungeschminkt gemütlich vor dem Fernseher oder Laptop herumgammeln, ohne dass einen jemand sehen und unattraktiv finden könnte.

Schon kurze Zeit später habe ich einige sehr interessante Urlaubsangebote auf Teneriffa entdeckt, die nicht einmal sehr teuer sind. Die großen Hotelanlagen mit ihren riesigen Pools können mich nicht halb so sehr locken wie die kleinen, gemütlich wirkenden Pensionen, die zudem viel günstiger sind. Wozu brauche ich einen Pool, wenn das Meer direkt vor mir liegt? Auch die Halbpension kann ich mir sparen. Schließlich möchte ich viel von der Insel entdecken und lieber in den kleinen Tapasbars unterwegs einkehren und etwas essen. Ich werde mir einen kleinen Mietwagen nehmen, eine Inselkarte besorgen und einfach losdüsen.

Nanu? Wer klingelt denn so spät am Abend noch?

Ich spähe aus dem Fenster und sehe ein paar dunkle Gestalten vor meiner Haustüre stehen.

Wer kann das zu dieser Stunde noch sein? Begleitet von meiner kleinen Mischlingshündin Jojo gehe ich leise nach unten, zögere jedoch, die Tür zu öffnen, nicht zuletzt aufgrund meines Outfits. Ich spähe noch einmal aus dem kleinen Fenster neben der Eingangstür und entdecke, dass es Kinder sind, die ausgestattet mit ausgehöhlten Rüben und Kürbissen erwartungsfroh vor meiner Haustüre stehen. Nun fällt es mir ein: es ist Mitte Oktober, das können nur die »Rübengeister« sein.

Lächelnd öffne ich ihnen die Tür und betrachte die fantasievoll geschminkten Gesichter der fünf Kinder, die in großen Kartoffelsäcken stecken, die sie mit buntem Laub dekoriert haben.

»Wir sind die Rübengeister und essen keinen Kleister. Wenn Sie uns nichts geben, dann bleiben wir hier kleben«, lassen sie mich wissen.

»Na, dann will ich gleich einmal sehen, ob ich etwas anderes als Kleister für euch Rübengeister habe«, sage ich lächelnd und gehe in die Küche. Glücklicherweise haben wir noch ein paar Schokoladenmuffins übrig. Ich lege auch noch einige Seehupferl, unsere Spezialität, die den französischen Macarons sehr ähnlich sind, dazu und verpacke alles in einer kleinen Tüte. Dann kehre ich zurück zum Eingang, wo die Kinder geduldig auf mich gewartet haben.

Sie werden begleitet von einem kleinen Dackel, der erwartungsfroh mit dem Schwanz wedelt und an der Tüte schnüffelt.

»Ah, wie ich sehe, habt ihr Unterstützung dabei?«, frage ich und das kleinste der Kinder, ein Mädchen, das höchstens 8 Jahre alt ist, nickt.

»Mama hat gesagt, wir dürfen nur gehen, wenn wir ›Waldi‹ mitnehmen. Weil es schon so dunkel ist.«

»Gute Idee von deiner Mama.« Jojo scheint das auch zu finden, denn sie und »Waldi« starten gerade eine wilde gegenseitige Schnuffelei.

»Warum seid ihr überhaupt noch so spät unterwegs? Müsst ihr nicht längst zu Hause sein?«

»Sie sind die Letzte heute Abend«, antwortet der Größte, als spräche er über einen Job, den sie zu erledigen haben.

»So so … ›die Letzte‹. Da ist aber noch gar nicht viel drin in eurem Korb«, sage ich.

Traurig sagt das kleine Mädchen: »Es hat fast niemand aufgemacht.«

»Na, wenn das so ist …«, sage ich und lege das Gebäck in den fast leeren Korb. Ich krame meine Geldbörse aus der Tasche, die im Flur liegt und werfe noch einen 5 Euro Schein dazu. »… muss ich euch wohl heute unterstützen. Natürlich nur, weil ihr so schön ein Gedicht aufgesagt habt und euch so viel Mühe mit dem Verkleiden gemacht habt. Aber nun geht nach Hause. Es ist schon spät.«

Die Kinder bedanken sich und verschwinden freudig über ihre Ausbeute in der dunklen Nacht.

Ich kenne den Brauch der »Rübengeister« aus meiner eigenen Kindheit.

Im Herbst, nach der Erntezeit etwa Mitte Oktober, haben wir Kinder große Rüben und Kürbisse ausgehöhlt und Fratzen hineingeschnitten. Anschließend haben wir ein Teelicht hineingestellt und das Ganze als eine Art Laterne benutzt.

Ebenso wie die Kinder, haben auch wir uns damals verkleidet und geschminkt, Gedichte auswendig gelernt und diese bei den Nachbarn aufgesagt. Fast überall gab es eine Kleinigkeit für uns … Schokolade, Kekse oder andere Süßigkeiten. Zu Hause wurde die »Beute« natürlich sofort geteilt und einige der Süßigkeiten gleich gemeinsam vernascht.

Es war ein Riesenspaß, auf den wir und später auch Nini und ihre Freundinnen sich immer sehr gefreut haben.

Meine Mutter hat mir einmal erzählt, dass der Brauch der Rübengeister auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zurückging. Viele Familien litten insbesondere im Herbst unter großem Hunger. Die Tagelöhner hatten keine Arbeit mehr, weil die Erntezeit vorbei war. Sie schickten die Kinder auf die Felder, um Rüben zu stehlen. Aus dem Fruchtfleisch wurde Rübensuppe gekocht, in die Hülle der Rübe Gesichter geschnitzt und Kerzen hineingestellt. Mit diesen selbstgebastelten Lampen zogen die Kinder von Bauernhof zu Bauernhof und bettelten um Essen. Nicht um Süßigkeiten wie heute, sondern um Brot, Eier, oder Mehl.

Selbst als die Menschen schon längst keinen Hunger mehr leiden mussten, hielt sich der Brauch der »Rübengeister«, der den Kindern so viel Freude bereitet.

Irgendwann hielt auch in Deutschland durch die amerikanischen Einflüsse in Film und Fernsehen der Brauch von »Halloween« Einzug und die Kinder begannen, sich auf die Nacht vor Allerheiligen zu konzentrieren. Doch hier, in unserer ländlichen Gegend, scheinen die alten »Rübengeister« immer noch lebendig zu sein, denke ich lächelnd, als ich wieder zu meinem Laptop zurückkehre.

Kaum habe ich mich hingesetzt, klingelt es schon wieder.

Das darf aber jetzt doch nicht wahr sein. Seufzend gehe ich wieder zur Tür.

Bekomme ich denn heute Abend gar keine Ruhe?

»Was …?«, frage ich in der Erwartung, wieder die Kinder zu sehen.

Doch sind es nicht die Kinder, sondern ein überaus erboster Nachbar, der vor meiner Tür steht.

»Waren Sie das?«, schreit mich dieser Pankow an.

»Ihnen auch einen schönen guten Abend«, antworte ich so gelassen wie möglich.

Was erlaubt er sich, zu solch später Stunde hier aufzutauchen und sich nicht einmal dafür zu entschuldigen?

»Haben Sie mich bei der Polizei angezeigt? Nur weil ich ein paar Äste in meinem Garten verbrannt habe?«, pöbelt er mich an.

»Jetzt kommen Sie mal runter«, weise ich ihn zurecht. »Ich habe Sie überhaupt nicht angezeigt, obwohl mich der Rauch und Gestank, der aus Ihrem Garten zu mir herüberweht, zugegebenermaßen schon sehr stört und meine Freundin mir sogar dazu geraten hat. Aber ich wollte wegen der guten Nachbarschaft …«

»Gute Nachbarschaft nennen Sie das? Irgendeiner von diesen arroganten Vollidioten aus dieser bekloppten Straße gibt einen Dreck auf gute Nachbarschaft, sondern wählt lieber feige hinterrücks die Nummer der Polizei.«

»Ich kann verstehen, dass Sie das ärgert, Herr Pankow«, versuche ich, ihn zu beschwichtigen.

Der Mann, der vor mir steht, hat nicht nur eine Riesenwut, sondern auf jeden Fall ein paar Bierchen zu viel im Bauch.

»Aber Sie sollten vielleicht auch Ihre Nachbarn verstehen. Sie können doch wirklich nicht jeden Tag hier einfach so ein gemütliches Feuer machen«, versuche ich es auf die versöhnliche Tour.

»Was zum Teufel geht Sie das eigentlich an, hä? Kümmern Sie sich doch gefälligst um Ihren eigenen Mist«, schreit er mich an.

»Hören Sie, Herr Pankow … das reicht jetzt. Ich habe Sie nicht angezeigt und deshalb haben Sie kein Recht, mich hier so blöd anzumachen. Gute Nacht.«

Ich höre gerade noch, wie er »So so, SIE haben mich also nicht angezeigt. Ich hab genau gesehen, wie Sie vertraulich mit dem Typen von der Polente geredet haben. Aber wenn ich das rauskriege, dann werden Sie das bereuen« sagt, dann knalle ich ihm die Türe vor der Nase zu.

Zitternd kehre ich in mein gemütliches Wohnzimmer zurück. Diese Nachbarschaft geht ja gut los.

Gerade, als ich mich wieder setzen will und statt über den übellaunigen Pankow nachzudenken weiter von Teneriffa träumen möchte, klingelt es wieder. Das gibt es doch nicht. Was ist nur heute Abend los?

Ich spähe aus dem Fenster und entdecke wieder ein paar Rübengeister.

An diesem Abend bekomme ich noch dreimal Besuch von anderen Rübengeistern, die sich alle ebenso nett verkleidet haben und ein Rübengeist-Gedicht aufsagen.

Als es gegen 22 Uhr noch einmal klingelt, bin ich jedoch mit meiner Geduld am Ende. Außerdem ist der Vorrat an Süßigkeiten und kleinen Geldscheinen erschöpft. Es gibt nichts mehr, was ich noch geben könnte und ich überlege für einen kurzen Moment, die Tür nicht zu öffnen. Doch dann fallen mir die enttäuschten Gesichter der ersten Gruppe wieder ein.

Als ich diesmal die Tür aufmache, fährt mir der Schreck in die Glieder.

Vor der Tür stehen die schrecklichsten Rübengeister, die ich je gesehen habe. Falls es überhaupt Rübengeister sind. Der Größe nach handelt es sich eher um junge Erwachsene oder zumindest Teenager. Sie sind völlig in schwarz gekleidet und tragen gruselige Masken von Zombies und anderen Horrorgestalten. Trotzdem warte ich kurz, um mir ihr Gedicht oder was auch immer sie vorzutragen gedenken, anzuhören. Doch ich warte umsonst. Der Größte von ihnen hält die Hand auf und sagt mit tiefer, bedrohlich wirkender Stimme: »Entweder du gibst uns was oder die Rübengeister werden sich rächen.«

Immerhin ist dies ein ganzer Satz, der aus seinem Mund kommt, während die anderen einfach schweigen und mich mit ihren gruseligen Masken anglotzen. Eine ordentliche Alkoholfahne weht mir entgegen und macht mich ehrlich gesagt ein wenig wütend. Betrunkene Rübengeister. Wo gibt es denn so was?

»Hört mal, Leute … so geht das aber nicht«, sage ich deshalb. »Kleine historische Aufklärung für euch: die Rübengeister sind liebe Geister und drohen den Leuten nicht. Sie sagen ein nettes Gedicht auf oder singen etwas und bekommen dafür Süßigkeiten. Allerdings habe ich gar nichts mehr, was ich euch geben könnte.«

»Dann Geld«, sagt der Größte.

Das ist ja wohl die Höhe.

»Ich habe auch kein Geld mehr. Dafür waren schon zu viele Rübengeister heute Abend hier. Aber die haben im Gegensatz zu euch auch zu meiner Unterhaltung beigetragen. Lernt ein Gedicht auswendig, dann könnt ihr gerne wiederkommen. Vielleicht gibt es dann auch etwas.« Ich schließe die Tür. Mein Herz rast, so sehr haben mich diese dunklen Gestalten erschreckt.

Ich höre, wie sie »Drecksbitch« rufen, dann klatscht etwas gegen die Hauswand. Minutenlang traue ich mich nicht, die Tür noch einmal zu öffnen. Als sich ihre Schritte entfernt haben, gehe ich vorsichtig hinaus und sehe die Bescherung:

Die gelbe Hauswand meiner »Butterblume« ist total verschmiert … sie wurde mit Eiern und Tomaten beworfen.

*

In der Nacht kann ich kaum schlafen. Ständig höre ich irgendwelche seltsamen Geräusche im Garten, die mir Angst machen. Ich zermartere mir mein Gehirn, was diese böse Aktion sollte. Ich habe doch niemandem etwas getan und verstehe einfach nicht, wie man so böswillig sein kann. Was, wenn diese gruseligen »Rübengeister« wiederkommen und weitere Schäden an meinem schönen Haus verursachen oder mich sogar persönlich angreifen? Ich stehe auf, schleiche durch das Haus und prüfe, ob die Türen und Fenster verschlossen sind. Meine ängstlichen Gedanken gehen in alle Richtungen. Vielleicht hat ja einer von ihnen meine Handtasche im Flur liegen sehen und sie kommen tatsächlich zurück, um mein Geld zu stehlen, weil ich ihnen nichts gegeben habe? Irgendwann falle ich in einen unruhigen Schlaf, aus dem ich jedoch ständig aufwache. Gegen Morgen wache ich nach einem Albtraum, der von hässlichen Fratzen, dunklen Gestalten und Drohungen handelt, schweißgebadet auf. Ich verwerfe die Hoffnung, noch etwas erholsamen Schlaf zu finden und stehe auf. Auch der »Besuch« von diesem seltsamen Pankow gestern hatte mich mehr aus der Fassung gebracht, als ich zugeben wollte. Schließlich hatte auch er eine Drohung ausgesprochen, falls ich es gewesen sein sollte, die ihn bei der Polizei angezeigt hat.

Ich mache mir Gedanken, wie ich mich schützen kann. Soll ich mir vielleicht ein Pfefferspray besorgen, einen großen Knüppel neben das Bett legen oder vielleicht einen Selbstverteidigungskurs machen? Noch nie habe ich mich so unsicher und hilflos gefühlt. Traurig denke ich an die schöne Zeit mit Christian zurück. Ich konnte geborgen und sicher in seinem Arm einschlafen und habe mich rundum wohl gefühlt. Jetzt bin ich alleine und total auf mich selbst angewiesen.

Seufzend gehe ich nach unten, schließe zögerlich die Tür auf und werfe einen Blick auf die Hauswand, ob möglicherweise in der Nacht noch weitere Schmierereien oder Schäden hinzugekommen sind.Glücklicherweise nicht, aber ich ärgere mich über die hässlichen Verschmutzungen, die die bösen Geister letzte Nacht verursacht haben.

Schließlich werfe ich die Kaffeemaschine an und lasse Jojo für einen Moment in den Garten. Mir fällt auf, wie müde ihr Gang ist. Noch im letzten Jahr ist sie, sobald die Tür auch nur einen Moment offen stand, nach draußen geflitzt. Heute jedoch kommt es mir so vor, als wolle sie lieber bei mir in der warmen Stube bleiben. Sie wird langsam alt, die Kleine, denke ich bedauernd. Während ich auf Jojo warte, betrachte ich den zarten Nebelschleier auf dem See. Heute ist schon einer dieser kühlen Morgen, die den nahen Winter ankündigen, auch wenn der Tag vermutlich noch einmal schön und sonnig werden wird. Sobald sich der Nebel verzogen hat und die Sonne herauskommt, können wir uns ganz bestimmt noch einmal an einem wundervoll goldenen Oktobertag erfreuen. Anders als im November, wo der Nebel oft hartnäckig und dicht den ganzen Tag hängenbleibt, sind die Chancen auf einen solch sonnigen Tag heute noch einmal richtig gut. Mein Blick fällt auf die Kastanien, die ich gestern Abend auf dem Terrassentisch vergessen habe, und ich gehe schnell hinaus, um sie hereinzuholen. Gleich nach dem Frühstück dekoriere ich mit den Kastanien, ein paar Zweigen mit Hagebutten und Beeren, sowie vielen bunten Blättern aus dem Garten den Gastraum. Nun sieht es schon ein wenig herbstlich in unserem schönen Café aus. Auf die Tische habe ich zu den Kastanien kleine, gelbe Zierkürbisse gelegt, die hervorragend zu unseren hellgelben Wänden passen. Im Grunde freue ich mich schon auf die Zeit, in der wir es uns mit ein paar Kerzen und Büchern wieder in den eigenen vier Wänden gemütlich machen können. Ganz besonders freue ich mich auf die Adventszeit, die immer besonders schön und heimelig in unserer »Butterblume« gefeiert wird. Wenn nur der graue November nicht wäre. Aber ich habe ja schon einen kleinen Plan, wie ich diesem ein wenig entfliehen kann. Heute Nacht, als ich nicht schlafen konnte, habe ich beschlossen, Ruths großzügiges Angebot, auf die »Butterblume« aufzupassen, anzunehmen und für zwei Wochen nach Teneriffa zu reisen. Sonne. Füße im warmen Sand. Blaues Meer. Ein Cocktail in der Hand. Ich sehe alles bereits vor meinem geistigen Auge. Bevor ich es mir noch einmal anders überlegen kann, werde ich nachher gleich einmal in ein Reisebüro gehen. Ich habe zwar viele günstige Angebote im Internet gesehen, möchte mich aber trotzdem lieber persönlich beraten lassen, wo es auf der Insel am schönsten ist. Heute ist Ruhetag in der »Butterblume« und ich kann darum den ganzen Tag herrlich vertrödeln, vielleicht noch einen schönen Spaziergang am See machen und unterwegs einen Kaffee trinken gehen, ohne selbst Gäste bedienen zu müssen.

Dieser Plan beflügelt mich, obwohl mich nun die unangenehme Aufgabe erwartet, die Hauswand zu säubern.

Ich ziehe meine Jeans und den alten Ostfriesennerz an, den ich mitsamt ihrem Haus von meiner alten Freundin Frieda geerbt habe, und mache mich an die Arbeit. Mit dem Gartenschlauch gelingt es mir, das Nötigste von der Hauswand abzuspritzen, doch es ist auch noch etwas Feinarbeit gefragt. Mit dem Küchenschwamm in der Hand schrubbe ich die Hauswand und fluche leise vor mich hin: »So eine Bagage. Was für eine Frechheit … was bilden die sich ein? Mein schönes Haus zu beschmutzen? So eine Sauerei.«

»Mit wem sprichst du, Maja?«, fragt Ruth, die ich gar nicht habe kommen hören.

Sie sieht sich suchend um, als erwarte sie, denjenigen zu sehen, mit dem ich gerade schimpfe.

Außerdem lässt sie misstrauisch ihren Blick über mein Outfit wandern.

»Ruth. Hast du mich erschreckt!«, entgegne ich vorwurfsvoll.

»Ach ja? Wen hast du denn erwartet?«

»Niemanden. Wir haben heute RUHETAG, schon vergessen?«

Ruth nickt lachend.

»Und da dachtest du, du putzt mal eben aus Langeweile die Hauswand?«

»Blödsinn. Ich hatte gestern Besuch von ungewöhnlichen Rübengeistern.«

In wenigen Worten erzähle ich Ruth von meinem gestrigen aufregenden Abend.

»Ach, du liebe Zeit. Na, denen hätte ich aber was erzählt«, sagt sie teilnahmsvoll. »Du solltest sie anzeigen. Das ist doch Sachbeschädigung.«

»Ach, Ruth. Du immer mit deinen Anzeigen. Das bringt doch nix. Ich weiß doch nicht einmal, wer die waren, geschweige denn, wie sie aussehen. Davon abgesehen handelt man sich damit doch nur Ärger ein.«

Ich erzähle Ruth auch von dem abendlichen Besuch des Herrn Pankow und seiner Drohung, er würde sich rächen, wenn sich herausstellt, dass ich es war, die ihn bei der Polizei angezeigt hat.

»Der Pankow hat sie auch nicht alle«, antwortet Ruth. »Aber nur, weil einem diese Typen Angst einjagen, kann man sich doch nicht alles gefallen lassen. Sprich doch einmal mit den anderen Nachbarn. Vielleicht sind diese Rübengeister ja dort auch gewesen und unangenehm aufgefallen.«

»Ach, ich weiß nicht. Vielleicht übertreibe ich ja auch, weil ich alleine in dem großen Haus lebe. Tagsüber ist ja immer viel Leben in der Bude, aber abends kann es ganz schön einsam sein.«

Ruth wirft mir einen Blick zu und ich weiß genau, was sie damit sagen will.

Obwohl ich gestern vor Ruth so getan habe, als brauche ich keinen Mann, ist es doch nicht immer einfach, alleine zu leben. Es hat schon einen Vorteil, einen Mann im Haus zu haben, insbesondere, wenn man wie ich etwas abgelegen wohnt und das Haus in einem großen, von der Straße nicht leicht einzusehenden, Garten liegt. Sowohl Christian als auch Klaus hätten jedenfalls den aggressiven Pankow gestern in die Schranken verwiesen. Einfach aus der Tatsache heraus, dass sie Männer sind.

Vielleicht hätten sich dann auch die ungezogenen Jugendlichen die Eier-Aktion nicht getraut.

Doch es lohnt sich nicht, darüber nachzudenken. Wie Ruth so schön gesagt hat, habe ich Klaus selbst in die Flucht geschlagen, also sollte ich mich jetzt auch nicht bemitleiden.

Damit sie nicht wieder mit diesem Thema anfängt, sage ich schnell: »Ganz bestimmt waren es nur ein paar freche, alkoholisierte Jugendliche. Zum Glück bin ich ja nicht ganz allein, sondern habe meine kleine Jojo«, sage ich, auch wenn diese als Wachhund nicht wirklich geeignet ist.

So ganz beruhigt bin ich trotz meiner Worte natürlich nicht.

Was, wenn diese komischen Rübengeister, die gar keine waren, wirklich wiederkommen?

Vielleicht haben sie sich ein Haus ausgeguckt, in das sie einbrechen können?

»Was machst du überhaupt hier, Ruth?«

»Was soll ich denn zu Hause?«, antwortet diese mit einer Gegenfrage. »Michael ist mit seiner Miss Schwarzauge-Zahnstocherbein unterwegs. Weißt du, dass er mich doch tatsächlich gefragt hat, was ›Bahar‹ heißt? Frühling. Und dabei hat er gestrahlt wie ein Honigkuchenpferd.«

Unwillkürlich muss ich lachen, obwohl Ruths Gesichtsausdruck gar nicht fröhlich aussieht.

»Und was hast du ihm geantwortet?«, frage ich sie.

»Ich habe gesagt: ›Mein lieber Michael, das mag ja sehr schön sein mit dem Frühling. Aber wir haben nun einmal gerade Herbst. Diese Jahreszeit passt auch irgendwie besser zu dir, meinst du nicht auch?‹«

»Das hast du ihn nicht im Ernst gefragt?«

»Doch, na klar habe ich das. Was meinst du, wie lange er heute früh im Bad gebraucht hat? Als er endlich herauskam, duftete er wie die ganze Herrenabteilung der Parfümerie Drahtmann. Und so viel Wert hat er noch nie auf seine Kleidung gelegt wie heute.«

»Ach, Ruth, das bildest du dir ein«, sage ich beschwichtigend, auch wenn mir nicht entgangen ist, wie Michael diese Bahar gestern angesehen hat. »Ich glaube, es tut ihm einfach gut, von dieser Kommissarin-Azubine angehimmelt zu werden. Für Bahar ist das alles Neuland und eine tolle Abwechslung von der Schulbank. Und Michael als ›alter Hase‹ kann ihr sicher viele wertvolle Tipps geben …«

»Oh ja. Davon bin ich überzeugt«, seufzt Ruth.

»Weißt du was? Wir machen uns einen schönen Tag und denken heute einmal nicht an die Männer«, sage ich, um sie aufzuheitern. »Lass uns nach Konstanz fahren und ein bisschen bummeln gehen. Ich würde gerne kurz in ein Reisebüro und ein paar Prospekte holen, anschließend könnten wir am Hafen irgendwo einkehren und was Nettes essen. Was meinst du?«

»Danke, Maja, das ist lieb von dir. Aber geh du mal lieber alleine. Ich habe am späten Nachmittag einen Frisörtermin und wollte vorher noch gerne ein paar Bleche Zwiebelkuchen backen, damit wir für das Wochenende ausgerüstet sind. Außerdem möchte ich gerne das Café ein wenig herbstlich dekorieren. Ich war heute Morgen schon einkaufen und habe den halben Kofferraum voll mit Kerzen, Servietten und so weiter.«

»Ich habe auch schon ein wenig mit der Herbstdekoration begonnen und ein paar Kastanien und Kürbisse auf den Tischen verteilt«, erkläre ich. »Schade, dass du nicht mit nach Konstanz kommen willst. Ich hätte dich gerne dabeigehabt. Wir machen so selten etwas zusammen.«

»Maja, wir arbeiten zusammen und sehen uns jeden Tag. Wir sind ja schon wie ein altes Ehepaar«, antwortet Ruth lachend.

»Sag mal … was hast du eben gesagt? Dein Frisörtermin ist erst am späten Nachmittag? Dann wirst du also ein paar Stündchen hier in der »Butterblume« sein, oder?«

»Ganz bestimmt. Ich wüsste nicht, was ich alleine zu Hause soll. Warum fragst du?«

»Wie gesagt, ich würde gerne den heutigen schönen Tag ein wenig ausnutzen. Aber …«

Mein Blick fällt auf Jojo, die müde in ihrem kleinen Körbchen liegt.

»Du möchtest Jojo gerne hierlassen? Das kannst du gerne. Was soll sie auch in Konstanz in der Fußgängerzone? Ich gebe ihr zu Mittag etwas zu fressen und lasse sie ein bisschen in den Garten. Dann hast du Ruhe bis zum frühen Abend.«

»So langsam glaube ich, dass du hellsehen kannst, Ruth. Weißt du, die Kleine hat in der letzten Zeit ganz schön abgebaut. Sie ist eben nicht mehr die Jüngste.«

Ein unbeschwerter Tag in der goldenen Oktobersonne liegt vor mir. Fröhlich setze ich mich in meinen Mini und fahre schon kurze Zeit später über den Bodanrück nach Konstanz. Auf dem Rückweg werde ich die Fähre von Konstanz nach Meersburg nehmen. Aber jetzt, da sich der Nebel gelichtet hat, ist es besonders schön, durch die bunt gefärbten Wälder und die kleinen Dörfchen zu fahren. In Konstanz herrscht wie immer reges Treiben und ich genieße den ausgiebigen Bummel durch das lebendige Städtchen. In einer kleinen Boutique erstehe ich ein hübsches knallrotes Kleid, das zwar nicht wirklich zu der bevorstehenden Wintersaison, jedoch ganz bestimmt nach Teneriffa passt. Nach meinem Besuch im Reisebüro gönne ich mir, bewaffnet mit zahlreichen Prospekten und ausgestattet mit vielen hilfreichen Informationen seitens der freundlichen Reisebüroangestellten eine Tasse Cappuccino und ein Stück Zwetschgenkuchen. Ich kann nicht umhin, daran zu denken, dass der Zwetschgenkuchen von Ruth tausendmal besser schmeckt, dennoch freue ich mich über diese gemütliche Stunde in dem Café am Konstanzer Hafen.

Auf der Fähre gehe ich die Treppe hinauf an Deck und lasse meinen Blick über den See schweifen, der dunkel und eindrucksvoll vor mir liegt. Beinahe kommt man sich auf dem großen Schiff vor wie auf einer Mini-Kreuzfahrt. In der Ferne sind auf der Schweizer Seeseite die hohen Berge zu sehen, die schon weiße Kuppen tragen. Vor mir liegt das kleine Bilderbuch-Städtchen Meersburg mit dem großen Schloss und der alten Burg, die auf einem Hügel thront und jedes Jahr unzählige Besucher anzieht.

Obwohl schon später Nachmittag ist, scheint noch immer die Sonne, doch wenn man genau hinsieht, entdeckt man die leichten Nebelschwaden am Uferrand, die sich schon bald ausbreiten werden und den Tag von einem Sommertag in einen Herbstabend verwandeln werden.

Ich bedauere, dass das Schiff schon bald anlegt und trödele auf der Heimfahrt nach Nußdorf ein wenig herum. Beim Fischer Geiger in Unteruhldingen halte ich an, um etwas geräucherten Fisch für mein Abendessen zu besorgen, anschließend erstehe ich in einem Bauernhofladen noch Kartoffeln, Zwiebeln, Tomaten, sowie einen Riesenkürbis, den ich ebenfalls aushöhlen, schnitzen und als Dekoration vor die Tür stellen möchte.

Der Ausblick über die Weinberge bei der Klosterkirche Birnau auf den See ist an diesem frühen Abend einfach atemberaubend.

Inzwischen ist es fast dunkel geworden, doch als ich in Nußdorf in die Seestraße einbiege, traue ich meinen Augen kaum. Die ganze Seestraße scheint hell erleuchtet: Grelles Blaulicht blinkt mir entgegen, noch viel heller als beim letzten Mal. Und was noch viel schlimmer ist: Dicke, dunkle Rauchschwaden ziehen durch die ganze Straße. Dieser ausgekochte Pankow. Hat er doch wieder ein Feuer in seinem Garten gemacht. Dass er sich das nach der gestrigen Aktion und der Warnung der Polizei noch getraut hat … einfach unglaublich, dieser Mann.

Doch als ich näherkomme, setzt mein Herzschlag für einen Moment aus. Es ist kein Feuer im Garten von Herrn Pankow, was ich sehe … und die Feuerwehr steht auch nicht vor seinem, sondern vor meinem Haus.

Ich kann es nicht fassen, was ich sehe: Hohe Flammen schlagen aus der »Butterblume«. Ich halte an, steige aus und gehe fassungslos auf das Haus zu. Es kann einfach nicht sein … mein Café brennt … meine schöne »Butterblume«. Die Tür wurde aus den Angeln gerissen, Fensterscheiben sind nur noch vereinzelt vorhanden und überall schlagen große Flammen aus allen Öffnungen. In diesem Moment fällt laut krachend das Schild über dem Eingang herunter. Es ist unfassbar heiß und man kann in den dichten Rauchschwaden kaum die Feuerwehrleute erkennen, die hektisch durch den Garten laufen. Die Flammen leuchten so hell, dass man nicht direkt in das Feuer sehen kann. Ungläubig bleibe ich etwa zehn Meter von dem Gebäude entfernt stehen und spüre die extreme Hitze. Starker, hellbrauner Rauch steigt jetzt weit in den Himmel und Dutzende von Feuerwehrleuten laufen wild umher. Die meisten von ihnen tragen Schutzanzüge, Sauerstoffflaschen und Atemmasken. Wasserschläuche werden hastig aufgerollt. Einige stehen schon unter Druck und die Feuerwehrleute beginnen sofort, Wasser in das Gebäude zu pumpen. Jetzt steigt weißer Wasserdampf aus dem Haus. Es ist gespenstisch. Doch es gibt keinen Zweifel: Die schöne alte Villa brennt lichterloh. Ungläubig und gleichzeitig geschockt stehe ich vor dem Haus, Tränen laufen meine Wangen herunter. Jemand legt plötzlich seinen Arm um meine Schultern und sagt: »Maja« … dann werden auf einmal meine Knie weich.

3. Kapitel Das Ende eines Lebenstraums

Erschrocken blicke ich in die Augen von Michael. Wie tröstlich es ist, ihn zu sehen … obwohl mir ganz schrecklich übel ist. Ich bin fassungslos … meine geliebte »Butterblume« wird gerade ein Raub der Flammen.

Das darf doch einfach nicht wahr sein: Alles, wofür ich in den letzten Jahren gelebt und gearbeitet habe, löst sich in diesem Moment in Rauch auf.

»Maja, bist du in Ordnung?«

In Ordnung? Soll das ein Witz sein?

Natürlich macht Michael keine Witze, sondern sieht mich mit ernster Miene an.

»Geht es wieder, Maja? Bitte trete zurück. Das ist hier zu gefährlich für dich«, sagt er bestimmend und schiebt mich einige Meter weiter nach hinten. »Die Feuerwehr tut alles, um den Brand schnell zu löschen. Wir sind hier, um die Maßnahmen abzusichern und die Brandursache zu erforschen.«

Zögernd weiche ich zurück und erst jetzt bemerke ich die große Menschenmenge, die sich hinter der polizeilichen Absperrung versammelt hat. Entsetzt schaue ich auf die vielen gaffenden Menschen, die das Feuer als spannendes Ereignis betrachten, während mein Lebenswerk zerbricht.

»Maja, ich muss dir jetzt ein paar Fragen stellen«, sagt Michael wieder in einem dienstlichen Ton. Ich sehe ihn ängstlich an und spüre seine Angespanntheit. Er trägt eine deutlich sichtbare Armbinde mit der Aufschrift »Polizei« und mir wird bewusst, dass er hier jetzt viel zu tun hat, sich im Stress befindet und mich nicht nur trösten kann. Gleichzeitig sehe ich, wie Bahar, die ebenfalls eine Polizeiarmbinde trägt, in einiger Entfernung umherläuft.

»Was macht Bahar denn da?«, frage ich.

»Sie sucht nach Zeugen und beobachtet das ganze Geschehen. Bei Bränden kann es vorkommen, dass ein Brandstifter in der Nähe die Löscharbeiten beobachtet. Es gibt auch Fälle, bei denen der Brandstifter unter den Feuerwehrleuten zu suchen ist. Die tun sich dann mit besonderem Eifer hervor«, erklärt Michael.

»Michael, hast du ›Brandstiftung‹ gesagt?«, frage ich entsetzt.

»Ja, aber das machen wir nur vorsorglich. Bisher ist noch alles unklar«, erwidert Michael.

In diesem Moment kommt Bahar zu uns herüber und sagt: »Ich habe alle Leute befragt, die hier herumstehen. Keiner will gesehen haben, wie das Feuer entstanden sein könnte. Bis auf einen Nachbarn … Was dieser Nachbar, ein gewisser Herr Sinner, gesagt hat, war sehr merkwürdig …«

»Merkwürdig? Inwiefern?«, fragt Michael.

»Also dieser Herr Sinner hat angeblich einen anderen Mann beobachtet, der kurz nach Einbruch der Dunkelheit vor der ›Butterblume‹ stand. Kurz darauf habe es einen Knall gegeben und das Feuer sei ausgebrochen. Herr Sinner hat natürlich sofort die Feuerwehr gerufen, die glücklicherweise wenige Minuten später eintraf.«

»Und der andere Mann?«

»Er soll weggelaufen sein. Nein, warte … Herr Sinner hat gesagt, dass der Mann weggehumpelt sei.«

Weggehumpelt? Der alte Pankow fällt mir ein.

Ich erinnere mich, wie er gestern Abend von der »Butterblume« weggelaufen ist.

Hat er nicht das rechte Bein ein wenig nachgezogen?

»Und wo ist dieser Sinner jetzt? Ich will mit ihm reden. Vielleicht fällt ihm sonst noch etwas ein«, fragt Michael Bahar.

»Er musste dringend ins Krankenhaus. Seine Frau wurde heute operiert …«

»Bahar. Das darf doch nicht wahr sein. Der einzige Zeuge, der etwas gesehen haben will …«

»Keine Sorge, Chef«, antwortet Bahar mit einem schiefen Lächeln. »Ich hab ihn für morgen früh um acht gleich aufs Revier bestellt.«

Ein Lob erwartend sieht sie Michael an. Doch dieser fragt nur weiter:

»Wann hat dieser Sinner das beobachtet? Wie sah das Feuer zum Zeitpunkt der Entdeckung aus? Wo hat es gebrannt? Wie groß war das Feuer? Wie sah der Rauch aus? In welche Richtung ist der Mann gelaufen? Wie sah der Mann aus? Genaue Beschreibung? Was hatte er an? Wie alt schätzt der Sinner den Typen? Gab es Besonderheiten?«

Bahar ist von den vielen Fragen total überfordert und stammelt: »Es soll ein älterer Mann gewesen sein, der einen Blaumann trug und in südliche Richtung lief … beziehungsweise humpelte.« Man sieht ihr an, dass es ihr peinlich ist, dem Zeugen diese wichtigen Fragen nicht gestellt zu haben.

Michael wendet sich wieder mir zu und fragt: »Maja, wann warst du zuletzt in der Butterblume?«

»Gegen 12 Uhr. Dann bin ich nach Konstanz gefahren. Ruth wollte hierbleiben und …«

»Also war Ruth die Letzte, die sich im Haus aufgehalten hat. Wann wollte sie das Lokal verlassen und wo ist sie jetzt? Ich habe sie telefonisch nicht erreichen können. Wo ist sie jetzt?«, wiederholt Michael seine Frage nervös.