Sylter Sommerlicht - Christine Rath - E-Book

Sylter Sommerlicht E-Book

Christine Rath

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Beschreibung

Die Passagiere des luxuriösen Kreuzfahrtschiffes »MS Eurora« erfreuen sich einer traumhaften Sommernacht vor der Küste Sylts, da ertönt plötzlich das schrille Signal »Mann über Bord«. Der wohlhabende Unternehmer Lars Larson wird an Bord vermisst, die Kripo steht zunächst vor einem Rätsel. Ein weiterer mysteriöser Todesfall ereignet sich auf der Insel und die Mordkommission tappt trotz intensiver Ermittlungen weiter im Dunkeln. Treibt hier ein eiskalter Mörder sein böses Spiel?

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Christine Rath / Dieter Jaeschke

Sylter Sommerlicht

Romantik-Krimi

Zum Buch

Mord ahoi »Mann über Bord«! Erschrocken hören nicht nur Lisa und Sven, sondern alle Passagiere des luxuriösen Kreuzfahrtschiffes »MS Eurora«, die sich auf ihrem Weg nach Sylt an der herrlichen Sommernacht erfreuen, das schrille Signal. An Bord wird der wohlhabende Unternehmer Lars Larson aus Hamburg vermisst. Ist er betrunken von Bord gefallen, wie man zunächst nach einer dramatischen, aber erfolglosen Suchaktion annimmt? Oder hat er Selbstmord begangen? Die Kriminalpolizei steht vor einem Rätsel. Die Ermittlungen der Kripo laufen auf Hochtouren, als auch noch eine ominöse Entführung öffentlich wird. Dass es sich hierbei keineswegs um ein menschliches Wesen handelt, tut der hohen Forderung der Entführer keinen Abbruch.

Nachdem ein weiterer, äußerst seltsamer Todesfall auf der Insel bekannt wird, tappt die Mordkommission völlig im Dunkeln. Treibt hier etwa ein hinterhältiger Mörder sein böses Spiel?

Die Autorin Christine Rath, Jahrgang 1964, lebt und schreibt am Bodensee, dem »Schwäbischen Meer«, wo sie mit ihrer Familie ein kleines Hotel betreibt. Hier findet sie durch die vielen interessanten Begegnungen und Situationen mit anderen Menschen neue Ideen für ihre Romane. Ihre Wurzeln hat sie jedoch an der Ostsee und auf der Insel Sylt, auf der ihre Eltern einige Zeit lebten. An beiden Meeren findet sie in der zauberhaften Natur Ruhe und Erholung.

Ihr Ehemann Dieter Jaeschke wurde an der Nordseeküste geboren, hat zunächst eine Ausbildung zum Reedereikaufmann sowie Schiffmakler absolviert und war danach ein Jahr lang als Seespediteur in London tätig. Anschließend wechselte er zur Polizei nach Berlin und studierte dort an der Hochschule für Wirtschaft und Recht. Insgesamt war Dieter Jaeschke 35 Jahre lang bei der Kripo in Berlin tätig. Inzwischen lebt er seit fünf Jahren am Bodensee.

 

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag

(Christine Rath):

Mondblumenrätsel (2020)

Kastanienfeuer (2017)

Windflüstern (2017)

Eisblumenglitzern (2016)

Heidezauber (2016)

Maiglöckchensehnsucht (2015)

Sanddornduft (2014)

Wildrosengeheimnisse (2013)

Butterblumenträume (2012)

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

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Alle Rechte vorbehalten

2. Auflage 2020

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Jenny Sturm / shutterstock.com

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-8392-5888-0

Widmung

Für unsere Kinder

Am Strande

Vorüber die Flut.

Noch braust es fern.

Wild Wasser und oben

Stern an Stern.

Wer sah es wohl,

O selig Land,

Wie dich die Welle

Überwand.

Noch braust es fern.

Der Nachtwind bringt

Erinnerung und eine Welle

Verlief im Sand.

Rainer Maria Rilke

1. Kapitel Briefe

Lisa

Ach, wie gut das tut! Lisa streift ihre Schuhe ab, nimmt sie in die Hand und läuft barfuß durch den warmen Sand. Manche Dinge kosten nichts und machen doch so glücklich. Sie lässt den Blick über den weiten Strand schweifen, auf dem sich Dutzende Menschen in der Sonne aalen oder sich an einem Sprung in die kühlen Wellen erfreuen. Als sie einen leer stehenden Strandkorb entdeckt, setzt sie sich für einen Augenblick hinein und lässt den Blick über das weite Meer schweifen. In diesen Anblick – die weißen Schaumkronen auf den blauen Wellen, die unentwegt auf den hellen Sand zurollen, hatte sie sich gleich verliebt, als sie zum ersten Mal auf die Insel kam. Lisa kann gar nicht glauben, dass es erst zwei Jahre her ist. Irgendwie hat sie das Gefühl, schon immer hier gewesen zu sein. Für einen Moment schließt sie die Augen und lässt ihr Gesicht vom warmen Wind streicheln. Intensiv nimmt sie die Geräuschkulisse um sich herum wahr: Spielende Kinder, ein Ehepaar, das sich im Strandkorb nebenan um die Wahl des Abendlokals streitet, eine Möwe, die direkt über ihr einen heiseren Schrei ausstößt. Ein ganz normaler Tag am Meer, nicht nur für die Badegäste, sondern auch für alle Eisverkäufer und Rettungsschwimmer, die seit Tagen im Dauereinsatz sind, weil so mancher die Kraft der Wellen unter- und seine eigene überschätzt. Den ganzen Tag schon hatte Lisa sehnsüchtig die vielen Menschen betrachtet, die mit Badetaschen und Strohhüten ausgestattet an ihrem kleinem Souvenirladen »Strandgut« in Hörnum vorbei auf ihrem Weg zum Strand waren. Leider hatten sich nicht allzu viele von ihnen in ihren Laden verirrt, sodass die Kasse wieder einmal nahezu leer geblieben war.

Gleich nach der Arbeit hatte Lisa eilig das kleine Geschäft abgeschlossen und sich ihre Einkaufstasche geschnappt, um noch schnell ein paar Zutaten für den »Hamburger Pannfisch«, den Sven so liebt, und eine gute Flasche Wein zu besorgen. Doch kaum als sie bei dem kleinen Lebensmittelgeschäft in Hörnum angekommen war, hatte ihr Handy geklingelt und Sven ihr mitgeteilt, dass aus ihrem geplanten Wochenende, auf das sich Lisa schon so lange gefreut hatte, leider nichts werden könne, weil er einen wichtigen Termin mit einem potenziellen Investor namens Lüders für ein Großprojekt in der Hafencity wahrnehmen müsse. Enttäuscht war Lisa nach Hause zurückgegangen und hatte Alma angerufen, welche Lisa die schlechte Stimmung sofort angemerkt und ein Alternativprogramm für den heutigen Abend angeboten hatte: Ein Konzert mit dem Sylter Shanty-Chor in der Musikmuschel in Westerland und zuvor ein Glas Wein oder ein leckerer Cappuccino sowie eine Kleinigkeit zu essen im hübschen Lokal »Badezeit« an der Kurpromenade.

Und nun sitzt Lisa hier am Strand von Westerland und lässt sich glücklich vom warmen Wind streicheln. Wie gerne hätte sie diesen Moment mit Sven geteilt! Aber es ist nun einmal, wie es ist: Sven ist ein viel beschäftigter Mann und kann nicht jedes Wochenende mit Lisa verbringen, auch wenn sie sich das noch so sehr wünscht. Sie muss einfach Verständnis für seine Arbeit aufbringen, genauso wie er es versteht, dass Lisa durch den Laden sehr angebunden ist und nicht einmal spontan zu ihm nach Hamburg fahren kann. Lisa blickt auf die kleine Armbanduhr, die Sven ihr zu Weihnachten geschenkt hat: schon kurz vor 19 Uhr! Hat sie tatsächlich eine ganze halbe Stunde im Strandkorb gesessen? Seufzend verlässt sie das schöne Sonnenplätzchen. Obwohl sie so zeitig in Westerland war, ist sie durch die Trödelei am Strand auf einmal spät dran, denn die beiden sind um 19 Uhr verabredet und Alma ist grundsätzlich bis auf die Minute pünktlich. Aber dieser Moment im Strandkorb musste einfach sein!

Glücklicherweise ist es nicht weit bis zum Café »Badezeit«. Lisa muss nur ein paar Schritte durch den warmen Sand und über die Kurpromenade laufen und schon ist sie da. Wie erwartet sitzt Alma bereits an einem der weißen Tische und rührt in einer Tasse Kaffee, die vor ihr steht. Wie jung sie aussieht, denkt Lisa. Mit ihren hellen Haaren und dem leicht gebräunten Teint, dazu einem flotten Outfit, das aus einem rot-weiß gestreiften Shirt und Jeans besteht, könnte kein Mensch auf den Gedanken kommen, dass Alma schon weit über 70 ist. Grundsätzlich scheint es Alma ohnehin vollkommen egal zu sein, wie alt sie ist, weil sie total mit sich im Reinen ist, denkt Lisa schmunzelnd.

Alma, die Lisa vor zwei Jahren auf Wunsch ihres verstorbenen Vaters auf Sylt suchen sollte und die ihr damals glücklicherweise den »Strandgut«-Laden mit der dazugehörigen Wohnung vermietet hat, ist inzwischen, wenngleich sie auch wesentlich älter ist, Lisas beste Freundin und Ratgeberin in allen Lebenslagen geworden.

Wie gut, dass Alma heute Zeit für sie hat. Lisa muss ihr nämlich unbedingt etwas ganz Wichtiges erzählen.

»Moin, mien Deern«, begrüßt Alma und umarmt Lisa herzlich. »Es ist zwar schade, dass dein Herzblatt heute keine Zeit für dich hat, aber ich freue mich natürlich, dass wir uns auf diese Weise einmal sehen. Weißt du was? Wir beide machen uns jetzt einen richtig schönen Abend. Und ihr beiden seht euch ja nächstes Wochenende sowieso …«

»Nächstes Wochenende?«, fragt Lisa und angelt sich die Speisekarte herüber. Soll sie auch den leckeren Streuselkuchen nehmen, den Alma vor sich stehen hat, oder lieber einen der leckeren Salate, die auf der Karte stehen?

»Na, da ist doch dein Geburtstag!«, sagt Alma und grinst schelmisch.

Eigentlich hatte Lisa das kommende Wochenende schon seit Wochen erfolgreich aus ihren Gedanken verdrängt. Das Wochenende, an dem ihr Geburtstag sein wird. Das Wochenende, an dem sie 50 wird. 50! Bis jetzt war diese Zahl einfach nur eine Zahl. Aber nun, da sich dieser runde Geburtstag in erschreckendem Tempo nähert, erscheint ihr diese Zahl immer bedrohlicher. Ein halbes Jahrhundert wird sie alt. Alt. Dieser Gedanke hatte sie in den letzten Wochen regelrecht aus der Fassung gebracht. Am liebsten wäre ihr gewesen, dieser Tag würde gar nicht stattfinden. Nicht nur in ihrem Kopf, sondern überhaupt nicht. Am liebsten hätte sie ihn übersprungen, wäre abends eingeschlafen und erst am übernächsten Tag aufgewacht. Dann wäre sie zumindest schon 50, was auch nicht gerade lustig wäre, aber sie müsste sich deswegen wenigstens nicht feiern lassen.

Doch inzwischen sieht alles ganz anders aus. Lisa nimmt ein Kuvert aus der Tasche und schiebt es zu Alma herüber.

»Was ist das?«, fragt diese neugierig und schiebt sich genussvoll ein Stück Streuselkuchen in den Mund. Die Entscheidung ist gefallen: Auch wenn es bereits Abend ist, dieser Kuchen sieht so lecker aus, dass Lisa auch ein Stück davon haben muss.

»Das lag vorhin im Briefkasten. Sven meinte, ich hätte ihn wohl länger nicht geöffnet und solle einmal hineinsehen.«

Alma nimmt das weiße Blatt Papier aus dem Umschlag, auf dem Svens krakelige Schrift und so etwas Ähnliches wie ein Schiff erkennbar ist.

»Liebste Lisa, da ich weiß, wie wenig dir an einer Geburtstagsfeier gelegen ist, habe ich beschlossen (und auch schon deine Familie und Freunde informiert!), dich für ein paar Tage zu entführen. Ich hole dich am 29. Juni um 16 Uhr am Hamburger Hauptbahnhof ab. Der Rest ist eine Überraschung! Nur so viel: Du benötigst Garderobe für fünf Tage. Dresscode sportlich-elegant, ein paar hübsche Kleidchen dürfen nicht fehlen, ebenso wenig wie ein Badeanzug und eine Daunenjacke. Alma wird dein Lädchen in deiner Abwesenheit übernehmen – das ist ihr Geburtstagsgeschenk. Ich freue mich auf dich! Kuss, Sven.«

»Meine Güte, ich habe ja schon gedacht, Sven rückt gar nicht mehr mit der Sprache heraus!«, sagt Alma grinsend und legt das Papier beiseite.

»Du wusstest also davon«, stellt Lisa fest, obwohl dies ja aus Svens Brief hervorgeht. »Natürlich wusste ich davon. Schließlich muss ja jemand auf den Laden aufpassen, wenn du nicht da bist. Und wer könnte das besser als ich?«, sagt Alma und grinst. »Meine Güte, dieser Sven, da macht er so ein Theater, dass wir alle auch ja nix verraten – und dann behält er sein Geheimnis so lange für sich. Ich dachte, womöglich wird das gar nix mehr mit seiner Entführung!«, sagt Alma lachend und sieht dabei wieder so unglaublich jung aus. Auf einmal schämt sich Lisa, weil sie sich wegen ihres 50. Geburtstages so angestellt hat.

»Du bist mir ja eine! Warum hast du mir nichts davon gesagt? Und was ist das überhaupt für eine Entführung?«, fragt sie nun neugierig.

»Na, das soll dir dein Sven mal hübsch selber verraten, mien Deern. Ich werde seine Überraschung ganz sicher nicht kaputt machen.«

»Was für eine süße Idee von Sven. Er wusste, dass ich am liebsten flüchten würde«, sagt Lisa. »Ich freue mich ja so sehr! Weißt du was, Alma? Es mag dir seltsam vorkommen, aber auf einmal macht mir dieser blöde Geburtstag gar nichts mehr aus. Im Grunde hätten wir ja auch eine kleine Feier machen können. Ich weiß auf einmal selbst nicht mehr, warum ich mich so doof verhalten habe«, gesteht sie und steckt sich wieder ein Stück des leckeren Kuchens in den Mund.

»Ich verstehe dich sehr gut. Glaub mir, als ich 50 wurde, habe ich mich auch nicht gerade gefreut. Nun wirst du alt, habe ich gedacht und mich zu Hause eingeigelt. Doch der Tag ging vorüber, und ich fühlte mich seltsamerweise auch nicht älter als in den 40ern. Von da ab habe ich mir gedacht: »Eigentlich ist das Alter doch schietegol. Hauptsache, man ist gesund. Natürlich zwickt es manchmal hier und da. Und glaube mir, die Wehwehchen werden nicht weniger, je älter man wird. Aber wenn es weiter nix ist! Solange man sich noch freuen kann, ist man doch nicht alt. Den 60. und den 70. Geburtstag habe ich darum wieder richtig gefeiert. Und warte erst auf meinen 80.! Da lassen wir es richtig krachen«, sagt Alma lachend.

Auch Lisa muss lachen. Von Alma kann ich mir wirklich eine Scheibe abschneiden, denkt sie. Außerdem tut ihr Almas Verständnis für ihr kindisches Verhalten richtig gut. Niemals hätte sie geglaubt, dass sich auch Alma mit 50 schrecklich alt gefühlt hat.

»Heutzutage gehört man mit 50 doch noch lange nicht zum alten Eisen. Da starten viele Frauen noch einmal richtig durch!«, sagt diese nun. »Früher war das ja noch ’n büschen anders. Da trugen die Frauen eine Kittelschürze und färbten sich nicht die Haare. Ab 50 wurden sie optisch zur Oma«, sagt Alma grinsend. »Heute tragen wir mit über 70 noch Bluejeans und tanzen auf unserer eigenen Hochzeit.«

Beim Gedanken an Almas und Johanns Hochzeit im vergangenen Jahr muss Lisa lächeln. Die beiden sahen so glücklich aus!

»Woran denkst du? Du hast so ein hübsches Lächeln im Gesicht«, sagt Alma und lächelt ebenfalls.

»Ich dachte gerade daran, wie ihr beiden auf eurer Hochzeit getanzt habt. Das war so ein schöner Tag.«

»Oh ja!«, freut sich Alma. »Und ich freue mich schon darauf, das zu wiederholen. Ich meine, auf eurer Hochzeit zu tanzen!«, setzt sie mit einem Augenzwinkern hinzu.

»Ach, Alma. Das wird nicht geschehen. Ich glaube nicht, dass Sven das will. Wir sind doch beide geschieden, jeder von uns hat bereits eine Ehe in den Sand gesetzt. Da wird man vorsichtig.«

»Sooo, Herr Schröder, jetzt setzen wir uns hier erst einmal hin und dann gibt’s gleich etwas Leckeres zu essen« ertönt plötzlich eine laute Stimme am Nebentisch. »Ist dir das nicht zu viel Sonne?«

Lisa sieht zum Nachbartisch herüber, neugierig, weil die Dame ihren Begleiter erst »Herr Schröder« nennt und ihn dann plötzlich duzt.

Erstaunt bemerkt sie eine ältere, sehr vornehm aussehende Dame, die einen teuren silberfarbenen Schal von Louis Vouitton trägt und nun genau das gleiche silbergraue Exemplar des Schals auf dem Stuhl neben sich ausbreitet, um … ihren Hund darauf zu setzen! Diesen besonders schönen Schal hat Lisa erst neulich in der Auslage einer Kampener Boutique bewundert. Er war dort für knapp 600 Euro zu erwerben, und diese Dame besitzt ganz offensichtlich zwei davon. Dem kleinen Hundepopöchen dagegen scheint der Schal nicht allzu sehr zuzusagen. Das kleine Hundegesicht sieht irgendwie beleidigt aus, vermutlich, weil er entweder lieber ein richtiges Kissen unter seinem Allerwertesten haben oder am allerliebsten über den Strand toben würde, um die Möwen zu jagen, statt hier zwischen lauter Zweibeinern auf einer Caféterrasse zu sitzen, nur weil sein Frauchen gerade ein Stück Sahnetorte essen möchte.

»Was möchte denn das kleine Schrödilein happa-happa essen?«, fragt die Dame und setzt sich eine Brille auf, um die Speisekarte zu lesen.

»Oh, sieh nur! Hier gibt es Lammbratwürste – die isst du doch so gern!«, sagt sie zu dem kleinen Hund, der immer noch demonstrativ in die andere Richtung schaut.

»Manchen Hunden geht es besser als manchen Kindern«, sagt Lisa mit einem Seitenblick auf die Dame zu Alma.

»Oder manchen Männern«, antwortet diese grinsend. Dann setzt sie flüsternd hinzu:

»Kennst du die Dame nicht? Das ist Freya von Elsholt, sozusagen eine Nachbarin von uns in Kampen. Sie geht öfter einmal mit ihrem Hundchen an Johanns Kiosk vorbei spazieren. Das heißt, sie geht spazieren und ›Herr Schröder‹ sitzt in ihrer teuren Handtasche und streckt nur sein kleines, verwöhntes Cavalier King Charles Spaniel-Köpfchen heraus.«

»Ach, so nennt sich die Rasse also?« , fragt Lisa amüsiert. »›King Charles‹ passt auch besser zu ihm als ›Herr Schröder‹, finde ich.« Lisa kann sich das Lachen nicht verkneifen.

»Psssst!« Alma legt einen Finger über den Mund. »Sie muss uns ja nicht unbedingt hören. Eigentlich ist Frau von Elsholt nämlich eine sehr nette und vor allem sehr einsame ältere Dame. Seit dem Tod ihres Mannes lebt sie ganz allein in ihrem schönen Haus in Kampen. Kinder hat sie nicht, also wird eben der kleine Hund total verwöhnt und vergöttert. Sieh dir nur sein Halsband an! Es ist mit echten Diamanten besetzt! Ist das nicht total verrückt?«

Lisas Blick fällt auf das Halsband des Hundes, das in der Tat mit lauter funkelnden Steinen besetzt ist.

»Bist du sicher, dass es nicht nur billige Bling-Bling-Steine sind?«, fragt sie erstaunt.

Alma schüttelt den Kopf.

»Sie hat es mir selbst erzählt. Neulich auf dem Gemeindefest. ›Herr Schröder‹ war in diesen Tagen ihren Worten zufolge sehr depressiv, weswegen sie gleich einen Termin beim Hundeflüsterer gemacht hat.«

»Bitte wo? Ein Hundeflüsterer? So etwas habe ich noch nie gehört!«

»Das ist ein Hundepsychologe. Angeblich soll der Typ der Beste seines Fachs sein, jedenfalls laut Frau von Elsholt. Bei Schrödis Depressionen hat er jedoch offenbar nicht allzu viel geholfen. Weswegen ihm sein Frauchen zum Trost das schmucke Halsband geschenkt hat.«

»Du liebe Zeit! Die hat doch einen Knall!«, echauffiert sich Lisa und schüttelt den Kopf.

»Sie hat auf jeden Fall ein einsames Herz und weiß nicht, wohin mit ihrem Geld. Da wird eben der kleine Hund verwöhnt.«

Die beiden blicken zum Nachbartisch herüber, an dem Herr Schröder gerade mit Lammbratwürstchen gefüttert wird. Der leichte Abendwind weht durch seine kleinen Puschelohren, wodurch das teure Halsband zu sehen ist.

»Unglaublich. Wo kann man denn so etwas kaufen?«, fragt Lisa neugierig.

»Hier in Westerland gibt es doch diesen schicken Laden für Hundeaccessoires mit dem klangvollen Namen ›Chica Puppy‹. Dort gibt es alles, was das Hunde- beziehungsweise Frauchenherz begehrt«, klärt mich Alma auf. »Dort kann man glamouröse Hundehalsbänder ebenso wie Kaschmirdecken oder Designermäntelchen für sein Hundeschätzchen finden.«

»Ein Hundeschätzchen habe ich ja noch nicht, aber wer weiß? Vielleicht werde ich ja auch einmal so enden: einsam und allein und nur mit einem kleinen Hund zu meinen Füßen. Allerdings wird das dann wohl eher ein Mischling und kein King Dingsbums sein, und sein Halsband vom Discounter statt vom Chica-Laden«, antwortet Lisa grinsend.

»Ich denke nicht, dass du einmal einsam und alleine enden wirst, Lisa«, sagt Alma lächelnd.

»Womit wir wieder bei dem Thema wären, bei dem wir eben stehen geblieben sind. Du denkst also, Sven möchte nicht noch einmal heiraten? Was ist mit dir, was möchtest du denn? Würdest du gerne noch einmal vor den Traualtar treten?«, fragt Alma und ihre Augen blitzen schelmisch.

»Ich weiß nicht«, sagt Lisa ausweichend.

Es gibt wenig Menschen, denen Lisa so vertraut wie Alma, darum gibt sie zu:

»Weißt du, nach der Trennung von Andreas war ich erst einmal froh, alleine zu sein. Nach den vielen Jahren unserer Ehe, in denen ich ja mehr oder weniger nur dazu da war, seine Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen, war ich glücklich, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Alleine die Entscheidung treffen zu können: Gehe ich frühstücken oder mache ich mir ein Marmeladenbrot in der Küche, hat mich mit Freude erfüllt. Doch in letzter Zeit habe ich öfter gedacht, dass es schön wäre, wieder jemanden immer um sich zu haben. Nicht nur am Wochenende. Nicht nur zu Besuch. Morgens zusammen aufwachen. Zusammen frühstücken. Abend für Abend zusammen einschlafen. Das Gefühl, zusammenzugehören. Dass der andere nicht einfach wieder weggeht, für immer, meine ich.«

»Als ob Sven das tun würde«, sagt Alma.

»Ach, wer kann das schon sagen?«, antwortet Lisa.

Sie sieht Alma an, unsicher, ob sie nach allem, was sie ihr heute schon gestanden hat, auch noch mit ihr über ihre Verlustangst sprechen soll. Die Angst, die seit ihrer Kindheit tief in ihr schlummert. Genau genommen, seitdem Lisas Mutter weggegangen und sie und ihren Vater von einem Tag auf den anderen verlassen hat. Seitdem gibt es tief drin in ihr dieses Gefühl, dass sich das einmal wiederholen könnte. Vielleicht hatte sie ja gerade deswegen so lange in einer unglücklichen Ehe ausgeharrt, weil sie weder ihren Kindern, noch ihrem Mann das Gleiche antun wollte. Und natürlich auch selbst Angst davor hatte, wieder alleine zu sein. Erst als Lisas Mann Andreas sie auf schamlose Weise betrog und ihre Kinder alt genug waren, ihr eigenes Leben zu führen, war sie zu diesem Schritt bereit gewesen. Doch der Weg in ein freies und selbstbestimmtes Leben war nicht leicht gewesen. Wäre sie nicht nach Sylt gekommen und hätte diese Insel, das Meer und diese wunderbaren und ehrlichen Menschen Alma und Johann kennen- und liebengelernt – wer weiß, ob sie nicht eines Tages umgekehrt wäre.

»Sven und ich sind sehr glücklich. Auch ohne Trauschein«, sagt sie nun bestimmt.

»Das weiß ich doch. Deshalb glaube ich auch nicht, dass Sven die Absicht hätte, dich jemals zu verlassen.«

»Woher willst du das wissen? Das kann man ja nicht vorausahnen. Ich meine, schließlich kommt es oft genug vor. Es gibt eben Menschen, die gehen einfach weg. Ohne das vorher anzukündigen. Von einem Tag auf den anderen stehst du da und fragst dich: Was habe ich getan? Hätte ich es verhindern können? Was ist falsch an mir?«

Alma sieht Lisa prüfend an. »Worüber sprichst du? Lisa, ich kenne dich nun schon eine ganze Weile, und ich glaube gut genug, um zu wissen, dass es hier nicht um Sven geht?«

Nein, es geht nicht um Sven. Selbst wenn Lisa manchmal Angst hat, auch ihn zu verlieren. Sie fürchtet sich davor, dass er eines Tages anruft und nicht nur ein Wochenende aus geschäftlichen Gründen, sondern ihre ganze gemeinsame Zukunft über den Haufen werfen wird. Aber haben sie denn überhaupt eine gemeinsame Zukunft? Sie haben nie darüber gesprochen. Sie leben im Hier und Jetzt, also genau so, wie man es tun soll. Sie sind glücklich miteinander. Doch Lisa weiß aus eigener Erfahrung, dass von heute auf morgen alles ganz anders sein kann. Der Mensch, dem man vertraut, der Mensch, den man an seiner Seite glaubt, kann einen aus heiterem Himmel verlassen. Einfach weggehen. Ohne einen Grund anzugeben, sodass man sich fortan stets fragen wird, was man falsch gemacht hat.

»Du denkst an deine Mutter, ja?«, fragt Alma nun plötzlich, als könne sie Lisas Gedanken erraten. Natürlich weiß Alma, was damals geschehen ist. Dass Lisas Mutter ihren Vater und die kleine Lisa verlassen hat, um als Schauspielerin in Berlin zu arbeiten, als Lisa noch zur Schule ging. Aber Alma weiß nicht, wie sehr Lisa darunter gelitten hat. Lisas Vater hatte sein Leben lang sein Bestes getan, um seinem Kind Vater und Mutter zugleich zu sein. Er hatte auf seine eigenen Bedürfnisse und sogar auf seine große Liebe Alma, die er in einem Urlaub auf Sylt kennengelernt hatte, verzichtet, um Lisa ein geregeltes und ordentliches Leben am Bodensee zu ermöglichen. Doch obwohl er immer für Lisa da war, hatte ihr die Mutter oft gefehlt. Vor allem, als sie in die Pubertät kam und viele Fragen zu ihrer Weiblichkeit hatte, die sie weder ihrem Vater noch der Großmutter stellen wollte. Es gab so viele Momente, in denen sie sich gewünscht hatte, eine Mutter zu haben, die für sie da ist. Zum Beispiel, als alle ihre Freundinnen mit ihren Müttern ein Kleid für den Abiball aussuchten. Sie hätte eine Mutter gebraucht, die sie berät, ob sie sich die Haare schneiden lassen … oder die Pille nehmen soll … ob es sich lohnt, wegen der ersten Liebe zu weinen. Aber es gab keine Mutter. Das Schlimmste jedoch war, dass Lisa sich lange Zeit gefragt hatte, ob sie vielleicht schuld daran war, dass ihre Mutter sie verlassen hatte, denn welche Mutter lässt schon ihr einziges Kind im Stich?

Ohne lange zu überlegen, nimmt Lisa nun einen weiteren Brief aus ihrer Handtasche. Ein fliederfarbenes Kuvert, das mit kleinen Röschen bedruckt ist.

»Lies mal«, sagt sie und schiebt den Brief zu Alma herüber.

»Noch ein Brief?«

»Der lag vorhin auch im Briefkasten. Keine Ahnung, wie lange er da schon drin war. Ich habe den Briefkasten in letzter Zeit nicht so oft geöffnet. Ist doch immer nur Reklame drin, und Rechnungen«, gesteht Lisa.

Unsicher betrachtet Alma das fliederfarbene Kuvert. Hatte sie sich bei dem letzten Brief bereits gedacht, dass er von Sven sein könnte, so zögert sie nun, das Kuvert zu öffnen.

»Das kann ich doch nicht lesen, das ist doch an dich adressiert!«, zögert Alma.

»Doch, bitte. Ich brauche deinen Rat«, sagt Lisa, auch wenn das eigentlich nicht stimmt, da sie ihre Entscheidung bereits getroffen hat.

»Na gut, wenn das so ist«, gibt sich Alma geschlagen und öffnet vorsichtig das Kuvert.

»Liebe Lisa,

ich hoffe sehr, dass du diesen Brief geöffnet hast und meine Zeilen lesen wirst. Du wirst sicher den Absender gelesen haben und wissen, von wem der Brief stammt. Ich habe schon dreimal begonnen, und jedes Mal finde ich nicht die richtigen Worte. Nun will ich einfach versuchen, dir so zu schreiben, wie ich denke und empfinde.

Wir haben lange, viel zu lange nichts voneinander gehört. Ich weiß nicht, ob dir dein Vater je von mir erzählt hat und wenn ja, was er gesagt hat. So viele Jahre sind vergangen, seitdem ich dich zum ersten Mal in meinen Armen gehalten habe …«

Bei diesen Worten entfährt Lisa ein »Pah!« und sie verdreht die Augen.

»Um genau zu sein: 50 Jahre! Ein halbes Jahrhundert, ist das nicht unglaublich? Ich möchte, dass du weißt, dass ich in all den Jahren immer an dich gedacht habe. Besonders in diesen Tagen, in denen sich dein Geburtstag nähert, sind meine Gedanken immer besonders bei dir.«

Lisa schüttelt unbewusst den Kopf.

»Zuerst habe ich Briefe und Pakete geschickt, doch nachdem diese unbeantwortet blieben, gab ich irgendwann auf.«

Alma sieht Lisa fragend an. Wieder schüttelt diese den Kopf.

»Das stimmt nicht! Ich habe nie wieder von ihr gehört«, sagt Lisa mit Nachdruck. Wie kommt diese Frau dazu, so dreist zu lügen? Lisas Vater hätte ihr doch kein Geschenk von ihrer Mutter vorenthalten!

»Doch warst du immer in meinen Gedanken, das musst du mir glauben. Irgendwann bekam ich mit, dass du eine eigene Familie gegründet hast und ich habe mich für dich gefreut, dass du glücklich bist. Es muss etwas geschehen sein, dass dieses Glück zerbrach, weshalb du – ebenso wie ich – den Bodensee verlassen hast, um fern von zu Hause ein neues Leben anzufangen.

Ich würde mich sehr gerne mit dir darüber unterhalten. Mehr noch, ich wünsche mir so sehr, ein klein wenig Teil deines neuen Lebens zu sein, nachdem wir so viele Jahre verschenkt haben. Vielleicht kannst du mich nun, da du selbst ein ähnliches Schicksal erlebt hast, besser verstehen. Das wünsche ich mir wirklich von Herzen. Ich möchte dich gerne besuchen, Lisa. Und ich denke, dein 50. Geburtstag wäre eine gute Gelegenheit dafür.

Deine Mutter«

»Ist das nicht unglaublich? Was bildet sie sich eigentlich ein?«, entfährt es Lisa. »›Vielleicht kannst du mich nun, da du selbst ein ähnliches Schicksal erlebt hast, besser verstehen?‹ Das ist doch unfassbar, oder? Ich habe kein ähnliches Schicksal wie sie erlebt! Ich habe nicht meinen Mann und mein kleines Kind verlassen, um aus egoistischen Gründen ein Lotterleben am Theater zu führen!«

»Ich verstehe sehr gut, dass du wütend bist, Lisa«, versucht Alma zu beruhigen und sieht sie verständnisvoll an.

»In der Tat kann man wohl euer beider Leben kaum miteinander vergleichen. Dennoch muss man wohl die Absicht anerkennen …«

»Anerkennen?«, unterbricht Lisa sie.

»Ich soll anerkennen, dass sie mich im Stich gelassen hat? Dass sie sich mein ganzes Leben lang nie um mich gekümmert hat, weil ihr andere Dinge wichtiger als ich waren? Die große Bühne, ihre Schauspielkollegen, die Regisseure –das ist natürlich eine andere Welt als die einer kleinen Mietwohnung am Bodensee, wo der Mann in einem Möbelhaus arbeitet, um Geld zu verdienen, und ein kleines Mädchen Tag für Tag nur von ihren Schulproblemen erzählt!«

Wütend springt Lisa auf, wobei der Tisch zu wackeln beginnt, dass die Tassen klirren.

»Meine Güte!« Frau von Elsholt nimmt am Nachbartisch den kleinen Herrn Schröder in den Arm.

»Nun mäßigen Sie sich einmal! Mein Hund hat sich ja total erschrocken!«, empört sie sich. Plötzlich erkennt sie Alma und grüßt, wenn auch nicht gerade freundlich.

Vermutlich fragt sie sich, wie die ruhige Alma an eine derartig ungezogene Person wie Lisa geraten konnte.

»Donnerwetter! Ich hätte ja nicht gedacht, dass du ein solches Temperament hast!«, staunt Alma und grinst Lisa an, nachdem sie Frau von Elsholt freundlich zugenickt hat. »Das sind wohl die stillen Wasser …«

»Bitte entschuldige«, sagt Lisa. »Aber dieser Brief macht mich so unglaublich wütend. Wie kann sie annehmen, dass ich mich nach über 40 Jahren, in denen sie sich null für mich interessiert hat, über einen solchen Brief freue und sie sogar zu mir nach Hause einlade? Um sich mit mir zu ›unterhalten‹? Worüber denn? Über ihr Leben? Oder meins? Da ist mir doch der Briefträger näher, der mir jeden Tag die Post bringt. Nein, das kann sie vergessen! Auf eine Einladung zu mir kann sie warten, bis sie schwarz wird. Ich habe sie nie gebraucht und das tue ich auch jetzt nicht. Es hat nie eine Mutter in meinem Leben gegeben und das wird es in diesem Leben auch nicht mehr. Egal, wie viele Lügen sie über Briefe und Päckchen, die sie angeblich an mich geschickt hat, verbreitet.«

Lisa atmet tief aus.

»Das ist aber ein bisschen hart, findest du nicht?«, fragt Alma sanft.

»Hart? Weißt du, was hart ist? Wenn man die Windpocken hat und als einziges Kind keine Mutter, die einen liebevoll einreibt oder einem zur Ablenkung aus dem Märchenbuch vorliest. Wenn die anderen Kinder, die zum Spielen kommen, fragen: ›Wo ist denn deine Mama?‹ und man am liebsten sagen würde ›auf dem Friedhof‹, weil man sich schämt, dass die eigene Mutter einfach abgehauen ist.«

»Es gibt viele Paare, die heutzutage geschieden sind. Und so manches Kind wächst beim Vater auf«, wirft Alma ein.

»Heutzutage ja. Aber nicht vor 40 Jahren. In unserer kleinen heilen Welt am Bodensee gab es nur intakte Familien mit Vater, Mutter, Kind. Nur bei uns war es anders. Jedenfalls kam mir das so vor.«

»Vielleicht kam dir das wirklich nur so vor. Nicht alle ›intakten‹ Familien sind so intakt, wie wir glauben, Lisa. Und das war damals sicher nicht anders als heute. Vielleicht warst du neidisch auf diese in deinen Augen ›richtigen‹ Familien, aber wer weiß, ob da nicht Abend für Abend gestritten wurde, während dein liebevoller Vater mit dir auf dem Trimm-dich-Pfad war und dir anschließend eine Leberwurststulle geschmiert hat?«

Alma hat es tatsächlich geschafft, Lisa wieder zum Lächeln zu bringen. Vielleicht hat sie ja recht. Alma kannte Lisas Vater, sie hat ihn sogar geliebt. Und sie hat erlebt, wie er zu seinem Kind war.

Irgendwann hatte Lisa gelernt, ihre Mutter nicht mehr zu vermissen. Sie hatte sie aus ihren Gedanken gestrichen. Und das soll auch so bleiben! Dieser Brief jedoch hat die Vergangenheit wieder aufgewühlt. All die traurigen Gedanken und Gefühle, auch die Wut auf sie sind auf einmal wieder da.

»Lass deine Mutter kommen, Lisa! Vielleicht habt ihr euch ja viel zu sagen«, schlägt Alma vor.

»Warum soll ich jemanden zu mir kommen lassen, der mir fremd ist? ›Meine Mutter‹ nennst du sie? Ich habe keine Mutter, Alma.«

2. Kapitel »Ein Schiff wird kommen«

Lisa

Das Treiben auf dem Hamburger Hauptbahnhof ist unbeschreiblich. Nun ärgert sich Lisa, dass sie nicht genauer hingehört hat, als Sven den Namen des Zeitungsladens genannt hat, vor dem sie sich heute treffen wollen. Aber sie war so beschäftigt gewesen, nebenbei ihren kleinen Koffer nach Svens Vorgaben zu packen, dass sie vermutlich nicht richtig zugehört hat. Nun steht sie hier, mit dem Köfferchen in der Hand, das, wie sie hofft, die richtigen Dinge für den Überraschungstrip enthalten wird, und wartet. Sie fischt ihr Handy aus der Handtasche und bemerkt, dass Sven bereits zweimal versucht hat, sie zu erreichen. Das muss sie bei dem unbeschreiblichen Geräuschpegel, der hier auf dem Hamburger Hauptbahnhof herrscht, überhört haben.

»Wo steckst du denn, Liebling?«, fragt Sven gleich, als Lisa zurückruft.

»Ich stehe vor dem Zeitungsladen an der Ecke.«

»An welcher Ecke?«

»Neben dem Backshop und dem Blumenladen.«

»Wo es zu den S-Bahnen geht?«

Die S-Bahnen? Keine Ahnung, wo es hier zu den S-Bahnen geht. Lisa sieht sich suchend um. Da entdeckt sie plötzlich das Schild mit dem großen »S«.

»Genau!«

»Dann bin ich gleich bei dir!«

Kurz darauf bahnt sich Sven mit großen Schritten einen Weg durch die Menge.

Wie weltmännisch er aussieht, denkt Lisa, als sie ihn erblickt. Er trägt einen grauen Anzug, vermutlich kommt er geradewegs aus dem Büro. Auf einmal kommt sich Lisa in ihrer Jeans und der weißen Bluse gar nicht mehr hübsch vor.

Mit einem Lächeln kommt Sven auf sie zu und schließt sie fest in die Arme.

»Lisa, wie schön, dass du da bist!«, spricht er in ihre Haare.

Lisa verharrt für einen Moment in seinen Armen. Um sie herum sind so viele Menschen, doch in diesem Augenblick kommt es ihr so vor, als wären sie beide ganz allein.

»Da musste ich dich also erst mit einer Überraschung locken, damit du einmal zu mir nach Hamburg kommst!«, freut sich Sven, als er sie loslässt. Er hat recht, Lisa besucht ihn viel zu selten. Als Projektentwickler für eine große Hamburger Baufirma hat Sven immer viel zu tun und nie richtig den Kopf frei, auch nicht am Wochenende. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum Lisa es bevorzugt, dass er das Wochenende bei ihr auf Sylt verbringt. Natürlich ist der Hauptgrund, dass Sven auf der Insel weit weg von seiner Arbeit ist und in der wunderbaren Natur am Meer so richtig abschalten kann. Der andere Grund ist allerdings der, dass Lisa sich in der Großstadt nicht wohlfühlt. Manchmal kommt sie sich wie eine richtige Landpomeranze vor, die in der Provinz am Bodensee aufgewachsen ist und nun auf einer Insel lebt. Wenn sie ehrlich zu sich ist, dann machen ihr die vielen Menschen in der großen Stadt sogar Angst. Vieles wirkt bedrohlich und abstoßend auf sie, auch wenn sie dieses Gefühl Sven gegenüber niemals zugeben würde. Gerade eben erst hatte sie sich äußerst unwohl gefühlt und ihre Handtasche festgehalten, weil ein paar dunkle Gestalten, die wie Drogenjunkies aussahen, auf sie zukamen. Dieses Gefühl kennt sie weder vom lieblichen Bodensee noch von Sylt. Trotzdem lächelt Lisa Sven liebevoll an.

»Es war nicht die Überraschung, sondern die Entführung, die mich hierhergelockt hat«, grinst sie ihn an. »Ich bin ja so gespannt und freue mich so sehr!«, setzt sie lächelnd hinzu.

Und das stimmt wirklich. Sie freut sich wirklich unglaublich, hier bei Sven zu sein. Nicht nur, weil sie sich seit Wochen nicht gesehen haben und es sich trotzdem so anfühlt, als wären sie gestern zusammen gewesen.

Misstrauisch betrachet Sven Lisas kleines Köfferchen.

»Keine Sorge, ich habe alles dabei, was ich mitnehmen sollte.« Grinsend schaut Lisa zu ihm.

So ganz sicher ist sie sich allerdings selbst nicht mehr.

Spätestens als sie eine Stunde später nach einem kleinen Bummel durch die Innenstadt vor dem imposanten Gebäude der Elbphilharmonie, das die Hamburger liebevoll »Elphi« nennen, stehen, hat sie das Gefühl, das Falsche eingepackt zu haben. Sie hätte sich denken können, dass es sich bei Svens Überraschung nicht um ein Picknick im Grünen handelt. Aber hatte er nicht von einer Steppjacke gesprochen? Soll sie die etwa hier im Konzertsaal tragen?

»Was tun wir hier?«, fragt Lisa, als sie staunend die prächtige Glasfassade des beeindruckenden Gebäudes betrachtet, welche das Licht des Himmels, der Stadt und des Wassers widerspiegeln soll, wie sie in einer Illustrierten gelesen hat.

»Lass dich überraschen«, erwidert Sven geheimnisvoll und zieht sie in das Gebäude.

Kurz darauf betreten sie im Inneren des Gebäudes die futuristische Rolltreppe, die sogenannte Tube, die laut Sven die längste Westeuropas sein soll, nach oben zur sogenannten Plaza. Lisa betrachtet die hellen Wände, die mit Tausenden von Glaspailletten besetzt sind, in denen sich die Beleuchtung der Tube spiegelt. Sie fahren auf ein Plateau zu, an dessen Ende ein großes Panaromafenster den Blick auf die Elbe und den Containerhafen zu den Landungsbrücken freigibt.

»Wow!«, staunt Lisa. »Ich habe schon viel über diesen prächtigen Bau und vor allem die hohen Kosten gelesen, aber das einmal selbst zu erleben, ist etwas ganz anderes. War nicht ein japanischer Akustikdesigner für den großen Konzertsaal verantwortlich?«, vergewissert sie sich.

Sven nickt.

»Du wirst die einzigartige Akustik heute selbst erleben«, verrät er lächelnd.

»Ich hatte das große Glück, Konzertkarten für das NDR Elbphilharmonie Orchester zu bekommen!«

Glück? Lisa rutscht das Herz in die Hose. Doch Sven klingt so begeistert, dass Lisa nicht zugeben mag, dass ihr die klassische Musik meist viel zu schwer ist. Sicher war es nicht einfach für ihn, an diese Karten zu kommen. Deshalb lächelt sie ihn dankbar an. Allein in diesem wundervollen Ambiente zu sein, ist schon etwas ganz Besonderes, auch wenn sich ein leichter Anflug von Enttäuschung bei Lisa einstellt. Ob das etwa die geheimnisvolle Überraschung sein soll?

*

»Wie hat es dir denn gefallen, Liebling?«, will Sven ein paar Stunden später wissen.

Anerkennend blickt er auf Lisas schwarzes Kleid, das sie vor dem Konzert schnell gegen ihre Jeans getauscht hatte. Es ist schlicht, aber vorteilhaft geschnitten und hat einen hübschen Ausschnitt, in dem ihre Muschelkernperlenkette zu sehen ist.

»Es war einfach fantastisch. Ich habe so etwas noch nie erlebt!«, antwortet Lisa aufrichtig.

Obwohl sie ganz bestimmt nicht der größte Klassikfan aller Zeiten ist und vermutlich auch nicht werden wird, so muss sie doch zugeben, dass das Konzert in diesem wundervollen Saal ein Hochgenuss war. Ebenso wie das superleckere Drei-Gänge-Menü, das sie anschließend genossen haben und das aus Feldsalat mit Jakobsmuschel, Entenbrust mit Kartoffeln und Grünkohl sowie Ananastarte mit Pina Colada und Pistazien bestand. Nun steht Lisa am großen Fenster im »Panorama Zimmer Waterkant« des Hotel Westin Hamburg Hafencity, das im oberen Gebäudeteil der Elphi untergebracht ist, und betrachtet staunend die Lichter der vielen Schiffe, die im Hamburger Hafen liegen oder an ihnen vorbeifahren.

»Was für eine wunderbare Idee von dir!«, flüstert Lisa in Svens Ohr und schämt sich ein bisschen, weil sie noch vor wenigen Stunden so ablehnend über die Großstadt gedacht hat. Der Hamburger Hafen und insbesondere die neue Hafencity üben eine ganz besondere Faszination aus, der man sich nicht entziehen kann. Auch wenn sie noch immer das Gefühl hat, nicht so ganz in diese Welt zu passen, so ist Lisa tief ergriffen von all den schönen Dingen, die sie heute musikalisch, architektonisch und kulinarisch erleben durfte.

»Vielen, vielen Dank für dieses fantastische Geschenk!«, schmiegt sie sich in Svens Arm.

»Dafür nicht«, grinst er. »Warte nur ab. Das eigentliche Geschenk kommt erst!«

In diesem Moment fährt ein Kreuzfahrtschiff direkt an ihrem Fenster vorüber.

»Sieh nur, Sven, das ist die MS Eurora!«, ruft Lisa aufgeregt. Begeistert betrachtet sie das wunderschöne weiße Schiff.

»Ach ja?«, gibt sich Sven scheinbar desinteressiert, während er eine Flasche Champagner öffnet.

»Wow! Schau doch mal! Da sind bestimmt die ganzen Schönen und Reichen an Bord.«

Lisa reckt den Hals, um zu sehen, ob sie ein paar Prominente an Deck erkennen kann.

»So, so, die Schönen und Reichen«, grinst Sven und reicht Lisa ein Glas Champagner.

»Interessiert dich das denn gar nicht?«, fragt sie und kann den Blick kaum von dem tollen Schiff wenden.

»Doch, natürlich. Aber glaub mir, wir werden noch Gelegenheit haben, das Schiff in aller Ruhe zu betrachten.«

»Wie meinst du das? Gehen wir morgen zu dem Kai, an dem die MS Eurora vor Anker liegen wird?«

»So ähnlich.«

Sven nimmt sein Glas, sieht Lisa tief in die Augen und stößt mit ihrem Glas an. »Wir beide gehen morgen an Bord! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Liebes!«

Lisa kann nicht antworten. Sie kann nicht glauben, dass das, was ihr gerade geschieht, wahr ist. Sie kommt sich vor wie in einem Märchen.

»Das kann doch nicht sein … das muss doch ein Vermögen kosten!«, sagt sie leise zu Sven.

»Mach dir keine Gedanken, Liebes. Es hat mir zwar sehr leidgetan, dass ich unser Treffen am letzten Wochenende wie so viele in letzter Zeit absagen musste. Aber Herr Lüders hat endlich den Vertrag unterschrieben und ich werde allein dadurch in der nächsten Zeit wohl recht gut verdienen. Allerdings werde ich auch weiterhin sehr viel arbeiten müssen. Deshalb lassen wir beide es uns in den nächsten Tagen einmal richtig gut gehen!«

Lisa fühlt, wie ihr vor lauter Rührung Tränen in die Augen steigen. Dass sie so etwas Schönes einmal erleben darf.

»Du hast es verdient«, ergänzt er, als könne er ihre Gedanken lesen.

»Außerdem ist es nur eine ganz kurze Reise. Eine längere würde wahrscheinlich wirklich ein kleines Vermögen kosten«, setzt er grinsend hinzu.

»Für eine längere Reise würden auch meine Klamotten nicht reichen«, antwortet Lisa.

»Keine Sorge, wir werden nur vier Tage unterwegs sein. Erinnerst du dich, wie wir beide letztes Jahr dieses Schiff vor Sylt haben ankern sehen? Eigentlich hatte ich da schon die Idee, dass ich dir diese Reise zu deinem runden Geburtstag schenken könnte. Als du dann immer öfter gesagt hast, dass du so gar keine Lust auf eine Feier hast und am liebsten an diesem Tag verschwinden würdest und ich dann in der Zeitung las, dass die MS Eurora genau an deinem Geburtstag in Hamburg ablegen würde, war meine Entscheidung getroffen und ich habe sofort gebucht.«

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Lisa nimmt Svens Hand. »Ich freue mich ja so!«

*

Majestätisch. Das ist der Gedanke, der Lisa durch den Kopf schießt, als sie am nächsten Tag vor der »MS Eurora« stehen. Obwohl sie das tolle Hotel in der Elphi zuerst gar nicht verlassen wollte, so spektakulär war der Ausblick aus den hohen Fenstern dort. Aber nun stehen sie vor diesem prächtigen, weißen Schiff und Lisa ist so aufgeregt wie an ihrem ersten Schultag. Die Aussicht, gleich an Bord zu gehen, lässt ihr Herz laut klopfen.

Vor dem Schiff steht die Mannschaft in dunkelblauen Uniformen mit goldenen Knöpfen Spalier, um alle ankommenden Passagiere zu begrüßen.

»Fehlt nur noch, dass jemand zur Seite pfeift«, ist Sven beeindruckt.

»Was meinst du?«, fragt Lisa, während sie über die Gangway das Schiff betreten.

»Das ist eine Ehrerweisung bei der Marine«, klärt er sie auf, »für Offiziere und hochrangige Gäste, die an Bord gehen.«

Am Eingang des Schiffes müssen die beiden durch einen Securitycheck und ihr Gepäck auf ein Band legen.

»Das ist ja wie auf dem Flughafen!«, ist Lisa erstaunt.

»Was hast du denn gedacht? Natürlich kann auf einem Schiff genauso wie im Flugzeug so allerhand geschehen. Deshalb muss gewährleistet sein, dass keine Waffen, Messer oder andere gefährliche Dinge an Bord gelangen.«

»Du meinst, es kann sein, dass uns Piraten entführen?«, kichert Lisa. Die ganze Aufregung scheint ihre Sinne zu vernebeln.

»Wer weiß? Meinetwegen sollen sie uns doch ruhig eine ganze Weile entführen. Dann fahren wir erst einmal um die halbe Welt«, grinst Sven.

»Herzlich willkommen an Bord der MS Eurora!«, empfängt sie die freundliche junge Dame an der Rezeption, die über ihrer weißen Kluft eine dunkelblaue Weste trägt, und überreicht jedem eine kleine Karte, die wie eine Kreditkarte aussieht und auf der ihre Namen und die Kabinennummer stehen.

»Ihre Suite befindet sich auf Deck sieben«, erklärt sie nun. »Wir wünschen Ihnen eine angenehme Reise und werden unser Möglichstes tun, um Ihnen einen unvergesslichen Aufenthalt zu bereiten.« Ihr Lächeln ist warm und freundlich.

Unvergesslich – das ist unsere Reise bereits jetzt, auch wenn wir noch nicht einmal losgefahren sind, freut sich Lisa und sieht sich in dem wunderschönen Eingangsbereich des Schiffes um.

Der Rezeptionsbereich ist aus feinstem Holz gearbeitet, auf dem Marmorboden stehen feine Ledersessel und kleine Tische, die zum Verweilen einladen. Große Palmen als Raumteiler, ein Flügel sowie zahlreiche Jugendstillampen an der Decke runden das edle Erscheinungsbild ab. Zwischen all den elegant gekleideten Passagieren, die ebenfalls gerade einchecken, kommt sich Lisa auf einmal wieder sehr unsicher und unscheinbar vor, obwohl sie heute Morgen ihre neue rote Jeans, die sie extra für die Reise gekauft hat, und einen weißen Blazer angezogen hat. Die Damen, die um Lisa herumstehen, scheinen überwiegend älter zu sein, obwohl die perfekte Pflege und die ein oder andere Botox- oder Hyaluron-Injektion vermutlich einen anderen Eindruck vermitteln sollen. In gewisser Weise erinnern sie Lisa sehr stark an die Damen, die auch auf Sylt häufig anzutreffen sind. Gerade in Kampen ist dieser Typ Frau mit der perfekt geschnittenen und akkuraten Frisur, dem gepflegten Make-up und der unaufdringlichen sportiven Eleganz ihrer teuren Kleidung sehr häufig zu sehen. Zum Glück hat sich Lisa vor ein paar Tagen von ihrer Freundin Birte die Strähnen auffrischen lassen!

Die Männer an der Seite der eleganten Damen sind schon etwas älter, tragen aber ein Selbstbewusstsein zur Schau, dass man neidisch werden kann. Mit ihren gebräunten Gesichtern und den sportlich-schicken Outfits sehen die meisten von ihnen so aus, als würden sie geradewegs vom Tennis- oder Golfplatz kommen. Ein ganzer Raum voller Gentlemen in dunkelblauen Jackets zu weißen, roten oder gelben Hosen, die dazu Schuhe aus feinstem Leder und teure Uhren an den Handgelenken tragen.

Doch keiner dieser feinen Herren ist so attraktiv wie mein Sven, denkt Lisa stolz und betrachtet verliebt den Mann an ihrer Seite, der mit lässig aufgekrempelten Hemdsärmeln zu einer dunklen Bluejeans neben ihr steht und sich gerade seine nur leicht ergrauten Strähnen zurückstreicht. Sein Gesicht sieht müde aus. Er hat in der letzten Zeit viel zu viel gearbeitet, auch, um mir all dies hier zu ermöglichen, denkt Lisa und streicht ihm zärtlich über den Arm.

»Larson!«, ertönt auf einmal eine donnernde männliche Stimme ganz in ihrer Nähe.

»Ich hatte ausdrücklich darum gebeten, einen zweiten Kabinenschlüssel zu bekommen. Deshalb habe ich extra vorher bei der Reederei angerufen und es wurde mir zugesichert!«

Lisa betrachtet den Mann, zu dem die Stimme zu gehören scheint.

Er ist nicht so groß, wie sie es aufgrund seiner Stimmgewalt erwartet hätte. Der Mann dürfte Ende 50 sein und ist untersetzt, sein Haar bereits licht. Zu einer lässigen knallblauen Steppjacke trägt er eine helle Sommerhose und ebenfalls blaue Sportschuhe. Der Kopf dieses Herrn Larson ist puterrot und er sieht aus, als würde er jeden Moment explodieren.

»Einen Moment, ich frage mal eben den Kollegen!«, entschuldigt sich die freundliche junge Dame, die eben noch so souverän gewirkt hat und plötzlich an Händen und Füßen zu fliegen scheint. Sie verschwindet im Backoffice hinter der Rezeption und kehrt einen Augenblick später in Begleitung eines jungen Mannes wieder, der in einer dunkelblauen Uniform steckt und ihr Vorgesetzter zu sein scheint.

»Guten Tag, Herr Larson!«, begrüßt er den beleibten Herrn freundlich.

»Wie Ihnen meine Kollegin bereits sagte, ist ein zweiter Zimmerschlüssel für eine einzelne Person nicht üblich. Die Keys werden immer personenbezogen auf den Namen der einzelnen Passagiere ausgestellt. Da Sie sich ja damit ausweisen, wenn Sie das Schiff betreten und verlassen, haben wir dadurch immer den genauen Überblick, wer sich gerade an Bord beziehungsweise an Land befindet. Würden wir mehrere Karten ausgeben, wäre dieser Überblick nicht mehr gesichert.«

»Das ist doch albernes Geschwätz!«, bruddelt der ältere Herr in sich hinein. »Wen interessiert schon, ob ich an Bord bin oder nicht? Ich hatte jedenfalls vor dieser Reise bei Ihrem Management angerufen, und es wurde mir zugesichert, dass ich einen zweiten Schlüssel bekomme. Leider neige ich dazu, immer einen zu verlegen.«

»Es tut mir sehr leid, aber wir haben unsere Vorschriften«, sagt der junge Mann bedauernd.

Darauf wird das Gesicht des älteren Mannes noch mehr rot, falls das überhaupt möglich ist.

»Und das soll hier Fünf-Sterne-Komfort sein? Dass ich nicht lache! Ich möchte Ihren Chef sprechen. und zwar sofort!«

Der junge Mann verschwindet pflichtschuldigst, um nur kurz darauf mit einer hübschen Dame in Uniform, die vermutlich der Chef ist, zurückzukehren. Das Aufsehen, den der Aufstand von Herrn Larson verursacht hat, ist dieser ganz offensichtlich peinlich, dennoch lächelt sie ihn freundlich an.

»Herzlich willkommen, Herr Larson! Wie schön, dass Sie und Ihre Familie wieder einmal bei uns an Bord sind. Selbstverständlich bekommen Sie einen zweiten Kabinenschlüssel. Bitte beachten Sie, dass wir diesen ausschließlich zum Öffnen der Kabinentür programmieren werden, denn wie Ihnen mein Kollege bereits gesagt hat …«

Was sie weiter zu ihm sagt, ist nicht zu verstehen. Sie hat ihre Stimme gesenkt, damit niemand bemerkt, dass dieser Larson einen zweiten Kabinenschlüssel ausgehändigt bekommt, und möglicherweise auf die gleiche Idee kommt. Zudem hat sich eine beleibte Dame dazwischengedrängt, die mit lauter Stimme die volle Aufmerksamkeit der jungen Rezeptionistin in Anspruch nimmt. Sie fragt, ob es in ihrer Suite auch einen Whirlpool gibt, worauf die junge Dame ihr erklärt, dass die von ihr gebuchte SPA-Suite selbstverständlich über ein Bad mit Tageslicht und Meerblick, eine beleuchtbare Whirlpool-Badewanne und Erlebnisdusche sowie einen begehbaren Kleiderschrank verfügt. Lisa hört staunend zu, doch Sven nimmt Lisas Hand und zieht sie zu einem gläsernen Aufzug. Wenig später betreten sie die wundervolle Kabine, die Sven gebucht hat.

»Das ist ja auch eine Suite!«, staunt Lisa. »Die muss doch ein Vermögen kosten!«

»Ach was, halb so wild«, schwächt Sven ab.

»Es gibt ganz andere Suiten an Bord, die viel teurer und exklusiver sind. Du hast doch eben gehört, was die Rezeptionistin über die SPA-Suite der älteren Dame gesagt hat.«

»Ich bin mit dieser schon voll und ganz zufrieden!«, freut sich Lisa und lässt sich auf das weiche Bett fallen. Die Suite verfügt über ein großes Panoramafenster, aus dem man einen fantastischen Blick hat, und ist farblich ganz in edlen rosé-beigefarbenen Tönen gehalten, was wunderbar zu dem warmen Holz passt, aus dem die Einbauschränke sind. Auf einem kleinen Tisch neben einem kleinen gemütlichen Sofa, das direkt vor dem Panoramafenster steht, befindet sich eine Flasche Wein mit zwei Gläsern. Daneben liegen sehr lecker aussehende Pralinen. Lisa steckt sich eine davon in den Mund und schließt genießerisch die Augen. Am liebsten würde sie gleich die ganze Packung aufessen. Als hätte er ihre Gedanken erraten, sagt Sven: »Warte das Abendessen ab, das wird sicher genial. Und jetzt komm endlich. Ich möchte gerne noch einen Cappuccino oder Prosecco mit dir auf dem Sonnendeck einnehmen, bevor wir ablegen.«

Eilig verstaut Lisa ihre wenigen Kleidungsstücke in den Einbauschränken und verschwindet kurz im Bad, das auch nicht gerade klein ist. Es gibt sogar eine Badewanne!

Als Lisa aus dem Bad kommt, ertönt eine sympathische dunkle Stimme aus der Sprechanlage:

»Guten Tag, liebe Passagiere! Hier spricht Ihr Kapitän Birger Tiedemann. Auch von mir ein herzliches Willkommen an Bord der ›MS Eurora‹. Ich hoffe, Sie hatten alle eine gute Anreise und freuen sich schon auf unsere kleine Reise, die gleich beginnen wird. Wir werden um siebzehn Uhr wie geplant ablegen und unseren Kurs Richtung Sylt einschlagen. Wir werden morgen früh vor Sylt vor Anker gehen, wo Sie einen wundervollen Tag auf der Insel verbringen können.«

Daran liegt Lisa nicht allzu viel. Schließlich ist sie im Gegensatz zu den anderen Passagieren jeden Tag dort. Andererseits wäre es nett, für ein kleines Schwätzchen bei Alma aufzutauchen und ihr von dem wundervollen Schiff zu berichten.

»Wir können natürlich an Bord bleiben und uns den Wellnessbereich ansehen. Den haben wir bestimmt fast ganz für uns alleine, weil die meisten auf dem Landausflug sind«, schlägt Sven vor.

»Der Wetterbericht verspricht für die nächsten Tage bestes Wetter und Sonne satt, sodass Sie einen ganz entspannten Tag am Sylter Strand verbringen können. Aber seien Sie bitte rechtzeitig zurück an Bord! Wie Sie wissen, findet morgen Abend um zwanzig Uhr unsere legendäre Party statt. Und nun zu etwas Ernsterem: In etwa einer Stunde wird eine Seenotrettungsübung stattfinden, an der Sie aus rechtlichen Gründen alle teilnehmen müssen. Sobald dieses Signal ertönt …«

Drei kurze Töne und ein langer Ton sind zu hören.

»… begeben Sie sich bitte mit Ihrer Schwimmweste und Ihrer Zimmerkarte in den Gang. Dort wartet einer unserer Stewards auf Sie und begleitet Sie zu der Sammelstation, auf der die Übung stattfindet. Im Anschluss daran warten unsere fünf Bordrestaurants darauf, Sie verwöhnen zu dürfen. Und nun wünsche ich Ihnen einen wundervollen Abend auf der ›MS Eurora‹. Ihr Kapitän Birger Tiedemann.«

»Gefällt es dir hier?«, fragt Sven, nachdem der nette Steward auf dem Sonnendeck einen Cappuccino mit herrlichem Milchschaum serviert hat.

»Gefallen ist die Untertreibung des Jahrhunderts!«, erwidert Lisa lächelnd. »Mir fehlen die Worte! Ich kann nicht glauben, was gerade geschieht. Solche Schiffe habe ich bis jetzt nur im Fernsehen oder eben aus der Ferne vor Sylt gesehen. Auf dem Bodensee bin ich doch immer nur mit der kleinen ›Gunzo‹ von Überlingen zur Insel Mainau gefahren oder hin und wieder mit der Fähre über den Bodensee von Konstanz nach Meersburg und zurück. Stell dir vor: Ich wollte immer einmal von Konstanz aus mit dem Schiff nach Schaffhausen in der Schweiz fahren. Das habe ich, solange ich dort gelebt habe, nie geschafft!«

»Dann wird es höchste Zeit, dass wir das nachholen, wenn wir das nächste Mal deine Familie in Konstanz besuchen. Unsere nächste Kreuzfahrt findet also von Konstanz nach Schaffhausen statt!«, verspricht Sven.

»Ich bezweifle allerdings, dass das Schiff auch nur annähernd so luxuriös wie dieses sein wird«, antwortet Lisa lachend.

3. Kapitel Wer alles eine Reise macht

Romy

Sie zieht sich die Lippen nach. Rot, blutrot. Zu ihren hellen, seidigen Haaren und dem Schneewittchenteint ist das genau die richtige Farbe. Das hautenge, rote Kleid ist jedoch vielleicht ein bisschen »too much«. Schließlich will sie ja keinen billigen Eindruck machen. Gerade hier an Bord muss sie vermeiden, allzu großes Aufsehen zu erregen. Schließlich darf sie niemand erkennen und wissen, wo sie herkommt. Aber, ach – als ob das geschehen könnte! Die Leute, die hier verkehren, verirren sich höchst selten in ihr Viertel. Umgekehrt gilt das natürlich auch. Sie hatte schon viele Aufträge angenommen. Aber der hier, der ist der geilste überhaupt. Dass sie auf einem solchen Schiff sein darf, sie kommt sich vor wie auf dem »Traumschiff« im Fernsehen! Nie hätte sie sich das träumen lassen. Aber Rob, der Chef der Escortagentur »Secret Pearl«, bei der sie nun schon vier Jahre beschäftigt ist, hatte ihr nicht zu viel versprochen, als er ihr vor ein paar Wochen diesen Auftrag vermittelt hatte. Seitdem hat sich ihr Leben von Grund auf verändert. Inzwischen ist sie in Restaurants und Geschäften gewesen, die sie sonst nur vom Namen aus der »Gala« kannte. Mann, was hatte sie für ein Glück gehabt! Es wurde genau so ein Typ wie sie es ist gesucht. Klein, zierlich, mit weiblichen Rundungen, blauen Augen und heller Haut. Gut, eigentlich wurde eine Schwarzhaarige gebucht. Aber wozu gab es Perücken? Sie war zu stolz auf ihren weißblonden Schopf, um ihn sich dauerhaft dunkel zu färben. Wenn er im Bett eine rassige Schwarzhaarige bevorzugte, konnte er das gerne haben. Und er war schneller auf sie angesprungen als ein Rottweiler auf eine läufige Hündin. Es war so einfach gewesen, sie hatte nur diese klitzekleine Beule in seinen Mercedes fahren und anschließend auf hilfloses Frauchen machen müssen, und schon hatte sie seine Telefonnummer und eine Einladung zum Abendessen, der noch viele weitere, die alle in seinem Bett in Blankenese endeten, folgen sollten. Und nun war sie hier – auf diesem traumhaften Schiff! Natürlich durfte das niemand wissen. Sie war hier inkognito. Wenn seine feine Familie, die ebenfalls mit an Bord war, davon Wind bekäme, wäre der Teufel los, hatte er ihr gesagt. Daher bewohnte sie eine Kabine ganz für sich allein. Wunderbar! Auf diese Art und Weise konnte sie sich immer zurückziehen und in Ruhe hübsch machen. Die Garderobe für diese Reise hatte er extra für sie ausgewählt. Sie waren in den schönsten Geschäften in der Mönckebergstraße und am Jungfernstieg gewesen und er hatte ein Vermögen für sie ausgegeben, auch wenn die Kleidung für ihren Geschmack ein wenig zu bieder und zu klassisch war. Aber schließlich sollte sie nicht auffallen, wenn sie sich alleine im Restaurant oder an der Bar aufhalten würde. Sie sollte so aussehen wie eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die sich eine solche Reise leisten konnte. Erfolgreiche Geschäftsfrau! In gewisser Weise bin ich das ja auch, denkt sie und klebt sich falsche Wimpern an, um diese dann sofort wieder abzunehmen. Die passen nun wirklich nicht zu dem langweiligen beigen Seidenoverall, den sie gerade angezogen hat. Vielleicht später … zu den schwarzen Dessous. Wenn diese Reise vorüber ist, werde ich auf jeden Fall erfolgreich sein! Endlich Schluss mit den Sorgen um die Miete oder die anderen Rechnungen.

Sie zieht sich weiße Ballerinas an, zieht ein leichtes weißes Strickjäckchen über und sieht auf die Uhr. Es kann losgehen!

*

Lisa

»Huuuuuut!« Der tiefe Ton ist so laut und donnernd, dass Lisa vor Schreck beinahe das Proseccoglas fallen lässt.

»Das Schiffshorn tutet immer zum Abschied«, klärt Sven auf.

Dreimal im Ganzen hört man laut den dunklen Ton des Schiffshorns, dann erklingt auf einmal eine wundervolle Melodie.

»I am sailing«, summt Lisa leise mit, während der leichte Wind in ihren Haaren spielt.

Die Leinen wurden bereits losgemacht, das große Schiff setzt sich langsam in Bewegung. Am Pier stehen viele Menschen und winken den Gästen an Bord zu.

»I am sailing … home again … cross the sea … to be near you … to be free«, ist das wundervolle Lied zu hören.

Lisa bekommt eine Gänsehaut.

»Das Lied wird in jedem Hafen beim Auslaufen gespielt«, sagt Sven.

Zärtlich legt er den Arm um Lisa, und sie muss schlucken, weil sie gerade so glücklich ist.

Der Blick auf Hamburg und den Hafen ist auf dem Oberdeck noch faszinierender als aus den Fenstern des Hotels in der Elphi, denkt sie.

»Schau mal, das Feuerschiff! Da ist ein Restaurant drin«, erklärt Sven. »Man kann dort sogar übernachten.«

»Beim nächsten Mal«, und Lisa lässt den Blick weiter schweifen.

Sie passieren weitere große Schiffe wie die Museumsschiffe »Cap San Diego« und »Rickmer Rickmers« sowie die Landungsbrücken, wo buntes Treiben herrscht. Dort starten viele Hafenrundfahrten, viele Menschen besteigen große Rundfahrtschiffe und kleine Barkassen.

»Mit den kleinen Barkassen kommt man besser durch die Fleete«, klärt Sven Lisa auf.

»Fleete?«

»Das sind die kleinen Wasserstraßen, die von der Elbe abgehen und auf denen man früher Waren in die Speicherstadt transportiert hat.«

Sven erklärt, dass sie gerade den alten Elbtunnel überqueren, der die Unterelbe auf einer Länge von 426 Metern unterquert. Kurz darauf kommen sie am Fischmarkt und am neuen Hamburger Cruise Center Altona vorbei.

»Die Kreuzfahrtszene scheint ja zu boomen«, sagt Lisa staunend. »Kein Wunder, es ist ja auch eine wunderbare Art zu reisen. Man kann gerade vom Wasser aus viele besondere Eindrücke gewinnen, sich gleichzeitig erholen und bei den Landausflügen tolle Städte und Landschaften entdecken.«

Bewundernd betrachtet Lisa die schönen Häuser und das lebendige Treiben an den Stränden.

Sie könnte ewig hier an Deck stehen und vom Schiff aus das Ufer betrachten. Doch Sven nimmt ihre Hand und zieht sie sanft weg.

»Lisa, wir können doch später wiederkommen. Es gibt gleich Abendessen. Wolltest du dich nicht noch umziehen?«

»Ich fürchte, das werde ich wohl müssen. Ich kann wohl kaum in diesem Outfit in einem edlen Speisesaal erscheinen«, sagt Lisa schmunzelnd. Zu einem Wechsel der Garderobe ist sie bis jetzt noch nicht gekommen, da sie gleich nach der Seenotrettungsübung hinauf auf das Sonnendeck, Deck 9, gegangen sind. Beim Gedanken an die Passagiere, die in ihren Rettungswesten den Ausführungen des Offiziers lauschten, muss Lisa grinsen.

Doch den Ernstfall mag sie sich lieber nicht ausmalen. Sie kann sich nicht vorstellen, dass so eine Rettungsweste ihr Überleben auf hoher See sichern würde, wenn es nötig wäre.

*

»Hast du die Kette gesehen? Irgendwie erinnert mich die an Herrn Schröder«, kichert Lisa wenig später.

»Herrn Schröder? Du scheinst ja seltsame Herren zu kennen«, antwortet Sven leicht irritiert. Die beiden werden von einem Steward in einem eleganten dunklen Anzug zu einem Tisch geleitet, an dem bereits zwei andere Paare sitzen. Zuvor hatte er gefragt, ob sie gerne ein wenig Unterhaltung mit anderen Passagieren oder lieber alleine zu speisen wünschen.

Um ehrlich zu sein, wäre Lisa viel lieber mit Sven alleine gewesen. Sie hätte noch ein wenig Zeit gebraucht, um sich in dieser noblen Atmosphäre in Ruhe akklimatisieren zu können. Doch Sven hatte so eifrig genickt, als der Steward das Angebot mit dem Essen in größerer Runde gemacht hatte, dass sie nicht ablehnen wollte. Vielleicht hofft Sven ja, hier an Bord wertvolle Kontakte knüpfen und diese geschäftlich nutzen zu können. Da kann Lisa unmöglich dagegen sein. Schließlich finanziert sein Job diese ganze Traumreise.

»Herr Schröder ist kein Herr. Es ist ein Hund. Genauer gesagt, der King Charles Spaniel von Frau von Elsholt«, flüstert Lisa Sven zu, während sie auf den Tisch zusteuern.

»Ach so«, sagt Sven, als wüsste er, wer Frau von Elsholt und noch mehr, was ein King Charles Spaniel ist.