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Dieses eBook: "Katharina II: Die Zarin der Lust" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: "Tomasi schien vollkommen beruhigt; da wollte ein boshafter Zufall, daß er eines Abends, als ihn Sofie bereits verabschiedet hatte, zurückkehrte, um sein Skizzenbuch zu holen, das er in ihrem Boudoir vergessen hatte. Schon im Korridor hörte er ein paar Stimmen, welche sich im Zimmer seiner Schönen lebhaft zu unterhalten schienen, als er sich ihrer Thüre näherte, unterschied er deutlich die ihre und jene eines Mannes." Leopold Ritter von Sacher-Masoch (1836-1895) war ein österreichischer Schriftsteller. Er war zu seiner Zeit ein vielgelesener, populärer Schriftsteller. Seine zahlreichen Romane und seine ebenso zahlreichen, meist folkloristischen Novellen waren - in betonter Nachfolge von Iwan Sergejewitsch Turgenew - teils als exotische, immer spannende, ja sogar als moralische Lektüre beliebt. Victor Hugo, Émile Zola, Henrik Ibsen gehörten zu seinen Bewunderern; König Ludwig II. von Bayern empfand zu dem Autor gar eine Seelenverwandtschaft.
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Seitenzahl: 357
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Russische Hofgeschichten
An einem heißen Sommernachmittag des Jahres 1785 hatte in einem dichten, schattigen Gebüsch des Parkes von Zarskoje Selo ein junger Maler sein luftiges Atelier aufgeschlagen. Seine schlanke Gestalt und sein edel geschnittener Kopf mit den glühenden, dunklen Augen verrieten auf den ersten Blick den Italiener. Er saß auf einem Stein und zeichnete, und vor ihm stand sein Modell, ein junges, hübsches russisches Bauernmädchen mit blondem Haar und vollem Busen, das er trotz ihrem verschämten Widerstreben zu diesem Zwecke von der nahen Gänseweide entführt hatte. Plötzlich teilten sich die Zweige des grünen Musenasyles und eine Frau von dem Umfange einer holländischen Heringstonne stand vor den beiden. Die ländliche Venus stieß einen gellenden Schrei aus und lief davon, während der italienische Maler einige kräftige heimatliche Flüche ausstieß. Der weibliche Störenfried stand indes, die Arme auf der kolossalen Brust verschränkt, vor ihm und lachte so, daß sich der ganze Riesenkörper schüttelte. Es war offenbar eine vornehme Dame, denn sie hatte das reiche Haar gepudert und trug ein weißes Negligee von den kostbarsten flandrischen Spitzen. Sie mochte vor Jahren schön gewesen sein, aber jetzt war ihre Gestalt geradezu unförmig, und das Gesicht, in das Breite verzerrt, trug den Stempel gemeiner Wollust; nur ihr Auge konnte noch bestechen, es war ein großes, schönes blaues Auge voll Geist und Kühnheit, und es lag etwas Gebieterisches in dem Blick desselben.
»Welcher Satan hat Sie hergeführt, Madame?« begann der Maler in ziemlich gutem Französisch.
»Der Satan der Neugierde,« erwiderte die Unbekannte; »ich sah Sie zeichnen, und da ich die Künste liebe und beschütze –«
»Sehr edel von Ihnen«, unterbrach sie der Italiener, »aber eben deshalb hätten Sie mir die Kleine nicht verscheuchen sollen; nun bleibt das Bild unvollendet.«
»Sie sollen mich dafür malen«, erwiderte der weibliche Koloß mit nachlässiger Majestät.
»Sie? Ist das Ihr Ernst?« rief der Maler.
Die Dame nickte, während der junge Italiener in ein ebenso unartiges als ausgelassenes Gelächter ausbrach.
»Sie wollen mich also nicht malen?« begann die Dame, die stolzen Brauen finster zusammenziehend.
»Es fällt mir nicht ein«.
»Bin ich nicht schön?« fragte die Unbekannte mit unnachahmlichem Selbstbewußtsein.
»O! Sie sind außerordentlich schön«, erwiderte der Maler scherzend, »aber beinahe ebenso dick als schön.«
»Wie nennen Sie sich?«
»Tomasi,« sagte der Maler, zuckte die Achseln und packte zusammen.
»Ich gefalle Ihnen offenbar nicht«, sagte die Unbekannte, »aber dies hat nichts zu sagen. Sie gefallen mir und Sie werden mich malen, adieu.« Sie nickte gnädig mit dem Kopfe und schritt langsam davon. Der Italiener folgte ihr von Weitem, in dem Laubgange, in den er nun einbog, fand er seinen Freund und Landsmann Boschi, mit dem er nach Rußland gezogen war, um dort, gleich den französischen Philosophen und den italienischen Sängern, an dem glänzenden Hofe der leichtsinnigen Zarin Katharina II. sein Glück zu machen. Er teilte ihm sein Abenteuer mit, und sie lachten noch beide über das Monstrum, das sich durch seinen Pinsel verewigen lassen wollte, als ein Offizier der Garde vor sie hintrat und sich erkundigte, welcher von ihnen der Maler Tomasi sei.
»Ich!« sagte der junge Italiener.
»Ich habe den Befehl, Sie in den Palast zu führen,« sagte der Offizier.
»Mich? Und auf wessen –«
»Auf besonderen Befehl Ihrer Majestät der Kaiserin.«
Tomasi folgte hierauf dem Offizier, welcher ihn durch die Alleen des Parkes und die Korridore des prachtvollen Sommersitzes der Zarin bis zu einer Thüre führte, vor der er Halt machte. »Hier treten Sie ein,« sagte er, »Frau von Protasow, Hofdame Ihrer Majestät, erwartet Sie, von ihr werden Sie das Weitere hören.« Es entging dem schlauen Italiener nicht, daß der Offizier dabei eigentümlich spöttisch lächelte. Tomasi erwartete, dadurch irregeführt, hinter der Portiere, welche er jetzt teilte, den weiblichen Koloß zu finden, dessen Bekanntschaft er im Park gemacht. Um so angenehmer war er enttäuscht, als er auf einer Ottomane ausgestreckt eine junge Dame erblickte, welche ihm im ersten Augenblicke als ein Ideal der Schönheit und Anmut erschien. Sie war zwar gleich allen russischen Frauen, ebenfalls üppig, aber von einer reizenden, sinnverführenden Fülle, welche nirgends die als klassisch geltenden Körperlinien zu sehr überschritt; ihr feines Gesichtchen zeigte ebenso regelmäßige als gewinnende Züge, und die dunklen Augen blickten unter den langen Wimpern mit einer Art schelmischer Lüsternheit hervor, welche den sonst kecken Maler nicht wenig in Verwirrung setzten. Die Dame wies ihm einen Sitz an und betrachtete ihn noch einige Zeit seltsam prüfend, ehe sie das Wort an ihn richtete.
»Ich bin Sofia von Protasow«, begann sie endlich, »Sie kennen wohl mein heiteres Amt.«
»Vergeben Sie, ich bin ebenso fremd am Hofe der großen Katharina, wie in Rußland überhaupt,« entgegnete der Maler.
»Hören Sie also,« sagte die schöne junge Frau, »die Zarin ist, wie Sie auch außer Rußland erfahren haben werden, eben so schwach als Weib, wie sie groß ist als Regentin.«
»Man erzählt, daß sie ihre Günstlinge wie Handschuhe wechselt,« fiel der Italiener ein; »aber ich finde dies sehr begreiflich bei einer Frau, welche zugleich die mächtigste und schönste in Europa ist.«
»Sie vergessen, daß Katharina II. jetzt sechsundfünfzig Jahre zählt,« erwiderte Frau von Protasow, »sie war noch mit Vierzig so verführerisch, daß jeder ihrer Günstlinge mit demselben Eifer der Frau wie der Monarchin huldigte; aber jetzt ist sie unförmig dick und strömt eine Atmosphäre aus, welche der stärkste Parfüm zu übertäuben nicht im stande ist. Und dieser Fettklumpen ist ebenso verliebt und in seinen Neigungen ebenso flatterhaft, wie es einst die jugendschöne Frau war. Katharina II. betreibt heute die Liebe wie ein Gourmand das Essen, sie will nicht bloß speisen, gut und fein speisen, sondern sie verlangt die größte Abwechselung; es vergeht kein Tag, wo sie nicht ein neues Opfer – Pardon, einen neuen Glücklichen – entdeckt und zu ihrem Zeitvertreib wählt. Heute haben Sie Gnade vor ihren Augen gefunden.«
»Ich!« stammelte Tomasi entsetzt.
»Sie scheinen nicht sehr entzückt voll der Aussicht, welche sich Ihnen eröffnet,« meinte Frau von Protasow spöttisch.
»In der That – nicht,« sagte der Italiener; »aber wie kommt die Kaiserin dazu? –«
»Sie hat Sie vor einer Viertelstunde etwa im Parke –«
»Dieses Monstrum, das mein Modell vertrieben, mit dem ich so kurz angebunden war –«, fiel Tomasi ein.
»War Katharina II.«, sprach Frau von Protasow.
»Und dieses Weib soll ich lieben?« schrie Tomasi, »das ist ja unmöglich.«
»Die Kaiserin versteht das Unmögliche möglich zu machen,« lächelte die schöne Frau. »Vergessen Sie nicht, daß ihr allerhand liebreizende Bagatellen zur Disposition stehen, wie die Knute, Sibirien und nötigenfalls das – Schaffot.«
»Das Schaffot!« schrie der Italiener auf, dem es eisig über den Rücken rieselte.
»Nun – sie hat Mirowitsch enthaupten lassen aus keinem anderen Grunde, als weil ihr seine fanatische Liebe anfing lästig zu werden,« erklärte die Protasow, »sie kann einmal das Umgekehrte versuchen.«
»Mein Gott! in welche Geschichte bin ich da hineingeraten,« jammerte der Maler; »Odysseus in dem Palaste der Circe war gegen mich beneidenswert.«
»Ist denn das Unglück, von einer Kaiserin geliebt zu werden, gar so groß?« spottete Frau von Protasow.
»Gewiß,« entgegnete Tomasi, »wenn die Kaiserin, wie es hier der Fall ist, über zwei Centner wiegt.«
»Aber Rubens hat doch sehr dicke Ideale gemalt.«
»Ich bin kein Rubens, meine Gnädige«.
»Ihre Verzweiflung ist ebenso heiter als verdächtig,« sprach die Vertraute Katharina's nach einer kleinen Pause. »Ich zweifle keinen Augenblick länger, daß Sie verliebt sind, verliebt in eine andere.«
»Bei allen Heiligen, nein, mein Herz ist frei,« schwor der Maler.
»Frei – ganz frei?«
»Vollkommen frei.«
»Nun, das ändert die Sache ein wenig zu Ihrem Vorteil,« sprach die reizende Frau mit einem seltsamen Lächeln, »denn es giebt noch eine Dame in diesem Palaste der Circe, welche Gefallen an Ihnen findet.«
»Gefallen – an mir?«
»Großen Gefallen.«
»Und ist diese Dame vielleicht auch? –« erwiderte der Italiener, mit seinen Händen den riesigen Umfang der Zarin andeutend.
»Diese Dame ist allerdings auch nicht gerade mager«, entgegnete Frau von Protasow.
»Aber doch jung und schön?« rief Tomasi.
Frau von Protasow zuckte die Achseln. »Ich kenne Ihren Geschmack nicht,« sprach sie, den Kopf kokett zur Seite neigend, »sehen Sie sich sie also noch einmal gut an und entscheiden Sie selbst.«
In den nächsten Tagen trennte sich Frau von Protasow immer nur für wenige Augenblicke von dem Geliebten. Während draußen die Sonne Menschen, Tiere und Pflanzen zu versengen drohte, hielt die reizende Kerkermeisterin Tomasi in ihren weiten kühlen Gemächern gefangen. Dann lag sie träge auf einer türkischen Polster-Ottomane, und der glückliche Maler saß zu ihren Füßen und spielte die Laute, oder sie plauderten allerhand kindisches Zeug, wie es nur ein paar Verliebte können.
Und kam der Abend heran, dann schwärmten sie, gleich lustig summenden Bienen, in den grünschattigen Laubgängen des Parkes, um endlich, wenn der Himmel die ganze Pracht seiner Sterne, gleich einer Stickerei in Gold, entfaltet hatte, den Palast der gütigen Fee dieses Sommernachtsmärchens aufzusuchen.
Die Kaiserin schien, zum Glück für die Liebenden, den Italiener vergessen zu haben, um so unangenehmer wurde Sofia von Protasow überrascht, als Katharina II. ihr plötzlich einmal, bei einem Lever, einen Wink gab, näher zu treten, und ohne sich vor den anwesenden Damen und Herren des Hofes und ihrem Günstling Potemkin im mindesten zu genieren, mit sichtbarem Interesse um den jungen Maler fragte.
»Ich habe bis heute gezögert, Eurer Majestät Bericht zu erstatten«, begann Frau von Protasow errötend, »weil ich leider nicht in der Lage bin, von dem jungen Menschen irgend etwas günstiges zu melden.«
»Wirklich,« erwiderte Katharina befremdend, »finden Sie ihn nicht schön?«
Frau von Protasow zuckte die Achseln. »Ich wage es nicht, dem Urteile Eurer Majestät vorzugreifen, aber Tomasi ist eben so roh, als schön.«
»Was Sie Roheit nennen,« sprach die Zarin, mit ihrer Schokolade beschäftigt, »ist vielleicht nur unbändige Männlichkeit.«
»Vergebung, Majestät,« beeilte sich Frau von Protasow zu erwidern, »dieser Italiener ist viel mehr ein ungezogener Knabe als ein Mann, die gemeinsten Manieren beeinträchtigen seine körperlichen Vorzüge.«
»Ihr sonst so scharfer Blick scheint diesmal getrübt, liebe Sofia«, entgegnete die Zarin, »da muß ich mir wohl selbst Klarheit verschaffen.«
»Aber, Majestät –«
»Genug von dieser unbedeutenden Angelegenheit,« entschied die eigenwillige Selbstherrscherin; »ich will Tomasi heute noch sehen, und er soll mich malen, verstehen Sie, Protasow?«
Die arme verliebte Frau, welche in diesem Augenblicke alles verloren sah, denn Katharina gegenüber war Ungehorsam so viel als Selbstmord, verneigte sich stumm und verließ dann rasch den Flügel der Kaiserin, um Tomasi ihr Leid zu klagen. Dieser wollte indes die Sache durchaus nicht ernst nehmen. »Vor allem will ich Sie jetzt malen, teure Sofia,« sprach er, seine Staffelei zurecht rückend, »und dann wollen wir sehen, wie wir der liebevollen Heringstonne dort drüben, trotz ihrem Sibirien, einen Possen spielen.«
»Aber die Zarin, will Sie heute noch sehen, Tomasi.«
»Pah!«
»Sie wird an mir und Ihnen Rache nehmen, wenn wir ihr Widerstand leisten.«
Tomasi lachte und begann seine Farben zu mischen.
»Also Sie wollen mich wirklich malen,« seufzte die schöne junge Frau.
»Gewiß, und zwar auf der Stelle.«
»Aber wie? in welcher Toilette?«
»Ich werde Sie als eine der olympischen Schönheiten malen.«
»Ich soll eine Göttin werden,« staunte die kokette Dame.
»Sie sind es bereits,« lachte Tomasi, »und ich stelle den glücklichen Sterblichen vor, zu dem Sie von Ihrem hohen Olymp herabgestiegen sind, Endymion wenn Sie wollen.«
»Unmöglich, ich kann doch nicht als Diana –«, stammelte Frau von Protasow.
»Oh! die Marquise von Pompadour hat sich auch mit den Emblemen dieser jungfräulichen Jägerin malen lassen,« fiel Tomasi ein, »auch Sie sollen Bogen und Köcher tragen, um die Liebespfeile anzudeuten, welche Sie ohne Mitleid nach allen Männerherzen versenden.«
»Schmeichler!«
Der Italiener gab der schönen Frau die Attitüde und begann hierauf zu malen. Plötzlich schrie Frau von Protasow auf: »Ich hab's, ich hab's« und begann im Gemach herumzutanzen.
»Was haben Sie?« fragte der Maler verblüfft »Wir sind gerettet!« jubelte Frau von Protasow. »Ich kenne einen Freibauern hier in der Nähe, bei dem ich Sie verborgen halten will, und der Kaiserin sage ich, daß Sie plötzlich erkrankt sind und deshalb Zarskoje Selo verlassen haben.«
Ohne ihren Anbeter weiter zu fragen, packte sie ihn in ihre gedeckte Portechaise und ließ ihn auf Umwegen durch ihre vertrauten Diener nach dem Hofe des Freibauern bringen, wahrend sie selbst ein Pferd bestieg und vor ihm an Ort und Stelle eintraf, um rasch alles Uebrige mit dem treuen und bereitwilligen Alten abzumachen. Dann kehrte sie in den Palast zurück und ließ sich auf der Stelle bei der Kaiserin melden.
»Wo bleibt der Maler?« rief Katharina II., welche in einem prachtvollen Negligee in einem Fauteuil saß und sich von Zeit zu Zeit von oben bis unten mit Parfüm besprengte.
»Er – er ist verhindert,« stammelte die Vertraute.
»Verhindert, wenn ich befehle!« sprach die Zarin schwer atmend, ihre Brust begann im Zorn gleich einem Meer zu wogen.
»Tomasi ist plötzlich krank geworden, Majestät!« fuhr Frau von Protasow fort, »er hat Zarskoje Selo verlassen und befindet sich bei einem Bauern hier in der Nahe.«
»Er hat auf der Stelle gesund zu werden,« gebot Katharina II., »und wenn er binnen einer Stunde nicht vor mir erscheint, sollen ihn vier Grenadiere holen.«
»Unmöglich, Majestät!« rief Frau von Protasow »denn Tomasi hat eine Krankheit, welche ebenso gefährlich als ansteckend ist.«
»Doch nicht die Blattern?« fragte die Zarin rasch.
»Ja wohl, die Blattern, Majestät,« erwiderte Frau von Protasow aufatmend.
»Dann freilich,« murmelte Katharina, »dann geht es nicht.«
»Gewiß nicht,« bekräftigte die Vertraute, »Majestät dürfen Ihre gefeierte Schönheit nicht einer solchen Gefahr aussetzen.«
»Finden Sie mich noch schön«, lächelte Katharina II. gnädig.
»Wer käme in Ihre Nähe, ohne von Ihren Reizen begeistert zu sein.«
»Wirklich, ich sehe heute sehr gut aus,« sprach Katharina – sie hatte sich schwerfällig erhoben und ihren riesigen Körper zu dem nächsten Wandspiegel geschleppt – »sehr gut. Sobald Tomasi wieder gesund ist, soll er mich als Venus malen.«
Der Herbst hatte den Hof der nordischen Semiramis früher als sonst aus Zarskoje Selo vertrieben, auch Tomasi war nach Petersburg übergesiedelt, wo er in Gesellschaft seines Freundes Boschi den Hintertrakt des Palastes Protasow bewohnte und die schöne Gebieterin desselben in allen möglichen Stellungen und Toiletten zeichnete und malte. Der ganze Olymp wurde entvölkert, um ihren Palast zu schmücken; hier stieg die Geliebte als Anadiomene aus dem Meeresschaum, dort verwandelte sie, von ihren Nymphen umgeben, Tomasi-Acteon in einen Hirsch, während sie in dem nächsten Saale als Götterkönigin, den Pfau zur Seite, neben Jupiter-Boschi thronte.
Der Winter verging den Liebenden in Gesellschaft der Musen und des kleinen schalkhaften Liebesgottes ganz vortrefflich. Die Kaiserin hatte in dem bacchantischen Strudel ihrer verschwenderischen Hofhaltung, ihrer Bälle, Assembleen, Schlittagen und winterlichen Volksfeste den schönen italienischen Maler samt seinen Blattern vergessen.
Und wieder war es Frühling geworden und wieder Sommer, und Katharina II. residierte neuerdings in dem reizenden Landsitz der russischen Zaren. Ein Zufall wollte, daß sie eines Abends mit der Prinzessin Mentschikoff promenierend an jenem Gebüsche vorbeikam, in welchem sie Tomasi damals zeichnend überrascht hatte.
Mit einem Male stand, durch eine leicht erklärliche Ideen-Assoriation hervorgezaubert, das Bild des schönen Italieners in voller Farbenfrische wieder vor ihrer Seele.
» A propos!« begann sie, »haben Sie nie mehr etwas von jenem italienischen Maler gehört, Prinzessin, welcher mich im vorigen Jahre malen sollte, jedoch durch einen merkwürdigen Zufall an demselben Tage, an dem er zu beginnen hatte, an den Blattern erkrankt ist?«
»Wie hieß er, Majestät?« erwiderte die Prinzessin. »Ich habe nie etwas von ihm gehört.«
»Sein Name ist mir entfallen,« sprach Katharina II., »aber seine jugendlich schlanke Gestalt steht deutlich vor mir.«
»Ein italienischer Maler?« sann die Prinzessin nach. »Doch nicht jener am Ende, den Frau von Protasow diesen Winter geheimnisvoll in ihrem Palaste beherbergt hat, der die Plafonds und Wände ihrer Säle mit den prächtigsten Bildern aus der Mythologie geschmückt?«
»Unmöglich!« rief die Zarin, »aber nein, doch nicht unmöglich, Prinzessin. Wenn diese Protasow, wenn sie mich hintergangen hat, Sie sollen dann einmal sehen, wie ich strafen kann.« Ihre Augen rollten unheimlich, und die ganze Fettmasse, Katharina II. genannt, begann gleich einer Gallerte zu zittern.
Kaum war die zentnerschwere Despotin in den Palast zurückgekehrt, befahl sie Frau von Protasow in ihr Arbeitskabinett, in dem sie, an eine zornige Ente mahnend, mühsam auf- und abwackelte.
» Bon soir, meine Teure!« begann sie. »Sagen Sie mir doch, was aus dem italienischen Maler geworden ist, den vorigen Sommer die Blattern verhindert haben, mich zu malen.«
»Er hat – er ist – er wird –«, stammelte die Vertraute in unbeschreiblicher Verwirrung.
»Man beschuldigt Sie, ma chère, ihn in Ihrem Hause in St. Petersburg gefangen zu halten«, inquirierte die Monarchin, mit den Fingern ungeduldig auf der Fensterscheibe trommelnd.
»Zu welchem Zweck?« entgegnete die Protasow mit einem erzwungenen Lächeln.
Katharina trat auf sie zu und heftete ihre durchdringenden blauen Augen forschend auf ihr Antlitz. »Soll ich es Ihnen sagen?«
»Ich kann beim besten Willen nicht erraten,« sagte die Vertraute, welche ihre Ruhe so ziemlich wiedergewonnen hatte.
»Man erzählt, daß er Ihren Palast mit Gemälden geschmückt hat,« fuhr die Zarin fort.
»Allerdings,« hauchte die Protasow.
»Sie kennen also seinen Aufenthalt?«
»Ja.«
»Sehr gut. Ich gebe Ihnen also drei Tage Zeit, um diesen – wie heißt er doch – diesen Maler aufzutreiben. Ich will mich von ihm malen lassen, es ist einmal eine Laune von mir, und ich wünsche nicht, daß Sie in irgend einer Weise sich nachlässig zeigen oder meine Absicht durchkreuzen. Bon soir!« Damit wurde die am ganzen Leibe bebende Vertraute von der auf das Höchste gereizten Kaiserin entlassen. Sie bestieg sofort ihre Portechaise und ließ sich nach dem Höfchen des alten Freibauern tragen, bei dem sie, wie im vorigen Jahre, Tomasi und seinen Freund Boschi einquartiert hatte.
»Ich bin die unglücklichste Frau der Welt«, rief sie in dem Augenblick, wo sie die Schwelle der Isba überschritt, in der die beiden Maler hausten.
»Was ist geschehen?« fragte Tomasi erregt.
»Die Kaiserin – ich weiß nicht, wie sie sich Ihrer wieder erinnert hat – genug, sie will sich von Ihnen um jeden Preis malen lassen«, berichtete die geängstigte Schöne; »sie hat mir befohlen, Sie längstens binnen drei Tagen zu ihr zu bringen. Mir droht Ungnade, Entlassung, ja, vielleicht noch weit mehr.«
»Nun, so lassen Sie mich denn in Gottesnamen das Monstrum malen,« fiel Tomasi ein.
»Aber die Blattern, sie wird die Spuren derselben vergebens suchen und erraten, daß wir sie getäuscht haben. Oh! sie ist furchtbar in ihrem Zorne, grausam, unerbittlich,« seufzte die schöne Frau.
»Verdammt!« murmelte Tomasi.
»Ich habe einen glücklichen Einfall«, rief plötzlich Boschi, der indes vor sich hingebrütet hatte. »Sehen Sie einmal meine Visage an, wie die von den Blattern zerrissen ist, ja, sie haben mir sogar das linke Auge zerstört. Ich habe so ziemlich Tomasis Gestalt, ich werde bei der Zarin seine Rolle spielen, und uns allen ist geholfen. Ihre Idylle erfährt keine Unterbrechung, und ich mache noch mein Glück an diesem kuriosen Hofe, so wahr ich Adriano Malefuzzi Boschi heiße.«
»Boschi, Du bist ein Prachtkerl«, schrie Tomasi auf, »ein wahres Genie, ich habe es immer gesagt.«
»Wir sind gerettet,« jauchzte Frau von Protasow. »Morgen Abend schon will ich Sie der Zarin vorstellen, versuchen Sie, was Ihr Mutterwitz und die Kühnheit, an der es Ihnen ebensowenig fehlt, über die launenhafte Herrscherin von Gottes Gnaden vermögen.«
Während die Liebenden sich an dem nächsten Tage gleich mutwilligen Kindern in dem Obstgarten, welcher die Isba des Freibauern umgab, sorglos umhertrieben, schien Boschi mit einem Male ganz verwandelt; er, auf dessen Zunge sonst stets irgend eine Bosheit oder ein Witz saß, ließ den Kopf hängen und machte die trübseligste Miene von der Welt. Seine Mappe in der Hand, schlenderte er in der Gegend hin und her und hielt allerhand tragikomische Monologe.
»O, warum bin ich nicht schön!« sagte er immer wieder zu sich selbst, »ich könnte jetzt der Günstling der mächtigsten Monarchin der Erde werden. Sie ist zwar rund wie ein Heringsfaß, und riecht auch wie ein solches, aber sie kommandiert ein großes Reich, unermeßliche Schätze stehen ihr zur Verfügung.«
Er blieb vor einem Bache stehen, welcher murmelnd über die Steine sprang und ihn zu verspotten schien.
»Bin ich denn wirklich so häßlich?« fragte er und beugte sich über das Wasser, aus dessen bewegtem Spiegel ihn sein verzerrtes Gesicht angrinste. »In der That ein abscheulicher Kerl, aber dieser Bach hier ist ein mutwilliger Geselle, der seinen Scherz mit mir treibt. Ich will einen redlicheren fragen!«
Einige hundert Schritte weiter lag ein kleiner Teich. Boschi lief zu demselben hin und betrachtete sich neugierig in demselben. »Nun sehe ich viel besser aus«, seufzte er, »aber zum Verlieben doch nicht. Verflucht sei die Stunde meiner Geburt!«
Er befand sich jetzt auf einer großen, frisch gemähten Wiese, welche mit zahlreichen Heuschobern bedeckt war; in einiger Entfernung lag ein hübscher Landsitz, dessen weißgetünchte Mauern von dem frischen Grün der sie umgebenden Baumgruppen wirksam abstachen. Das Ganze gab ein freundliches ländliches Bild, so verschieden von den Landschaften seiner toskanischen Heimat, daß Boschi von demselben gefesselt sich in den nächsten Heuschober setzte und zu zeichnen begann.
Plötzlich war es ihm, als ob der Heuschober seufze.
»Seltsam«, brummte er, »ein Heuschober, der ebenso unglücklich zu sein scheint wie ich, am Ende ist er verliebt. He! wer ist da?«
Keine Antwort.
»Also doch der Heuschober.«
Nach einiger Zeit ertönte hinter ihm ein deutliches Schnarchen.
»Nicht übel«, lachte Boschi, »nun schläft er gar. Hier in diesem von Menschenhand noch ziemlich unentweihten Lande scheint die Natur beseelt zu sein wie zu Aesops Zeiten in Griechenland. Aber wir wollen doch sehen.«
Boschi erhob sich und umschritt langsam den Heuschober, da lag plötzlich ein Jüngling von außerordentlicher Schönheit vor ihm im Heu auf dem Rücken und schlief. Rasch holte er sich seine Mappe und begann den herrlichen Fremden, der weit mehr als das Seufzen des Heuschobers an Hellas mahnte, zu zeichnen. Boschi war mit seiner Skizze beinahe fertig, als der schöne Schläfer seine jungen Glieder zu strecken begann und zugleich die vollen roten Lippen zu einem lauten Gähnen öffnete.
»Rühren Sie sich nicht, mein Herr, Sie verderben mir mein Bild!« schrie der Maler.
Der Fremde war jetzt vollkommen wach geworden, setzte sich auf und sah ihn erstaunt an.
»Legen Sie sich nur noch für wenige Minuten auf den Rücken«, rief Boschi.
»Zu welchem Zweck?« fragte der Fremde, der den Italiener nicht begriff.
»Sehen Sie nicht, daß ich dabei bin, Sie zu zeichnen?«
»Mich?«
»Ja, Sie.«
Der junge Mann lachte hell auf.
»Lachen Sie, so viel es Ihnen Vergnügen macht,« erklärte Boschi, »aber nehmen Sie Ihre frühere Stellung ein.«
Der Fremde, dem das Abenteuer Spaß machte, fügte sich endlich den Bitten des Italieners, und dieser konnte ungestört seine Zeichnung vollenden. »So, jetzt sind Sie frei«, sprach er, seine Mappe zusammenpackend, »darf ich schließlich noch fragen, mit wem ich die Ehre habe?«
»Mein Name ist Platon Zuboff«, erwiderte der Jüngling sich erhebend, »ich bin Lieutenant in der Preobraschenskischen Garde und im Augenblick hier auf Urlaub bei meinen Eltern. Das Gebäude, das Sie dort sehen, ist der Stammsitz unserer Familie. Und Sie?«
»Boschi, Maler aus Florenz«, sprach der Italiener.
»Aber wissen Sie, mein junger Herr, daß Sie ein Glückskind sind?«
»Ich?«
»Ja, Sie.«
»Sie irren«, sagte Zuboff, »ich bin der unglücklichste Mensch in ganz Rußland, vielleicht in der ganzen Welt.«
»Unmöglich.«
»Doch«, fuhr der schöne Lieutenant fort, »ich kann nicht avancieren, und meine Geliebte hat einen anderen geheiratet, wollen Sie noch mehr?«
»Nicht zu glauben. Sie – ein junger Mann von so seltener Schönheit –?«
»Oh! Sie schmeicheln –«
»Nicht im mindesten.«
»Mir hat noch nie jemand gesagt, daß ich schön bin, und so vergeben Sie mir, wenn ich Ihren Worten wenig Glauben schenke.«
»Das verstehen Sie nicht«, schrie Boschi. »Wenn ich Ihnen sage, Sie sind schön, so können Sie überzeugt sein, daß Sie es sind. Und Sie lassen sich so ohne weiteres vom Schicksal verfolgen, Sie, ein Mann, von der Natur mit allen jenen Gaben beschenkt, um an dem Hofe der nordischen Semiramis die erste Rolle zu spielen? Lassen Sie mich machen, junger Held, wir müssen Freunde werden, und wenn Sie diesen Lieutenantsrock mit der Generalsuniform vertauscht haben, dann vergessen Sie Ihren treuen Boschi nicht ganz.«
»Sie halten es für möglich?« rief Zuboff.
»Ich werde Sie protegieren«, sprach Boschi mit komischer Würde, »und das ist in diesem Augenblicke mehr, als wenn Potemkin Sie beschützen würde.«
»Aber ich verstehe nicht –«, stammelte Zuboff.
»Sie brauchen auch gar nichts zu verstehen.«
*
Am folgenden Tage wurde Boschi, der sich auf das lächerlichste aufgeputzt hatte, durch Frau von Protasow bei der Kaiserin eingeführt, welche in einem Fauteuil saß, die Füße auf einen Sessel ausgestreckt, und ein neues französisches Buch las. Sie sah den Maler lange forschend an und begann endlich über seine Toilette, welche an seinen Farbenkasten mahnte, zu lächeln.
»Sie also sind der Maler Tomasi?« fragte sie. »Ja, Majestät.«
»Ich hätte Sie beinahe nicht wieder erkannt,« fuhr Katharina II. fort, »es ist zu lange her, daß ich Sie nicht gesehen habe.«
»O! Majestät sind zu gütig gegen ihren submissen Knecht«, erwiderte Boschi mit einem plumpen Kratzfuß, »Majestät wollen mir nicht sagen, daß mich in der Zwischenzeit diese abscheulichen Blattern so zerrissen haben, daß mich mein bester Freund, der Maler Boschi, beinahe nicht mehr kennt.«
»Ich bedaure Ihr Unglück lebhaft«, sprach Katharina II., das Buch weglegend, »Sie waren ein sehr hübscher Mann, ja, sehr hübsch ohne Uebertreibung, man mußte Ihnen auf den ersten Blick gut sein.«
»Und jetzt finden Majestät, daß ich eine Art Ungeheuer geworden bin,« rief Boschi, »aber ich hoffe, daß eine Dame von Ihrem beispiellosen Genie mir deshalb ihre Gunst nicht ganz entziehen wird.«
»Ich hatte die Absicht, mich von Ihnen malen zu lassen«, begann die Zarin.
»O! geben Sie diese Absicht nicht auf, Majestät«, flehte Boschi. »Wenn Sie mich der außerordentlichen Gnade würdig finden, durch meinen Pinsel die Reize der schönsten Frau der Welt zu verewigen.«
»Sie dachten damals anders über diesen Punkt«, fiel die Zarin lächelnd ein.
»Damals habe ich noch nicht Rubens studiert«, beteuerte Boschi, »aber jetzt schwöre ich, daß Sie an Reizen nicht Ihres Gleichen haben, Majestät, ich schwöre dies, so wahr ich Tomasi heiße.«
»Gut denn, Sie sollen mich malen«, entgegnete Katharina II., Boschi stürzte in überströmender Dankbarkeit zu ihren Füßen nieder und küßte die kleine fette Hand, welche sie ihm huldvoll reichte. »Ich will aber kein Porträt, sondern irgend ein mythologisches Bild«, fuhr sie fort. Es war die Eitelkeit aller durch Korsett und Stöckelschuhe entstellten Damen der Rokokozeit, auf der Leinwand in der Rolle irgend einer stark dekolletierten Frau zu prangen.
»Natürlich ein mythologisches Bild«, schrie der schlaue Italiener, noch immer vor der nordischen Semiramis auf den Knien, »und wenn ich Sie so vor mir sehe, Majestät, in Ihrer ganzen unwiderstehlichen, kolossalen Schönheit, so sage ich mir, Sie können nur die Liebesgöttin vorstellen, keine andere. Ich werde ein großes Bild malen in dem Genre wie jenes Paolo Veroneses in Palazza Manfrei zu Venedig, ›Venus und Adonis‹.«
»Ja, aber wo nehmen wir den Adonis her, mein lieber Tomasi?« seufzte die Zarin.
»Schade, daß die Blattern Sie so mitgenommen haben, Sie wären ein prächtiger Adonis gewesen. O! wie schön Sie waren, armer Tomasi!« Sie legte ihm zärtlich die Hand auf die Schulter.
»Das ist einmal nicht zu ändern, Majestät«, rief Boschi, »aber ich werde mir schon ein passendes Modell auftreiben, lassen Sie das nur meine Sorge sein.«
Schon am nächsten Tage begann Boschi zu malen, er skizzierte die ganze Scene und ließ dann die Zarin sitzen. Es gelang ihm vortrefflich, das schwierige Problem zu lösen, ein gutes Porträt zu liefern und doch zugleich ein berückend schönes Weib auf die Leinwand zu zaubern. Katharina II. erschien auf seinem Bilde um mindestens dreißig Jahre verjüngt, mit allen Reizen geschmückt, welche sie zur Zeit besaß, als sie, den Hut mit Eichenlaub bekränzt, bei der roten Schenke die Truppen zur Empörung gegen ihren Gemahl, den Zaren Peter II., fortriß. Sie war sehr zufrieden und konnte sich kaum von dem Bilde trennen, als Boschi es in seine Wohnung bringen ließ, um auch den Adonis zu malen, der vorläufig nur mit ein paar kühnen Strichen gezeichnet, zu ihren Füßen lag. Es wurde Herbst, und der Hof war wieder in St. Petersburg, als er das Gemälde beendet hatte. Er stellte es in einem Saale des Winter-Palastes auf und ließ die Zarin einladen, es zu prüfen. Katharina II. kam so rasch, als es nur ihr Körperumfang gestattete. Boschi zog den Vorhang, welcher das Bild verhüllte, weg. In diesem Augenblicke stieß sie einen Schrei der Verwunderung aus. »Herrlich!« rief sie, »entzückend! Sie sind ein ausgezeichneter Künstler, Tomasi, aber dieser Adonis, dieser Jüngling, welcher an süßer Schönheit seines Gleichen sucht, ist wohl nur Ihr Ideal?«
»Nein, Majestät,« erwiderte Boschi trocken, »dieser Adonis ist ein wirklicher lebendiger Mensch und nennt sich Platon Zuboff.«
»Unmöglich,« rief Katharina II., das Bild anstarrend, »mindestens haben Sie ihn sehr verschönert.«
»Nicht im mindesten«, entgegnete der Maler, »übrigens können sich Majestät selbst davon überzeugen.«
»Ja, das will ich auch«, sagte die Zarin in unbeschreiblicher Aufregung, »und heute noch, ja, auf der Stelle.«
Als Boschi mit dem schönen Zuboff in den Saal trat, in welchem die Zarin noch immer in dem Anschauen des Bildes sich vertiefte, blieb diese anfangs sprachlos, dann stammelte sie, bald den Adonis auf der Leinwand, bald den Jüngling, der errötend vor ihr stand, mit den Augen verschlingend: »Ja, Tomasi, Sie haben recht, das ist Adonis, wie er leibt und lebt.« Dann näherte sie sich Zuboff, der sich demütig auf sein Knie niederließ, und sprach, ihn auf die Wange klopfend: »Sie gefallen mir sehr gut, junger Mann, wenn Ihre Geistesgaben in keinem zu großen Mißverhältnis mit Ihrer körperlichen Schönheit stehen, werden Sie Ihr Glück machen, ich sage Ihnen das, ich, die Kaiserin.« Mit gnädigem Lächeln reichte sie ihm die Hand, und Zuboff preßte dieselbe stürmisch an seine Lippen.
Die Kaiserin seufzte. Sie hatte sich im ersten Augenblicke sterblich in ihn verliebt, aber so schwach dieses große Weib auch war, sie verlor ihre äußere Würde, den Glanz ihrer Krone nie aus dem Auge und hätte um alles in der Welt keinen unbedeutenden Menschen durch ihre Gunst Einfluß auf die Geschicke ihres Staates gewinnen lassen wollen.
Sie sandte also Zuboff zu Frau von Protasow und beauftragte die letztere, den Adonis so vertraut als nur möglich zu machen und im intimen Verkehr mit ihm seine Talente, sowie sein Wesen und seinen Charakter zu studieren und ihr dann Bericht zu erstatten.
Die ganz außerordentliche Schönheit Zuboff's machte auf Frau von Protasow denselben Eindruck wie auf die Zarin. Die junge, weltgewandte Frau fand anfangs keine Worte, denn – als sie ihn mit der kindischen Bewegung eines schwärmerischen Mädchens einlud, neben ihr auf dem Sofa Platz zu nehmen, schoß ihr das Blut verräterisch in die Wangen, und als Zuboff, den das reizende Weib, mit dem er sich allein sah, gleichfalls entzückte, ihre Hand berührte, begann sie zu beben. Der Pfeil Amors hatte ihr Herz ebenso ernstlich verwundet, wie jenes ihrer kaiserlichen Gönnerin.
Eine Stunde verrann in zärtlichem Geplauder und eine zweite. Frau von Protasow hatte ihre Ruhe wieder gewonnen und ließ alle die feinen gefährlichen Künste ihrer Koketterie spielen, um den schönen Adonis zu fesseln, zu erobern, was sehr überflüssig war, denn er lechzte ja förmlich darnach, sich in ihr Netz zu stürzen.
Aus einem ceremoniellen Besuch war zuletzt eine Schäferstunde geworden. Beide hatten an diesen Ausgang nicht im Entferntesten gedacht. Die Thür war offen geblieben, und so geschah es, daß Zuboff zu den Füßen der reizenden Frau lag und sie ihn mit den üppigen Armen umschlungen hielt und Tomasi, der wirkliche Tomasi, der begünstigte Anbeter der Frau von Protasow, plötzlich im Boudoir der schönen Verräterin vor der Gruppe stand, welche, so malerisch sie war, ihn in beispiellose Wut versetzte.
»Sofie!« schrie er auf, »was muß ich sehen! Schlange! Satan! Ich erwürge Dich.« Er stürzte auf die Geliebte los, aber Zuboff hatte sich rasch erhoben und seinen Degen gezogen.
»Was will dieser Mensch?« fragte er, gleichfalls von Eifersucht ergriffen.
»Beachten Sie ihn nicht«, entgegnete Frau von Protasow mit unglaublicher Kaltblütigkeit, »er ist nicht ganz bei Sinnen, und wenn er seinen Anfall hat, quälen ihn die merkwürdigsten Einbildungen, lassen Sie mich allein mit ihm, ich werde ihn schon zur Raison bringen.«
»Einbildungen?« schrie der Italiener, »ich bilde mir also ein, daß Sie mich lieben?«
»Gewiß bilden Sie sich das ein«, unterbrach ihn Frau von Protasow mit einem mutwilligen Gelächter, »gehen Sie, Zuboff, seien sie ohne Sorgen, ich fürchte mich nicht vor ihm«.
Zuboff steckte seinen Degen ein, küßte die Hand der schönen Frau und verließ mit einem triumphierenden Blick auf Tomasi das Gemach. Kaum war Frau von Protasow allein mit dem Maler, schnellte sie vom Sofa empor, ergriff Tomasi bei beiden Ohren und begann ihn, gleich einem unartigen Jungen, bei denselben hin und her zu zerren. »Wie können Sie mich so bloßstellen«, rief sie dabei, »wir sind geschieden, für immer geschieden. Verlassen Sie mich auf der Stelle!«
Kaum hatte sie ihn losgelassen, fiel Tomasi vor ihr auf die Knie und begann sie um Vergebung zu bitten. Sie schmollte noch einige Zeit, dann sagte sie: »Gut ich will diesmal noch mit Ihnen gnädig sein, aber wehe Ihnen, wenn Sie noch einmal eifersüchtig sind.«
»Habe ich denn keine Ursache dazu?« wendete der arme verliebte Maler schüchtern ein.
»Nein.«
»Wirklich nicht? – aber die Situation, in welcher –«
»Zuboff ist seit heute der Günstling der Zarin« sagte Frau von Protasow rasch, »Sie wissen, daß Katharina II. kleine Stücke in französischer Sprache verfaßt und von ihrem Hofe aufführen läßt. In ihrem neuesten Produkte spielen ich und Zuboff die Liebenden, und so waren wir eben daran, eine Scene zu probieren.«
»Wirklich?«
Alle weiteren Zweifel erstickte die Frau mit ein paar feurigen Küssen.
Den Bericht, den Sofie von Protasow nach acht Tagen der Zarin über Platon Zuboff erstattete, lautete so günstig, daß Katharina II. den Adonis auf der Stelle zum Obersten avancieren und ihm Gemächer im Palaste anweisen ließ. Er war nun der tägliche Genosse der beiden Frauen und sie wetteiferten, ihn mit Liebenswürdigkeiten zu überhäufen. Auch Boschi, der falsche Tomasi, hatte sein Glück gemacht. Katharina II. hatte ihm eine bedeutende Summe für sein Bild »Venus und Adonis« auszahlen lassen und weitere Scenen aus der Mythologie sowie ein Porträt Platon Zuboff's bei ihm bestellt. Auch erhielt er eine Wohnung und ein prächtiges Atelier im Palast.
Tomasi schien vollkommen beruhigt; da wollte ein boshafter Zufall, daß er eines Abends, als ihn Sofie bereits verabschiedet hatte, zurückkehrte, um sein Skizzenbuch zu holen, das er in ihrem Boudoir vergessen hatte. Schon im Korridor hörte er ein paar Stimmen, welche sich im Zimmer seiner Schönen lebhaft zu unterhalten schienen, als er sich ihrer Thüre näherte, unterschied er deutlich die ihre und jene eines Mannes. Sofort fiel sein Verdacht auf Zuboff. Er legte das Auge an das Schlüsselloch und sah seinen Nebenbuhler mit Frau von Protasow auf einer Ottomane sitzen. Sie hielten sich umschlungen, plauderten und von Zeit zu Zeit zog die Treulose den Adonis an sich und küßte ihn auf die vollen blühenden Lippen.
Tomasi klopfte.
Es wurde still, aber Niemand meldete sich.
Er klopfte noch einmal.
Jetzt rief Frau von Protasow: »Wer ist da?«
»Ich, liebe Sofie.«
»Ich bin bereits zu Bett«, gab sie zur Antwort.
»Ich habe mein Skizzenbuch vergessen«, fuhr der Italiener fort, »sei so freundlich, mir nur für einen Augenblick zu öffnen.«
»Du kannst es morgen holen.«
»Nein, meine Liebe, denn ich will den Morgen benutzen, und nach der Natur zeichnen.«
»Du wirst eben morgen nicht zeichnen.«
»Ist Jemand bei Dir«, begann jetzt Tomasi, den die Eifersucht wahnsinnig machte, »Dein Betragen ist sehr geeignet, Verdacht einzuflößen.«
»Narr!« rief die Verräterin, »ich muß Dir also öffnen, um Dich zu überzeugen, wie albern Du bist.« Tomasi blickte wieder durch das Schlüsselloch, er sah wie Frau von Protasow den Adonis in einer Fensternische verbarg, die Vorhänge zuzog und dann über ihr Nachtkleid einen prächtigen Schlafpelz umwarf.
Endlich öffnete sie. Tomasi trat ein, schloß die Thür und heftete einen Blick voll Schmerz und Wut zugleich auf das schöne Weib, das ihm mit halb aufgelöstem Haare, das dunkle schwellende Pelzwerk um die üppige Büste und die vollen Arme, reizender als je erschien. »Also doch verraten«, murmelte er, »durch eine falsche gleißnerische Schlange, aber ich werde Dich zertreten, Schlange, Du sollst mir keinen mehr bestricken.« Er ergriff die Geliebte beim Arm und riß sie zu Boden.
»Bist Du von Sinnen?« stammelte Frau von Protasow.
»Ich bin nur zu sehr bei Verstand«, schrie er, »ich sehe jetzt alles klar, Elende, ich werde Dich töten und dann ihn, der dort hinter dem Vorhang steckt.«
»Hilfe«, rief die schöne Frau, »Hilfe!«
Schon hatte Tomasi die starke seidene Schnur von ihrem Schlafpelz herabgerissen, um ihren Hals geschlungen und drohte sie damit zu erwürgen, als ein Faustschlag in das Genick ihn zu Boden streckte und im nächsten Augenblicke Zuboff den Fuß auf den Halbbetäubten setzte. Ehe er sich fassen konnte, hatte die schöne Verräterin rasch entschlossen mit derselben Schnur, mit der er sie erdrosseln wollte, seine Füße gefesselt, und es wurde nun seinem Nebenbuhler leicht, ihm mit ihrer Hilfe auch die Hände auf den Rücken zu binden und ihn mit ihrem Taschentuche zu knebeln.
Jetzt, wo der unglückliche Maler sich weder regen, noch einen Laut von sich geben konnte, trat Frau von Protasow vor ihn hin und sprach mit spöttischem Lächeln: »Nun, Tomasi, bist Du jetzt zufrieden? Wenn Du es noch nicht wissen solltest, so sage ich es Dir jetzt, Du langweilst mich, ich liebe Dich nicht mehr, ich liebe diesen Adonis hier, Dich aber werde ich über die Grenze schaffen lassen, denn Du fängst an mir lästig zu werden.«
Noch in derselben Nacht wurde Tomasi auf Befehl des Polizei-Chefs, welcher der Vertrauten der Kaiserin stets zur Verfügung stand, in einer Kibitke, mit Ketten beladen, von Polizeidienern eskortiert, abgeführt und erst an der Preußischen Grenze frei gelassen.
Er rächte sich in sehr origineller Weise durch zwei Bilder, welche er in Paris ausstellte und die unbeschreibliches Aufsehen erregten. Das eine stellte Katharina II. als Circe dar, plump wie eine holländische Nymphe, von ihren Höflingen umgeben, welche ihrem Charakter entsprechend in Tiere verwandelt sind. Orloff erscheint als Bär, Potemkin als Tiger, Zuboff als Pfau.
Die zweite Leinwand zeigte Frau von Protasow als Diana, welche von Tomasi als Actäon im Bade überrascht wird und denselben in einen Hirsch verwandelt. Es war der Augenblick festgehalten, wo die Verwandlung damit beginnt, daß auf dem Haupte Tomasi's ein Geweihe emporschießt.
Von beiden Bildern fertigte der Italiener Stiche an und sendete Exemplare an die Zarin, welche sich rasend ärgerte, und an Frau von Protasow, welche herzlich darüber lachte.
»Eine neue Verschwörung der Garden ist entdeckt!«
Das war der Morgengruß Orlow's am 23. Mai 1765 an die Zarin Katharina II.
Sie sprang mit beiden Füßen aus dem Bette und faßte den Günstling bei dem Goldkragen seiner Uniform. »Hast Du sie verhaftet, Gregor?« rief sie zornig.
»Sie sind in Deiner Hand, Katharina.«
Die Kaiserin nickte und zeigte vergnügt lächelnd ihre schönen Zähne, dann warf sie einen mit flandrischen Spitzen besetzten leichten Schlafrock über sich, riß an der Glocke und berief ihre Vertrauten. Ohne Orlow weiter zu beachten, ging sie, die Arme auf der Brust verschränkt, mit großen Schritten in ihrem Schlafgemache auf und ab. In wenig Minuten waren die Fürstin Daschkow, Graf Panin, Geheimrat Teglow, Generallieutenant Wegmare um sie versammelt.
Zuletzt erschien Frau von Mellin, die schöne Amazone, welche das Regiment Tobolsk als Oberst kommandierte, im grünen militärischen Überrock, den kleinen dreieckigen Hut kokett auf das Toupet gestülpt, die Reitpeitsche in der Hand. Zu ihr wendete sich die Kaiserin zuerst.
»Setzen Sie sich zu Pferde, liebe Mellin,« rief sie noch immer erregt, »teilen Sie scharfe Patronen an Ihre Soldaten aus und führen Sie das Regiment hierher zur Ablösung der Garden. Eilen Sie!«
Der schöne Oberst salutierte und flog dann rauschend aus dem kaiserlichen Schlafgemache.
»Eine neue Verschwörung der Garden«, fuhr Katharina fort, »will die Empörung gegen mich kein Ende nehmen? Was wollen die Menschen, die sich unter meine Räder werfen, wie wahnsinnige Indier vor dem Wagen ihrer Göttin? Ich muß sie zermalmen und ich will doch kein Blut sehen. Seit zweiundzwanzig Jahren ist kein Schaffot in meiner Hauptstadt aufgerichtet worden, heute will ich aber ein Exempel statuieren! Graf Panin, eilen Sie in die Kaserne unserer Garden und sprechen Sie den Verführten zu; Sie, Taglow, versammeln den Senat. Ihre Truppen, General Wegmare, besetzen die Straßen zum Palast, Ihre Geschütze, Orlow, fahren unten auf dem Platze auf.«
Die Kaiserin machte eine Bewegung gegen das Fenster.
Jeder neigte sich tief und eilte, den Befehl der unumschränkten Herrscherin Rußlands zu vollziehen.
Nicht lange darnach verlangte eine Deputation der Garden, welche die Wache im Palaste bezogen hatten, von ihr Gehör. Katharina erbleichte, aber befahl kurz und stolz, sie einzulassen. Die Deputation marschierte herein, zwei Offiziere, zwei Unteroffiziere, zwei Soldaten, und stellte sich in Reih und Glied.
Die Kaiserin schritt langsam ihre Front ab. Mann für Mann fest ins Auge fassend, und blieb dann vor ihrem Toilettentisch stehen, die Hände nach rückwärts auf denselben gestützt.
»Wer hat Euch gewählt?«
»Unser Regiment.«
»Zu welchem Zwecke?«
»Wir verlangen Gerechtigkeit für unsere Kameraden.«
»Ihr bittet um Gnade.«
»Um Gerechtigkeit.«
»Gerechtigkeit soll ihnen werden«, rief die Kaiserin rot vor Zorn, »und Euch! Bei dem nächsten Komplotte laß ich Eure Regimenter decimieren.«
»Wenn Ihr es wagt«, rief der Sprecher der Soldaten, ein junger Offizier.
»Es wird sich zeigen, was ich kann, adieu!« Katharina kehrte ihnen den Rücken und trat an das Fenster. »Geht!«
Die Garden rührten sich nicht.
»Geht!« herrschte sie ihnen zu.
»Wir gehen nicht! – Gebt unsere Leute heraus!« schrieen sie tumultarisch durcheinander.
»Gieb sie heraus!« rief der junge Offizier, unsanft Katharinens Arm fassend.
Die Fürstin Daschkow riß ihn zurück. In demselben Augenblick tönten die Trommeln des Regimentes Tobolsk, und der weiße Federbusch der Frau von Mellin winkte die Straße herauf.
»Ich gebe sie nicht«, erwiderte Katharina kalt. »Strenge Strafe wird die Empörer treffen. Und nun zu Euch. Wer für Rebellen bittet, ist selbst Rebell.« Sie trat rasch auf den jungen Offizier zu und riss ihm den Degen aus der Scheide. »Ihr seid mein Gefangener. Und Ihr« – rief sie majestätisch den andern zu – »gebt Euch gutwillig, Ihr seid in meiner Hand.«
Kolben rasselten nieder, Frau von Mellin erschien in der Thüre, ihre Soldaten hatten alle Ausgänge besetzt. Stumm, das Haupt gesenkt, ließen sich die Deputierten der Garden verhaften und abführen. Bald rasselten von allen Seiten die Trommeln, die Geschütze Orlow, Wegmare folgten Frau von Mellin auf dem Fuße; das Volk wogte auf und ab, planlos, mehr neugierig als aufgeregt, die Garden hatten sich gefügt und baten durch Panin um Gnade für die Schuldigen. Die Empörung war zu Ende.