Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
"Dem jungen Offizier stand das Herz still. Diese Frau hatte etwas Wollüstiges in ihrer Erscheinung, das ihn berauschte, etwas Herrisches in ihrem Wesen, das ihn vollständig unterwarf. Nachdem sie, die Arme auf der Brust gekreuzt, ihn eine Weile angesehen hatte, lachte sie und fragte mit einer Stimme, bei der ihn ein tiefer, wollüstiger Schauder überkam: ›Wirst du mich lieben können, Mirowitsch? … du sollst mich lieben, ich will es. Du bist mein Sklave.‹" Der Erzählungsband ist eine Auswahl der besten Geschichten Sacher-Masochs um die berühmt-berüchtigte russische Zarin Katharina die Große und enthält die "Russischen Hofgeschichten" "Nero im Reifrock", "Amor mit dem Korporalstock", "Die Kunst geliebt zu werden", "Ungnade um jeden Preis" und "Ein Damen-Duell". In "Nero im Reifrock", woraus das obige Zitat stammt, macht die Zarin den jungen Offizier Mirowitsch erst zu ihrem Geliebten und dann zu ihrem Handlanger, um ihn schließlich kalt lächelnd hinrichten zu lassen. Auch die anderen vier Erzählungen sind echter, praller, süffiger Sacher-Masoch vom Feinsten.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 251
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Saga
„Eine neue Verschwörung der Garden ist entdeckt!“
Das war der Morgengruß Orlow’s am 23. Mai 1765 an die Zarin Katharina II.
Sie sprang mit beiden Füßen aus dem Bette und faßte den Günstling bei dem Goldkragen seiner Uniform. „Hast du sie verhaftet, Gregor?“ rief sie zornig.
„Sie sind in deiner Hand, Katharina.“
Die Kaiserin nickte und zeigte vergnügt lächelnd ihre schönen Zähne, dann warf sie einen mit flandrischen Spitzen besetzten leichten Schlafrock über sich, riß an der Glocke und berief ihre Vertrauten. Ohne Orlow weiter zu beachten, ging sie, die Arme auf der Brust verschränkt, mit großen Schritten in ihrem Schlafgemache auf und ab. In wenig Minuten waren die Fürstin Daschkow, Graf Panin, Geheimrat Teglow, Generalleutnant Wegmare um sie versammelt.
Zuletzt erschien Frau von Mellin, die schöne Amazone, welche das Regiment Tobolsk als Oberst kommandierte, im grünen militärischen Ueberrock, den kleinen dreieckigen Hut kokett auf das Toupet gestülpt, die Reitpeitsche in der Hand. Zu ihr wendete sich die Kaiserin zuerst.
„Setzen Sie sich zu Pferde, liebe Mellin“, rief sie noch immer erregt, „teilen Sie scharfe Patronen an Ihre Soldaten aus und führen Sie das Regiment hierher zur Ablösung der Garden. Eilen Sie!“
Der schöne Oberst salutierte und flog dann rauschend aus dem kaiserlichen Schlafgemache.
„Eine neue Verschwörung der Garden“, fuhr Katharina fort, „will die Empörung gegen mich kein Ende nehmen? Was wollen die Menschen, die sich unter meine Räder werfen, wie wahnsinnige Indier vor den Wagen ihrer Göttin? Ich muß sie zermalmen und ich will doch kein Blut sehen. Seit zweiundzwanzig Jahren ist kein Schafot in meiner Hauptstadt aufgerichtet worden, heute will ich aber ein Exempel statuieren! Graf Panin, eilen Sie in die Kaserne unserer Garden und sprechen Sie den Verführten zu; Sie, Teglow, versammeln den Senat. Ihre Truppen, General Wegmare, besetzen die Straßen zum Palast, Ihre Geschütze, Orlow, fahren unten auf dem Platze auf.“
Die Kaiserin machte eine Bewegung gegen das Fenster.
Jeder neigte sich tief und eilte, den Befehl der unumschränkten Herrscherin Rußlands zu vollziehen.
Nicht lange danach verlangte eine Deputation der Garden, welche die Wache im Palaste bezogen hatten, von ihr Gehör. Katharina erbleichte, aber befahl kurz und stolz sie einzulassen. Die Deputation marschierte herein, zwei Offiziere, zwei Unteroffiziere, zwei Soldaten, und stellte sich in Reih und Glied.
Die Kaiserin schritt langsam ihre Front ab, Mann für Mann fest ins Auge fassend, und blieb dann vor ihrem Toilettentisch stehen, die Hände nach rückwärts auf denselben gestützt.
„Wer hat euch gewählt?“
„Unser Regiment.“
„Zu welchem Zwecke?“
„Wir verlangen Gerechtigkeit für unsere Kameraden.“
„Ihr bittet um Gnade.“
„Um Gerechtigkeit“.
„Gerechtigkeit soll ihnen werden“, rief die Kaiserin rot vor Zorn, „und euch! Bei dem nächsten Komplotte laß ich eure Regimenter dezimieren.“
„Wenn Ihr es wagt“, rief der Sprecher der Soldaten, ein junger Offizier.
„Es wird sich zeigen, was ich kann, adieu!“ Katharina kehrte ihnen den Rücken und trat an das Fenster. „Geht!“
Die Garden rührten sich nicht.
„Geht!“ herrschte sie ihnen zu.
„Wir gehen nicht! — Gebt unsere Leute heraus!“ schrien sie tumultarisch durcheinander.
„Gib sie heraus!“ rief der junge Offizier, unsanft Katharinas Arm fassend.
Die Fürstin Daschkow riß ihn zurück. In demselben Augenblick tönten die Trommeln des Regiments Tobolsk, und der weiße Federbusch der Frau von Mellin winkte die Straße herauf.
„Ich gebe sie nicht“, erwiderte Katharina kalt. „Strenge Strafe wird die Empörer treffen. Und nun zu Euch. Wer für Rebellen bittet, ist selbst Rebell.“ Sie trat rasch auf den jungen Offizier zu und riß den Degen aus der Scheide. „Ihr seid mein Gefangener. Und ihr“ — rief sie majestätisch den andern zu — „gebt Euch gutwillig, Ihr seid in meiner Hand.“
Kolben rasselten nieder, Frau von Mellin erschien in der Türe, ihre Soldaten hatten alle Ausgänge besetzt. Stumm, das Haupt gesenkt, ließen sich die Deputierten der Garden verhaften und abführen. Bald rasselten von allen Seiten die Trommeln, die Geschütze Orlow, Wegmare folgten Frau von Mellin auf dem Fuße; das Volk wogte auf und ab, planlos, mehr neugierig als aufgeregt; die Garden hatten sich gefügt und baten durch Panin um Gnade für die Schuldigen. Die Empörung war zu Ende.
„Ich will ein Exempel statuieren“, sprach Katharina, „ich gab mein Wort.“ Zugleich streifte sie den Spitzenärmel empor und besah den Fleck, den die rauhe Hand des jungen Rebellen in ihren vollen Arm gedrückt hatte. „Ich will ihre Köpfe fallen sehen.“
„Für diesmal laß dir den Appetit vergehen,“ entgegnete Orlow, „es ist nicht zu wagen. Eine öffentliche Hinrichtung kann uns neue unermeßliche Gefahren wecken.“
„Sind wir so schwach?“
„Wir sind es, so lange Prinz Iwan lebt,“ sprach Panin, „ihn nannte man den Garden als den rechtmäßigen Zar.“
„Wer nannte ihn?“
„Die Priesterschaft, die dir mißtraut, die du mit deinen Reformen beleidigst.“
„Sollen die Rebellen deshalb straflos ausgehen?“ fragte die Daschkow.
„Sie müssen sterben“, rief die Kaiserin mit funkelnden Augen, „man begrabe sie in den Kasematten ohne Licht, ohne Speise und Trank, dort sollen sie verfaulen.“
Während sie mit heftigen Schritten durch das Gemach ging, zeigte die schöne Frau ihren Anhängern den üppigen zornig wogenden Busen ebenso erbarmungslos, wie sie das Todesurteil ihrer Feinde sprach.
„Zieht die Truppen im Palaste, in den Kasernen zusammen und laßt sie unter Waffen bleiben bis zum Abend. Ich werde zu Pferde steigen und mich dem Volke zeigen. Jetzt aber will ich mich ankleiden,“ fügte sie schelmisch lächelnd hinzu. „Au revoir!“
Sie waren allein, Katharina die Große, wie Voltaire die Zarin getauft hatte, und Katharina die Kleine, wie der Hof scherzweise die Fürstin Daschkow nannte.
Die Kaiserin war in der vollen Blüte ihrer Schönheit, eine mittelgroße Gestalt von den feinsten Proportionen, etwas zu üppig für den Reifrock, wie modelliert für das Piedestal einer antiken Göttin. Die Ungebundenheit ihres Spitzenneglig es zeigte bald die kleinsten Füße, die niedlichsten Hände, bald den prächtigen Busen.
War sie auch eine Meisterin der Verstellung, ihr Kopf verriet sofort das große Weib, das zum Herrschen geboren war. Auf ihrem Antlitz lag eine naive Selbstvergötterung, eine sonnige Freude an sich selbst. Die hohe edle Stirn, das große, klare blaue Auge, die kühnen, zornigen Brauen, die feine schwungvolle Nase, dieser kleine Mund mit den allerliebsten dicken Lippen, beinahe zu klein zum Küssen, dieses auffallend entwickelte runde harte Kinn, dieser Amazonenhals, die kleinen neronischen Ohren, das üppige, trockene, rotblonde Haar, das unter dem Kamme knisterte und sprühte wie ein Miniaturgewitter, das alles sprach deutlich: Dieses Weib verlangt unbändig nach Herrschaft und Genuß, aber sie hat auch das Genie zu lenken, zu gebieten, zu genießen, den starken Willen, den Hindernissen nur spornen. Es fehlt ihr aber auch nicht an List, dieselben zu umgehen, wenn sie nicht zu zertreten sind.
In diesem Weibe ist keine Spur von Sentimentalität, aber auch keine Grausamkeit. Sie wird kein Mittel scheuen, ihren Zweck rasch und vollständig zu erreichen, sie wird durch das Blut ihrer Gegner waten, wenn es sein muß, aber sie wird niemand quälen. Ja, es spricht ein feiner menschlicher Geist aus ihrem Antlitz, es liegt eine gewisse Güte auf demselben, die Güte des Löwen gegen die Maus.
Sie ist die gefährlichste Despotin, sie strömt eine wollüstige Atmospäre aus, vor ihr beugt sich freiwillig jedes Knie, und jeder Nacken ist bereit, sich ihr Joch aufzuladen.
Die „kleine Katharina“ bildet den größten Gegensatz zu ihr. Die Fürstin Daschkow ist eine schmächtige, geistige Frau mit unruhigen Bewegungen, einem bleichen, nervösen Gesichtchen, das unendlich gescheit, unendlich veränderlich und unendlich pikant ist.
Die beiden Damen schwiegen geraume Zeit, dann sehen sie sich einen Augenblick an. Sie haben sich sofort verstanden.
„Wollen wir Toilette machen, Katinka?“ spricht die Kaiserin und öffnet ihr Haar. „Nein!“ ruft sie plötzlich und stampft mit dem Fuße. „Wir wollen plaudern.“
Die Fürstin ging rasch zu der Türe, welche in den Vorsaal führte, öffnete sie, blickte hinaus und schloß sie wieder. Dann setzte sie sich auf ein Taburett zu den Füßen der Kaiserin und sagte leise: „Iwan muß sterben.“
„Ja, er muß sterben“, sprach die Kaiserin trübe, dabei stützte sie den Kopf schwermütig in die Hand, wie ein verliebtes Mädchen.
„Du darfst nicht dulden, daß sich dir etwas entgegenstellt“, flüsterte die Daschkow eifrig fort, „jeder Tag bringt neue Gefahren, neue Hemmnisse. Du hast das Recht, sie aus dem Wege zu räumen, und die Pflicht, denn deine Bahn geht aufwärts. Du verfolgst große menschliche Ideen, ihnen mußt du diesen blöden Knaben opfern. Iwan muß sterben.“
„Du bist die einzige Seele, der ich wahrhaft vertraue, meine einzige Freundin“, begann Katharina II.
„Nein, du hast keine Freunde“, fiel die Fürstin ein, „du machst aus Freunden wie aus Feinden Werkzeuge deiner Taten. Du hast Recht. Auch ich bin nur dein Werkzeug, aber du bindest mich mit den stärksten Banden echter Sympathie. Ich liebe die Menschheit, ich liebe mein Vaterland, und beiden dienst du, indem du die Zügel führst.“
„Ich will es“, entgegnete Katharina II., „ob ich es kann, wird die Zukunft, wird die Geschichte entscheiden. Siehst du, ich denke so. Die französischen Philosophen haben die große Wahrheit entdeckt: der Mensch ist zur Freiheit geboren, frei kann er aber nur durch Bildung werden. Ich beherrsche ein Riesenreich. Ich will in diesem Reiche Bildung säen, damit auch hier einst die Saat der Freiheit reift.
Ich weiß, daß kein Mensch das Recht hat, andere zu knechten, aber meine Natur verlangt nach Herrschaft, nach unumschränkter Herrschaft. Und wenn ich Bildung, Freiheit erst zertreten müßte, um zu herrschen, ich zweifle keinen Augenblick, daß ich es täte und ohne Bedenken. In diesem Reiche aber hat mein Wille keine Schranken, ich kann hier gebieten, wie ein Alexander, jede meiner Launen sättigen, wie ein Nero, und für die Menschheit wirken, wie ein Philosoph. Die Gegenwart ist mein, die Zukunft kann ich neidlos meinem Volke geben. Die „Semiramis des Nordens“, wie Voltaire mir schmeichelt, will ich nicht bloß heißen, sondern wahrhaftig sein.
Glaube mir, man verzeiht uns Mächtigen der Erde unsere Laster, aber keine Schwächen, und sind meine Entwürfe nicht groß, nicht menschlich genug, ihnen manchen tollen Kopf zu opfern, manche Unmenschlichkeit zu vergeben?“
„Deine Politik überrascht Europa“, erwiderte die Daschkow, „Frankreich und Oesterreich sehen sich durch dich getäuscht, indem du mit Friedrich dem Großen Hand in Hand gehst. Die katholischen Mächte sehen staunend, wie du die Dissidenten in Polen offen zu beschützen wagst, wie du diesem unruhigen Volke in Poniatowski einen König gibst, der dein gekrönter Sklave ist.“
„Mut ist alles, Katinka. Ich habe den Mut, der eine große Politik macht. Ich bin entschlossen, vorwärts zu gehen, ohne Rücksicht, ohne Erbarmen. Ich will Rußland vor allem groß machen. Die Fäden meiner Diplomatie spielen mit Erfolg nach allen Richtungen, meine Heere bedrohen zugleich Schweden, Polen, die Türkei und Asien. Ich will die Türken aus Europa jagen und Polen teilen: Mein Volk soll sich aus der Barbarei erheben. Große Reformen sind in das Leben getreten. In religiöser Duldung steht mein Reich obenan, der Handel, die Gewerbe blühen auf. Ich kenne das Uebel, das unseren Landbau hemmt und will es an der Wurzel anfassen, ich will die Leibeigenschaft aufheben, ich will Deputierte aller Stände, aller Völker meines Reiches nach meiner Hauptstadt berufen, damit sie ein neues Gesetzbuch schaffen, und diese Versammlung soll der Anfang eines Parlamentes sein.
Hat je ein Monarch dies alles freiwillig getan, wenn ihn keine Empörung dazu zwang?
Ich tue es, weil ich will, und dies gibt mir ein Recht, zu herrschen. Daß ich dies Recht so schwer erkaufen muß, ist das meine Schuld? Ich hasse Maria Theresia, weil es ihr so leicht gemacht wird, zugleich groß und tugendhaft zu sein. Kein starkes Herz kann ohne Liebe und Ehrgeiz leben.
Ich habe meinen Gatten gestürzt, getötet, weil ich mußte, weil ich ihn nicht liebte und weil ich herrschen wollte. Er konnte es nicht. Hätte er mir den Thron freiwillig geräumt, ich hätte ihn geschont. Ich habe einmal Blut vergießen müssen, um zu regieren, jetzt kann von etwas mehr oder weniger nicht mehr die Rede sein. Wer sich gegen mich empört, soll in den Kasematten meiner Festung verfaulen. Ich habe ein Recht zu herrschen, und ich will herrschen!“
Die Fürstin sah sie mit einem bedeutungsvollen Blicke an.
„Du glaubst wohl, Katinka, ich täusche mich über meine Lage“, fuhr die Kaiserin fort. „Ich schrieb einmal an Voltaire — wie gleich?“ — sie dachte nach.
„So war es: In der ungeheuren Ausdehnung Rußlands ist ein Jahr nur ein Tag, wie tausend Jahre vor dem Herrn. Dies meine Entschuldigung, daß ich noch nicht so viel getan habe, als ich sollte. Dazu die vielen rohen und widerstrebenden Elemente, die Unzufriedenheit aller jener, welche auf die Thronumwälzung ihre Hoffnung gebaut haben und sich getäuscht sehen, aller jener, die sich durch meine Reformen in ihren Interessen bedroht finden. Bis jetzt habe ich glücklich laviert, die Partei Orlow und die Partei Panin gegeneinander abgenützt, mir beide dienstbar gemacht, meine Mitschuldigen vor meinen Triumphwagen gespannt. Liegt nicht sogar Humor darin, wenn ich den Arzt, der dem Vater das Gift bereitet, zum Leibarzt des Sohnes machte?“
„Zum Leibarzt deines Sohnes, des Thronfolgers“, warf die Fürstin ein.
Die Kaiserin zuckte die Achseln. „Ich habe sogar aus dem Geliebten meinen Sklaven gemacht, und doch bedroht mich jeder Tag mit neuen schlimmen Zeichen. Als ich in Moskau festlich einzog, im kaiserlichen Hermelin, hat mich auch nur ein einziger Jubelruf begrüßt? Das Volk stand schweigend in den Straßen und staunte das Gepränge an. Die Garden bereuen ihre Tat, und diese ehrgeizige Priesterschaft, die ich mit den Waffen des Jahrhunderts bekämpfe, stellt mir diesen Popanz entgegen, diesen blöden Prinzen Iwan? Aber dieser Popanz hat zum Unglück Blut in den Adern, und ich werde dieses Blut vergießen müssen, gegen meinen Willen.“
„Aber wie?“ fragte die Daschkow mit reizender Naivität.
„Wie?“ Die Kaiserin versank in Nachdenken. „Wie? — das ist es. Auf dem Hermelin sieht man jeden Blutfleck abscheulich. Ich darf kein neues Blut vergießen.“
„Ist das nötig?“ dachte die kleine Fürstin mit den Spitzen spielend, welche den Schlafrock ihrer Herrin umsäumten. „Du wirst ihn liebenswürdig töten, ohne Aufsehen.“
„Meinst du? — Apropos — du siehst so blaß aus. Härmst du dich um deinen General in Polen? Soll ich deinem Gatten einen Urlaub geben?“
„Um Gotteswillen“, fiel die Daschkow lebhaft ein, die Hände flehend zu der Despotin erhoben, „du erschreckst mich.“
Die Zarin lachte und legte den Arm leicht auf ihren Nacken. „Hat Panin deine Schlinge noch fest um den Hals, meine Kleine?“
„Er wohnt mit mir in Gatschina.“
„Sehr gut. Du darfst ihn jetzt am wenigsten loslassen, Katinka, du mußt ihn unter deiner Aufsicht behalten. Der alte Geck hätte nicht übel Lust, meinen Sohn auf den Thron zu setzen, den Knaben Paul, und den Regenten zu spielen. Behalte ihn im Auge und — in der Schlinge.“
„Verlasse dich auf mich.“
Die Kaiserin erhob sich, trat an das Fenster und schwieg.
„Es gibt doch Augenblicke, meine Kleine“, sprach sie dann nach einer Weile, „wo mich die Herrschaft müde macht und trostlos.“
Die Daschkow rührt sich nicht.
„Und was das schlimmste ist, Katinka, Orlow langweilt mich!“
Die „kleine Katharina“ sah überrascht zu der großen Katharina empor, dann spielte ein allerliebstes mutwilliges Lächeln um ihre Mundwinkel.
„Jetzt wollen wir Toilette machen“, rief die Kaiserin lachend, „und dann zu Pferde steigen und unserem treuen Volke unser Antlitz zeigen.“
Die Zarin gab Audienz im Sommerpalaste.
Zwei Weltteile hatten die seltsamsten Typen in ihrem Vorsaal zusammengeworfen. Neben dem runden Kaufmann von Nowgorod mit vollem Barte, dicken goldenen Ringen in den fleischigen Ohren, stand ernst der magere Tartar mit bronzenen Zügen, langem, schwarzen Schnurrbart. Ueber den gelben, kahlen geschlitzten Kopf des Kalmücken blickte das edle Antlitz, das kühne Auge des Kosaken. Leibeigene Bauern, mächtige Große, Soldaten, Popen, Juden, Liwopaner, Jesuiten. Eine wunderliche Antichambre.
Mitten drin stand ein junger Offizier, schlank, wohlgebaut, mit dem bleichen träumerischen Gesicht, den großen ruhigen Märtyreraugen eines Fanatikers.
„Leutnant Mirowitsch vom Regiment Smolensk“, rief der diensttuende Kammerherr. Wenige Augenblicke danach stand der junge Offizier vor seiner Kaiserin.
Sie trug über dem schwarzen Kleide, das sich knisternd über den weiten Reifrock bauschte, ein breites blaues Ordensband, in dem hohen weißen Toupet einen kleinen Reichsapfel aus einem einzigen großen Diamanten mit dem griechischen Kreuze, als die einzigen Attribute der Herrschaft.
Der junge Offizier sah aber nur den weißen Busen, der das blaue Band hob, die üppigen Locken, welche von dem gekrönten Haupte hinabfielen, er sah zum ersten Male das schönste Weib seines Reiches, das ihn vom Kopfe bis zum Fuße wohlgefällig musterte und gnädig wie einen Sklaven. Er kniete nieder und überreichte seine Bittschrift.
„Steht auf.“
„Ich huldige der schönen Frau“, sprach bescheiden der Offizier, „von der Monarchin verlange ich mein Recht.“ Damit erhob er sich und sah Katharina II. furchtlos in das Auge, über dem sich die stolzen Brauen etwas zusammenzogen.
„Wie ist Ihr Name?“
„Mirowitsch.“
„Leutnant?“
„Im Regiment Smolensk.“
„Sie bitten um eine Gnade?“
„Um mein Recht.“
Wieder zogen sich die stolzen Brauen zusammen.
„Nun, was wollen Sie?“
„Vor allem eine Frage an Eure Majestät richten.“
„Nun, die Audienz ist mindestens originell. Fragen Sie also, Leutnant — wie gleich?“
„Mirowitsch.“
„Leutnant Mirowitsch, Sie unterhalten mich.“
Mirowitsch biß die Zähne zusammen und wurde blutrot.
„Nun fragen Sie mich. Ich befehle es.“
„Ertragen Sie die Wahrheit, Majestät?“
Die neronischen Brauen zuckten, aber im nächsten Augenblick schon ruhte das schöne Auge der Monarchin mit wolllüstigem Interesse auf dem jungen Offizier.
„Nun, eine Frage an Sie, Leutnant — wie gleich?“
„Mirowitsch.“
„Leutnant Mirowitsch, lieben Sie die Lektüre?“
„Leidenschaftlich, Majestät.“
„Sie lesen Romane, ich merke, Ihre Phantasie ist danach, Ihr Ton — nun, ich habe auch lange Zeit Romane gelesen. Lesen Sie gute Bücher, Mirowitsch, allenfalls Voltaire. Ich lese eben seine Geschichte Peters des Großen und habe die Absicht, die Briefe des Monarchen, in denen er sich selbst malt, herauszugeben. Wissen Sie, was mir an seinem Charakter am besten gefällt? Daß auf ihn — so zornig er auch war — die Wahrheit jederzeit ihre volle Wirkung übte.“
„Majestät!“
„Nun, sagen Sie mir jetzt, was Sie wollen.“
„Ich bin ein Ukrainer, Majestät, der Sohn eines stolzen, freien Volkes, der Enkel jenes Mirowitsch, der mit Mazeppa focht, dessen Name in den Liedern der Kosaken lebte. Er büßte, wie viele seines Volkes, den Abfall vom Zar mit dem Verluste seiner Güter. Hier steh’ ich als sein Enkel, Majestät, mit einem großen edlen Namen, arm und dürftig, und bitte um mein Recht. Vergebens habe ich dies Recht bei allen Aemtern, allen Gerichtshöfen dieses Reiches gesucht. Da dachte ich, das größte Herz in diesem Reiche müßte auch das beste sein und das gerechteste, und nun steh’ ich vor Eurer Majestät und bitte, jenen Spruch der Willkür aufzuheben, mich in das Besitztum meiner Väter wieder einzusetzen.“
Die Kaiserin lächelte. „Sie haben viel zu viel Romane gelesen, Mirowitsch,“ sagte sie mit der Gutmütigkeit der Löwin, „Ihr Recht soll geprüft werden, so sehr ich mir auch erlaube, an demselben zu zweifeln. Vertrauen Sie aber auf meine Gnade und — lesen Sie gute Bücher.“
Die großen Augen des armen Ukrainers fieberten der Kaiserin entgegen, er verneigte sich und machte eine Bewegung nach der Türe.
„Küssen Sie mir die Hand, Mirowitsch.“
Der junge Offizier warf sich der Zarin zu Füßen und zwei Tränen fielen auf ihre Hand.
„Sie sind ein Kind, Leutnant“, rief Katharina II. überrascht, „lesen Sie Voltaire und — warten Sie hier meine Entscheidung ab. Verstehen Sie, Mirowitsch?“
Verwirrt preßte dieser die kleine warme Hand der Kaiserin noch einmal an seine Lippen und noch einmal. Dann erhob er sich und stürzte aus dem Kabinett.
Katharina II. blickte einen Augenblick lächelnd zu Boden, dann klingelte sie und berief den Polizeiminister.
„Notieren Sie —“
Die Exzellenz zog ihr Portefeuille.
„Mirowitsch, Leutnant im Regimente Smolensk.“
„Alter?“
„Sie sollen ja keinen Paß schreiben.“
„Also dieser Mirowitsch —?“
„Jung, schön, mutig, ehrgeizig. Legen Sie mir so schnell als möglich seine Konduite vor.“
Der Polizeiminister verneigte sich.
„Apropos, ich will auch wissen, ob er Liaisons gehabt hat und mit wem und — ob er in diesem Augenblicke eine Geliebte hat. Verstehen Sie?“
„Ich verstehe. Eine Geliebte.“
Mehr als eine Woche war seit der Audienz des jungen Offiziers verflossen, er wartete noch immer auf eine Erledigung seiner Bittschrift.
Da fand er eines Abends, als er von einem Spaziergange zurückkehrte, ein elegantes Billett auf dem Boden seiner Stube liegen, es war offenbar durch das offene Fenster hereingeworfen worden. Die Adresse war an ihn gerichtet. Eine unbekannte Schrift, die kleinen, unruhigen Züge einer Frau.
Der Inhalt lautete:
„Mein Freund! Sie erwarten eine Entscheidung der Kaiserin über Ihr Schicksal. Sie können lange warten. Die Kaiserin ist gütig, aber — vergeßlich. Um an diesem Hofe etwas zu erreichen, brauchen Sie Protektion, die Protektion einer Frau, denn die Frauen regieren in Petersburg. Ich will Ihre Protektorin sein. Wenn Sie Mut haben, so finden Sie sich heute Nacht, wenn die Uhr elf schlägt, vor der Kirche von Kasan ein. Sie werden dort einen Wagen treffen. Man wird Ihnen die Augen verbinden, Hände und Füße schließen. Lassen Sie alles mit sich geschehen. Fragen Sie nicht. Ein süßer Lohn erwartet Sie.
Eine Freundin.“
Mirowitsch ging mit sich zu Rate, er faßte und verwarf ein Dutzend Entschlüsse.
Der Zeiger der Uhr gab zuletzt den Ausschlag. Er nahm seinen Mantel, drückte den Hut tief in die Stirne und verließ das Haus. Die Nacht war sternenlos finster.
Dichte Nebel wallten um die Kirche von Kasan.
Als Mirowitsch dem Portale nahte, trat der dunkle Wagen beinahe gespenstisch hervor, die schwarzen Pferde scharrten ungeduldig den Boden. Zwei Vermummte empfingen ihn, legten ihm schweigend leichte Hand- und Fußschellen an und verbanden ihm die Augen mit einem weißen Tuche.
Derlei Abenteuer waren in Petersburg zur Zeit des Frauenregiments unter drei Zarinnen — Anna — Elisabeth — Katharina — so gewöhnlich, daß kaum ein Vorübergehender über die geheimnisvolle Prozedur erstaunt gewesen wäre.
Es ging aber niemand vorüber. Mirowitsch wurde in den Wagen gehoben, der Schlag geschlossen und fort ging es im rasenden Laufe.
Als das unheimliche Fuhrwerk hielt, und Mirowitsch wieder festen Boden unter den Füßen fühlte, wehte eine scharfe, schneidende Luft um ihn, er war offenbar im Freien.
Man führte ihn breite Steintreppen empor, durch einen Korridor, eine Reihe von Zimmern. Jetzt war er allein. Ein Lichtschimmer drang durch das Tuch.
Noch einen Augenblick, dann sprach eine angenehme weibliche Stimme: „Besorgen Sie nichts, Mirowitsch, Sie sind in guten Händen.“ Ein Frauengewand rauschte, zwei zarte Hände bemühten sich, den Knoten des Tuches zu lösen, die Bande fiel. Er sah sich in einem kleinen, mit orientalischem Luxus eingerichteten Gemache und wie er den Kopf wendete, erblickte er eine kleine zarte Frau in einem dunklen Ueberrock, eine schwarze Samtlarve vor dem Gesichte.
„Geduld, ich muß Sie vorerst von Ihren Fesseln befreien.“ Sie nahm ihm die Handschellen ab. „Nun lösen Sie selbst den Rest Ihrer Ketten.“ Mirowitsch gehorchte.
Eine kleine zitternde Hand faßte die seine und zog ihn auf eine Ottomane nieder.
„Verzeihen Sie meine Seltsamkeit“, sprach die Dame mit der Maske, „aber ein Kavalier darf sich von seiner Dame schon etwas gefallen lassen. Ich habe wichtige Gründe, mich mit Geheimnissen zu umgeben, aber nichts soll mich hindern, Ihnen zu nahen, Sie zu lieben, Sie mein zu nennen. Ich liebe Sie, Mirowitsch!“ Sie lehnte sich an seine Schulter und schlang den Arm um seinen Hals. Mirowitsch fühlte sein Herz stärker schlagen, er faßte die Hand der geheimnisvollen Freundin, führte sie an die Lippen und sprach beinahe verschämt: „Vergeben Sie, daß ich Ihnen nicht von Liebe spreche, Madame, daß ich Sie bitte, mich sofort zu entlassen. Sie haben meinen Mut herausgefordert und mich so gezwungen, vor Ihnen zu erscheinen, aber ich kann Sie nicht lieben. Mein Geständnis kann Sie nicht verletzen, noch kenne ich Sie nicht, noch habe ich Ihre Züge nicht gesehen.“
„Sie sollen sie sehen.“
„Um Gotteswillen — nein!“
Die Dame antwortete mit einem mutwilligen Lachen und nahm die Maske herab. Es war ein fremdes, aber reizendes Gesichtchen, zwei große dunkle Augen schmachteten Mirowitsch entgegen, zwei rote Lippen boten sich den seinen zum Kusse.
„Nun, gefalle ich Ihnen nicht?“
Mirowitsch warf sich der reizenden Frau zu Füßen.
„Lachen Sie über mich, Madame, Sie verdienen, daß man Sie anbetet, daß man sich töten läßt, aber mein Herz verbietet es mir, Sie zu lieben, meine Ehre — Sie zu täuschen.“
„Sie lieben!“ rief die Schöne überrascht.
„Ja, Madame“, entgegnete Mirowitsch, indem er sich erhob.
„Eine andere.“
„Ja — eine andere.“
„Und man sagte mir doch —“, murmelte die Dame.
„Was Madame?“
„Daß Sie keine Liaison haben, noch keine Liaison gehabt haben.“
„Man sagte Ihnen die Wahrheit.“
„Wie versteh’ ich das?“
„O Madame, Sie sind schön, Sie sind vornehm, wenn Sie lieben, lieben Sie glücklich. Können Sie eine Liebe verstehen, wie die meine, eine Liebe ohne Glück, ohne Hoffnung, eine Liebe, die vor sich selbst erschrickt?“
„Ich verstehe Sie, Sie lieben eine Frau, die Ihnen unerreichbar scheint. Törichtes Kind, wer sagt Ihnen, daß für die Liebe etwas unerreichbar ist. Es wäre denn die Mutter Gottes von Kasan.“
„Es kommt beinahe auf dasselbe hinaus, Madame.“
„Sie lieben —?“ rief die Dame heiter.
„Meine Kaiserin! Der Untertan seine Monarchin, der Sklave seine Herrin!“
In diesem Augenblicke bewegte sich der Vorhang, welcher das Fenster des Gemaches von oben bis unten schloß.
„Das ist freilich schlimm“, sprach die Dame, „aber ich habe ein gutes Herz, ich will Ihnen helfen, so gut ich kann. Ich habe eine Freundin, Mirowitsch, welche die Gestalt der Kaiserin —“
„Nein, Madame, Sie verstehen mich nicht. Ich beschwöre Sie, entlassen Sie mich“, rief Mirowitsch.
„So sehen Sie sie doch nur an — es ist ganz Ihr Geschmack. Da ist sie.“
Der Vorhang teilte sich und eine hohe üppige Frau in einem schweren blauen Seidenkleide, das vorne nach der Mode viereckig ausgeschnitten ihre herrliche Brust unverhüllt zeigte, eine schwarze Samtlarve vor dem Gesichte, näherte sich dem überraschten Offizier. Ein Wink von ihr entfernte ihre Freundin, sie machte zugleich eine Bewegung nach dem Divan und lud Mirowitsch mit der Hand ein, sich zu ihr zu setzen.
Dem jungen Offizier stand das Herz still. Diese Frau hatte etwas Wollüstiges in ihrer Erscheinung, das ihn berauschte, etwas Herrisches in ihrem Wesen, das ihn vollständig unterwarf. Nachdem sie, die Arme auf der Brust gekreuzt, ihn eine Weile angesehen hatte, lachte sie und fragte mit einer Stimme, bei der ihn ein tiefer, wollüstiger Schauer überkam: „Wirst du mich lieben können, Mirowitsch?“
„Nein.“
Sie lachte wieder. „Du liebst also deine Kaiserin?“
„Ich liebe sie so leidenschaftlich, so wahnsinnig, daß eine Dame Ihres Standes dies nicht verstehen kann“, rief Mirowitsch.
„Warum nicht?“
Mirowitsch sprang auf und ging im Gemache auf und ab.
„Beruhigen Sie sich. Man sagt, daß die Kaiserin sehr verliebt ist und galante Abenteuer liebt. Vielleicht finden Sie Gnade vor ihren Augen.“
Mirowitsch blieb stehen und sah die üppige Schöne beinahe erschreckt an.
„Ich glaube, Sie würden sich vor Ihrem Glücke fürchten?“
Mirowitsch trat einen Schritt zurück, er war bis in die Lippen bleich geworden und bebte am ganzen Leibe. Jetzt kannte er diese wollüstige Stimme, er sank in die Knie und mit dem Antlitz zur Erde.
„Hast du den Mut, deine Kaiserin zu lieben?“ rief sie und riß die Maske herab. Vor ihm stand Katharina II. gebieterisch in hinreißender Schönheit.
„Komm!“ Sie hob ihn auf — „du bist mein. Ich liebe dich.“ Die üppigen Arme der Despotin schlangen sich um ihn und zogen ihn an ihre leidenschaftlich wogende Brust. Mirowitsch fieberte.
Katharina II. stampfte mit dem Fuße.
„Mut, Mirowitsch, du sollst mich lieben, ich will es. Du bist mein Sklave, sans phrase. Es gibt Stunden, wo ich ein Kind bin und ein Spielzeug brauche. Komm, ich will mit dir spielen.“
Das war zu viel.
Mirowitsch riß seinen Degen aus der Koppel und warf ihn zu Boden, dann faßte er die Zarin leidenschaftlich in seine Arme. Sie lag an seiner Brust, ihre Lippen sogen ihm die Seele aus, seine Hände wühlten in ihren Locken, daß der Puder wie ein leichter Reif auf seine Schultern fiel.
„Ich liebe dich“, flüsterte die Kaiserin, „ich will dich glücklich machen, wenn du Mut hast, wenn du ein Geheimnis bewahren kannst. Niemand darf ahnen, daß ich dir gehöre. Hier im Schlosse von Gatschina, im Pavillon der Fürstin Daschkow sollst du mich fortan an jedem Abend sehen. Aber es wird eine Zeit kommen, wo meine Liebe dich erhöhen wird vor allen andern. Dein Schicksal ist in deiner Hand. Sei kühn, sei vorsichtig und liebe mich. Es tut mir wohl, geliebt zu werden.“
Im Pavillon von Gatschina saßen Katharina II. und die Fürstin Daschkow im vertraulichen Gespräche. Die Zarin war zu Pferde gekommen, sie trug hohe Männerstiefel von Saffian, wie sie von russischen Bäuerinnen und Kaufmannsfrauen im vollen Staate getragen werden, einen dunklen Männerüberrock, wie ihn die Modedamen damals trugen, einen kleinen dreispitzigen Hut mit wallender weißer Feder. Voll Ungeduld klopfte sie den Absatz ihres Stiefels mit der Reitpeitsche, stand von Zeit zu Zeit auf und warf sich wieder unmutig in die Polster der Ottomane.
Die Daschkow betrachtete sie mit großer Neugier und plötzlich spielte ein feines Lächeln um ihre Lippen.
„Du lachst über mich, Katinka“, sprach die Zarin, „was lachst du?“
„Du bist sehr verliebt.“
„Weiß Gott, sehr verliebt, in wahrhaft unkaiserlicher Weise.“
„Seit einem Monat siehst du Mirowitsch bei mir Abend für Abend, und er ist dein, wie ein Sklave, und doch hat sich dein Vergnügen an ihm noch nicht abgenützt. Ich bewundere dich. Und heute, nachdem er mehr als einen Monat dir gehört, bist du sogar die erste bei dem Rendezvous und kannst deine Ungeduld, ihn zu sehen, kaum bemeistern. Du bist wahrhaftig verliebt.“
„Wahrhaftig“, nickte die Kaiserin und legte nachlässig ihr rechtes Bein über das linke. „Ich bin verliebt, das ist es aber nicht allein. Mirowitsch liebt mich. Man wird nicht zu oft geliebt und niemals so mit ganzem Herzen, mit ganzen Sinnen, daß kein Gedanke, keine Regung bleibt für eine andere. Er ist mein mit Leib und Seele. Ich ergötze mich an ihm und seiner Liebe, wie ein Gourmand an einem seltenen Gerichte.“
Die beiden Frauen schwiegen eine Weile. Die Kaiserin horchte auf. „War das nicht der Hufschlag eines Pferdes?“
„Nein.“
„Mir schlägt das Herz“, sprach Katharina II. und legte die Hand gegen die Brust.
„Du große kleine Frau“, rief die Daschkow, „und was willst du mit ihm anfangen?“
„Ich weiß es nicht“, entgegnete die Kaiserin und trat an das Fenster, um ihre Verlegenheit zu verbergen.
„Du weißt es nicht?“
„Das eine weiß ich nur“, begann die schöne Despotin ernst, „gemein darf er nicht enden.“
„Wie also?“
„Wie eine Flamme, die sich selbst verzehrt.“
„Das ist ein grausamer Gedanke.“
„Vielleicht aber ein Gedanke voll Poesie.“
„Muß er überhaupt enden?“ fragte die Fürstin.