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Das fulminante Finale der magischen Vogelwandler-Trilogie von Dein-SPIEGEL-Bestsellerautorin Nelly Möhe (»Der Zaubergarten«) Vor Kaya und ihren Freunden Milan, Fea und Nelio liegt eine schwere Aufgabe: Sie müssen mehrere magische Artefakte finden. Nur so können sie den unrechtmäßigen Herrscher der Avanosti stürzen und die Zerstörung des Höllentals verhindern. Zum Glück bekommen die Kinder Unterstützung von den Vögeln. Doch kurz vor dem Ziel wird ihre Freundschaft auf eine harte Probe gestellt. Das Schicksal der Avanosti liegt in ihren Händen … »Kaya Silberflügel« ist eine spannende Gestaltwandler-Geschichte über Freundschaft, Vertrauen und den Glauben an sich selbst. Das perfekte Lesefutter für Fantasy-Fans ab 9 Jahren, ausgestattet mit wunderschön farbig illustriertem Vorsatzpapier (nur im Print!). - Mit aufwendigen Illustrationen von Alina Brost - Für die extra Lesemotivation: Serie mit Quiz bei Antolin gelistet
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Seitenzahl: 284
Nelly Möhle
Zwischen Himmel und Freundschaft
Band 3
Frei wie ein Vogel
Vor Kaya und ihren Freunden Milan, Fea und Nelio liegt eine schwere Aufgabe: Sie müssen mehrere magische Artefakte finden. Nur so können sie den unrechtmäßigen Herrscher der Avanosti stürzen und die Zerstörung des Höllentals verhindern. Zum Glück bekommen die Kinder Unterstützung von den Vögeln. Doch kurz vor dem Ziel wird ihre Freundschaft auf eine harte Probe gestellt. Das Schicksal der Avanosti liegt in ihren Händen …
Das fulminante Finale der magischen Vogelwandler-Trilogie von Dein-SPIEGEL-Bestsellerautorin Nelly Möhe (»Der Zaubergarten«)
Alle Bände der Reihe Kaya Silberflügel:
Band 1: Das Geheimnis der magischen Federn
Band 2: Auf verzauberten Schwingen
Band 3: Zwischen Himmel und Freundschaft
Weitere Informationen finden Sie unter www.fischer-sauerlaender.de
Nelly Möhle lebt mit ihrer Familie in Offenburg und schrieb sich mit ihrer ersten Kinderbuchreihe Der Zaubergarten in die Herzen ihrer Leser*innen. Als Kind hat sie im Garten ihrer Großeltern gerne Vögel beobachtet und sich vorgestellt, wie toll es wäre, fliegen zu können. Nicht mit dem Flugzeug, sondern einfach die Arme ausbreiten und losfliegen – oder eben die Flügel. Und dann von oben die Stadt anschauen, die Landschaft, über den Schwarzwald zu fliegen oder schnell in die Vogesen. Jetzt verleiht sie ihrer neuen Kinderbuchfigur Kaya genau diese magische Eigenschaft.
[Motto]
Prolog
Insel der Hoffnung
Eine Warnung
Bagger gegen Vogelnest
Eine widerspenstige Tür
Was die Dunkelheit preisgibt
Unbekannte Vögel
Kurs auf das Silva-Gebirge
Wirklich und wahrhaftig
Überglücklich
Briefbotschaften
Fahren oder Fliegen?
Das Buch weist den Weg
Ein Fundstück mit Folgen
Der geheime Treffpunkt
So ein Zufall
Lange nicht gesehen
Im Tal der Kristalle
Im Schutz des Hermelins
Rabenehrenwort
Das sicherste Versteck
Ein Kichern im Dunkeln
Eine ausgestreckte Hand
Im Schein der Fackeln
Ein erbitterter Kampf
Ein Amt ist zu vergeben
Epilog
Hoch hinaus, gemeinsam stark!
(Hymne der Avanoste)
Mit leicht zittrigen Fingern öffnete ich den blassblauen Briefumschlag und zog ein mehrmals gefaltetes Papier heraus. Vorsichtig strich ich es auf dem Küchentisch glatt. Bereits als ich den Umschlag in meinem Fahrradkorb entdeckt hatte, wusste ich, dass er eine wichtige Nachricht enthalten würde. Eine Nachricht aus dem Reich der Avanoste. Ich spürte es einfach, auch wenn ich kein Vogelwesen in der Umgebung entdecken konnte, sosehr ich mich auch umsah.
Nun tanzten die Buchstaben vor meinen Augen, und ich musste sie zusammenkneifen und mich konzentrieren, um den Satz zu verstehen, der da etwas verloren auf dem dünnen Blatt Papier stand:
Sei vorsichtig! Fliege nur so hoch, dass du deinen Schatten noch sehen kannst.
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war – genau wie diese Nachricht. Doch was sollte sie bedeuten? Ich war mir noch nicht einmal sicher, ob es sich dabei um eine Drohung oder doch eher um eine Warnung handelte.
Ich starrte auf die akkurate Schrift und tastete nach dem Medaillon, das wie immer an der Silberkette um meinen Hals hing. Niemals legte ich es ab. Seit ich wusste, dass ich ein Vogelwandler war, gab es mir Kraft. Und den Mut, mich für die Gemeinschaft der Avanoste einzusetzen. Denn diese war in Gefahr. Und ich vermutete in diesem Moment auf der Küchenbank, dass die kurze Botschaft, die vor mir lag, nichts Gutes verhieß.
Also tippte ich eine kurze Nachricht an meine Avanosti-Freunde:
Wir müssen uns auf der Schwaneninsel treffen, so schnell wie möglich!
So schnell hatten wir Avanosti es noch nie geschafft, ein Treffen zu organisieren, noch dazu auf der Schwaneninsel mitten in den Auen. Doch meine Freunde hatten wohl die Dringlichkeit in meiner Nachricht verstanden und so landeten noch am selben Nachmittag vier Avanosti auf der kleinen Insel.
Einmal mehr staunte ich über das unterschiedliche Aussehen unserer Vogelgestalten. Milan traf als Erster ein, was mein Herz sofort höher schlagen ließ. Und das lag nicht nur an seinem prächtigen schwarzen Gefieder mit den roten Flügel- und Schwanzspitzen. Sondern auch daran, dass der Berg-Avanost mein längster Freund unter den Avanosti war und ich ihn wirklich sehr, sehr mochte.
Fea und Nelio kamen nur wenige Augenblicke später in Sicht, ihre ausladenden Flügel berührten im Landeanflug fast die Baumspitzen. Feas Federkleid war das auffallendste von uns vier Vogelwandlern, es schillerte in der Nachmittagssonne in allen erdenklichen Blautönen. Wirklich jede einzelne Feder an ihrem Körper trug ein anderes Blau.
Nelio schloss als Letzter seine kanarienvogelgelben Schwingen.
Wir waren vollzählig: ein Berg-, ein Wasser-, ein Wiesen-Avanost. Und ich, die ich sowohl Eis- als auch Wald-Avanost in mir vereinte.
»Ich freue mich so, euch zu sehen!«, rief Fea. »Spontane Treffen sind doch immer am schönsten.« Sie hatte, wie eigentlich immer, blendende Laune.
Nacheinander schlossen wir unsere Avanost-Medaillons – und standen nur Sekunden später in Menschengestalt direkt unter den langen Ästen der mächtigen Blutbuche, die beinahe die gesamte Insel überspannte.
Milan strich seine dunklen Locken zurück. »Ich bin gespannt, was es so Wichtiges gibt!«, meinte er.
Auch Nelio sah mich erwartungsvoll aus seinen grauen Augen an, die immer etwas ängstlich schauten.
Ich setzte mich im Schneidersitz auf den sandigen Boden und zog den gefalteten Briefumschlag aus der Bauchtasche meines hellblauen Kapuzenpullis. Die anderen setzten sich ebenfalls und bildeten dabei einen Kreis. Um uns herum plätscherte sacht das Wasser des Flussarmes und leckte von allen Seiten am sandigen Strand der Insel.
Rasch erzählte ich, wo ich den Brief entdeckt hatte, dann las ich ihn vor.
Kurz herrschte Schweigen. Alle starrten auf das Papier, das ich in unserer Mitte auf den Boden gelegt hatte. Es bewegte sich sanft im Luftzug.
Fea fasste als Erste ihre Gedanken zusammen. »Jemand droht dir!«, sagte sie und zog an ihren langen kupferroten Zöpfen.
»Vielleicht ist es aber auch eine gut gemeinte Warnung«, gab Nelio zu bedenken. Sein schmales Gesicht wirkte besorgt.
Genau diese beiden Gedanken hatte ich ja auch schon gehabt.
Milan zupfte an seinen zahlreichen bunten Armbändchen herum und schwieg. Ich warf ein Steinchen in seinen Schoß und fragte dann leise: »Und was meinst du?«
Milan drehte den kleinen Stein in seiner Hand und schaute dann auf. »Ich glaube, es ist eine Drohung«, sagte er mit ernstem Blick. »Wir sind dem unrechtmäßigen Avanost-Oberhaupt zu dicht auf die Pelle gerückt. Denn uns fehlt nicht mehr viel, dann haben wir alle Voraussetzungen erfüllt, um Xaver Steinadler entmachten zu können.«
Und das stimmte. Wir waren junge Avanoste eines jeden Stammes, jeder von uns hatte ein Avanost-Medaillon um den Hals. Laut den Avanost-Chroniken fehlten uns nur noch die magischen Gegenstände, um in die Gemeinschaft aufgenommen werden zu können. Und dann wären wir in der Lage, Xaver Steinadler vom Thron zu schubsen. Denn der hatte sich seine Position vor langer Zeit ergaunert!
Ich sagte: »Wir sind kurz vor dem Ziel. Wir brauchen nur noch das Versteck der wertvollen Avanost-Gegenstände ausfindig zu machen, damit alle von uns im Besitz ihres magischen Gegenstandes sind.«
Fea lachte auf. »Nur noch ist gut!«, meinte sie dann. »Wir haben doch keinen Schimmer, wo Xaver die gestohlenen Gegenstände versteckt hält.«
»Doch, den haben wir«, sagte Nelio mit seiner sanften Stimme.
Ich wusste sofort, worauf er hinauswollte. »Die Avanost-Gegenstände könnten in der Höhle sein, hinten im Höllental«, ergänzte ich Nelios Worte. »Merle hat uns darauf gestoßen. Xaver will unbedingt erreichen, dass die Flutung des Höllentals vom Stadtrat genehmigt wird. Angeblich zur Trinkwasserversorgung unserer Stadt. Merle glaubt aber, dass das nur ein Vorwand ist und Xaver die ehemalige Höhle der Avanoste in den Fluten versenken möchte – mitsamt den Avanost-Gegenständen.«
Milan zog die Augenbrauen zu einem einzigen dunklen Strich zusammen. »Dafür gibt es aber keinen Beweis«, meinte er.
»Nö«, antwortete Fea. »Den brauchen wir aber auch nicht. Wir können einfach ins Höllental fliegen, in die Höhle eindringen und nachschauen, ob die clevere Merle recht hat.« Ihre grünen Augen strahlten mit dem Flusswasser um die Wette, das direkt hinter ihr in einem trägen Strom vorbeifloss.
Merle war meine Freundin und leider kein Avanost. Aber das machte nicht wirklich etwas, denn sie half uns auch als Mensch ständig. Und nur Milan war nicht so begeistert davon, dass sie in unser Avanost-Geheimnis eingeweiht war.
Nelio sagte: »Ich finde, wir haben gar keine andere Wahl, als in der Höhle nachzuschauen. Denn eine andere Idee haben wir ja nicht.«
Ein Geräusch über uns ließ uns zusammenzucken. Mit dem Kopf im Nacken spähten wir ins dichte Geäst. Wieder knackten Äste, ich hörte ein kräftiges Flügelschlagen.
»Hallo?«, rief ich und sprang auf.
Milan war noch schneller als ich, er stand bereits am dicken Stamm des alten Baumes und linste hinauf in die Krone. Ich sah gerade noch, wie ein großer, dunkler Vogel durch das weinrote Blätterdach der Blutbuche brach.
»Konntest du erkennen, was das für ein Vogel war?«, stieß ich hervor. »Ein Avanost?«
Milan schüttelte den Kopf, seine langen Locken tanzten. »Die Äste und Blätter sind zu dicht«, antwortete er. »Aber von der Größe her könnte es ein Avanost gewesen sein.«
Nelio und Fea standen am Wasser und schauten in den Himmel. »Der Vogel muss in die andere Richtung davongeflogen sein«, sagte Nelio. »Ich habe ihn nicht gesehen.«
»Meint ihr, wir wurden belauscht?«, fragte Fea.
Die Stimmung war nun im Keller.
»Dann wüsste dieser Jemand jetzt, dass wir in die Höhle wollen«, antwortete ich.
»Vielleicht war es nur ein großer Reiher«, meinte Nelio. »Oder ein Raubvogel.«
Milan antwortete: »Dann hätte er sich bei unserer Ankunft auf der Insel doch zu erkennen gegeben, oder?«
Ich dachte kurz nach. »Wir sollten so schnell wie möglich zur Höhle aufbrechen«, sagte ich dann. »Um Klarheit zu bekommen. Aber für heute sind wir zu spät dran, es ist bald Abendessenszeit. Habt ihr morgen Zeit?«
Milan hatte Klavierunterricht, Nelio würde auf seine kleinen Geschwister aufpassen müssen. Also einigten wir uns nach einigem Hin und Her auf einen gemeinsamen Ausflug am übernächsten Tag. Erst da konnten alle direkt nach der Schule.
»Hoffentlich geht unser Plan auf«, meinte Milan. Mit den Händen in den Hosentaschen stand er da und schaute suchend in den Himmel.
In meinem Bauch rumorte ein ungutes Gefühl. Irgendjemand beobachtete uns. Und ich war mir ziemlich sicher, dass die große Vogelgestalt in der Blutbuche nicht Rabe Corbin, Xavers Gehilfe, gewesen war. Sondern ein Avanost, der uns aufgelauert hatte.
Als wir uns wenig später auf den Heimflug machten, ahnte ich noch nicht, dass ich die Schwaneninsel für eine ganze Weile nicht mehr betreten würde.
Ich war am nächsten Tag die Einzige von uns vier Avanosti, die am Nachmittag nichts zu tun hatte. Mama arbeitete in der Musikschule. Deshalb saß ich zur Mittagszeit allein in unserer gemütlichen Küche unter der Dachschräge und löffelte die aufgewärmte Kartoffelsuppe vom Vortag. Meine Gedanken kreisten, ich überlegte die ganze Zeit, was ich Sinnvolles tun könnte. Auch Merle war verplant, sie hatte ein Treffen mit der Umwelt-AG unserer Schule. Sie war ein eifriges Mitglied und konnte uns Avanosti dadurch immer wieder mit wichtigen Infos über unrechtmäßige Aktionen der Firma Stein-BAU füttern. Diese Firma gehörte nämlich Xaver Steinadler, wodurch er in unserer Stadt Sonnberg eine wichtige Rolle als Bauunternehmer und als Arbeitgeber spielte. Leider nutzte er diese Macht aus, um sich über Hindernisse hinwegzusetzen, die seinen Bauvorhaben im Weg standen. Zum Beispiel wollte er in den Auen, dem Brutgebiet der Eisvögel, einen Baggersee ausheben, um an neuen Kies für seinen Baustoffhandel zu kommen. Und sein neustes Projekt war eben der Stausee hinten im Höllental, für das er ganz Sonnberg zu mobilisieren versuchte. Doch Merle stand auf der Seite der Vögel und des Naturschutzes. Und der Avanoste.
Genau in dem Moment meines Gedankenspaziergangs wusste ich plötzlich, was ich an diesem Nachtmittag Sinnvolles tun konnte.
»Ich besuche Aurelia!«, rief ich in die leere Wohnung hinein. Der alten Dame konnte ich von unserer Vermutung erzählen, dass die Avanost-Gegenstände in der Höhle lagern könnten. Natürlich war das nicht der einzige Grund, um zu ihr zu radeln. Ich mochte Aurelia unglaublich gerne. Und sie war der erste Avanost, den ich kennengelernt hatte. Schnell schlüpfte ich in die Turnschuhe und schwang mich aufs Rad.
Etwas außer Atem erreichte ich die Vogelsinger-Villa. Aurelias hübsches Haus lag in einem anderen Viertel als unser altes Mietshaus in der Stadtmitte. Hier gab es ausschließlich Einfamilienhäuser in üppigen Gärten.
Als ich auf die Klingel neben der vornehmen blauen Tür drückte, regte sich erst einmal nichts.
»Oh nee, bitte sei da!«, murmelte ich und hielt den Knopf dauerhaft gedrückt. Riiing!
»Ich komme schon!«, hörte ich endlich eine Stimme und mein Herz begann, schneller zu schlagen. So sehr freute ich mich auf meine Freundin.
Doch es war nicht Aurelia, die die Tür mit Schwung aufriss.
»Kaya!«, rief Celia und klatschte in die Hände. »Was für eine schöne Überraschung!« Dann schloss sie mich in die Arme und ich versank in ihrem ausladenden Kaftan. Celia war ungefähr in Aurelias Alter und ihre Freundin. Und vor allem war auch sie ein Avanost.
»Ist Aurelia nicht da?«, fragte ich, nachdem Celia mich wieder freigegeben hatte und mich hereinwinkte.
»Doch, doch!«, antwortete Celia. »Mit ihrem Gipsbein ist sie nach wie vor etwas langsam unterwegs. Sogar ich bin momentan flinker als sie und deshalb öffne meistens ich die Tür.« Sie strich sich während des Sprechens über ihre üppige Figur und lachte fröhlich. Ich folgte Celia durch die Eingangshalle, durch das Esszimmer und bis auf die andere Seite des Hauses. Und dort, im sonnendurchfluteten Wohnzimmer, lag Aurelia auf dem samtigen Sofa, gestützt durch ein paar Kissen im Rücken und das Gipsbein von sich gestreckt. Wie immer sah die alte Dame sehr vornehm aus in ihrer grün schillernden Rüschenbluse, den langen Perlenketten und dem schicken Dutt im Nacken.
»Wir haben Besuch!«, trällerte Celia und ließ sich ächzend in einen der Sessel plumpsen.
Aurelia streckte ihre Hand aus und zog mich zu sich aufs Sofa. »Ach, Kaya, wie schön, dass du vorbeischaust!«, sagte sie und streichelte meine Hand.
Auf der Sofakante sitzend, fragte ich: »Wie geht es dir? Wann kann dein Gips endlich ab?« Aurelia hatte sich das Bein gebrochen, als ihr vor einiger Zeit ihre magische Feder gestohlen worden war. Mutig war sie dem flüchtenden Dieb gefolgt und dabei schwer gestürzt.
»Ohne den Gips ginge es mir blendend«, antwortete Aurelia. »Aber ich muss diesen Klotz am Bein höchstens noch eine Woche ertragen, dann kommt er ab. Ich bin so dankbar, dass Celia so viel Zeit bei mir verbringt und mich hier im Haushalt unterstützt.«
Das waren doch mal gute Nachrichten. Deshalb beeilte ich mich auch, den beiden Frauen meine Neuigkeiten zu erzählen: Vom anonymen Brief in meinem Fahrradkorb bis zum Avanosti-Treffen auf der Schwaneninsel berichtete ich haarklein. Einfach weil ich mir von den beiden erfahrenen Avanost-Frauen ein paar Ratschläge erhoffte.
»Hmm!«, machte Aurelia, als ich geendet hatte. »Wer schreibt dir einen solchen Brief? Und was hat er zu bedeuten?«
Ich zuckte mit den Schultern, denn genau das wollte ich ja auch gerne wissen.
Dieses Mal antwortete Celia: »Ich denke, es ist eine Warnung. Du musst aufpassen. Ihr Avanosti solltet auf euch aufpassen. Ihr fliegt zu hoch hinaus. Sodass ihr euren eigenen Schatten nicht mehr sehen könnt. Doch andere sehen euren Schatten, ja folgen ihm sogar, um euch zu kontrollieren. Das ist gefährlich!«
Ich schluckte, denn Celias Worte hörten sich irgendwie unheimlich an. »Aber wer will mich denn warnen?«, fragte ich fast verzweifelt.
»Tja … «, war Celias einzige und sehr leise Antwort.
Aurelia sagte: »Ich weiß nur ziemlich sicher, dass Xaver Steinadler seine Finger im Spiel hat. Doch irgendwie glaube ich nicht, dass der Brief von ihm stammt. Das ist nicht seine Art. Er würde dir eher auflauern und direkt drohen. Ohne Schnickschnack und rundheraus.«
Kurz herrschte Schweigen.
Schließlich fragte Aurelia: »Und ihr seid euch sicher, dass ihr auf der Schwaneninsel beobachtet wurdet?«
»Na ja, so richtig sicher nicht«, antwortete ich. »Aber ich hatte ein ganz komisches Gefühl. Und die anderen auch. Da war jemand, eine große Vogelgestalt. Und ich glaube, dass sie uns belauscht hat.«
Aurelia drückte meine Hand und sagte: »Das würde Celias Theorie unterstreichen, dass ihr verfolgt werdet. Es wäre mir lieber, wenn ihr Kinder euch nicht mehr auf der einsamen Schwaneninsel trefft. Ihr könnt stattdessen meinen Avanost-Dachboden für eure Zusammenkünfte benutzen. Da oben seid ihr sicher.«
»Wirklich?«, rief ich aufgeregt.
Der Dachboden der Vogelsinger-Villa war ein richtiges Paradies: Er war gemütlich eingerichtet mit Sofas und Teppichen. Das Beste war jedoch das Spitzdach, das zu großen Teilen aus Glas bestand. Und drückte man auf einen Schalter, fuhren eben diese Glasfenster nach unten und gaben den Himmel frei. Ein Traum für jeden Vogelwandler, denn man konnte natürlich einfach die Flügel ausbreiten und durch das geöffnete Dach in die Freiheit fliegen.
»Wirklich«, antwortete Aurelia lächelnd. »Das Versteck für den Hausschlüssel kennst du ja bereits. Du kannst mit den Avanosti gerne jederzeit den Dachboden als Treffpunkt nutzen. Kommt doch gleich morgen vorbei.«
Ich umarmte Aurelia ganz fest.
»Das ist echt super!«, sagte ich. »Morgen haben wir Avanosti allerdings keine Zeit. Wir fliegen nach der Schule ins Höllental. Zur Höhle der Avanoste.« Ich zuckte vielsagend mit den Augenbrauen.
»Zur Höhle?«, fragten die beiden Damen wie aus einem Mund.
»Was wollt ihr denn dort?«, schob Celia hinterher, dabei hoben sich ihre dünnen Augenbrauen bis unter die lockigen Ponyfransen.
»Na ja«, meinte ich, etwas verunsichert von den strengen Blicken der Avanost-Frauen. »Xaver Steinadler versucht gerade, vom Stadtrat die Genehmigung zu bekommen, hinten im Tal einen Stausee bauen zu dürfen. Dadurch würde die Höhle geflutet werden. Und vielleicht ist sein Hauptziel gar nicht die Trinkwasserversorgung von Sonnberg, sondern die Zerstörung von etwas, was in der Höhle lagert: die gestohlenen Avanost-Gegenstände.«
Ich hatte den letzten Satz fast geflüstert. Die Terrassentüren standen schließlich sperrangelweit offen – wer weiß, ob da draußen nicht wieder ein Spion saß und meine Worte aufsaugte, um sie dann sofort zu Xaver Steinadler zu tragen.
Aurelia schüttelte sacht den Kopf. »Das kann ich kaum glauben«, meinte sie dann. »Xaver würde die machtvollen Gegenstände doch nicht in unserer Avanost-Höhle verstecken. Direkt unterhalb der Hütte der Wächterin! Das wäre viel zu riskant für ihn. Jederzeit könnte das Versteck von einem Avanost entdeckt werden!«
Ich warf ein: »Aber manchmal sind gerade solche Verstecke doch die besten, oder? Also, ich meine die, die an einem Ort sind, wo sie kein Mensch vermutet. Oder in unserem Fall: kein Avanost.«
»Also, ich weiß nicht so recht«, murmelte Aurelia.
»Außerdem ist die Höhle ja mit Brettern verrammelt«, fiel mir noch ein. »Keiner kommt einfach so hinein.«
Die Damen schwiegen nachdenklich.
Dann sagte Aurelia: »Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass ihr Kinder ganz allein ins Höllental fliegt und in die Höhle eindringt. Du hast Xavers hasserfüllte Worte beim großen Stadtfest gehört: Er wird alles tun, um die Avanost-Gemeinschaft zu zerschlagen. Ein Avanosti-Schwarm im Höllental bietet ihm einen prima Vorwand. Falls ihr wirklich belauscht wurdet, kennt er euren Plan.«
Ich rief: »Aber was sollen wir denn sonst machen?«
Aurelia antwortete: »Wir erwachsenen Avanoste treffen uns noch diese Woche. Es ist nun an uns, uns um das Problem Xaver Steinadler zu kümmern.«
Celia nickte und meinte: »Wir werden bei unserem Treffen auch eure Vermutung, dass die Höhle ein Versteck sein könnte, besprechen. Doch ich bin mir sicher, dass sich nichts Geheimnisvolles darin befindet.«
Ich schaute ungläubig von Aurelia zu Celia, immer hin und her. Sie verstanden den Ernst der Lage nicht.
»Ich finde ja irgendwie, dass ihr Erwachsenen euch sehr viel Zeit mit dem Kümmern lasst«, sagte ich leise.
»Kaya, du musst uns jetzt vertrauen, auch wenn es dir schwerfällt«, sagte Aurelia wieder und legte mir ihre Hand auf den Unterarm. »Xaver Steinadler ist mächtiger, als du dir vorstellen kannst. Ihr Avanosti habt schon so viel geleistet. Jetzt sind wir Erwachsenen dran und wir werden die Angelegenheit in die Hand nehmen.«
Celia hievte sich aus ihrem Sessel und verkündete: »Ich muss mich jetzt leider verabschieden. Ich fahre zurück in meine Wohnung. Die Pflanzen müssen mal wieder gegossen werden.«
Aurelia fragte: »Dann essen wir nicht gemeinsam zu Abend?«
»Heute eher nicht«, antwortete Celia, winkte uns zu und verschwand in den Flur.
Ich blieb noch eine Weile bei Aurelia. Sie gab mir ein paar Aufträge, um ihr im Haus zur Hand zu gehen. Ich goss die Blumenkübel auf der Terrasse, saugte ein paar Krümel rund um das Sofa weg und richtete einen Teller mit leckeren Häppchen für Aurelias Abendessen. Dabei plauderten wir über alles Mögliche. Doch sobald ich das Thema »Xaver« oder die Pläne der Avanosti anschnitt, reagierte Aurelia nicht darauf. Für sie war alles dazu gesagt worden. Für mich nicht. Ich spürte ein dumpfes Drücken in der Magengegend. Ich hatte auf die Unterstützung von Aurelia gehofft, doch sie vertraute nun auf die erwachsenen Avanoste.
Wieder zu Hause, fragte ich beim Abendessen meine Mutter: »Wann genau wollt ihr Avanoste euch treffen? Also, um Pläne zur Entmachtung von Xaver Steinadler zu machen?«
Mama schaute von ihrem Teller auf und legte ihr angebissenes Käsebrot ab. »Warum fragst du?«
Ich erzählte ihr von meinem Besuch bei Aurelia. »Ihr erwachsenen Avanoste habt beim Stadtfest gesagt, dass ihr euch zusammentun und gegen das unrechtmäßige Oberhaupt stellen wollt. Da will ich jetzt einfach mal wissen, was ihr so plant!«
Wahrscheinlich war meine Stimme etwas kämpferisch, denn Mamas eisblaue Augen weiteten sich. Sie überlegte kurz, bevor sie sagte: »Es ist nicht so einfach, berufstätige Erwachsene unter der Woche an einen Tisch zu bekommen. Aber spätestens am Wochenende treffen wir uns, das haben wir geplant.«
Wir hatten gerade mal Dienstag.
Mama strich mir über den Kopf. »Erstens glaube ich nicht, dass Xaver die Gegenstände in der Höhle aufbewahrt. Das ist doch kein sicheres Versteck! Und zweitens haben wir Erwachsenen gesagt, dass wir uns ab jetzt um den Fall Xaver Steinadler und seine Entmachtung kümmern werden.«
»Dann solltet ihr aber auch mal loslegen«, sagte ich etwas patzig. »Ihr habt euch seit dem Stadtfest noch nicht wieder getroffen, oder?«
Mama guckte mich mit ernstem Blick an. »Du hörst mir jetzt gut zu, Kaya.« Ich nickte stumm. »Wir erwachsenen Avanoste sind an Xaver dran. Doch es ist nicht so einfach, wie du denkst. Denn Xaver Steinadler hat eine mächtige Waffe …« Mamas eisblaue Augen verdunkelten sich.
»Welche Waffe denn?«, musste ich fragen.
»Es ist keine Pistole oder sonst eine Waffe, die du jetzt vielleicht vor Augen hast«, sagte Mama. »Jedenfalls sind wir in dem Konflikt mit Xaver Steinadler an einem Punkt angelangt, an dem es für euch Kinder viel zu gefährlich geworden ist. Wir Erwachsenen haben die Sache übernommen.«
»Aber …«, setzte ich an.
»Nein, Kaya«, unterbrach Mama mich, »es gibt hier kein aber! Ihr Avanosti habt viel für unsere Gemeinschaft getan, doch ab jetzt haltet ihr die Füße still. Hast du mich verstanden?«
Ich verstand überhaupt nichts mehr. Welche Waffe sollte Xaver denn haben? Außer den gestohlenen Gegenständen. Meinte Mama die?
Ich schloss kurz die Augen, horchte in mich rein. Da saß ein richtig dicker Klumpen Wut in meiner Magengegend. Sowohl Aurelia als auch Celia und Mama hielten sich zurück, ich hatte das Gefühl, sie verschwiegen mir etwas Wichtiges. Und das, obwohl wir Avanosti bis hierher so viel erreicht hatten und gerade auf einer heißen Spur waren. Doch statt gemeinsame Sache zu machen, sollten wir Kinder auf den Spielplatz gehen und es den erwachsenen Avanosten überlassen, Xaver Steinadler zu entmachten. Weil das in den letzten zehn Jahren ja auch so gut geklappt hatte! Pah!
Wild entschlossen flitzte ich in mein Zimmer und tippte eine Nachricht in die Avanosti-Gruppe:
Welches Werkzeug brauchen wir morgen, um in die Höhle zu kommen? Und wer kann es mitbringen?
Nelio antwortete prompt:
Mein Vater hat einen gut gefüllten Werkzeugkeller. Ich packe zusammen, was wir brauchen könnten. Aber wie schaffen wir die schweren Sachen dann ins Höllental?
Wenige Minuten später meldete sich Milan:
Packe alles in eine Tasche. Ich kann sie als Avanost mit meinen Klauen transportieren.
Super, dann um 14.30 Uhr vor der Eisdiele. LG Nelio
Ich bin so aufgeregt! Bis morgen, Fea
Beim Gutenachtsagen drückte Mama mich ganz fest an sich und flüsterte: »Kaya, bitte mach nichts Unüberlegtes mit deinen Avanosti. Ihr begebt euch sonst in große Gefahr!«
Ich drückte Mama fest zurück und atmete mit geschlossenen Augen ihren Duft ein. Es war nicht schön, Geheimnisse vor ihr zu haben. Doch was blieb mir anderes übrig? Und wenn wir Avanosti wirklich in der Höhle fündig würden, wäre Mama so froh, dass meine Geheimniskrämerei gar nicht mehr ins Gewicht fallen würde. So hoffte ich zumindest an diesem Abend.
Am nächsten Tag wachte ich schon mit einer kribbeligen Aufregung in mir drin auf. Ich glaubte fest daran, dass wir die seit langer Zeit verschollenen Avanost-Gegenstände wirklich in der Höhle finden würden. Den Gedanken, was wir dann mit dem wertvollen Fund machen sollten, schob ich erst einmal beiseite und hüpfte mit einem Satz aus dem Bett.
Leider musste ich mich ja noch bis zum Nachmittag gedulden und vor allem musste ich erst einmal in die Schule. Alle Avanosti mussten in die Schule. Schwänzen kam nicht infrage, da unsere Lehrer sofort bei den Eltern anrufen würden, um unserem unentschuldigten Fehlen auf den Grund zu gehen.
Wenigstens lenkte Merle mich etwas vom Thema »Höhle« ab. Wir lehnten in der ersten großen Pause an der Außenwand des Festsaales und streckten unsere Gesichter in die Sonne.
»Gestern, beim Treffen der Umwelt-AG, hat Hannes uns fantastische Neuigkeiten mitgebracht«, erzählte sie. Hannes ist schon achtzehn, leitet die Umwelt-AG und wird von Merle sehr verehrt. »Der Stadtrat hat noch kein grünes Licht für den Bau eines Staudammes im Höllental gegeben. Die Entscheidung wurde vertagt, da es Unstimmigkeiten bei den Plänen gibt.«
Ich schaute meine Freundin an und sagte: »Mensch, Merle, das ist ja super!«
»Es kommt noch besser«, sagte Merle. »Xaver muss sich gerade vor dem Stadtrat erklären. Wegen seiner Grabungen im Brutgebiet der Eisvögel. Scheinbar hatte er keine offizielle Genehmigung der Stadtverwaltung.«
Ich war hochzufrieden. Denn Merles Infos bedeuteten, dass Xaver seine Zeit und Energie gerade komplett für seine Firma und den Streit mit der Stadt brauchte. Somit hatten wir vielleicht erst mal Ruhe vor ihm.
Merle fuhr fort: »Und am allerbesten ist, dass Hannes sämtliche Naturschutzorganisationen unseres Landkreises angeschrieben und um Mithilfe gebeten hat. Weil eine Schul-AG, wie wir sie sind, vor dem Stadtrat wahrscheinlich nicht so eine Aussagekraft hat wie richtige Organisationen von Erwachsenen. Hannes sagt, unsere Chancen stehen nicht schlecht, dass wir Unterstützung bekommen. Und dann sieht es nicht gut aus für Xaver Steinadler und seine Firma Stein-BAU. Denn sowohl der Baggersee in den Auen als auch die Stauung der Nagold im Höllental bedeuten Umweltzerstörung pur.«
Das waren mal wirklich motivierende Nachrichten.
Ich erzählte Merle dann von unserem geplanten Flug ins Höllental. »Wollen wir hoffen, dass Xaver mit den Problemen seiner Firma so viel zu tun hat, dass er uns nicht zur Höhle folgt«, beendete ich meinen Bericht.
»Kann ich mitkommen ins Höllental?«, fragte Merle mit leuchtenden Augen. »Als Eichelhäher? Bitte, bitte!«
Merle hatte uns Avanosti schon einmal, dank meiner magischen Feder, als Eichelhäher zur Schwaneninsel begleitet.
»Ich finde schon, dass du mitkommen solltest«, antwortete ich, denn Merle war in der letzten Zeit wirklich meine größte Hilfe gewesen.
Im nächsten Moment dachte ich an Milan, der bestimmt nicht begeistert sein würde, wenn Merle mitkäme. Doch damit kam ich gerade gut klar.
Merle und ich tauchten also zusammen beim Treffpunkt vor der Eisdiele Zampolino auf. Hoffnungsfroh und gut gelaunt.
Milan verzog keine Miene. »Ich wusste gar nicht, dass wir heute zu fünft sind«, sagte er nur.
Fea fiel erst mir und dann Merle um den Hals und rief: »Ich freue mich so auf unseren Ausflug!«
In dem Moment trat Nelio auf der anderen Straßenseite aus der Ladentür des Gartencenters Feld, das seine Familie betrieb. Die Türglocke bimmelte, als Nelio sich mit einer knallblauen Sporttasche hindurchschob und dann mit langen Schritten auf uns zueilte.
Es klirrte leise, als er die Tasche auf der Bank abstellte. »Hallo!«, sagte er in die Runde. Dass Merle bei uns war, schien ihn nicht weiter zu wundern. »Ich glaube, ich habe alle Werkzeuge beisammen, die wir brauchen könnten.«
»Von wo starten wir?«, fragte Fea. »Unten am Rheinufer?«
»Ist wohl am sichersten, um ungesehen abheben zu können«, antwortete Milan. Er schnappte sich die Tasche und marschierte die Fußgängerzone hinunter. Wir anderen hängten uns an seine Fersen. Ich platzte fast vor Aufregung, als wir endlich im Gebüsch am Ufer des Rheins kauerten, der an unserer Stadt vorbeifloss wie ein breites grünes Band. Von hier aus waren wir schon so einige Male gestartet. Bevor ich mein Medaillon öffnete, steckte ich Merle die Eichelhäherfeder hinter das Ohr. Und nur Sekunden später saß sie als kleiner Vogel zwischen uns, mit den hübsch gestreiften Flügel aufgeregt flatternd.
Fea und Nelio öffneten fast gleichzeitig ihre Schmuckstücke und verwandelten sich.
»Hoffentlich geht das gut!«, brummte Milan mit Blick auf den Eichelhäher. »Warum musste sie mitkommen?«
Ich legte meine Hand auf seinen Arm. »Weil sie meine Freundin ist. Und weil sie sowieso unser Avanost-Geheimnis kennt.«
Milan schaute erst auf meine Hand, dann in meine Augen. Sein ernster Blick verwandelte sich in ein Lächeln, als er antwortete: »Na gut. Du vertraust Merle. Dann vertraue ich auch dir. Es wird schon alles gut gehen!«
Ich lächelte zurück. Milan war manchmal etwas ungehalten und sehr von seiner Meinung überzeugt. Dadurch wirkte er vielleicht ab und zu schnöselig. Doch ich kannte ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er ein richtig feiner Kerl war. Und ich mochte ihn total gern.
Fea, Nelio und Merle scharrten ungeduldig mit ihren Krallenfüßen.
Milan und ich grinsten uns an und folgten dann rasch den anderen in die Vogelgestalt. Das Drehen und Rauschen dauerte nur Sekunden, schon schaute ich auf rosafarbene Vogelfüße hinunter.
»Endlich!«, rief Fea. »Was gab es denn noch zu bequatschen?«
Weder Milan noch ich antworteten. Stattdessen sagte ich zum Eichelhäher: »Bleib dicht bei mir. Ich hoffe, du hältst den langen Flug durch!« Merle hatte noch nicht viel Übung im Fliegen.
»Klar!«, rief meine Freundin. »Ich bin in Topform.«
Ein schnarrendes Stimmchen ließ uns aufschrecken. »Wie gut, dass ich euch hier antreffe!« Ein Wasservogel paddelte direkt am Ufer gegen die Strömung an und versuchte, sich auf Höhe unseres Gebüschs zu halten. Da links und rechts von seinem Kopf ein lustiger Federbüschel abstand, erkannte ich in ihm einen Haubentaucher. Außerdem war der rostbraune Kragen, der vom elegant gebogenen Hals abstand, eindeutig.
Der Vogel wandte sich nun direkt an mich und sagte: »Wir kennen uns, ich habe dich vor einiger Zeit zusammen mit anderen Wasservögeln in der Stadt besucht.«
Ich nickte vage. Es hatte mich tatsächlich ein ganzer Trupp Wasservögel zu Hause aufgesucht. Sie hatten sich in der alten Kastanie vor dem Haus versammelt, um mich um Hilfe zu bitten. Weil Xaver in ihren Brutgebieten baggerte, rumorte und mit den riesigen Baufahrzeugen alles plattmachte.
Der Haubentaucher fuhr fort: »Ich dachte, ihr Avanoste wolltet uns helfen? Dass unser Lebensraum für unsere Kinder erhalten bleibt? Aber erst heute Morgen ist eines dieser Monsterfahrzeuge ganz dicht bis zu meinem schwimmenden Nest vorgedrungen, das ich im Schilf der Bucht verankert hatte. Bisher waren wir dort immer sicher gewesen. Jetzt sind wir es nicht mehr!«
Ich schaute zu Eichelhäher Merle.
Die hatte den hübschen Kopf schief gelegt, guckte den Haubentaucher an und fragte nach: »War der Bagger heute Morgen wirklich am Baggern? Oder hat er vielleicht nur gewendet und dann die Auen verlassen?«
»Nein, nein!«, rief der Haubentaucher und paddelte wieder ein Stück gegen die Strömung, um auf unserer Höhe zu bleiben. »Das Fahrzeug ist mit seiner großen Schaufel tief in die Uferböschung eingedrungen. Das Wasser wurde ganz trüb. Deshalb bin ich heute auch hier hinaus auf diesen großen Strom gepaddelt, um nach Futter zu suchen. Bei uns drüben im Seitenarm ist alles trüb und schlammig, da findet man nichts Essbares.«
Merle machte einen eindrucksvollen Hüpfer und rief dabei: »Das ist echt krass! Die Firma Stein-BAU hat eigentlich ein Grabungsverbot!«
Kurz herrschte eine empörte Stille. Dann sagte Merle: »Ich erzähle Hannes davon. Er wird wissen, was in diesem Fall zu tun ist. Dieser Xaver Steinadler denkt wirklich, er steht über allen Gesetzen und kann machen, was er will!«
Etwas beruhigt ließ sich der Wasservogel schließlich von der Strömung weitertreiben.
Ich rief ihm noch hastig hinterher: »Und berichtet uns, falls die Bagger weitergraben!« Keine Ahnung, ob er mich beim Gegurgel des Flusses noch hörte.
»Na dann!«, rief Milan mit energischer Stimme und zog mich zurück ins Gebüsch. »Wir müssen los!« Er ruckelte mit seinem breiten Schnabel die Sporttasche zurecht, die er zuvor an der Wasserkante des Flusses abgestellt hatte. Der Rhein floss dunkel und träge dahin, doch ich wusste, dass es hier unzählige Strudel und unvorhersagbare Strömungen gab, die einen ruckzuck in die Tiefe ziehen konnten.
Aber daran wollte ich jetzt nicht denken.
»Leute, ist euch eigentlich klar, zu welcher Mission wir hier aufbrechen?«, fragte Fea. »Vielleicht bergen wir heute die gestohlenen Avanost-Schätze! Ich bin total hibbelig, wenn ich nur daran denke!«
Milan bemerkte: »Vielleicht finden wir die Gegenstände, vielleicht aber auch nicht.«
Merle antwortete: »Ich habe es im Gefühl: Xaver Steinadler nutzt die Höhle als Versteck.«
Und dann checkten wir ein letztes Mal die Lage. Vier Avanost-Köpfe lugten aus dem Geäst und beobachteten die Uferpromenade.
»Ein alter Herr mit Pudel im Anmarsch«, sagte Nelio, der gen Norden schaute. »Aber dann ist die Luft rein.«
Mein Herz schlug aufgeregt, als Mann und Hund hinter der Brücke verschwanden. Es konnte losgehen. Unserem Start stand nichts mehr im Weg.
Fea, Nelio, Merle und ich drückten unsere Vogelkörper etwas ins Gebüsch, um Milan Platz zu machen. Der hatte nun höchstens zwei Meter, um Anlauf zu nehmen, bevor er im Abflug die beiden aufgestellten Henkel der Tasche mit den Klauen erwischen musste, um dann rasch an Höhe zu gewinnen.
»Wenn das nicht klappt, landet Papas Werkzeug im Wasser und wir finden es nie wieder!«, hörte ich Nelio neben mir raunen.
Milan startete. Seine roten Vogelbeine stießen sich mit Kraft ab, länger und länger wurden seine Schritte, bevor er sich ein letztes Mal vom trockenen Untergrund löste, die Flügel spreizte und sich kurz vor der Tasche in die Luft erhob. Die Klauen umschlossen mit geübtem Griff die Henkel. Doch das Gewicht der Werkzeuge war wohl auch für einen so großen Vogelkörper enorm. Die Tasche schlingerte unter dem dunklen Avanost ein paar Mal kräftig hin und her.