9,99 €
One-Way-Ticket to Paradise
Als Amalie Whitfield ihren Fast-Ehemann beim Fremdgehen erwischt (auf der eigenen Hochzeit!), ist sie so gedemütigt, dass sie kurzerhand ihren Koffer packt und die Hochzeitsreise nach Bora Bora allein antritt. Auf der winzigen Insel läuft sie ausgerechnet Lexington Mills über den Weg, der ihr Herz schon seit Langem gefährlich schnell schlagen lässt. Doch der mysteriöse Geschäftsmann ist der Letzte, mit dem sie jetzt eine Affäre beginnen sollte ...
"Sexy. Witzig. Gefühlvoll. Und so viel mehr als nur ein Buch. Dank KEEP weiß ich, warum ich Romance so sehr liebe." L. J. SHEN
Band 2 der MILLS-BROTHERS-Reihe von NEW-YORK-TIMES-Bestseller-Autorin Helena Hunting
Die MILLS-BROTHERS-Reihe:
1. STAY
1.5 KISS
2. KEEP
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 477
HELENA HUNTING
KEEP
Roman
Ins Deutsche übertragen vonBeate Bauer
Den Ehemann beim Fremdgehen zu erwischen, ist schon schlimm genug. Wenn es aber auf der eigenen Hochzeit passiert und alle Gäste das Spektakel live miterleben, kann man es als eine gewaltige Katastrophe bezeichnen. Amalie Whitfield wollte mit dieser Heirat ihre wilde Vergangenheit hinter sich lassen. Alles sollte perfekt sein – und dann das! Amie ist nicht nur gedemütigt, sondern richtig, richtig wütend. So wütend, dass sie beschließt, ihre Hochzeitsreise nach Bora Bora allein anzutreten. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass sie auf der winzigen Insel ausgerechnet Lexington Mills, dem Cousin und größten Konkurrenten ihres (Bald-nicht-mehr-)Mannes, über den Weg läuft. Seit ihrer ersten Begegnung ist Amie fasziniert von dem mysteriösen Geschäftsmann, der ihre Gefühle in ziemlichen Aufruhr versetzt. Und obwohl sie weiß, dass er der letzte Mann ist, mit dem sie jetzt eine Affäre beginnen sollte, kann sie sich einfach nicht von ihm fernhalten …
Für Debra.Du bist der Pfeffer zu meinem Salz,das ihm die Würze gibt.
Amie
Ich suche den Raum nach vertrauten Gesichtern ab – nach irgendjemandem aus meiner Abteilung bei Moorehead Media, den ich gut genug kenne, um ein Gespräch zwischen Untergebenen anzufangen. Als ich meinen Blick schweifen lasse, bemerke ich auf drei Uhr eine kleine Gruppe von Männern. Das mit der Gruppenbildung ist nicht unüblich. Die gesamte Party besteht aus menschlichen Halbkreisen, die eine Hälfte mit gezwungenem Lächeln und simuliertem Interesse an einem Gespräch, während die andere Hälfte unter dem Einfluss von Alkohol Geschäftliches zu erörtern versucht.
Mein Blick bleibt an einem Mann hängen. Er beteiligt sich nicht am Gespräch in seinem Halbkreis. Ich weiß es, weil er mich ansieht. Oder zumindest in meine Richtung schaut. Er ist genauso gekleidet wie alle anderen im Raum – dunkler Anzug und Krawatte –, doch sein Gesicht ist atemberaubend. Hohe Wangenknochen, kräftiges Kinn, volle Lippen, perfekte Nase, die Augen von dichten Wimpern umrahmt. Sein dunkles Haar ist kurzgeschnitten und auf eine Art gestylt, die mich an einen Mobster der Fünfzigerjahre erinnert. Adrett und kultiviert, was überhaupt nicht meinem Typ entspricht.
Ich halte mein Glas mit beiden Händen, um nicht dem Bedürfnis nachzugeben, mit den Fingern zu spielen.
Nach – gefühlt – langem Blickkontakt wandert die Hitze, die meine Wangen rot gefärbt hat, durch meinen gesamten Körper und sorgt dafür, dass, neben anderen Körperstellen, meine Kopfhaut prickelt. Ich blicke über die Schulter, um mich zu vergewissern, ob er mich tatsächlich unablässig ansieht. Hinter mir ist eine Gruppe von Frauen in den Fünfzigern, falls er also nicht auf was Reifes steht, befinde ich mich im Zentrum seiner Aufmerksamkeit.
Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem Lächeln, und weiße Zähne und ein Grübchen kommen zum Vorschein. Abwesend richtet er ein paar Worte an seine Gruppe und kommt dann auf mich zu. Ich glaube nicht, dass ich ihn kenne. An ein so hinreißendes Gesicht würde ich mich erinnern. Während er näher kommt, registriere ich seine faszinierenden Augen. Ein wunderschöner Blauton, der im Kontrast zu seinem dunklen Haar besonders leuchtet. Sogar seine gemusterte Krawatte passt dazu. Bestimmt ist das Absicht.
Er bleibt stehen, als er den Diskretionsabstand knapp überschritten hat, weshalb er mir für einen Fremden jetzt ein klein wenig zu nah ist. Sein Lächeln wird breiter, seine Grübchen tiefer, und seine Augen wandern mit einem undurchdringlichen Ausdruck über mein Gesicht.
»Hallo.« Seine Stimme ist ein sanftes Streicheln, das an meinem Hals beginnt und meinen Körper hinunterwandert, bis zu der empfindlichen Stelle in meinen Kniekehlen.
»Hallo.« Ich unterbreche den Blickkontakt für einen Moment, weil ich die Intensität nicht länger ertrage. Ich registriere den Rest von ihm in den Sekunden, die wir uns nicht anschauen. Er ist ein großer Mann, mit breiten Schultern und kräftigen Armen. Angesichts der schmalen Taille befindet sich unter dem Anzug vermutlich ein fester Körper. Er trägt Anzugschuhe mit schwarz-weißem Muster, als wollte er mit der Wahl seines Schuhwerks der aufgeblasenen Party den Mittelfinger zeigen.
Er lacht leise und lenkt damit meine Aufmerksamkeit zurück auf sein Gesicht. Er schüttelt den Kopf und legt ihn schräg, wobei sein Lächeln ein wenig verlegen wird. »Tut mir leid. Es ist nur … Sie sind nur … wow. Ich bin Lexington.« Er reicht mir eine manikürte Hand.
»Ich bin Amalie.« Die Befangenheit ist scheinbar stärker als die Intensität. Jedenfalls bis ich meine Finger in seine Handfläche gleiten lasse. Der Energieschub, der meinen Körper durchströmt, zwingt mich, ein Schaudern zu unterdrücken.
Er umfasst meine Hand mit seinen beiden. »Amalie. Das ist ein wunderschöner Name für eine wunderschöne Frau. Ich würde sagen, die bezauberndste Frau hier im Raum, wirklich. Erst dachte ich, jemand hätte mir etwas in meinen Drink getan und ich würde halluzinieren. Ich bin wirklich froh, dass dem nicht so ist.«
Sagt dieser Typ das wirklich? »Tut mir leid, wie bitte?«
Er beißt sich auf die Lippe und senkt, beinahe schüchtern, den Blick. Dann sieht er sich im Ballsaal um, bevor er mich wieder anstrahlt. Ich bin mir nicht sicher, ob das mit der Schüchternheit nicht gespielt ist.
Er macht eine ausladende Geste, wobei sein Blick seiner Hand folgt. »Sie sind eine Wucht. Wo ist Ihr Begleiter?« Wirklich raffiniert. Er ist ein echter Meister im Flirten.
»Ähm, ich habe keinen Begleiter.«
»Fantastisch. Schwer zu glauben, aber eine gute Nachricht für mich.« Er hebt seine Hand und senkt den Kopf. Die Manschette seines Hemds rutscht nach oben und gibt den Blick auf einen farbigen Tattoostreifen an seinem Handgelenk frei. Vielleicht ist er ja doch nicht so brav, wie ich dachte. Ich frage mich, bis wohin das Tattoo reicht. In meinem Kopf schrillen die Alarmglocken, als seine weichen, warmen Lippen meinen Handrücken berühren.
Ein lustvolles Prickeln lässt mich meine Hand zurückziehen. Mein Mund ist auf einmal staubtrocken. Was um Himmels willen war das? Ich lache, doch es klingt verlangend. Ich weiß nicht, was ich tun soll, darum nippe ich an meinem leeren Glas, was die drei Eiswürfel am Boden klirren lässt.
»Darf ich Ihnen einen Drink holen?«, bietet er an.
»Äh …«
»Ich bitte Sie ja nicht, mich zu heiraten, noch nicht.« Er zwinkert. »Trinken Sie einfach etwas mit mir. Wir können uns unterhalten. Das gibt mir einen triftigen Grund, Sie weiter unter die Lupe zu nehmen. Wir werden uns beide amüsieren.«
Oh mein Gott, dieser Typ ergeht sich vielleicht in Andeutungen. Ich lache erneut und senke den Kopf.
»Außer Sie möchten die Party lieber frühzeitig verlassen und den nächsten Flug nach Vegas nehmen. Dann können wir uns auf dem Weg zu unserer Hochzeit besser kennenlernen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir bis Montag wieder zurück sind.«
Ich bin mir sicher, dass mein Lächeln genau zu seinem passt. Die Sache macht ihm einfach viel zu großen Spaß. »Ich nehme den Drink.«
»Ganz sicher? Ich kann uns einen Privatjet besorgen. Wir könnten uns auf dem Weg ganz mit den Hochzeitsnachtaktivitäten beschäftigen, um sicherzugehen, dass wir zueinander passen und keinen Fehler machen.«
»Sie haben das alles geplant, nicht wahr?«
»Überhaupt nicht. Ich handle aus dem hohlen Bauch heraus, wirklich. Ich wollte Ihnen nur Optionen aufzeigen, weil Sie wegen des Drinks so unentschlossen waren.«
»Ich denke, ein Drink ist ein guter Anfang.«
»Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Das gefällt mir. Welches ist Ihr Gift?«
Männer wie du. »Ein Wodka-Soda wäre schön.«
»Ich bin gleich wieder da. Laufen Sie mir nicht weg.« Er zwinkert erneut und drängt sich dann durch die Menge zur Bar.
Ich hole tief Luft. Ich sollte ihn wirklich nicht zu irgendetwas ermuntern. Nach dem letzten Fiasko habe ich mir geschworen, eine Pause vom Daten zu nehmen. Einer meiner jüngsten Fehltritte in der Männerabteilung hatte mir erzählt, dass er im Bereich Import-Export tätig sei. Erst auf dem Rückweg von unserem Wochenendtrip nach Mexiko entdeckte ich, dass er nicht über legalen Import sprach.
Zwölf Stunden im Verhörraum eines mexikanischen Flughafens, gefolgt von einer langen Reise nach Hause zusammen mit meinem wütenden Vater haben mich dazu gebracht, mir vorzunehmen, falsche Entscheidungen dieser Art nicht mehr zu treffen. Doch ich habe bereits zwei Monate Zölibat und Filmabende mit meiner besten Freundin hinter mir. Ein Drink und ein kleiner Flirt können nicht schaden.
»Amalie Whitfield?«
Ich blicke hoch zu einem attraktiven, vage vertrauten Mann, der vor mir steht. Er hat sandfarbenes Haar, warme blaue Augen und eine gerade, majestätische Nase. »Hi. Hallo.«
Er beugt sich mit einem sanften Lächeln auf den Lippen zu mir herunter. »Ich bin hier, um Sie zu retten.«
»Wie bitte?« Vielleicht ist ja heute Vollmond.
»Vor meinem Cousin, Lexington. Ich habe gesehen, wie er gerade mit Ihnen gesprochen hat, und ich hatte das Gefühl, ich müsste Sie warnen. Was Frauen betrifft, hat er in diesen Kreisen einen schlechten Ruf. Ich würde nicht wollen, dass man Sie mit jemandem wie ihm antrifft.«
»Oh, äh … danke.« Natürlich ziehe ich die schlechten Kerle an.
»Ich erfülle nur meine Pflicht, indem ich eine wunderschöne Frau vor einem schrecklichen Fehler bewahre.«
Ich lache verwirrt. Ich könnte es wirklich nicht gebrauchen, meine Eltern noch einmal zu enttäuschen oder beinahe im Knast zu landen.
»Ich bin Armstrong.« Er reicht mir die Hand, und ich nehme sie. Er hebt sie zu seinen Lippen und drückt mir einen Kuss auf die Fingerknöchel. »Genießen Sie meine Party?«
Ich versuche, meine Überraschung zu verbergen. Er ist Armstrong Moorehead, der Sohn des CEO der Firma. »Oh ja. Sie ist wunderbar. Ich habe eine Menge Leute kennengelernt.«
»Ja, gewiss, auch wenn sie nicht alle anständig sind.« Er zwinkert mir verschwörerisch zu. »Würden Sie mit mir tanzen?« Ohne auf eine Antwort zu warten, nimmt er mir das leere Glas aus der Hand und stellt es einem vorbeigehenden Kellner aufs Tablett. Er zieht mich an seine Seite, wobei er einen respektvollen Abstand zwischen uns lässt, legt mir seine Hand tief auf den Rücken und führt mich über die Tanzfläche. Er ist ein großartiger Tänzer, geübt und sicher. Wenn auch nicht ganz so sehr mein Typ wie sein Cousin.
»Sie sind neu in der Firma, nicht wahr?«, fragt er.
»Ziemlich neu. Ich arbeite seit zwei Monaten für Moorehead.«
»Dachte ich mir. Im Magazinbereich, korrekt? Ich werde auf jeden Fall vorbeischauen, um zu sehen, wie Sie sich eingewöhnen.«
»Das ist nicht nötig. Bestimmt sind Sie viel zu beschäftigt für so etwas.«
»Überhaupt nicht. Ich würde Sie gern zum Mittagessen ausführen, Abendessen wäre vielleicht sogar besser. Damit wäre der zeitliche Rahmen nicht so eng gesteckt.«
»Um die Marketing-Kampagnen zu besprechen, an denen ich arbeite?« Oh mein Gott. Sich mit dem Sohn des CEO zu treffen, hat etwas Beängstigendes. Vor allem, da unsere erste Begegnung damit verbunden ist, dass er mich vor seinem Cousin warnt.
Er lacht und lächelt dann warm. »Ich will nicht mit Ihnen über Marketing sprechen, Amalie, ich will mit Ihnen ausgehen.«
»Ausgehen?« Ich kann es nicht glauben. Zwar ist es mir nicht gänzlich unvertraut, angebaggert zu werden, aber gleich von zwei heißen Männern innerhalb weniger Minuten, das ist lächerlich. Zumindest scheint dieser hier nicht auf die Endlosliste der Bad Boys zu gehören. Und der Erste war einfach zu perfekt, um wahr zu sein.
»Ein Date. Jemand, der so schön ist wie Sie, ist doch bestimmt schon um ein Date gebeten worden.«
»Wäre das nicht ein Interessenkonflikt, weil ich doch für Moorehead arbeite?« Ich bin nicht daran interessiert, mich in weitere Schwierigkeiten zu bringen.
»Ich habe keine direkten Geschäftskontakte zur Magazinbranche der Firma. Ich versichere Ihnen, dass es für Sie keine Probleme geben wird, wenn Sie mit mir ausgehen. Außer Sie sind in festen Händen.«
Er ist so charmant, und auf keinen Fall jemand, der meine Familie enttäuschen oder irgendeinen weiteren Skandal provozieren würde. »Bin ich nicht.«
Sein Lächeln wird breiter. »Das sind wunderbare Neuigkeiten. Haben Sie morgen Abend etwas vor?«
»Ich glaube nicht.« Ruby und ich wollten vielleicht einen Film anschauen, aber bestimmt hätte sie nichts dagegen, wenn ich unsere Verabredung wegen eines Dates mit jemandem wie Armstrong absagen würde.
»Großartig. Dann haben Sie ein Date.« Er lässt seinen Blick durch den Ballsaal schweifen, und sein Lächeln wird noch breiter, als er irgendwo über meiner Schulter etwas entdeckt. Als er seine Aufmerksamkeit erneut auf mich richtet, zwinkert er mir zu. »Ich bin wirklich froh, dass ich Sie heute Abend vor dem bösen Wolf gerettet habe.«
Amie
Zehn Monate später
Das ist der glücklichste Tag meines Lebens. Ich wiederhole den Satz in meinem Kopf und versuche herauszufinden, weshalb er nicht so richtig nachhallt. Das sollte der schönste Tag meines Lebens sein. Aber das unbehagliche Gefühl, das ich mit kalten Füßen assoziiere, wird schlimmer, anstatt zu verschwinden. Den schweren Teil habe ich bereits hinter mich gebracht: vor den Altar treten und »Ich will« sagen.
Mein Ehemann ist vor ein paar Minuten zur Toilette gegangen. Nach seinem Zeitplan sollen die Reden pünktlich um zwanzig Uhr dreißig beginnen. Laut meinem Telefon ist das in weniger als zwei Minuten, und er ist noch nicht wieder da. Der Conférencier für den Abend wartet auf seine Rückkehr. Dann kann die Party richtig beginnen. Die, auf der wir unser Versprechen fürs Leben feiern wollen. Für den Rest meiner Tage. Du lieber Himmel, weshalb krampft sich bei der Vorstellung bloß mein Magen zusammen?
Ich nippe an meinem Weißwein. Armstrong meinte, dass Rotwein wegen meines Kleids keine gute Idee sei, obwohl ich ihn lieber mag. Außerdem will ich davon keine Flecken auf den Zähnen bekommen. Das würde hässliche Bilder geben.
Ich sehe mich im Saal um und entdecke meine Eltern, die wahrscheinlich feiern, dass ich nicht mit einem verurteilten Verbrecher vor den Altar getreten bin. Ehrlich gesagt, tue ich das auch. Meine Dating-Chronik vor Armstrong war alles andere als beeindruckend.
Allein die Zahl der Anwesenden verstärkt schlagartig meine Beklommenheit. Vor den ganzen Leuten reden zu müssen, löst den Wunsch in mir aus, mehr zu trinken, was keine gute Idee ist. Reden in beschwipstem Zustand kann dazu führen, dass man das Falsche sagt. Unterm Tisch spähe ich erneut auf mein Telefon. Es ist bereits nach halb neun. Je später Armstrong zurückkommt, desto länger zieht sich das Ganze hin. Die Playlist, die Armstrong penibel zusammengestellt hat, lässt keinen Raum für Verzögerungen. Wenn wir nicht pünktlich anfangen, werde ich einen, womöglich sogar zwei Songs rausnehmen müssen, um sein Zuspätkommen auszugleichen, obwohl seine Zusammenstellung das schwierig macht, und das wird ihm nicht gefallen. Ich will einfach nur, dass dieser Tag perfekt ist. Ich will, dass er meine Entscheidung, Armstrong zu heiraten, widerspiegelt. Dass ich, Amalie Whitfield, richtige Entscheidungen treffen kann und keine Schande für meine Familie bin.
»Wo zum Teufel ist er?« Ich lasse meinen Blick durch den Raum wandern, während ich einen weiteren kleinen Schluck Wein nehme. Ich sollte bald zu Wasser übergehen, damit ich am Ende nicht betrunken bin, vor allem später nicht, wenn alles vorbei ist und wir unser lebenslanges Versprechen füreinander ohne Kleider feiern können. Ich bin zuversichtlich, dass es länger als fünf Minuten dauern wird.
Ruby, meine Brautjungfer und beste Freundin seit einem Jahrzehnt, legt mir eine Hand auf die Schulter. »Möchtest du, dass Bancroft Armstrong suchen geht?«
Bancroft, kurz Bane genannt, ist Rubys fester Freund, mit dem sie seit ein paar Monaten zusammenlebt. In letzter Zeit bin ich manchmal ein bisschen eifersüchtig darauf, dass sie noch immer so zärtlich zueinander sind. Das Zusammenleben hat dem Sex oder den öffentlichen Liebesbekundungen nicht geschadet. Ich habe die Hoffnung, dass Armstrong und ich Bane und Ruby nacheifern werden, jetzt, wo wir jede Nacht das Bett teilen.
Ich will Ruby gerade sagen, dass sie ihm noch eine Minute geben soll, als plötzlich ein tiefes Brummen den Saal erfüllt. Es klingt wie die Lautsprecheranlage einer Schule. Ich bekomme Panik – ohne Armstrong an meiner Seite können sie nicht beginnen. Wozu Ansprachen, wenn der Bräutigam nicht anwesend ist?
Ich bin bereits halb aufgestanden, um dem DJ – oder wer auch immer am Mikrofon ist – zu sagen, dass er warten soll, als ein lautes Stöhnen durch den Raum hallt. Die Akustik ist phänomenal hier, weshalb wir uns für diesen Veranstaltungsort entschieden haben.
Ich blicke zu Ruby, um mich zu vergewissern, dass ich mir das nicht einbilde. Ihre Augen sind vor Schreck geweitet. Genau diesen Schreck empfinde auch ich.
Ein weiteres Stöhnen dröhnt durch die Lautsprecher, gefolgt von dem Wort »Fuuuck«.
Die jetzt lauschende Menge keucht kollektiv auf. Allein dieses Wort ist für die Anwesenden ein Skandal. Ich hingegen richte mich bei dem Gestöhne kerzengerade auf und überlege, ob ich mich unter dem Tisch verstecken soll.
»Fuck, jaaa. Ah, lutsch ihn. Ja, so. Nimm ihn tief in den Mund, wie eine hübsche, kleine Schlampe. Fuuuuuuccckkkkk.«
Mir klappt die Kinnlade herunter, und ich blicke zu Ruby, um mich zu vergewissern, dass ich nicht völlig den Verstand verloren habe. »Ist das …« Ich beende den Satz nicht. Ich kenne die Antwort auf die Frage bereits, weshalb es sinnlos ist zu fragen. Außerdem werde ich von einem weiteren lauten Stöhnen unterbrochen. Ich schlage mir die Hand vor den Mund, weil ich nicht weiß, ob ich ihn vor Ungläubigkeit überhaupt zubekommen würde.
Rubys Ausdruck spiegelt meinen wider, nur dass ihrer äußerst ausdrucksstark ist, da sie als Schauspielerin arbeitet. »Oh mein Gott. Ist das Armstrong?« Ihre Worte sind nur ein Flüstern, doch sie klingen wie ein Schrei. Oh nein, warte, das ist Armstrong kurz vor einem Orgasmus. Aber das sind ganz andere Geräusche als diejenigen, die er macht, wenn er sich mit mir der Leidenschaft hingibt.
Ich umklammere Rubys Hand. Das nächste Geräusch von ihm ist eine Mischung aus einer lachenden Hyäne und einem heulenden Wolf. Und sämtliche Gäste auf unserer Hochzeit hören dasselbe wie ich. Unserer Hochzeit. Eine andere bläst meinem Mann einen auf unserer Hochzeit. Die Demütigung, die ich empfinde, ist grenzenlos.
Ich greife nach der nächsten Weinflasche und kippe den Inhalt in mein Glas. Etwas davon schwappt über den Rand auf die gestärkte weiße Tischdecke. Egal. Es gibt genügend Nachschub. Ich trinke den Wein auf ex und schnappe mir dann Rubys.
Die Leute stecken die Köpfe zusammen und tuscheln, wobei sie zu den Lautsprechern blicken. Ein paar, die wahrscheinlich nur hier sind, um gesellschaftlich weiter aufzusteigen, fragen, wer das ist.
»Schaut sich der DJ Pornos an?« Der Kommentar kommt von einem Tisch mit hauptsächlich betrunkenen Singles Anfang zwanzig.
Mehrere Augenpaare wandern in meine Richtung, als ich achtlos Rubys Wein hinunterkippe, und jemand fragt, wohin der Bräutigam verschwunden sei.
Das Grunzen und Stöhnen wird furchtbar laut. Es klingt überhaupt nicht wie das, was ich von Armstrong im Bett gewohnt bin. Bei mir benutzt er nie schmutzige Wörter, meistens sind es nur Geräusche und manchmal ein »Genau da« oder »Ich komme gleich«, aber das ist alles. Er hat nie mit mir so gesprochen, wie er es mit der Frau tut, die ihn gerade oral verwöhnt. Und ich bin oral sehr versiert. Obwohl es mit Armstrong oral sehr brav und harmlos ist, ohne irgendwelche Geräusche, bis auf ein gelegentliches Brummen. Schmatzen ist unzivilisiert und definitiv ein Tabu.
Ich greife an Ruby vorbei zur Rotweinflasche, weil mir violette Zähne gerade piepegal sind. Während ich auf meinem Platz zusammensinke, schenke ich mir ein weiteres Glas ein und beobachte die Leute im Ballsaal versteckt hinter dem Tafelaufsatz. Die Tafelaufsätze sind riesig, und ich finde sie abscheulich, doch zumindest bieten sie eine schützende Barriere zwischen mir, den Gästen und meinem Ekel, den sie bestimmt teilen. Er klingt wie ein brünstiges Tier. Es ist total unsexy. Ich habe keine Ahnung, mit wem er da intim ist, aber ich bin auf einmal froh, dass nicht ich es bin.
Sagt mir das nicht mehr über unsere Beziehung, als es sollte?
Es vergehen höchstens dreißig weitere Sekunden – die demütigendsten dreißig Sekunden meines Lebens –, bis Armstrong kommt. Woher ich das weiß? Weil er laut und deutlich sagt: »Lutsch weiter, Baby, ich komme gleich.«
Und »Baby«, wer immer das auch sein mag, macht dieses schreckliche, gurgelnde Geräusch. Es klingt wie eine fremdartige Kommunikationsform. Es ist völlig übertrieben, doch angesichts der widerwärtigen Obszönitäten, die aus seinem Schandmaul kommen, scheint es Armstrong zu gefallen.
»Heilige Scheiße. Ist das wirklich wahr? Das ging aber schnell«, murmelt Ruby.
Ich leere mein Glas in einem Zug. Dann komme ich zu dem Schluss, dass ein Glas unnötig ist, und nehme einen großen Schluck aus der Flasche, bevor Ruby sie mir wegschnappt. Wein tropft mir vom Kinn auf die Brust und hinterlässt dunkelrote Flecken auf dem weißen Satin. Mein Kleid ist ruiniert. Ich sollte mich eigentlich aufregen. Aber es ist mir völlig egal.
»Komm.« Ruby zieht an meiner Hand. »Wir müssen dich von hier wegbringen, solange die Leute abgelenkt sind.«
Mein älterer Bruder Pierce und der Conférencier stehen in der Saalmitte und gestikulieren wild zu den Lautsprechern über uns hinauf. Mein anderer Bruder, Lawson, ist auf dem Weg zum Podium, um etwas zu unternehmen. Ich glaube nicht, dass er diese Katastrophe noch abwenden kann.
Ruby zerrt erneut an mir, doch ich bin wie erstarrt und versuche noch immer zu verstehen, was da gerade passiert ist. Nun, ich weiß es. Ich kann es nur nicht glauben.
Das Geräusch eines Reißverschlusses und das Rascheln von Kleidung folgen. »Danke, jetzt kann ich länger durchhalten heute Nacht«, sagt Armstrong.
»Was ist mit mir?«, fragt eine Frau. Ihre Stimme ist nasal und weinerlich.
»Was soll mit dir sein?«
»Na ja, schließlich habe ich dir geholfen, willst du dich nicht revanchieren?«
»Bist du nicht mit einem Date hier?«
»Ja, schon, nur …« Gott, ihre Stimme kommt mir bekannt vor. Ich kann nur nicht sagen, woher ich sie kenne.
»Mein Cousin, stimmt’s? Er mag meine Ex-Geliebten. Die Reden fangen an. Ich muss zurück zu meiner Sträflingskugel.«
Entsetztes Stöhnen geht durch den Saal, gefolgt von vereinzeltem Kichern. Diese Leute sind wirklich niederträchtig.
Ich habe das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Ich kann nicht glauben, dass er gleich hier hereinkommt und so tut, als wäre nichts geschehen. Als hätte nicht gerade eine andere Frau seinen Schwanz in ihrem Mund gehabt. Seinen völlig mittelmäßigen Schwanz. Vielleicht sogar ein wenig unterdurchschnittlich, was seine Länge angeht, wenn ich ehrlich sein soll.
Eine Tür öffnet und schließt sich wieder.
Mein Bruder Lawson macht das Mikrofon hinter dem Podium an und klopft darauf, was eine kreischende Rückkoppelung durch den Saal schickt und die Leute zusammenzucken lässt. Schade, dass das niemand vor einer Minute getan hat.
Das Gemurmel wird lauter, und Blicke schnellen zum Haupttisch und wieder weg, als Brittany Thorton, ein widerwärtiges Partygirl, hereinspaziert und in einem Taschenspiegel ihren Lippenstift überprüft. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, der Hälfte der heiratsfähigen Männer in diesem Saal an die Wäsche zu gehen. Keine fünf Sekunden später folgt ihr ein völlig selbstzufrieden aussehender Armstrong.
»Ich bringe ihn um.« Ich greife nach dem nächsten Steakmesser, doch mein überstürztes und wahrscheinlich kriminelles Vorhaben scheint unnötig zu sein. Meine Brüder verlassen ihre jeweiligen Plätze und marschieren auf ihn zu. Auf der anderen Seite des Raums packt meine Mutter meinen Vater am Arm und flüstert ihm wütend etwas ins Ohr. Großartig. Genau das, was wir brauchen, noch ein Familiendrama.
»Oh Scheiße«, stöhnt Ruby.
Ich folge ihrem Blick und entdecke, dass Bane gemeinsam mit meinen Brüdern auf Armstrong zugeht. Bancroft ist ein Hüne und war früher mal Profi-Rugbyspieler. Ich habe ihn schon ohne Shirt gesehen; er ist wie ein Superheld gebaut und wird Armstrong vermutlich zerquetschen oder ihm zumindest etwas brechen. Mehrfach vielleicht.
Einen Augenblick lang überlege ich, ob Ruby Bane davon abhalten könnte, Armstrongs hübsches, aristokratisches Gesicht zu zerschmettern, doch dann wird mir klar, dass es mir im Grunde egal ist. Es erfüllt mich sogar mit einer gewissen Freude, dass er womöglich Armstrongs gerade Nase bricht. Armstrongs Wohlergehen ist nicht länger meine Sorge, ich mache mir eher Gedanken um Bane, der wegen Mordes im Gefängnis landen könnte.
»Ich hoffe, Armstrong hat einen guten Schönheitschirurgen. Er wird ihn brauchen, wenn Bane mit ihm fertig ist.« Ruby spricht meine geheimen Hoffnungen aus, dann springt sie auf, wobei ihr Stuhl umkippt. »Komm schon, du musst hier weg.« Sie nickt nach rechts.
Ich stelle fest, dass meine Eltern mit Armstrongs eine erhitzte Debatte führen. Das kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. Nicht das Drama. Nicht die Demütigung. Ich wollte nur eine schöne Hochzeit. Stattdessen habe ich einen Ehemann bekommen, der sich während unseres Empfangs einen blasen lässt – was auch noch live übertragen wurde.
Ruby drängt mich zum Gehen. »Mach dir keine Sorgen um sie. Schnapp dir deine Sachen, und lass uns von hier verschwinden. Ich sorge dafür, dass dich die Limousine so schnell wie möglich am Eingang deiner Hochzeitssuite abholt.«
Ich nicke und komme dank der Flasche Wein, die ich mir in den letzten anderthalb Minuten beinahe vollständig einverleibt habe, schwankend auf die Füße. Es ist erstaunlich, wie neunzig Sekunden das Leben eines Menschen völlig verändern können.
Ein wildes Handgemenge entsteht, als noch mehr Männer aufspringen, um Armstrong entweder zu verprügeln oder ihm aus der Patsche zu helfen. Ich nehme meine Clutch und mein Telefon vom Tisch, raffe mein blödes, bauschiges Kleid zusammen und mache mich auf den Weg zur Hochzeitssuite, wo ich mich auf den Tag vorbereitet habe, der angeblich der schönste meines Lebens werden sollte. Und jetzt ist es wahrscheinlich der schlimmste – zumindest hoffe ich, dass das Maß an Demütigung nicht noch übertroffen wird. Ich fühle mich wie eine übel beschmutzte Version von Cinderella.
Ich gehe eilig den Flur entlang und packe den Türknauf, während ich in meiner Clutch nach dem Schlüssel suche. Ich bin überrascht, als er sich drehen lässt. Ich dachte, ich hätte abgeschlossen, bevor wir zur Zeremonie gegangen sind. Jedenfalls muss ich verschwinden, bevor ich noch ausraste oder ein Verbrechen begehe. Vielleicht sogar beides. Es wäre ein Mord. Und Armstrong mein Opfer. Und vielleicht auch diese fürchterliche Schlampe Brittany.
Ich reiße die Tür auf, schlage sie hinter mir zu und verriegele sie. Tränen drohen mir aus den Augen zu laufen und mein Make-up zu ruinieren. Was im Grunde keine Rolle spielt, weil ich auf keinen Fall wieder dort hinausgehe. Ich kann nicht glauben, dass mein »Für immer« gerade mal zwölf Stunden gehalten hat. Ich kann nicht glauben, dass der Mann, den ich den Rest meines Lebens lieben sollte, nicht einmal einen Tag treu sein konnte. Was stimmt nicht mit mir? Oder mit ihm? Ich bin genauso am Boden zerstört, wie ich wütend und beschämt bin. Sobald ich diese Farce von einer Heirat annulliert habe, mache ich auf alte Jungfer. Vielleicht sollte ich gleich heute Abend sechs oder sieben Katzen adoptieren.
»Ich muss aus diesem Kleid raus«, sage ich mir. Ich greife nach hinten und ziehe an der Schleife am Rücken. Doch anstatt sich zu lösen, verknotet sie sich nur noch mehr. Natürlich muss mir mein Kleid auch noch Ärger bereiten. Ich knirsche mit den Zähnen und gehe rasch zu meinem Frisiertisch, wo von heute Morgen noch Make-up und Parfüm herumstehen. Ein halbes Glas Mimosa steht neben der Vase mit roten Rosen, die Armstrong hat liefern lassen.
Auf der Karte steht: Ich kann es kaum erwarten, dich für immer zu lieben.
Was für ein Haufen Schwachsinn. Ich kippe den Inhalt des Sektkelchs hinunter. Es ist mir egal, dass der Drink warm und schal schmeckt. Dann werfe ich den Kelch zu Boden, weil sich das Geräusch von berstendem Glas befriedigend anhört. Als Nächstes ist die Vase mit den roten Rosen dran, die auf beeindruckende Weise an der Wand zerschellt, woraufhin sich Wasser und Scherben über den Fußboden verteilen.
Ich reiße ein paar Schubladen auf und finde eine Schere. Sie sieht zwar eher wie eine Gartenschere aus und scheint dort nicht hinzugehören, doch das ist mir egal. Ich greife, den Rücken dem Spiegel zugewandt, hinter mich und versuche mich irgendwie aus dem Kleid zu schneiden. Weil ich mir dabei den Hals verrenken muss, ist das nicht ganz einfach.
»Gottverdammt! Ich muss aus diesem idiotischen Kleid raus!«, schreie ich mein Spiegelbild an. Wahrscheinlich bin ich gerade wirklich dabei auszurasten. Ich höre auf, mich an den Schleifen auf dem Rücken zu versuchen, und fahre stattdessen mit der Schere an der Vorderseite hinunter. Ich schneide mich beinahe an einer Klinge – sie sind viel schärfer als gedacht –, doch das kann mich nicht bremsen. Ich schnipple mich durch das Mieder hindurch – Schichten von Satin, Schnürband und raffinierter Perlenstickerei rücksichtslos zerschnitten.
Ich will einfach nur aus diesem Albtraum heraus.
Lexington
Ich nehme einen Schluck aus der halb leeren Flasche abgestandenem Champagner und stelle sie auf den Waschtisch. Ich bin immerhin so betrunken, dass es mich zwei Anläufe kostet, meinen Gürtel zu öffnen. Knopf und Reißverschluss sind weniger kompliziert. Ich vermute, meine Treffsicherheit ist ziemlich armselig angesichts der Menge an Alkohol, die ich intus habe.
Ich wünschte, ich wäre nicht zu der Hochzeit gekommen. Ich wünschte, ich wäre auf einem Flug irgendwohin oder in einem anderen Land. Jeder andere Ort wäre besser als dieser hier. Alles wäre besser, als meinem bescheuerten Cousin dabei zuzusehen, wie er sich damit brüstet, dieses Mädchen zu bekommen.
Dabei habe ich noch nicht einmal mit eingerechnet, wie furchtbar mein Date ist. Sie ist die schlechteste Wahl überhaupt, aber meine Mutter glaubt anscheinend, dass Brittany Thorton Potenzial besitzt. Meine Mutter ist mit ihrer Mutter befreundet, seit wir klein waren, und hat die romantische Vorstellung, dass einer ihrer Söhne mit ihr zusammenkommen wird.
Letztes Jahr hat sie – erfolglos – versucht, meinen Bruder Bancroft mit Brittany zu verkuppeln. Da Bancroft inzwischen nicht mehr infrage kommt und mein älterer Bruder Griffin in einer festen Beziehung ist, bin ich ihre letzte Hoffnung. Irgendwie kann ich zu meiner Mutter nicht Nein sagen, habe ich noch nie gekonnt, weshalb ich hier bin, mich auf einer Toilette verstecke und warmen Champagner direkt aus der Flasche trinke, um meinem Date zu entfliehen und mir die Reden zu ersparen.
Brittany hat mir den ganzen Abend von ihrer Liebe zu Lollis erzählt. Und sie meint damit nicht etwas Süßes an einem Stiel. Ich bin nicht daran interessiert, ihre lutschenden Fähigkeiten kennenzulernen, nicht einmal wenn das bedeuten würde, für eine Weile ihrem pausenlosen Geschwätz zu entkommen. Ich fahre mir mit der Hand übers Gesicht und seufze. Ich frage mich, ob ich Brittany einfach hierlassen kann. Durch die Hintertür rausschlüpfen und als Entschuldigung eine Textnachricht schicken, in der ich Unwohlsein vorschütze.
Als ich fertig bin, ziehe ich die Boxershorts hoch, mache den Reißverschluss an meiner Hose zu, kann aber irgendwie die Energie oder das Geschick nicht aufbringen, meinen Gürtel zu schließen. Ich habe sowieso nicht vor, gleich wieder zu dem Empfang zurückzukehren. Die Reden beginnen, und ich habe nicht die geringste Lust, Armstrong darüber schwadronieren zu hören, dass Amalie seine Zukunft sei. Dass er sie mehr liebe als alles andere auf der Welt. Dass er ihr treu ergeben sei. Das Einzige, dem Armstrong treu ergeben ist, ist sein Spiegelbild. Und dem Wunsch, mir das Leben zur Hölle zu machen, wenn sich ihm die Gelegenheit dazu bietet.
Es gibt einen Fernseher und ein Sofa hier drin, weshalb ich mir vornehme, die Füße hochzulegen, die Flasche Champagner leer zu trinken und Sport zu schauen. Oder Nachrichten. Je nachdem, was weniger deprimierend ist. Als ich nach der Flasche greife, höre ich ein lautes Krachen von nebenan. Diesmal verfehle ich meinen Mund, sodass mir der Champagner übers Kinn und mein Hemd bis hinunter zum Schritt läuft. Ich stoße einen Fluch aus und versuche die Sauerei mit einem Handtuch abzuwischen, doch es ist bereits alles nass. Egal. Ich bleibe einfach hier, bis es wieder trocken ist.
Ich öffne die Badezimmertür und erstarre. Mitten im Zimmer steht Amalie. Die Braut. Die Prinzessin dieser Veranstaltung. Und sie ist dabei, ihr Kleid mit einer Gartenschere zu zerschneiden. Einen Augenblick lang frage ich mich, ob ich vielleicht unter Drogen stehe oder halluziniere, ähnlich wie beim ersten Mal, als ich sie gesehen und für ein Trugbild gehalten habe, doch ich fühle mich nicht, als wäre ich high, sondern nur ziemlich betrunken.
Ich überlege, welche Möglichkeiten ich habe, doch die scheinen ziemlich begrenzt zu sein. Ich sollte nicht hier sein, und doch bin ich es. Sie sollte auch nicht hier sein, und doch ist sie es. Und anscheinend hat sie nicht vor, vollständig angezogen wieder dort hinauszugehen. Was die Frage aufwirft: Was zum Henker ist passiert?
Sie flucht in einem fort. Schmutzige, unanständige Ausdrücke kommen aus ihrem hübschen Mund, während sie hemmungslos ihr Korsett zerschneidet. Es ist seltsam erregend und verwirrend. Es muss ganz schön anstrengend sein, sich durch so viel Stoff um die Taille herum zu arbeiten, und sie hat meine Anwesenheit noch immer nicht bemerkt.
Anstatt so taktvoll zu sein, ins Badezimmer zurückzukehren oder zu verschwinden oder sie auf meine Anwesenheit aufmerksam zu machen, starre ich sie weiter an. Amalie, die normalerweise sehr ausgeglichen und damenhaft, aufmerksam und höflich ist, tobt vor Wut.
»Verfluchte Hure! Verfluchtes Arschloch! Du beschissenes, schwanzlutschendes Miststück!« Sie packt den Stoff an ihrer Taille und zerrt daran. Es ist beindruckend zu sehen, wie das Material unter ihrer Aggression zerreißt.
Sie zerrt sich das Kleid über die Hüfte, woraufhin ihr gebräunter, straffer, großartiger Körper, der in einem weißen Spitzenkorsett mit passenden Strümpfen und Strumpfbändern steckt, zum Vorschein kommt. Ein Anblick, der nicht für meine Augen bestimmt ist. Ich trete einen Schritt zurück, da ich zu dem Schluss komme, dass es vielleicht der richtige Moment ist, um zu verschwinden, und stoße mit der Champagnerflasche gegen den Türrahmen.
Ihr Kopf schnellt hoch, und ich begegne ihrem zornigen Blick. Sie zeigt mit der Schere auf mich. »Wie sind Sie hier reingekommen?«
Ich sehe keinen Grund, weshalb ich lügen sollte. »Ich habe das Schloss geknackt.
Sie runzelt in verständlicher Bestürzung die Stirn. »Weshalb sind Sie hier?«
»Ich wollte eine Pause von meiner Begleiterin.« Und ich wollte meinem Cousin nicht dabei zusehen, wie er sich darüber freut, mich mal wieder ausgestochen zu haben. Er hat das Mädchen bekommen. Dieses Mädchen. Er ist ein solcher Mistkerl. Obwohl er mich diesmal vielleicht vor einem echten Albtraum bewahrt hat. Es würde ihm recht geschehen, eine durchgeknallte Tussi abzukriegen, und nach dem Ausdruck in ihren Augen zu urteilen, ist sie das.
Amalie tritt aus ihrem Kleid, das sie in einem zerschnittenen Haufen liegen lässt, und kommt quer durch den Raum auf mich zu, wobei sie die Schere in ihrer Hand zusammen mit ihren Hüften gefährlich schwingt. So furchteinflößend sie einerseits sein mag, so unglaublich sexy ist sie mit ihrer weißen Spitze und den Strumpfbändern – die ich nicht allzu sehr zu bewundern versuche, weil es nach dem Zerschneiden des Kleids vielleicht nicht der richtige Augenblick ist, um zu glotzen.
Sie bleibt nur wenige Zentimeter vor mir stehen. Nachdem sie den Kopf zurückgelegt hat, um mir ins Gesicht schauen zu können, bohrt sie mir einen Finger und zum Glück nicht die Schere in die Brust. »Wieso steht Ihr Gürtel offen? Wer ist noch mit Ihnen hier drin?«
Ich hebe kapitulierend die Hände, gemeinsam mit der Champagnerflasche. »Niemand. Ich bin allein. Ich habe die Toilette benutzt. Das ist alles.« Sie soll nicht denken, dass ich hier bin, weil ich Sex habe. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich das im Moment überhaupt fertigbrächte. Ich blicke hinab und zwinkere ein paarmal, als ich ihr Dekolleté bemerke. Ich schüttle den Kopf und versuche mich auf das zu konzentrieren, was hier vor sich geht. Vielleicht habe ich mir ja den Kopf gestoßen, bin ohnmächtig geworden und nichts von dem hier findet tatsächlich statt.
»Sie haben Brittany Hur-ton als Ihre Begleiterin mitgebracht, stimmt’s?« Es klingt mehr wie ein Vorwurf als eine Frage.
Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob ich sie richtig verstanden habe. So betrunken wie ich bin, ist es schwierig, sich auf ihre Worte zu konzentrieren, vor allem, weil sie halbnackt vor mir steht und eine Gartenschere schwingt.
Ich zeige auf ihre Waffe. »Könnten Sie das vielleicht weglegen?«
Sie blickt auf die Schere und hebt sie dann hoch, sodass sie nur Zentimeter von meinem Hals entfernt ist, was mich nicht gerade beruhigt. »Beantworten Sie mir die verdammte Frage! Haben Sie Brittany Hur-ton zu meiner Hochzeit mitgebracht?«
»Meinen Sie Thorton? Nicht freiwillig, aber ja. Könnten Sie jetzt bitte die Schere wegtun? Sie haben mir einen ganz schönen Schreck eingejagt mit dem Zerschneiden Ihres Kleids und dem Herumwedeln mit Ihrer Waffe.« Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie ihr wegnehmen kann, ohne einen von uns zu verletzen.
»Ich jage Ihnen einen Schreck ein? Ich jage Ihnen einen Schreck ein? Wissen Sie überhaupt, was passiert ist? Haben Sie eine Ahnung, wie ich dort draußen gerade gedemütigt worden bin?« Und schon wieder wedelt sie mit ihrer Schere herum.
Ich versuche danach zu greifen, doch sie ist gerissen. Sie dreht sich so, dass sie außer Reichweite ist, und richtet sie erneut auf mich. »Tun Sie das nicht!« Sie wischt sich aggressiv ihren Pony aus den Augen. Die Klammern in ihren Haaren lösen sich, und Haarsträhnen umrahmen ihr Gesicht. Ihre Wangen sind rosa, ihre Augen lodern. Sie ist das heißeste weibliche Geschöpf, das mir je unter die Augen gekommen ist, sowohl angezogen als auch in Unterwäsche. Zum Teufel mit Armstrong und seiner schleimigen Art.
Es ist Zeit für die beruhigende Stimme, die ich mir normalerweise für meine Mutter aufhebe, wenn sie wegen irgendetwas, das ich angestellt habe, sauer ist. Hin und wieder brauche ich sie noch, was traurig ist in Anbetracht der Tatsache, dass ich auf die Dreißig zugehe. »Weshalb erzählen Sie mir nicht, worüber Sie so aufgebracht sind, Amalie?«
»Worüber ich so aufgebracht bin? Ihre Begleiterin hat meinem Ehemann gerade einen geblasen!«
»Was?« Mein alkoholvernebeltes Gehirn kann die Information nur langsam verarbeiten. Ich weiß, dass Brittany herumkommt und Armstrong eine fragwürdige Moral besitzt, aber das ist selbst für ihn ganz schön niederträchtig. Finde ich.
»Ihre Begleiterin hat meinem Mann gerade einen Blowjob verpasst. Und der ganze schäbige Vorgang wurde auch noch über die gottverdammte Lautsprecheranlage übertragen. Bestimmt haben Sie es gehört. Der gesamte Saal hat meinem verdammten Scheißehemann dabei zugehört, wie er in einem Mund gekommen ist, der nicht meiner war.«
Nun, das war sehr anschaulich. Fast habe ich das Gefühl, ich müsste ihr anbieten, sich nach dem kreativen, vulgären Wortschwall den Mund mit Seife auszuwaschen. Doch dann kapiere ich, was sie gerade gesagt hat. »Sie verarschen mich, oder? Ist das irgend so ein fieser Streich?«
»Sehe ich aus, als würde ich Witze machen?« Sie zeigt hinter sich zu dem zerschnittenen Kleid und dann auf sich selbst – halb entkleidet, die Frisur zerstört, Augen, die auf einmal in Tränen schwimmen. Kein Wunder, dass sie sich verhält, als hätte sie den Verstand verloren. Armstrong hatte schon immer die Neigung, ein Arschloch zu sein, doch das hier ist einfach zu viel.
»Dieses Riesenarschloch. Wo ist er?«
»Er kriegt wahrscheinlich gerade von Bane und meinen Brüdern eine Tracht Prügel.«
»Ich sorge dafür, dass dieser Scheißkerl seinen Schwanz frisst.«
Ich will um sie herumgehen, doch sie lässt die Schere fallen und packt mich an der Krawatte. Ihre Augen leuchten auf, während sich ein verschlagenes Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitet. »Sie gehen nirgendwohin.«
Ich bin völlig unvorbereitet, als sie eine Art Ninja-Jiu-Jitsu-Bewegung macht und mir die Füße wegkickt. Ich schlage mit dem Kopf auf, als ich mit dem Rücken auf dem Boden lande, und lasse die Champagnerflasche los. Der Schmerz in meinem Kopf ist genauso verwirrend wie die Ninja-Bewegung, und das Nächste, was ich mitbekomme, ist, dass Amalie rittlings auf meinen Hüften sitzt.
Mein Körper kann lediglich auf eine Weise reagieren – und zwar so, wie er auf keinen Fall reagieren sollte. Amalies weibliche Rundungen sind ausgesprochen reizvoll, und genau in diesem Moment sitzt ihr perfekter Hintern direkt auf meinem Schwanz – meinem plötzlich sehr sehnsüchtigen, wissenden Schwanz. Sie rutscht zurück, wodurch sie die Verbindung zwischen Schwanz und Hintern löst, was wahrscheinlich gut ist angesichts dessen, was sie mir gerade erzählt hat. Ich kann nicht glauben, dass die Frau, die ich das ganze letzte Jahr haben wollte, jedoch nicht haben konnte, halb nackt auf mir sitzt. Zudem hat sie gerade meinen treulosen Schwachkopf von Cousin geheiratet. Es ist, als bekäme das Schicksal nicht genug davon, mir in die Eier zu treten.
Als ihre Hände zum Reißverschluss an meiner Hose wandern, bin ich zum Handeln gezwungen. Instinktiv will ich genau das Gegenteil von dem tun, was ich tun sollte. Ich meine, sie versucht tatsächlich ihre Hand in meine Hose zu stecken, und ich fühle mich veranlasst, sie daran zu hindern. Hier findet eine wahre Tragödie statt.
Sie schlägt meine Hand weg und packt erneut meine Krawatte. Sie umklammert sie dicht an meinem Hals und beugt sich mit wildem, wütendem, verzweifeltem Blick nach vorn. Ihre Mundwinkel verziehen sich mit einem Schnauben. »Du wirst mir erlauben, dich zu ficken, und es wird dir gefallen.«
Ich bin so verdammt hart in diesem Moment, und die Worte machen alles nur noch schlimmer – je nach Betrachtungsweise. Und ja, ich stimme völlig mit ihr überein: Wenn sie mich jetzt ficken würde, würde es mir bestimmt gefallen, sehr sogar. Vielleicht besser als jeder Sex, den ich je mit einer Frau hatte, weil sie die größte Versuchung von allen ist, und dazu verboten. Doch es ist wirklich keine gute Idee. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie es zwei Minuten später bereuen würde. Oder vielleicht schon währenddessen.
Obwohl ich das weiß, obwohl mir bewusst ist, dass ich sie aufhalten muss, zögere ich. Was mich zu einem schlechten Menschen macht.
In diesem kurzen Augenblick denke ich über verschiedene Dinge nach, wie etwa darüber, dass das eine völlig verkorkste Situation ist. Eine, in der es ein wirklich schlechtes Vorhaben wäre, Sex mit der frischgebackenen, sitzengelassenen Ehefrau meines Cousins zu haben. Selbst wenn er sie nicht verdient und nie verdient hat.
Einen Moment lang kommt mir in den Sinn, dass das die größte Retourkutsche wäre, die Armstrong je bekommen hätte. Und wenn jemand sie verdienen würde, dann er. Ich verwerfe diesen fiesen Gedanken, weil ich nicht der Typ dafür bin, auch wenn es echt Spaß machen würde. Ich benutze andere nicht als Spielball, vor allem keine Frau, die bereits heftig einstecken musste.
Während mir das durch den Kopf schießt, packt mich Amalie am Kinn, wobei sich ihre Fingernägel in meine Haut bohren, und legt ihren Mund auf meinen. Ihre Lippen sind weich und warm, doch ihr Mund ist hart und aggressiv. Himmel. Sie scheint es ernst damit zu meinen, dass sie mich ficken will. Sie macht etwas mit ihrer Zunge, das meinen Schwanz zum Zucken bringt … dann schiebt sie ihre freie Hand wieder zwischen uns und lässt sie hinabgleiten, bis sie meine heftige Erektion durch meine Hose hindurch umfasst.
In diesem Moment beschließe ich, diesen Wahnsinn zu beenden. Ich schlinge einen Arm um ihre Taille und drehe sie auf den Rücken. Der Holzfußboden ist glatt, was es schwierig macht, Halt zu finden.
Ich versuche, ihre Hand von meinem Schwanz wegzuschieben, was funktioniert, doch sie schlingt ihre Beine um meine Taille.
»Amalie, stopp!«, stöhne ich an ihrer Zunge. Es ist kein besonders überzeugender Versuch. Er ist sogar ziemlich armselig. Sie schlingt sich wie ein Koalabär um mich. Sie auf den Rücken zu drehen, hat es vielleicht nur noch schlimmer gemacht.
»Du willst gar nicht, dass ich aufhöre. Ich kann spüren, wie sehr du mich ficken willst.« Sie rollt mit den Hüften, als wolle sie ihr Argument unterstreichen.
Sie hat recht. Aber wenn ich mich darauf einlasse, bin ich genauso schlecht wie Armstrong. Vielleicht will ich sie, aber ich will ihr nicht wehtun als Vergeltung dafür, dass er sich fortwährend an mir rächen will.
Ich versuche mich aufzurichten und drehe den Kopf weg, als sie sich erneut auf meinen Mund stürzen will. Sie trifft meinen Hals, an dem sie beißt und saugt. Das hinterlässt definitiv einen Fleck. Wahrscheinlich einen großen.
Sie versucht sich mit aller Macht an mir festzuklammern, indem sie ihre Beine noch fester um meine Taille schlingt. Mit den Innenseiten ihrer Oberschenkel könnte sie Nüsse knacken. »Gottverdammt! Du willst! Du musst! Wieso nimmst du mich nicht einfach?« Ihr Zorn verwandelt sich in ein Schluchzen. »Bitte, Lexington. Ich hasse ihn. Ich verstehe es nicht. Mach, dass es aufhört.«
In diesem Moment wird die Tür aufgerissen.
Amie
»Ach du heilige Scheiße! Lass bloß niemanden hier rein, Bane.« Ruby stößt ihn zur Tür hinaus, schlägt sie zu und verriegelt sie. Ihre Augen sind tellergroß. Verständlicherweise.
Ich umklammere noch immer Lexington. Versuche ihn noch immer dazu zu bringen, Sex mit mir zu haben, wogegen er sich verzweifelt wehrt. Und jetzt heule ich. Schluchze sogar. Ich bin mir sicher, dass ich so etwas wie einen Nervenzusammenbruch habe. Ausgerechnet in Anwesenheit des Bruders des Freundes meiner besten Freundin. Und ich dachte, das Schlimmste überhaupt wäre, dass Armstrong einen Blowjob von einer anderen als mir bekommt. Offensichtlich lag ich damit falsch.
Ruby stapft quer durchs Zimmer und faucht wütend: »Was zum Henker tust du da, Lex!« Sie boxt ihn gegen Rücken und Schulter, dorthin, wo meine Körperteile ihn nicht umklammern.
»Es ist nicht das, wonach es aussieht.« Er versucht aufzustehen, doch ich klebe noch immer wie Plastikfolie an ihm. Ich kann seine Erektion spüren – wie sie groß und fest gegen mich drückt. Ihm gefällt, was er sieht, und wenn er mir gegeben hätte, was ich wollte, würde ich mich vielleicht nicht so schrecklich leer fühlen.
Auch wenn mir klar ist, dass das keinen Sinn ergibt. Dass meine Handlungen von Zerstörung und Verzweiflung herrühren. Ich bin so wütend und verletzt. Ich fühle mich gebrochen und verloren, dumm und beschämt. Es gibt nicht ein Gefühl, an das ich mich in dieser Situation klammern könnte.
»Amie, du musst Lex loslassen«, sagt Ruby sanft. Als spräche sie mit jemandem, der kurz davor ist, den Verstand zu verlieren. Was stimmt.
Ich schüttle den Kopf, obwohl ich weiß, dass ich tun sollte, was sie sagt. Ich demütige mich gerade selbst noch mehr, doch loszulassen würde bedeuten, seine Reaktion auf meine mangelnde Zurechnungsfähigkeit zu sehen, und dazu bin ich noch nicht bereit. Lexington bewegt sich, bis er auf den Knien ist. Er hat aufgehört, mich abschütteln zu wollen. Ganz ehrlich bräuchte er dazu eine Brechstange. Wenn ich mich lang genug an ihm festklammere, absorbiert er mich vielleicht, dann wäre ich verschwunden. Noch so ein seltsamer und unwahrscheinlicher Gedanke, der beweist, dass sich mein Verstand in Luft aufgelöst hat. Sie flüstern miteinander, doch durch den Schleier aus Schmerz und Wut, die mich verzehren, bekomme ich die Worte nicht ganz mit.
»Oh mein Gott. Amie, Schätzchen, was ist mit deinem Kleid passiert?«, fragt Ruby.
»Sie hat sich herausgeschnitten.« Eine Hand löst sich kurz von meinem Körper, weshalb ich annehme, dass er auf den Haufen Satin, Spitze und Perlen zeigt, den ich bei meiner Verwandlung von Braut zu halb nackter Verrückter hinterlassen habe.
Auf einen tiefen Seufzer folgt eine kurze Stille, in der Lex’ Hand über meinen Rücken streicht. Es fühlt sich gut an. Beruhigend. Ich möchte, dass es nie aufhört. Ich will, dass er mein Herz umfasst und damit die gleiche Wirkung auf den Schmerz dort erzielt.
»Stimmt. Wow. Keine Ahnung, wie mir das entgehen konnte. Okay. Wahrscheinlich muss ein Bademantel vorerst genügen. Sie kann sich auf dem Weg nach Hause umziehen.«
Weicher Stoff schmiegt sich um meine Schultern, und ich erschauere bei dem Gefühl.
»Schhhh, ist schon gut. Alles wird gut«, murmelt Lex, als er auf die Füße kommt.
Als ich mein Gesicht an seinem Hals vergrabe, umfasst er meine Wange und wischt mir mit dem Daumen die Tränen weg, was mich nur noch mehr zum Weinen bringt. Warum ist er nur so zärtlich? Und gut. Ich will nicht zärtlich und gut. Ich will Rache. Ich will, dass das, was Armstrong mir angetan hat, ausgelöscht wird. Ich will, dass Lex alles vergisst, was ich gerade gesagt und getan habe, und so tut, als wäre es nie geschehen, und ich möchte ebenfalls dazu in der Lage sein.
Draußen vor der Tür ist es laut, ein Toben und Brüllen, gedämpft nur von der dünnen Holzbarriere. Ich kann hören, wie Armstrong meinen Namen ruft und dann die Rufe von jemandem, der wie mein Vater klingt. Ich will, dass das aufhört. Doch ich habe keine Ahnung, wie ich das hinkriegen soll.
»Wir müssen sie hier wegbringen. Armstrong dreht gerade durch, und alle anderen auch. Ich glaube, Bane will ihn verprügeln, falls er es nicht schon getan hat, und Armstrongs Mutter hat einen totalen Nervenzusammenbruch. Amie kann und sollte im Moment nicht damit konfrontiert werden.« Rubys Hand liegt auf meiner Schulter, sanft, so als könnte ich zerbrechen.
»Wie soll das gehen, wo alle vor der Tür sind?« Lex packt mich jetzt am Oberschenkel. Nicht dass das nötig gewesen wäre, meine Beine liegen fest wie ein Schraubstock um ihn, dank meiner endlosen Stunden Pilates als Vorbereitung auf diese Farce von einer Hochzeit.
Ich versuche ihnen zu sagen, dass ich hier bin und sie direkt mit mir reden können, doch alles, was aus meiner Kehle dringt, ist ein krächzendes Schluchzen. Lex versucht, mich wieder zu beruhigen, und streichelt mir ein paarmal übers Haar.
»Am Hintereingang wartet ein Wagen.«
»Wir bringen dich hier raus«, flüstert Lex an meinem Haar.
Kalte Luft umfängt mich, als Lex in den Winterabend hinaustritt. Das laute Klopfen samt Armstrongs Betteln, ihn doch hereinzulassen, verstummt plötzlich, als Lex die Tür zuschlägt, durch die er mich gerade getragen hat.
Sekunden später landet mein Hintern auf kühlem Leder, und Lex Stimme erklingt tief und besänftigend in meinem Ohr. »Komm, Schätzchen, du kannst jetzt loslassen.«
Er hat recht, doch ich bin so beschämt. Nicht nur, weil mich mein Ehemann vor sämtlichen Menschen, die wir kennen, und dreihundert weiteren, die ich nicht kenne, gedemütigt hat, ich habe mich auch noch Lex an den Hals geworfen, der mich zurückgewiesen hat, und ihn vollgeheult. Das ist der schlimmste Abend meines Lebens. Der Verhörraum in Mexiko war nichts dagegen.
Er streicht mir erneut übers Haar und löst dann sanft meine Beine von seiner Taille. »Es ist okay, Baby, ich hab’s kapiert. Ich weiß, ich bin unwiderstehlich.« Mein Lachen klingt wie ein Schluchzen. Seine Lippen berühren meine Wange. »Ich sage wirklich nur ungern Nein zu dir.«
Ich erschauere bei dem Geständnis und frage mich, inwiefern es dazu gedacht ist, mein geschundenes Ego und mein gebrochenes Herz zu trösten. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich je davon erholen soll.
Es kostet Kraft, meine Finger von seinem Hals zu lösen. Ich kann ihn gar nicht ansehen, als mir mein peinliches Verhalten langsam bewusst wird. Was ist nur los mit mir?
»Hey.« Lexington legt seine Finger unter mein Kinn. Er hebt meinen Kopf an, bis ich keine andere Wahl mehr habe, als ihn anzuschauen. »Ich meine es ernst. Ich werde das ewig bereuen.«
Wegen des Aufruhrs hinter ihm richtet er sich rasch auf. Als er die Autotür schließt, sehe ich gerade noch, wie er seinen Gürtel zumacht. Dann geht er zum Hotel zurück, wo die Tür aufgerissen wird. Armstrong kommt herausgestürmt und ruft meinen Namen. Ich habe keine Ahnung, was er mir überhaupt zu sagen hätte. Er hat den größtmöglichen Schaden angerichtet. Sein Betteln, ich solle doch zurückkommen, wird jäh von Lex’ Faust unterbrochen, als sie ihn im Gesicht trifft.
Ich sehe, wie das, was eben noch meine Zukunft sein sollte, auf die Knie fällt und sich das Gesicht bedeckt, und frage mich, ob sein körperlicher Schmerz meiner Gefühlsqual entspricht. Ich glaube nicht, dass das möglich ist.
Lexington
Der erste Schlag verursacht einen stechenden Schmerz in meiner Hand und meinem Arm. Es ist lange her, dass ich mich geprügelt habe. Es fühlt sich wahnsinnig gut an, Armstrong irgendwie leiden zu lassen, auch wenn es nur vorübergehend ist. Als er auf die Knie fällt und sich ans Gesicht fasst, packe ich ihn an den Aufschlägen, um ihn wieder hochzuziehen.
»Du blöder Arsch.« Bevor ich ihm erneut die Faust ins Gesicht schlagen kann, und zwar so, dass Schönheitschirurgie unvermeidbar wäre, werde ich zurückgerissen.
»Reiß dich zusammen«, bellt mein Bruder Bane.
Armstrong wird brüllend durch dieselbe Tür, durch die er gerade mit zwei seiner dämlichen Freunde herausgekommen ist, wieder hineingeführt, während ich meinen Bruder abzuschütteln versuche. Es ist sinnlos. Er mag zwei Jahre jünger sein als ich, doch er war sieben Jahre lang Profi-Rugbyspieler und ist ein Kraftpaket. Sobald die Zeugen verschwunden sind, wirbelt er mich herum und schubst mich, wodurch er mich aus dem Gleichgewicht bringt. Ich lande auf meinem Hintern auf dem Asphalt, und auf einmal ist er über mir und drückt mir sein Knie auf die Brust.
»Was soll das …«
Er verlagert sein Gewicht und bringt sein Knie dicht an meinen Hals, womit er mir nach und nach die Luft abdrückt. »Willst du mir verraten, was du gemacht hast?«
»Was? Ich …« Ich habe keine Ahnung, was er gesehen hat, doch aus seiner Perspektive muss es keinen guten Eindruck gemacht haben.
»Verarsch mich nicht. Ich habe dich gesehen, Lex. Ich habe dich verdammt noch mal gesehen. Du warst auf ihr.«
»Geh runter und lass es mich erklären.« Ich boxe ihn gegen das Bein. Ich könnte es mit seinem Knie versuchen, dem, an dem er operiert wurde, doch ich will ihn eigentlich nicht verletzen. Ich will nur, dass er sein Gewicht von meiner Brust nimmt.
Er steht auf und streckt mir eine Hand entgegen, als wolle er mir aufhelfen. Ich schlage sie weg und rolle zur Seite. Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich mich wieder zurechtfinde. Ich bin noch immer ziemlich betrunken, und jetzt bin ich auch noch außer Atem.
Er greift sich in den Nacken und geht auf dem Parkplatz auf und ab. »Hoffentlich hast du nichts mit dem zu tun, was sich da heute Abend abgespielt hat.«
Ich schaue ihn böse an. »Im Ernst jetzt?«
»Hast du eine Ahnung, wie übel das aussieht, Lex? Deine Begleiterin verpasst dem Bräutigam einen Blowjob. Und du bist in der Hochzeitssuite, auf einer halb nackten, weinenden Braut. Schau dich nur an.« Er zeigt auf meinen Anzug.
Mein Gürtel ist noch immer halb offen, das Hemd hängt heraus und die Krawatte ist schief. Ich verstehe, was er meint. »Ich würde nicht versuchen, eine Hochzeit zu sabotieren, um es einem Arschloch wie Armstrong heimzuzahlen, Bane.«
»Bist du dir da sicher? Du und Armstrong haut euch doch andauernd gegenseitig in die Pfanne.«
»Ich würde so etwas niemals tun.«
Er verschränkt die Arme vor der Brust. »Wirklich? Denn so lange ich dich kenne, war es immer genau so.«
Er hat recht. Armstrong und ich haben seit unserer Jugend viel Zeit damit verbracht, uns gegenseitig fertigzumachen. Als wir Kinder waren, war er mein bester Freund. Er war wie ein Bruder – meine Mutter nannte uns Racker und böser Bube. Ich war der Racker, und ich verstand den negativen Beiklang, den böser Bube hatte, erst, als ich älter war. Während ich der Junge war, der Feuerwerkskörper in einem fremden Garten zündete, war Armstrong derjenige, der mit ihnen auf das Haus zielte anstatt in die andere Richtung. Wenn wir in Schwierigkeiten gerieten, erinnerte mich meine Mutter freundlich daran, dass ich es besser wüsste. Meine Rolle war also, harmlose Wettkämpfe daraus zu machen, Dummejungenstreiche, die weder fremdem Eigentum noch anderen Leuten Schaden zufügten.
Ich wurde irgendwie mit ihm fertig, bis wir älter wurden und die böse Seite von Armstrong häufiger zum Vorschein kam. Dummejungenstreiche endeten immer öfter in Prügeleien. Aber so machten wir das eben. Er provozierte mich, und ich provozierte ihn.
Mit vierzehn änderte sich das allerdings. Plötzlich wurde mein bester Freund zu meinem schlimmsten Feind. Der harmlose Konkurrenzkampf wurde brutal. Ich entdeckte eine Seite an Armstrong, die ich zuvor nicht bemerkt hatte, und eine Zeit lang war ich davon überzeugt, dass ich derjenige war, der diesen grausamen Charakterzug zum Vorschein brachte.
Unser gegenseitiges In-die-Eier-treten wurde zu einem unglaublichen, beinahe tödlichen Chaos, nachdem eine Mutprobe eskaliert war.
Ich kam mit Narben davon und er mit einem verletzten Ego. Meine Tante machte Schuldzuweisungen, und danach wurde unsere starke Konkurrenz zu einem hasserfüllten Kampf.
Eine Zeit lang versuchte ich noch abzuwiegeln. Doch es war klar, dass das nicht funktionieren würde. Er machte es sich zur Lebensaufgabe, mich zu linken. Sobald ich mich sportlich betätigte oder einem Club beitrat, tat er das auch. Egal, worin ich gut war, er wollte besser sein als ich, und wenn ihm das nicht gelang, fand er eine Möglichkeit, mich zu sabotieren. Der Konkurrenzkampf zwischen uns umfasste bald sämtliche Lebensbereiche, vom Sport über die Schule bis hin zu Mädchen.
Manchmal nahm ich es einfach hin, doch wenn er zu weit ging, übte ich Vergeltung. Das zahlte er mir heim, indem er etwas noch Schlimmeres tat. Ich kam damit klar, solange sonst keiner involviert war, doch Armstrongs Rachsucht kannte keine Grenzen, und er verletzte auch andere, wenn er mir damit schaden konnte. Ich hatte Schuldgefühle gegenüber jedem, der ins Kreuzfeuer geriet, weil ich ihn mit hineingezogen hatte. Als wir Kinder waren, hatte ich ihn ebenfalls provoziert und ihm übel mitgespielt. Doch irgendwann hatte ich genug von diesem nicht enden wollenden Kampf und ließ mich nicht länger auf seine Provokationen ein.
Ich sah Amalie zum ersten Mal auf dieser Party. Er interessierte sich nicht die Bohne für sie, bis er mitbekam, dass ich mich nach ihr erkundigte. Ich versuchte an sie heranzukommen, indem ich mich ihr vorstellte und mich erbot, ihr einen frischen Drink zu besorgen. Doch bevor ich überhaupt etwas anleiern konnte, drängte er sich mit seinen dämlichen Phrasen und seinem perlweißen Lächeln dazwischen. Ich ging davon aus, dass es nicht lange halten würde. Seine Beziehungen taten das nie.
Meine ebenfalls nicht, meistens dank ihm, doch darum ging es nicht.
Vergeltung war die Sache nicht wert, nicht wenn Gefühle Dritter im Spiel waren.