Kein Pausenbrot, keine Kindheit, keine Chance - Jeremias Thiel - E-Book
SONDERANGEBOT

Kein Pausenbrot, keine Kindheit, keine Chance E-Book

Jeremias Thiel

0,0
12,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 12,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als Jeremias Thiel elf Jahre alt ist, macht er sich auf den Weg zum Jugendamt. Er hält es zu Hause nicht mehr aus, hat Angst, der Armut und Verwahrlosung, die dort herrschen, niemals entkommen zu können. Seine Eltern sind psychisch krank und leben von Hartz IV, die häusliche Situation ist mehr als schwierig. Von da an lebt er im SOS-Jugendhaus, bis er als Stipendiat auf ein internationales College geht und im Herbst 2019 sein Studium in den USA beginnt. Er ist sich sicher, dass viele, die in ähnlichen Verhältnissen leben, nicht die Möglichkeit haben, sich daraus zu befreien. In diesem Buch erzählt Jeremias seine Geschichte und liefert zugleich einen bewegenden und aufrüttelnden Appell für mehr soziale Gerechtigkeit.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover & Impressum

Prolog: Der Verrat

Mein zweigeteiltes Leben

Davor

Auf dem Kotten

Unscharfe Erinnerungen

Der schwarze Schrank

Meine Oma

Mein erster Schultag

In der Tagesgruppe

Meine Erstkommunion

Ein Geschenk für Papa

Besuch in der Psychiatrie

Kinderarmut in Deutschland

Was Hartz IV mit Kinderarmut zu tun hat

Einige Studien zum Thema Kinderarmut

Armut setzt Kinderrechte außer Kraft

Brüder mit ungleichen Chancen

Niklas und ich

Mein Halbbruder Stephan

Kein Pausenbrot

Armutszeichen

Wenn die anderen Fußball schauen

Die Sache mit dem Gymnasium

Bei der Tafel

Der Bleistift

»Niemand muss hungern in Deutschland«

Was Armut mit der Seele macht

Armut überfordert

Armut macht Stress

Armut macht depressiv

Armut macht Angst

Armut macht misstrauisch

Armut schadet der emotionalen Entwicklung

Macht Armut dumm?

Macht Armut kriminell?

Armut entwertet und radikalisiert

Fazit: Wir müssen ganzheitlich über Kinderarmut nachdenken

Danach

Interviews und Fernsehauftritte

Im Jugendhaus des SOS-Kinderdorfs

Freiraum für Engagement

Was sich in Deutschland ändern muss

Kinder sind Subjekte – Kinderrechte gehören endlich ins Grundgesetz

Kinder brauchen soziale Einbindung – Kindergärten, Schulen mit Ganztagsangebot etc. müssen stärker gefördert werden

Kinder haben vielfältige Talente – wir brauchen einen Talentfonds für junge Menschen

Kinder brauchen Würde und Stolz auf das, was sie leisten: Die 75-Prozent-Regelung für Jugendliche in der Jugendhilfe muss abgeschafft werden

Kinder und ihre Familien brauchen Unterstützung – Sozialausgaben für Kommunen erhöhen

Kinder brauchen Solidarität – wir müssen soziale Ungleichheit verringern und politisches Gleichgewicht schaffen

Kinder und ihre Familien brauchen Förderung nach ihren individuellen Möglichkeiten – »fördern und fordern« war gestern

Kinder brauchen Hilfe in Krisensituationen: Die psychosoziale Unterstützung von Familien muss dringend ausgebaut werden

Kinder brauchen das Kindergeld

Kinder brauchen Treffpunkte – Jugendtreffs sollten nicht nur von »sozial Schwachen« genutzt werden

Kinder brauchen Mentoren

Kinder brauchen mehr Austausch

Kinder und Jugendliche sind Experten in eigener Sache – wir brauchen Jugendparlamente in jeder Stadt und jedem Landkreis

Kinder brauchen (Erfolgs-)Geschichten

Warum ich SPD-Mitglied bin

Auf dem UWC in Freiburg

Blicke in eine andere Welt

Fremd in der eigenen Familie

Ohne Hilfe wäre es nicht gegangen

Jede Menge Resilienz

Was ist Resilienz?

Wie entsteht Resilienz?

Merkmale resilienter Kinder

Und was hat das alles mit mir zu tun?

Resilienz und Bildung

Resilienz kann man fördern und trainieren

Geschafft

Geschafft?

Dank

Quellen und Hinweise zum Weiterlesen

Mein erster Schultag

Nun sollte ich also endlich in die Schule gehen. Meine Eltern und auch andere Erwachsene machten eine große Sache daraus, der Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Vom »Ernst des Lebens« war auf einmal die Rede, ohne dass ich auch nur ansatzweise verstand, was sie damit wohl meinten. Ich wusste, ich würde Lesen, Schreiben und Rechnen lernen und den ganzen Tag bis 16 Uhr dort verbringen. Das genügte mir. Mir erschien der Schritt in die Schule unvorstellbar groß. »Größerwerden« fand ich sehr aufregend.

So bereiteten mein Bruder und ich uns also auf den wichtigen ersten Schultag vor. Wir sprudelten fast über vor lauter Vorfreude. Beide bekamen wir einen neuen Schulranzen, Schulmaterialien, Bücher und natürlich eine Schultüte, randvoll mit Süßigkeiten. Es war für uns und viele andere Kinder der Tag der Tage.

Und so ist mir dieser Tag auch bis heute deutlich in Erinnerung. Im Radio lief »Westerland« von den Ärzten, als wir uns am Morgen fertig machten. Während sonst so viel von meiner frühen Kindheit in einem Nebel aus Trostlosigkeit versinkt, war dieser erste Schultag einer der wenigen ganz besonderen Momente, die ich mit meinen Eltern und meinem Bruder erleben durfte. Ich werde nie vergessen, wie ich mit meinem Dinosaurier-Rucksack und der dazu passenden Schultüte loszog in einen neuen Lebensabschnitt. Die Umi-Fiebel und all die anderen Schulbücher, die ich zu Anfang meines ersten Schultags in den Händen hielt …

Das erste Schuljahr, das auf diesen Tag folgte, war insgesamt sehr wichtig für mich. Es war eine Zeit des Wachsens, der großen Schritte ins Leben. Ich durfte endlich erfahren, dass Lernen Spaß macht, und hatte tausend Fragen. Aus jeder Antwort, die man mir gab, entwickelten sich gleich wieder neue Fragen. Schule war toll. Lernen war toll. Und ist es immer noch.

Zumindest gilt das für Kinder wie mich, die sich »normal« entwickeln und von den Ansprüchen der Grundschule gefordert, aber nicht überfordert sind. Für Kinder, die von den anderen akzeptiert werden und ihre Kräfte nicht dafür aufwenden müssen, verzweifelt nach Anerkennung und »Ankommen« zu suchen. So erging es leider meinem Zwillingsbruder. Niklas kam in der Schule überhaupt nicht zurecht. Er war von einer ständigen Unruhe getrieben und konnte nicht still sitzen. Und wenn man ihn zurechtwies, reagierte er heftig, trotzig, schlug manchmal sogar um sich. Ein Teufelskreis begann, denn so zog er immer mehr Ablehnung auf sich, die ihn immer noch unglücklicher und trotziger werden ließ. Und ich beobachtete ihn in seinem Unglück und konnte ihm nicht helfen.

Ich will aber noch mal auf den ersten Schultag zurückkommen. Erst in der Rückschau von heute her ist mir klar, wie viel meine Eltern für diesen besonderen Tag auf sich genommen haben. Die randvolle Schultüte, die Schulranzen, die Sportsachen, der Turnbeutel, die Malsachen, der Kopierbeitrag, die Unterrichtsmaterialien, das Federmäppchen und viele weitere Anschaffungen – und das alles mal zwei – hatten für meine Eltern vor allem eine Folge: Von ihrem Arbeitslosengeld II, pro Person 423 Euro, war die Hälfte futsch. Ich frage mich bis heute, wie sie es geschafft haben, das alles zu finanzieren. Und ich ziehe meinen Hut vor ihnen, dass sie es sich nicht haben nehmen lassen, ihren Kindern einen tollen ersten Schultag zu ermöglichen. Sie haben uns ein großes Geschenk gemacht, indem sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür sorgten, dass wir trotz aller Schwierigkeiten sorglos und »so wie die anderen« in unser Leben als Schulkinder starten konnten.

Als Sechsjähriger habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Ein Kind weiß nicht, dass solche Kosten für eine Hartz-IV-Familie kaum zu stemmen sind. Es weiß nicht, dass ein Haushalten mit einem so eingeschränkten Budget äußerst mühsam und oft kaum möglich ist. Und es muss das alles auch nicht wissen. Ein Kind von sechs Jahren, ein Schulanfänger, hat ein Recht auf Sorglosigkeit.

Ende der Leseprobe