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Ex-Marine und Bestsellerautor Jack Dana könnte eigentlich ein ruhiges Leben führen: Er hat seinen Erzfeind Abner Brown zu Fall gebracht, ist glücklich liiert mit der schönen Anwältin Heidi Krohn und hat gerade begonnen, sein neues Buch zu schreiben. Doch dann werden sein Freund Simon Lathrop und dessen Frau auf brutalste Weise ermordet. Jack vermutet sogleich, dass die Tat mit Abner Brown in Verbindung stehen könnte, schließlich hatte Lathrop Jack geholfen, Abner zu Fall zu bringen. Als dann auch noch sein Laptop gehackt und er massiv bedroht wird, besteht für Jack kein Zweifel mehr daran, dass hier einer Abners Tod rächen will – jemand, der Abner sehr nahegestanden haben muss. Er nimmt die Herausforderung an, um Heidis und sein eigenes Leben zu retten, und gerät in große Gefahr …
Louis Begleys neuer Roman verstrickt den Leser tief in die Machenschaften eines international agierenden Syndikats gewissenloser Gangster.
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Seitenzahl: 291
Veröffentlichungsjahr: 2019
Louis Begley
Killer's Choice
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Christa Krüger
Suhrkamp Verlag
Für Anka und Adam, meine wunderbaren Lektüre-Ersthelfer,und für Grisha
Schlafe, mein Kind,
hoch auf dem Baum.
Wiege im Wind
schaukelt im Traum.
Wenn der Ast bricht,
wird die Wiege fallen
mit Baby und allem.
Wiegenlied
Mein Ende? So weit kommt es nicht. Dafür habe ich gesorgt. So weit wird es nie kommen, hatte Abner Brown zuletzt noch gespottet, Minuten bevor er sich die tödliche Dosis Insulin spritzte.
Damals hielt ich diese Drohung nur für eine der großmäuligen Tiraden, die der diabolische texanische Milliardär von sich gab, seit ich ihm gesagt hatte, dass ich die Akten, die ich ihm auf den Schreibtisch gepackt hatte, am folgenden Tag dem US-Attorney zustellen würde. Akten, die Abner mit Sicherheit für den Rest seines Lebens hinter Gitter oder sogar in die Todeszelle bringen würden, wenn sich mit ihrer Hilfe beweisen ließ, dass er international Morde in Auftrag gegeben hatte. Seine Prahlereien vergaß ich gern. Nicht zum ersten Mal kam mir der Verdacht, dass er wahnsinnig war.
Aber ich greife vor. Ich heiße Jack Dana. Ich bin ein ehemaliger Offizier der Marineinfanterie und habe eine der härtesten Kampfschulen der Marines absolviert. Als ich mit meinem Force-Recon-Zug in der Nähe von Delaram in der Provinz Helmand in Afghanistan auf Patrouille war, erwischte mich ein Taliban-Heckenschütze. Seine Kugel zertrümmerte meinen Beckenknochen. Es kostete eine Menge Zeit und chirurgisches Geschick, mich wiederherzustellen, bis ich so gut wie neu war, nur nicht mehr gut genug für den aktiven Dienst bei der Infanterie. Als das Walter-Reed-Militärkrankenhaus mich endlich entließ, hätte ich die elegante akademische Laufbahn wieder aufnehmen können, die ich vor 9/11 gestartet hatte, ehe ich beschloss, zu den Marines zu gehen, weil ich das Kämpfen nicht den armen Trotteln überlassen wollte, die nicht so privilegiert aufgewachsen waren wie ich und es nicht besser wussten. Aber während ich im Krankenhaus lag, begann ich, aufzuschreiben, wie der Krieg im Irak und in Afghanistan gewesen war und was er mir und meinen Männern angetan hatte. Dieses Buch zu Ende zu bringen wurde mein einziges Ziel. Und ich schloss es in New York ab, wo ich bei meinem Onkel Harry Dana wohnte, einem prominenten Anwalt, der wie ein Vater für mich war. Er stand mir sogar näher als mein wirklicher Vater. Er war auch das letzte Mitglied meiner Familie, das noch lebte. Mein Buch wurde sofort ein Erfolg; die Vorauszahlungen, die Tantiemen, die dann folgten, der Verkauf der Rechte zur Verfilmung und die Prämien, die mir zuflossen, als der Film einschlug und ein Hit wurde, all das machte mich reich. Meine beiden nächsten Romane verkauften sich fast genauso gut. So wurde ich Schriftsteller, ohne es groß geplant zu haben.
Aber ich greife schon wieder vor. Kurz nach dem Erscheinen meines ersten Buches, als ich in Brasilien auf einer Fazenda ohne Internet und Handyempfang Ferien machte, wurde mein Onkel Harry ermordet. Den als Selbstmord durch Erhängen deklarierten Mord beging ein Killer namens Slobo im Auftrag von Abner Brown. Brown war bis kurz davor Harrys wichtigster Mandant gewesen. Am Tag nach dem Mord brachte derselbe Killer Harrys langjährige Sekretärin um. Er stieß sie vor die U-Bahn. Diese Morde rächte ich sowie den Monate später begangenen Mord an Kerry Black, der besonders geschätzten Mitarbeiterin und späteren Juniorpartnerin meines Onkels, die mir geholfen hatte, das Beweismaterial gegen Brown zu finden, die Akte, die ich dem US-Bundesanwalt übergab und die zu Abners endgültigem Niedergang führte. Kerry und ich hatten uns leidenschaftlich ineinander verliebt, aber nachdem ich Slobo getötet hatte, statt ihn nur kampfunfähig zu machen und der Polizei zu übergeben, brach sie mit mir. Sie erklärte, ich hätte keinen Totschlag in legitimer Notwehr begangen, sondern einen Mord verübt. Arme Kerry! Abner vergaß nicht, wie sie mir geholfen hatte, das Dossier zusammenzustellen, das seine kriminellen Aktivitäten offenlegte. Er hatte auch sie ermorden lassen, diesmal war der Mord als Tod durch Überdosis eines Drogencocktails kaschiert.
Kerrys Mörder konnte ich nicht töten. Damit war mir Abner zuvorgekommen. Aber seit ich wusste, dass dieser Gangster tot war, seit ich gesehen hatte, wie Abner sich selbst die tödliche Injektion setzte, hörte ich auf, an ihn und seine Verbrechen zu denken. Ich war es leid. Ich war Abner leid, und ich war es leid, zu töten, um mit ihm gleichzuziehen und seine offenbar zahllosen Berufskiller daran zu hindern, dass sie mich ermordeten. Ja, die Wunden, die mir der letzte aus dieser Bande verpasst hatte, waren geheilt, aber selbst Fleischwunden, die nur eine minimale chirurgische Versorgung brauchen und ohne größere Komplikationen verheilen, setzen dir einen Dämpfer auf – wie meine liebe Mutter gern sagte. Außerdem war ich in die Arbeit an einem neuen Buch vertieft.
In diesem Buch über den Mord an meinem Onkel Harry habe ich die Wahrheit offengelegt – ich würde eine wahre Geschichte erzählen, versicherte ich gleich auf der ersten Seite. Einige Kritiker hatten wenig Interesse an Slobos Taten und meiner Pflicht, meinen Onkel zu rächen, viel schwerer wog in ihren Augen das Interesse der Gesellschaft, Slobo der Justiz zu überstellen, ihm einen fairen Prozess zuzubilligen. Ob ich nicht wisse, dass dies die Vereinigten Staaten von Amerika seien, ein Rechtsstaat? Ah ja! Derselbe Rechtsstaat, der Milliardären wie Abner Brown erlaubt, PACS, Lobbygruppen, und Thinktanks, die jedes beliebige rechtsextreme Ziel fördern, mit Geldströmen zu überschütten und mehr als die Hälfte der Kongressabgeordneten zu kaufen und in der Tasche zu haben. Geldströme, welche die amerikanische Politik so gründlich korrumpiert haben, dass ein dermaßen grotesk unfähiger Kandidat wie Donald J. Trump Präsident werden konnte. Eine solche Rechtsstaatlichkeit ist mir nicht gut genug. Ich bin nicht in den Krieg gezogen, um Amerika wieder großartig zu machen – ich fand es großartig genug. Ich wollte, dass Amerika wieder anständig würde, wieder ein Land, das armen Schluckern eine faire Chance gibt und sich um die Schwachen und Bedürftigen kümmert. Hätte ich nach dem Erscheinen meines Buches noch Slobo und Abner im Kopf gehabt, dann hätte ich vielleicht in die New York Times Book Review eine ganzseitige Anzeige gesetzt mit dem feierlichen Versprechen, Berufskiller, die in Zukunft von fanatischen Extremisten und ihren Auftraggebern ausgeschickt würden, haargenau so zu behandeln wie Slobo und seinen Boss.
Aber an nichts dergleichen dachte ich noch. Mir stand nur der schwere Schaden vor Augen, den Trumps Regierung uns im In- und Ausland zufügte. Alle Gedanken, die ich davon freihalten konnte, galten einer jungen Frau, in die ich mich bis über beide Ohren verliebt hatte: Heidi Krohn, eine unglaublich elegante, kluge Prozessanwältin. Heidi war Kerrys engste Freundin gewesen. Sie wurde meine Partnerin in dem Unternehmen, Kerry zu rächen und Abner zu zerstören. Aber von Anfang an bestimmte sie die Spielregeln. Sie finde Männer nicht physisch anziehend, warnte sie mich gleich bei unserer ersten Begegnung. Das sei nicht immer so gewesen und müsse auch nicht so bleiben, sagte sie. Darauf gaben wir uns die Hand, und im Lauf der Zeit konnte ich mit gutem Grund hoffen, dass ich diesmal meine Karten richtig ausspielte: Geduld und Nachsicht machten sich bezahlt. Schon ein paar Wochen nach Abners Tod verbrachte Heidi die Weihnachtsferien mit mir in dem Haus in Sag Harbor, das ich von meinem Onkel Harry geerbt hatte. Ich überließ ihr mein Schlafzimmer und wollte in ein Gästezimmer auf der anderen Seite des Flurs ziehen, aber sie lud mich ein, das Bett mit ihr zu teilen. Nur zum »Kuscheln«, machte sie deutlich. Seither haben wir immer gekuschelt, inzwischen ohne die Oberteile unserer Pyjamas, und ihre Bleibe an der Ecke Lexington und Eighty-Seventh Street gab sie zwar nicht auf, befand sich aber wochentags an vielen Nächten in meiner ebenfalls von meinem Onkel Harry geerbten Wohnung an der Fifth Avenue. Wenn wir beschlossen, aufs Land zu fahren, wohnte sie bei mir in Sag Harbor und besuchte ihre Eltern in deren Haus an der Further Lane in East Hampton immer nur kurz. In der Fifth Avenue deponierte sie einen guten Teil ihrer wundervollen Garderobe und die wahre Liebe ihres Lebens, eine kohlschwarze anderthalbjährige französische Bulldogge namens Satan. Der Hund sei viel besser bei mir aufgehoben, gegenüber vom Central Park, als den ganzen Tag allein in ihrer Wohnung auf den Hundesitter warten zu müssen. Ich glaube, das waren die sichersten Zeichen dafür, dass wir uns auf dem richtigen Gleis bewegten.
Der Anruf kam kurz nach elf Uhr an einem Mittwochabend. Sie war wieder einmal in Hongkong, wo sie in einem Schiedsgerichtsverfahren federführend einen neuen Mandanten verteidigte, eine riesige japanische Baufirma. Ich hatte versucht, an meinem neuen Buch zu arbeiten, zu Hause zu Abend gegessen und wollte, als das Telefon klingelte, gerade zu Bett gehen. Ich nahm den Hörer ab in der Erwartung, ihre Stimme zu hören – wer sonst hätte mich um diese Tageszeit anrufen sollen –, aber stattdessen hörte ich Schreie. Die schrecklichsten Schreie, die ich je gehört hatte. Furchtbarer als die Schreie der im Irak oder in Afghanistan von Sprengkörpern getroffenen Marines mit abgerissenen Gliedern oder Bauchwunden, aus denen die Eingeweide herausquollen, schlimmer als das Heulen des gefangenen Taliban in Delaram, der von einem Mittelsmann der CIA gefoltert wurde, steigerten sie sich zu einem grauenvollen Crescendo. Starr vor Entsetzen hielt ich den Hörer in der Hand. Nach einer Weile, die mir unendlich lang erschien, aber in Wirklichkeit kaum länger als fünf Minuten dauerte, sprach mich eine dunkle Männerstimme an. So laut, dass sie die Schreie übertönte.
Hübsch, sagte der Mann. Schreien gut, deine Freunde. Lass ihn zuhören, soll er seine Freude haben, hat Boss gesagt.
Er verstummte. Ich schaffte es nicht, aufzulegen.
Er sprach wieder.
Also dann. Wir machen weiter.
Wieder verstummte er, aber die Schreie hörten nicht auf, wurden lauter und sogar noch verzweifelter. Dann war die Verbindung unterbrochen.
Ich legte auf und prüfte mit zitternden Händen das Verzeichnis der eingegangenen Anrufe. Der letzte war von Simon Lathrop mit einer 917- Telefonnummer.
Simon Lathrop, der Sozius, Law-School-Kommilitone und beste Freund meines Onkels Harry! Mein Handy lag auf dem Schreibtisch. Ich suchte seine Nummer in der Liste der Kontakte, und tatsächlich war der Anruf von seinem Wochenendhaus in Bedford gekommen. Nein, das konnte kein makabrer Scherz sein. Ich musste die Polizei vor Ort erreichen – sogleich. Ich wählte 911 und wurde zum Polizeirevier von Bedford durchgestellt. Ich sagte der Frau in der Zentrale, dass im Haus von Mr Simon Lathrop offenbar ein furchtbares Verbrechen begangen werde. Sie wusste, wer er war und wo er wohnte, und schrieb sich meinen Namen, meine Adresse und Telefonnummer auf.
Ich schicke sofort einen Streifenwagen dorthin, sagte sie, und gebe dem Chef Bescheid.
Was ich am Telefon gehört habe, klang so, dass Sie wahrscheinlich mehr als einen Polizisten schicken müssen, erklärte ich ihr.
Da haben Sie womöglich Recht, erwiderte sie. Wir tun, was wir können.
Viel Glück, sagte ich. Ich komme mit meinem Auto und müsste in einer knappen Stunde bei Lathrop sein.
Ich beredete die Polizisten, mich passieren zu lassen, und kam zur Veranda vor dem Haus. Dort stellte sich ein etwa fünfzigjähriger beleibter Mann in Zivil als stellvertretender Bezirksstaatsanwalt Steve Bruni von der Ermittlungsabteilung vor und sagte: Sie sind Captain Dana. Ich habe Ihr Buch Returning gelesen und den Film gesehen. Große Klasse. Ich bin ein Fan. Hören Sie, ich weiß, dass Sie bei den Marines gedient haben, und ich weiß, dass Sie eine Menge Tote gesehen haben. Haben ja selbst den einen oder anderen unschädlich gemacht, soweit ich weiß, etwa die beiden Auftragskiller in Sag Harbor. Ja, ich habe mich erkundigt, sobald ich erfuhr, dass die Täter Sie angerufen haben und dass Sie kommen würden. Aber was wir hier haben, ist anders als alle Tatorte, die ich in meiner Laufbahn gesehen habe, und ich habe jede Menge gesehen. Vor diesem Job hier war ich Spezialagent und habe in der Abteilung für organisierte Kriminalität gearbeitet. Das hier ist schlimmer als die Fotos von der Manson Family und Sharon Tate. Geradezu ein Ritualmord. Sie haben so was wahrscheinlich auch noch nicht gesehen, und ich weiß nicht, ob Sie sich den Anblick antun wollen.
Ich muss es wohl, antwortete ich. Simon Lathrop war ein Freund.
In Ordnung, aber ich hab Sie gewarnt. Das Haus haben sie auch in der Mache gehabt.
Das Haus ist ein großes weißes viktorianisches Gebäude. Ich folgte Bruni ins Innere, und kaum waren wir eingetreten, sah ich, was er gemeint hatte. Jemand war mit einem Baseballschläger oder einer Axt und einem Messer durchs Erdgeschoss gegangen, hatte Möbel zerhackt, Bilder von den Wänden gerissen und zertrampelt und die Polster von Sofas und Sesseln aufgeschlitzt.
Bruni sagte wieder etwas: Die Leichen sind oben im Schlafzimmer. Wir haben überall Leute, die Fotos machen und nach Fingerabdrücken suchen und was sonst noch dazugehört.
Tatsächlich wimmelte es im Haus von uniformierten Polizisten und Agenten in Zivil.
Ich wies mit dem Kinn auf die Zivilisten und hob die Augenbrauen.
FBI, erklärte Bruni mir. Als ich dem Staatsanwalt beschrieben habe, was hier vorging, hat er den stellvertretenden Leiter des Bureaus in Manhattan zu Hause angerufen und das FBI gebeten, sich vorläufig einzuschalten. Er glaubt, dass dies hier den Stempel organisierter Kriminalität trägt. Sie werden schon sehen. Jack Curley lässt nichts anbrennen, und die Lathrops sind wichtige Leute.
An der Schwelle zum Schlafzimmer blieb er stehen und sagte: Schnallen Sie sich an. Die Leichen sind noch so, wie wir sie gefunden haben.
Bruni hatte Recht: Ich habe eine Menge Tote gesehen, auch Leichen, die von Explosionen auseinandergerissen oder von schwerem Maschinengewehrfeuer zersiebt waren. Aber nichts kam dem gleich, was man Simon und Jennie Lathrop angetan hatte. Beide waren nackt. Simon war gekreuzigt, mit zehn oder fünfzehn Zentimeter langen Spießen an Händen und Füßen an eine Schranktür genagelt worden. Penis und Hoden abgeschnitten. Seine Haut, abgeschält, hing in langen Streifen herunter.
Das hat Zeit gebraucht, bemerkte Bruni. Sie haben ihm die Kehle durchgeschnitten. Wahrscheinlich zum Schluss, bevor sie gingen. Ein Gnadenakt!
Ich nickte. Sprechen konnte ich nicht.
Jennie lag auf dem Bett. Als ich sie ansah, erkannte ich, dass man von der Schranktür, an die Simon genagelt war, freien Blick auf das Bett hatte, sodass er genau verfolgen konnte, was man ihr antat. Mit einem dicken Stock, der noch auf dem Bett lag, und vielleicht auch mit anderen Gegenständen war sie vergewaltigt worden – ein anderes Wort dafür fiel mir nicht ein. Ihre Schenkel waren blutüberströmt, das Bettzeug blutgetränkt. Die Haut hatte man ihr nicht abgezogen, sie war noch grausamer gefoltert worden. Ihr Körper war mit Brandwunden bedeckt. Manche sahen aus wie Brandlöcher von Zigaretten, andere ebenfalls rund, aber größer. Man hatte ihr die Fingernägel ausgerissen. Auch die Zangen lagen noch auf dem Bett.
Fassung, Captain Dana, sagte Bruni, ich habe Ihnen gesagt, es ist grässlich. Und es muss lang gedauert haben. Die haben dafür gesorgt, dass es lange ging.
Ja, antwortete ich. Ja, es müssen mindestens zwei gewesen sein.
Bruni nickte. Ja, vielleicht sogar mehr.
Fingerabdrücke, irgendwas, um sie zu identifizieren?
Bis jetzt noch nichts. Aber morgen Vormittag nehmen wir uns das Haus noch einmal vor. Die Leichen bleiben hier, bis wir fertig sind. Wir haben auch draußen nichts gefunden, weder Reifenspuren noch sonst etwas. Sie sehen ja, wir haben ganz unten an der Einfahrt geparkt, damit der Wendeplatz vor dem Haus unberührt bleibt. Eingebrochen sind sie nicht. Entweder hat Mr Lathrop sie hereingelassen, oder die Tür war offen, oder sie hatten genügend Generalschlüssel. Eine Frage: Könnten Sie wohl die Leichen für uns identifizieren?
Natürlich, sagte ich.
Das hilft uns. Der Staatsanwalt würde Sie gern morgen Nachmittag sprechen. Sein Büro ist in White Plains. Könnten Sie es einrichten, um zwei dort zu sein?
Natürlich, sagte ich wieder. Ich werde da sein.
Wir erledigten die Formalitäten für die Identifizierung, und Bruni gab mir seine Karte mit der Büroadresse und Telefonnummer. Wir verabschiedeten uns mit Handschlag, und als ich gehen wollte, sagte er: Hören Sie, Captain Dana, ich weiß, Sie können selbst auf sich aufpassen, aber dies ist eine sehr üble Geschichte. Seien Sie auf der Hut!
Feng, mein Haushälter, Gourmetkoch und, seit er den letzten von Abner auf mich angesetzten Killer gerade noch rechtzeitig erschossen hatte, auch mein Lebensretter und selbsternannter Leibwächter in einer Person, Feng begrüßte mich an der Wohnungstür. Es war ein paar Minuten nach fünf in der Frühe. Ich war sehr langsam von Bedford in die City zurückgefahren und hatte versucht, die Bilder von Simon und Jennie auszublenden und mir einen Reim auf das Ganze zu machen. Dieser grausame Angriff auf ein feines, ehrwürdiges altes Paar: Wer konnte diese beiden zur Zielscheibe bestimmt haben? Wer würde einen solchen Auftrag ausführen? Was hatte der Anruf bei mir zu bedeuten? Ja, Simon war mein Freund, und wir waren einander herzlich zugetan, hatten aber nur gelegentlich Kontakt. Er war ein wichtiger Seniorpartner bei Whetstone & Jones, einer führenden New Yorker Anwaltskanzlei, außerdem ein Urgestein im Aufsichtsrat des Metropolitan Museum, der Metropolitan Opera und wahrscheinlich auch anderer bedeutender Kulturinstitutionen der Stadt. Er und Jennie waren gesellschaftlich aktiv, wurden in der Presse regelmäßig als Teilnehmer an diesem oder jenem Benefiz-Dinner oder Ball in der Presse genannt. Falls jemand vorhatte, Terror unter ihren Bekannten zu verbreiten, würde ich wetten, dass mindestens zwanzig Leute enger mit ihnen befreundet waren als ich.
Ich wusste nicht, Sir, dass Sie nach dem Essen noch ausgehen und so lange fortbleiben wollten, sagte Feng. Ich habe mir Sorgen gemacht, wenn ich so sagen darf.
Sein Ton war immer vollkommen korrekt. Er beschwerte sich nicht und tadelte nicht. Stellte nur Tatsachen fest.
Das tut mir sehr leid, Feng, erwiderte ich. Ich hätte Ihnen eine Notiz schreiben sollen. Ich bin unvorhergesehen und in großer Eile aus dem Haus gegangen. Gleich beim Frühstück erkläre ich alles.
Dass Feng informiert werden musste, war klar. Ständig hatte meine Hochachtung für die Loyalität und Nervenstärke dieses Mannes zugenommen, der zur Hong Kong Police Force Special Duties Unit – einer wahrscheinlich besser unter dem Namen Flying Tigers bekannten Spezialeinheit – gehört und sich bei den Autoritäten auf dem Festland höchst unbeliebt gemacht hatte, weil er an einer Ermittlung festhielt, die er auf ihren dringenden Wunsch hin hätte einstellen sollen. Ich wollte wissen, wie er den Überfall einschätzte, und die Sicherheit, dass er mir Rückendeckung geben würde, war mir auch nicht unwillkommen, das gebe ich gern zu.
Danke, Sir. Frühstück in zehn Minuten?
Geben Sie mir eine halbe Stunde, erwiderte ich, ich will diese Sachen ausziehen und ein heißes Bad nehmen. Ich möchte in der Küche frühstücken.
Fengs Frühstücksangebot reichte von Orangensaft, Weizenvollkorntoast mit bitterer Orangenmarmelade und Kaffee über Congee mit Schmalzgebackenem, gedämpften gefüllten Teigtaschen und gekochten Eiern bis zu einer herzhaften englischen Kost oder dem, was ich mir darunter vorstellte. Gewöhnlich bat ich ihn, bei der Weizenvollkorntoast-Version zu bleiben. An diesem Morgen äußerte ich keinen Wunsch, und als ich in die Küche kam, erwarteten mich Grapefruitsaft, weich gekochte Eier, Schinken und Croissants (Feng entschuldigte sich, dass sie aus der Tiefkühltruhe kamen) und eine sehr große Kanne Kaffee, dessen Aroma allein mir zu einem klaren Kopf verholfen hätte. Ich überredete Feng, sich einen Tee zu kochen – ich wusste, dass er Tee besonders schätzte – und sich zu mir an den Tisch zu setzen.
Es ist eine üble Geschichte, Feng, sagte ich, und berichtete ihm alles von Anfang an, vom Anruf bis zum Ende meines Gesprächs mit Bruni.
Feng blieb einen Moment stumm und antwortete dann.
Ich glaube, Mr Bruni hat Recht. Wir müssen sehr vorsichtig sein. Diese Leute sind gefährlich. Ich glaube, sie werden versuchen, Ihnen etwas anzutun.
Aber warum, Feng?, fragte ich. Aus welchem Grund sollten sie hinter mir her sein, was meinen Sie?
Es ist dieser Anruf, Sir. Er hatte einen Zweck. Er sollte ankündigen, dass Ihnen die gleiche Tortur droht. Wenn ich einen Vorschlag machen darf, Sir, bitte erlauben Sie, dass ich Sie nach White Plains und zurück fahre.
Ich strengte mich an, die Spinnweben aus meinem Hirn zu vertreiben.
Danke, Feng, sagte ich. Das wäre mir lieb. Und jetzt will ich versuchen, etwas zu schlafen – aber nicht länger als bis elf Uhr.
Bruni begrüßte mich am Empfang und lotste mich an den Sicherheitsbeamten vorbei.
Jack Curley, der Staatsanwalt, erwartet Sie, sagte er. Und ein ganzer Schwarm von Leuten: jemand vom New Yorker FBI, der Polizeichef von Bedford und ein paar Beamte aus dem Kriminalamt des Staates New York. Beamte in Zivil, zuständig für die Ermittlung von Gewaltverbrechen. Dazu der Stabschef des Staatsanwaltes. Dass es keinen Pressebericht gibt, weder auf Papier noch online, und keine Meldung im Fernsehen, werden Sie bemerkt haben. Der Staatsanwalt hat eine Nachrichtensperre verhängt, über das Massaker darf nicht berichtet werden, bevor er Sie interviewt hat. Bis jetzt haben sich alle daran gehalten.
Ich hatte tatsächlich in der Onlineausgabe der New York Times nach aktuellen Nachrichten gesucht und nichts gesehen.
Nicht sicher, ob ich dafür dankbar sein sollte, fragte ich, ob sich irgendwelche neuen Erkenntnisse ergeben hätten.
Null, eine dicke runde Null. Keine Fingerabdrücke außer von den Lathrops und der Haushälterin. Ein Glück für sie, dass sie nicht im Haus wohnt. Wenn sie dort gewesen wäre, hätte sie mit Sicherheit nicht überlebt. Nichts hat sich in den Toiletten gefunden, keine Fußabdrücke, gar nichts. Hier, das ist seine Tür. Er klopfte, und wir traten ein.
Ein grauhaariger Mann Ende fünfzig, Anfang sechzig saß am Kopfende – so muss man wohl sagen, weil er dort Platz genommen hatte – eines großen ovalen Konferenztisches, der übersät war mit Plastikbechern von Starbucks und Papptellern, auf denen Reste von Sandwiches lagen. Bruni stellte mich vor. Der Staatsanwalt forderte die anderen Teilnehmer auf, sich selbst vorzustellen, und winkte mich auf einen Platz ihm gegenüber. Bruni setzte sich zu seiner Rechten neben den Mann vom FBI. Die Leute von der Abteilung für Strafrecht und der Polizeichef von Bedford saßen zu seiner Linken.
Kommen wir gleich zur Sache, Mr Dana, sagte der Staatsanwalt. Wenn Sie nichts dagegen haben, wird dieses Interview aufgezeichnet.
Einverstanden.
Danke! Mr Edwards – so hieß der Mann vom FBI – ist übrigens hier, weil diese Tat Merkmale hat, die auf die Mitwirkung organisierter Kriminalität schließen lassen. Das nur, um zu erklären, warum das Bureau sich womöglich an der Ermittlung in einem Mordfall beteiligt. Ich sollte Ihnen auch sagen, dass ich der Gruppe erklärt habe, wer Sie sind – manche von uns haben Ihre Bücher gelesen und sind Fans –, und daran erinnert habe, dass bereits zwei Anschläge auf Ihr Leben verübt wurden. Beide in Ihrem Haus in Sag Harbor. Beide Male konnten Sie den Angreifer töten. Aus Interviews, die Sie damals gaben, und aus Ihrem jüngsten Roman, den Sie als wahrheitsgetreuen Bericht bezeichnen, schließe ich, dass Sie einen Zusammenhang sehen zwischen diesen beiden Anschlägen und dem Mord an Ihrem Onkel Harry Dana im selben Haus in Sag Harbor einige Monate vor dem ersten Anschlag auf Ihr Leben. Ist das korrekt?
Ja, korrekt.
Und Sie sehen des Weiteren einen Zusammenhang mit dem von Ihrem Onkel gesammelten Beweismaterial dafür, dass Handelsunternehmen, die sein ehemaliger Mandant Abner Brown besaß oder kontrollierte, sowie Abner Brown persönlich, in eine Vielzahl von kriminellen Aktivitäten verwickelt waren, und mit der vermuteten Absicht Ihres Onkels, dieses Beweismaterial den Strafverfolgungsbehörden zukommen zu lassen? Ist das ebenfalls korrekt?
Ja.
Als Ihr Onkel ermordet worden war, fiel es also Ihnen zu, dieses Beweismaterial dem U. S.-Bundesanwalt für den Southern District zu übergeben, ebenso wie zusätzliche Beweise, die Ihnen nach dem Tod Ihres Onkels in die Hände kamen?
Im Wesentlichen stimmt das, erwiderte ich, aber es war eine komplizierte Verkettung von Ereignissen.
Der Staatsanwalt las seine Fragen offenkundig von dem vor ihm liegenden Blatt ab, auf das er immer wieder blickte, und wollte sich nicht vom Skript lösen.
Richtig. Auf diese Komplikationen werden wir noch eingehen müssen, aber vielleicht nicht heute. Inzwischen könnten Sie den Bericht bestätigen, den wir vom Bedforder Polizeichef Mahoney erhalten haben. In dem Sie betreffenden Teil besagt er, dass die Einsatzleiterin vom Dienst gestern Abend um 23:22 Uhr einen Anruf von Ihnen entgegennahm, in dem Sie meldeten, dass im Haus von Mr und Mrs Simon Lathrop an der Penwood Road in Bedford Corners ein Gewaltverbrechen begangen werde. Korrekt?
Ja.
Würden Sie uns erklären, wie Sie sich dieses Wissen aneigneten? Mr Bruni hat uns eine Zusammenfassung Ihrer Aussage am Tatort gegeben, aber wir würden sie für die Aufzeichnung gern noch einmal aus Ihrem Munde hören.
Selbstverständlich, antwortete ich. Es war ein Anruf bei mir zu Hause. Gleich nachdem der Anrufer aufgelegt hatte, prüfte ich, woher der Anruf gekommen war, und stellte fest, dass er von Simon Lathrops Anschluss in seiner Wohnung in Westchester getätigt worden war. Dann habe ich 911 gewählt. Wie lange der Anruf dauerte, den ich entgegengenommen hatte? Höchstens fünf oder sechs Minuten.
Dann beschrieb ich die Schreie und die Stimme, die mich angesprochen hatte.
Haben Sie eine Idee, wer der »Boss« sein könnte, von dem der Anrufer sprach?
Nein, antwortete ich. Ich habe absolut keine Ahnung.
Können Sie uns etwas über Ihre Beziehung zu Mr und Mrs Lathrop sagen?
Er war der beste Freund meines Onkels Harry in der Kanzlei Whetstone & Jones und sein Kommilitone an der Harvard Law School. Ich glaube, beide wurden im gleichen Jahr Partner der Kanzlei. Ich habe Mr Lathrop und auch Mrs Lathrop bei einer Party kennengelernt, die mein Onkel zur Feier der Publikation meines ersten Romans gab. Nach der Ermordung meines Onkels habe ich mich mehrere Male mit Mr Lathrop zum Lunch getroffen. Er hat mir geholfen, die Akten zu verstehen, die genaue Angaben über Abner Browns Verbrechen enthielten und die ich Mr Flanagan, dem Staatsanwalt für den Southern District, aushändigte. Ich war auch einige Male zum Dinner bei den Lathrops in ihrer Wohnung in der City. Vielleicht drei Mal.
Ich hatte mich entschieden, nicht mehr zu sagen. Ich hatte Ed Flanagan einiges verschwiegen: dass ich Abner Brown Kopien der Akten gegeben hatte, die ich der Staatsanwaltschaft am Tag danach aushändigte, dass ich dabei gewesen war, als Abner sie las und das Ausmaß seines Ruins erkannte, dass ich mitangesehen hatte, wie er sich die tödliche Dosis Insulin spritzte, und dass Simon Lathrop mir gesagt hatte, Abner werde genau am fraglichen Tag in der City sein. Diese Informationen hatte ich nicht unaufgefordert geben wollen. Hätte Flanagan sich auch nur mit einer Frage danach erkundigt, hätte ich rückhaltlos geantwortet, daran zweifelte ich nicht. Nun hatte er aber nicht gefragt, und jetzt war es mir unbehaglich, Curley mehr zu sagen als Flanagan. Womöglich tauschten die beiden sich aus, und ich wollte Flanagan nicht in die Verlegenheit bringen, von Curley Fakten hören zu müssen, die seiner Ermittlung dienlich sein konnten, die er aber versehentlich nicht eruiert hatte.
Das ist eine klare Aussage, sagte der Staatsanwalt. Machen wir weiter. Sie haben den Tatort gestern gesehen. Haben Sie irgendeinen Verdacht, fällt Ihnen jemand ein – nehmen wir an, es handelt sich um einen Kranken, Gestörten –, der ein Motiv haben könnte, dieses Gemetzel zu begehen oder in Auftrag zu geben?
Das habe ich mich auch gefragt, antwortete ich. Aber mir fällt niemand ein. Mr Lathrop war ein nobler Gentleman der alten Schule, freundlich und liebenswürdig. Mein Eindruck beruht auf unseren eher seltenen Begegnungen. Mein Onkel hat mir gesagt, dass er auch ein außergewöhnlich fähiger und hochgeachteter Anwalt war. Wirklich ein wunderbarer Mensch. Undenkbar, dass er mit Kriminellen von dieser Sorte etwas zu tun hatte.
Und dann kam mir ein Gedanke, und ich hob die Hand wie in der Schule, wenn man etwas sagen möchte.
Eines sollte ich vielleicht doch erwähnen, Mr Curley, sagte ich. Mir ist gerade eingefallen, dass es wichtig sein könnte. Als ich Genaueres über die Begleitumstände herausfinden wollte, die zum Tod meines Onkels geführt hatten, stellte ich fest, dass die persönlichen Dokumente meines Onkels in seiner New Yorker Wohnung und seinem Haus in Sag Harbor gründlich durchsucht worden waren, und zwar im Auftrag des Mannes, der damals Chef der Anwaltskanzlei war, ein gewisser William Hobson. Und seine persönlichen Unterlagen in der Kanzlei waren schlicht verschwunden. Dann fand ich heraus, dass Hobson meinen Onkel zwingen wollte, sich aus der Kanzlei zurückzuziehen, und zu diesem Zweck unter den Partnern das Gerücht verbreitet hatte, mein Onkel sei senil oder dement geworden. Das war absolut unzutreffend. Ich habe Mr Lathrop von diesen Intrigen berichtet. Er war empört. Seine eigene Untersuchung bestätigte, was ich ihm berichtet hatte, und führte ihn zu dem Schluss, dass Hobson und dessen Schwager, ein gewisser Fred Minot, ein anderer Partner, ebenfalls Anwalt für Treuhandvermögen und Nachlässe, gegen das Berufsethos verstoßen hätten – wie er ihr Benehmen sonst noch charakterisierte, habe ich vergessen. Das unethische, unprofessionelle Verhalten der beiden hatte zur Folge, dass Lathrop und eine Gruppe anderer Seniorpartner taten, was getan werden musste, um Hobson zu feuern. Hobson hatte übrigens meinem Onkel bei den Arbeiten für Abner Brown assistiert. Mr Lathrop vermutete, dass Hobson auf Browns Anweisung gegen Harry intrigiert hatte. Jedenfalls verließen Hobson und Minot die Firma und wurden Partner in einer Sozietät in Houston, unter Mitnahme von Abner Browns erheblichen juristischen Aufträgen. Ich erwähne all diese Vorfälle, weil Hobson und Minot die beiden Einzigen sind, von denen ich weiß, dass sie Mr Lathrop verfluchten. Aber darauf kann man nicht zurückführen, was in der Penwood Road geschah, das erscheint mir zu weit hergeholt und grotesk.
Das ist wahrscheinlich richtig, sagte der Staatsanwalt, aber es ist richtig von Ihnen, uns auf diese Umstände aufmerksam zu machen.
Ich habe Hobson gerade gegoogelt, sagte Edwards. Zurzeit ist er Vorstandsvorsitzender der Abner Brown Holdings. Sie steht anscheinend in der Brown'schen Unternehmensstruktur an der Spitze. Wir sollten uns die Anteilseigner und ihr Umfeld näher ansehen.
Der Staatsanwalt nickte. Gute Idee. Zurück zu Ihnen, Mr Dana, haben Sie überlegt, warum die fragliche Person – wahrscheinlich einer der Mörder – Sie angerufen hat, damit Sie die Schmerzensschreie hören mussten? Sie sagten, er habe Ihnen erklärt, der Boss wolle, dass Sie zuhören. Haben Sie eine Idee, wer der Boss sein könnte?
Ich möchte mit Ihrer zweiten Frage anfangen, erwiderte ich. Wie schon gesagt, habe ich keine, absolut keine Ahnung, wer dieser Boss sein mag. Und Ihre erste Frage habe ich mir selbst immer wieder gestellt, und mir ist nur eine einzige Antwort darauf eingefallen: dass mir jemand Angst machen, mich warnen will. Aber wovor warnen? Wer würde mir Angst einjagen wollen? Ich weiß es nicht. Abner Brown hat seinen Berufskillern oder anderen Kulis Botschaften an mich eingetrichtert, zum Beispiel »Du bist der Nächste« oder »Du bist eine stinkende Leiche« – ekelhaftes Zeug, das seinem bizarren Humor entsprungen war. Aber er ist tot. Tote schicken keine Botschaften und inszenieren kein makabres Kaspertheater.
Nein, wohl nicht, sagte Curley zustimmend und sah mich prüfend an. Aber vielleicht Menschen, die diese Toten rächen wollen, wenn es denn solche Menschen gibt und wenn sie verrückt genug sind. Menschen, die Sie als den Architekten von Abner Browns Niedergang, vielleicht auch seines Todes sehen. Ich habe mir die Zeitungsausschnitte über seinen Tod durchgelesen. Menschen mit Diabetes Typ 1, die sich über lange Jahre Insulin gespritzt haben, werden sich kaum aus Versehen eine Überdosis von dem Zeug geben. Man könnte überlegen, ob er es mit Absicht getan hat, um sich das Leben zu nehmen.
Das war keine Frage, und ich schwieg.
Unterdessen versuchte der Staatsanwalt zu helfen. Ich glaube, Sie haben Recht, dass derjenige, der die Morde und den Anruf organisierte, Ihnen Angst einjagen will. Seinen nächsten Schachzug können wir nicht vorhersehen. Aber die Methode, die er wählt, ist so extrem, und die Morde sind so grauenvoll, dass ich glaube, es besteht Gefahr für Ihre Person. Stimmen Sie zu?
Auf jeden Fall bin ich Ihrer Meinung, dass wir den nächsten Schachzug nicht vorhersehen können, nicht einmal, ob es einen geben wird, antwortete ich. Ich verstehe auch Ihre Besorgnis, dass ich selbst in Gefahr bin, und ich habe vor, mich in Acht zu nehmen. Die Frage ist nur, vor wem und wie?
Der Staatsanwalt nickte und sagte: Ich denke, Sie werden implizit bedroht, und ich empfehle, Sie unter Polizeischutz zu stellen. Ich meine, dass Captain Morrison das mit Hilfe seiner Kontakte zum New Yorker Polizeipräsidium arrangieren kann.
Das mache ich gern, erwiderte der hochrangige Beamte aus dem Kriminalamt.
Dafür bin ich sehr dankbar, erwiderte ich, aber ich glaube, das ist wirklich unnötig und verfrüht. Ich kann recht gut auf mich selbst aufpassen, und mein Haushälter ist ein Chinese aus Hongkong, ein ehemaliges Mitglied einer Sonderabteilung der dortigen Polizei, die einem SWAT-Team gleichkommt. Zwei Personen haben ihn mir empfohlen, Martin Sweeney, ein pensionierter FBI-Spezialagent, mit dem ich gearbeitet habe, und mein engster Freund, der für die CIA arbeitet und mit Fengs Fall vertraut ist. Soviel ich weiß, gibt es beim FBI eine ausführliche Akte über Feng, auf die Sie sicher Zugriff haben. Wenn nicht, kann ich Martin Sweeney um Hilfe bitten. Feng ist der denkbar beste Leibwächter, und es wäre eine große Hilfe, wenn Captain Morrison oder ein anderer von Ihnen ihm eine Erlaubnis zum Tragen einer versteckten Waffe verschaffen könnte. Feng hat eine Daueraufenthaltserlaubnis für die USA, ist aber noch nicht eingebürgert.
Ich kenne Martin gut und werde mich mit ihm in Verbindung setzen, warf Edwards ein.
Wir schalten das Aufnahmegerät jetzt ab, sagte der Staatsanwalt, nur eins noch, bevor wir das tun. Wenn Ihnen irgendetwas geschieht, das mit diesem Fall zu tun hat, melden Sie es bitte umgehend Mr Bruni oder Mr Edwards. Das ist von höchster Wichtigkeit. Dürfen wir auf Ihre Kooperation zählen?
Eine andere Antwort als ein Ja schien unmöglich, also bejahte ich.
Danke, erwiderte der Staatsanwalt, während er das Aufnahmegerät abschaltete, und fuhr fort: Auf jeden Fall werden wir Mr Feng helfen. Mr Bruni wird das mit Unterstützung des Bureaus in die Wege leiten, wofür wir alle dankbar sind. Gleichzeitig möchte ich Ihnen aber dringend raten, unser Angebot auf Polizeischutz noch einmal zu überdenken. Wir haben es hier mit einer sehr üblen Angelegenheit zu tun, was auch immer dahinterstecken mag.
Ich denke darüber nach, sagte ich, und ich möchte betonen, dass ich Ihnen sehr dankbar bin. Darf ich fragen, wie Sie und die anderen Herren in diesem Fall vorgehen wollen, in dem es, wenn ich es richtig verstehe, keine einzige Spur am Tatort gibt?
Polizeiarbeit, Polizeiarbeit und noch mehr Polizeiarbeit, sagte der Bedforder Revierleiter. Und Hoffnung auf einen glücklichen Durchbruch. Wenn wir schon von Glück reden, hier in unserem County hatten wir Glück. Einen solchen Mord hat es hier seit Menschengedenken nicht gegeben. Wir erinnern uns wohl alle an den Fall Petit drüben in Connecticut vor ungefähr zehn Jahren. Der war fast genauso brutal wie das, was in der Penwood Road passiert ist, aber die Täter waren Landstreicher. Hier dagegen haben wir es mit einem gezielten Überfall zu tun.
Edwards und der Vertreter der Strafverfolgungsbehörde nickten zustimmend.
Der Staatsanwalt brach das folgende Schweigen. Wir brauchen Sie lebendig, sagte er mit einem freudlosen Lächeln. Also seien Sie bitte vorsichtig.
Dann dankte er mir für meine Kooperation und wünschte mir Glück.
Übrigens, ergänzte er, habe ich die Medien herausgehalten, damit Sie nicht in den unvermeidlichen Zirkus geraten, aber jetzt heben wir die Sperre auf, abgesehen von dem Anruf, den Sie erhalten haben. Da gilt strengste Geheimhaltung.
Sobald ich das Gebäude verlassen hatte, rief ich Feng auf seinem Handy an, und innerhalb von Sekunden, schien mir, war er mit dem Volvo da. Ich setzte mich auf den Beifahrersitz und nahm dankbar den Thermosbecher mit Kaffee, den er mir reichte.
Gibt es etwas Neues, Sir?, fragte Feng.
Nichts. Keine Fingerabdrücke, keine Fußspuren, absolut nichts, woran man sich halten könnte. Zusätzlich zur lokalen und zur Staatspolizei ist das FBI