Kinder der Eifel - Clara Viebig - E-Book

Kinder der Eifel E-Book

Clara Viebig

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Beschreibung

'Kinder der Eifel' ist der erste einer ganzen Reihe von Novellenbänden, die Clara Viebig über den Zeitraum von drei Jahrzehnten herausgegeben hat. In einer Vielzahl von Prosastücken, geographisch meist in der Eifel und deren Randgebieten angesiedelt, entfaltet die Autorin ihre erzählerischen Fähigkeiten. Für manche Kritiker sind die Novellen die literarisch bedeutendsten Schöpfungen Clara Viebigs. Sieben Erzählungen faßt der Band 'Kinder der Eifel' zusammen, wobei der Buchtitel sich auf alle gemeinsam bezieht – ohne daß eine der Novellen auch diesen Titel trägt. 'Simson und Delila', 'Am Totenmaar', 'Der Osterquell', 'Die Schuldige', 'Das Miseräbelchen', 'Die Zigarrenarbeiterin' und 'Margrets Wallfahrt' heißen die Erzählungen. In diesen frühen Werken Clara Viebigs ist deutlich die Nähe zu Zola und zum Naturalismus spürbar. Realistisch und packend wird das Leben der einfachen Leute beschrieben, die für die Naturalisten im Mittelpunkt des literarischen Interesses stehen. Für Clara Viebig sind das die Menschen der Eifel, die Bäuerinnen und Bauern, die Mägde und Knechte, der Förster und der Pastor, die Kinder und die Alten. Gefangen in der Arbeitswelt des Bauernhofes oder der Fabrik, vor allem aber schicksalhaft gebunden an die tief in jedem steckenden Wünsche und Sehnsüchte, entwickeln sich die Figuren – und mit ihnen das Geschehen der kraftvollen und spannenden Erzählungen, die auch nach gut einhundert Jahren die Leser von heute faszinieren.

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Clara Viebig

Kinder der Eifel

Novellen

RHEIN-MOSEL-VERLAG

Inhalt

Simson und Delila

Am Totenmaar

Der Osterquell

Die Schuldige

Das Miseräbelchen

Die Zigarrenarbeiterin

Margrets Wallfahrt

Simson und Delila

Auf der Landstraße von Manderscheid nach Kyllburg, eine halbe Stunde von der Neumühle im Grund, knarrt langsam ein Wagen bergan.

Es ist heiß, Hochsommer.

Auf dem Rücken des Pferdes kleben Schmeißfliegen, sie bohren sich ordentlich in das braune Fell ein. Das geplagte Tier schlägt ungebärdig nach rechts und links und wirft den langen Schweif über die Stränge.

»Hott – Harrüh!« Der verschlafene Fuhrmann ist abgestiegen und fuchtelt nun mit der Peitsche durch die Luft. »Harrüh, Brauner! Vermaledeites Schmeißzeug! Jeß, es dat en Hitz!«

»Jao, jao!« Sein Begleiter, ein Eifeler Bäuerlein im blauen Leinenkittel, die Hotte auf dem Rücken, wischt sich mit der flachen Hand den Schweiß ab, der ihm, mit Staub vermengt, grau und langsam übers Gesicht sickert. »Waor maacht Ihr heit, Mittler? Noach rum nach Kyllburg? Dat es en heiß Dour for Eier Peerd!«

»Hoa, hoa!« Der Kutscher ist, ohne zu antworten, plötzlich gesprungen und hat den Braunen fester am Zügel gepackt. »Willste ruhig giehn, dau Beest, wat michste for Fisematenten?!«

Das Pferd hat einen Satz zur Seite getan, daß die schweren Säcke auf dem Wagen durcheinanderfallen, als seien sie Bälle, und das Mehl, mit dem sie gefüllt sind, wie Puder durch alle Poren der groben Leinwand stäubt.

»Brr, Alder, brr!« Mit Anstrengung zerrt der Fuhrmann das Gefährt vom Rand der Straße zurück, denn steil geht’s zur Rechten hinunter; man sieht in ein Meer von grünen, breitästigen Wipfeln, ohne Weg und Pfad zieht sich ein Gewirr von Buchen und Tannen hinan.

Dort hat’s gerauscht. Aber kein Hase, kein Reh – ein großer, breitschultriger Mann in Förstertracht steht plötzlich auf der Straße und lacht, daß es durch die stille Mittagsluft dröhnt.

»Seht Ihr, Mittler, dat kömmt dervon, wenn mer sich verschwätzt und net Obacht giebt! Net viel gefehlt und der Gaul hätt’ probiert, wie et da unten is – Schlafmützen, paßt doch auf! Wenn Ihr im Winter Holz stehlt, könnt Ihr de Augen besser aufsperren!«

»Dän Hähr Fechter!« Die beiden reißen die Mützen vom Kopf: »Guden Dag, Hähr Fechter!«

Der Angeredete rührt lässig mit der Hand an den Jägerhut, zieht den Riemen der Flinte fester an und schreitet ohne weitern Gruß mit starken Schritten über die Straße; jenseits im Gebüsch verschwindet er.

Der Fuhrmann ballt die Faust hinter ihm drein: »Dau Schinner – dau Schinnaos! E su de Leit zo erschrecken –« Und dann das Pferd klopfend: »Ruhig, Alder, ruhig!«

»Jao, jao, e su es hän!« Das Bäuerlein seufzt und nickt kummervoll mit dem Kopf: »Uns Könner därfen net mieh in de Wald giehn, for Beeren zo sochen; dän alde Fraleiten, die Streisel raffen, schmeißt hän de Hotten om on om, se kennten wat Onrechs drein verstoch haon! Mer darf och ke bißche Gras mieh for de Ziegen afschnieden – on su es hän alleweil, alleweil kujoneren! Unsen alden Hähr Fechter, dän waor anners – jao, jao, e su en Kreiz!«

»Laoßt sin.« Der Fuhrmann legte dem Seufzenden die Hand auf die Schulter: »Laoßt nor sin, dän Pantenburg, dän krit sin Afzahlung, su waohr ech Johann Mittler heeßen – dat Söhnche, dat Söhnche, dat gitt naoch ebbes! E su ne Jong han ech noach net gesiehn! De gans Dag is hän im Wald; statts in de Schul zo giehn, strawätzt hän erum, kein Boom es em zo heih. Sei’m Vatter stritzt hän de Hasen für der Naos fort on schenkt se de arme Leit; dän Hubert kann ald dat Schießen so gud als dän Alden sälwer, on e su forsch es hän – on e su – ech weeß net wie! De Mädercher kucken als noach em, on hän es noach net gefirmt. Aogen haot hän e su schwarz wie Vogelkierschen. Letzt haon ech em gesiehn ze Himmerod on ze Großlittgen, hän es öweral bekannt. Mit sei’m Vatter duht hän sech net verdraogen; dän haot em ald su geschlaon, dat hän net mieh stiehn kunnt, äwer dä Jong es net zo ännern. Dat es en Mosjeh! Aewer mer haot hän doch e su gären – et soll mech wunnern – dat gitt noach ebbes – hoa, harrüh!«

Man war auf der Höhe, der Weg teilte sich in zwei Straßen. Geradeaus die breite Chaussee, zu beiden Seiten von Hochwald gesäumt, führte nach Kyllburg; links stand ein Wegweiser: »Abtei Himmerod« und darunter in kleinerer Schrift: »Forsthaus«.

»Lao wohnt hän«, sagte der Fuhrmann und wies mit dem Peitschenstiel hinüber zu dem Tannenbestand, der sich tiefdunkel nach links erstreckte.

»Jao, jao.« Der andere nickte. Dann ging’s mit Hott und Harrüh die breite Straße entlang. Noch knarrte der Wagen, noch knallte die Peitsche, dann war’s ganz still im mittäglichen Wald.

* * *

Die Wipfel der hohen Tannen stehen in Glut getaucht, wie goldene Tränen sickert Harz am Stamm nieder; auf dem Fußpfad aber, der sich unter den breiten Behängen durch smaragdgrünes Moos schlängelt, ist kühlste Dämmerung. Eidechsen huschen über den Weg, ein Eichkater lugt mit klugen Augen vom Ast. Kein Menschenlaut, kein Hüttenrauch, auch kein Vogellied; Singvögel sind selten im Eifelland, nur die bräunlichen Häher mit leuchtend hellblauen Flügelbinden jagen einander mit mißtönendem Schrei um die Stämme.

Eine große Einsamkeit!

Schier endlos scheint der Kunowald, der sich von Manderscheid nach Himmerod und weiter gen Wittlich zieht – Buchen, Eichen, Tannen, vielhundertjährige! Bäume, Bäume – nichts als Bäume. Und Hügel, Hügel, rundgewölbte Eifelhügel, wie Kuppen auf das Hochplateau gesetzt. Das Auge verliert sich im Gewirr von duftig blauen Schluchten und waldigen Bergrücken; hin und wieder ein Stück Heideland, mit rötlichem Teppich gedeckt.

Nichts rührt sich, das Wild hält sich versteckt, die Tannen strecken die breiten Äste ab, keine Nadel fällt.

Horch, eine Kinderstimme! Sie singt:

»Heija, bombaija

Wann annere Könner spiele giehn,

Moß ech bei de Wiege stiehn.

De Wieg’ gieht nor:

Rube – de – bub, rube – de – bub –«

»Ha, ha – ha, ha, ha!«

Der Gesang hatte geendet, ein lustiges Lachen folgte, hell und übermütig klang es durch die Stille. Dann rief eine Knabenstimme: »Noch ehs, Suß, sing noch ehs!«

Der Gesang hub wieder an:

»De Wieg’ gieht vor:

Rube – de – bub, rube – de – bub –«

»Rube – de – bub!« Beide Stimmen nahmen den Refrain auf; dazwischen ein Lachen, als wollten die Kehlen ersticken.

Schräg blinzelten die Sonnenstrahlen hinter die dichte Wand von jungen Tannen. Dort in der kleinen Mulde, halbverdeckt von riesigen Farnwedeln, saß ein Mädchen, ein schlankes, halbwüchsiges Ding. Der grobe Rock hing ihr zerfetzt um die braunen, mageren Beine, den wildsträhnigen Kopf hatte sie an einen Stamm zurückgelehnt, grüngoldene Lichter huschten über das lachende Gesicht. Sie wiegte sich hin und her, daß der Bube inihrem Schoß sacht geschaukelt wurde; seinen zerzausten Lockenkopf hielt sie in den Armen.

»Rube – de – bub, rube – de – bub – pardauz!« Sie warf die Beine plötzlich heftig auf die Seite, daß der Knabe von ihrem Schoß zur Erde kollerte; im Nu saß er wieder aufrecht und riß die Lachende an sich.

»Rube – de – bub!« Er faßte sie um den Hals und zog ihr Gesicht an das seine.

»Rube – de – bub!« Sie hielten sich umschlungen, und hin und her wiegend, küßten sie sich. Immer wilder wurde das Wiegen, immer stürmischer das Küssen, sie lachten wie die Tollen. Der Schweiß lief ihnen über die glühenden Gesichter – nun hatte es ein Ende, sie konnten nicht mehr. Der Bube ließ das Mädchen fahren und warf sich mit einem tiefen Seufzer der Länge nach ins Gras: »Ah!« Er verschränkte die Arme unterm Kopf und starrte mit den schwarzen Augen hinauf zum tiefblauen Himmel.

»Suß, erzähl noach ebbes!«

»Ech weeß neist mieh!«

»Willste mer gleich ebbes erzählen – willste! Suß, dau frech Dingen, ech kößen dech sons mausdud!«

»Ne-e, ne – ha, ha!« Ihr Rock flog schon um den nächsten Stamm. »Feng mech, Hubert, feng mech!« Die nackten braunen Füße huschten durchs Gras, die wilden Haare wehten ihm dicht vorm Gesicht – nun war sie weg, er ihr nach, zwischen den Tannen durch ging die Jagd. »Feng mech, Hubert, dau kriehst e Kußchen!«

Husch, die Farnwedel knickten – nun war sie hier – nun dort! Hinter jenem Stamm blitzten ihn ihre kecken Augen an – da – ihr Rock hing fest – mit einem Jubelschrei sprang er auf sie los:

»Halali!« Schon streckte er die Arme aus – plötzlich wurde ihr lachender Blick scheu, sie hob warnend die Hand – ein Ruck, ein paar Fetzen hingen am Gestrüpp, sie selbst war im Buschwerk verschwunden. Vor dem Knaben stand die hohe Gestalt des Försters.

»Marsch fort, nach Haus, Rumtreiber! Wer war das Mädchen, das eben fortlief?« Die Stimme des Vaters grollte, er packte den Sohn am Kragen und stieß ihn vor sich her. »Wer war das? Sag!« Die kräftige Faust schüttelte den Buben. »Willste et gleich sagen?«

»Nein!« Der Knabe stieß es zwischen den Zähnen hervor.

»So, du Strolch, denkste, ich weiß et net? Ich sag’ der, treff’ ich dich noch emal mit der Susanna Endenich, ich schlag’ der alle Knochen im Leib entzwei un ihr auch. Dat sollt’ mer fehlen, mein Jung sich mit dem Bettelmensch herumtreiben – haste mich verstanden?«

Der Bube senkte den Kopf, eine tiefe Röte war ihm langsam in die Stirn gestiegen, seine niedergeschlagenen Augenlider zuckten, aber er sagte nichts.

»Haste mich verstanden? Antwort!« Ein ermunternder Puff traf den Knaben in den Rücken

»Ne – de Susanna Endenich is ke Bettelmensch!«

»Kein Bettelmensch?« Der Vater lachte rauh. »Hör einer! Wer hat kein Brot im Dorf, wem fällt das Dach überm Kopf zusammen, wer geht in den Wald und stiehlt Holz? Da heißt es gut: mer suchen Besenreis! Wer legt Schlingen für de Hasen? Wer läuft in Lumpen? No, sag!«

»Se sein arm!«

»Arm – ha, ha – arm?! Bettelpackasch sind se all zusammen, der alte Endenich, sein Madam samt der kleinen Brut – dat hat jetzt en End! Hubert, ich sag’ der in allem Ernst, du gehst mer net mehr zum Besenbinder Endenich – und dat Mädchen läßte laufen, sonst –.« Der Förster mäßigte plötzlich die erhobene Stimme: »Gut, daß de zu Micheli gefirmt wirst, ich bring’ dich rum nach Wittlich zu Kaufmann Kortz in de Lehr – dann hat die Lumperei überhaupt en End!«

»Mech – mech?« Der Sohn hob den Kopf, wie Todesangst flog es über sein Gesicht. »In de Lehr – in de Stadt – fort aus em Wald?!« Er atmete tief, mit einer heftigen Bewegung griff er nach der Hand des Vaters. »Net in de Stadt, net in de Stadt – ech giehn net daor! Ech will net an Kortzen!« Des Knaben Lippen zitterten, er preßte seine beiden Hände fest um die schwielige Faust. »Ech duhn ales dir zo lief, nor laoß mech hei, laoß mech Fechter gänn!«

»Nix da!« Der Mann machte sich unsanft los. »Fürderhand bin ich das, ich allein; en unnützen Brotfresser brauch’ ich net im Haus. Was da, Förster?! Du denkst wohl, das is weiter nix als im Wald erum ze lungern? Du wärst der rechte, da hätten die Holzdieb alle Tag Kirmes un mit den Wildrern wärste gut Freund – ne, mein Sohn, du gehst nach Wittlich, Kortz wird dir schon Conduiten lehren bei de Siropfässer – punktum, sag nix mehr – punktum!«

Das letzte Punktum dröhnte durch den Wald, wie ein Echo hallte es aus den Tannen wider. Vor des Knaben Augen schwankten die grünen Bäume hin und her, sie winkten ihm. Wie war die Sonne so golden, die Luft so köstlich! Seine Brust dehnte sich, als wollte sie zerspringen – und das alles lassen? Nie, nie! Sein Fuß stampfte heftig den Boden, seine Augen blitzten, er stemmte beide Fäuste in die Seiten und warf den Kopf zurück. So stand er dem Vater gegenüber.

»Nie – ech giehn net an Kortzen, ech bleiwen im Wald – schlao mech dud!«

»Du gehst net? No wart – heilig Kreuzdonnerwetter, verfluchtes Luder!« Die Ader auf der Stirn des Försters schwoll, der Jähzorn übermannte ihn; er stieß den Sohn, daß der zur Erde taumelte, er trat ihn mit dem Fuß in die Seite, er drückte ihn mit dem Knie nieder und zerrte ungestüm am Riemen seiner Büchse, der wie gemacht war, dem Widerspenstigen eins aufzuzählen. Der Junge, die Zähne aufeinandergebissen, gab keinen Laut von sich, der Schweiß perlte ihm auf der Stirn, er war totenbleich. Schon schwang der Vater den Riemen – da – ein blitzschnelles Sichumwenden, ein Kollern über den Boden – die geschmeidige Gestalt rollte den dichten Gebüschen am Abhang zu – nun richtete sie sich auf die Füße – ein Rieseln, ein Rutschen im Schiefergeröll – ein Rascheln im Laub – ein Brechen von Ästen – fort war sie!

Der Förster stand allein. Mit wutverzerrtem Gesicht, auf der Stirn die Ader wie ein glühender Streifen, starrte er dem Flüchtling nach: Das war zu viel! Das sollte er büßen!

* * *

Über acht Tage waren es, seit Hubert Pantenburg nicht heimgekommen. In der Försterei war’s stiller denn je zuvor. Wie ausgestorben lag das weißgetünchte Haus am Waldrand, an der Fahrstraße, die über Kloster Himmerod nach den Dörfern Großlittgen und Eisenschmidt führt. In früherer Zeit war es hier belebter, da rollte zweimal täglich die Post vorüber, der Postillion blies das Horn, Fremde stiegen aus, um den Waldpfad ins Salmtal hinunter zu wandern und die Ruinen der Abtei Himmerod anzustaunen. Jetzt hat der Postverkehr einen andern Weg genommen, nur wenige Fußgänger, noch weniger Wagen kommen vorüber. Die Frau Försterin hatte weiter nichts zu sehen als die Ebereschenbäume zur Seite der Straße mit ihrer Last brennend roter Beeren.

Sie saß hinter den Scheiben und nähte, den sauber gescheitelten Kopf tief auf die Arbeit geneigt. Nun ließ sie die Hände mitsamt dem Stück Weißzeug in den Schoß sinken, sie seufzte tief, und eine Flut brennender Tränen schoß ihr jäh über die Backen. Erschrocken blickte sie um sich – Gott sei Dank, er hatte es nicht gesehen! Verstohlen wischte sie die Tränen ab und hielt sich die Näherei dicht vor die Augen.

»Heulste schon wieder?« Wie spöttisch und hart die Stimme des Försters klang! Er saß am Tisch, ein großes liniiertes Eintragebuch vor sich. Nun legte er die Feder so unsanft nieder, daß sie spritzte und ein Regen schwarzer Perlchen über das Papier sprühte. »Daß de Weiber alleweil flennen müssen – spar dein’ Tränen for was Besseres – dän frechen Lümmel wird schon heimkommen, wann ihn der Hunger treibt!«

»Ach Jesses, Willem, red net so!« Die Frau wandte das leidvolle Gesicht ihrem Mann zu. »Red net e so! Du has ja selber Angst!«

»Ich?!« Pantenburg sprang auf, daß der Stuhl hinter ihm zu Boden polterte. »Mag der – der Rumtreiber im Wald liegen un verfaulen, ich rühr’ kein Finger, un kommt er heim« – er griff sich heftig in den langen schwarzen Bart, und ein drohendes Licht flammte in seinen tiefliegenden Aufgen auf – »dann – dann–«

»Willem, Mann«, – Annamargret Pantenburg legte ihre verarbeitete Hand auf den Arm des Zornigen – »sei gut – kuck, ich vergehen vor Angst!« Sie brach in ein schmerzliches Weinen aus.

Der Mann brummte etwas Unverständliches und schob mit einem rauhen Griff ihre Hand von seinem Arm. Sie faßte wieder danach, ihre Stimme klang flehend: »Willem! Et is unsen Einzigen, denk dadran! Du bis auch emal jung gewest! Er hat was von dir – aber er hat e so en weich Herz, en Herz wie Butter, ich kennen et – wann dän Jung sich en Leids antut – Willem, da begrab mich nur gleich, ich mag nimmeh leben!« Sie warf die Arme über den Tisch und den Kopf darauf, ein jammervolles Schluchzen erschütterte ihre schmächtige Gestalt.

Mit starken Schritten ging der Förster in der kleinen Stube auf und nieder, sein düsterer Blick traf die Weinende. Ja, da lag sie über dem Tisch, das gebrechliche Weib, ein Schatten von dem, was sie einst gewesen! Vor des Mannes Gedanken tauchte das frische, blonde Mädchen auf, das er vor sechzehn Jahren gefreit – noch gar nicht so lang her und die abgezehrte Heulliese daraus geworden! Er zuckte die Achseln und legte dann die Faust hörbar auf den Tisch: »Jetzt mach en End, Frau! Ich versprech der, kömmt den Hubert heut oder morgen heim, ich tu ihm nix.«

Die Weinende antwortete nicht – eine Pause – dann fuhr er fort und versuchte seiner Stimme einen versöhnlichen Klang zu geben: »Annamargret, was meinst du, wenn mer de dreitausend Taler, die du zu Wittlich hast, auf meinen Namen einschreiben ließen! Et wär’ sichrer – ich bin bang, wann den Hubert in Wittlich is un Wind dervon kriegt, der Jung wär’ imstand, ließ se sich auszahlen un macht da dermit nach Amerika. Et is klüger, Frau, se schreiben das Geld auf mich, da kann nix passieren – was sagste, hm?«

»Ne, ne«, – die Frau richtete sich auf und strich mit den zitternden Händen die zerstörten Haare glatt – »dat Geld is dem Hubert seins –«

»No, natürlich«, unterbrach sie der Mann hastig, »das versteht sich. Ich mein nur wegen der Sicherheit –«

»Ne, laß nur, das Geld is ganz gut e so eingeschrieben, ich will nix ändern.«

»Wie de willst – Weiber sind allemal dumm!« rief der Förster grob und griff nach der Türklinke; schon im Hinausgehen wandte er sich noch einmal um: »Also, wann dein Hubert heut oder morgen kömmt, soll et vergessen sein, aber sonst –.« Er machte eine bezeichnende Handbewegung und warf krachend die Tür hinter sich ins Schloß.

Die Frau war allein. Sie sank auf den nächsten Stuhl und faltete die Hände ineinander, mit brünstigem Flehen richtete sich ihr Auge nach oben: »O, du mein Heiland, mit deinen blutigen Wunden, du süßes Herz Jesu, erbarm dich mein um deiner hochgebenedeiten Mutter willen! Meine Brust ist zerrissen, als seien sieben Schwerter drein – o Jesus, Maria, Josef, mein Kind, mein Kind! Wo is er, was tut er? Ich such’ ihn mit Tränen. Maria, Muttergottes, laß du ihn mich finden! Ich gelob’ der eine Wallfahrt nach Kloster Buchholz, ich geloben der zwei Wachskerzen so dick wie mein Arm – Hubert, Hubert, wo biste? Komm zu mir!« Sie streckte sehnsüchtig die Arme aus. »O, du mein Schmerzenskind, komm wieder, komm zu deiner armen Mutter! Hubert, Hubert!« Die ausgestreckten Arme fielen ihr schlaff herunter, sie sank in sich zusammen; so saß sie lange.

Nichts regte sich im Zimmer, nur die Uhr tickte, an der Scheibe summte eine verflogene Biene. Graue Schatten krochen die Wände entlang, es ward dämmerig. Wieder ein Abend da – und er kam nicht!

* * *

Das Abendessen im Forsthaus war vorbei, schweigend hatten sich die Eheleute gegenübergesessen.

Der Mann hatte wacker zugelangt, der Frau quollen die Bissen im Munde.

Nun waren Suppe und Kartoffeln abgetragen, der Förster saß ihm Lehnstuhl, das Kreisblatt vor sich, und schmauchte; die Stube war mit blauem Dunst gefüllt.

In der Küche wusch die Försterin die Schüsseln, sehnsüchtig glitt ihr Blick durch das kleine Fenster; es schaute hinaus in den Wald, der sich hier unmittelbar an die Rückseite des Hauses drängt. Da drinnen war er wohl. »O Hubert!« – Ein leises Pochen an der Scheibe ließ sie zusammenschrecken – war das ein Vogel, der vorüberstreifte? Ein Rascheln, ein Knistern draußen. Sie näherte ihr Gesicht dem Fenster und schreckte zurück: zwei glänzende Augen hatten in die ihren geschaut, zwei Reihen blendender Zähne sie angelacht. Wer war das?

Sie öffnete, eine leichte Gestalt schwang sich aufs Fensterbrett; im Mondlicht, das zitternd hereinbrach, sah sie in ein sommersprossiges, keckes Mädchengesicht – war das nicht die wilde Suß aus Großlittgen, dem Besenbinder Endenich seine?

»Pst, pst!« Das Kind schwang sich vollends hinein und faßte nach der Hand der Frau: »Kummt, Eier Hubert es hei, hän will Eich sprechen!«

»Mein Hubert – wo – wo?!« Die Försterin riß die Schürze herunter, wie verwirrt fuhr sie sich am Leibe auf und nieder. »Kind, wo is hän, wo?«

»Kutt nor!« Die Kleine wies nach der Küchentür, hastig schob die Frau den Riegel zurück; sie standen draußen auf dem schmalen Höfchen, zwischen Wald und Haus. Im Stall grunzte das Schwein, die Ziegen meckerten dumpf – die Försterin blieb stehen und sah sich zitternd um. Wenn er es merkte!

»Kutt nor, mer giehn eloa eröwer«, drängte das Mädchen und zeigte auf den kunstlosen Stangenzaun. Wie eine Katze kroch es hinüber, schwerfälliger folgte die Frau.

Nun standen sie im Wald – Gott sei Dank, drüben im Haus war alles ruhig! In der Küche brannte die Lampe im offenen Fenster, sie flackerte ein wenig im Zugwind. Welch eine Nacht! Der Himmel voll unzähliger Sterne, wie große, leuchtende Augen blickten sie nieder, und der Mond, als volle, runde Scheibe, goß ein wunderbares, blauzitterndes Licht über die Erde. Selbst im dicksten Wald war’s nicht ganz dunkel, deutlich erkennbar huschte die Gestalt des Mädchens den schmalen Fußpfad entlang; die Försterin folgte, die Hände auf das klopfende Herz gedrückt. In den Büschen rauschte allerlei Getier, ein Kauz rief vom nächsten Baum: »Kiwitt – kiwitt!« Suß lachte und antwortete leise, halb rufend, halb singend: »Komm met – komm met!« Dann sprang sie weiter.

Jetzt waren sie eine Viertelstunde gegangen, lautlos, ohne ein Wort miteinander zu reden; die Försterin kannte den Schleichweg nicht. Plötzlich blieb das Mädchen stehen. Eine Lichtung im Wald – strahlendes Mondlicht über dem Rasengrund – mitten darauf, wie ein Zauberspuk, die Ruinen der Abtei Himmerod! Mit einem »Ah!« hielt die Frau den Schritt an, selbst das sorgende Mutterherz vergaß für Augenblicke seine Ungeduld.

»Gel, dat es scheen?« Suß wies mit einer stolzen Gebärde auf den Wunderbau. »Dat haot Ihr noach net e su gesiehn, Madam? Jao, wann dän Hubert on ech Geld haon, dann kaafe mer ons dat Klösterche vom heiligen Bernhard, äwer mer maache en Schloß daodraus on dän Wald wächst ringsom! Hui!« Sie stieß einen lustigen Pfiff aus und hüpfte von einem Bein auf’s andere, wie ein Kobold tanzte sie im Mondenschein.

Frau Annamargret schlug ein Kreuz: »Heilige Muttergottes, bewahr du meinen Hubert an Leib und Seel!« Fast widerwillig folgte sie dem Mädchen.

Immer massiger tauchten die Ruinen auf, ungeheuer groß lagen sie im verklärenden Schimmer; sie waren der Försterin noch nie so erschienen. Da war das Riesenportal, frei, ohne jede Stütze stand es im Rasen; über der Tür die Steinurne, daraus ein flammendes Herz lodert, über den Wappenschilden zur Rechten und Linken statt des Kreuzes kecke Tannenbäumchen. Aus den Ritzen und Fugen der Quadern lange Weidenzweige, wie wehendes Haar. An jedem Blatt, an jedem Hälmchen silberne Tautropfen gleich tausend Juwelen. Fernab rauschte die Salm – ringsum der Wald, eine dunkle Riesenmauer – als Dach über allem der Himmel, groß und weit.

»Jao, da sitzt hän als en Frech im Keller on laustert!« Das Mädchen kicherte in sich hinein und faßte die Hand der Frau: »Ech moß Eich eweil föhren!«

Es ging durchs Portal rechts ab, hohes Gras reichte den vorsichtig Schreitenden fast bis zum Knie – jetzt ein paar Trümmerhaufen – Schutt, Geröll – man rutschte, man kletterte – und nun hohe Steinbogen, ein langer, wohlerhaltener Gang, durch dessen schöne gotische Fensterhöhlen das Mondlicht flutete und der Nachtwind säuselte. Die Försterin schauerte, bis hierher war sie sonst nie geraten.

»Wo sind wir?« Sie erschrak vor der eigenen Stimme, die unheimlich von den Bögen widerhallte. »Was is das?«

»Dän Kreizgang«, sagte die Führerin gleichmütig. »On nau böckt Eich, eweil haot et en End, wir mössen nau ebbes krabbeln!« Niedergleitend zog sie die Försterin vor ein Loch in der Wand, unheimliche Finsternis gähnte ihnen entgegen, eine schaurig kalte Luft strömte heraus.

»O Jesses!« Frau Annamargret schauderte zurück. »Da drin is den Hubert?«

»Jao, jao – Ihr haot keen Angst nedig, hän duht schlaofen, sunst wär’ hän als hei!« Die Kleine kauerte auf die Füße und duckte sich, sie riß die Zögernde mit hinab. Ein Rutschen und Rieseln von Erde und Steinchen – ein Wirbel von Staub. »Wuptich!« lachte Suß. Unten waren sie. Wenige tastende Schritte im Dunkel, zur Seite stieß man an rauhe Wände, es roch nach Moder und Schimmel – jetzt hob sich das Gewölbe, sie standen in einem weiten, luftigen Keller. Ein Feuer brannte in der Mitte, daneben auf Moos und Heu lag eine Gestalt am Boden.

Das war er! Mit pochendem Herzen stürzte die Mutter vorwärts – da lag ihr Junge, den hübschen Krauskopf behaglich ins Heu geschmiegt, und schlief so sanft und fest wie daheim in seinem Bett. Die Röte der Gesundheit glühte ihm auf den Wangen, die vollen Lippen spitzten sich vergnügt, die kräftige Brust hob und senkte sich gleichmäßig.

»Hubert!« Es zitterte etwas Unbeschreibliches durch das Mutterherz – halb Schreck, halb Freude – sie fiel neben dem Schläfer auf die Knie: »Hubert!«

Der Knabe öffnete sofort die Augen, sie glänzten freudig; mit einem Laut des Entzückens schlang er beide Arme um die Kniende und drückte seinen Kopf an ihre Brust: »Modder, mei Modder!«

Mit zitternden Händen streichelte Annamargret Pantenburg die verwilderten Locken ihres Sohnes, dann schob sie ihn sanft von sich: »O Hubert, wat machste uns for en Kummer!«

»Uns?! Nä, Modder, dir! O, mei Modder, ech sein e su bang naoch der gewest – mein Modder!« Heiße Küsse brannten auf ihren Lippen, ihren Wangen, ihren Augen; dann richtete sich der Knabe plötzlich auf und sah ihr halb bittend, halb trotzig ins Gesicht: »Aewer, Modder, dau durfs mech net verraoden, dau durfs em net saon, wuh ech sein! Ech kommen nimmeh häm.«

»Hubert, Hubert!« Entsetzt hob sie die Hände: »Böses Kind, red net e so dumm Zeug! Was willste hier, was soll aus dir werden?«

»Noa, ebbes sehr Scheenes!« Er lachte sorglos, »en Jäger, Modder!« Dann verfinsterte sich seine Miene: »Hän haot gesaot, ech mößt nach Wittlich an Kortzen – ech kann net, ech kann net, ech ersticken hinner der Thek!« Der Junge griff sich nach dem Hals, als würge ihn dort etwas, seine Augen bekamen einen wilden, geängsteten Ausdruck wie ein Tier, das man in die Enge treibt. »Ech kommen nimmeh häm, hörste, ech kommen nimmeh häm!« Eine unbeugsame Entschlossenheit brannte in seinen Augen, fast männlich stark klang seine Stimme: »Ne, nimmeh! On wann ihr mech haalen duht, ech laafen doch widder weg.«

Annamargret Pentenburg sagte gar nichts; ihre Lippen bewegten sich nur, als murmelten sie die letzten Worte mit, ihr Blick hing unverwandt an dem Gesicht des Sohnes. Er gab diesen Blick zurück, trotzig, herausfordernd, ein noch tieferes Rot färbte seine frischen Wangen. Plötzlich zuckte er, die Mutter sank in sich zusammen und drückte wimmernd ihr Gesicht in die Hände: »Da begrab mich erst, Hubert – dann kannste gehn!«

»Modder!« Er griff nach ihren Händen und zog sie herunter, seine Augen füllten sich jählings mit Tränen: »Modder, Modder, hör uf, ech kaonn dech net weine siehn – Modder – lief goldig Modderche!«

»O, Hubert, du bis mein Einziges auf der Welt, was hab’ ich denn sonst? Alle Sonne geht weg mit dir, un ich bin wie im Grab. Hubert, du brichst mir et Herz! Hubert, kommt heim, sei gut, vertrag dich mit em Vater – mein Jung – mein Hubert, hör, was dein arme Mutter dich bitt!«

Sie streckte flehend die Hände aus, der Knabe schluchzte laut; über sein Gesicht jagten sich die wechselnden Empfindungen – Liebe, Furcht, Trotz, Verlangen – aber die Liebe siegte.

»Modder« – stockend kam es ihm von den Lippen – »werd dän Fechter mech schlaon?«

»Nein, nein!«

»Gewiß net?«

»Ne, ne, gewiß un wahrhaftig net!«

»Modder, äwer an Kortzen –«

»Laß jetzt Kortzen!«

»Aewer an Kortzen giehn ech net, ech giehn net!«

Er zitterte.

»Ne, ne, du sollst ja net, es findt sich alles! Komm nur nach Haus – o, du mein Jung, was hab’ ich für Kummer um dich!« Sie zog ihn an sich; halb widerstrebend, halb sehnsüchtig folgte er, wie betäubt lehnte sein Kopf an ihrer Schulter. Sie küßte ihm die geschlossenen Augenlider und machte das Zeichen des Kreuzes über ihn, dann strich sie ihm zärtlich mit sanfter Hand die wilden Locken aus der Stirn; Moos und Heu hafteten drin. »Mein Hubert, wie siehste aus – so schmutzig – das Wams zerrissen – mein armer Jung, wart nur, ze Haus tuste dich rein an, ich leg’ der dein Sonntagszeug an ’t Bett, derweile flick’ ich das andre – mein gutes Kind – un denk der, Hubert, wie wird sich der Waldes freun un de Diana! Die Hund haben net fressen mögen, seit du fort warst – gelt, Hubert, du freust dich?« Die Försterin sprach hastig, ohne Atem, dazwischen murmelte sie Liebesworte, unablässig streichelte ihre Hand seine Backe.

»Laoß, Modder!« Er machte sich frei und schritt dem Ausgang zu. »Komm!«

Eilig folgte Frau Annamargret und drängte sich dicht hinter den Sohn, plötzlich wandte dieser, wie suchend, den Kopf, seine Augen spähten in die dunklen Winkel des Kellers: »Suß!« Er streckte die Hand aus: »Suß, wuh biste? Adjüs!« Keine Antwort. Unruhig blickte er umher: »Modder, woar es dat Suß gangen?«

Die Försterin schüttelte den Kopf: »Ich weiß net, ich hab’ net auf sie geacht. Komm jetzt, komm!«

»Ne, ech moß et noach siehn. Suß, Suß!« Laut hallte der Ruf von den Wänden wider. »Es is net mieh hei!« Hubert ließ enttäuscht den Kopf sinken, dann folgte er der Mutter.

Kaum hatten die beiden das Gewölbe verlassen, so regte sich’s dort am Boden, im entferntesten Winkel. Hinter einem bröckligen Mauerrest kroch das Mädchen vor; es sprang zum Feuer und stieß die Brände auseinander, daß sie, Funken sprühend, verlöschten.

»Dän – dän –« Suß knirschte mit den Zähnen, ihre Augen schielten böse. »Hän haot ke Korasch net – dän Schmachtlappes – dän –« Sie faßte mit beiden Fäusten in ihre wilden Haare und riß sich wütend daran; in ihrem Gesicht zuckte es, als wollte sie weinen, gleich darauf lachte sie schadenfroh und krallte mit gespreizten Fingern in die Luft: »Hän kömmt widder!« Triumphierend nickte ihr Kopf, dann tastete sie sich beim letzten Verglimmen des Feuers zum Keller hinaus.

* * *

Hubert Pantenburg war zu Gnaden angenommen.

Was die Flüche des Vaters nicht vermocht, vermochten die Tränen der Mutter. Frau Annamargret ließ nicht nach. Alle Abend trat sie an’s Bett des Sohnes und flüsterte: »Mein Hubert, gelt, du bis gut, du tust dem Vater den Willen?« Am Morgen saß sie schon wieder da. »Mein Hubert, gelt, du tust deiner Mutter was zulieb?«

Kortzen und Kortzen und wieder Kortzen! Sie bettelte und weinte.

Die Seele des Knaben ward wund und müd. Er mochte kaum mehr in den Wald; er saß unter den Ebereschenbäumen an der Straße und sah mit brennenden Augen den Schwalben zu, wie sie sich auf den Telegraphendrähten sammelten. Die kamen von weit her, vom Rhein, aus den Tälern der Mosel; sie zogen über die Eifel auf ihrem Flug, sie enteilten in andere Länder. Die roten Ebereschen fielen, matt vom Reif, nieder auf die kotige Straße, der Wind zauste die Blätter – Herbst.

Hubert Pantenburg kannte sich selbst nicht mehr. Nun war er gefirmt, nun war er ein erwachsener Mensch, sagte der Kaplan; und doch hätte er weinen mögen wie ein Kind. Da kollerte ein braunes Blatt über den Weg, der Wind trieb es dem Walde zu – ja, ach ja, dahin hätte er auch gemocht! Nun kam ein zweiter Windstoß – das braune Blatt ward zurückgetrieben, hin wirbelte es, die Chaussee entlang, über die schmutzige, öde Landstraße.

* * *

»Unsen Hubert ist so verändert«, klagte die Försterin. Zitternd stand sie zwischen Vater und Sohn, bewachte jedes Wort, belauerte jede Miene; unzählige Gebete stiegen zur Muttergottes empor.

»Ich werd ihn schon kleinkriegen; siehste, er gibt als nach«, sagte der Förster triumphierend und scheitelte mit der Rechten den krausen schwarzen Bart.

Die Eheleute waren miteinander in der Schlafkammer; das Lämpchen brannte matt unterm Spiegel, vor dem Annamargret stand und die Nadeln zur Nacht aus den Flechten zog. Der Mann lag bereits im Bett, sein dunkler Kopf hob sich wie ein Fleck von den blau und weiß karierten Bezügen; mit halbgeschlossenen Augen folgte er den Bewegungen der Frau. Sie hatte reiches Haar von einem sanften, fahlen Blond; nun ihr die langen Zöpfe über den Rücken hingen, sah sie mit der schmächtigen Gestalt fast aus wie ein junges Mädchen. Das Lampenlicht flackerte über ihre milchweißen Arme.

Der Mann im Bett machte eine Bewegung, er richtete sich halb auf – draußen pfiff der Herbstwind und rüttelte an den Läden – solch eine Nacht war’s gewesen, als er mit seinem jungen Weib zum ersten Mal im Forsthaus schlief! Damals hatte sie ihm am Halse gehangen, mit schüchternen Lippen seine Küsse erwidert – damals – ja, da war der vermaledeite Bengel nicht, mit dem sie tat wie eine Verrückte! Seit der Bub in der Wiege gelegen, war’s aus. Früh verwelkt, unlustig zu ehelicher Zärtlichkeit, hatte sie nur Gefühl für den. Und ihr Geld?! Warum hatte er sie eigentlich geheiratet? Ein zynisches Lächeln glitt über sein Gesicht – es gab hübschere Mädchen mit heißeren Sinnen! Ja, ihr Geld, das hatte sie dem Bengel verschrieben, der ihm täglich das Blut in Wallung brachte, der alle Anlagen zum Strolch in sich trug! Förster Pantenburg war ehrgeizig, er hielt auf Reputation wie keiner. Der Sohn, der wie ein Zigeuner draußen herumlungerte, der mit des Besenbinders Tochter Freundschaft hielt, ging ihm gegen die Ehre – das mußte geändert werden! Und das Geld? Starb sie, so ging er, der Mann, leer aus. Donnerkreuz; das mußte geändert werden!

»Annamargret!«

Die Frau vorm Spiegel fuhr zusammen, sie hatte die Zöpfe gestrählt, dabei mit allen Sinnen gelauscht, ob droben auf der Bodenkammer nicht wieder die Füße des Sohnes ruhelos hin und her wanderten.

»O Jesses, er is e so verändert«, seufzte sie.

»Wer?«

»Nun, den Hubert! Ach, Willem«, fuhr sie mit plötzlichem Entschluß fort und drehte sich dem Bett zu, »Willem, gib doch den Gedanken mit Kortzen auf! Et bricht mir ’t Herz, wenn ich mei’m Kind immer zureden muß un seh’ doch, ich stoß’ ihn aus aller Freud – gieb doch den Gedanken mit Kortzen auf, ich bitt’ dich hundertmal!«

»Annamargret« – der Förster dämpfte seine Stimme zu einer ungewohnten Weichheit – »komm emal her!«

Verwundert folgte sie; er zog sie mit dem starken Arm näher heran zu sich auf den Bettrand.

»Was du for schönes Haar hast!« Er strich ihr mit der freien Hand über den glatten Scheitel und den Rücken hinunter. Verwirrt wollte sie aufstehen, eine tiefe Röte stieg in ihr bleiches Gesicht – das war so ungewohnt!

Der Mann zog sie wieder nieder, jetzt legte er gar den Arm um ihren Leib.

»Annamargret, is denn der Jung alles un alles, machste dir denn gar nix mehr aus mir? Es hat doch en Zeit gegeben, da war dir der Förster Willem net gleichgiltig – weißte, es war en Abend wie heut, da haben wir hier zum ersten Mal – hier am selbigen Platz –« Er faßte sie fester um den Leib und sah ihr mit einem Lächeln in die Augen, das ihr das Blut von neuem in die Wangen trieb. Sie atmete beklommen. »Gelt, Frau, du hast et auch net vergessen?!«

»Ich – ich –« Sie stotterte, sie schlug die Augen nieder – wie war er nur heut? Trunken war er nicht – aber sonst so grob, heut so freundlich?!

»Komm, Alte!« Er gab ihr einen herzhaften Kuß; sie bebte unter der ungewohnten Zärtlichkeit. »Siehste, laß den Jung nur erst zu Wittlich sein, dann sind wir wieder allein, dann ist’s wie zu Anfang. Wann ich net ewig gereizt werd’, bin ich en ganz traitabler Mann, du sollst et sehen, Annamargret!«

»Ach, Willem!« – seine Freundlichkeit gab ihr Mut – »ich tu’ ja, was du willst, ich red’ dem Hubert Tag und Nacht zu; aber et is mir e so schrecklich – laß den Jung doch Förster werden, weswegen denn net?« Sie faßte bittend seine Hand.

»Das verstehste net!« Pantenburgs Gesicht verfinsterte sich, aber die Stimme behielt den überredenden Klang – so redet einer einem Tier zu, wenn es aus der Hand fressen soll und mag nicht. »Glaub nur, ich durchschau den Hubert klarer wie du. Er hat den Hang zum Lungern; un der Wald is sein Unglück. Der is net gemacht, den Holzdieben auf die Finger zu passen un den Wilddieben eins aufzubrennen, der macht selber mit. Er muß weg, et is Ehrensach for mich!«

»Ach, den armen Jung!« Die Frau weinte.

›Heulliese!‹ schwebte es auf den Lippen des Mannes, aber er bezwang sich. »Ho, ho, wein doch net!« Mit der muskulösen Hand fuhr er ihr übers Gesicht und preßte dann ihren Kopf fest an seine Brust, unwiderstehlich fest; sie konnte sich nicht mehr aufrichten. Wie ein geknickter Weidenzweig hing ihm das Weib in den Armen. Er flüsterte ihr was ins Ohr – sie zitterte – sie schauerte.

Am Morgen war es beschlossene Sache, in acht Tagen kam Hubert nach Wittlich. Frau Annamargret wagte den Blick nicht aufzuschlagen; sie kam sich vor wie der eine, der den Heiland verraten hat.

* * *

Es war der letzte Tag vor der Abreise. Hubert Pantenburg schlenderte den so oft gegangenen Weg nach Großlittgen. Er blieb viel stehen und sah sich um. Da waren der Wald und die Berge, da war die Abtei mit ihrem Schlupfwinkel – Nebel drüber und blasser Himmel. Hubert wanderte mit finsterem Gesicht. Gestern zum letzten, hatte es noch einen Tanz mit dem Förster gegeben. ›Vater‹ sagte der Knabe nie. Beim Mittagessen war’s, Mutter und Sohn saßen schon wartend am Tisch; rauh lachend war Pantenburg eingetreten und hatte die Tür hinter sich zuknallen lassen: »Den haben mer!«

»Wen?« fragte die Försterin, halberschreckt.