Kinder der Erde - Jay Kay - E-Book

Kinder der Erde E-Book

Jay Kay

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Beschreibung

Endlich in einer Sammlung: Fünf der besten Geschichten aus dem Universum der Kinder der Erde. Fantasy so kompakt und doch so fesselnd wie es nur geht. In diesem Band sind drei Kurzgeschichten und zwei Gedichte über die erstaunlichsten Wesen dieser Erde enthalten. Das Abenteuer wartet. Hier zum ersten Mal zusammen in Neuauflage: - Iikitt - Engel der Frequenzen - Der Schrecken der Strasse - Steinfrau - Das Licht

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Jay Kay

 

Kinder der Erde

Die Vignetten

 

 

Die Geschichte

Was passiert, wenn Touristen eine Göttin besuchen?

Wie befreit man sich aus einer verlassenen Mine tief in den Bergen von Bolivien?

Und was kann man tun, wenn einem plötzlich der Schrecken der Straße begegnet?

Die Antworten auf diese Fragen finden Sie in den wundersamen Stories in diesem Buch. Eine Neuauflage und Sammlung der besten kompakten Geschichten aus dem Universum der Kinder der Erde. Sie sind die Legenden und Fabelwesen, die wir schon seit Urzeiten besingen und deren Abenteuer die Grundlage all unserer Sagen bilden. Und doch ist die Wirklichkeit noch viel abenteuerlicher.

 

Der Autor

Jay Kay ist nicht nur Schriftstellername, sondern seit jeher Spitzname des Verfassers dieser Geschichte. Wenn er keine Bücher schreibt, macht er die Weltmeere unsicher und die Unterweltmeere sicher. Er war schon Journalist, Übersetzer, Fotograf, Pressesprecher, Grafiker und Programmierer. Neben seiner Passion, dem Schreiben von Geschichten, lehrt er als Dozent an einer Privateinrichtung über Story, Scripting und Screenwriting.

 

Ebenfalls von Jay Kay

Fantasy:

Ich, Santa (Roman)

Iikitt (Vignette)

Engel der Frequenzen (Vignette)

Der Dachs, der Wind und das Webermädchen (Novelle)

Magischer Realismus:

Native American Girl (Roman)

Die Mäusekönigin (Roman)

Science Fiction:

Filona am Ende der Zeit (Roman)

Vi|gnet|te

In der Literatur ein kurzer (impressionistischer) Text, der sich auf einen Moment, eine Person, einen Ort, ein Objekt oder eine Idee bezieht.

Wikipedia

 

Auf den folgenden Seiten finden Sie eine Sammlung von Kurzgeschichten (sog. Vignetten) über die Kinder der Erde.

Vignetten sind kurze Geschichten, Novellen, Lyrik und kleine Erzählungen aus dem unendlichen Universum der wundersamsten Wesen auf unserem Planeten. Sie leben unter uns, unerkannt und das seit Jahrhunderten, manche würden behaupten seit Jahrtausenden.

Wer sind sie, was können sie und warum überhaupt?

Viele Erzählungen berichten über sie. Sagen und Märchen aus alten Zeiten. Was keiner je vermutet hat, in allem steckt nicht nur ein Körnchen Wahrheit. Sie haben diese Geschichten erfunden und ihre Bilder in die Köpfe der Menschen gesetzt. Sind es Feen, Geister, Fabelwesen, magische Kreaturen oder Naturgewalten und Meister über die Jahreszeiten?

So viele Fragen, so viele Antworten.

Bleiben Sie gespannt und tauchen Sie ein in das erstaunliche Reich jenseits unserer Wahrnehmung.

Kinder der Erde

Die Vignetten

Copyright Jay Kay 2024

 

eBook

1. Auflage

2024

Even Terms Press

Unt. Waldweg 10, 30974 Wennigsen

Lektorat / Korrektorat: EMB

 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

Titeldesign & Layout: jk

unter Verwendung von Motiven von Shutterstock

Satz: DTP Service Durchschuss, 62291 Versatz

Published in Germany

by Even Terms Press

 

 

Die Vignetten

 

Iikitt

Engel der Frequenzen

Der Schrecken der Strasse

Steinfrau

Das Licht

 

 

I.

 

»Idiot!«, murmelte ich mir zu. »Es muss sich was ändern.« Ich war drauf und dran einzuschlafen. Bei der Arbeit, mitten am Tag, sollte das eigentlich nicht passieren. Was noch schlimmer wog, mir fiel nichts mehr ein. Für den cleversten und schnellsten Lokalreporter meiner Stadt sollte das ausreichen, um sofort den nächsten Urlaub einzureichen.

Doch ich überlegte. Wann hatte ich zuletzt Ferien gemacht? War ich seit meinem Praktikum, seit meinem Volontariat, seit meiner Probezeit überhaupt irgendwo gewesen, außer in den Straßen meiner Stadt, immer unterwegs auf der Jagd nach den letzten Neuigkeiten, den aktuellen Vorfällen, den heißesten Trends.

Ich wusste die Antwort und mein Kopf sank auf den Schreibtisch. Alles war auf einmal so schwer.

Ich weiß nicht, wie lange ich in dieser Position verharrte. Meine Kollegen schwirrten um mich herum. Ich hörte sie kaum. Ich wollte sie nicht mehr hören. Die Welt tickte weiter und ich wollte vergessen zu ticken. Meine Stirn lag auf der Tischplatte, im Blick nichts als Weiß. Ich war froh, dass es offenbar niemandem auffiel, oder niemand störte sich daran. Vielleicht hielten sie es für meine neue Art der Meditation.

»Hey! Geht's dir gut?« Das war Kitti, unsere Redaktionsassistenz. Die unermüdliche Kitti, das Mädchen für alles, die Seele der Redaktion, zumindest die Seele in jedem gut gemachten Kaffee. Ein bisschen zu rundlich trotz der vielen Laufarbeit, die sie jeden Tag zu erledigen hatte. Nie zu übersehen, wenn sie mit ihrem leuchtend blonden Kraushaar durch die Gänge huschte, die dickgerahmte Hornbrille auf der Knubbelnase.

Sie rüttelte mich an der Schulter und ich schreckte auf.

»Du siehst aus, als wenn du Urlaub brauchst.«

Ich starrte sie für einige Sekunden wortlos an. Sie starrte zurück und ich sah, wie sie ansetzte, ihre rechte Augenbraue in die Position des Zweifels zu ziehen.

»Tatsächlich«, schoss ich hervor und ihre Bewegung ab. »Ich brauch Urlaub, ich muss hier raus.«

Ich stand auf, nahm mein Handy und war schon auf dem Weg ins Büro meines Chefs, da fragte sie: »Und wo soll's hingehen?«

Ich stockte.

»Tja, wohin?«

An der Wand des Büros hing eine riesige Weltkarte. Die Nationen waren in unterschiedlichen Farben gehalten. Von Türkis bis Himmelblau, von Rosa bis Pastellrot, von Achat bis Jadegrün war so ziemlich jede Schattierung vorhanden.

Keiner der bald 200 Staaten wollte einfach nur rot sein, oder simpel blau oder schlicht grün. Ich hatte mich schon immer gefragt, warum eigentlich nicht?

»Es ist doch ganz einfach«, warf ich Kitti über die Schulter zu. »Ich werde gleich zum Boss gehen und meinen längst überfälligen Jahresurlaub nehmen. Jeder hat das Recht, ihn nicht verfallen zu lassen. So wie ich das letztes Jahr getan habe.«

»Oder das Jahr davor … «, fiel sie mir ins Wort.

»Und ich fahre, wohin mich das Schicksal führt«, setzte ich unbeeinflusst fort.

Sie staunte mich respektvoll an.

»Ich nehme jetzt diesen Dartpfeil hier …«

Ich nahm den metallenen Pfeil mit den gelb-schwarz gestreiften Federn vom Büroschrank meines Nachbarn Barney. Der hatte eine Dartscheibe an einer Stellwand neben seinem Schreibtisch aufgehängt, auf die wir in der Mittagspause warfen.

»Und ich werde auf die Karte da werfen. Das heißt, ich werde ausholen, die Augen schließen und dann werfen. Wo der Pfeil landet, da fahr ich hin.«

»Leute! Macht ihr mal Platz da hinten!«, bölkte sie quer durchs Büro über die fünf Meter Cubicles hinweg, die mich von der Karte trennten.

»Mach mal«, forderte sie mich mit einem fetten Grinsen auf. »Egal, wen oder was du triffst. So viel Spaß hatten wir hier schon lange nicht mehr.«

Ich schenkte ihr eine Schnute, wand mich der Karte zu, holte aus, schloss die Augen …

… und warf.

 

 

II.

 

Ich konnte kaum glauben, was ich sah. Ein paar Mal mit den Lidern zwinkern, den Schlaf des langen Fluges aus den Winkeln kratzen und die müden Pupillen fokussieren.

Unter mir, noch gefühlte tausend Meilen entfernt, schimmerte die See so türkisblau wie sonst nirgends auf der Welt. Doch hier, in diesem tropischen Ozean, lagen die Inseln meines Ziels. Die winzigen Atolle der Kolibriden. Einst von mächtigen Vulkanen bis knapp unter die Wasseroberfläche gehoben und dann von kaum mehr als zerriebenen Korallen zusammengeschwemmt.

Ich drückte mir die Nase an der dicken Plexiglasscheibe des Lufttaxis platt. Mit einer Hand tastete ich nach meiner Kamera. Das musste ich aufnehmen. Ich wusste, jetzt war der Moment. Meine Ankunft am späten Nachmittag machte es möglich. Die Sonne schien tief in die Unterwasserwelt der Canyons zwischen den ringförmigen Inseln. Mein Rückflug war irgendwann in ein paar Wochen für den Abend geplant, da würde das Licht nicht mehr reichen.

Ich knipste und knipste. Glitzerndes Meer, weiße Strände und kreisrunde Lagunen. Dann kam das Wasser immer näher und schon setzten wir auf. Die Landebahn war hier überall.

Der Pilot propellerte uns bis an den Steg und helfende Hände luden mich und die paar Touristen, die mit mir gekommen waren, inklusive Sack und Pack an Land.

Freundlich verneigten sich die Eingeborenen, eine Blumenkette erhielt jeder Gast. Dann schnatterten sie schon wieder in ihrer ureigenen Sprache, untereinander und in dieses und jedes Handy. So viel Zivilisation hatte es offenbar auch an diese Küsten geschwemmt.

Die Luft kam mir dermaßen tropisch entgegen, dass sich im Nu ein Film aus Feuchtigkeit auf jeden Zentimeter der Haut legte. Der Wind trug den Geruch von Meer und ebenso der Insel mit sich. Sand und Salz, Palmen und Mangroven, Holz und Orchideen, das war es und noch viel mehr. Mir fehlten die Begriffe, um alles zuzuordnen, aber ich wusste, ich war endlich angekommen.

»Ich bin Pati«, sagte ein dunkelhäutiger Bursche neben mir. »Welche Koffer?«

Ich zeigte auf meine Mitbringsel.

»Zimmernummer?«, fragte er mit einem einladenden Lächeln.

»101«, antwortete ich.

»Eine gute Wahl, Sir«, lobte er. »Eine bessere Lage gibt es hier nirgends.«

»Tatsächlich?«, sagte ich voller Interesse. »Dann habe ich wohl beim Buchen Glück gehabt.« Und musterte dabei diesen Pati. Ein luftiges Hemd voll der knallbuntesten Blumen und hellgelbe Shorts, mehr brauchte man hier offensichtlich nicht, um die Jahreszeiten zu überstehen. Er trug nicht einmal Flip-Flops. Ich hatte meine vorsorglich im Flieger angelegt, aber ich hatte schon jetzt den Eindruck, auch für mich würde das hier eine Barfußinsel werden.

Sein Haar war glatt und kohlrabenschwarz, die Zähne perlweiß, als er mich angrinste.

»Willkommen im Paradies«, sagte er. »Darf ich Ihr persönlicher Betreuer sein?«

Ich nickte, er verneigte sich und nahm meine Koffer, um mich auf Zimmer 101 zu führen. Das war auf diesem Eiland eine kreisrunde Hütte unter einem Strohdach. Wie alle Apartments ein persönliches Haus, getrennt von allen anderen, umrahmt von nichts als weißem Sand und ein paar niedrigen Büschen. Ein Schlafraum in der Mitte, ein Schlauch von Bad, der sich an die handverputzten weißen Wände schmiegte, und schöne, kühle Fliesen am Boden zwischen hochaufragenden Palmen. Das war es schon.

Die warme Luft des aufkommenden Abends wehte durch die offenen Türen herein. Ich sank auf das Bett und verbrauchte meine Zeitverschiebung im Schlaf.

 

 

III.

 

In den nächsten Tagen tat ich alles, was ich meinte, im Urlaub tun zu müssen. Ich brutzelte am Strand, schnorchelte jede Viertelstunde mit den Schildkröten um die Wette und verchillte die Abende an der Inselbar.

Trotzdem ich mich nur im Schatten aufhielt, wurde ich so schnell braun wie kein anderer Gast, der mit mir angekommen waren. Ich war der Typ dafür. Noch ein bisschen Hautschutz hier und da. So ließ ich dem Sonnenbrand keine Chance. Schon nach einer Woche hatte meine Haut die Farbe der Eingeborenen angenommen.

Dann stand mir der Sinn nach Abenteuer. Ich lieh mir eine Tauchausrüstung und verbrachte einige Stunden in Gesellschaft der Korallen und kleinen Fische an der Außenseite unseres Atolls. Bis auf den sandigen Grund zwischen den Inseln tauchte ich herab. Dort gab es keine Felsen mehr, nichts als versunkenen Sand, soweit das Auge reichte. Schneeweiß und flächig zog er sich dahin. Mit einem hübsch regelmäßigen Muster versuchte er, die Wellen der See hoch oben zu imitieren. Er streckte sich, soweit es die Sicht zuließ und das war hier so weit, wie ich es in dieser Tiefe noch nie erlebt hatte. Doch bis zur nächsten Insel konnte ich nicht schauen. Wohin ich auch blickte, in der Ferne ballte die See ihre dunklen Fäuste zu einer undurchdringlichen Wand.

Pati war ein paar Mal dabei. Überhaupt kümmerte er sich um mich, als wäre er mein privater Diener, obwohl er noch andere Bungalows zu betreuen hatte. In der Kantine stand er an meinem Tisch, wann immer ich etwas brauchte. Er zeigte mir die leckersten Speisen am Buffet und servierte mir die gewagtesten Cocktails in der Bar.

Solange das Licht des Tages durch die Palmenblätter schien, waren zu allen Mahlzeiten die Papageien da. Kleine, wendige Piraten der Lüfte waren sie. Sie flatterten von Wipfel zu Wipfel und prüften, wer von den Gästen vertrauenswürdig war und wer sich tierlieb genug zeigte, um sie an den Tisch zu bitten. Bei mir hopsten sie schon am zweiten Tag auf der Kante des Frühstücktisches herum und bettelten um den einen oder anderen Krumen. Mittags waren Pommes frites ihre Lieblingsspeise, aber gefälligst ohne Mayonnaise oder Ketchup. Bald waren sie so mit mir vertraut und ich mit ihnen, dass sie sich füttern, streicheln und auf die Hand nehmen ließen.

Ein kleiner Dunkelgrauer war der Frechste. Breite rote Augenringe hatte er und die typisch gelben Griffel.

Betrat ich die Kantine oder die Bar, flog er heran und setzte sich auf meine Schulter.

Pati schaute mich jedes Mal seltsam an, wenn ich mit dem kleinen Racker spielte. Zuerst deutete ich es als Missfallen. Vielleicht waren die Papageien nicht erwünscht und Gäste hatten sich über sie beschwert. Vielleicht wollte er nichts sagen, da auch ich ein Gast war.

Doch ich lag falsch.

Eines späten Abends, die Bar war schon leergefegt, ich hatte ein paar Cocktails zu viel gehabt und wollte gerade meinen Bungalow ansteuern, da sprach er mich an.

»Sir, die Papageien mögen Sie.«, sagte er mit seinem typischen Lächeln.

»Ist mir aufgefallen«, antwortete ich.

»Nein, nein, Sir«, nickte er mir zu. »So wie sie kommen und spielen, haben sie Sie ins Herz geschlossen. Das machen sie nur sehr selten.«

»Das freut mich«, sagte ich zuvorkommend.

»Die Papageien sind die Wächter der Insel«, ergänzte er und an seinem Gesichtsausdruck sah ich, dass er nicht mehr scherzte.

Ich wollte seine Gefühle nicht verletzen, da es schien, er wollte aus dem Nähkästchen plaudern.

»Sicher, sicher«, antwortete ich.

»Sir, Sie verstehen nicht«, sagte er nach einem prüfenden Blick in meine Augen. »Diese Tiere hat Iikitt geschickt. Mit ihnen hält sie alles im Auge und wacht über die Menschen, ob wir uns auch richtig verhalten.«

»Wer ist Iikitt?«, fragte ich.

»Die Göttin der Inseln.«

Das hätte mir klar sein müssen. Irgendetwas in dieser Richtung musste es ja sein. Wahrscheinlich ein Kult aus der Zeit, als die Einwohner dieser Atolle noch Trommeln statt Handys benutzt hatten.

Ich war schon immer schlecht darin, meinen zweifelnden Blick zu verbergen. In meinem Job kam mir das normalerweise gelegen, aber hier brachte es Pati dazu, seine Stirn in Falten zu werfen.

»Sie glauben mir nicht«, sagte er und winkte mit dem Finger. »Wenn Sie erlauben, werde ich es Ihnen beweisen.«

»Was denn beweisen?«

»Wir statten ihr einen Besuch ab.«

 

 

IIII.

 

Insgeheim war ich nicht überzeugt, aber warum sollte man Pati nicht machen lassen. Es klang nach Abwechslung, es klang nach Abenteuer. Das konnte ich nach den Tagen am Strand brauchen.

»Erzähl mir was über diese Iikitt«, sagte ich zu ihm, als er mich tief in der Nacht von der Bar zu meinem Zimmer begleitete. Mein Schritt war nicht mehr ganz so sicher wie zu Beginn des Abends, noch vor der erquicklichen Reihe von Cocktails.

»Iikitt ist die Göttin der Atolle, die Schöpferin unserer Inseln. Sie ist alles und ohne sie sind wir nichts.«

»Verstehe schon«, sagte ich und meine Zunge verriet mit einem leichten Lallen meinen Zustand.

»Aber was haben die Papageien damit zu tun?«

Hoppla, fast wäre ich über eine Sanddüne gestolpert.

Pati hakte sich bei mir unter und führte mich sicher in Richtung Apartment 101.

Ich blickte zurück im Zorn, aber die Sanddüne hatte sich in nichts weiter als eine mickerige Welle verwandelt, die ein anderer Gast durch einen festen Tritt als Spur hinterlassen hatte.

»Die Papageien sind die Kamhina Humunkapah«, warf mir Pati zu.

»Jetzt komm mir nicht mit sowas«, fuhr ich ihn an. »Tu nicht besoffener, als ich es bin.«

»Ich scherze nicht«, sagte er und seine Stimme wurde ernst. »Kamhina Humunkapah bedeutet in unserer Sprache so etwas wie die glücklichen Glücklosen.«

»Na gut«, nahm ich mich zusammen. »Deine Worte verstehe ich, aber nicht den Sinn.«

Inzwischen waren wir in meinem Bungalow angekommen. Er führte mich zum Bett. Ich drehte mich mit einer eleganten Bewegung, die man nur jenseits der zwei Promille hinbekommt, mit dem Rücken zur Matratze und ließ mich fallen.

Als ich lag, begann er zu sprechen und ich hörte zu.

»Iikitt ist die Tochter der See. Nachdem sie das Land, die Tiere und die Pflanzen erschaffen hatte, war ihr zu trist. Sie wollte sich unterhalten und jemand sollte sie verehren. Darum erschuf sie den Menschen. Doch schon bald wurden ihr die Menschen zu eigensinnig. Darum zog sie sich auf ihre Insel zurück und wollte sie überwachen. Dazu brauchte sie viele Augen und Ohren. Sie versprach denen ewiges Leben, die es bis auf ihre Insel schafften, um ihr für immer zu dienen. Sie würden als Wächter in die Welt der Menschen zurückkehren. Dazu muss sie ihre Diener in Papageien verwandeln, damit sie sich unerkannt fern und weit bewegen können. So können sie Auge und Ohr von Iikitt sein. Jeder kann sie besuchen und hat doch die Wahl. Denn wer über Nacht auf der Insel bleibt, wird in einen Diener verwandelt. Glücklich spielen diese für alle Zeiten unter den Augen ihrer Göttin, doch sind sie ebenso glücklos, denn sie dürfen nur als Papagei in unsere Welt zurück. Deswegen verehren wir nicht nur Iikitt, sondern auch die Papageien, denn sie sind die Mutigsten der Mutigen, die sich auf Iikitts Insel gewagt haben und dort geblieben sind, um ewig zu leben und nur als Vogel in die Welt zurückzukehren.«

Ich lag auf dem Bett und mir fielen schon die Augen zu. Doch Patis Erzählung war so spannend, dass ich bis zum Ende durchhielt.

»Ich vermute mal, du möchtest, dass wir genau dorthin fahren und ich meinen Mut beweise.«

»Sie scheinen mir nicht zu glauben«, antwortete Pati. »Darum werde ich Sie zur Insel bringen und Sie können Iikitt von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten. Das allein haben nur die Mutigsten gewagt. Wenn Sie vor Einbruch der Nacht das Eiland verlassen, wird nichts passieren und Sie können bei Ihrer Rückkehr erzählen, dass Sie etwas im Urlaub gemacht haben, was nur den wenigsten vergönnt ist. Sie haben eine Göttin besucht. Was sagen Sie?«

»Schon recht«, murmelte ich, bevor mir die Augen endgültig zufielen. »Eine Göttin ist genau meine Kragenweite.«

 

 

IIIII.

 

In meinen Träumen verwandelte ich mich in einen furchtlosen Krieger, der durch den Dschungel auf Iikitts Insel hüpfte und lautstark nach der Göttin rief. Doch sie kam nicht, ich musste sie suchen. Sie verbarg sich hinter einem Wasserfall, davor eine unendlich tiefe Lagune, in der mächtige Alligatoren unter der Oberfläche schwammen. Nur ihre Augen waren zu sehen und sie beobachteten mich mit gierigen Blicken. Mein überbordender Mut verwandelte sich in Zorn.

»Zeig dich!«, rief ich mit erhobener Faust.

Und als nichts geschah, rannte ich einfach über das Wasser, mit jedem Schritt die Köpfe der Reptilien nutzend, erreichte die Felsen, auf die das Wasser prasselte, langte durch den silbernen Vorhang und zog sie hervor.

Sie lag in meiner Hand. Eine kleine Fee, nass wie ein Fisch, ohne Flügel, aber mit langen, goldenen Haaren, nackt wie gerade vom Universum erschaffen, was ich jedoch kaum erkannte, so klein schien sie in meiner Hand.

»Ha!«, rief ich aus und wachte auf.

»Fein!«, hielt mir Pati als morgendlichen Gruß entgegen. »Ihr seid wach und wir können aufbrechen.«

»Langsam, langsam«, sagte ich und versuchte die Doppelbilder seiner Silhouette zu einem scharfen Abbild zu vereinen. »Hast du die ganze Nacht auf mich aufgepasst.«

»Nein«, antwortete er. »Ich habe auf der Couch an der Wand geruht. Aber ganz unbeaufsichtigt konnte ich Euch auch nicht lassen. Die Sonne ist gerade aufgegangen und wir haben genug Zeit für unsere Unternehmung.«

»Muss das heute sein?«

»Heute ist der beste Tag. So gut wie jeder andere. Kommt, ich helfe Euch.«

Und er half mir unter die Dusche (da wurde ich halbwegs wach) und zum Frühstück (da wurde ich halbwegs abgefüttert) und in sein Boot (schon waren wir halbwegs zu der Insel unterwegs.)

Das Meer glitzerte noch im Morgenlicht, unsere Insel verschwand am Horizont, da wurde mir erst richtig bewusst, auf was ich mich eingelassen hatte.

Sein Boot war kaum mehr als ein Einbaum mit Ausleger. Ein winziges Segel sorgte für Geschwindigkeit.

»Ich hab meine Kamera vergessen!«, rief ich ihm zu.

»Sie werden sie nicht brauchen!«, rief er zurück. »Sehen Sie doch!«

Und er zeigte zurück zum Horizont.

»Aber da kommen wir her«, sagte ich. »Da liegt unsere Insel.«

»In der Luft!«, rief er freudig erregt. »In der Luft!«

Dort kam ein kleiner schwarzer Punkt auf uns zu, der schnell größer wurde und bald Flügel zeigte, um sich in einen Papagei zu wandeln und schnurstracks in meine Richtung zu fliegen, um sich auf meine Schulter zu setzen.

Es war der kleine, freche Graue mit der roten Brille, der mich bei so vielen Mahlzeiten begleitet hatte. Und ich hatte ihm wahrlich immer etwas von meinen Pommes frites übrig gelassen.

»Ein gutes Zeichen«, sagte Pati. »Es ist nicht mehr weit. Seht Ihr den schwarzen Streifen dort vorne am Bug. Der Wald von Iikitt über dem Berg unter dem Wasserfall.«

Die Sonne brannte gnadenlos auf uns herab. Es war heiß in dem winzigen Boot. Ich hielt die Hand ins Wasser und zog sie schnell wieder heraus. Es war warm wie eine überhitzte Badewanne.

Der Schweiß troff mir in die Augen. Das Hemd klebte am Körper. Der Wind war da, aber sorgte kaum für Abkühlung.

Stoisch saß der kleine Graue auf meiner Schulter, den Blick nach vorne gerichtet. Das Ziel im Auge.

Ich sah ein Eiland heranschwimmen. Größer wurde ein bewaldeter Hügel, der Strand eine endlos weiße Fläche, der Dschungel dahinter dicht und dunkelgrün.

Pati kannte die Lücke im Riff. Er steuerte hindurch, reffte das Segel und paddelte in eine seichte Salzlagune.

»Ihr müsst springen«, forderte er mich auf. »Es gibt keinen Steg. Ich werde auf Euch warten. Die Insel ist nicht groß, geht zur Mitte und Ihr werdet sehen.«

Der Graue lockerte seine Krallen, mit denen er sich in meinem Hemd gehalten hatte und flog davon. Kaum hatte er den Strand passiert, verschwand er in den Wipfeln der Baumriesen, die den Dschungelrand markierten.

Ich konnte nicht mehr antworten. Weil ich nicht wollte. Weil mir die Sonne noch den letzten Widerwillen vertrocknet hatte. Oder weil mir so unendlich warm war. Ich warf mein Hemd ab und sprang mit nichts als Shorts kopfüber in die Fluten.

Tief tauchte ich ein. Schon nach ein paar Metern wurde es spürbar kühler. Ich öffnete die Augen, ließ die Blasen nach dem Sprung verblubbern und schaute mich um.

Die See war klarer als je zuvor. Transparent wie ein mächtiger Eimer Wasser kam es mir vor. Sanfte weiße Hänge an allen Seiten. Ich schwebte inmitten des Kessels der Lagune. Eine kleine Schule junger Haie zog unter mir ihre Runden und blickte herauf. Sie ließen sich durch meine Gegenwart nicht im Geringsten beeindrucken.

Haie!

Ich strampelte zurück an die Oberfläche.

»Hey! Hier ist was im Wasser!«, rief ich Pati zu. Der hatte das Boot gewendet und spannte das Segel.

»Kein Grund zur Panik,« sagte er. »Hier tut Ihnen keiner etwas. Jetzt husch, husch zum Strand.«

»Wo willst du hin?«, brüllte ich.

»Hab doch gesagt, keine Panik. Ich geh fischen, damit wir auf der Rückfahrt was zu knabbern haben. Ich behalt den Strand im Auge. Machen Sie sich keine Sorgen.«

Und schon nahm er Fahrt auf.

Mir blieb nichts übrig, als zur Insel zu kraulen. Ich fühlte mich nicht wohl, aber das Wasser floss friedfertig an meinen Hüften entlang, eine plötzlich aufkommende Strömung griff mir hilfreich unter die Arme und die Haie spielten unbeeindruckt weiter in ihrem Garten, wann immer ich mit einem kurzen Blick nach ihnen schaute.

---ENDE DER LESEPROBE---