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Mit heiter-melanchonischem Ton erzählt Klaus Mann eine Familiengeschichte mit autobiographischen Zügen. Im Zentrum des Werks steht die Liebesaffäre der schönen Witwe Christiane und dem jungen Intellektuellen Till, welche das Familienidyll im "Tölzhaus" bröckeln lässt. Die "Kindernovelle" ist ein Zeugnis der Empfindsamkeit und Begabung des jungen Autors.-
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Seitenzahl: 86
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Klaus Mann
Saga
Kindernovelle
Coverbild/Illustration: https://www.loc.gov/pictures/item/2016818142/resource/
Copyright © 1926, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726927665
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com
Seit dem Tode ihres Gemahls lebte Frau Christiane mit den vier Kindern das ganze Jahr auf dem Lande, in der Nähe eines kleinen bayrischen Marktfleckens, nicht weit vom Gebirge. Man war gut aufgehoben in einer wohnlichen Villa, auf derem roten Dach ein Gockelhahn sich nach dem Winde drehte. Der Garten um die Villa war groß, vor dem Haus war er wohlgepflegt mit Wegen und rundlichen Beeten, aber nach hinten verwilderte er mehr und mehr, bis er dann an den großen Wald stieß, von dem nur ein löchriger Drahtzaun ihn trennte.
Mitten im Walde hatte man ein Asyl für blinde Kinder eingerichtet, so daß man beinahe den ganzen Tag Knaben und Mädchen mit weißen, blicklosen Augen zwischen dem Schatten der Bäume spielen oder promenieren sehen konnte, unter der Aufsicht einiger Wärterinnen, aber auch manchmal allein, gewandt tappend, von Hunden begleitet.
Verließ man den Garten nach vorne, kam man auf die graue Landstraße hinaus, die, in Windungen sanft absteigend, hinunter führte zur Ortschaft. — Um in den Ort zu gelangen, ist es aber auch möglich, gleich über die Wiesen zu gehen, zwischen deren Hügeln sich der Wiesenweg schlängelt.
Die vier Kinder heißen Renate, Heiner, Fridolin und Lieschen. Renate ist neun, Heiner acht, Fridolin sieben und Lieschen fünf Jahre alt. Mama ist einunddreißig, zu ihrem Geburtstag hatte man mit Mühe einunddreißig weiße Kerzen aufgetrieben. —
Wenn Mama abends ans Bett gute Nacht sagen kam, war sie zuweilen so wunderbar, daß man sie mit einem Übermaß lieben mußte, dessen man sich am hellen Tage sicher geschämt hätte. Wenn sie im Schlafzimmer der Mädchen saß, rief Heiner gleich so exaltiert nach ihr, daß sie sich von Renate und Lieschen sanft losmachen mußte. Heiner küßte dann ihre Hände und wußte sich vor Zärtlichkeit nicht zu lassen. Wie ein werbender Kavalier übergoß er sie ganz mit Kosenamen. „Du bist so schön,“ sagte er immer wieder, „du bist einfach tausendschön — —.“ Die Sprache reichte nicht aus, er streichelte sie mit neuen Worten der Zärtlichkeit, die übergroße Verehrung ihm eingab: „Du bist so pussig, so pullig —”, bis Mama sich lachend befreite.
Tagsüber war es mit Mama oft gar nicht so angenehm. Wenn sie müde war, bekam sie trübere Augen, und oft lag sie sogar mit Kopfschmerzen auf der Veranda. Sie schickte die Kinder müdstimmig fort, wenn diese sie mit wirren Anliegen zu bestürmen kamen. „Geht nur in den Garten,“ sagte sie leer, „da ist so recht euer Reich, da tobt euch nur aus — —.”
Dem Austoben allerdings standen zwei häßliche Hindernisse ein wenig im Wege. Erstens ist Lehrer Burkhardt da, ein gewandter junger Brünetter, der täglich, gutgelaunt und unterm Arm sein ledernes Mäppchen, für zwei Stunden sich einfindet, um Heiner und Renate Unterricht zu erteilen. Lehrer Burkhardt selbst ist nicht eigentlich hassenswert, aber gar zu langweilig ist, was er mit ihnen zu treiben hat. Gleich widerlich sind Rechenheft und Religionsbüchlein — und Lehrer Burkhardt hat die Gewohnheit, mit dem Schlimmsten zu drohen, hat man das Aufgegebene ungenau präpariert. „Ich zitiere dich in die Volksschule,“ verheißt er finster, „morgen um acht sitzt du in meiner Klasse, es ist vorbei mit unserm Privatunterricht, alle lachen dich aus, wenn du bis morgen deine Sach’ nicht gelernt hast.“ — Die Augen von Renate und Heiner begegnen sich scheu, und sie haben sich angstvoll verdunkelt. Daß alle lachen würden: davon sind sie fest überzeugt. Die Gassenjungen lachen ja auch immer so sehr, wenn die vier Kinder aus der Villa spazieren gehen, mit finsteren Gesichtern vor Abwehr, in bunten Kitteln und mit dem strickenden Kinderfräulein zum Schutz.
Für die Zeit, da Lehrer Burkhardt bei den Großen weilt, sind auch die Lebensgeister der Kleinen reduziert und beinah ausgelöscht. Allein zu phantasielos, um die großen und gewagten Spiele von vorher fortzusetzen, sitzen sie, klein und verlassen, über dummen Würfelspielen beieinander oder gesellen sich lustlos zu Afra, der herzlichen Köchin, die resolut im Kuchenteige wühlt.
Das Kinderfräulein Konstantine Bachmann ist natürlich ein Feind — weit gefährlicher und ärger als der Lehrer Burkhardt. Denn während die Macht des Pädagogen sich doch auf zwei Stunden am Tage immerhin nur erstreckt, ist Fräulein Konstantinens störendes Hinzutreten jederzeit zu gewärtigen. Den Strickstrumpf zwischen den Fingern, tiefe Gleichgültigkeit im weißen, etwas aufgeschwemmten Gesicht, zeigt sie sich mit einemmal zwischen den Büschen, den Blick gelangweilt und leicht pikiert auf die Arbeit gesenkt, die ihr so ärgerlich flink von der Hand geht. Ist sie nicht der böse Feind in der Tat, der Widersacher, das schlimme Prinzip — wie sie da steht in verwaschner, farbloser Strickjacke, mit blauem Rock und mattblonder, ondulierter Frisur? „Was macht ihr denn da wieder für Unfug?“ fragt sie kühl und verächtlich. Seht, nun hebt sie flüchtig den Fuß — seht, schon stößt sie leichthin gegen etwas, was von höchster Wichtigkeit war, als wolle sie verdrossen seine Haltbarkeit prüfen. Es war ein Gebäude im Sand — eine ganze Stadt — ein Kalifenpalast. —
Wenn Fräulein Konstantine guter Laune war, konnte sie auch aufgeräumt und unterhaltend sein, dankbar belachten die Kinder dann jeden einzelnen Scherz. In solchen auserlesenen Stunden pflegte sie vor allem von Düsseldorf, ihrer Heimatstadt, zu erzählen; sie sprach den Namen beinah wollüstig aus, ausführlich, als sei er das feinste Wort unserer Sprache, mit einem überweichen, schwelgerischen D im Anlaut. Sogar Kleine Familienanekdoten gab sie überströmend zum besten, drollige Geschichten von ihrer Frau Mutter und ihrer verheirateten Schwester.
„Denkt euch nur,“ plauderte sie dann ganz lustig, „ich komme spät abends nach Hause, hatte wohl ein bißchen über den Durst getrunken, und da hatte sich meine Schwester Liesbeth, der Schlingel, doch als Überraschung in meinem Bette versteckt. Aber eine von ihren Händen lag auf meinem Nachttischchen, da war sie im Schlaf wohl so hingeraten. Und ich im Dunklen, taste nach meinem Nachttischlämpchen und spüre die Finger von meiner Schwester. Und wißt ihr, was ich gedacht habe? — Ich habe gedacht, man hat mir Bratwürstchen zurechtgelegt, damit ich sie schnabuliere, wenn ich abends müde nach Hause komme. Ich wollte schon ein Messerchen holen und sie mir schneiden. Ha, ha — da hätte aber die Liesbeth tüchtig geschrien. Ja, ja,“ lachte sie leutselig und vergnügt, „so war es, in meinem Düsseldorf — —“
Wehe aber den Kindern, wenn sie sie später einmal, zu schlecht gewählter Stunde, mit den Bratwursthänden ihrer Schwester neckten. Das war so kränkend, daß sie einen halben Tag nicht mehr sprach. „Es ist eine Beleidigung für meine ganze Familie“, sagte sie nur noch.
Am schlimmsten war es, wenn sie vom Bräutigam einen häßlichen Brief bekommen hatte. Dann war überhaupt nicht mehr mit ihr auszukommen. Aus geringfügigem Anlaß schalt sie klein Lieschen, bis diese bitterlich weinte, und hatte sie es so weit gebracht, klapste sie sie noch erregt und zischte wütend: „Damit du weißt, warum du heulst.“
Es war nicht gut von Mama, in solchen Fällen Fräulein Konstantine recht zu geben. Wenn die Kinder sich zu beklagen kamen, lächelte sie nur und sagte: Fräulein Konstantine werde schon wissen, warum sie das tat. Aber sie tröstete Lieschen trotzdem.
In solchen Augenblicken konnte man Mama beinah hassen, wenngleich man es sich um nichts in der Welt hätte eingestehen wollen. „Sie ist ungerecht!“ zischelten die Kinder empört. — Aber die schöne Mama saß mit leeren Augen, die Hände im Schoß und war betrübt, weil sie spürte, daß ihr die aufsässigen Kinder für diese Minuten völlig entfremdet seien.
Am liebenswertesten war Mama im Sommer. Sie ging mit den Kindern zum Baden; vom Wiesenweg bog man nach links ab, wenn man ein Stück die Richtung zum Ort gegangen war, man erreichte den Klammer-Weiher, der schwarz und moorig zwischen ernsten Tannen lag. So dunkel und ehrfurchtgebietend waren selbst die Tannen im Walde nicht als diese, die hier gravitätisch das Wasser beschatteten. — Aber der Weiher wurde lieblicher dadurch, daß auf seiner verfinsterten Fläche tellerrunde Seerosen schwammen.
Über alles liebten die Kinder den Geruch in den hölzernen Ankleidehäuschen, er war sonderbar altgewohnt und morastig, mit den Ausdünstungen trocknender Bademäntel und Trikots angenehm untermischt. Die Kinder atmeten ihn schnuppernd ein, obwohl er ihnen ziemlich unappetitlich, ja unanständig und verworfen schien.
Im schwarzen Trikot saß Mama auf dem Sprungbrett, alle Herren sahen neugierig aus dem Herrenbassin herüber, aber sie hielt die Augen gesenkt. Ihre herrlichen Beine schimmerten weiß in der Sonne; es war berauschend zu sehen, wie sie die Arme hob, wie sie, ein benommenes, abwartendes, sonderbar totes und neugieriges Lächeln um den halbgeöffneten Mund, mit erhobenen Armen langsam von der Kabine aus die glitschigen Holzstufen hinunterstieg, Stufe für Stufe, bis das Wasser, schwarz und eiskalt, ihre Füße umschmeichelte, und sie sich, beglückt und fröstelnd, neigte, um ihren ganzen Leib diesen Liebkosungen hinzugeben.
Die vier Kinder saßen in Reih’ und Glied auf dem Balken, der das Nicht-Schwimmer- Bassin vom ganz gefährlich tiefen Wasser trennte. Sie ließen alle vier die mageren Beine baumeln, sie bespritzten sich und sie schrien, daß es über den Weiher gellte.
Renate war die einzige von ihnen, die sich richtig zu schwimmen traute. Mit ernsten Augen legte sie sich sorgsam ins Wasser, und es war ihr sicherer Glaube, daß sie untergehen müsse, vergäße sie nur eine der eingelernten Bewegungen. Unerbittlich zählte sie mit bläulichen Lippen — eins, zwei — eins, zwei — und rührte sich tapfer. — Aber Heiner wehrte sich ängstlich, wenn man ihm dergleichen zumuten wollte, er zierte sich abwehrend und war um sein Leben besorgt.
Die Badefrau stand häßlich am Ufer und scherzte mit ihnen. Rote Badehosen trockneten an der Leine, vom Winde komisch gebläht. In der Herrenabteilung standen Männer vor ihren Kabinen, in bunte Bademäntel gehüllt, und rauchten plaudernd Zigarren. Manche prusteten auch im Wasser, lauter, als nötig gewesen wäre, auf ihrer Brust wucherte schwarzes Haar.
Aber Mama schwamm weit draußen, schon zwischen Seerosen und Schilf. Sie nickte und lachte, eine Hand aus dem Wasser gehoben, weiterrudernd mit der andern, blinzelnd gegen die Sonne.
* * *