King of Street - Nani Silver - E-Book

King of Street E-Book

Nani Silver

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  • Herausgeber: tredition
  • Kategorie: Erotik
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Alana ist ein ruhiges und eigentlich vollkommen zufriedenes Mädchen. An die wahre Liebe glaubt sie schon lange nicht mehr und von den Männern lässt sie lieber die Finger. Bis ihr der Neue in Ihrer Straße auffällt. Leonardo Amato, der Inbegriff der Coolness. Sein Aussehen heiß und seine Aura dunkel. Ärger zieht er magisch an. Kein Wunder, denn er hat ein Geheimnis. Ein Geheimnis, das für jeden gefährlich werden könnte, vor allem für Alana. Beide kommen aus völlig unterschiedlichen Welten. Was ein Zusammensein undenkbar macht. Schaffen sie es dennoch, alle Hürden zu überwinden? Sich gegen ihre Familien zu stellen? Einen Krieg in Kauf zu nehmen, nur um am Ende vielleicht glücklich zu werden … Es liegt an ihnen und ihrer Bereitschaft dazu, wie weit sie für einander gehen.

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Seitenzahl: 487

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© 2024 Nani Silver

Coverdesign von: Canva, Canva.com

Verlagslabel: Nani Silver

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist

die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die

Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: Nermin

Oezugur, Langbürgnerstr. 9d, 81549 München, Germany.

King of Street

Nani Silver

Meine Kindheit war nicht leicht. Ich wuchs mit den hässlichsten Dingen, die man in einem Menschen hervorrufen konnte, auf. Was auf andere abstoßend wirkte, war für mich normal.

Der Nachbar, der jeden Abend seine Frau schlug und ihre Schreie durchs ganze Haus zu hören waren.

Jugendliche, die an der Ecke ihre Drogen verkauften und mich täglich auf dem Schulweg fragten, ob ich was haben wollte.

Kinder, die in dem kleinen Laden am Ende Straße Süßigkeiten stahlen.

Der seltsame Nachbar, der morgens erst nach Hause kam und kaum das Schlüsselloch fand, weil er zu betrunken war.

Frauen, die alleinerziehend waren, weil der Mann sie jahrelang mit der Nachbarin betrogen hatte und sie es nur herausgefunden hatte, weil die Kinder in der Straße schon darüber tuschelten.

Familie, die nichts zu essen hatten und so verzweifelt waren, dass die Mütter ihre Dienste nachts auf der Straße anboten.

Streitereien, Schlägereien und gefallene Schüsse sind für die Polizei längst nicht mehr so besorgniserregend, als dass sie eine Streife in unsere Straße schicken würden.

Man hielt sich von uns fern, meidet uns, ja verachtet uns sogar.

Ich lebe in einem Ghetto, bin hier aufgewachsen.

Alana

"Hast du keinen Hunger?" Mein Vater saß vor mir. Wie jedes Mal beim Essen las er seine Zeitung, dabei schaute er nur kurz zu mir.

"Ich esse doch!" versuchte ich mich zu verteidigen.

Er verdrehte seine Augen und las

weiter.

"Wo bleibt Mira?" fragte mich diesmal meine Mutter.

"Sie hat verschlafen. Wir treffen uns unten."

"Wie kann sie verschlafen, wenn ihr erst am Nachmittag zur Arbeit müsst?" Mein Vater schaute wieder zu mir.

Ich zuckte mit den Schultern. Das sie gestern Nacht mit einem Typen nach Hause ging, verschwieg ich lieber.

"Ach, lass sie doch. Die beiden sind erwachsen. Sie wissen schon, was sie tun." Mama lächelte.

"Ich meine ja nur. Arbeit ist wichtig, vor allem wenn man Rechnungen zahlen muss. Jetzt, wo beide ihre eigene Wohnung haben, müssen sie lernen Verantwortung zu tragen."

Bevor diese Diskussion in einem Vortrag enden würde, stand ich lieber auf und zog meine Jacke an.

Ich liebte meine Eltern … wirklich! Doch mit 25 Jahren hatte ich keine Lust mehr mich zurechtweisen zu lassen. Schon gar nicht, wenn es um das dumme Thema Arbeit, Geld oder Rechnungen ging.

Ich gab meinen Eltern einen Abschiedskuss und verschwand.

Als meine Eltern jung waren, kamen sie aus Italien hierher. Ihre Familien waren mit ihrer Beziehung nicht einverstanden und sie wollten die beiden unter aller Umständen trennen. Blind vor Liebe sind sie dann eines Nachts abgehauen und hier gelandet.

Mein Dad fing in einer Baufirma an. In Italien hatte er gerade die Lehre zum Maler abgeschlossen und hier haben sie, wie es der Zufall wollte, gerade einen gesucht. Dass er nur italienisch gesprochen hatte, störte hier niemanden. Mama unterstützte ihn, indem sie immer wieder kleine Jobs annahm. In Italien war sie gerade dabei ihr Abitur zu machen, also hatte sie hier nichts vorzuweisen.

Sie mieteten sich eine drei Zimmer Wohnung in der wohl schlechtesten Gegend unserer Stadt. Es war das Einzige, was sie sich leisten konnten. Doch nur so konnten sie etwas Geld zusammensparen und heirateten.

Mira kam als erstes auf die Welt. Zwei Jahre später ich und achtJahre später, Stella.

Zur Familie in Italien hatten wir keinen Kontakt. Meine Eltern redeten auch nicht sonderlich viel darüber. Als Kind fand ich es schade. Vor allem dann, wenn die anderen Kinder in meiner Klasse erzählten, dass sie die Ferien über bei Oma und Opa waren und wir unsere mich einmal kannten. Doch heute interessierte es mich nicht mehr. Ich akzeptierte die Entscheidung meiner Eltern. Sicher hatten sie ihre Gründe dafür, nie mehr zurück gegangen zu sein.

Aus der schlechten Gegend hatten sie bis heute nicht rausgeschafft, vermutlich wollten sie es auch gar nicht mehr. Es war ihr Zuhause. Unser Zuhause.

Und so war es jetzt:

Ich lebe in einem Ghetto, bin hier geboren und aufgewachsen.

Armut, Drogen, Alkohol und Gewalt stehen hier an der täglichen Tagesordnung.

Die Siedlung bestand aus Plattenbau-Hochhäusern. Meine Eltern wohnten mit meiner kleinen Schwester Stella im 4. Stock, meine ältere Schwester im 6. und ich im 9. Stock.

Kinder, die hier aufwuchsen und irgendwann ausziehen wollten, hatten nur die Möglichkeit, in dieselbe Siedlung wie ihre Eltern zu ziehen. Mit Sicherheit gab es auch Ausnahmen. Junge Erwachsene, die es geschafft hatten, die nach der Schule einen super Job bekamen und sich die Miete leisten konnten. Doch wir nicht. Mira kellnert und ich ging wie Mama putzen. Stella war in der Abschlussklasse und machte ihr Abitur.

Wir kamen gerade so über die Runden. Große Sprünge konnten wir nicht machen, dennoch ging es uns besser als manch anderen in unserer Straße.

Mein Vater war für die Anwohner hier, so etwas wie ein Helfer in allen Lebenslagen. Alle liebten ihn. Sie sahen zu ihm auf, wandten sich an ihn, wenn sie Fragen hatten, wenn sie verzweifelt waren oder einfach nur Hilfe benötigten.

Er war Hausmeister, Finanzberater, Psychologe und Seelsorger.

Es gab kaum einen Tag, an dem er nicht von einem der Anwohner um Hilfe gefragt wurde.

Unten angekommen, fiel mir sofort die kleine Gruppe Männer auf, die wie jeden Tag auf der Bank ein paar Meter vor meinem Haus saßen.

Jungs, mit denen ich groß wurde. Sie wohnen in der gleichen Siedlung wie ich, besuchten damals sogar die gleiche Schule, dieselbe Klasse. Nun ja, zumindest so lange, bis ihnen ihre Drogengeschäfte wichtiger wurden als das Lernen. Aber wer konnte es ihnen verübeln? Schließlich war ihr Schicksal vorherbestimmt, keiner von ihnen würde es hier raus schaffen. Sie taten nur das, was sie glaubten, am besten zu können. Einige wohnten noch zuhause. Sie unterstützen ihre kranken Eltern finanziell und versuchten ihnen ein relativ angenehmes Leben zu bescheren, dass die Methoden dafür ziemlich zwielichtig waren, interessierte sie nicht. Es gab keine andere Möglichkeit, zumindest in ihren Augen. Manche waren vorbestraft, einige sogar schon im Gefängnis und alle ohne Schulabschluss, da standen die Chancen nun mal nicht besonders gut. Das es ihre eigene Schuld war, bezweifelte keiner, doch dafür war es zu spät.

"Beobachte sie doch nicht so auffällig!" Mira stupste mich plötzlich an der Schulter.

"Tue ich nicht! Außerdem wo bleibst du?"

Das die Frage überflüssig war, merke ich daran, dass hinter ihr ein hübscher Mann stand. Er lächelte mich verschämt an und lief vor.

"Natürlich starrst du! Auch wenn wir uns mit ihnen gut verstehen, mischen wir uns nicht in ihre Geschäfte ein. Das ist ihre Sache, nicht unsere." Meine Schwester ging an mir vorbei und redete kurz mit ihrem neuen Flirt. Vermutlich tauschten sie Nummern aus, denn er winkte mir zu und verschwand dann.

Kopfschüttelnd ging ich zu ihr. Ich verurteilte sie nicht, aber verstehen konnte ich sie auch nicht.

Wie kann sie nur so locker mit Sex umgehen?

"Hey Mira … wieder ein neuer? Kannst` auch gerne bei mir vorbeischauen!" rief Nadim. Einer der Jungs, die gerade ihre Drogen zum Weiterverkauf portionierten.

Ich mochte ihn, er war immer freundlich und nett. Damals war er in Miras Klasse. Das er schon immer heimlich in sie verliebt war, wusste keiner. Doch mir vielen die Blicke auf. Jedes Mal, wenn er sie sah, strahlten seine Augen.

"Halt die Klappe Nadim!" Mira nahm meine Hand und zog mich mit.

Die Jungs lachten.

"Wir sehen uns später!" rief er ihr nach, doch Mira reagierte nicht.

"Wenn du nicht zu spät gekommen wärst, müssten wir jetzt auch nicht rennen!"

"Halt auch du deine Klappe!"

"Ich meine ja nur … stell dir doch einfach das nächste Mal einen Wecker."

"Ich habe nicht verschlafen! Ron hat heute da weitergemacht, wo er gestern aufgehört hat. Aber wem sage ich das? Wenn du nicht so ein Bücherwurm wärst, würdest du mich vielleicht auch verstehen!" Mira zog ihre Augenbrauen eingebildet nach oben und erhöhte ihr Tempo um eine Spur.

"Was haben meine Bücher mit deiner Unzuverlässigkeit zu tun?"

"Nichts, aber du wüsstest wenigstens, von was ich spreche." kaum hatte sie den Satz ausgesprochen, blieb sie stehen.

"Ich meine es nicht böse, kleine Schwester! Aber du lebst in einer Traumwelt. Wach endlich auf! Der Edle Ritter mit dem weißen Schimmel wird nicht vorbeikommen und dir deine Unschuld rauben!"

Als ich jung war, habe ich mir immer vorgestellt, wie ich eines Tages einen Mann treffe, der mich hier rausholt. Egal ob Prinz, Ritter oder Millionär. Hauptsache er sah gut aus, liebte mich und konnte sich alles leisten, was er wollte. Schließlich lernten wir Mädchen das von klein auf. Jedes Märchen, jedes Buch, ja sogar fast jeder Film handelte davon.

In meiner Wunschvorstellung lief es immer gleich ab. Ich traf ihn, wir verliebten uns, er holte mich zu sich, wir heirateten und waren reich und glücklich bis an unser Ende. Natürlich ist das nur die Kurzfassung!

Deshalb liebte ich Bücher. Ich las sie alle, ob Drama, Thriller, Roman, Fantasy oder ganz klassisch die Liebesgeschichte. Hauptsache ein heißer Typ hatte die Hauptrolle.

Doch all diese Bücher waren von Frauen. Sie wurden von Frauen geschrieben, von Frauen ausgedacht und erfunden, aus deren Fantasie über einen Mann, den es so in der Realität überhaupt nicht gab.

Wir lebten in einer Zeit, in der sich Frauen und Männer nahmen, was sie wollten, was sie brauchten, und das war's. Für die wahre Liebe war kein Platz und keine Zeit mehr. Niemand möchte sich mehr ernsthaft an jemand anderen binden und womöglich sich selbst aufgeben. Nur um dann nach einigen Jahren zu merken, was man womöglich alles verpasst hatte.

Deshalb habe ich irgendwann aufgegeben, zu träumen. Es hatte keinen Sinn. Wozu einem Traum hinterherjagen, der so sowieso nie eintreffen würde. Schließlich habe ich es oft genug gesehen. Alle Mädchen in meiner Nachbarschaft träumten davon und bei keiner ist es passiert.

Klar hält mich diese Tatsache nicht vom Lesen ab, dennoch betrachte ich die ganzen Geschichten nun etwas anders. Bücher sind ein netter Zeitvertreib. Mehr nicht.

"Ich warte auf keinen Ritter! Schließlich bin ich kein kleines Mädchen mehr. Und was du tust, ist mir auch egal! Aber ich will mich wegen deiner ungezügelten Lust nicht ständig verspäten."

Mira lächelte ungläubig und lief weiter. Genervt folgte ich ihr. Das meine Schwester mich für Prüde hielt, war kein Geheimnis. Doch das war mir egal. Sollte sie doch glauben, was sie wollte.

Die Bar, in der Mira arbeitete, war nicht weit weg. Ich musste noch ein kleines Stück weiterlaufen, weshalb sich unsere Wege trennten.

Mama hatte mir die Stelle besorgt. Da ich nur die Wahl zwischen Putzen und Kellnern hatte, fiel mir die Entscheidung nicht schwer.

Das Gebäude, in dem ich arbeitete, war riesig. Eine Immobilienfirma. Ich war für das oberste Stockwerk zuständig, die Chefetage. Angefangen hatte ich ganz unten, weshalb ich auf meinen jetzigen Posten ziemlich stolz war. Selbst wenn es mehr Arbeit war als unten.

Mein Chef war ein Tyrann. Zugegeben ein verdammt heißer Tyrann, aber dennoch ein Tyrann.

Bei ihm musste alles perfekt sein. Meine Arbeitszeit begann, als alle anderen im Büro Feierabend hatten. Ich hasste es, wenn er Überstunden machte. Nicht nur, dass ich mich unwohl und beobachtet fühlte, er ging danach von Büro zu Büro und kontrollierte, ob auch alles richtig sauber war.

So wie heute.

Seine Blicke durchbohrten mich förmlich, als er mich von seinem offenstehenden Büro beobachtete. Ich war mit fast allen fertig, nur noch sein Büro fehlte.

Also atmete ich tief durch und zog meinen Putzwagen in seine Richtung.

"Ich nehme an, sie wollen hier rein!" Schon allein sein arroganter Tonfall bereitete mir eine Gänsehaut.

Nein, ich stehe hier nur zum Spaß! Idiota!

"Ja!"

Er stand von seinem Sessel auf und stellte sich in den Türrahmen.

"Meinen Schreibtisch können sie heute auslassen!"

Ich nickte nur.

Zum Glück erregte die aufgehende Aufzugtür seine Aufmerksamkeit und er ging. Solange er nicht damit beschäftigt war, jeden meiner Handgriffe zu beobachten putzte ich dieses verfluchte Büro im Eiltempo. Natürlich so gründlich es auch nur ging. Bis ich eine Frau hörte.

"Es tut mir leid, Mr. Davis."

Vorsichtig streckte ich meinen Kopf raus. Vor meinem Chef stand eine Frau, die ich hier schon öfter gesehen hatte. Vermutlich seine Sekretärin.

"Tracy, ich erwarte von ihnen, dass sie hundert Prozent geben! So etwas kann ich nicht dulden, nicht von meiner persönlichen Sekretärin!"

OK, ganz sicher seine Sekretärin!

Er klang wütend. Ich wusste zwar nicht, um was es ging, doch die Frau tat mir leid. An ihrem Blick erkannte ich, dass sie sich zusammenreißen musste, nicht auf der Stelle los zu weinen.

"Idiota!" flüsterte ich leise und machte mich wieder an die Arbeit.

Das, das Gespräch der beiden noch lange nicht beendet war, merkte ich daran, dass sie immer noch am selben Fleck standen, als ich bereits mit allem fertig war.

Ich schlich an ihnen vorbei zum Aufzug und ging.

Wenigstens musste ich mich nicht mehr verabschieden. Der Typ war der Horror.

Mittlerweile war es schon spät geworden. Eine Uhrzeit, in der sich niemand Fremdes mehr in meine Siedlung verirren sollte. Denn nun standen hier an jeder Ecke die seltsamsten Gestalten. Darunter auch Nadim mit seinen Freunden.

"Heute spät geworden?" fragte Nadim, als ich gerade an ihnen vorbeilief.

"Ja."

"Ich begleite dich zu Tür."

"Das brauchst du nicht! Ist ja nicht mehr weit!"

"Keine Widerrede!" Er machte seinen Freunden ein Zeichen, sie sollten mitkommen.

"Deine Schwester kam schon vor einer Stunde nach Hause! Kommt ihr nicht immer zusammen?" fragte Amir, auch ein Junge, den ich von klein auf kannte.

"Ja, eigentlich schon, aber heute musste ich länger arbeiten!"

Dank meines dummen Chefs!

"Am Wochenende ist im Keller auf der 3 eine kleine Party, ihr kommt doch, oder?" Christiano legte seinen Arm um meine Schulter. Kaum zu glauben, dass er mich in der Grundschule immer ärgerte.

"Ich weiß nicht …"

"Na klar, kommt ihr!" antwortete Nadim für mich.

Die Jungs brachten mich zu meiner Haustür, was eigentlich total unnötig war. Fremde gab es in der Siedlung nicht und alle anderen kannten mich. Niemand hätte mir hier etwas getan und das lag nicht nur daran, dass mein Vater Liebling der Siedlung war, sondern auch weil jeder wusste, mit wem ich befreundet war. Die meisten hatten Respekt vor Nadim und seinen Freunden. Klar gab es auch Ausnahmen, doch die bekamen wir nur selten zu Gesicht.

Als wir kleiner waren, spielten wir zusammen. Später fingen die Jungs an, für die älteren Drogen zu verkaufen und heute hatten sie das Geschäft ganz übernommen. Was für mich aber kein Grund war, nicht mehr mit ihnen befreundet zu sein. Zumindest solange sie mich aus ihren illegalen Sachen raushalten.

"Sag deiner Schwester schöne Grüße." Nadim hielt mir lächelnd die Tür auf.

"Mach ich. Gute Nacht!"

"Bis morgen."

Oben angekommen, war mein erster Weg ins Bad, um zu duschen. Danach legte ich mich auf mein Schlafsofa.

Viel hatte ich in meinem Appartement nicht stehen. Ein kleiner Fernseher, eine Kommode für meine Kleidung, ein Bücherregal und mein geliebtes Sofa. In der Küche gab es eine kleine Küchenzeile, ein Kühlschrank und einen Tisch mit drei Stühlen, das war's. Mehr brauchte ich auch nicht.

Irgendwann schlief ich beim Fernsehen ein.

Leonardo

Die Infos mussten falsch sein, etwas anderes konnte ich mir beim Anblick der heruntergekommenen Gegend nicht denken.

Ich machte den Motor meines Bikes aus und stieg ab.

Nur langsam lief ich die Straße entlang und suchte die verfluchte Hausnummer 10.

An jeder Ecke stand irgendein Freak. Bei dem Gedanken, hier die nächste Zeit bleiben zu müssen, stieg mir die Galle auf.

"Hey du!" Eine kleine Gruppe junger Männer stellte sich mir in den Weg.

Genau das, was ich vermeiden wollte.

"Was suchst du hier?" fragte einer der Typen. Dabei musterte er mich provokant von oben bis unten. Seine Haare waren schwarz, die Augen dunkelbraun. Er sah aus wie ein südländer, vermutlich Türke oder so.

"Ich suche die Nummer 10!" antwortete ich kurz und wollte an ihnen vorbei gehen, doch die Vollidioten bildeten eine Mauer.

"Warum?"

Was für eine dumme Frage!

"Das geht dich nichts an!" lächelte ich und versuchte wieder durch die Gruppe zu kommen.

"Offensichtlich kennst du die Regeln nicht! Mich geht hier in dieser Siedlung alles etwas an. Und wenn ich wissen will, warum du hier bist, solltest du mir lieber antworten!"

Gedanklich checkte ich kurz meine Chancen ab, jeden einzelnen hier umzulegen … und ich befand sie für gut. Doch andererseits …, wenn diese Kerle hier wirklich das Sagen hatten, könnten sie mir nützlich werden.

"Ich wohne hier!"

"Wirklich? Sag das doch gleich!"

Das ging einfach!

"Bist du neu?" fragte ein anderer.

Ich nickte.

"Ich bin Nadim, das sind meine Freunde … Cristiano, Amir, Yasin und Micki." Er streckt mir seine Hand entgegen.

Ich nahm sie.

"Leonardo."

"Leo … ein Italiener, huu?" lächelte Christiano. Er war der kleinste der Gruppe, seine Haare waren dunkel und gelockt, die Seiten kahl rasiert. Ein typischer Italiener.

"Si!"

"Keine gute Gegend, die du dir da ausgesucht hast zum Wohnen!" Amirs Stimme war tief. Er sah wie die jüngere Version von Nadim aus. Dunkle Haare, braune Augen, etwas kleiner als Nadim und ich.

Ich musste lachen.

"Eigentlich sind hier alle ganz ok. Wir halten zusammen, dann geht es schon!" sagte Micki. An ihm fielen mir sofort die blauen Augen auf, seine Haare waren hellbraun. Optisch gesehen passte er nicht wirklich zu den anderen. Er wirkte … ja schon fast brav.

Yasin sprach fast gar nichts. Seine schwarzen Haare waren nach hinten gegelt. Über den rechten Augen zog sich eine tiefe Narbe, die nicht frisch aussah. Hin und wieder nickte er oder lächelte Mal, doch das war's.

Die Jungs brachten mich zu der gesuchten Hausnummer. Wie auch der Rest der Siedlung sah das Haus nicht besonders einladend aus. Danach zeigten sie mir, wo der sicherste Platz für meine Kawasaki war.

"Schöne Maschine! Wenn du hierherziehst, wie kannst du dir dann so ein Teil leisten?" Micki lief um mein Bike herum.

"Sie war … ein Geschenk!"

"Von wem?"

"Derjenige muss ja ziemlich viel Kohle haben!"

"Und dich echt mögen! Niemand schenkt einfach so irgendjemanden eine Kawasaki Ninja"

Alle sahen mich fragend an.

"Sie war von meinem Cousin!"

Mir war klar, dass sie mir nicht so ohne weiteres vertrauen würden. Also musste ich wohl ein klein wenig mehr von mir erzählen.

"Er ist tot! Erschossen! Wir standen uns so nah wie Brüder. Das Bike ist das Einzige, was ich noch von ihm habe. Also …"

"Schon klar …" Nadim klopfte mir auf die Schulter. Seine dunklen Augen wirkten traurig, fast so, als wüsste er, wovon ich redete.

Im Grunde waren die Jungs ganz ok. Sie waren in meinem Alter, alle auf die schiefe Bahn geraten, doch mit durchaus positiven Absichten. Außerdem, wer war ich, sie deshalb zu verurteilen?

Wir quatschen noch eine ganze Weile, bis ich mich von ihnen verabschiedete, um mir meine neue Wohnung anzuschauen.

Mein Dad hatte ganze Arbeit geleistet. Er ließ meine 2 Zimmer Wohnung nach dem Vorbild der Siedlung einrichten. Bett, kleiner Schrank, kleine Küche, Sofa und TV das war's. Wenigstens hatte er an die Kaffeemaschine gedacht.

Genervt lief ich zum Fenster.

Die Aussicht ist super.

Vom obersten Stockwerk hatte man den perfekten Ausblick über die ganze Stadt. Natürlich war die Kleine im gegenüberliegenden Gebäude auch nicht schlecht. Sie saß auf ihrer Couch und schaute Fernsehen. Nicht so spannend, ich weiß, doch mit etwas Glück würde ich sie vielleicht auch mal bei etwas anderem sehen können.

Nach dem Duschen legte ich mich schlafen.

Bedauerlicherweise war der Schlaf überhaupt nicht erholsam. Das Bett war hart. Die meiste Zeit wälzte ich mich hin und her und versuchte, eine einigermaßen bequeme Liegeposition zu finden. Erfolglos!

Es war früher Morgen. Auch wenn ich gestern Nacht nicht weiter über meine nächsten Schritte nachdenken wollte, musste ich mich jetzt damit auseinandersetzen.

So absurd es auch klang, ich brauchte einen Job.

Nach der benötigten Menge Koffein zog ich meine Lederjacke an und machte mich auf den Weg.

Mein Bike stand unversehrt an der Stelle, wo ich es gestern abgestellt hatte. Nicht selbstverständlich, wenn ich mir die Menschen hier so anschaute.

"So früh schon wach?" Nadim und Christiano standen plötzlich hinter mir.

"Ja, und ihr?"

"Zeit ist Geld!" lachte der kleinere Italiener.

"Wohin?" fragte Nadim, als er sah, wie ich auf mein Bike steigen wollte.

"Ich muss mir Arbeit suchen!"

"Hast du schon was oder fährst du auf gut Glück los."

"Auf gut Glück!" jetzt, wo ich das so sagte, merkte ich erst, wie bescheuert sich das anhörte.

Als würde da draußen irgendjemand auf mich warten, um mir einen Job anzubieten.

"Suchst du was bestimmtes?"

Ich musste lachen.

"Nein, ich nehme, was ich kriege."

"Was kannst du denn? Also ich meine, was hast du zuletzt gemacht?"

"Ich glaube nicht, dass ich hier den gleichen Job bekomme."

"Wenn du willst, kannst du bei uns Einsteigen. Außer du bist ein Bulle."

Jetzt musste ich laut lachen.

"Das bin ich ganz sicher nicht!"

"Na, dann komm mit!" Nadim nickte mir zu und ging voraus.

Sie führten mich in einen Keller, durch einen dunklen schmalen Flur, bis zu einer großen Metalltür. Von außen sah es wie ein Elektroraum aus, doch als Nadim die Tür öffnete, stieg mir sofort ein bekannter Geruch in die Nase.

Micki und Yasin standen mitten im Raum und verpackten Marihuana in kleine Tütchen. Als sie mich sahen, lächelten sie kurz.

Nadim sah mich fragend an. Ganz offensichtlich wartete er auf eine Reaktion von mir.

"Ich rauche es nicht!" erklärte ich.

"Wir auch nicht!" Christiano ging zu seinen Freunden, um ihnen zu helfen.

Was gab es da noch zu überlegen? Ich kannte mich in der Branche bereits bestens aus, also warum nicht.

Schultern zuckend ging ich zu den Jungs und fing an, ihnen zu helfen.

Nachdem wir genug verpackt hatten, stopfte Nadim einen Teil in eine Reisetasche und den anderen teilte er unter uns auf.

"Wir bleiben nur in der Siedlung! Jeder, der etwas will, kommt zu uns. Oben gibt es eine kleine Bank, dort warten wir. Für heute haben schon ein paar Leute nachgefragt. Falls das, was wir in den Taschen haben, nicht reichen sollte, geht einer zum Versteck und holt aus der Reisetasche Nachschub. Der Keller wird nur morgens betreten! Ich habe den Schlüssel, sonst keiner! Alles verstanden?" Nadim sah mich ernst an.

Ich nickte.

"Ach ja … das Wichtigste … für den unwahrscheinlichen Fall, dass Bullen auftauchen sollten … rennt!"

Gut, das waren Anweisungen, mit denen ich arbeiten konnte. Auch wenn ich persönlich größere Mengen gewöhnt war, hatte ich bei der Sache dennoch ein paar Bedenken. Klar, die Jungs kannten ihre Gegend und nach ihrer Meinung wussten sie genau, was sie taten, dennoch fand ich es risikoreich, die Kunden zu uns kommen zu lassen. Was, wenn einer nicht so loyal war, wie sie hofften? Für die Bullen wäre es ein Leichtes, uns zu finden, vor allem dann, wenn wir jeden Tag am gleichen Fleck sitzen. Und wenn das passieren sollte, hätte ich wirklich ein Problem!

"Bist du dabei?" Micki sah mich fragend an. Er zog die Augenbrauen zusammen und verstaute seinen Anteil in der Hosentasche.

"Ja, ich bin dabei!"

"Gut. Am Ende des Tages ziehen wir vom Eingenommenen, die Ausgaben ab und den Rest teilen wir auf!"

Nadim schloss die schwere Tür ab und lief voraus.

Auf dem Weg, der durch die Siedlung führte, standen einige Sitzbänke verteilt. Nadim steuerte genau die Bank vor meiner Tür an. Amir saß bereits dort. Als er uns sah, lächelte er breit und stand auf. Yasin drückte ihm seinen Anteil in die Hand und die Jungs setzten sich.

Beim Verkauf der Drogen gingen die Jungs nicht gerade unauffällig vor.

Den ganzen Vormittag über kamen Leute und kauften uns den Stoff ab. Einige sahen mich seltsam an, doch Nadim klärte jeden schnell auf.

Ich versuchte, mir so viele Gesichter und Namen einzuprägen, wie es nur ging. Selbst von denen, die nicht zu uns kamen, sondern nur vorbeiliefen.

"Da kommt Giuseppe!" flüsterte Amir und nickte in Richtung eines jungen Mannes, der am Anfang der Straße aus einem Haus kam.

"Mal schauen, wie viel er heute kauft." grinste Nadim.

"Wer ist das?" fragte ich Christiano leise.

"Ach ein Junge, der mit uns aufgewachsen ist."

"Italiener?" hackte ich nach.

"Si, so wie wir!" lachte er los.

"Hat er Familie?"

Christiano sah mich kurz komisch an, antwortete aber dann:

"Si, eine Schwester und einen Bruder und natürlich Eltern."

"Warum?" Yasin stand hinter mir. Als ich mich umdrehte, schaute er mich skeptisch an.

"Warum willst du das wissen?"

"Nur so. Weil er Italiener ist … bei uns sind wir alle irgendwie Familie, selbst wenn wir uns nicht kennen! Stimmt doch, oder?" Ich sah zu Christiano und hoffte, er würde den Scheiß, den ich von mir gab, bestätigen.

"Si … Aber nicht hier! Hier schaut jeder nur auf sich! Meine Familie sind die Jungs. Aber das wirst du auch noch schnell genug lernen. Außerdem ist Giuseppe ein bisschen komisch."

Giuseppe kam direkt auf uns zu. Er schaute mich kurz fragend an, schüttelte den Kopf und sprach dann Nadim an.

"Ich brauche ein Kilo!"

"Das habe ich jetzt nicht da. Komm in zwei Stunden wieder."

Er nickte und verschwand ohne ein weiteres Wort.

Seltsamer Kerl!

Kaum war der Typ aus unserer Sichtweite meinte Nadim:

"Yasin, du kommst mit! Wir kommen gleich. Ihr haltet die Stellung!"

Mir war schon klar, wohin die beiden gingen.

Es dauerte nicht lange und sie kamen mit einer kleinen Tasche zurück. Yasin verstaute sie im Gebüsch neben uns und setzte sich wieder auf die Bank.

Giuseppe kam wirklich nach zwei Stunden wieder. Er verließ gerade sein Haus am Ende der Straße und ich beobachte ihn beim Näherkommen, da flüsterte Amir Nadim etwas zu.

"Da ist sie, also kommt Mira auch gleich."

Nadim lächelte daraufhin.

"Leo, du übernimmst Giuseppe!" Er stand auf und ging mit Amir ein paar Schritte weg.

Ich verstand zwar nicht, was die zwei vorhatten, aber da Giuseppe schon fast bei uns war, wollte ich mich auch nicht weiter damit beschäftigen.

"Habt ihr es jetzt?" fragte der groß gewachsene Italiener.

"Si …" ich holte die kleine Tasche und wickelte das Geschäft ab.

"Ist das nur für dich?" fragte ich leise, nachdem er mir das Geld gab.

Giuseppe sah mich kurz verwundert an, vermutlich weil keiner der Jungs ihn je nach irgendwas fragte.

"Ja."

"Ziemlich viel Stoff … nur für dich alleine!"

Er überlegte, das sah ich ihm deutlich an. Innerlich hoffte ich, dass ich nicht zu aufdringlich war. Bestimmt würde ich diese Chance nicht noch einmal bekommen.

"Ich kaufe nur einmal im Monat etwas." sagte er, diesmal etwas leiser.

Ich schaute kurz über die Schulter. Die anderen waren mit sich selbst beschäftigt und bekamen nicht mit, dass ich Giuseppe in ein Gespräch verwickelte.

"Du bist neu hier, oder?" fragte Giuseppe.

"Si. Ich bin Leonardo." Langsam reichte ich ihm meine Hand.

Er schien überrascht, nahm sie aber.

"Giuseppe! Seit wann wohnst du hier?"

Alana

Welch ein Wunder … Mira hatte es ja wirklich geschafft, beim Essen unserer Eltern anwesend zu sein. Es war ein tägliches Ritual. Mama kochte jeden Tag für uns, bevor wir zur Arbeit mussten.

"Wo warst du gestern?" Papa legte seine Zeitung zur Seite und fixierte meine große Schwester mit einem prüfenden Blick.

"Ich hatte etwas zu tun!"

"Alana sagte, du hättest verschlafen."

Mira warf mir einen giftigen Blick zu.

"Wirklich? Nein, ich hatte einen Termin!"

Dumme Kuh, jetzt stellt sie mich als Lügnerin da!

Nun sahen mich alle fragend an.

"Ich dachte, du hättest verschlafen!" versuchte ich mich zu verteidigen.

Noch bevor jemand darauf etwas sagen konnte, stand ich auf.

"Ich warte unten!"

Beim Gehen warf ich meiner großen Schwester einen giftigen Blick zu. Nicht nur, dass ich nicht aufessen konnte, sie log unsere Eltern an und stellte mich als Idiotin dar. Und für was das ganze … Nur damit sie nicht erklären musste, was sie wirklich getan hatte.

Wütend lehnte ich mich ans Geländer vor unserer Haustür. Nadim saß mit seinen Freunden, wie jeden Tag, auf der Bank ein paar Meter vor mir. Allerdings war diesmal ein unbekannter Typ dabei.

Viel erkannte ich von ihm nicht. Nur seinen Rücken und schwarze Haare. Er redete gerade mit Giuseppe, dem schüchternen Jungen vom Anfang der Straße. Nadim und Amir kamen langsam auf mich zu. Beide lächelten.

"Wartest du wieder?" Nadim stellte sich vor mich.

Ich nickte, beobachtete aber weiterhin den neuen.

"Ist Mira wieder mit einem Typen beschäftigt?" Für diese Aussage bekam Amir von Nadim einen leichten Schlag auf den Hinterkopf.

Ich sagte darauf nichts. Viel zu sehr war ich vom Aussehen des Neuen fasziniert, er drehte sich nämlich gerade um und sah in unsere Richtung.

Sein Gesicht war perfekt. Markante Wangenknochen, symmetrisch geformte Lippen und die wunderschönsten braunen Augen, die ich jemals sah. Seine Haare waren schwarz und zurückgegelt. Er trug eine Jeans, Sneaker, weißes Shirt und eine schwarze Lederjacke darüber. Seine Bauchmuskeln zeichneten sich durch das enge Shirt ab und ich konnte jeden der kleinen Hügel an seinem Bauch ohne Probleme zählen. Alles an ihm schrie förmlich danach, dass er gefährlich war, dennoch war ich wie besessen. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden, fixierte ihn, ja zog ihn innerlich schon förmlich aus. All meine Sinne waren nur auf den heißen Typen vor mir gerichtet. Sogar mein Kopf spielte mir einen Streich, für eine kurze Sekunden dachte ich, sein Parfüm wahrnehmen zu können … und bei Gott er roch so verdammt gut. Eine Gänsehaut breitete sich an meinem ganzen Körper aus und in meinem Bauch kribbelte es.

"Alana …" die piepsige Stimme schrie in mein Ohr und holte mich zurück in die Gegenwart.

Meine Schwester stand mit verschränkten Armen vor mir und giftete mich an. Der Blick von Nadim war fragend … oder verwundert? Nun ja, eins von beiden. Und Amir grinste frech.

"Wo bist du mit deinen Gedanken?" meckerte Mira.

Bei dem unglaublich heißen Typ …

"Hier … warum? Was ist los?" Meine Stimme war eine Oktave höher als sonst. Ich fühlte mich ertappt und äußerst unwohl, weshalb ich nervös von einem Bein aufs andere tapste.

"Wir haben dich dreimal das gleiche gefragt und du gibst keine Antwort!"

"Ja …" antwortete ich einfach auf gut Glück.

"Ist das deine Antwort?" Diesmal sah mich Nadim fragend an.

Ich nickte nur.

"Gut, dann steht es sicher!"

Scheiße … was steht sicher?

Mira redete noch kurz mit den beiden, doch meine Ohren hörten ihnen schon gar nicht mehr zu. Ich war schon wieder bei dem Neuen. Er verabschiedete sich gerade von Giuseppe, danach drückte er Yasin was in die Hand und lief auf das Motorrad hinter ihm zu.

Ist das seins?

"Alana …" Meine Schwester katapultiert mich wieder in die Gegenwart.

Nun hatte sie die Nase voll. Mira griff nach meiner Hand und zog mich mit. Direkt an dem hübschen Typen vorbei. Ich bin mir sicher, für eine Sekunde rot geworden zu sein. Schon ziemlich dämlich, da ich ihm ja bis jetzt noch nicht mal aufgefallen war.

"Heute bist du wirklich komisch!"

"Hmmm." mehr bekam ich nicht raus. Meine Gedanken kreisten nur noch um eine einzige Sache … dem Neuen!

So schnell sind wir noch nie gewesen. Vielleicht lag es auch daran, dass ich vom Weg nicht wirklich viel mitbekam.

"Schaffst du den restlichen Weg, ohne überfahren zu werden?"

Mira sah mich besorgt an. Wir standen vor ihrer Bar. Sie war ein klein wenig zu spät dran, weshalb sie nervös wirkte.

"Ja, klar!"

Sie verdrehte ihre Augen.

"Heute brauchst du nicht auf mich zu warten. Ich mache Überstunden. Wir sehen uns morgen bei Mama und Papa."

"Ist gut."

Sie umarmte mich kurz und ging dann. Ich machte mich ebenfalls auf den Weg.

Ob er unser neuer Nachbar ist? Vielleicht ist er auch nur ein Freund von einem der Jungs. Aber dann wäre die Wahrscheinlichkeit, ihn wieder zu sehen, ziemlich gering. Die meisten kommen kein zweites Mal in die Siedlung. Vielleicht sollte ich Nadim einfach fragen? Nein, lieber nicht! Oder doch? Was soll schon passieren? …

Im Grunde konnte es mir egal sein! Er ist nur irgendein Typ, der gut aussieht, mehr nicht. Da ist doch nicht mehr … oder? Natürlich nicht!

"Da sind sie ja Frau Greco! Ich wollte gestern noch mit ihnen sprechen, aber sie waren so schnell weg." Die dunkle Stimme meines Chefs unterbrach meinen innerlichen Zwiespalt.

Ich sah ihn fragend an, dabei kam er einen Schritt auf mich zu. Seine große Erscheinung war von der Nähe noch beängstigender. Meine Hände fingen unwillkürlich an zu schwitzen.

"Mein Archiv müsste gereinigt werden."

Ohhh Nein, bitte nicht!

"Sie wissen ja was zu tun ist. Es wäre schön, wenn sie dies heute noch erledigen würden. Die Überstunden bekommen sie extra bezahlt." Seine grünen Augen durchbohrten mich förmlich. Auch wenn ich keine große Lust darauf hatte, hätte ich mich nie getraut, zu widersprechen. Nicht bei ihm!

"OK, ich mache das heute noch!" flüsterte ich und griff nach meinem Putzwagen.

Er nickte selbstgefällig, drehte sich um und ging in sein Büro. Als er an seiner Sekretärin vorbeilief, senkte sie den Kopf und widmete sich wieder ihren Aufgaben. So wie es aussah, musste sie heute auch Überstunden machen.

Ich machte mich gleich auf den Weg ins Archiv, mit etwas Glück wären danach alle weg und ich hätte Ruhe beim Putzen der Büroräume.

Tatsächlich, während ich Regal für Regal entstaubte, wurde es draußen immer leiser. Bis ich irgendwann gar nichts mehr hörte.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich mit dem kleinen Raum fertig war. Innerlich verfluchte ich meinen Chef. Hätte er mir doch nur ein paar Tage vorher Bescheid gegeben, dann hätte ich früher anfangen können, hätte mich vorbereiten können. So wurde ich erst fertig, als es schon weit nach Mitternacht war und mir fehlte immer noch ein Büro … das meines Chefs.

Die Tür war zu. Nur zögerlich öffnete ich sie.

"Kommen Sie nur rein!"

Scheiße, er ist noch da!

Ihm muss mein verwundertes Gesicht aufgefallen sein, denn er fragte:

"Ist alles in Ordnung?"

"Ja."

"Warum schauen Sie dann so schockiert?"

"Ich dachte, ich wäre alleine." gab ich ehrlich zu und fing an zu putzen.

"Ich habe auf sie gewartet."

Was? Warum?

"Gibt es noch etwas, was ich putzen soll?" Meine Stimme klang genervter, als ich es wollte, doch langsam, aber sicher war ich müde und hatte keine Lust mehr.

"Nein." Er lachte. Wieso lachte er?

"Ich habe gewartet, dass ich Sie nach Hause fahren kann."

Nun entgleisten mir sämtliche Gesichtszüge. Ich konnte nicht mal an etwas denken, so sehr schockierten mich seine Worte. Warum sollte er mich nach Hause fahren wollen?

"Das es so spät wurde, ist meine Schuld, aber daran habe ich vorher nicht gedacht ... Also fahre ich Sie!"

Ich fühlte mich, als hätte man mir eine Ohrfeige gegeben. Der Teufel höchstpersönlich gab zu, einen Fehler gemacht zu haben, doch das war noch nicht alles … Er wollte mich, seine Angestellte Putzfrau nach Hause fahren. Einfach so? Ohne Gegenleistung? Aus Nettigkeit? Ganz bestimmt nicht!

"Das müssen Sie …"

Er unterbrach mich, dabei funkelten seine grünen Augen.

"Keine Widerrede!" Er stand auf, zog sein Jackett drüber und kam auf mich zu.

"Gehen wir!" Es klang eher wie ein Befehl als wie eine Frage.

Ungläubig schaute ich auf meinen Putzlappen in der Hand.

"Räumen sie das weg, dann gehen wir!"

Vielleicht lag es an seiner groß vor mir aufgebauten Statur, dass ich mich nicht traute, ihm zu widersprechen, oder vielleicht an seiner tiefen Stimme, die meinem Hirn ganz deutlich signalisierte, das zu tun, was er wollte. Ich weiß nicht warum, aber ich tat, was er mir sagte.

Zum Glück war das ganze Firmengebäude leer, lediglich der Nachtwächter saß unten an der Rezeption, sodass niemand mitbekam, wie der Chef mit der Putzfrau im Schlepptau das Gebäude verließ und auf seinen teuren Wagen zusteuerte.

Er hielt mir die Autotür auf und ich stieg ein. Es war sein Parfum, das den ganzen Innenraum einnahm und mir durch die Nase strömte. Nicht unangenehm, so wie ich es von anderen Autos kannte. Der penetrante Geruch von altem Diesel, gemischt mit dem muffigen Geruch der Textilien, die sich schon mit allem möglichen vollgesaugt hatten, so wie bei Nadims Auto. Wo man sich nicht sicher sein konnte, woher die ganzen Flecken kamen.

In diesem Auto waren die Sitzbezüge mit hellem Leder überzogen, der perfekte Kontrast zum schwarzen Auto. Alles war sauber und ordentlich. Sogar der kleine Teppich unter meinen Füßen war gesaugt. Am Rückspiegel hing eine Kette mit einem kleinen Kreuz, welches im Licht der Straßenlaterne schimmerte.

"Wo wohnen Sie?"

Seine Frage riss mich aus der innerlichen Begeisterung.

Ich zögerte. Für mich war es nicht selbstverständlich, jemand anderem zu sagen, wo ich wohne. Immerhin kannte jeder dieses Viertel und jeder mit genügend Verstand mied meine Gegend ebenso wie die Leute, die dort wohnten.

Außerdem würde er es sicherlich nicht Mal bis zum Ende der Straße schaffen, ohne Aufsehen zu erregen. Nicht mit diesem Auto. Und für einen Mann wie ihn, bestimmt keine angenehme Begegnung.

Zögerlich nannte ich ihm eine Straße, die gleich um die Ecke meiner Siedlung lag. Das war auf jeden Fall sicherer.

Er nickte und startete den Motor.

Es war mitunter eines der seltsamsten Gefühle, die ich je hatte. Ich verschränkte meine Hände im Schoß und blieb regungslos sitzen.

Zu wissen, dass ich gerade in dem Wagen meines mehr als dominanten Chefs saß, brachte meine Knie unwillkürlich zum Zittern. Verlegen blickte ich aus dem Fenster und beobachtete die an uns vorbeiziehenden Häuser.

Ab und zu schaute er zu mir, richtete aber seinen Blick schnell wieder auf die Straße.

"Sind Sie immer so still?"

"Nein!" Ich sah ihn fragend an. Das müsste ihm doch klar sein. In seiner Gegenwart war mit Sicherheit jeder still. Kein Wunder … Bei seinem leicht reizbaren Charakter wusste niemand, was als nächstes kommen würde.

"Dann reden Sie doch!" Seine grünen Augen funkelten mich kurz freudig an.

Ernsthaft?

War das ein Spiel? Versteckte Kamera?

"Ich weiß nicht …"

"Haben Sie Geschwister?"

"Ja, zwei." Aber das wissen sie doch! Steht in meinem Lebenslauf!" rutschte es mir raus.

Er fing an zu lachen.

"Ich lerne nicht jeden Lebenslauf auswendig!"

Na klar! Hätte ich auch draufkommen können.

Schnell schaute ich wieder aus dem Fenster und versuchte, meine Atmung unter Kontrolle zu bringen. Jedes falsche Wort könnte mich den Job kosten. Abgesehen davon, dass mich der Typ einfach nur nervös machte.

"Wie ist ihr Vorname?"

"Alana."

"Hübscher Name … Alana! Ich bin John!" An der roten Ampel streckte er mir seine Hand entgegen.

Ich nahm sie und lächelte freundlich.

Wann kommt der Zeitpunkt, an dem ich aufwache?

Die restliche Fahrt über sagte er nichts mehr, was mir nur recht war. Ich fühlte mich unwohl bei dem Gedanken mich mit meinem Chef anzufreunden. John … Obwohl ich nicht gedacht hätte, dass er auch so freundlich sein konnte.

"Wir sind da!" Er parkte den Wagen genau vor der Adresse, die ich ihm nannte.

"Vielen Dank."

John nickte mir lächelnd zu und ich stieg aus.

Erst als er weiterfuhr, machte ich mich auf den richtigen Weg nach Hause.

In der Siedlung war es still, nun ja, soweit man das sagen konnte. Hier und da hörte man Mal ein Pärchen streiten oder ein Kind schreien, aber das nur durch die offenen Fenster, ansonsten war es relativ ruhig, keiner war draußen. Was schon ein klein wenig komisch war.

Bis ich die kleine Gruppe Männer vor meiner Tür auf der Bank sah. Die Bank, auf der normalerweise Nadim mit seinen Jungs saß. Doch diesmal war es nicht er, der sich dort lautstark mit seinen Freunden unterhielt. Es waren die Männer, die man normalerweise nicht zu Gesicht bekam. Etwas älter als ich, skrupelloser und gefährlicher als Nadim und seine Freunde. Männer, die schon immer hier wohnten. Männer, bei denen sich keiner traute, etwas gegen sie zu tun.

Bevor Nadim hier das Drogengeschäft übernahm, hatten sie es. Vermutlich wurde es ihnen irgendwann zu langweilig, oder es brachte ihnen nicht genug ein, wie auch immer sie hörten auf damit und widmeten sich größeren Dingen. Ab und zu hörte man ein paar Gerüchte darüber, was sie machten. Von schwerem Raub bis Totschlag war alles dabei.

Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch näherte ich mich meiner Haustür. Bis jetzt fiel ich noch keinem von ihnen auf, vielleicht hatte ich ja Glück und sie würden mich überhaupt nicht beachten. Falsch gedacht …

"Hey Kleine … Nicht so schnell!" rief einer der Kerle mir zu.

Hektisch kramte ich in meiner Tasche nach dem Schlüssel.

"Komm doch mal her!" Ein anderer stand auf und kam in meine Richtung. Sein Gesicht war verziert mit Tattoos, die sich über seinen Hals zogen und unter dem Kragen seines grauen Hoodies verschwanden. Er war groß und ziemlich breit gebaut. Ein Anblick, der mir gerade wirklich Angst einjagte.

"Keine Zeit!" Bevor er bei mir war, knallte ich ihm die Tür vor der Nase zu.

Er fluchte noch irgendwas, doch ich war schon im Aufzug und atmete erleichtert aus.

Was für ein Tag!

Ich ließ mich nur noch erschöpft auf die Couch fallen und war froh, dass morgen Samstag war.

Leider begann der genauso blöd wie der gestrige geendet hatte.

Ich wurde durch ein lautes Klopfen an meiner Tür wach. Verschlafen schleppte ich mich zur Tür.

Mira …

"Guten Morgen, Schwesterherz. Wieso schläfst du denn so lange?

Dafür hatte ich jetzt keine Nerven. Ihre extrem gute Laune brachte mich beinahe zum Würgen. Ich hob genervt meine Hand und trottete zurück zu meinem Sofa.

"Wir haben noch viel vor, also mach dich schnell fertig!"

"Was haben wir denn vor?" fragte ich leise und rieb mir die Augen, während ich mich wieder setzte.

"Schon vergessen. Haben wir doch gestern besprochen …" Mira ging zur Kaffeemaschine und schaltete sie ein. Als sie meinen unwissend fragenden Blick sah, zog sie ihre Braue zusammen.

"Sag nicht, du hast doch nicht zugehört. Wo warst du mit deinen Gedanken?"

Genau bei dem Typ, der auch in meinem Traum aufgetaucht ist.

"Erde an Alana …" Sie stand dicht vor mir und stemmte ihre Hände in die Hüfte.

"Schon wieder … Was ist los mit dir?"

"Sag schon …Was haben wir heute noch vor?" Um endlich von dem Thema abzulenken.

"Wir gehen heute Abend mit Nadim feiern!"

"Ach ja, die Party auf der 3." Ich nahm ihr die Tasse Kaffee aus der Hand und trank einen großen Schluck, um den morgendlichen Geschmack runterzuspülen.

Ehrlich gesagt hatte ich keine Lust meinen Samstagabend in einem stickigen Keller zu verbringen.

"Welche Party auf der 3? Nein, wir fahren in die neue Disco. Er hat uns eingeladen!" Mira nahm sich einen neuen Kaffee und stellte sich ans Fenster, um rauszuschauen.

Ohhh, vielleicht kommt der heiße Typ auch mit …

Kann ja sein, wenn er ein Freund von Nadim ist …

Vielleicht war es der Kaffee … aber vermutlich eher der Gedanke an den sexy Lederjacken Typen, der mich hellwach werden ließ.

Ich stand auf und folgte meiner Schwester zum Fenster. Unauffällig blickte ich zur Bank vor meinem Haus hinunter.

Ist er heute wieder da?

Schade …

Niemand war zu sehen. Dann musste ich eben darauf hoffen, ihn eventuell heute Abend sehen zu können.

Innerlich ging ich meinen kompletten Kleiderschrank durch.

"Der ist ja heiß!" flüsterte Mira.

Wem sagst du das …

Ich realisierte nicht wirklich wen, oder was sie meinte, da ich ja wieder Mal nur einen im Kopf hatte.

"Mio Dio! Wirklich zum Anbeißen. Schau dir den perfekten Körper an."

Gut … Jetzt folgte ich ihrem Blick. Meine Schwester starrte in das gegenüberliegende Gebäude.

Ich erkannte nicht sofort, wer ihre Aufmerksamkeit hatte, bis ich ihn am offenen Fenster sah. Er hatte nur eine Boxershorts an. Sein perfekter Körper wurde von den ersten Sonnenstrahlen erhellt und er stand da wie ein Gott. In der einen Hand hatte er eine Tasse, mit der anderen hielt er sich am oberen Rahmen des Fensters, sodass jeder einzelne Muskel angespannt war.

Er starrte in unsere Richtung, doch das merkte ich erst, als Mira mir einen Schubs gab.

"Er hat uns gesehen!" Sie klang erfreut.

Scheiße!

Mein Blick fiel an mir runter und im nächsten Moment rannte ich ins Bad.

Na toll, da hatte er mich endlich gesehen und dann so. Was für ein beschissener erster Eindruck.

"Komm da raus!" schrie Mira.

Dumme Kuh, auch mein Fenster ist offen. Er kann uns also problemlos hören! Vor allem wenn sie so schreit.

"Zieh den Vorhang zu!" versuchte ich laut zu flüstern.

"Was? Ahhh … OK!"

Erst als sie mir das Zeichen gab, kam ich raus.

"Was ist denn mit dir los? Warum haust du gleich ab? Klar war es ein bisschen unangenehm, vor allem wenn du ihn so anstarrst, aber hey … Er steht doch nackt am Fenster wie ein Adonis."

"Ich habe ihn nicht angestarrt!"

Mira lachte.

"Du bist Knallrot. Hat sich meine kleine Schwester etwa endlich verliebt? Er schaut aber nicht aus wie ein Prinz."

"Ich bin nicht verliebt!"

"Na, wenn das so ist, dann schnappe ich ihn mir."

Der Gedanke daran gefiel mir überhaupt nicht, doch ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Ich zuckte mit den Schultern und ging zum Kleiderschrank. Danach verschwand ich im Bad. Mira stellte sich wieder zum Fenster und zog die Vorhänge auf. Diesmal winkte sie ihm. Seine Reaktion konnte ich nicht mehr sehen was mich fast wahnsinnig werden ließ.

Ich wollte unter keinen Umständen, dass Mira mehr Zeit als nötig an meinem Fenster verbrachte. Also duschte ich und zog mich anschließend in Rekordzeit um.

Mittlerweile war auch Stella da. Mira und sie standen immer noch am Fenster.

"Da ist er … und wie findest du ihn?"

"Stimmt, er ist echt hübsch, aber für meinen Geschmack zu alt. Er ist in eurem Alter." Meine kleine Schwester war 17 Jahre alt.

Ich stellte mich zu den beiden. Zwischen ihnen kam ich mir schon immer komisch vor, doch jetzt wo wir alle drei auf den gleichen Typen starrten, verstärkte sich dieses Gefühl nur noch mehr. Auf der einen Seite Mira … groß, braune Mittellange gewellte Haare und braune Augen. Eine schöne schlanke Figur und ein wirklich hübsches Gesicht.

Und auf der anderen Seite, Stella … ebenfalls groß und schlank, aber mit blonden Haaren und blauen Augen und dann ich in der Mitte … klein … nicht hässlich, aber zwischen meinen Schwestern unauffällig. Meine fehlende Körpergröße bereitete mir schon immer Komplexe. Ich schaffte gerade einmal die 1,60 und das wars dann!

Stella lächelte mich an.

"Guten Morgen. Ich wollte eigentlich nur kurz fragen, ob ihr zum Frühstücken kommen wollt, aber da hat Mira mir den Neuen gezeigt … Und wie findest du ihn?"

Ich zuckte mit den Schultern.

"Er gefällt ihr nicht!" grinste Mira.

Das habe ich nicht gesagt!

"Wirklich? Hmmm ich finde ihn nur zu alt, aber ansonsten … wirklich …"

"OK, schon gut. Wir wissen es alle. Das muss man nicht die ganze Zeit erwähnen." Ich hob meine Hände. Wenn ich noch einmal aus dem Mund einer anderen Frau hören musste, wie hübsch der Neue war, würde ich ausflippen, selbst wenn es meine eigenen Schwestern waren.

Mira und Stella fingen an zu lachen.

"Gehen wir?"

Ich lief zur Tür und öffnete sie.

"Kommt ihr mit runter Frühstücken?"

"Nein, wir fahren in die Stadt. Wir müssen für heute Abend was zum Anziehen kaufen, wenn du willst, komm doch mit."

Stella überlegte kurz, entschied sich aber dann doch dagegen. Sie war mitten in der Prüfungsvorbereitung und wenn sie nicht so wie wir enden wollte, sollte sie lieber einen hervorragenden Abschluss machen. Zum Glück hatte sie so viel verstand, dass sie ablehnte und den Abend lieber mit Lernen verbrachte.

Mira schliff mich von einem Geschäft ins nächste, jedes teurer als das zuvor. Nach unzähligen Anproben fand sie endlich ein passendes Kleid. Es war figurbetont, kurz, schwarz und es glitzerte ein klein wenig.

Ich selbst entschied mich für einen kurzen Jumpsuit, ebenfalls in schwarz mit ein bisschen Glitzer.

"Du hast so eine schöne Figur und versteckt sie jedes Mal." Mira betrachtete mich von oben bis unten.

Ja, nur leider auf Zwergengröße verteilt!

"Du solltest auch lieber ein Kleid anziehen. Rot vielleicht? Das passt zu deinen langen schwarzen Haaren!"

"Spinnst du? Ich ziehe dich kein rotes Kleid an."

Meine Schwester schüttelte lachend den Kopf. Klar, dass sie mich nicht verstand.

Ich blieb bei meiner Entscheidung.

Gegen Abend machten wir uns auf den Heimweg. Insgeheim hoffte ich, den Neuen zu treffen, doch es war nur Amir, der uns über den Weg lief.

"Das mit später steht, oder?"

"Ja, klar." antwortete Mira.

"Gut, wir treffen uns um 23.00 hier. Seid pünktlich!"

Für jeden anderen wäre ein Disco Besuch keine große Sache gewesen, schon gar nicht in unserem Alter. Doch für uns … Außer die Kellerpartys hatten wir in unserer Jugend nicht viele Möglichkeiten, feiern zu gehen. Selbst die Jungs freuten sich auf den Abend, das konnte man gut an dem breiten Grinsen auf Amirs Gesicht erkennen.

Bevor wir uns fertig machten, wollten wir noch kurz bei unseren Eltern vorbeischauen. Außerdem konnten wir so vorher noch etwas essen, ohne selber kochen zu müssen.

Stella öffnete die Tür.

"Ihr wart aber lange shoppen! Habt ihr was Schönes gefunden?" Da nahm sie uns auch schon die Taschen ab und verschwand in ihrem Zimmer.

"Wo wart ihr? Ich dachte, ihr kommt zum Frühstück. Jetzt ist es Abend!" Mein Dad klang nicht sonderlich begeistert.

"Einkaufen. Aber jetzt sind wir ja da." Mira gab ihm einen Kuss und setzte sich neben ihn."

Ich tat das gleiche.

"Sind das die Mädchen?" rief Mama aus der Küche.

"Si …", antwortete Papa und nickte in ihre Richtung.

Ein Zeichen, wir sollen ihr helfen gehen.

Meine große Schwester blieb sitzen, also stand ich auf und half.

"Ciao Bellina." Mama umarmte mich.

"Wieso kommst du so spät?"

"Wir waren einkaufen. Heute Abend wurden wir eingeladen und Mira wollte ein Kleid kaufen."

"Chi?"

"Von Nadim und seinen Freunden!" Ich schnappte mir die Teller und wollte gerade zurücklaufen, da hielt sie meinen Arm.

"Wohin geht ihr?"

"Nur in die Diskothek. Nichts Besonderes."

"Seid vorsichtig! Und redet mit niemandem, den ihr nicht kennt!" Ihre Warnung klang ernst, wie immer. Schon als wir klein waren, predigte sie uns das. So wie Mütter eben waren.

"Si Mama, keine Sorge!"

"No, Alana, nicht so … Du bist die Vernünftige … also seid vorsichtig!"

Ich sah ihr in die Augen und versuchte, so aufrichtig wie möglich zu sein.

"Ich verspreche es dir!"

Sie nickte zufrieden und ließ meinen Arm los. Für sie würden wir wahrscheinlich nie erwachsen werden.

Zum Glück bekam mein Vater von alledem nichts mit. Höchstwahrscheinlich hätte er es uns sogar verboten zu gehen. Mira hätte sich von seinem Verbot nicht aufhalten lassen, doch ich schon. Da war es scheißegal, dass ich erwachsen war und nicht mehr zuhause wohnte. Was meine Eltern sagten, wurde getan!

Nach dem Essen verabschiedeten wir uns und gingen hoch zu mir. Mira wollte sich bei mir fertig machen. Ich war mir sicher, dass sie dies nur wollte, weil mein Ausblick aus dem Fenster viel besser war als ihrer.

Es war kurz vor 23.00 Uhr, als wir uns auf den Weg nach unten machten. Natürlich hoffte ich, dass der Neue auch mitgehen würde, doch wirklich damit gerechnet hatte ich nicht.

Weshalb ich mich umso mehr freute, als ich ihn neben Nadim stehen sah.

"Der Neue!" flüsterte Mira.

"Kennt er Nadim?"

"Hmmm …"

Mein Herz klopfte einen Takt schneller und in meinem Bauch begann es zu kribbeln. Ein Gefühl, das ich so zuvor noch nie hatte.

Klar, ich hatte oft davon gelesen, doch es selber zu fühlen …

"Alana, verdammt … du schaust echt … " Amir drehte eine Runde um mich herum, was mir äußerst unangenehm war.

"Halt die Klappe!" zischte ich, bevor er ausreden konnte.

"Jungs, scheiße schaut Mal! Die kleine Alana kann ja richtig heiß ausschauen!"

Ich war mir so sicher, in diesem Moment rot wie eine Tomate geworden zu sein.

Der Neue lächelte, Nadim schüttelte den Kopf, Micki starrte nur auf sein Handy, Christiano leckte sich die Lippen und Yasins Blick hätte töten können.

"Lass sie!" befahl Nadim und schlug Amir leicht auf den Hinterkopf. Danach zeigte er auf den Neuen.

"Das ist Leonardo!"

Mira streckte ihm sofort lächelnd die Hand hin.

"Ich bin Mira, das ist meine kleine Schwester Alana!"

Leonardo

Eigentlich hatte ich keine Lust mitzugehen, doch Nadim hatte so lange auf mich eingeredet, dass ich nachgab.

"Vertrau mir … Es wird lustig!" Nadim sah irgendwie nervös aus.

"Hmmm!"

"Hör nicht auf ihn! Er sagt das nur, weil Mira mitkommt." Micki checkte die Route auf seinem Handy.

"Mira?" fragte ich nach.

"Ja, Nadims heimliche Liebe!" Amir lachte.

"Schnauze!" motzte der Große zurück.

"Sei doch ehrlich! Jeder weiß es! Mira ist deine große Liebe!" mischte sich diesmal Christiano ein.

Nadim sah wirklich verzweifelt aus. Bis er zur Tür direkt vor uns schaute. Sein Blick erhellte sich sofort, als er die zwei Frauen sah, die gerade auf uns zukamen. Eine der beiden war kleiner als die andere, sie hatte lange dunkle Haare und ein verdammt heißes Teil an.

Das sind doch die beiden von heute Morgen am Fenster, oder?

Ich war mir ziemlich sicher, dass sie es waren.

Ja, die Große hat mir sogar gewunken.

Amir lief schockiert auf die kleinere der beiden zu und umkreiste sie.

"Alana, verdammt … du schaust echt … "

"Halt die Klappe!" zickte sie ihn an und unterbrach damit sein dämliches Gequatsche.

"Jungs, scheiße schaut Mal! Die kleine Alana kann ja richtig heiß ausschauen!" diesmal rief er es laut in unsere Richtung.

Die Kleine sah mich kurz verschämt an, wirklich nur ganz kurz, aber irgendwas in mir wollte in dieser Sekunde, dass Amir seine dumme Klappe hält.

Zum Glück ging Nadim dazwischen und schlug ihm auf den Hinterkopf.

Er stellte mich den Frauen vor. Die größere der beiden streckte mir ihre Hand entgegen:

"Ich bin Mira, das ist meine kleine Schwester Alana!"

Alana

Ich nickte ihr nur kurz freundlich zu, denn meine eigentliche Aufmerksamkeit gehörte der kleinen Alana.

Noch nie zuvor hatte ich so ein perfektes Gesicht gesehen.

Sie lächelte und sagte so leise, dass ich es schon fast nicht verstand:

"Hi!"

Grinsend nickte ich ihr kurz zu.

"So, dann mal los! Micki, schick mir die Route! Mädels ihr fahrt bei mir mit, die anderen bei Yasin!" sagte Nadim und klatsch in die Hände.

"Ich fahre mit meinem Bike!" Ganz sicher würde ich nicht mit einem der Jungs mitfahren. Dafür erntete ich zwar einige verwunderte Blicke, doch das war mir egal. Die Einzige, die freudig schaute, war Alana. Ihr Blick fiel sofort auf mein Motorrad.

"Willst du mit mir fahren?" fragte ich, rechnete aber eher mit einer Abfuhr. So interessant Frauen es auch fanden, wenn ein Mann ein Motorrad besaß, mitfahren wollten dennoch nur die wenigsten.

Ganz zu meiner Überraschung nickte sie mit großen Augen und lief schon Richtung Bike.

"Spinnst du. Alana, das kannst du nicht machen. Muss man dafür nicht irgendeinen Kurs oder so machen? Ich meine, es kann doch nicht jeder einfach so Beifahrer sein." Ihre Schwester klang hysterisch. Sie packte ihren Arm und hielt sie fest.

"Nein, muss man nicht! Ich habe oben noch einen Helm. Ich hole ihn schnell, dann fahren wir los!"

Mira schaute hilfesuchend zu Nadim, doch er zuckte nur mit den Schultern.

"Mira, es wird schon nichts passieren!" Alana befreite sich aus dem Griff ihrer Schwester und stellte sich zu meinem Motorrad.

Mira gab nur widerwillig nach, dafür musste Nadim sie an der Hand mit sich mitziehen.

"Komm mit!" rief ich der Kleinen zu und nickte in Richtung meiner Haustür.

Ich kannte die Gegend noch nicht wirklich gut genug, um sagen zu können, dass ein so hübsches Geschöpf um diese Uhrzeit hier sicher war. Also musste sie mit mir kommen.

Sie folgte mir lautlos, wartete aber oben vor dem Aufzug.

Drinnen nahm ich den Helm und eine Lederjacke. Alana hatte nur eine dünne Jacke an und auch wenn es draußen noch recht warm war, konnte es beim Fahren sehr kalt werden.

Ich warf meine Tür zu und ging zurück zu ihr.

Unten hielt ich ihr die Jacke hin:

"Hier zieh die lieber an."

Danach zeigte ich ihr, wie sie den Helm sicherte und stieg auf mein Bike. Nur vorsichtig setzte sie sich hinter mich und hielt sich mit ihren Händen an meiner Jacke.

Ich packte ihre Arme und legte sie um mich, dabei drückte ich fest zu, als Zeichen, sie müsse sich richtig festhalten.

Durch die Jacke konnte ich ihr Herz fühlen, es raste, was mich zum Lächeln brachte.

"Hast du Angst?"

Sie schüttelte den Kopf.

Am Anfang fuhr ich langsam. Schließlich wollte ich ihr keine Angst machen, doch dann gab ich ein bisschen mehr Gas. Sie fing an zu lachen.

Seltsam … Normalerweise fingen Frauen an zu quietschen, wenn ich etwas schneller fuhr. Sie jedoch nicht.

Nadim und die anderen standen bereits auf dem gut besuchten Parkplatz und warteten auf uns.

Kaum war Alana abgestiegen rief sie:

"Das war ja so cool!"

Man verstand sie kaum, weil sie noch den Helm aufhatte, sie bekam ihn aber auch nicht alleine ab, also half ich ihr.

"Danke." Ihre braunen Augen funkelten mich glücklich an und unwillkürlich musste ich lächeln.

"Deine Beine sind Knallrot!" Mira griff an ihr Bein und unterbrach damit unseren Augenkontakt.

"Und eiskalt! Manchmal hast du sie wirklich nicht alle. Mit kurzer Hose auf ein Motorrad … das ist verrückt!"

Fuck, daran habe ich gar nicht gedacht. Bestimmt ist ihr Sau kalt!

"Ach Quatsch, du übertreibst. Motorrad fahren ist sowas von cool!"

Mira nahm ihre Hand und zog sie hinter sich her. Wir alle folgten den beiden.

Die Schlange vor dem Eingang war lang, es würde sicher Stunden dauern, bis wir rein könnten. In meinem alten Leben hätte ich dafür keine Zeit verschwenden müssen!

Dank Yasin jetzt auch nicht. Er machte dem Türsteher ein Zeichen, woraufhin dieser uns durchwinkte. Erst von nahen, bemerkte ich die Ähnlichkeit zwischen den beiden. Als Yasin sich dann mit:

"Danke Bruder!" bedankte, war es mir auch klar.

Drinnen war es genauso voll wie draußen. Nadim lief voraus. Er steuerte die kleine Bar in der hintersten Ecke an. Nachdem wir uns Platz gemacht hatten, fiel mir auf, dass die Mädchen weg waren.

"Wo sind die zwei?" fragte ich laut in die Runde. Es war schwer, die Musik zu übertönen.

Amir zeigte auf die Tanzfläche. Ohne vorher Alkohol zu trinken, konnten die zwei schon ausgelassen tanzen. Auch eine Sache, die ich so aus meinem alten Leben nicht kannte. Es gab keine Frau, die, ohne etwas zu trinken tanzen konnte. Mein Blick musste dementsprechend verwundert gewesen sein, denn Christiano beugte sich zu mir und schrie:

"Das ist das erste Mal, dass sie in einer Diskothek sind!"