King of Truth - Pepper Winters - E-Book

King of Truth E-Book

Pepper Winters

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Beschreibung

Vom Nobody zum King of Wall Street - doch seine Geheimnisse könnten ihn alles kosten ...

Die reiche Kaufhauserbin Noelle Charlston führt ein Leben voller Pflichten und ohne Vergnügen. Mit Penn Everett glaubte sie, endlich die Liebe gefunden zu haben. Nie fühlte sie sich freier, nie lebendiger als in den Armen des undurchsichtigen Mannes. Doch dann entdeckt sie, dass Penn Geheimnisse vor ihr hat, und ihr Traum vom Glück zerplatzt. In Noelle keimt der Verdacht, dass Penn direkt aus ihrer Vergangenheit kommt ...

"Ich bin sprachlos und einfach nur glücklich. Dieses Buch hat meine Welt verändert!" UNBOUND BOOK REVIEWS

Abschluss des "Lies & Truth"-Duetts von Bestseller-Autorin Pepper Winters

Dieser Roman ist in einer früheren Ausgabe unter dem Titel "Throne of Truth" erschienen.

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Seitenzahl: 496

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Inhalt

TitelZu diesem BuchWidmungProlog1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel 22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. KapitelBrief von PennBrief von Elle34. KapitelBrief von ElleBrief von Penn35. Kapitel36. Kapitel37. Kapitel38. Kapitel39. Kapitel40. Kapitel41. Kapitel42. Kapitel43. Kapitel44. Kapitel45. Kapitel46. KapitelEpilogDanksagungDie AutorinDie Romane von Pepper Winters bei LYXImpressum

PEPPER WINTERS

King of Truth

Roman

Ins Deutsche übertragen von Ralf Schmitz

Zu diesem Buch

Die reiche Erbin Noelle Charlston führte ein Leben voller Pflichten und ohne Vergnügen. Ihre Tage waren angefüllt mit Arbeit für die exklusive Kaufhauskette ihrer Familie, ihre Abende bestanden aus geschäftlichen Terminen. Doch dann traf sie den attraktiven Geschäftsmann Penn Everett. Elle glaubte, endlich die Liebe gefunden zu haben. Nie fühlte sie sich freier, nie lebendiger als in den Armen des mysteriösen Mannes. Sie schenkte ihm ihren Körper, ihre Seele und ihr Herz. Aber als sie entdeckt, dass Penn Geheimnisse vor ihr hat und ihr nicht die Wahrheit sagt, zerplatzt ihr Traum vom Glück. In Noelle keimt der Verdacht, dass er einer der Angreifer ist, die sie drei Jahre zuvor überfallen und beinahe getötet haben. Wie sonst könnte sein Bruder in den Besitz ihrer Kette gelangt sein, die sie an jenem schicksalhaften Tag als Geburtstagsgeschenk bekommen und getragen hat? Als sie Penn mit der Wahrheit konfrontiert und sein Gebäude aus Lügen zum Einsturz bringt, nimmt ihr Leben eine schicksalhafte Wendung. Nichts ist mehr, wie es war. Nichts, bis auf die Gefühle, die sie noch immer an den Mann, der ihr Herz und ihr Vertrauen gestohlen hat, binden. Und so sehr sie Penn hassen will, ist er doch der Einzige, den sie liebt …

Allen Menschen, denen ich über den Weg gelaufen bin oder mit denen ich mich online unterhalten oder zu denen ich aufgeblickt habe. Auch wenn wir uns nur einen Moment lang begegneten, so haben diese Momente doch mein Leben geprägt.

PROLOG

PENN

Lügen.

Sie vermehren sich, verbreiten sich und greifen um sich – und erlangen Macht nicht nur über den, der sie hört, sondern auch über den Lügner selbst. Sie durchdringen die Wahrheit. Sie verändern den Sinn der Worte, bis die Lüge wahrer scheint als das, was wirklich ist.

Ich muss es wissen. Schließlich bin ich ein Meister der Lügen.

Eine Zeit lang waren Lügen meine Rettung. Sie wärmten mich in eisigen Nächten und behüteten mich, wenn nur noch Finsternis um mich war. Doch inzwischen habe ich Geld und eine Familie, ich brauche meine Lügen nicht mehr, um Macht auszuüben … im Gegenteil, sie nehmen mir meine Macht.

Und sie.

Sie ist vor mir geflohen.

Bevor ich ihr die Wahrheit sagen konnte.

Es spielte keine Rolle, dass sie die Wahrheit gar nicht hören wollte. Oder dass ich ihr so vieles hätte offenbaren müssen, aber nicht genug Mut dazu besaß.

Sie ist geflohen.

Und nun ist sie fort, wie vom Erdboden verschluckt.

1. KAPITEL

ELLE

»Steig aus dem verdammten Auto, Elle!«

Ich reckte das Kinn und starrte finster aus dem Seitenfenster.

Verpiss dich aus meinem Leben, Greg!

Die Verwünschung lag mir auf der Zunge, aber ich hatte nicht den Mumm, sie auszusprechen. Meine Wange brannte. Die Angst schnitt tief in meine Eingeweide. Meine Umgebung war mir fremd, und ich wollte nicht hier sein.

Ich war entführt worden, verletzt und stinksauer.

Ich hasse dich, Greg!

Dafür wirst du bezahlen.

Meine Lippen verzogen sich zu einem verächtlichen Grinsen.

Damit kommst du nicht durch, Greg.

»Elle!« Zum dritten Mal schlug er aufs Dach seines bleigrauen Porsche. Als der Schlag den Innenraum erschütterte, zuckte ich zusammen. Während der Fahrt hatte ich mich größtenteils gut gehalten.

Er hatte unablässig geschwafelt, während sich zwischen mir und meinem Zuhause die Kilometer häuften. Ich war stoisch geblieben und hatte geschwiegen – und zuckte mit keiner Wimper, wenn er schreiend Antwort verlangte, ging nicht in Deckung, wenn er drohend die Hand hob.

Ich wollte unbeeindruckt scheinen, auch wenn das körperliche Unbehagen mir immer schwerer zu schaffen machte. Meine Hände waren taub, weil die Fesseln mir das Blut abschnürten. Meine Schultern schrien nach Erlösung, und ich hatte mir während der langen Fahrt den Hintern platt gesessen.

Fünf Stunden hatte ich überlegt, wie ich Greg den Irrsinn, den er ausgeheckt hatte, entweder ausreden oder ihn außer Gefecht setzen konnte.

Mein Hirn spiegelte mir vor, wie ich ihn niederstreckte, an einen Baum gefesselt stehen ließ und mit seinem Auto davonbrauste. Wie ich eigenhändig nach New York zurückfuhr. Auch wenn ich seit der Führerscheinprüfung nicht mehr hinterm Steuer gesessen hatte. Daran ist David schuld, weil er mich immer durch die Gegend kutschiert. Bei meinen Fantasien kümmerte es mich nicht, dass ich kaum wusste, wie man einen Wagen steuerte, der keine Automatik hatte. Und es kümmerte mich erst recht nicht, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich mit hinter dem Rücken gefesselten Händen einen ausgewachsenen Kerl niederstrecken sollte.

Ich hätte alles getan, um mich von diesem Geistesgestörten, mit dem ich gemeinsam aufgewachsen war, zu befreien.

Angefangen bei der Weigerung, das zu tun, was er von mir verlangt.

»Elle …«, grollte Greg, schlug noch einmal auf das Autodach und bückte sich dann, um mir seine Visage entgegenzustrecken. Unter dem düster bewölkten Nachthimmel waren wir in Schatten gehüllt. Kein Stern, kein Mondschein. Als stünden wir am Ende einer Sackgasse und hätten sämtliche Straßen der Welt hinter uns gelassen.

»Ich bitte dich nicht noch mal.«

Ich legte alles an Befehlsgewalt in meinen Blick, was ich aufzubringen vermochte. »Ich will nicht hier sein, Greg. Fahr mich nach Hause!«

Lachend verdrehte er die Augen. »Sehr bedauerlich. Aber hier sind wir nun mal. Also …«

Ich blieb äußerlich unbeeindruckt, weil ich ihm nicht zeigen wollte, wie angespannt und ängstlich ich war. »Ich werde nicht aussteigen, weil du mich jetzt wieder zurückfährst.«

»Ach was? Wirklich?« Er lachte noch lauter, es hallte finster in meinen Ohren nach. »Das meinst aber auch nur du.« Er öffnete meinen Sicherheitsgurt und legte die Hand auf meinen Oberschenkel. »Ich zähle jetzt bis fünf.« Er drückte zu. Fest. »Ich rate dir, auszusteigen, bevor ich bei fünf ankomme.«

Mir blieb das Herz stehen.

Nun ließ Greg die Maske fallen. Er spielte nicht länger den faden Sohn des besten Freundes meines Vaters oder meinen Angestellten. Hier draußen (wo wir allein waren) zeigte er mir sein wahres Gesicht, und ich hasste ihn jetzt schon.

Mein Hass war größer als meine Furcht.

Trotzdem wuchs meine Angst mit jeder weiteren Sekunde, während er seine Finger in meinen Schenkel grub. Ich zitterte vor Trotz, verfluchte ihn und wünschte mir, die Erde würde sich auftun und ihn mit scharfen Zähnen bei lebendigem Leib verschlingen.

»Eins.« Lächelnd schob er die Hand höher meinen Oberschenkel hinauf.

Ich biss die Zähne zusammen. Ich wollte nicht, dass er sah, dass ich eine Gänsehaut bekam, als seine Hand mich dort zu berühren drohte, wo ich sie um keinen Preis haben wollte.

»Zwei.« Langsam überwand er die letzten Zentimeter und drückte mir mit einem brutalen Glanz in den Augen grob die Hand zwischen die Beine.

Ich erschauerte. Ebenso schnell, wie er zugepackt hatte, ließ er wieder los. Die Hand glitt weiter zum Bauch, zur Hüfte, zur Taille. »Drei.«

Ohne es zu wollen, rührte ich mich.

Winkelte gehorsam die Beine an – um aus eigenem Antrieb auszusteigen und mir zu ersparen, was auch immer er Gemeines vorhatte. Doch nun beugte er sich in den Wagen, sodass ich nicht aussteigen konnte.

Und er wusste es.

Er nickte verschlagen, als er sah, dass ich mir meiner misslichen Lage bewusst wurde. Mir wurde klar, dass ich gegen das, was als Nächstes passieren würde, nicht das Geringste tun konnte.

»Vier.« Seine Hand schoss von meiner Taille nach oben, wo er in eine Brustwarze kniff, bevor er meine Schulter packte. Spitz und eisern wie Stacheldraht gruben sich seine Finger in meine Haut, als wollte er sie jeden Moment zerreißen.

Ich wappnete mich gegen den Schmerz.

Bereitete mich schnaubend darauf vor, mich zu wehren.

Nicht, dass es mir irgendetwas nutzte.

»Fünf.« Inzwischen pochte die Stelle, wo er mich gepackt hielt, vor Schmerz heftig. Er grub die Fingernägel in mein Fleisch und zerrte mit ganzer Kraft an mir.

Ich verlor jeden Halt und fiel aus dem Auto.

Ich konnte mich nirgendwo gegenstemmen, um zu verhindern, dass ich seitlich hinausstürzte.

Schmerzhaft landete ich auf der Schulter, mit hinter dem Rücken gefesselten Händen, die Beine noch im Porsche. Schotter bohrte sich in meine Wange. Die Luft entwich meinen Lungen.

Mit dem Gesicht im Dreck hatte ich einen perfekten Ausblick auf Gregs Halbschuhe, als er über mir niederkauerte. »Na, das nenne ich einen Fortschritt. Du sitzt nicht mehr im Auto.« Er stieß mich mit der Fußspitze an. »Und jetzt hoch mit dir!«

Ich wand mich und zuckte zusammen, weil sämtliche Gelenke und Bänder gequält aufschrien. Mein Rücken protestierte dagegen, dass sich meine Beine noch immer verdreht über mir im Wageninnern befanden, während meine Schulter nach dem Sturz hier unten im Schotter lag.

Wie Gift raste Entsetzen durch meine Adern, als Greg einen Schritt zurücktrat. Ich machte mich auf einen Fußtritt gefasst oder darauf, dass er mich verhöhnte, doch er stemmte nur stumm die Hände in die Hüften und wartete.

Wäre ich seiner Aufforderung gefolgt und schon vor zehn Minuten ausgestiegen, hätte ich die Splitter in meiner Wange und die neuen Prellungen am ganzen Körper vermeiden können.

Blöd von dir, Elle.

War es klüger, mich aus Prinzip gegen alles zu wehren, was er verlangte, oder zu gehorchen, um meine Kräfte zu schonen?

Ich kannte die Antwort, auch wenn sie mir nicht gefiel.

Ich gab mir alle Mühe, mein Stöhnen zu unterdrücken, befreite langsam meine Knöchel aus dem Porsche und schlängelte mich so weit nach vorn, dass ich die Beine herausbekam. Vorsichtig und unter Schmerzen erprobte ich, wie ich mich drehen und mich mit den Händen hinter dem Rücken abstützen konnte, um mich aufrecht hinzusetzen.

Das dauerte, aber als ich saß, hörte ich Greg herablassend applaudieren. »Endlich hörst du auf den Boss.«

Ich spuckte einen Mundvoll bitter schmeckenden Dreck aus. »Du bist nicht mein Boss.«

»Falsch, Elle. Du hattest schon viel zu lange das Sagen. Von jetzt an werden neue Saiten aufgezogen.«

Ich presste die Lippen aufeinander. Ich wollte ihn nicht noch mehr gegen mich aufbringen. Er hatte offenbar Wahnvorstellungen. Was sollte ich zu einem Verrückten denn schon groß sagen? Sollte er doch glauben, dass er mir etwas zu befehlen hatte. Sobald er im Knast saß, würde ich ihn eines Besseren belehren.

Wir führten einen Krieg mit Blicken, wie Kinder, dann reckte ich das Kinn und tat, als wäre er gar nicht da.

Er sagte nichts, als ich meinen geschundenen Körper in Bewegung setzte.

Ich brauchte ein paar Minuten, bis ich es schaffte, meine Beine unter mich zu schieben, mich auf taube, kribbelnde Füße aufzurappeln und mich vom Asphalt zu erheben, aber schließlich gelang es mir.

Kaum war ich so weit, packte Greg meinen Ellbogen. »Wird auch Zeit, dass du hochkommst.« Damit zog er mich zu einer großen Hütte am Waldrand und fügte hinzu: »Du verschwendest meine Zeit, Elle. Aber dafür wirst du bezahlen.«

»Du hättest mir ja helfen können. Oder, noch besser, du hättest mich nach Hause fahren können.«

Er kicherte. »Sehr komisch.«

In der Hütte roch es nach verschwundenen CEOs und krimineller Energie. Jeder Gast in einer anderen Lage als der meinen hätte sich angesichts der hübschen, gelb und braun gerahmten Fensterchen willkommen gefühlt, für mich jedoch – gegen meinen Willen verschleppt – glich die Hütte einem Sarg, in dem ich lieber nicht eingesperrt gewesen wäre.

Jede Faser meines Körper protestierte dagegen (und protestierte und protestierte), die Hütte zu betreten. Andererseits war ich müde, hungrig und emotional ausgelaugt. Von dem Schlag, den Greg mir in meiner Wohnung versetzt hatte, brummte mir noch immer der Schädel, während mein Herz wund war von den Lügen, die Penn mir aufgetischt hatte. Vor meinem geistigen Auge sah ich meinen Saphirstern funkeln, der Penns Lügengebäude zerstört hatte.

Wo war die Halskette hergekommen?

War Penn wirklich Baseballmütze oder Adidas?

Eines jedoch wusste ich ungeachtet der Wahrheit sicher:

Alle Männer sind Arschlöcher.

Und solange mein Vater oder David nicht herausfanden, wo Greg mich hingebracht hatte, war ich auf mich selbst gestellt.

Aus dem Augenwinkel musterte ich Gregs aufgeblasene Visage. Alles an ihm trieb mich zur Weißglut.

Er ist ein Idiot.

Ein Idiot, der mich hier und jetzt umbringen könnte, ohne dass ihn jemand aufhält.

Obwohl ich vor Penn weggelaufen war und vorgehabt hatte, ihn bis in alle Ewigkeit zu verfluchen, hätte ich nun nichts dagegen gehabt, wenn er mich aufspürte und zu meiner Rettung herbeieilte. Heute Nacht war er definitiv das kleinere Übel.

Als wir die Stufen zur Veranda hinaufstiegen, hallten unsere Schritte auf dem fleckigen, stilvoll verwitterten Holz.

Greg ließ mich los und kramte in seinen Taschen nach dem Schlüssel.

Ich versuchte weder zu fliehen noch im Wald zu verschwinden.

Meine Hände waren gefesselt, und ich hatte keine Ahnung, wo wir waren. Auf Schulausflügen hatte ich mich immer ziemlich dumm angestellt und würde es, derart behindert, doch lieber mit Greg als dort draußen in der Wildnis mit einem Bären aufnehmen.

»Wo sind wir?«, fragte ich eisig.

Grinsend schob Greg den Schlüssel in das antik aussehende Schloss. »Die Hütte gehört meinem Alten.«

Ich erinnerte mich undeutlich, dass Steve, bevor ich Belle Elle übernahm, mit dem Kauf eines Feriendomizils angegeben hatte. Und irgendwann waren er und Dad übers Wochenende zu irgendwelchem Männerkram aufgebrochen.

Ich hatte nicht gefragt, welche Art Männerkram.

Es stimmt. Er ist ein Idiot.

Ich blinzelte, um zu verhindern, dass ich unwillkürlich die Augen über Gregs Blödheit verdrehte.

Er entführte mich und brachte mich an einen Ort, den sein Vater kannte.

Am liebsten hätte ich den unsichtbaren Sternen über mir gedankt.

Gesegnet sei Greg für sein Schrumpfhirn. So war es nur eine Frage der Zeit, bis die Kavallerie zu meiner Rettung erschien.

Doch ich behielt meine Gedanken für mich und nickte respektvoll, als Greg die Tür öffnete und sie weit aufhielt, damit ich eintreten konnte. Er folgte und ließ mich im Vorraum stehen, während er Licht machte und dem Dunkel Holzwände, eine hohe Decke mit Holzbalken und Holzböden entriss.

Der Name Blockhütte kam jedenfalls nicht von ungefähr – jeder Quadratzentimeter bis hin zum Küchentresen bestand aus den Stämmen gefällter Bäume. Es gab Holz im Überfluss und mittendrin ein kariertes Sofa, einen rustikalen Esstisch und eine Fensterbank, breit genug für zehn Kinder, die es vorzogen, dort zu lesen, statt den finsteren Wald zu erkunden, der vor den Fenstern mit schattigen Zweigen winkte.

Die Hütte war riesig. Mehrere Flure führten zu Schlafzimmern, und über ein paar Stufen gelangte man in einen zweiten Wohnraum mit einem gewaltigen Kamin.

Greg schüttelte seinen Blazer von den Schultern und warf ihn achtlos über die Sofalehne. Dann sagte er lächelnd: »Komm her!«

Ich hätte ihm lieber in die Eier getreten, stattdessen näherte ich mich langsam.

Als ich vor ihm stand, ließ er einen Finger in der Luft kreisen. »Dreh dich um.«

Ich schluckte eine Erwiderung hinunter und tat, wie mir geheißen. Sofort lief es mir kalt den Rücken hinunter. Es gefiel mir nicht, ihn hinter mir zu wissen, wo ich ihn nicht sah.

Seine Finger schlossen sich um meine Handgelenke.

Ich verkrampfte mich, entspannte mich aber sogleich ein wenig, als sich die enge Schnur langsam löste und dann ganz vom Handgelenk glitt.

In der Erwartung, vollends befreit zu werden, warf ich einen Blick über die Schulter. Aber stattdessen knüpfte er um eins meiner Handgelenke eine neue Schlinge und zog daran, bis ich mich zu ihm umdrehte.

Im goldenen Schein der Glühbirnen blitzten seine Zähne. »Wir können dich doch jetzt nicht weglaufen lassen, oder?«

Ich starrte finster auf die Leine, mit der er meinen Arm unter seiner Kontrolle hatte und mich an sich band. Wenigstens ließ er zu, dass ich den anderen Arm nach vorn nahm, um den Schmerz in meiner Schulter zu lindern.

»Ich laufe nicht weg.« Ich gierte danach, die Knoten zu lösen.

»Nimm es nicht persönlich, aber ich glaub dir kein Wort.« Damit ruckte er am Seil und grinste, als ich gegen ihn prallte und, weil er wieder am Seil zog, den Arm um seine Taille schlingen musste.

Er senkte den Kopf und schnüffelte an meinem Hals.

Ich erschauerte angewidert.

»Jetzt, wo ich dich einmal habe, lasse ich dich nicht wieder gehen, Elle.«

Ich atmete so langsam und gleichmäßig wie möglich, um den überwältigenden Drang zu unterdrücken, laut zu schreien, und sagte: »Du hast mich nicht, Greg. Und du wirst mich niemals haben!«

»Nun, jemand anderen, der Anspruch auf dich erhebt, sehe ich hier nicht.« Er küsste mich auf die Wange. »Du gehörst mir. Und du gehst nirgendwohin.«

»Ich brauche niemanden, der auf mich Anspruch erhebt. Ich gehöre mir selbst.« Nun trat die CEO in mir zutage. Ich musterte ihn arrogant und selbstsicher, mit hoch erhobenem Kopf. »Was erhoffst du dir hiervon, Greg? Du kannst mich nicht ewig hier festhalten. Man wird mich finden. Was immer du dir für einen Plan in den Kopf gesetzt hast, um mich zu heiraten und dir Belle Elle unter den Nagel zu reißen, er wimmelt nur so von Fehlern. Selbst wenn wir verheiratet wären, würde ich dich nicht zu meinem Partner machen, und kein Richter der Welt überschreibt dir mein Eigentum, wenn ich aussage, dass du mich gezwungen hast.«

Aus meinem Mund purzelten Sätze, die ich eigentlich nicht hatte aussprechen wollen. »Und was ist mit unseren Vätern? Glaubst du allen Ernstes, die beiden lassen dir das durchgehen? Mein Dad wird dich entweder im Schlaf ermorden oder ins Gefängnis werfen lassen. Und deiner wird bis ans Ende seiner Tage mit der Schande leben müssen.«

Ruckartig hob ich die freie Hand. Ich tippte ihm an die Stirn, als wollte ich einen Schwachkopf zur Vernunft bringen. »Denk doch mal nach, Greg. Wenn du mich jetzt losbindest, werde ich dich nicht anzeigen. Unseren Vätern sage ich, sie sollen vergessen, was vorgefallen ist. Ich werde allen erzählen, dass du dir nur die Eifersucht wegen Penn aus dem Kopf schlagen musstest, und alles wird wieder so normal sein wie zuvor.«

Sein Gesichtsausdruck war noch immer der des vergnügten Playboys, den ich gekannt und erduldet hatte; das dunkelblonde Haar fiel über ein Auge. Er sah aus, als könnte man ihn leicht manipulieren und hereinlegen. »Normal?«

Ich nickte. »Ohne dass etwas zurückbleibt. Überleg es dir.« Ich ruckelte an seiner Hand, die das andere Ende des Seils festhielt. »Bind mich los und fahr mich heim, dann vergessen wir das alles.«

Er schürzte die Lippen, als würde er über meinen Vorschlag nachdenken. Dann fiel ein dunkler Schleier über seine Augen. »Tja, Pech für dich, dass ich nicht auf normal stehe.«

Im nächsten Moment stapfte er los, zerrte mich durch die Küche und zur Hintertür hinaus. Wir stolperten die Stufen hinab Richtung Waldrand. Ich schluckte meine Angst hinunter, während er schnurstracks auf die dunkel aufragenden Bäume zuhielt.

Was zum –

Wohin bringt er mich?

Die Hütte war nicht gerade mein Wunschtraum, aber zehnmal besser, als mitten in der Nacht durch einen Urwald zu latschen.

»Greg …«

»Halt die Klappe, Noelle! Du hattest deine kleine Ansprache, aber jetzt hältst du deine Scheißklappe!« Er zog eine kleine Taschenlampe aus der Tasche und schaltete sie ein, während wir geräuschvoll durchs Gestrüpp stapften und uns den dicht belaubten Baumriesen näherten. »Du meinst, du wüsstest über mich Bescheid, wie? Jede Wette, du hast geglaubt, ich bin ein verdammter Idiot, weil ich dich in die Hütte von meinem Vater gebracht habe.« Er lachte kalt. »Ich wette, David ist längst hierher unterwegs. Pech für ihn.«

Er lachte lauter, verfiel in einen leichten Trab und zog mich unerbittlich hinter sich her. »Aber ich bin kein Volltrottel, Elle. Ich habe das hier seit Monaten geplant.« Schnurstracks steuerte er einen Schuppen unter uralten Bäumen an und kam schließlich schlitternd zum Stehen.

Dann riss er das Vorhängeschloss von der klapprigen alten Flügeltür, ließ die Kette von den Holzgriffen rasseln und drehte sich triumphierend zu mir um.

Die Leine, an der er mich hielt, schnitt bei jeder Bewegung in mein Handgelenk und ließ mir keinen Spielraum zur Flucht. Greg riss die Türflügel auf, zog mich über die Schwelle und richtete die Taschenlampe auf etwas, das ich auf keinen Fall sehen wollte.

Ein zweites Auto.

Ein glänzender, neuer Wagen, der garantiert nicht erschöpft liegen bleiben würde.

Ein schwarzer Dodge Charger.

Greg zog mich zur Beifahrerseite, öffnete die Tür und stieß mich hinein. »Wir haben erst den halben Weg geschafft, Elle. Bisher war alles nur Köder. Auf unser eigentliches Ziel kommt kein Mensch. Ein Ort, den nur ich kenne, wo wir uns endlich richtig kennenlernen können.«

War ich bisher stinksauer gewesen, so drehte ich jetzt innerlich fast durch.

Greg schlug mir die Beifahrertür vor dem Gesicht zu und sperrte mich so im Wageninneren ein.

Oh Gott, was soll ich nur machen?

Er lief auf die Fahrerseite und hüpfte hinters Steuer, als wären wir unternehmungslustige Hochzeitsreisende. Drehte den Zündschlüssel, und der Motor erwachte grollend zum Leben.

Dann legte er mir die Hand aufs Knie. »Wo wir uns sehr genau kennenlernen werden.« Er legte den Gang ein, der Wagen schoss vorwärts und stieß die Türflügel weit auf. Es war ihm offenbar egal, dass der Lack Kratzer bekam oder dass er den Rückzugsort seines Vaters ruinierte.

Mit brüllendem Motor schlingerte der Dodge über den weichen Waldboden. Greg trat aufs Gaspedal und raste raketengleich über den schmalen Pfad. Unter höhnisch über uns gebeugten Bäumen hindurch, über brechende Zweige hinweg bogen wir schließlich auf den breiteren Forstweg ein und ließen Telefone, Autos und Blockhütten hinter uns.

Penn würde mich nicht finden.

David und Dad würden mich nicht finden.

Ich war auf mich allein gestellt.

2. KAPITEL

PENN

Und ich hatte gedacht, schlimmer könnte es nicht kommen.

Doch das war ein Irrtum gewesen.

Allerdings geschah es mir ganz recht, wenn man bedachte, dass ich mein ganzes Leben lang Pech gehabt hatte. Ließ ich mich auf ein Risiko ein, ging der Schuss nach hinten los. Erspähte ich eine vermeintliche Chance, entpuppte sie sich als Illusion. Immerzu machte ich mir falsche Hoffnungen.

Es war mir selbst ein Rätsel, weshalb ich annahm, der Abend könnte nicht noch mehr entgleisen, nachdem Elle die Wohltätigkeitsveranstaltung fluchtartig verlassen hatte, nicht ans Telefon ging und sich weigerte, mir die Tür zu öffnen, als ich zu ihr fuhr.

Alles ganz normal. Ich gewöhnte mich besser dran, statt immer wieder aufs Neue überrascht zu sein.

Am Ende war ich verwirrt und von der ganzen Welt angekotzt nach Hause gefahren. Ich betrat das Haus und stieg die Stufen zu der renovierten Wohneinheit hinauf, wo ich wohnte, solange ich mich um die Renovierung der restlichen Wohnungen kümmerte; für Menschen, die ihre Existenz auf der Straße gegen das Hamsterrad eintauschen wollten, das man das normale Leben nannte.

Ich hatte Großes vor mit diesem Haus.

Die abblätternden Wände und undichten Rohre störten mich nicht. Ich hatte genug Geld, um in Renovierung und Ausstattung zu investieren, und konnte es kaum erwarten, dass der Bautrupp seine gegenwärtigen Arbeiten in Lower Manhattan beendete und sich ganz auf meine Baustelle konzentrieren konnte.

Meine Gedanken sprangen zwischen meiner Vergangenheit und Elle hin und her, während ich steifbeinig in die Küche ging und mir ein Glas Wodka auf Eis eingoss.

Ich trug den Drink ins Schlafzimmer. Zog mich gar nicht erst aus, trat nur die Schuhe von den Füßen, schlüpfte aus dem Silberjackett und öffnete den Gürtel. Den Rest – weißes Hemd, silberne Krawatte, glänzende Hose – behielt ich an und stieg aufs Bett, wo ich einen Schluck trank und die Tüte mit Elles Unterwäsche und dem Sexspielzeug aus unserer ersten gemeinsamen Nacht zu mir heranzog.

Ich konnte es nicht erwarten, das Spielzeug an ihr auszuprobieren, aber jetzt war sie vor mir davongelaufen. Sie war weggerannt, ehe ich ihr irgendetwas hatte sagen können, und weigerte sich, noch irgendwas mit mir zu schaffen zu haben. Ihre Tür blieb geschlossen, sie ging nicht ans Telefon.

Um ehrlich zu sein, litt ich größte Qualen; statt eines Herzens schien mir ein Amboss in der Brust zu sitzen. Dabei hatte ich doch gewusst, dass uns keine Zukunft beschieden war. Darauf hatte ich gesetzt. Ich hatte ihr in dem Vorhaben nachgestellt, mir zu nehmen, wonach es mich verlangte, und sie anschließend sitzen zu lassen.

Aber das war vor der Schokoladenmousse, der Limousine und der Spendengala gewesen.

Jedes Mal, wenn ich sie sah, fiel es mir schwerer und schwerer, meine Gefühle für mich zu behalten.

Die angebliche Verlobung, der ganze Scheiß … alles verloren. Weg. Genau wie Elle.

Gottverdammt!

Nun holte mich die Erschöpfung der vielen Jahre ein, in denen ich das alles geplant und vorbereitet hatte. Ich trank den Rest Wodka, um die Augen schließen zu können.

Heute Nacht würde ich mich ausruhen.

Und morgen würde ich mich entschuldigen, ihre Zurechtweisungen über mich ergehen lassen und ein für alle Mal aus ihrem Leben verschwinden.

Kein sonderlich guter Plan, aber wenigstens half er mir, meine aufgewühlten Gedanken zu beruhigen.

Ich ließ mich in die Kissen sinken und verschwand in den Schlaf, so wie Elle schon zum zweiten Mal aus meinem Leben verschwunden war.

Der Schlaf kam schnell und endete abrupt.

Und so wie ich mit noch mehr Pech hätte rechnen müssen, so hätte ich auch kommen sehen müssen, was als Nächstes über mich hereinbrach.

Hatte ich aber nicht, weil ich ein Idiot war.

Ich erwachte von einem Faustschlag gegen das Kinn, der mich aus chaotischen Träumen in eine irrsinnige Wirklichkeit riss.

Die nächste Faust traf meinen Solarplexus. Mir blieb die Luft weg, verzweifelt rang ich nach Atem.

Der Kinnhaken gleich darauf wurde von zwei Schlägen in die Magengrube gefolgt.

Was zum Henker?

Zwei Männer, vier Fäuste, und ich allein.

Ich rollte mich auf der Matratze zusammen und schützte meinen Kopf vor den auf mich niederprasselnden Schlägen. Hüfte, Brust, Rippen, Schläfe.

Und wieder von vorn.

Ich konnte nicht mehr zählen, wie viele Schläge ich einsteckte, wie viele alte und neue Wunden zu schmerzen begannen. Meine Vergangenheit hatte es mit sich gebracht, dass ich ein paarmal verdroschen worden war und bei anderen Gelegenheiten selbst zugeschlagen hatte.

Die Knochen vergaßen nie.

In manchen Nächten schien die Erinnerung sie zu wärmen, in anderen empfingen sie ihre gerechte Strafe und schmerzten.

Ich war ein wandelndes Schlachtfeld aus Knochen und Lügen, und diese Arschgeigen hatten sich Zutritt zu meiner Wohnung verschafft, um mich im Schlaf zu überfallen.

Ich hatte keine Chance, es ihnen heimzuzahlen, ohne dabei k. o. zu gehen. Also wartete ich, vor Schmerzen ächzend, während sie immer wieder auf mich einschlugen.

Schließlich, als ich mich weder rührte noch Anstalten machte, ihnen den Hals umzudrehen, stellten die Schweinehunde ihre prasselnden Hiebe ein und tuschelten miteinander, während ich zusammengekrümmt dalag.

Ich wartete auf eine Gelegenheit zum Gegenschlag, drückte das brennende Unbehagen weg und rappelte mich mühsam auf.

Schon immer hatte ich mich schnell bewegt.

Daher sahen sie es nicht kommen.

Ich landete einen Aufwärtshaken auf dem Kinn des einen Arschlochs und traf den anderen Schwachkopf mit einem seitlichen Tritt in die Eier. »Ihr kommt verdammt noch mal zu mir nach Hause und verprügelt mich?«

Beide stolperten rückwärts und hielten sich die getroffenen Körperpartien.

Halb sprang, halb fiel ich mit erhobenen Fäusten vom Bett. »Wer zum Teufel seid ihr? Und was macht ihr in meiner Wohnung?«

Der Größere ließ den Nacken knacken und sortierte seinen bulligen Körper. Dann fuhr er sich über die Unterlippe, die seine Zähne ihm bei meinem Kinnhaken aufgeschlitzt hatten. »Dafür wirst du bezahlen!« Damit warf er sich auf mich.

Ich ging ihn frontal an, Faust gegen Faust, doch ich war bereits ausgelaugt, außerdem waren sie zu zweit.

Seine Schläge trafen zu oft und raubten mir die letzten Reserven.

»He, Wichser«, sagte der Kleinere, der eine Wollmütze trug. »Runter mit dir, oder wir schlagen dich k. o.«

Der Größere grunzte etwas, das ich nicht verstand. Sein Gesicht war mit Aknenarben übersät, ein schmaler Kinnbart säumte seinen Kiefer. Er deckte mich mit Schlägen ein, bis in meinem Schädel Glocken läuteten, und brachte mich aus dem Tritt, bis sich alles ringsum drehte.

Ich wankte und stieß gegen die Matratze hinter mir.

Blinzelte gegen die Benommenheit an, um weiterkämpfen zu können. Doch ein wuchtiger Hieb gegen die Brust gab mir den Rest.

Sofort stürzte sich der Kleinere auf mich und nagelte mich mit den Knien auf der Matratze fest. »Bleibst du jetzt wohl unten?«

Als ich nach ihm trat, schnappte sich der Große meine Beine. »Wenn ich du wäre, würde ich es tun.«

Ich glotzte sie finster an. »Runter von mir!«

»Dann sag das Zauberwort.«

Ich würde auf keinen Fall Artigkeiten mit den beiden austauschen.

»Was wollt ihr?«, spie ich aus. »Geld? Ein verdammter Jammer, dass ich keins hier habe.«

»Oh, wir sind nicht hier, um dich zu bestehlen.« Der Große kicherte. Dann bedeutete er seinem Kumpan, von mir abzulassen, und legte seine Pranke auf die Stelle, auf die er kurz zuvor eingedroschen hatte.

In meiner Hüfte brüllte Schmerz auf; er drückte so fest zu, dass er blaue Flecke hinterlassen würde. »Da wir jetzt deine Aufmerksamkeit haben: Ich habe dir etwas mitzuteilen.«

»Was?«

Er tätschelte mir warnend die Wange. »Ah, keine Widerworte, okay?« Er sah seinen Kumpel an und verdrehte die Augen. »Solche wie der lernen es nie.«

Ich biss mir auf die Zunge, um ihm meinen Hass nicht vor die Füße zu spucken. Die beiden brachen nicht nur bei mir ein und verdroschen mich, sondern besaßen auch noch die Unverfrorenheit, die Augen zu verdrehen, als wäre ich hier der Schwachkopf.

In dem Moment, in dem sie verschwanden, würde ich ihnen die Polizei auf den Hals hetzen, und Larry würde gewiss dafür sorgen, dass sie nie wieder aus dem Strafvollzug herauskamen.

Arschlöcher.

»Nee.« Der Typ mit der Wollmütze lachte. »Wenn du willst, drehe ich ihn weiter durch die Mangel.«

»Nein, der Auftrag lautete, ihn aufzumischen, wir sollen ihn nicht gleich ins Krankenhaus befördern.« Der Schläger stieg von mir runter und fuchtelte mit der Faust vor meiner Nase herum. »Wir haben dir was auszurichten.«

»Von wem?«

»Darf ich nicht sagen.« Er grinste. »Die Mitteilung besagt: Halte dich von mir fern. Sie gehört mir. Sie hat dich sitzen gelassen, um mich zu heiraten. Also verpiss dich und nagle eine andere Blondine.«

Oh, ja, alles klar.

Dieser Bastard Greg Hobson.

Der Typ, den ich vom ersten Moment an gehasst hatte, und das nicht nur, weil er mein Rivale war. Ich verabscheute es, wie er Elle ansah. Fast als wäre er von ihr besessen!

»Er hat euch angeheuert, um mir Angst einzujagen.« Ich lachte, dass blutige Spucke spritzte. »Der Typ leidet an verdammten Wahnvorstellungen.«

»Kann dir egal sein. So lauten die Bedingungen.«

Um zu überprüfen, ob sie gebrochen war, drückte ich auf meine blutende Nase. Sofort traten Tränen in meine Augen. »Sie will ihn nicht, und daran wird sich auch nichts ändern. Er hatte schon verloren, bevor ich aufgetaucht bin.«

Der große Schläger verschränkte die Arme. »Das Kleingedruckte ist nicht deine Sache. Wir haben unseren Auftrag erledigt und die Botschaft überbracht.«

Meine Gedanken überschlugen sich und verweigerten die Vorstellung, Elle könnte sich jemals auf Greg einlassen. Das würde sie nicht tun. Das konnte sie unmöglich tun.

Es sei denn …

Scheiße!

Ich stand auf. Das Zimmer drehte sich um mich. Mein Schädel brummte.

Was, wenn er ihr wehtat? Was, wenn das der Grund dafür war, dass sie nicht aufmachte oder an ihr Scheißtelefon ging?

Elle.

Ich machte einen Satz, und als die beiden Kerle mich wieder schlagen wollten, duckte ich mich unter ihren Fäusten weg.

»Hey!« Sie nahmen die Verfolgung auf, aber selbst blutend und frisch verdroschen hatte ich Fluchtreflexe auf meiner Seite, die ich ein Leben lang trainiert hatte. Viele Jahre, in denen ich immer wieder meine eigene Haut gerettet hatte, indem ich die Beine in die Hand nahm. Jahrzehnte, in denen ich ein ums andere Mal dem Tod von der Schippe gesprungen war.

Ich sah mich nicht um.

Ich schoss aus dem Schlafzimmer, schlitterte ins Wohnzimmer und krachte gegen die Kommode, auf die ich die Autoschlüssel geworfen hatte.

Meine nackten Füße klatschten übers Parkett. Da ich keinen Gürtel trug, rutschte meine Hose. Gott sei Dank hatte ich mich nicht komplett ausgezogen.

Was ich vorhatte, würde nackt nur schwer zu bewerkstelligen sein.

Meine Finger schlossen sich um den Schlüsselanhänger, und ich stürzte los, wich einem Schwinger aus und hechtete auf die Türschwelle zu.

Ich war bereits über alle Berge, noch bevor die beiden schnaufend den zweiten Treppenabsatz erreichten.

3. KAPITEL

ELLE

Von einer Hütte zur nächsten.

Einrichtung und Baumaterial waren gleich (von oben bis unten Kiefernholz), doch diese Hütte war deutlich kleiner, hatte einen gemütlichen Wohnraum, eine winzige Küche sowie einen ebenso winzigen Flur, der zu den Schlafzimmern führte. Allerdings waren die Scheinwerfer über ein Gewässer geirrlichtert, ehe wir vor der malerischen Auffahrt anhielten, deshalb wusste ich, dass wir uns nun nicht mehr in der Düsternis des Waldes, sondern an einem Seeufer befanden.

Die Uhr über dem unaufgeräumten Kamin verriet mir, dass wir seit einer Stunde hier waren. Eine volle Stunde, seit Greg mich auf das rot-blau karierte Sofa geworfen, eine Flasche Gin aus dem Kühlschrank genommen und uns einen Cocktail gemixt hatte.

Ich hatte das Glas genommen, trank sogar ab und an von der säuerlichen Flüssigkeit und gab mir Mühe, mich zu entspannen und meine Furcht in Alkohol zu ertränken, um mich auf die Frage zu konzentrieren, wie ich von hier wegkommen konnte.

Ich ließ die Uhr nicht aus den Augen.

Vier Uhr nachts, trotzdem hellwach, mein Verstand war auf Hochtouren, statt vor Müdigkeit einzuknicken. Wir waren stundenlang gefahren. Es kam mir vor, als wären Tage vergangen, seit ich Penn oder Larry oder Stewie gesehen hatte. Und Monate, seit ich Dads Stimme gehört oder Salbeis weiches Fell gekrault hatte.

Ich war schon viel zu lange Gregs Gefangene.

Stöhnend ließ sich Greg im Sessel neben dem Sofa nieder; das Ende meiner Handfessel hing über die Armlehne und band mich unentrinnbar an ihn. »Gott, tut das gut, sich hinzusetzen.«

»Du hast im Auto die ganze Zeit gesessen.«

Er trank einen Schluck. »Fahren macht müde.«

»Und Kidnapping ist falsch.«

»Wer sagt denn, dass ich dich gekidnappt habe?« Grinsend hob er das Glas wieder an die Lippen. »Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, warst du jedenfalls schon lange kein Kind mehr.« Sein Blick wanderte an meinem Körper auf und ab. »Eigentlich bist du sogar schon sehr erwachsen.«

Ich kämpfte gegen den Drang an, ihn zu schlagen. Stattdessen schloss ich nur die Finger fest um mein Glas.

Eine kleine Ewigkeit lang starrten wir einander kriegerisch an.

Ich beendete den Wettstreit, kippte den Rest Gin hinunter und stellte das Glas lautstark auf den Holztisch vor dem Sofa. »Ich muss mal aufs Klo.«

»Was du immer alles willst.« Er stand auf und wartete, bis ich meinen wunden Körper vom Sofa gewuchtet hatte. »Aber ich kann ja schlecht zulassen, dass es dir bei mir ungemütlich wird, oder?«

»Mir ist schon ungemütlich, weil ich mit dir hier bin.«

Er legte die Stirn in Falten. »Vorsicht, Elle. Du bringst dich mit deinem frechen Mundwerk noch in ernste Schwierigkeiten.«

Er zerrte am Seil, marschierte los und zog mich mit sich. Eskortierte mich (oder wie man in Anbetracht einer Entführung auch immer dazu sagen sollte) durch den Flur ins Bad, wo es eine Duschwanne, einen mit Herbstlaub gemusterten Duschvorhang und ein muschelförmiges Waschbecken gab, das schon ein paar Jahrzehnte zu viel auf dem Buckel hatte.

Greg trat zur Seite und ließ mich vorbei. »Mach keine Dummheiten.« Damit schubste er mich zur Toilette und wedelte grinsend mit der Leine, an der er mich hielt. »Ich warte vor der Tür.«

Als er die Tür zuzog, hing die Drohung noch immer in der Luft.

Wenn das hier nur ein Trick gewesen wäre, um zu versuchen, aus dem Fenster zu klettern oder eine im Medizinschrank versteckte Waffe zu finden, hätten mich die Leine und meine Blase gleichermaßen daran gehindert. Ich hatte gerade genug Spielraum, mein Kleid zu raffen, mich auf den Rand der Toilette zu hocken und mein Geschäft zu erledigen.

Den Arm musste ich schnurgerade vor mir ausstrecken, damit das Seil mir nicht den Blutfluss abschnürte.

Als ich fertig war, spritzte ich mir über dem Becken Wasser ins Gesicht. Während Tropfen von meiner Stirn rannen, starrte ich meine vor Furcht kalkweißen Wangen, die von Gregs Schlag rot geschwollene Schläfe und das blutunterlaufene linke Auge an. Meine blonden Locken sahen aus, als wären sie in einen Minitornado geraten, und das um die Augen verschmierte Make-up verlieh mir das Aussehen eines hageren, alternden Rockstars.

Mein Spiegelbild widerte mich an.

Ich wandte mich ab, holte tief Luft und machte mich bereit, Greg entgegenzutreten. Dann hielt ich inne und blickte noch einmal in den Spiegel.

Ich kann nicht.

Nicht, ohne vorher wenigstens einmal nachzusehen.

Um die Hoffnung, etwas Nützliches zu finden, nicht gleich aufzugeben, öffnete ich den Medizinschrank. Kein Nagelclip, keine Schere, nicht mal Wattestäbchen oder Zahnseide.

Das Schränkchen war so leer wie die vom Wasser aufgequollenen Schubladen unter dem Waschbecken.

Kein irgendwie geartetes Utensil, das ich hätte gebrauchen können, um die Leine zu kappen oder Gregs Drosselvene zu punktieren.

Er grinste mich an, als ich auf den Flur trat. »Fertig?«

Ich antwortete nicht.

Er zog am Seil, brachte mich aber nicht wieder ins Wohnzimmer. »Ich denke, für heute haben wir genug getan. Ich bin fix und alle.«

Er bringt mich zum Bett.

Das ist es.

Nun würden meine einsamen Qualen unerwünschter Zweisamkeit weichen.

Wenigstens kann er mich nicht mehr entjungfern.

Wie würde es sich anfühlen, gegen meinen Willen genommen zu werden? Würde ich es schaffen, ruhig zu bleiben, oder würde ich ihn unter Tränen anflehen?

Das will ich gar nicht wissen.

Er brachte mich ins Schlafzimmer und schaltete die Glühbirne ein, die in einem traurigen gefransten Lampenschirm vor sich hinglomm. Ihr Schein fiel auf das mit einer Steppdecke abgedeckte Doppelbett, uralte Nachttische und schmiedeeiserne Nachttischlampen.

Bei dem Gedanken, das Bett mit ihm zu teilen, überlief mich eine Gänsehaut.

»Komm, ich helfe dir.« Er legte mir die Hände auf die Schultern und drehte mich herum, um den Reißverschluss meines silbernen Kleids zu öffnen.

»Nein, warte …« Ich wollte mich befreien, doch er zog an dem winzigen Reißverschluss und der schweren Seide, die meine Schultern bedeckte.

»Ich habe lange genug gewartet.« Er schob den fantastischen Stoff über meine Hüften, bis er der Schwerkraft folgte und auf dem Fußboden in sich zusammenfiel. Dann drehte Greg mich wieder zu sich um und stöhnte auf.

Die verführerische silbrig-weiße Unterwäsche hatte ich für Penn angezogen. Nicht für ihn.

Für Penn, der mich in jeder Hinsicht belogen hatte. Der mich ebenso wenig verdiente wie Greg.

Ich presste einen Arm vor meine Brüste. Es war schrecklich, mich nicht vor ihm verstecken zu können. Es ekelte mich, wie sein Blick an meiner Haut klebte, wie er die Hand zu meiner Brust hob und dort in der Schwebe ließ, als müsste er sich beherrschen, um mich nicht anzufassen.

Er leckte sich die Lippen und betrachtete mich. »Eigentlich wollte ich unsere Verbindung heute offiziell machen, aber während ich eine halbe Ewigkeit auf dich gewartet habe, Elle, bin ich zu einem kleinen Sadisten geworden.«

Er beugte sich vor und streifte mit den Lippen meine vom Schotter der Auffahrt geschwollene Wange. »Ich bin so hart für dich, aber die Vorfreude auf alles, was ich mit dir machen will, ist fast so gut, wie es wirklich zu tun.«

Er ließ mich los, knöpfte sein Hemd auf und warf es auf den Boden, gefolgt von Schuhen, Socken und Jeans. »Jetzt ruhen wir uns erst mal ein paar Stunden aus.«

Dass er mich wollte, war eindeutig nicht gelogen. Sein Schwanz stand stolz wie ein Totempfahl oder ein Fahnenmast in den weißen Boxershorts.

Angewidert wandte ich den Blick ab.

Er gluckste leise. »Schlafenszeit, Elle. Morgen ist auch noch ein Tag, und wir haben jede Menge zu tun.« Er zog mich an der Leine zum Bett und schlug die Decke zurück. »Rein da.«

Tränen schnürten mir die Kehle zu. Ein Schrei drängte auf meine Lippen – ich wollte um Hilfe rufen, auch wenn Greg eine falsche Fährte gelegt hatte und mit einem Auto, das ich noch nie gesehen hatte, zu einer Hütte gefahren war, die er niemals erwähnt hatte.

Wir waren über fremde Straßen durch Wälder und kleine Ortschaften gekommen.

Wir waren wie vom Erdboden verschwunden.

Niemand würde kommen, wenn ich um Hilfe schrie.

Ich war ganz auf mich allein gestellt.

Als ich mich nicht rührte, stieß er mich auf die Matratze. Ich fiel, rollte mich wütend auf die Seite und zog die Knie an, um so viel wie möglich von meinem nur mit Unterwäsche bekleideten Körper zu verbergen.

Greg blickte wie liebestrunken auf mich herab, strich mit den Fingern über mein Kinn und schob mir eine Locke hinters Ohr. »Ich kann es noch gar nicht glauben, dass wir hier sind. Zusammen.«

Ich wich vor seiner Berührung zurück und versuchte, ihn mit Blicken zu erdolchen. »Wir sind nicht zusammen. Ich will das nicht. Du zwingst mich dazu. Schreib dir gefälligst hinter die Ohren, dass ich dich niemals gewollt habe und auch niemals wollen werde.«

Er versteifte sich. »Das wirst du dir anders überlegen. Du wirst schon sehen.«

»Falsch. Es wird sich umso mehr bewahrheiten, je länger du mich hier festhältst. Ich konnte dich mal gut leiden, Greg. Ich habe dich für einen guten Freund gehalten. Aber jetzt … jetzt hasse ich dich!«

Er riss mir mit zusammengebissenen Zähnen die Steppdecke unter den Beinen weg, sodass ich ein Stück über die Matratze rollte. »Du lügst fast so miserabel wie er.«

Behutsam deckte er mich zu, aber seine spitze Bemerkung bereitete mir Qualen. Seine Tritte auf dem Holzboden klangen schwer, als er das Licht löschte und ins Bett kam.

Ich lag steif und reglos da, doch er schmiegte sich an mich und schlang die Arme um mich.

Als ich seine Erektion an meinem Hintern spürte, wurde mir übel.

Die Erinnerung an die Liebesnächte mit Penn stieg in mir auf, an die Chemie zwischen uns. Aber nicht mal das tröstete mich. Denn Penn war auf furchtbare Weise mit meiner Vergangenheit verbunden, hatte meine Gefühle für ihn zerstört.

Er hatte bewiesen, dass ich niemandem trauen konnte.

Außer meiner Katze.

Gott sei Dank hatte Dad Salbei heute mit nach Hause genommen. Sonst hätte sie weder Futter noch Streicheleinheiten bekommen.

Himmel, Dad gerät in Panik, wenn ich morgen nicht zur Arbeit komme.

Trotz meiner eigenen Lage erfasste mich plötzlich solche Angst um sein Herz, dass es mich fast zerriss. Welche Folgen mochte das alles für ihn haben?

Ich würgte meinen Ekel hinunter und flüsterte ins Dunkel: »Greg?«

Er schmiegte sich an mich und stieß das Becken vor. »Ja, Baby?«

Ich erschauerte. »Ich bin nicht dein Baby.«

»Jetzt schon.«

Ich wollte mich nicht auf einen Streit einlassen, den ich unmöglich gewinnen konnte. »Ich muss meinen Vater anrufen. Du weißt, dass er Herzprobleme hat. Er muss wissen, dass mir nichts zugestoßen ist.«

Seine Nase kitzelte meinen Nacken. »Er wird es überleben.«

Als ich von ihm abzurücken versuchte, schloss er mich nur umso fester in die Arme. Das verfluchte Seil um mein Handgelenk hielt mich fest.

»Er wird Todesängste ausstehen.«

»Nicht mein Problem.«

Ich stieß mich ab, dass das Bett schaukelte. »Und ob das dein Problem ist. Und ich verrate dir auch, warum: Wenn er sich durch deine Schuld solche Sorgen macht, dass es ihn das Leben kostet, werde ich nicht ruhen, bis ich dich umgebracht habe. Ich gebe dir mein Ehrenwort darauf, dass ich …«

Er schlug mir die Hand auf den Mund und zerrte meinen Kopf zurück, dass mein Schädel gegen sein Kinn prallte. »Pssst, ich versuche hier gerade zu schlafen.« Er rieb seinen Schwanz an meinem Hintern. »Wenn du ein braves Mädchen bist, darfst du ihn morgen vielleicht anrufen. Vorausgesetzt, du erklärst dich mit unserer Abmachung einverstanden.«

Ich drückte den Rücken durch.

Auf keinen Fall würde ich freiwillig mit ihm schlafen, aber wenn er mich mit der Gesundheit meines Vaters erpresste, würde ich tun, was er von mir verlangte. Ich würde gehorchen, weil ich meines Lebens nicht mehr froh würde, wenn mein Vater eine weitere Herzattacke erlitte.

Ich hasse dich, Greg!

Er küsste mich auf die Wange. »Genug geredet.« Damit wickelte er sich das Ende meiner Fessel um die Faust und strich mir mit einer als Zärtlichkeit getarnten Drohung über die Haare. »Gute Nacht, Elle. Wir werden morgen sehr viel Spaß miteinander haben.«

4. KAPITEL

PENN

»SIEISTFORT, LARRY!«

Ich kämpfte gegen den Drang an, das Handy zwischen meinen Fingern zu zermalmen.

Mein Herz, mein Blut, mein verdammter Atem, alles raste im Adrenalinrausch. Ich war eben zu Elle gebraust und hatte dem Wachmann mit rechtlichen Schritten gedroht, wenn er mich nicht in ihre Wohnung ließ, wo ich mich davon überzeugen wollte, dass sie wohlbehalten in ihrem Bett lag und nicht, wie ich befürchtete, entführt worden war.

Der Wachmann hatte getan, was ich verlangte.

Doch Elles Bett war verwaist.

Jetzt stand ich in ihrer Küche. Ich sah Rotweinflecken auf dem Boden; ihr Handy und die silberne Handtasche – die ich vom Sitz der Limousine geschoben hatte, um Elle auf meinen Schoß zu ziehen – lagen traurig auf dem Küchentresen.

Eine Schublade stand offen, die Tür zur Speisekammer ebenfalls.

Die offensichtlichen Anzeichen eines Kampfes brachten mich vor Zorn und Sorge fast um den Verstand.

Ich bringe ihn verdammt noch mal um.

Er hatte sie entführt.

Er hatte ihr wehgetan.

Und ich war nicht für sie dagewesen.

Sie war meinetwegen nach Hause geflohen. Meinetwegen hatte sie diesen Schweinehund jahrelang ertragen.

Ich muss das wiedergutmachen.

Larry räusperte sich, um den Schlaf aus der Stimme zu vertreiben, und verwandelte sich in die Respektsperson, die ich kannte und achtete. »Fort? Wer ist fort?«

»Elle«, versetzte ich. »Der Idiot, mit dem sie arbeitet, er hat sie entführt.«

Larry fragte nicht, woher ich das wusste oder ob ich mir sicher sei. Er hatte nie an mir gezweifelt, weil ich immer ehrlich zu ihm gewesen war.

Er war die Ausnahme von meiner Regel.

Vor allem, weil er mir bereits vertraut hatte, als ich ihm noch gar keinen Anlass dazu gegeben hatte. Nachdem er bei unserer ersten Begegnung meine Geschichte gehört hatte, rechnete ich damit, dass er wie alle anderen die Augen verdrehen und mich auslachen würde. Doch zum ersten Mal schenkte mir jemand Glauben. Er stand mir bei und setzte sein Versprechen in die Tat um. Er gab mir als Einziger eine zweite Chance.

Seine Stimme klang inzwischen ganz wach. »Was genau ist passiert?«

»Greg ist hier eingedrungen und hat sie verschleppt. Anschließend hat er mir seine beschissenen Schläger auf den Hals gehetzt, um mir Angst einzujagen.«

»Zeitfenster?«

»Wer weiß?« Ich marschierte in der Küche auf und ab, ohne dem Wachmann, der mich eingelassen hatte und gerade mit der Polizei telefonierte, Beachtung zu schenken. »Könnte um dieselbe Zeit passiert sein, als diese Arschlöcher kamen, um dafür zu sorgen, dass ich schlecht träume, oder schon vorher, gleich nachdem sie die Spendengala verlassen hatte.«

»Hast du ihren Vater verständigt?«

»Nein.«

Ich hörte es im Hintergrund rascheln, offenbar stieg Larry gerade aus dem Bett. Ihn zu wecken war eigentlich keine gute Idee gewesen, er brauchte seine Ruhe, aber ich wurde mit dieser Situation nicht allein fertig. Ich hatte immer versucht, so gut wie möglich durchs Leben zu kommen, ohne mich auf andere verlassen zu müssen, und nun sah ich, wie weit ich damit gekommen war. An dem Tag, als Larry mich fand, hatte ich erfahren, was es heißt, zu teilen und zuzulassen, dass mir auch Gutes widerfuhr.

»Dann leg auf und ruf ihn an. Verständige die Polizei, beschaff dir alle Informationen, die du bekommen kannst, und komm dann her. Wir verfolgen ihn gemeinsam.«

Nein, das werden wir nicht.

»Okay.« Ich beendete das Gespräch, bevor ich ihm sagen konnte, dass ich zwar Gregs Aufenthaltsort in Erfahrung bringen, ihn, Larry, aber keineswegs einbeziehen würde. Sein Gesundheitszustand hatte sich gerade erst gebessert. Ihn wollte ich ebenso wenig einer Gefahr aussetzen wie Elle.

Ich würde sie allein aufspüren. Ich hatte ihr aus eigensüchtigen Gründen nachgestellt. Es hatte mich nicht interessiert, wie es ihr gehen würde, wenn sie dahinterkam, wer ich war.

Die meiste Zeit hatte ich mir eingeredet, dass ich sie wieder verlassen und es gar nicht erst so weit kommen lassen würde.

Scheiße, es hatte schon viel zu lange gedauert.

Ich hatte es zu beenden versucht.

Aber jedes Mal gab sie etwas mehr von sich preis und schenkte mir mehr von sich, um mich währenddessen bis aufs Hemd auszurauben.

Und jetzt würde ich sie mir zurückholen, allein – mochte es noch so dumm von mir sein, auf Hilfe zu verzichten.

Ich hatte noch nie den leichten Weg gewählt.

Ich überließ es dem Wachmann, auf die säumige Polizei zu warten, und ging in Elles Schlafzimmer, um in dem Stadthaus anzurufen, in dem sie früher gewohnt hatte.

Ich kannte die Nummer auswendig, genau wie ich wusste, hinter welchem Fenster sie gewohnt hatte, was sie am liebsten aß (Blaubeerpfannkuchen), wie oft sie mit ihrer verflixten Katze schmuste (mehr als sechshundertmal, seit ich es zum ersten Mal beobachtet hatte) und wie hart sie für Belle Elle schuftete (jede Stunde ihres Lebens), was meine Gewissensbisse nur verschlimmerte.

Schuldgefühle überwältigten mich, als mir einfiel, was ich in den letzten drei Jahren alles Übles über sie gedacht hatte.

Das Telefon klingelte.

Ich wartete, meine Finger strichen über ihr Kissen, und ich betrachtete die makellose Bettwäsche. Keine Katze lag zusammengerollt auf der Matratze. Keine Salbei, die bei meinem Erscheinen auf mich losgegangen wäre. Daher nahm ich an, dass sie entweder bei Elles Vater war oder dass Greg sie mit Elle zusammen mitgenommen hatte.

»Hallo?«, ließ sich endlich eine müde Stimme vernehmen.

Gott sei Dank gab es noch Festnetzanschlüsse, die man nachts nicht einfach abschalten konnte.

»Mr Charlston? Hier ist Penn Everett.«

Joe Charlston räusperte sich. »Was wollen Sie um fünf Uhr früh von mir, das nicht bis zu einer normalen Tageszeit warten kann, Sohn?«

Mein Herz machte bei dem Kosenamen einen unsinnigen Satz. Er war ganz anders, als ich es erwartet hatte. In den letzten drei Jahren hatte ich ihn beinahe täglich zutiefst verabscheut. Dabei hatte ich ihn ebenso falsch eingeschätzt wie seine Tochter. »Ich muss alles erfahren, was Sie über Steve Hobsons Sohn Greg wissen. Grundbesitz. Bevorzugte Aufenthaltsorte.«

Seine Stimme klang wie ein Peitschenhieb. »Warum? Was ist passiert?«

Ich wappnete mich innerlich. »Greg hat Ihre Tochter entführt.«

»Was?«

Ich kniff mir in den Nasenrücken, entfernte getrocknetes Blut und kratzte an den Schrammen. Zum ersten Mal, seit ich den armen Wachmann in den Aufzug geschoben hatte, wurde mir wieder bewusst, dass ich barfuß war, mein Gesicht blutverschmiert. Ich musste wirklich schlimm aussehen. »Dieser Schwanzlutscher Greg Hobson hat Elle entführt. In ihrer Wohnung ist sie nicht. Aber es gibt Kampfspuren. Ich muss sie finden. So schnell wie möglich.«

Wer weiß, was er ihr sonst antut?

Joe bellte: »Bleiben Sie da, ich komme sofort.«

»Nein, sagen Sie mir einfach …«

Die Leitung wurde unterbrochen.

Ich knurrte in dem leeren Zimmer vor mich hin.

Himmelherrgott noch mal!

Noch mehr Zeitvergeudung. Noch mehr Eingeweihte.

Ich musste los. Ich würde ihn von unterwegs anrufen.

Ich wollte nicht länger warten als unbedingt nötig.

Elle gehörte mir.

Ich würde sie selbst heimholen.

Wie ich es mir schon gedacht hatte, klingelte mein Handy eine Viertelstunde später, als Elles Vater in der Wohnung seiner Tochter ankam und mich nicht dort antraf. »Wo zum Teufel stecken Sie?«

»Im Auto.«

»Sie wären besser hier, um mir bei der Suche nach Elle zu helfen.«

Meine Finger schlossen sich fest ums Lenkrad. »Ich helfe bei der Suche nach Elle.«

»Wie? Indem Sie im Kreis herumfahren?«

Ich hielt mich nicht damit auf, ihm zu sagen, dass Larry Beziehungen zum NYPD hatte – dass er mir Anruflisten und Kreditkartenabrechnungen beschaffen konnte. Ich hatte gehofft, Joe hätte die Angelegenheit beschleunigen können … wenn er mich jedoch ausbremsen wollte, konnte ich es nicht ändern.

Dann würde er eben zurückbleiben.

»Sagen Sie mir alles, was Sie über Steve und Greg wissen.«

Joe schnaubte. »Greg wohnt ein paar Blocks von mir entfernt bei seinem Vater. Aber er ist nicht da. Ich habe Steve angerufen, der genauso ausgeflippt ist wie ich. Er sagte, Greg sei gestern Abend nicht nach Hause gekommen – aber das ist nicht so ungewöhnlich. Er hat Freundinnen, bei denen er gelegentlich übernachtet.«

Ich sagte nichts dazu, dass dieser Schleimscheißer in der Gegend herumvögelte, während er es gleichzeitig darauf anlegte, Elle ins Bett zu kriegen.

Schon dafür würde ich ihn kaltmachen.

»Hat er irgendeine andere Bleibe? Irgendwelche Adressen, wo er allein mit ihr wäre?« Mein Auto fädelte sich mit überhöhter Geschwindigkeit durch den Verkehr auf dem Broadway.

»Steve hat vor ein paar Jahren in Rochester eine Blockhütte gekauft. Er meinte, Greg könnte …«

»Die Adresse! Schnell!«

»Das ist weitab vom Schuss. Halten Sie nach einem kleinen Fluss namens Bearfoot Rapids Ausschau. Die Hütte liegt ziemlich versteckt, vor der Zufahrt steht ein geschnitzter Holzfäller mit einem Briefkasten.«

»Kein Straßenname oder eine Hausnummer?«

»Nein, das war der Reiz dabei, dass es nicht leicht zu finden ist.«

Verdammt einfallsreich.

Ich unterdrückte einen Fluch und knirschte: »Danke. Ich rufe an, wenn ich dort bin.«

Ich warf das Handy auf den Beifahrersitz.

Bis Rochester waren es gut fünf Stunden Fahrt.

Gott, in der Zeit konnte er ihr alles Mögliche antun, ich würde zu spät kommen.

Der Mercedes brüllte auf, als ich aufs Gas trat, um seinen gierigen Motor zu bedienen.

Halt durch, Elle!

Dieses Mal würde ich sie nicht enttäuschen.

5. KAPITEL

ELLE

Sonnenschein.

Ein neuer Tag.

Kein Schlaf.

Keine Ruhe.

Nur Angst.

Greg rührte sich, sein Arm war noch um meine Mitte geschlungen, seine Haut an meine geschmiegt, sein Körper ekelerregend nah. Ich war schon wach gewesen, als der Morgen graute, hatte zugesehen, wie sich der schwarze Himmel zuerst rosig, dann golden färbte, die Hütte wärmte und auf dem See jenseits der Fenster glänzte.

Ich musste mich zusammenreißen, um ruhig zu bleiben und nicht der Panik nachzugeben, die mir das Mark aussaugen wollte.

Wie oft würde die Sonne noch aufgehen, bevor ich mich befreien konnte?

Als Greg sich herumwälzte, schnitt die Leine, die mich an ihn fesselte, in mein Handgelenk. Die Haut war rot und von der Reibung gereizt.

Ich stöhnte, da er mich zwang, mich umzudrehen, und mich an sich zog. »Guten Morgen, Schöne.«

Ich biss mir auf die Zunge und sagte nichts.

Andernfalls hätte ich nur Verwünschungen und Forderungen ausgespien – doch weder das eine noch das andere hätte mir irgendetwas genützt.

Ich musste darauf setzen, dass ich, wenn ich stumm und folgsam blieb, meinen Vater anrufen und beruhigen durfte, damit ich auch weiterhin einen Vater hatte und nicht zur Waise wurde.

Das einzig Gute an dieser Entführung war, dass ich wegen Greg nicht mehr an Penn und seinen Betrug dachte. Meine Kraft reichte momentan nur für den Hass auf Greg.

Penn kommt später.

»Macht mir nichts aus, wenn du schweigst, Elle. Im Gegenteil, ich mag Frauen, die nicht viel reden.« Er wickelte sich das Seil von der Faust, stand auf und reckte sich. In seinen Boxershorts stand eine Morgenlatte.

Er grinste, als er meinen Blick bemerkte. »Sobald du geduscht hast, gehört das alles dir.« Dann beugte er sich über mich und stemmte neben meinen Ohren die Hände ins Kissen. »Ich kann dich doch nicht vögeln, wenn du dich nicht vorher wäschst. Wer weiß, ob dieser Dreckskerl dich gestern angefasst hat?«

Ich hoffte, er sah mir die Antwort nicht am Gesicht an.

Penn hatte mich angefasst!

Er hatte mich im Auto gevögelt, bevor ich die Wahrheit über ihn erfahren hatte. Ich hatte geglaubt, wir würden etwas füreinander empfinden. Ich war aufgeregt gewesen, weil ich ihn für ehrlich und direkt hielt und geglaubt hatte, der Schleier aus Misstrauen und Lügen würde sich heben wie der Morgennebel über dem See dort draußen.

Wie sehr ich mich nach Klarheit gesehnt hatte.

Allerdings nicht nach der, die mir dann zuteilwurde.

Meine Halskette hatte mich aus meinen Träumen gerissen.

Greg griff nach meiner Hand und zog mich unter der warmen Bettdecke hervor an die kühle Morgenluft. Da nicht geheizt war, überlief mich eine Gänsehaut, gefolgt von neuen Kälteschauern, als Greg mich anzüglich musterte. »Wir hätten all die Jahre schon nebeneinander aufwachen können, statt nur auf verschiedenen Etagen bei Belle Elle zu arbeiten.« Er strich mit dem Finger um meinen Bauchnabel. »Ist das nicht schön?« Er beugte sich vor, seine Lippen streiften meinen Mund.

Ich wandte ruckartig das Gesicht ab. Nicht nur, weil ich morgendlichen Mundgeruch verabscheute, sondern weil er kein Recht hatte, nicht das geringste Recht, mich zu küssen.

»Lass mich, Greg«, waren meine ersten Worte seit Stunden.

Er grinste nur. »Du meinst, ich soll dich losbinden?« Er zog am Seil, sodass mein Arm ruckte.

»Du weißt sehr gut, was ich meine. Alles. Binde mich los. Fahr mich heim. Das dauert jetzt schon lange genug.«

Er schüttelte den Kopf. »Du gehst erst, wenn du begriffen hast, dass du zu mir gehörst.«

»Ich leite Belle Elle. Dort gehöre ich hin. Und du in eine Gefängniszelle.«

Er kicherte, statt Rachsucht leuchtete Heiterkeit aus seinen grünen Augen. »Wenn du mich erst besser kennenlernst, wirst du deine Meinung schon noch ändern.«

Das bezweifle ich sehr.

Er schob mich aus dem Schlafzimmer ins Bad und löste das Seil. »Ab unter die Dusche.«

Ich rieb mir das wunde Handgelenk und wich zurück, bis ich gegen das Waschbecken stieß. »Solange du hier drin bist, wasche ich mich nicht.«

»Oh, und ob du das wirst.« Er griff an den Bund seiner Boxershorts und schob sie nach unten. Sein Schwanz sprang heraus, schwer, hart, mit blau hervortretenden Adern. Er war nicht so groß wie Penns, wirkte aber beeindruckend entschlossen.

Ehe ich mich rühren konnte, packte er meine Schultern und wirbelte mich herum. Mit geschickten Fingern hakte er meinen BH auf.

Ich schlug zum Schutz die Arme vor die Brust.

Was mir aber nichts brachte.

Er riss mir die Arme weg, dass ich ins Taumeln geriet, zerrte mir schmerzhaft die Träger über die Schultern und warf den BH in den Flur. Dann drehte er mich zu sich um. »Und jetzt den Rest!«

»Fahr zum Teufel!« Meine Arme waren noch immer schützend vor der Brust verschränkt.

Er grinste hitzig und musterte mein Höschen. »Ziehst du es selbst aus – oder soll ich das machen?«

Ich wich zurück. »Greg … bitte!«

»Greg, bitte«, ahmte er mich höhnisch nach. »Hast du eine Ahnung, wie viele Jahre ich auf deine Anweisungen hören musste? Und wie du mich beim Essen immer selbstgefällig über den Tisch hinweg angelächelt hast? Wie du mich bei der Arbeit herumkommandiert hast, während ich dich eigentlich immer nur flachlegen wollte?« Er ragte bedrohlich über mir auf. »Du hast wahrscheinlich gedacht, du verbirgst deine wahren Gefühle, aber jedes Mal, wenn du mich angesehen hast, wusste ich Bescheid. Ich habe deine Geringschätzung gesehen. Ich wusste genau, dass du dich immer für was Besseres gehalten hast …«

Da schlug ich ihn.

Ich dachte nicht lange darüber nach. Ich tat es einfach.

Wir erstarrten beide, gleichermaßen entsetzt.

Ich fauchte: »Wenn du dir so einen Bockmist einredest, hast du echt nicht mehr alle an der Waffel. Ich habe dich nie von oben herab angesehen, Greg. Als wir noch Kinder waren, habe ich gern mit dir gespielt. Aber dann hast du zugelassen, dass die Eifersucht dich …«

Er unterbrach den Satz mit einem Griff an mein Kinn. »Eifersucht? Du glaubst, hier geht es um Eifersucht?« Zutiefst frustriert lachte er auf. »Ich bin nicht eifersüchtig auf dich, Elle! Ich missgönne dir nicht, was du hast.«