Kings and Saints - David Preute - E-Book

Kings and Saints E-Book

David Preute

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Der stets sorgenlose Dean Carter lebt im malerischen Santa Barbara ein Leben nach Maß. Als er jedoch zufällig einen Mord am weltweit bekannten Supermodel Loraine Hardy beobachtet, wird er gegen seinen Willen in die düsteren Abgründe der Modewelt von Los Angeles hineingezogen. Das korrupte LAPD zeigt wenig Interesse daran, den Fall zu lösen, und so entschließen sich Dean und sein bester Freund, Marvin Nash, selbst für Gerechtigkeit zu sorgen. Eine nie enden wollende Fahrt durch die Stadt der Engel beginnt, die sie aus ihrem beschaulichen Strand-Paradies über die chaotischen Redaktionsräume des LA Star bis in die luftigen Höhen der Rocky Mountains führt.

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Seitenzahl: 224

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KINGS AND SAINTS

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ROMAN

Impressum

Texte: © 2023 Copyright by David Preute

Umschlag: © 2023 Copyright by Marja Kalinke

Druck und Vertrieb: Neopubli GmbH Berlin

Dieses Buch widme ich voll Dankbarkeit meiner Familie und allen kreativen Geistern auf der Welt.

Die Magie existiert.

D.P.

Prolog

Wenn es unter allen Städten der Welt einen Schönheitswettbewerb geben sollte, dann könnte Santa Barbara seinen Hut mit gutem Gewissen in den Ring werfen. Durch die wunderschöne Lage an der Pazifikküste des Bundesstaates Kalifornien, war es seit seiner Gründung im Jahr 1847 eine wahre Oase der Erholung. Ein Segen für alle, die Entspannung suchen und ihre Nerven ein bisschen baumeln lassen wollten. Die Bevölkerung war wohlhabend, die Strände sauber und vor allem war man hier weit genug von diesem dreckigen, stinkenden Moloch entfernt, das sich Los Angeles nannte. Über die berühmte Interstate 101 kam man von hier aus erst am beschaulichen Oxnard vorbei, bevor man sich dann über Thousand Oaks langsam, aber sicher in die Innenstadt von LA vorarbeitete. An sich war Santa Barbara eine Stadt wie viele andere an der kalifornischen Küste auch. Es gab eine wunderbar hergerichtete Strandpromenade, eine Vielzahl von kleinen Hotels und eine gut erhaltene spanische Mission, wie man sie eben auch in so vielen anderen kalifornischen Kleinstädten vorfand. Aber diese Nähe zur größten Metropole des Bundestaates mit seiner gleichzeitig angenehmen Distanz dazu, kreierten diese besondere Atmosphäre, die Santa Barbara so einzigartig machte. In den zahlreichen Cafés und Restaurants bedienten freundliche junge Männer auf erfrischend angenehme Art und Weise in Hawaii-Shirts und pastellfarbenen Shorts, während zuckersüße junge Damen Tabletts voller frisch gepresster Säfte und Shakes verteilten. Dazu ging stets ein angenehmer Küstenwind und man wollte sich bei all diesem angenehmen Zeitvertreib beinahe fragen: Kann so ein Ort wirklich existieren? Kann es sein, dass ein solches Paradies auf Erden wirklich real ist? Es war real. Sehr sogar. Und wegen genau diesem guten Ruf brachen jedes Jahr tausende von Touristen und Tagesbesuchern auf die circa zweistündige Reise von Los Angeles hierher auf. Das glamouröse Santa Barbara Film Festival sorgte zusätzlich zum normalen Trubel dafür, dass sich neben den ganzen Normalos auch mindestens einmal im Jahr die angesagtesten Stars von LA’s Filmindustrie an den Stränden rund um den Stearns Wharf tummelten. Schauspieler, Regisseure, Produzenten… sie alle freuten sich darauf nach der langen und beschwerlichen Arbeit endlich in der Sonne von Santa Barbara brutzeln zu können und bis auf weiteres raus zu sein aus Hollywood. Oder besser gesagt aus Burbank. Denn entgegen der landläufigen Meinung ist eigentlich Burbank das, was man mit Hollywood meint. Das Zentrum der weltweit bedeutendsten Filmindustrie. Der Nullpunkt der globalen Unterhaltung. Das Viertel Hollywood selbst war nichts weiter als eine vermüllte Ansammlung von Häusern zwischen Fairfax und Los Feliz. Fernab von all dem Glanz und all der Glorie, die man emotional damit in Verbindung brachte. Abseits des touristisch geprägten Hollywood Boulevards, mit all seinen zahllosen Souvenir-Shops, reihten sich die Zelte der Obdachlosen in langen Schlangen aneinander und ihre Insassen versuchten die ahnungslos vom Weg abgekommenen Touristen um ein paar ihrer hart verdienten Dollar zu erleichtern. Doch hier war von so etwas nichts zu spüren. Denn hier in Santa Barbara befand man sich auf der Sonnenseite des Lebens. Fernab von allen lästigen Sorgen und Problemen, die den Rest der Menschheit tagtäglich so umtrieben. Und wie es in solchen Gemeinden häufig zu sein scheint – man kann solche Tendenzen schließlich auch in den betuchteren Gegenden Europas beobachten – gab es in Santa Barbara eine feste und eingeschworene Gemeinschaft, die sich nur sehr ungern aus ihrem heiß geliebten Stadtgebiet entfernte. Wo sollte man sonst auch hin? Nirgendwo war es so schön wie hier. Zumindest wenn man sich nicht in ein Flugzeug steigen und lange, lange fliegen wollte. An einen anderen Ort mit ähnlicher Schönheit. Der von der Geografie in ähnlichem Ausmaß gesegnet und mit schönen Gaben zugeschüttet worden war. Genau so eine Gruppe trieb sich also auch in Santa Barbara herum. Sie waren allesamt hier geboren, hier aufgewachsen und hatten keine Ambitionen das behütete Küstenstädtchen jemals längerfristig zu verlassen. Sie eine Clique zu nennen, würde zu kurz greifen. Denn sie waren mehr als das. Verschworener als eine Clique. Erwachsener. Eher wie ein Clan. Aber ohne familiäre Verhältnisse. Zumindest im streng biologischen Sinne. Die drei wichtigsten Bestandteile dieses Clans waren der gutaussehende und stets tiefenentspannte Dean Carter, sein treuer Freund Marvin Nash (von allen nur Marv genannt) und die schlichtweg umwerfende Michelle Thompson. Doch wie sich herausstellte sollte die Gang schon bald ein neues Mitglied bekommen. Eine rotzfreche junge Dame, die tatsächlich einen Anflug von Ärger in das kleine Paradies an der kalifornischen Pazifikküste bringen sollte:

Haley Stratlin.

Erster Teil:

DAS VERLORENE PARADIES

1

Dean saß auf einem kleinen Balkon mit Blick auf den weiten, tiefblauen Ozean. Die Sonne schien hell und verbreitete ein warmes Gefühl auf seiner Haut, während der Wind den salzigen Geruch des Pazifiks zu ihm auf den Balkon trug. Von hier aus hatte man einen guten Blick auf den traumhaften Strand und die davorliegende mit Stein gepflasterte Promenade. Der Wind strich sanft durch Deans dunkles, kurzes Haar. Er trug ein leichtes Hemd und kurze Hosen. Lautes Geplauder und fröhliches Lachen drangen von der Promenade, die kurz vor dem Balkon verlief, zu ihm hinauf. Diese kleine Welt war entschleunigt und schien entgegen all dem, was sie umgab, frei von jeglichen Zwängen zu sein. Die Sonne würde noch für weitere fünf Stunden ihre warmen Strahlen herabsenden, bevor es dunkel werden und sich die Menschen in den lebendigen Restaurants und Bars auf der Promenade tummeln würden. Genug Zeit, um nachzudenken. Sich in der Wärme der Sonnenstrahlen und den Geräuschen des Ozeans treiben zu lassen. Dean war in seinen späten Zwanzigern, sorgenfrei und hatte es aufgegeben die ganzen kleinen Rätsel des Lebens verstehen zu wollen. Viele Menschen quatschten ihn immer wieder von einem inneren Gleichgewicht voll, das er ausstrahlen würde. Was auch immer das heißen mochte. Die Balkontür öffnete sich und eine Welle süßlichen Marihuana-Geruchs kam aus der geräumigen Wohnung. Zusammen mit dem salzigen Meeresgeruch ergab es eine Mischung, die man einfach nicht mehr vergessen konnte. Selbst wenn man es noch so sehr versuchen würde.

Michelle kam lachend auf Dean zu und strich ihm durch die Haare.

„Erde an Dean… Erde an Dean… bitte kommen“, flüsterte sie ihm ins Ohr.

„Ich komme gleich“, antwortete er gelassen und zog Michelle ruckartig zu sich heran. Sie lachte und fiel ihm auf den Schoß, die Arme um seinen Kopf geschlungen.

„Aber vorher muss ich noch diese perfekte Aussicht bewundern. Das macht man generell viel zu selten“.

„Oh ja… das stimmt“, antwortete Michelle und lehnte sich zurück an seinen Oberkörper, schloss die Augen und ließ sich von der Wärme der Sonne durchfluten. Sie begann im Rhythmus der Straßenmusiker zu pfeifen und bewegte ihre Arme in Richtung des Himmels. Michelle war eine viel umworbene Strandschönheit. Sie hatte ihr blondes, langes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, womit sie allen Kerlen regelmäßig den Kopf verdrehte. Sie trug eine große silberne Sonnenbrille und hatte einen Bikini an, über den sie sich in typischer Strandmanier ein rotes Seidentuch gebunden hatte. Sie war die stolze Besitzerin des Balkons, auf dem sie gerade saßen, um die einzigartige Schönheit der Welt zu bewundern. Und natürlich auch der dazugehörigen Wohnung. Obwohl sie eigentlich allein wohnte, war aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht ein einziger Tag vergangen, an dem sie die vollen 24 Stunden hier ohne Gesellschaft verbracht hatte. Ständig waren Leute zu Besuch, kamen für ein Getränk, einen Joint, oder brachten was zu essen mit. Dean kannte sie fast alle und war mit den meisten eng befreundet. Es war ein beliebter Ort, um abzuhängen und zusammen high zu werden. Stören tat das niemanden. Ganz im Gegenteil. Für Dean war dieser Ort perfekt, er liebte es hier zu sein und wusste genau, dass er stets willkommen war.

„Haley ist heute da. Ich glaub sie würde gerne mit dir abhängen“, sagte Michelle nach wie vor die Hände zur Musik bewegend.

„Wer ist Haley?“.

„Marv‘s Bekannte. Hat er dir doch letzte Woche erzählt. Sie ist übers Wochenende aus San Diego zu Besuch“. Marv war Deans bester Freund und ebenfalls ständig hier. Zusammen waren sie in allen Bars von Santa Barbara wohlbekannte Gäste, die immer viele Leute und gute Laune in den Laden brachten.

„Kann ich mich gar nicht dran erinnern“. Michelle wandte sich zu Dean und zog ihre Sonnenbrille auf die Nasenspitze. Sie sah ihm tief in die Augen und lächelte.

„Das kommt, weil du dich nie an irgendetwas erinnern kannst“. Sie stand auf und nahm seine Hand.

„Komm. Ich stell dich vor“.

Sie übertraten die Schwelle zum Wohnzimmer und wurden sofort von einer süßlich duftenden Geruchswolke erfasst. Man wurde schon high, wenn man sich einfach nur im Zimmer aufhielt. Die Leute lagen auf kleinen Sofas und Sitzkissen, während Joints die Runde machten. Der Raum lebte. Er hatte einen Herzschlag entwickelt und drückte in langsamen Zügen sein warmes Blut durch die Luft. Alles unterlag einem Rhythmus, langsam und gleichmäßig pulsierend. Man verfiel ihm, hatte ihn in sich, spürte seine Schläge und strahlte ihn dann ebenfalls in alle Richtungen ab. Es geschah einfach alles ein Level höher, befreit von der normalen Welt. In vielerlei Hinsicht leichter. Irgendwo zwischen der aufgehenden Sonne und der dunklen Seite des Mondes. Alle fühlten sich jünger, stärker, freier… einfach besser. Auf einem der kleinen Sofas lag ein großgewachsener, durchtrainierter junger Mann in Surfer-Shorts. In seinen braunen Augen lag die völlige Entspannung. Das war Marv. Es wäre völlig sinnlos gewesen ihn in diesem Zustand anzusprechen. Man würde ihn nur von seiner kleinen Paradieswolke stoßen. Michelle zog Dean weiter in Richtung der Küche, wo sie an der kleinen Durchreiche zum Wohnzimmer saß. Königlich thronend auf einem der beiden Barhocker. Haley Stratlin.

Mit der linken Hand strich sie sich ihre langen, wunderschön brünetten Strähnen hinters Ohr und lächelte ihr unwiderstehliches Lächeln, während sie sich mit einem braungebrannten Kerl vom Strand unterhielt. Es bildeten sich kleine Grübchen an den Seiten ihrer Augen und neben den Lippen, wenn sie dieses Lächeln zeigte. Auf den ersten Blick kam sie einem vor wie die Tochter eines Rockstars. Wild und trotzdem süß wie Honig. Auch sie trug einen Bikini und ein edles Seidentuch um die Hüften.

„Das ist er. Das Original“. Michelle legte ihren Arm um Haleys Schulter und drehte sie zu Dean. Der braungebrannte Kerl vom Strand verlor augenblicklich Haleys Aufmerksamkeit.

„Du bist also Dean. Der Mann, von dem Marvin die ganze Zeit spricht“. Sie war offensichtlich high.

„Ach ja… was erzählt er denn so über mich?“, fragte Dean und griff nach einer offenen Weinflasche, die in der Durchreiche stand.

„Er sagt du wärst ein furchtbar gutaussehender Kerl“. Haley lehnte sich mit ihrem Barhocker zurück und betrachtete Dean von oben bis unten. Sie kam ihm vor wie eine Frau, die stets einen genial ausgearbeiteten Plan in der Hinterhand hatte. Wenn sie etwas wollte, fand sie einen Weg es zu bekommen. Koste es, was es wolle. Und so lag in ihren Augen immer ein Rest von geistesgegenwärtigem Ausdruck, der an ein Raubtier auf Jagd erinnerte. Egal wie high sie auch immer sein mochte.

„Sowas erzählt Marv über mich?! Wusste doch schon immer, dass mit dem was nicht stimmen kann“. Dean erwiderte das Lächeln und nahm einen Schluck aus der Flasche. Der Wein lief seinen trockenen Hals hinunter und machte ihn empfänglich für Haleys Schwingungen. Trotzdem behielt er die Kontrolle und verfiel nicht einfach wehrlos ihrer Aura, so wie die ganzen anderen hilflosen Kerle, die an Haley hängenblieben wie Eintagsfliegen an einer gut aufgestellten Fliegenfalle. Haley gefiel das.

„Ich sehe das Eis ist gebrochen“. Marv hatte seine Paradieswolke freiwillig verlassen und war zu ihnen herübergekommen.

„Wir haben gerade darüber gesprochen, dass mit dir was nicht stimmen kann“, entgegnete Michelle lächelnd. Haley ließ Dean dabei nicht aus den Augen.

„Ich kann mir auch vorstellen, wer das behauptet hat“, sagte Marv und boxte Dean in die Seite. Sie begrüßten sich nie. Sobald sie sich sahen, fingen sie einfach an miteinander zu reden. Man würde ja auch seine eigene Mutter nicht begrüßen, wenn man sie zufällig im Wohnzimmer antrifft. Man fängt einfach auf ganz natürliche Art und Weise an miteinander zu interagieren.

„Wir müssen los. Joe wartet am Pier auf uns“, sagte Marv an Haley gewandt. Die ließ Dean noch immer nicht aus den Augen.

„Schade! Ich wollte Dean gerade fragen, ob er morgen Zeit für mich hat. Aber dann muss das jetzt eben ohne Fragen gehen“. Sie zog ein Stück Papier hervor und griff nach einem Stift, der in der Durchreiche lag.

„Morgen um 14 Uhr im Black Roses. Leider hast du unter diesen Umständen keine Zeit mehr zu widersprechen. Tut mir wirklich leid“. Sie steckte Dean das Papier in die Hosentasche und lächelte ihn ein letztes Mal an, während ihre Gesichter nur eine Handbreit voneinander entfernt waren.

„Vergiss es nicht“, hauchte sie ihm zu. Danach wandte sie sich ab und verließ gemeinsam mit Marv die Wohnung.

2

Dean schlenderte die lange Strandpromenade hinunter. Verschiedene Restaurants, Bars, Souvenir-Shops und Record-Stores säumten den Weg zum anderen Ende des Strandes. Er blieb an einem kleinen Laden stehen, vor dem mehrere Auslagen an Schallplatten und alten Filmen standen. Die Sonne schien immer noch direkt auf das kleine Strand-Universum herab und versetzte alles in warme Wallungen. Langsam und bedächtig strich Dean mit seinen Händen über die Auslagen und begutachtete einige der Platten.

„Der beste Soul, den du je gehört hast, Kleiner“. Ein dunkelhäutiger Mann mit grauem Bart war zu Dean hervorgehinkt und zeigte auf das grünliche Plattencover, das in Deans Händen lag.

„Das ist ‘ne ziemlich gewagte Aussage“, sagte Dean lächelnd. Der Mann setzte ebenfalls ein breites Lächeln auf, wodurch man seine markanten Zahnlücken sehen konnte. Sein ärmelloses Shirt war mindestens zwei Größen zu groß und hing ihm bis zu den Knien.

„Geht direkt in die Seele. Ist wie wenn dir jemand Honig aufs Herz schmiert“.

„Und wie viel kostet mich der beste Soul, den ich je gehört habe?“.

„Für dich… 5 Scheine, Kleiner. Aber nur weil ich gut drauf bin. Gute Vibes heute“. Dean hätte für dieses Album auch 50 Dollar bezahlt. Aber das war Santa Barbara. Gute Menschen, gute Vibes. Während er in seinen Taschen nach den geliebten grünen Scheinen suchte, hinkte der alte Mann zurück in seinen Laden und kam mit einem halbvollen Glas wieder heraus. Eine rote Flüssigkeit befand sich darin, die ähnlich wie Öl, das auf Wasser treibt, auf einer weißen Schicht schwamm. Kleine rote Tropfen sanken wie blutige Tränen an den Boden des Glases.

„Was ist das denn?“, fragte Dean.

„Süßes Gift. Ich nenn es Broken Angel“. Der alte Mann hielt das Glas in die Höhe, sodass die kräftigen Strahlen der Sonne hindurch scheinen konnten.

„Kommt zu dir wie ein hell erleuchtetes Wesen, das dich auf goldenen Flügeln in den Himmel tragen will. Aber irgendwann… trifft es dich wie das Jüngste Gericht und schickt dich direkt runter in die Hölle, Kleiner“.

„Klingt nach Action“, antwortete Dean und drückte ihm das Geld in die Hand.

„Komm rein und ich mach dir auch Einen. Dann legen wir das Album noch ein letztes Mal auf… bei mir mein ich“. Dean lachte.

„Das war alles, was du sagen musstest“.

Die beiden betraten den rauchigen Laden. Es war ein kleiner Raum, der bis zur Decke mit Platten und alten Filmrollen gefüllt war. Alles aufeinandergestapelt, um Platz für die Bar auf der linken Seite und zwei Sofas davor zu machen. Man konnte der Einrichtung die langen Tage und kurzen Nächte deutlich ansehen. Dean schmiss sich auf eines der Sofas und legte die Platte auf. Der Alte ging hinter die Theke und fing an verschiedene Flaschen aus verschiedenen kleinen Kühlschränken zu holen. Über seinem Kopf hing eine Tafel mit den Namen der Cocktails. Dean konnte nur ein paar der schräg und krakelig geschriebenen Namen entziffern. Die Tafel umfasste Drinks wie California Love oder Soul Sunrise. Die Nadel rutschte in die Rille der Schallplatte und die Lautsprecher füllten den Raum mit weichem Sound.

„Scheiße… wirklich verdammt gut“. Der Alte lächelte.

„Sag ich doch, Kleiner. Bei sowas kennt ihr Weißbrote euch einfach nicht aus. Nicht persönlich gemeint“. Er kam mit zwei randvollen Gläsern in den Händen zurück, reichte Dean eins davon und ließ sich auf das andere Sofa fallen.

„Auf die Engel“, sagte Dean, erhob sein Glas und ließ sich die blutigen Tränen den Hals herunterlaufen, als könnte er so alle Sünden der Welt vergessen machen. Durch die kleine Eingangstür kam das stetige Rauschen des Ozeans zu ihnen herein und vermischte sich mit der Musik aus den Lautsprechern.

„Lass dir eins gesagt sein, Kleiner: Manchmal kommt das Leben zu dir und liebt dich… und manchmal rammt es dir ohne Vorwarnung ‘n Messer ins Herz“. Er lehnte sich zu Dean vor und schaute ihm tief in die Augen.

„Die einzige Frage ist… was du daraus machen willst“.

Die beiden unterhielten sich noch eine ganze Weile und spielten die Platte dabei immer und immer wieder. Nun dämmerte es langsam. Die riesige orange-rot leuchtende Sonne verzog sich langsam hinter den Horizont, um morgen wieder ihren Tag hier zu verbringen. Dean schritt den restlichen Weg der Promenade entlang, um zu seinem Auto zu kommen. Ein schwarzer 1967er Chevy Impala stand auf dem abgelegenen Parkplatz nördlich des Strandes. Dean stieg ein, schaltete das Radio an und fuhr in Richtung des Jackson Boulevard. Der Motor dröhnte wie üblich in seiner typischen muskulös tiefen Sprache, während Dean das Gaspedal auf der langen, geraden Straße durchtrat. Die warme Abendluft schoss an seiner Hand vorbei, als er sie aus dem Fenster streckte und wellenförmig in Richtung der untergehenden Sonne bewegte. Die Straßen der Stadt waren voll von Menschen, die durch Raum und Zeit rasten. Immer umringt von gigantischen Werbeplakaten, die ihnen Träume vom perfekten Dasein in den Kopf setzten wie ein ansteckendes Virus. Insgeheim wollte doch jeder irgendwie ein Rockstar sein und seinen Stern zwischen Marylin Monroe und John Lennon haben. Dean beschleunigte und ließ diesen Teil der Stadt hinter sich.

Doch langsam fing der Part mit dem Jüngsten Gericht an, von dem der Alte erzählt hatte. Deans Gehirn hämmerte gegen seine Schädeldecke und er merkte, wie seine Beine träge und schwer wurden. Es war nicht mehr weit zu ihm nach Hause. Nur noch zwei Straßen entfernt stand sein Haus, bereit ihm Schutz und Erholung zu bieten. Er bog nach Ocean View ein und konnte am Ende der lange Straße die weiße, rettende Fassade seines bescheidenen Anwesens erkennen. Der Strand, an dem sich die Häuser wie Perlen an einer Kette aufreihten, war inzwischen in Dunkelheit gehüllt. Nur das regelmäßige Rauschen der Wellen zeugte noch von seiner Existenz. Der Chevy rollte in Deans Einfahrt und hielt vor dem großen Garagentor.

Die Einfahrt befand sich in einem gut gepflegten grünen Vorgarten. Nicht das Dean ihn je selbst gepflegt hätte, aber irgendwie sah er es trotzdem immer als seine eigene Leistung an. Das weiße Haus dahinter war einstöckig in Richtung des Strandes gebaut. Die marmorne Statue einer Frau mit Engelsflügeln stand vor der beeindruckenden zweiflügligen Eingangstür, zu der Dean nun versuchte möglichst unbeschadet herüberzukommen. Immer darauf achtend nicht in den kleinen hellblauen Pool zu fallen, den er für seine damalige Freundin hatte bauen lassen. Er stand schon fast vor der rettenden Tür und suchte in seiner Tasche bereits nach den verdammten Hausschlüsseln, als er in der Garage des benachbarten Hauses plötzlich sonderbare Lichter sah.

3

Er blieb stehen und versuchte zwanghaft etwas zu erkennen. Durch die kleinen Fenster an der Oberseite der Garage konnte er unkontrolliert blitzende Lichter, wie von einer herumwirbelnden Taschenlampe, sehen. Er ging näher zum benachbarten Vorgarten und versuchte etwas zu hören, doch außer dem Rauschen des Ozeans gab es nichts zu hören. Dean hatte es nie wirklich interessiert wer um ihn herum lebte. Es hatte genug Platz und alle hatten ihren privaten Zugang zum Strand. Wo hätte man sich also begegnen sollen? Alles, was er wusste, war, dass die Frau von nebenan Loraine Hardy hieß und sehr gut aussah. Plötzlich waren die Lichter in den Fenstern wieder zu sehen. Er hörte gedämpfte Schreie einer Frau, die von mehreren Schlägen abrupt beendet wurden. Adrenalin schoss explosionsartig in Deans Adern und ließ alle anderen Substanzen in seinem Körpers innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde verschwinden. Er musste etwas tun!

Das spürte er, ohne groß darüber nachdenken zu müssen. Instinktiv. Ganz aus dem Bauch heraus. Doch er war sich nicht sicher, ob er wegrennen oder genau das Gegenteil tun sollte. War es unfreundlich einfach so auf ein fremdes Grundstück rüberzugehen? War es vielleicht sogar gefährlich? Würde Loraine Hardy ihn anzeigen, weil er in ihr Eigentum eingedrungen war? So stand er für ein paar Sekunden wie angewurzelt da und machte dann trotz seiner Bedenken einen langsamen Schritt über den eher symbolisch gemeinten Zaun zwischen den beiden Grundstücken.

Vorsichtig tastete er sich in der Dunkelheit an die bewegliche Wand der Garage heran, ohne dabei auch nur das kleinste Geräusch zu machen. Auf einmal wurde ihm eiskalt. Von den Lichtern war nichts mehr zu sehen. Auch hören konnte er nicht mehr das Geringste. Mit großen Schritten ging er in Richtung der kleinen Eingangstür auf der linken Seite der Garage. Fieberhaft versuchte er etwas zu hören und riss seine Augen so weit auf, wie er nur irgendwie konnte. So sehr, dass es ihm schon fast wehtat. Mit dem Rücken an die Wand gedrückt konnte er den runden Türknopf zur Garage ertasten. Sein Atem stockte und er drehte ihn so langsam um, wie nur möglich. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte er die Tür lautlos geöffnet und lehnte sich vor den kleinen Spalt, durch den er in den Innenraum sehen konnte. Es war stockfinster. Auch mit seinen inzwischen an die Dunkelheit angepassten Augen konnte er nicht das Geringste erkennen. Doch auf einmal öffnete sich das große Garagentor mit einem lauten Knarren und das Licht der Straßenlaternen fiel hinein. Dean schreckte zurück und konnte gerade noch die Umrisse einer in schwarz gekleideten Person erkennen, die eine große Taschenlampe in der Hand hielt und in Richtung Straße rannte. Dort sprang sie wie vom Blitz getroffen in einen dunklen Geländewagen und raste davon. Sein Herz pumpte so heftig gegen die Brust, dass es wehtat. Er fiel durch die Tür und rang nach Luft. Alles, was er noch hören konnte, war das sich immer weiter entfernende Geräusch des schwarzen Geländewagens.

Heftig atmend suchte er nach dem Lichtschalter an der Tür. Als das Licht dann endlich anging, sprang er auf und stolperte ein paar Schritte zurück. Vor ihm lag Loraine Hardy leblos auf dem Boden. Sie hatte Blut an ihren Kleidern und lag mit schräg von sich gestreckten Armen und Beinen in der Mitte der Garage. Ansonsten war der Raum völlig leer. Sich mit einer Hand am Türrahmen abstützend, torkelte Dean in den Vorgarten und fiel auf den perfekt geschnittenen Rasen. Er rannte rüber zu seinem Haus und rief die Polizei.

Bereits nach wenigen Minuten wimmelte es in der ganzen Straße von Polizisten und blinkenden Lichtern. Ein dicker Mann in Uniform trat an Dean heran, während seine Kollegen im Hintergrund das Haus und die offene Garage fotografierten.

„Sie haben die Leiche gefunden?“, fragte er schroff.

„Ja. Und ich hab auch den Mörder gesehen“, antwortete Dean, der langsam die Kontrolle über sich zurückgewann. Seine Atmung wurde wieder ruhiger und sein Herz hörte auf unkontrolliert zu rasen. Der Polizist sah Dean lange und tief in die Augen.

„Sie haben den Mörder gesehen?“.

„Ja“.

„Folgen Sie mir“. Er führte ihn zu einem an der Straßenecke geparkten Krankenwagen. Dean konnte das Gefühl nicht direkt beschreiben, aber irgendwie kam es ihm so vor, als ob alles um ihn herum zu langsam passierte. Niemand schien wirklich in Eile zu sein. Der befehlshabende Detective lehnte an seinem Wagen und rauchte, während er auf den Ozean blickte. Er trug einen grauen Designeranzug und eine dicke Sonnenbrille, obwohl es stockfinstere Nacht war.

„Checkt ihn. Er denkt den Mörder gesehen zu haben“, sagte der Polizist unfreundlich zu den Sanitätern und verschwand daraufhin wortlos hinter dem Krankenwagen. Die maßen daraufhin alle möglichen Körperfunktionen und nahmen Dean zu seinem großen Verwundern sogar Blut ab. Nach ein paar Minuten wurde er wieder hinausgeschickt, ohne dass sich dabei jemand ernsthaft für ihn zu interessieren schien.

War es nicht Aufgabe der Polizei einen so wichtigen Zeugen unmittelbar nach der Tat zu befragen? Gingen durch die lange Wartezeit nicht zu viele Details in seinem Erinnerungsvermögen verloren? Die Leiche wurde indes fotografiert und bereits nach wenigen Minuten lieblos in einen schwarzen Leichenwagen geladen. Eine geschlagene Stunde später kam der dicke Polizist dann zu Dean zurück und legte ihm beifällig eine zerfranste Decke um die Schultern.

„Danke für ihre Aussage. Aber wir können sie leider nicht aufnehmen, da sich Rauschgift in ihrem Blut befindet“. Dean fiel aus allen Wolken.

„Was?! Aber ich hab doch klar und deutlich eine Person erkannt“, entgegnete er.

„Tun Sie sich selbst einen Gefallen. Vergessen Sie einfach, was Sie denken, hier und heute gesehen zu haben“. Mit diesen Worten drehte er sich um und so schnell wie die Polizei gekommen war, war sie auch schon wieder verschwunden.

Das Haus von Loraine Hardy war dunkel und zu Deans großer Verwunderung stand die Tür noch offen. Lediglich ein gelbes Flatterband war über das ebenfalls nach wie vor offene Garagentor gespannt worden. Er wollte sich gerade mit der Decke um die Schultern auf den Weg zurück in sein Haus machen, als ein letzter Polizeiwagen vor ihm Halt machte. Der Detective im grauen Anzug stieg aus, suchte die leere Straße nach Beobachtern ab und ging dann auf Dean zu.

„Darf ich?“, fragte er höflich.

„Ja, sicher“, antwortete Dean.

„Mein Name ist Jack Dunn vom LAPD. Aber wenn Sie jemand fragt… ist mein Name nicht wichtig“. Dean musterte ihn misstrauisch.

„Was wollen Sie von mir?“, fragte er.

„Das ist nicht so einfach zu erklären. Ich denke Sie werden es selbst herausfinden müssen“. Jack Dunn schaute sich noch einmal um.

„Die Frau nebenan…“.

„Loraine Hardy?“, fragte Dean.

„Ja… sie hieß nicht wirklich Loraine Hardy. Es hat nie eine Person gegeben, die tatsächlich unter diesem Namen gemeldet war“. Dean schaute ihn verwundert an.

„Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Sie richtig verstehe“. Jack Dunn schaute ihm tief in die Augen.

„Ihr echter Name war Ileen Brooks“. Und mit diesen Worten drehte er sich plötzlich um, stieg wieder in seinen Wagen und fuhr davon.

Zwischenspiel:

DAS LAPD