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Traumhafte Ferien in einem märchenhaften Schloss
Sina ist überglücklich: Sie hat die Teilnahme an einem Kreativ-Sommercamp in einem märchenhaften Schloss gewonnen! Und nicht nur das: An dem wunderschönen See im Schlossgarten trifft sie auch gleich noch ihren Traumprinzen: den attraktiven Thomas, der im Schloss als Gärtner jobbt und dessen Aufmerksamkeit ihrem Ego mehr als gut tut. Doch dann verschwindet Sinas Modeentwurf – und wie sich herausstellt, ist der Schuldige jemand ganz anderes, als sie vermutet hatte …
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Seitenzahl: 283
Corina Bomann
Kirschenküsse
© privat
DIE AUTORIN
Corina Bomann, 1974 in Parchim geboren, lebt mit ihrer Familie und einigen Haustieren in der Nähe von Berlin. Schon früh entdeckte sie ihren Spaß am Geschichtenerfinden. Vor einigen Jahren hat sie ihr Hobby zum Beruf gemacht und widmet sich seitdem ganz dem Schreiben.
Von Corina Bomann ist bei cbj bereits erschienen:
MyStory – Streng geheim. Verrückt nach Mark (13542)
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© 2011 cbj Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Umschlagbilder: GettyImages/Image Source/RF; Shutterstock (Hanka Steidle, jayfish, pavelr)
Umschlaggestaltung: *zeichenpool, München
kg ∙ Herstellung: CZ
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-05762-6V002
www.cbj-verlag.de
Ich war schon immer ein Sommerkind.
Nicht nur wegen meines Geburtstages am 16. August oder meiner rotblonden Haare und der vielen Sommersprossen, die sich wie punktlose Marienkäfer auf meiner Nase drängten. Alles, was mit dem Sommer zu tun hatte, liebte ich. Das Wetter, wenn es schön war, die Blumen, den Geruch nach frisch gemähtem Rasen – und die Kirschen.
Wahrscheinlich waren sie mir das Liebste an dieser Jahreszeit. Stundenlang könnte ich unter einem Kirschbaum liegen, die Ohren behängt mit Kirschohrringen und im Mund einen Kirschkern, den ich irgendwann mit einem kräftigen Schuss in die Gegend beförderte.
Als ausgemachtes Sommerkind freute ich mich natürlich immer auf den Sommer, doch in diesem Jahr gab es einiges, was mir die Vorfreude auf die Ferien verdarb. Vor ein paar Wochen wurde mein Vater nämlich arbeitslos, sein Werk hatte urplötzlich geschlossen. Das riss ein derart großes Loch in unsere Haushaltskasse, dass an Urlaub nicht zu denken war.
Mama hatte zunächst an unseren Urlaubsplänen festgehalten. Nach Mallorca hatte es ursprünglich gehen sollen. Doch drei Tage und einen Streit später wurde alles fallen gelassen. Mama – die wusste, wie sehr ich mich auf den Urlaub gefreut hatte − versuchte noch, mich bei Laune zu halten. Natürlich würden wir in den Urlaub fahren, hier- und dorthin, und »uns was anschauen«. Vielleicht auch einen Tag an die Ostsee. Am Strand dort würde es doch auch ganz nett sein!
Nun war ich kein kleines Kind mehr, das nicht verstand, wie die Welt lief. Mein 15. Geburtstag stand vor der Tür, seit zwei Jahren ging ich aufs Gymnasium und mein Busenwachstum war nicht mehr zu stoppen.
Trotzdem wanderten meine Mundwinkel enttäuscht nach unten. Der Urlaub war die einzige Möglichkeit, mal aus unserer Kleinstadt rauszukommen. Leute von außerhalb denken vielleicht, die Stadt sei toll, so klein, niedlich und erholsam, aber wenn man sie jeden Tag sah, wurde es doch schnell langweilig. Ringsherum gab es nichts als Felder und Windräder.
Na gut, das ist vielleicht ungerecht. Eigentlich mochte ich die kleine Stadt und ich liebte auch den Garten mit unserem Kirschbaum. Aber ich wollte nicht den ganzen Sommer hier verbringen, während andere an Traumstränden planschten.
Da kam der Zettel, den ich auf dem Weg zu meinem Klassenzimmer am Aushang entdeckte, gerade recht.
»Bewirb dich fürs Sommercamp!«, strahlten mich die dicken roten Letter förmlich an und bewirkten, dass ich sofort stehen blieb. Eigentlich war so ein Aushang nichts Besonderes, in regelmäßigen Abständen wurden Anzeigen für Ferienlager ans Schwarze Brett geheftet. Doch an diesem Zettel war etwas anders.
Ein Mode-Sommercamp! Ich war von den Socken. Das wäre genau das Richtige für mich! Schon lange träumte ich davon, nach dem Abi an eine Modeschule zu gehen und Kleider zu entwerfen. In meiner Schreibtischschublade türmten sich die Entwürfe von Klamotten und mittlerweile versuchte ich mich auch im Nähen. Meine Werke waren zwar noch nicht gut genug dafür, dass ich sie jemandem zeigen konnte − auch meine beste Freundin Mona wusste nichts davon. Aber im Sommercamp wäre das egal, denn dort würde ich es richtig lernen. Außerdem waren dort bestimmt nur solche Freaks wie ich, da bräuchte ich keine Angst zu haben, von irgendjemandem ausgelacht zu werden.
Aber wie viel würde das kosten?
Entmutigt ließ ich die Schultern sinken. Für einen kurzen Moment hatte ich nicht an unsere Geldprobleme gedacht. Wenn meine Eltern etwas dafür bezahlen müssten, konnte ich es vergessen.
Dennoch ließ mich der Flyer nicht los. Ich nahm mir einen von dem Stapel, der unter dem Schwarzen Brett auf dem Tisch lag, und suchte nach weiteren Infos. Auf der Rückseite stand, dass der Workshop auf einem Schloss stattfinden würde. Ein echtes Schloss? Wahnsinn! Ich hatte schon immer mal in einem Schloss wohnen und nachschauen wollen, ob dort Schlossgeister hausten. Bei all dem, was Ritter und Grafen früher so angestellt hatten, wäre das doch kein Wunder, oder? Und die Kleider, die die Frauen damals getragen hatten! Im Museum blieb ich immer vor den Prinzessinnen mit ihren riesigen Reifröcken und den weiten Spitzenärmeln hängen. Solch ein Kleid würde ich mir gern mal nähen!
»He, Sina, pick mit deinem langen Zinken nicht in die Wand!«, rief plötzlich jemand unter dem Gelächter anderer Jungen. Vor lauter Aufregung über das Sommercamp hatte ich gar nicht bemerkt, dass Norman aus der Parallelklasse mitsamt seiner Clique hinter mir aufgetaucht war. Ständig hatten es diese Typen auf mich abgesehen. Mona meinte, dass er das nur tun würde, weil ich immer so still war. Ich und still! Was konnte ich dafür, dass die anderen über Dinge redeten, die mich nicht interessierten! Und selbst wenn, das wäre noch lange kein Grund, ständig auf mir herumzuhacken. Aber Jungen denken nun mal anders …
Die Sache mit der langen Nase, die ich angeblich hatte, war nur einer von Normans seltsamen Späßen. Er hasste meine Klamotten, meine Turnschuhe und besonders, dass ich in der Schule gut war. Mal passten ihm meine Haare nicht, und wenn ihm nichts anderes mehr einfiel, machten er und seine Freunde sich über meinen Nachnamen, Birnbaum, lustig. Obwohl daran ja eigentlich nichts Lustiges war.
Obwohl mir in diesen Situationen meist Tausend Dinge in den Sinn kamen, die ich ihm im Gegenzug an den Kopf knallen könnte, hatte ich nicht den Mut, den Mund aufzumachen. Oder besser gesagt, die Worte blieben mir im Hals stecken. Manchmal fiel mir die passende Entgegnung auch erst ein, wenn die Meute schon weg war. Auch jetzt wandte ich mich schnell um und presste den Zettel fest gegen meinen Körper.
»He, Birnbaum, flieg nicht über deine Füße!«
Das Gelächter von Norman und seinen Freunden tönte den Gang entlang, und einige Leute, die mir entgegenkamen, starrten mich an, als hätte ich irgendetwas Falsches getan.
Plötzlich klingelte es. Mist!
Die Blödmänner hatten mich davon abgehalten, mir den Flyer noch genauer durchzulesen. Aber was hinderte mich daran, ihn in der Deutschstunde zu studieren? Wenn ich ihn zwischen die Seiten meines Buches klemmte, würde niemand etwas mitbekommen.
Frau Petermann, von den Schülern nur Petermännchen genannt (nach einem alten Schlossgeist), warf mir einen strafenden Blick zu, als ich durch die Tür stürmte. Alle anderen saßen bereits auf den Plätzen, nur ich fehlte noch. Rasch schob ich den Flyer in die Hosentasche und huschte schnell mit knallrotem Kopf auf meinen Platz.
Ich hatte das große Glück, dass Mona meine Banknachbarin war. Ich kannte sie seit der ersten Klasse und seitdem saßen wir immer nebeneinander.
Es war schon seltsam, wenn ich mit ihr zusammen war − außerhalb der Schule −, war ich eine ganz andere. Ich fühlte mich dann wie verzaubert. Gemeinsam mit Mona kletterte ich auf Kirschbäume, streifte durch die Stadt oder saß einfach nur auf den Treppen zum neuen Stadtverwaltungsgebäude, an dem ein Nebenarm der Elde entlanggeleitet wurde. Wir gingen zusammen shoppen, sprachen über CDs und Musikvideos, Filme und Bücher und tauschten Songs auf unseren MP3-Playern. Mona und ich, wir waren ein Team! Leider verlor sich der Zauber stets in dem Augenblick, wenn ich die Schule betrat. Dann wurde aus der frohen Sina wieder das unsichere Aschenputtel, das sich wünschte, endlich aus der Schule raus zu sein.
»Wo warst du?«, flüsterte mir die weltbeste Freundin zu, während Petermännchen begann, über Goethe zu referieren.
Ich schnitt eine Grimasse und holte vorsichtig den Zettel wieder heraus. »Norman und sein Idiotenklub haben mich wieder erwischt.«
Mona rollte mit den Augen. »Immer das Gleiche! Du solltest ihm endlich mal eine knallen, dann lässt er es.«
»Ist schon gut, war diesmal nicht so schlimm.«
»Was hast du da in der Hand?« Mona reckte den Hals.
»Zeige ich dir nachher«, gab ich zurück, denn nun schritt Frau Petermann bedeutungsschwanger an die Tafel und klappte sie auf. Ein Satz in bester Schönschrift kam zum Vorschein.
Ich fragte mich, ob unsere Lehrerin während der gesamten Pause davorgestanden hatte, versteckt hinter den beiden Tafelflügeln, damit ja niemand sah, was sie gerade ausheckte.
»Schreibt einen Aufsatz über euer schönstes Ferienerlebnis«, stand dort. Die gesamte Klasse stöhnte auf. Ich wohl am allerlautesten, denn was sollte ich nur schreiben?
»Da die Ferien ja bald beginnen und ihr während der sechs Wochen nicht das Schreiben verlernen sollt, werdet ihr eure schönsten Erlebnisse zu Papier bringen.«
»Als ob wir das Schreiben verlernen würden!«, flüsterte ich Mona zu, worauf sie kicherte.
»Ich erwarte, dass jeder mindestens fünf Seiten schreibt«, flötete Frau Petermann weiter.
Fünf Seiten! Das konnte ja heiter werden!
»Woher wissen wir denn, dass Sie im nächsten Schuljahr auch noch unsere Deutschlehrerin sind?«, fragte Frank Bachmann frech und erntete zustimmendes Gelächter seiner Kumpels.
»Weil ich es euch sage!«, entgegnete das Petermännchen schlagfertig. »Glaubt nicht, dass ihr mir so leicht davonkommt!«
»Und was machen wir, wenn wir keine schönen Erlebnisse haben?«, fragte Ivy Meier, die passend zu ihrem Emo-Outfit offensichtlich auch ihren Pessimismus mitgebracht hatte.
»Da wird dir schon was einfallen«, entgegnete Frau Petermann ungerührt.
Doch ich schluckte schwer. Ging es Ivy womöglich so wie mir? Wovon sollte ich berichten? Auf mich warteten ein Urlaub im Vorgarten und trübe Stimmung im Haus.
Als ich schon dachte, es könnte nicht schlimmer kommen, tönte Frau Petermann: »So, und damit ihr schon mal in Stimmung kommt, schreiben wir gleich mal ein kleines Übungsdiktat. Hefte raus, Herrschaften!«
In der nächsten Hofpause stürmten alle nach draußen, als gäbe es irgendetwas umsonst. Im Sommer verkaufte unsere Kantine Eis statt Schokoriegel, aber so früh am Tag hatte ich noch keine Lust darauf. Außerdem war im Zuge der allgemeinen Sparmaßnahmen auch mein Taschengeld gekürzt worden.
Ich war eigentlich nicht verschwenderisch, doch jetzt hob ich mir das Geld lieber auf. In dem Bastelladen, der gerade neu eröffnet hatte, wollte ich mir ein Nadelkissen und pinkfarbene Fingerhüte kaufen. Außerdem brauchte ich ein wenig Stoff für die Blüten, die ich in einer von Mamas Frauenzeitschriften gesehen hatte. Die würden sich gut auf einem T-Shirt machen!
»He, deinen Müll kannst du zu Hause fallen lassen, aber nicht hier!«, brüllte plötzlich der Hausmeister, Herr Hansen, quer über den Hof. Mann, klang der heute wieder freundlich! Alle zuckten vor Schreck zusammen, mich eingeschlossen.
Noch nie hatte ich ein Lächeln auf seinem Gesicht gesehen. Ständig wirkte er genervt, und wenn es ihm in den Kram passte, schnauzte er willkürlich irgendwelche Leute an. So wie jetzt.
»Hast du keine Ohren im Kopf?« Hartnäckig war er, das musste man ihm lassen. »Oder willst du hier sauber machen?«
»Ich glaube, der meint dich«, sagte Mona und blickte sich um.
»Aber ich habe doch nicht …«
Als ich mich ebenfalls umwandte, sah ich, dass ich tatsächlich gegen das eiserne Gesetz des Hausmeisters verstoßen hatte. Der Sommercampzettel war mir aus der Tasche gerutscht.
Herr Hansen stand mit grimmiger Miene dahinter und drohte, ihn mit seinem Papiergreifer jeden Moment aufzuspießen.
»Entschuldigung, war keine Absicht!«, rief ich und spürte, wie ich knallrot wurde. Ein paar Mädchen kicherten. Während mich alle anderen anstarrten und mein Herz vor Schreck pochte, klaubte ich den Zettel wieder auf. Glücklicher wirkte der Hausmeister nun aber trotzdem nicht. Er murmelte irgendetwas Unfreundliches in seinen vergilbten Schnurrbart, dann hielt er Ausschau nach dem nächsten Opfer, das er anmeckern konnte.
»Auch wenn ich mich wiederhole: Warum ist er Hausmeister, obwohl er diesen Job doch ganz offensichtlich hasst?«, fragte Mona kopfschüttelnd.
»Vielleicht hatte er ja keine andere Wahl«, entgegnete ich und dachte wieder an meinen Vater. Stand ihm dieses Schicksal auch bevor? Schlecht gelaunt irgendwelchen Schülern hinterherräumen, die sich insgeheim über ihn lustig machten?
Also wenn ich die Wahl gehabt hätte zwischen Herrn Hansen und meinem Vater als Hausmeister, hätte ich mich eindeutig für Paps entschieden. Er wäre gewiss nicht so mürrisch und eigentlich kam er mit den meisten Leuten klar. Das traf auch auf Rüpel wie Norman zu − auch wenn mir schleierhaft war, wie man mit so einem auskommen sollte.
Außerdem hätten wir dann nach Malle fahren können!
»Nun zeig aber mal her, was das für ein Zettel ist«, sagte meine Freundin, ohne weiter auf das Hausmeisterthema einzugehen, und riss mir das Blatt aus der Hand.
»Sommercamp«, murmelte sie und zog den Mund kraus. »Klingt nach Pfadfindern.«
Ich spähte über ihre Schulter und las nun den Rückseitentext.
»Das gibt es nicht«, platzte ich heraus. »Das ist meine Chance!«
Mona sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
»Du willst da mitmachen? Kannst du denn zeichnen?«
»Ein wenig. Aber ich will mich nicht zum Malen oder Töpfern bewerben, sondern um Mode zu entwerfen!«
»Aber da steht, dass du ein Outfit entwerfen sollst.«
»Na und?« Vielleicht hätte ich lieber meinen Mund halten sollen. »Ich … ich nähe zu Hause ein bisschen.«
Mona sah mich entgeistert an. »Du nähst? Das ist ja was ganz Neues!«
Meine Wangen wurden ganz heiß. »Ich mache das schon eine ganze Weile.«
»Und davon erzählst du mir nichts?« Mona verstummte. O weh, hatte ich sie jetzt verärgert?
»Du … du könntest mein Model sein!«, stammelte ich. »Ich meine, wenn ich was nähe und …«
Mona rümpfte die Nase und winkte ab. »Du weißt, dass ich mir nichts aus Abendkleidern und so mache.«
Sie trug am liebsten Jeans und grellbunte Shirts aus Secondhandläden. Manchmal waren tolle Stücke darunter, manche davon sahen aber aus, als seien sie schon seit den 70ern im Umlauf. Secondhand konnte man sie wohl nicht mehr nennen. Eher third oder fourth. Das war mir egal, doch im Gegenzug wollte ich nicht, dass Mona meine geheime Leidenschaft schlechtmachte.
Glücklicherweise lenkte sie nun aber ein. »Wenn ich dir irgendwie helfen kann, sag Bescheid.« Sie legte mir den Arm um die Schulter. »Ich hoffe aber, dass du trotz Kleiderentwerfen und Camp in den Ferien auch noch etwas mit mir unternimmst.«
»Klar doch!«, antwortete ich.
Erst mal musste ich den Wettbewerb überhaupt gewinnen.
Am Nachmittag saß ich vor einem leeren Zeichenblock und fragte mich, wie wohl das Gewinneroutfit aussehen müsste. Sicher wollten die Juroren etwas Ausgefallenes und nichts, was man in jedem H&M bekam.
Leider herrschte in meinem Kopf ein großes Vakuum. Was würden die Juroren als besonders ansehen? Bei jedem noch so kleinen Einfall schien mir eine Stimme zuzurufen: »Zu provinziell! Zu unoriginell! Zu billig!« Auch als ich meinen MP3-Player aufsetzte und laut Mando Diao anstellte, wollten diese kleinen Quälgeister nicht verstummen.
Natürlich gab es da eine Sache, die ich schon immer mal ausprobieren wollte. Doch würden die Preisrichter so etwas wollen?
Die Tür ging auf und meine Mutter schaute herein.
»Was hast du denn da?«, fragte sie und blickte mir über meine Schulter. Mein leeres Blatt konnte sie nicht meinen. Sie hatte den Flyer entdeckt und zog ihn, ehe ich es verhindern konnte, unter meinem Ellenbogen hervor.
»Das habe ich heute in der Schule am Schwarzen Brett gefunden«, erklärte ich. »Ein einwöchiges Sommercamp auf einem Schloss.«
»Du weißt, dass wir uns das in diesem Jahr nicht leisten können«, bemerkte Mama seufzend. Offenbar war sie noch nicht an der Stelle mit dem Wettbewerb angekommen.
»Ich weiß, aber für diejenigen, die beim Modewettbewerb gewinnen, ist das Camp kostenlos. Als Preis sozusagen.«
Noch immer stellte sich keine Begeisterung bei meiner Mutter ein. »Seit wann interessierst du dich für Modedesign?«
Auch sie wusste nichts von meiner heimlichen Leidenschaft. Vielleicht sollte ich die Karten jetzt auf den Tisch legen.
»Ich entwerfe schon seit einiger Zeit ein bisschen und nähe.«
Erstaunt schaute sie mich kurz an, dann las sie den Zettel aufmerksam zu Ende. Währenddessen zog ich die unterste Schublade meiner Kommode auf. Unter Socken, Schals und Halstüchern lagen meine ersten Näharbeiten: ein paar Armstulpen, eine Bestecktasche und ein etwas verunglücktes Plüschtier − das ich eigentlich Mona hatte schenken wollen, aber weil es nicht gut genug war, hatte ich es in der Schublade verschwinden lassen.
»Hier, schau mal.« Ich zeigte ihr mein bestes Stück, ein Shirt mit Blümchenapplikation.
Mama war sichtlich überrascht. »Das hast du selbst gemacht?«
»Das Shirt habe ich natürlich gekauft, aber die Blumen sind von mir.«
Mama drehte das Shirt hin und her. »Na sieh mal an, meine Sina hat ein Talent, von dem ich nichts wusste. Ich könnte echt Geld sparen, wenn du meine Sachen alle aufpeppen würdest.«
»So gut bin ich nun auch nicht«, winkte ich ab.
Mama gab mir das Shirt zurück, dann tippte sie auf den Zettel. »Bist du dir sicher, dass dabei alles mit rechten Dingen zugeht?«
»Warum sollte es das nicht?«, fragte ich erstaunt zurück. »Immerhin habe ich es am Aushang unserer Schule gefunden.«
»Nun gut, aber heutzutage weiß man nicht …«
»Da ist doch eine Telefonnummer«, fiel ich ihr ins Wort und deutete auf das Blatt. »Wenn du willst, kann ich da mal anrufen und mich erkundigen.«
»Besser ich mache das«, gab meine Mutter zurück, und ehe ich sie davon abhalten konnte, rauschte sie aus dem Zimmer.
Seufzend lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück. Musste das denn jetzt sein? Was würden die Juroren davon halten, wenn meine Mutter ihnen jetzt die Hölle heißmachte? Vielleicht sanken damit meine Chancen rapide, wenn sie sich an den Nachnamen erinnerten …
Aber meine Chancen standen eh nicht gut, weil ich keinen guten Einfall hatte. Obwohl Mama mit dem Zettel verschwunden war, leuchtete der Einsendeschluss grell vor meinen Augen.
Nur noch drei Tage!
Frustriert schleuderte ich den Bleistift in die Ecke. Dabei fiel mir eine alte Ausgabe der Bravo, die rätselhafterweise noch bei mir herumlag, ins Auge. Ich wusste nicht mehr, warum ich gerade dieses Heft hatte aufheben wollen. Ganz bestimmt nicht wegen Tokio Hotel, die auf dem Cover abgebildet waren.
Aber wie Bill mich da so angriente, mit seiner schwarzen Mähne und dem finsteren Make-up, fühlte ich mich in meiner geheimen Idee bekräftigt.
Warum nicht mal was im Gothic-Look entwerfen?
Da stand meine Mutter erneut in der Tür. Vor lauter Frust hatte ich nicht mal auf das Telefonat gehört, aber ihr Gesichtsausdruck wirkte nicht so, als müsste sie meine Traumseifenblase mit der Nadel bearbeiten.
»Wie es aussieht, geht da alles mit rechten Dingen zu«, sagte sie und legte den Zettel wieder auf meinen Tisch. »Allerdings meinte die Frau, mit der ich gesprochen habe, dass die Chancen, einen Platz zu ergattern, ziemlich gering sind. Mittlerweile sollen wohl schon mehr als fünfhundert Einsendungen eingegangen sein.«
Fünfhundert? Das war doch der absolute Wahnsinn!
Noch vor fünf Minuten hätte mir das völlig den Mut genommen und ich hätte vermutlich aufgegeben. Aber mit meiner gerade entsprungenen Idee konnte es vielleicht was werden! Schließlich war der Gothic-Look doch etwas Besonderes!
»Ich möchte es trotzdem versuchen«, antwortete ich. »Den Brief bezahle ich von meinem Taschengeld.«
Mama lächelte mich milde an. »So schlecht geht es uns auch wieder nicht. Wenn du fertig bist, gib mir Bescheid, dann bringe ich deinen Brief gleich zur Post. Ich drücke dir die Daumen, dass es klappt.«
Für einen kurzen Moment sah ich unter all den Sorgen, die sie mit sich herumschleppte, das frühere Gesicht meiner Mutter, die mir keinen Wunsch abschlagen konnte.
Wenn es einen Wettbewerb geben würde, bei dem man einen neuen Job für seinen Vater gewinnen konnte, hätte ich auch keine Sekunde gezögert mitzumachen.
Nicht mal eine Stunde später stand ich vor dem Haus der Meiers. Ja richtig, das war das Haus, in dem Ivy Meier, Miss Emo, wohnte. Und dabei war mir ziemlich mulmig zumute. Ich gehörte nicht zu denen, die Ivy ärgerten, aber wir waren auch nicht mehr als zwei Mädchen, die zufällig in dieselbe Klasse gingen. Was würde sie dazu sagen, wenn ich nun vor ihr stand und sie um Hilfe bat?
Aber wenn mir jemand helfen konnte, dann sie. So hoffte ich zumindest. Ich hatte sie mal zufällig am Bahnhof in einem ihrer abgefahrenen Outfits gesehen. Keine Ahnung, wohin sie unterwegs gewesen war, zum Fasching jedenfalls nicht. Doch das Kleid, das sie getragen hatte, war mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Rüschen überall! Dazu einen weit schwingenden Rock, Puffärmel, Satinschleifen und kleine Röschen. Etwas Ähnliches würde mich sicher von den anderen Bewerberinnen abheben. Ich fasste mir also ein Herz und öffnete die Gartenpforte.
Das Haus der Meiers unterschied sich im Aussehen nicht wesentlich von den anderen in der Nachbarschaft. Die weiß gestrichenen Wände wirkten freundlich, eine Efeuranke erklomm die Fassade und reichte mittlerweile bis zum Giebelfenster. Im Garten blühten rosafarbene Rosen.
Nach zweimaligem Klingeln polterten schließlich Schritte die Treppe herunter und Ivy öffnete die Tür. Wie vom Blitz gerührt starrte sie mich an. »Sina?«
»Hallo«, entgegnete ich verlegen. »Ich … ich wollte mal fragen, ob du kurz Zeit hast.«
Ivys Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Eine dünne Falte drückte sich zwischen ihre Augenbrauen. Es sah so aus, als erwarte sie, dass im nächsten Moment die gesamte Klasse aus dem Gebüsch sprang, um sie mit Wasserbomben zu bewerfen.
»Worum geht es denn?«, fragte sie schließlich und blickte auf ihre schwarz-rosa Armbanduhr. Oh, bestimmt sagte sie Nein!
»Ich … ich wollte wissen …«
»Ja?«
»Ich hab dich neulich mit so einem Kleid rumlaufen sehen.«
Ivy wich ein Stück zurück. »Das ist ’n Scherz, oder?«
»Nein, kein Scherz!«, beeilte ich mich zu sagen. »Ich hab dich in diesem Kleid gesehen und da ist so ein Modewettbewerb, den ich gewinnen will und …« Mir blieb die Puste weg. Hatte ich das wirklich alles in einem Zug heruntergerasselt?
Während sich Ivys Gesichtszüge immer mehr versteinerten, dachte ich schon daran, kehrtzumachen und schnell zur Gartenpforte zu laufen, bevor ich mich noch mehr verhaspelte. Kein Wunder, dass sie dachte, ich wolle sie auf den Arm nehmen.
Doch dann fragte sie: »Ein Modewettbewerb, wie?«
»Ja, einen, bei dem man einen Aufenthalt bei einem Sommercamp gewinnen und nähen lernen kann. Meine Eltern sind dieses Jahr knapp bei Kasse und ich würde gern …« Ich stockte. Welchen Grund sollte Ivy haben, mir zu helfen? Wenn sie in der Schule blöd angemacht wurde, stand ich ja auch nur daneben und kriegte meinen Mund nicht auf.
»Wie kommst du gerade auf mich?«
»Weil du … weil du besonders bist. Und du hast so tolle Klamotten.«
»Sag bloß, du findest was daran. Die anderen lachen mich immer nur aus.«
»Ich finde deine Sachen toll«, gab ich zu. »Aber ich …«
»Na gut, meinetwegen kannst du reinkommen«, sagte sie und trat von der Tür zurück.
Ich glaubte, mich verhört zu haben. Doch da griff sie schon nach meinem Arm und zog mich hinein.
Der Flur leuchtete in einem satten Sonnenblumengelb, die Bilder, die ebenfalls nur so vor Farben strotzten, waren in königsblaue Rahmen gefasst. Neidisch registrierte ich, dass es den Meiers wesentlich besser zu gehen schien als uns. Viel wusste ich nicht über Ivy, aber immerhin, dass sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater Arbeit hatten. Wenn ich es richtig im Kopf hatte, war ihr Vater in einem Architektenbüro tätig und ihre Mutter arbeitete in einer Boutique.
Ivy führte mich die Treppe hinauf, die in einem satten Violett leuchtete, und machte schließlich vor einer Tür in gleicher Farbe halt. Zumindest von außen war die Tür farbig, als wir in ihrem Zimmer standen, konnte ich sehen, dass die andere Seite in schlichtem Weiß gestrichen war.
Auch sonst schien sich Ivys Zimmer der allgemeinen Farbflut widersetzt zu haben. Aber nicht so, wie man es anhand ihres Aussehens vermuten würde. Die Wände waren nicht schwarz, sondern weiß gestrichen, ganz normal weiß. Vor dem Fenster hing eine kurze weiße Gardine, die mit rosa Bändern hochgerafft war. Und die Möbel schienen aus einem Museum zu kommen. So viele Schnörkel und Blätterranken hatte ich noch nie an einem Möbelstück gesehen. Der Stuhl vor dem Schreibtisch war ebenfalls verschnörkelt und rosafarben überzogen. Über dem Bett hing das Bild einer asiatischen Frau vor dezentem rosafarbenem Hintergrund.
»Setz dich!«, sagte Ivy und stieß mich beinahe aufs Bett, auf dem eine rosafarbene Tagesdecke mit aufgenähten Satinröschen lag. Darunter schaute ein Zipfel Bettwäsche hervor, der schwarz wie die Nacht war.
»Wie bist du eigentlich dazu gekommen, ein Emo zu werden?«, platzte es aus mir heraus, während ich noch immer gefesselt war von dem Kontrast zwischen Rosa und Schwarz.
»Was soll ich sein?« Ivy wirbelte herum wie eine Furie und stemmte die Hände auf die Hüften.
Oje, Fettnäpfchen! Jetzt sah sie mich so an, als wolle sie mich doch gleich wieder rausschmeißen. Aus dem Fenster, versteht sich.
»Na ich meine, du bist doch …«
Ivys Augen funkelten. »Ich bin kein Emo, du Nase! Ich stehe auf Gothic-Lolita-Klamotten! Das ist was vollkommen anderes!«
»Entschuldige«, war das Einzige, was ich herausquetschen konnte.
Doch Ivy war mit ihrer Erklärung noch nicht fertig.
»Hast du den Flur gesehen? Meine Mutter ist besessen von Farben! Pastelltöne, Leuchtfarben und so weiter. Jeder Raum ist in einer anderen Farbe gestrichen, bunte Bilder hängen an den Wänden, alle vier Wochen gibt es neue Vorhänge in noch grelleren Farben. Demnächst sollen die Räume wieder umgestaltet werden, und ich fürchte, wenn ich eines Tages ins Bad komme, werde ich mir die Augen an irgendeiner schreienden Farbe verbrennen. Ich habe mein Zimmer lieber dezent in Schwarz-Weiß und Rosa. Wenn es um normale Klamotten geht, trage ich am liebsten Schwarz, weil das die bevorzugte Kleiderfarbe der Künstler ist und nicht so vom Gesicht ablenkt. Das wissen die ‚tollen’ Leute in der Schule bloß nicht und deshalb lachen sie über mich und nennen mich Emo.«
Bei ihren Worten hatte ich irgendwie das Gefühl, zu schrumpfen. Ja wirklich, meine Beine, die von der Bettkante baumelten, kamen mir plötzlich wesentlich kürzer vor. Ich schämte mich dafür, dass ich bisher nie etwas gesagt hatte, wenn die anderen auf ihr herumhackten. Allerdings schaffte ich es ja noch nicht einmal, mich selbst gegenüber Norman zu verteidigen …
»Dafür stehe ich total auf alte Möbel«, sagte Ivy nun. Sie schien mein Schamgefühl nicht zu bemerken und deutete auf etwas, das wohl ein Schminktisch sein sollte. Auch er war schneeweiß und hatte s-förmige, verzierte Beine. Er sah aus, als hätte er einmal in einem Schloss gestanden! »Mit diesen Möbeln und meinen Kleidern kann man prima Fotos machen. Es gibt sogar Wettbewerbe und Treffen auf Conventions!« Plötzlich sprühten ihre Augen vor Begeisterung, ihr Ärger war offensichtlich verflogen.
Jetzt wurde mir endgültig klar, dass ich von Ivy nur die Hülle kannte. Ohne weiter auf Emos und unsere tollen Klassenkameraden einzugehen, marschierte sie zum Kleiderschrank.
»Hast du was zum Zeichnen dabei?«, drang Ivys Stimme dumpf aus dem Möbelstück. »Oder wenigstens eine Kamera, damit du das Kleid fotografieren kannst?«
»Mein Handy«, antwortete ich und kramte in meiner Tasche.
Schließlich tauchte Ivy mit einem Berg aus schwarzem Tüll und rosafarbenen Schleifen über dem Arm wieder auf und ging zu ihrem Schreibtisch. Wenig später zauberte sie eine Kamera hervor, von der ich nur träumen konnte. Zumindest im Moment.
»Du musst die Details sehen. Wenn schon, dann machen wir ein richtiges Bild«, sagte sie und warf das Traumgerät zu mir hinüber aufs Bett. Ich konnte beinahe die strafenden Worte meiner Mutter hören, wenn ich eine teure Kamera einfach so umhergeworfen hätte.
Ich hatte keine Ahnung, wie man das Teil bediente, aber ich wollte mich auch nicht dumm anstellen und nachfragen. Als Ivy mit ihrem Kleid aus dem Zimmer verschwand, strich ich sehnsüchtig über die Kamera. Ich hatte nur mein Handy, um Bilder zu machen. Papas Kamera war eine uralte Nikon, doch die gab er nicht aus der Hand. Digital war daran aber überhaupt nichts. Die Urlaubsbilder mussten bisher immer zum Fotoladen gebracht werden, um sie entwickeln zu lassen.
Und dieses Jahr würde es nicht mal Bilder geben …
Während meiner trübsinnigen Grübelei musste ich an irgendeinen Knopf an dem fantastischen Apparat gekommen sein, denn plötzlich fuhr das Objektiv heraus. Im Display konnte ich meine Turnschuhe erkennen.
Während ich die Kamera erschrocken auf die Bettdecke zurücklegte und beobachtete, wie das Objektiv wieder verschwand, rauschte Ivy herein.
Das war es! Das Kleid, das ich gesehen hatte. Und es sah von Nahem noch viel toller aus! Der mit Rüschen besetzte Satinrock fiel über einen Petticoat. Die große Schleife, die zwischen Rock und Korsagenoberteil angebracht war, bestand aus blassrosa Satin, genauso wie die Schleifchen, die die Puffärmel zierten. Die dunklen Strumpfhosen glänzten und ihre Füße steckten in rosafarbenen Schuhen.
»Und?«, fragte sie und breitete die Arme aus, als wäre sie ein Popstar, der seinen Beifallssturm erwartete.
»Es ist wirklich toll!«
»Na dann mach so viele Fotos, wie du willst. Aber nicht, dass du haargenau dasselbe Kleid abzeichnest. Ich habe mir das selbst genäht und hasse Copycats.«
Mir fiel die Kinnlade herunter. »Du hast das genäht?«
»Ja, nach einem Foto, das ich in einem japanischen Lolita-Magazin gefunden habe. War ziemlich viel Arbeit, zwischendurch ist meine Mutter eingesprungen, wenn ich nicht weitergekommen bin. Ihre Nähmaschine ist einfach klasse, die kann sogar sticken.«
Nun schwirrte mir vollends der Kopf. Nicht nur dass Ivy anscheinend nähtechnisch mehr auf dem Kasten hatte als ich, sie hatte sogar eine gute Nähmaschine. Okay, sie gehörte Ivys Mutter. Aber trotzdem.
»Könntest du mir vielleicht zeigen, wie man mit der Maschine näht?«
Ivy machte große Augen. »Hast du etwa noch nie genäht? Und dann bewirbst du dich für ein Modecamp?«
»Ich habe genäht!«, verteidigte ich mich. »Aber nur mit der Hand«, fügte ich dann kleinlaut hinzu.
»Die werden bei deinem Camp sicher wollen, dass ihr mit Maschinen näht. Wenn die euch schon Mode entwerfen lassen.«
»Aber wir haben keine Maschine und meine Eltern werden mir sicher auch keine kaufen.«
Ivy seufzte. »Schon verstanden. Soll ich dir zeigen, wie es geht?«
»Das würdest du tun?«
Jetzt grinste sie. »Hab ja sonst grad nichts zu tun.«
Zwei Stunden später verließ ich Ivys Haus mit einem glücklichen Grinsen auf dem Gesicht. Die Nähstunde mit ihr hatte wirklich Spaß gemacht! Und obendrein hatten wir uns für morgen verabredet, um mit dem Nähen weiterzumachen. Ivy war schon richtig gut darin, sie konnte sogar schon mit einer einfachen Nadel und ohne Stickprogramm sticken! Wie gern hätte ich auch so eine Nähmaschine!
Während ich noch davon träumte, selbst tolle Kleider zu nähen, sah ich Mona vor der Haustür sitzen. Ihr Fahrrad lehnte am Gartenzaun. Solche Überraschungsbesuche waren bei Mona nicht selten. Wenn sie Langeweile hatte, kam sie zu mir.
»Hey, wo warst du denn?« Mona erhob sich von der Treppenstufe. »Ich hab versucht, dich auf dem Handy zu erreichen, aber du hast dich nicht gemeldet. Wollte schon nach dir suchen.«
Mist, ich musste das Klingeln überhört haben, während ich mit Ivy an der Maschine gesessen hatte. Und danach hatte ich auch nicht mehr aufs Handy geschaut.
»Ich war …« Sollte ich es ihr erzählen? »Ich bin nur ein bisschen rumgelaufen«, platzte es aus mir heraus, bevor ich weiter überlegen konnte. Warum sagte ich ihr nicht einfach, dass ich bei Ivy war? Um mein schlechtes Gewissen zu überspielen, fügte ich schnell hinzu: »Ich wollte wegen des Entwurfs nachdenken. Irgendwie fiel mir zu Hause nichts ein.«
»Du musst ja ziemlich tief in Gedanken gewesen sein, wenn du nicht mal dein Handy gehört hast.«
»Ich hatte es ausgestellt«, schwindelte ich schnell. »Ich wollte ganz in Ruhe nachdenken.«
O Gott, hoffentlich klingelte es jetzt nicht plötzlich!
Mona musterte mich prüfend. Sah man mir die Lüge an? Bloß gut, dass die Fotos von Ivy erst morgen fertig waren. Es war kein Fotopapier mehr da gewesen und Ivys Mutter wollte erst am Abend welches mitbringen.
»Wollen wir runter in die Stadt?«, fragte Mona schließlich.
»Ähm, weißt du, der Einsendeschluss von dem Modewettbewerb ist schon in drei Tagen. Ich wollte mich jetzt eigentlich an den Entwurf setzen. Aber komm doch noch kurz mit rein.«
Mona stockte. Was war los?
»Nein, ich glaub, ich fahr wieder nach Hause. Wir können uns ja morgen treffen.«
Oh, oh, das klang niedergeschlagen. Dabei wollte ich sie doch nicht verärgern.
»Klar doch. Um vier am Brunnen?«, hörte ich mich antworten.
Mona lächelte jetzt wieder und ging zu ihrem Rad. »Prima. Und dann will ich unbedingt deinen Entwurf sehen!«
»Abgemacht!« Als ich Mona nachsah, wie sie die Straße hinunterradelte, fühlte ich mich irgendwie schlecht. Ich werde es wiedergutmachen, sagte ich mir.
Den ganzen Abend saß ich an meinem Entwurf. Der Besuch bei Ivy hatte Wunder gewirkt. Plötzlich hatte ich so viele Ideen im Kopf, dass ich mich kaum für eine entscheiden konnte.
Zwischendurch fiel mir siedend heiß ein, dass ich noch Hausarbeiten machen musste, doch die erledigte ich so fix wie möglich und begab mich wieder an den Zeichenblock. Morgen musste ich unbedingt ein paar Stoffreste bei Ivy schnorren. Ich hatte noch ein paar rosafarbene Schleifen, aber mit schwarzem Satin und schwarzer Spitze sah es schlecht aus. Außerdem hatte ich im Internet nachgeschaut, wie ein Stoffmuster auszusehen hatte. Die kleinen Stoffstücke, die ich bei Google in der Bildsuche gefunden hatte, hatten alle Zacken an den Rändern gehabt. Bestimmt besaß Ivy eine passende Schere.
Am nächsten Morgen quetschte mich Mona nach meinem Entwurf aus. Als ich ihr erzählte, dass ich etwas in der Gothic-Richtung machte, war sie von den Socken.
»Wie bist du denn darauf gekommen?«
»Ich hab was im Fernsehen gesehen. Das soll im Moment total angesagt sein. Außerdem machen das die Jungs von Tokio Hotel auch.«
Mona winkte ab. »Die sind doch mittlerweile schon wieder out. Du solltest vielleicht so was Verrücktes wie Lady Gaga machen.«
»Seit wann stehst du denn auf die?« Was den Musikgeschmack anging, waren wir uns eigentlich einig. Wir mochten eher die Beatsteaks und Mando Diao.
»Gar nicht«, entgegnete Mona. »Aber du musst zugeben, dass ihre Outfits abgefahren sind. Ich würd ja nie so rumlaufen wollen, aber bei allem, was man von den Modeleuten so hört …«