Kiss and kill - Beverly Barton - E-Book

Kiss and kill E-Book

Beverly Barton

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Beschreibung

Der Killer spielt ein perfides Spiel: Er entführt seine
Opfer, lässt sie auf einem riesigen Waldgelände frei
und jagt sie 21 Tage lang. Dann tötet er die jungen
Frauen. Als der Mörder die FBI-Agentin Nicole Baxter
und Privatdetektiv Griffi n Powell in sein Spiel
hineinzieht, müssen die beiden ihre Abneigung
gegeneinander überwinden.
Eine rasante Jagd auf den Jäger beginnt, bei der die
durchtrainierte FBI-Agentin fast ums Leben kommt …

Kiss and kill von Beverly Barton: Spannung pur im eBook!

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Seitenzahl: 562

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Beverly Barton

Kiss and kill

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Für meine Mutter, Doris [...]DanksagungPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Epilog

Für meine Mutter, Doris Marie, im liebevollen Andenken.

[home]

Danksagung

Ein herzlicher Dank geht an meine Freundin Marilyn Puett, der ich den Kontakt zu einem pensionierten FBI-Mitarbeiter verdanke.

Ich danke Ihnen, Special Agent a.D. William C. Rasmussen, dass Sie so freundlich waren, mir bei meiner Recherche zu helfen. Ihre Unterstützung war von unschätzbarem Wert für mich. Sollten sich dennoch Fehler in das Buch eingeschlichen haben, gehen sie ganz allein auf meine Kappe, weil ich irrtümlich etwas zu wissen glaubte, etwas missverstand oder schlicht die falschen Fragen stellte.

[home]

Prolog

Ich werde nicht sterben! Verdammt noch mal, ich weigere mich, aufzugeben und ihn diesen fiesen Wettstreit gewinnen zu lassen.

Kendall Moore, die gerade der Länge nach hingeschlagen war, rappelte sich wieder hoch. Sie musste wegrennen, weg von ihrem Peiniger. Atemlos und erschöpft schaffte sie es, sich auf die Knie aufzurichten. Jeder einzelne Muskel schmerzte, und in ihrem Kopf pochte es. Frisches Blut sickerte aus den Schnitten an ihren Beinen und den Rissen an ihren Fußsohlen.

Die sengende Augustsonne brannte auf sie herab, peitschte sie buchstäblich mit ihren Strahlen, die heißen schweren Tentakeln glichen. Die Sonne war ihr Feind, verbrannte ihr die Haut, trocknete ihre Lippen aus und dehydrierte ihren müden, geschwächten Körper.

Sie raffte ihr letztes bisschen Kraft zusammen und zwang sich aufzustehen. Sie musste dringend eine Deckung finden, einen Platz, an dem sie im Vorteil gegenüber ihrem Verfolger war. Falls er sie einholte, solange sie vollkommen ungeschützt im Freien war, würde er sie töten. Dann wäre das Spiel vorbei, und er hätte gewonnen.

Er darf nicht gewinnen! Ihr Verstand schrie ihr panische Befehle zu: Lauf, versteck dich, kämpfe, um zu leben! Ihre Beine jedoch bewältigten nur wenige, zittrige Schritte, bevor sie unter ihr einknickten und sie erneut hinfiel. Hunger und Durst schwächten sie viel zu sehr. Seit drei Tagen hatte sie nichts mehr gegessen, seit zwei Tagen nicht mehr getrunken. Und die ganze Zeit verfolgte er sie von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, zweifellos mit dem Ziel, sie schließlich zu töten – nachdem er sie zuvor wochenlang gefoltert hatte.

Das Röhren seines Geländemotorrads verriet ihr, dass er ganz in der Nähe war, westlich von ihr auf dem Schotterweg. Bald würde er zu Fuß in den Wald kommen und sie aufspüren wie ein Jäger das Wild.

Anfangs verwirrte es sie, dass er sie entführte und dann wieder freiließ. Aber nach wenigen Stunden war ihr klargeworden, dass sie mitten in der Einöde war und keineswegs frei, jedenfalls nicht freier als ein gefangenes Tier in einem Wildreservat.

Tag um Tag folgte er ihrer Spur, machte Jagd auf sie und lehrte sie, das Spiel nach seinen Regeln zu spielen. Mehrfach hatte er die Gelegenheit gehabt, sie zu töten, doch er ließ sie leben, gab ihr sogar hin und wieder Zeit, sich auszuruhen. Allerdings wusste sie nie, wann er es tun würde, so dass sie unentwegt auf der Hut sein musste, jederzeit auf ein weiteres langes, ermüdendes Katz-und-Maus-Spiel vorbereitet. Es schien kein Ende zu nehmen.

 

Pudge parkte sein Motorrad, nahm das kleine Fernglas, das ihm um den Hals hing. Sein Gewehr trug er am Lederriemen quer über den Rücken. Kendall wusste es noch nicht, doch heute war der Tag, an dem sie sterben würde. Vor drei Wochen hatte er sie in dieses abgelegene Gebiet gebracht. Sie sollte das fünfte Opfer in dem brandneuen Spiel werden, das er über Monate sorgfältigst vorbereitet hatte. Erst vor kurzem beschloss er, seine Beute drei Wochen lang zu jagen, ehe er sie am einundzwanzigsten Tag tötete.

Nach dem Tod seines Cousins Pinkie am ersten April letzten Jahres stellte er fest, dass er seinen einstigen Gegner und besten Freund schmerzlicher vermisste, als er gedacht hätte. Pinkies Tod war unvermeidlich gewesen. Schließlich hatte er bei ihrem »Killing-Beauties-Spiel« verloren, was bedeutete, dass er sein Leben verspielt hatte.

Das neue Spiel würde dir gefallen, lieber Cousin. Ich wähle nur die besten Exemplare aus, Frauen, die körperlich in exzellenter Verfassung sind und Köpfchen haben. Sie müssen würdige Gegner sein.

Kendall Moore hatte olympisches Silber im Langstreckenlauf gewonnen. Sie ist eins achtundsiebzig groß und absolut durchtrainiert. In einem fairen Wettstreit könnte sie unser Spiel gewinnen, aber wann habe ich jemals fair gekämpft?

Pudge kicherte vor sich hin, als er von seinem Motorrad stieg.

Ich hole dich jetzt. Lauf ruhig weg, versteck dich, ich finde dich doch. Und dann töte ich dich.

Während er in den Wald stapfte, fühlte er einen Adrenalinschub, der seine Sinne schärfte. Der Kitzel des Mordens hatte ihm gefehlt, die Faszination, wenn er das Entsetzen in den Augen einer Frau sah, die wusste, dass sie sterben würde.

Bald, sagte er sich. Das Mordwild ist wenige Meter entfernt. Es wartet auf dich, wartet auf den Tod.

 

Kendall wusste, dass sie keine Chance hatte, ihrem Peiniger zu entkommen. Mehr als einmal hatte er ihr bewiesen, wie wenig sie ihn davon abhalten konnte, sie aufzuspüren. Er hatte sein Gewehr auf sie gerichtet, direkt auf ihr Herz, dann wie ein Irrer gegrinst und sich abgewandt, um wieder zu gehen. Doch irgendwann würde er nicht wieder weggehen. War es heute so weit?

Sie hörte seine Schritte im Unterholz, die näher und näher kamen. Er versuchte nicht, sich anzuschleichen. Vielmehr schien er sie wissen lassen zu wollen, dass er sich näherte.

Du musst weiter, sagte sie sich. Selbst wenn du nicht entkommen kannst, du musst es versuchen. Gib nicht auf! Noch nicht.

Kendall rannte. Was ihr wie Stunden vorkam, war wahrscheinlich nicht länger als zehn Minuten, aber ihre Muskeln brannten, ihr Herz raste. Atemlos und der wenigen Energie beraubt, die ihr noch geblieben war, kauerte sie hinter einem riesigen Baum – und wartete.

Weiterlaufen!

Ich kann nicht. Ich kann nicht mehr.

Er findet dich. Und hat er dich …

Lieber Gott, hilf mir. Bitte, hilf mir!

Plötzlich, wie aus dem Nichts, rief ihr Peiniger ihren Namen. Als sie sich gerade in die Richtung umdrehte, aus der sie den Ruf gehört hatte, trat er aus dem sommerlichen Dickicht, das sie beide umgab. Das Sonnenlicht, das durch das Blätterdach über ihnen drang, wurde vom Lauf seines Gewehrs reflektiert, der auf Kendall gerichtet war.

»Spielende«, sagte er.

Das hat er noch nie gesagt, ging es Kendall durch den Kopf.

Schwer atmend hob sie den Kopf und sah ihn an. »Wenn du mich umbringen willst, du Schwein, dann tu es!«

»Was ist los, Kendall? Ist dir der Spaß an unserem kleinen Spiel vergangen?«

»Spiel? Das ist es also für dich, ja? Ein krankes, perverses Spiel, sonst nichts? Hier geht es um mein Leben!«

»Ja, stimmt. Und ich besitze die Macht über Leben und Tod. Ich halte dein Leben in meinen Händen.«

Sein kaltes selbstzufriedenes Lächeln ließ sie erschaudern.

»Warum ich?«

»Weil du so vollkommen bist.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Du musst es auch nicht verstehen. Du musst nur sterben.«

Sie schluckte. Diesmal bringt er mich tatsächlich um. Eisige Furcht packte sie, und sie erstarrte. »Dann tu es doch, verdammt noch mal! Mach schon!«

Der erste Schuss traf sie ins rechte Bein. Ein entsetzlicher Schmerz durchfuhr sie, als sie an ihren blutigen Schenkel griff und auf die Knie sank. Die zweite Kugel ging in ihre Schulter.

Durch einen Nebel von Tränen starrte sie ihn an und wartete auf den dritten Schuss.

Nichts.

»Bring’s zu Ende!«, schrie sie. »Bitte, bitte …«

Die nächste Kugel traf sie in die Brust, verfehlte jedoch ihr Herz.

Nun war sie vollständig vom Schmerz durchflutet, wurde gleichsam zu ihm. Sie war nicht mehr Kendall. Sie war nichts als die Pein, die sie litt.

Als sie verblutend auf der Erde lag, kam ihr Entführer näher. Sie fühlte den Gewehrlauf an ihrem Hinterkopf, schloss die Augen und betete, es möge vorbei sein.

Mit der vierten und letzten Kugel wurde ihr Gebet erhört.

[home]

Kapitel 1

Er hatte vorher getötet und würde auch wieder töten. Das gottgleiche Machtgefühl war durch nichts zu übertreffen.

Fünf Jahre lang hatte er das Sterbespiel mit seinem Cousin durchgehalten. Ihre Rivalität war Teil der Spannung, Teil des Kitzels gewesen. Aber Pinkie war tot und ihr wunderbares Spiel vorbei.

Sein neues Spiel war erst wenige Monate alt, dennoch erkannte er, dass es ohne einen Gegenspieler, ohne den psychischen Reiz des Wettstreits einfach nicht dasselbe war.

Die Jagd war spannend gewesen, das Töten ein krönender Höhepunkt, doch was bei seinem Mörderspiel fehlte, waren die erregende Vorbereitung und Planung sowie der Triumph hinterher. Er hatte niemandem, mit dem er beides teilen konnte.

Keinem vertraute er so, wie er Pinkie vertraut hatte. Sie beide hatten bereits als Teenager begriffen, dass sie anders waren als andere, besonders, überlegen. Aber er konnte ja wohl schlecht einen neuen Partner per Zeitungsinserat suchen. Wie sollte das gehen? Suche gerissenen Sadisten für ein ausgefeiltes Jagdspiel. Der Gewinner kriegt alles, der Verlierer stirbt.

Während Pudge die Grenze von Arkansas nach Louisiana Richtung Bastrop überquerte, lachte er bei dem Gedanken an eine solche Annonce leise vor sich hin.

Bis Monroe war es nicht mehr weit. Von dort wollte er weiter nach Alexandria, wo er auf die Interstate 49 und nach Hause fuhr. Vielleicht hielt er unterwegs irgendwo an, um zu Mittag zu essen.

Vor drei Tagen erst hatte er Kendall Moore die Kugel in den Kopf gejagt und ihre Leiche zu einem abgeschiedenen Ort außerhalb ihrer Heimatstadt Ballinger gebracht. Wie bei den anderen auch hatte er sich eine Trophäe von ihr einbehalten. Es war ein kleines Souvenir für seine beständig wachsende Sammlung.

Er sah hinunter in den Fußraum des Beifahrersitzes, wo die kleine runde Schachtel sicher verstaut war. Kendall hatte kurzes braunes Haar gehabt, dicht und lockig, das sich wie schwerer Satin anfühlte.

Seufzend dachte er daran, es wieder zu berühren, es zärtlich zu streicheln, wieder und wieder, genau wie er es in den letzten Momenten ihres Lebens getan hatte.

 

Griffin Powell beneidete seinen alten Freund. Judd Walker war durch die Hölle gegangen, doch dank der Liebe seiner Frau hatte er überlebt und führte inzwischen ein wunderbares Leben. Ein Leben, wie es nur ein Mann zu schätzen wusste, der unmittelbar vor der Selbstzerstörung gestanden hatte. Das Glück in Judds Augen, wann immer er seine Frau und seine winzige Tochter ansah, bestätigte Griff, dass sein Freund die unbezahlbare zweite Chance würdigte, die er bekommen hatte.

Und wenn sich jemand mit zweiten Chancen auskannte, dann Griff.

Judd klopfte ihm auf den Rücken. »Komm mit nach draußen und hilf mir, die Steaks auf den Grill zu packen.« Er hielt ein Tablett mit marinierten Fleischstücken in der einen Hand. »Cam hat schon angefeuert und ist startbereit.«

»Wie viele Köche brauchst du denn, um deinen Grill zu betreiben?«, fragte Griff, bevor er den letzten Schluck aus seiner Bierflasche trank.

Judd zuckte mit den Schultern. »Du musst ja nicht, ich dachte bloß, du willst vielleicht für ein paar Minuten vor den Damen fliehen. Aber wenn du dir lieber noch einmal genauestens erzählen lassen willst, wie wir das Kinderzimmer eingerichtet haben, was wir bei der Geburtsvorbereitung gemacht haben und wie ich bei Emilys Geburt fast ohnmächtig wurde, nur zu.«

Griff lächelte, als er hinüber zu besagten Damen blickte. Rachel Carter, Cams neueste Freundin, und Lisa Kay Smithe, mit der Griff gekommen war, saßen mit Lindsay Walker am Küchentisch. Die kleine Miss Emily Chisholm Walker schlief süß und selig im Arm ihrer Mutter. Lindsay McAllister, inzwischen Lindsay Walker, hatte ihre Lizenz als Privatdetektivin und ihre 9mm gegen ein beschauliches Landleben mit Ehemann und Baby eingetauscht.

Griff hatte sie noch nie glücklicher gesehen.

Und Lindsay verdiente es, glücklich sie sein. Sie hatte es sich wahrlich verdient.

Griff liebte sie wie eine kleine Schwester und wünschte sich nur das Beste für sie.

»Ich überlasse die Baby-Fachsimpelei vielleicht doch lieber den Damen«, sagte er und folgte Judd hinaus auf die Veranda. Judd hatte sie erst kurz vor der Hochzeit im letzten Jahr an die Jagdhütte der Walkers anbauen lassen.

Eigentlich lagen Griff weder Familientreffen noch Grillpartys. Nicht dass er sich heute nicht amüsierte oder lieber irgendwo anders wäre. Seine wahren Freunde konnte er mühelos an den Fingern abzählen, und Judd und Lindsay zählten zu den wenigen erwählten. Griff und Judd kannten sich bereits seit Jahren. Schon vor Judds erster Ehe waren die beiden ein berüchtigtes Playboy-Gespann gewesen. Und Judd war mit Camden Hendrix seit dem gemeinsamen Jurastudium befreundet. Wie Griff kam auch Cam aus sehr einfachen Verhältnissen, war ein typischer Selfmademan, während Judd dem alten Geldadel von Tennessee entstammte. Außerdem waren Griff und Cam überzeugte Junggesellen, obwohl sie stramm auf die Vierzig zugingen.

»Wie willst du dein Steak, Griff?«, fragte Cam, als er Judd die Fleischplatte abnahm und sie auf dem Seitentisch des hypermodernen Einbaugrills abstellte.

Erst jetzt wurde Griff bewusst, dass dies hier tatsächlich ihr allererstes Barbecue war, und er sah Cam mit hochgezogener Braue an. Der Prozessanwalt mit den blauen Augen und dem sandfarbenen Haar war lässiger gekleidet als sonst und trug eine weiße Schürze über seinem Uni-T-Shirt und der abgeschnittenen Jeans. »Medium«, antwortete Griff.

Cam grinste. »Ehrlich? Ich hätte dich als einen Rare-Typen eingeschätzt.«

»Tja, falsch geschätzt.«

»Du magst es also nicht gern roh, was?« Cam lachte und nickte zur Tür. »Ich frage mich, ob Miss Smithe nicht einen Kerl vorzieht, der es roher mag.«

Griff lächelte nach wie vor. »Es steht dir frei, sie zu fragen. Aber was ist mit der Dame, die du mitgebracht hast? Erwartet sie nicht, dass der letzte Tanz ihr gehört?«

»Wir könnten die Partnerinnen tauschen«, schlug Cam vor.

»Hört auf damit, ihr beiden!« Judd sah zu der Fliegentür, die von der Veranda in den Wintergarten führte. »Ich bin ein alter verheirateter Mann, und sollte meine Frau euch so reden hören, verbietet sie mir noch, euch je wieder einzuladen.«

Cam und Griff lachten laut.

»Wie tief die Mächtigen doch fallen«, sagte Griff.

»Unser Freund hockt unterm Pantoffel«, scherzte Cam.

»Ganz richtig«, bestätigte Judd. »Und ich bin verdammt stolz drauf.«

Griff kannte kaum einen Mann, der seiner Frau so vollkommen ergeben war wie Judd. Und er konnte es ihm nicht einmal verdenken, denn würde ihn eine Frau so lieben wie Lindsay Judd …

Es hatte Zeiten gegeben, da tauschten sie ihre Freundinnen untereinander aus, reichten sie sich gegenseitig weiter, und keine von ihnen hatte etwas dagegen gehabt. Bisweilen hatten Judd, Cam und Griff sogar den Verdacht gehegt, dass die Damen, mit denen sie ausgingen, untereinander Punkte an sie vergaben, sie verglichen und sich über die jeweiligen Vorzüge unterhielten. Als Jennifer Mobley in ihr Leben trat, hatten sie um ihre Zuneigung gewetteifert. Reihum führten sie Jennifer aus, bis schließlich Judd das Rennen machte. Er hatte sich bis über beide Ohren in Jenny verliebt. Sie waren noch frisch verheiratet gewesen, als Jenny jenem Mörder zum Opfer fiel, der sich auf Schönheitsköniginnen spezialisierte. Das lag inzwischen über fünf Jahre zurück.

Und Glückspilz, der Judd nun einmal war, hatte er ein zweites Mal die richtige Frau für sich gefunden.

Griff rechnete damit, dass auch Cam früher oder später die Liebe seines Lebens traf. Sie würde ihm begegnen, wenn er es am wenigsten erwartete, und ihn glatt aus den Schuhen hauen.

Griff selbst indes ging nicht davon aus, dass er jemals heiraten oder ein Kind zeugen würde. Er schleppte entschieden zu viel Ballast mit sich herum, als dass er sich auf eine echte Beziehung einlassen könnte. Keine Frau könnte seine Vergangenheit verstehen, von den Dämonen, die ihn verfolgten, ganz zu schweigen. Und denen entkam er nicht.

 

Nicole Baxter räkelte sich gemütlich auf der rustikalen Holzliege mit den dicken Polstern in einem scheußlichen Blumenmuster. Es war heiß, die leichte Sommerbrise unangenehm feucht, die Luft schwer. Sie hob das Glas vom Verandaboden und nippte an ihrem gesüßten Eistee. Während sie nach oben blickte, wo gerade ein Adler am Himmel kreiste, hielt sie sich das kalte Glas an die Wangen. In der Nähe plätscherte ein kleiner Bach melodisch, und das Rascheln der Bäume in der schwülen Hitze erinnerte sie daran, dass für heute Nachtmittag noch ein Gewitter angekündigt war.

Falls es regnete, würde sie sich in die gemietete Hütte zurückziehen, sich eines von den sechs Taschenbüchern aussuchen, die sie mitgebracht hatte, und es sich damit auf dem Sofa bequem machen. Falls es nicht regnete, würde sie sich wohl umziehen und wandern gehen.

Seufzend blickte sie auf ihre Shorts hinab, die schon bessere Tage gesehen hatte, auf das große Baumwoll-T-Shirt und ihre bloßen Füße. Vielleicht ging sie auch nirgends hin, sondern blieb einfach für die nächsten vier oder fünf Stunden hier, trank Tee, döste ein bisschen und bemühte sich, die Ruhe zu schöpfen, von der ihr Boss behauptete, dass Nicole sie dringend nötig hätte.

Möglicherweise hatte Doug recht. Es war durchaus denkbar, dass sie sich so sehr auf ihre Zwei-Täter-Theorie eingeschossen hatte, dass sie nicht mehr klar denken konnte. Und ein Special Agent, der nicht klar denken konnte, war der Arbeit nicht gewachsen.

Zudem hatte sie seit Jahren keinen Urlaub mehr gemacht, seit Greg starb und sie sich mit Haut und Haaren in ihren Job stürzte. Die Arbeit hatte sie davor bewahrt, nach ihrem Ehemann auch noch ihren Verstand zu verlieren. Sie wurde zu ihrer Leidenschaft, ihrer einzigen Leidenschaft.

Wem machte sie hier was vor? Von dem Tag an, als das FBI sie rekrutierte, eine frische, noch gänzlich unbeleckte Collegeabsolventin, wollte sie sich auf Biegen und Brechen beweisen und allen zeigen, dass eine Frau durchaus die Beste sein konnte. Die Allerbeste.

Ja, ihre Einstellung hatte vielleicht sehr viel mit ihrem Vater zu tun, der ein Chauvinist sondergleichen gewesen war.

Verflucht, Nic, lass es gut sein. Du hast längst mit dem Einfluss deines erdrückenden Vaters abgeschlossen. Wärm die alten Geschichten nicht wieder auf, das bringt nichts.

Sechs Monate Trauerberatung hatten ihr nicht bloß geholfen, mit Gregs Tod fertig zu werden. Sie hatte sich einem Therapeuten geöffnet, mit dem sie über ihr Leben im Allgemeinen redete, vor allem über die prägenden Jahre der Nicole Baxter, der wirklichen Frau, die wenige Menschen wirklich kannten. Um ehrlich zu sein, hatte es Momente gegeben, in denen sie selbst nicht sicher war, wer sie war.

»Nimm dir zwei Wochen frei.« Doug Trotter, einer der leitenden Special Agents des D.C.-Büros, hatte ihr keine andere Wahl gelassen.

»Da werde ich verrückt«, hatte sie erwidert.

»Versuch’s. Fahr irgendwohin, wo du dich amüsieren kannst. Such dir einen Strand, an dem du dich im Bikini lümmeln und mit flotten Jungs flirten kannst. Trink dir einen Schwips an und lass dich flachlegen.«

Wäre sie nicht seit Ewigkeiten sehr gut mit ihm befreundet, hätte Doug sich niemals getraut, den letzten Satz auszusprechen.

»Ich nehme zwei Wochen frei«, sagte sie schließlich. »Aber die Jungs können mir gestohlen bleiben. Wenn ich mich schon flachlegen lasse, dann sollte ein Mann den Job erledigen.«

Doug hatte gelacht.

Und so kam es, dass sie in einer gemieteten Hütte in Gatlinburg, Tennessee, hockte, inmitten der Great Smoky Mountains. Gestern Abend war sie angekommen, hatte wie ein Stein geschlafen und sich danach ein richtiges Frühstück gemacht. Anschließend hatte sie zwanzig Minuten lang gebadet, bevor sie sich abduschte und ein paar alte, bequeme Sachen anzog.

Tag eins ihrer ersten Woche Ruhe und Entspannung, und schon war sie zu Tode gelangweilt.

 

Pudge verließ die Interstate 49, bog nach rechts und suchte nach dem »Catfish Haven«, für das ein HOTEL-UND-RESTAURANT-Schild warb. Da vorn war es, gleich links. Das Restaurant war in einem Neubau aus altem Holz untergebracht, das den Anschein von Rustikalität erwecken sollte, hatte ein grobes Metalldach, eine breite Vorderveranda und einen großen Parkplatz, der zur Hälfte besetzt war.

Pudge lenkte seinen Mietwagen in eine Lücke nahe dem Eingang. Positives Park-Karma, dachte er lächelnd. Die Götter meinten es heute gut mit ihm.

Bevor er hineinging, um die Regionalküche zu genießen, musste er noch zwei Telefonate erledigen. Während der Fahrt hatte er über eine Lösung seines Problems nachgedacht und eine brillante Eingebung gehabt. Allein der Gedanke daran erregte ihn.

Er brauchte keinen Mittäter, um einen Wettstreit auszufechten. Was er brauchte, war ein Gegner, jemand, den er in bestimmte Einzelheiten der Planung, Durchführung und des anschließenden Triumphes einweihte. Es musste ein intelligenter Gegner sein, dem nicht anderes übrig blieb, als das Spiel mit ihm zu spielen. Was für ein Spaß es sein würde, die fragliche Person zu überlisten, ihr stets einen Schritt voraus zu sein.

Er ließ den Motor laufen, damit die Klimaanlage anblieb – Pudge hasste jede Form von Unannehmlichkeit –, und holte eines der vier Prepaid-Handys aus dem Handschuhfach, die er vor drei Tagen dort drin verstaut hatte, bevor er Arkansas verließ.

Natürlich hatte er die Handynummern seiner beiden auserwählten Partner im Kopf.

Wen sollte er zuerst anrufen? Hmm …

Er beschloss, sich das Beste für den Schluss aufzubewahren.

Als er die erste Nummer eintippte, stellte er sich das Gesicht des Mannes vor — in dem Moment, in dem er begriff, dass ein neues Spiel beginnen sollte.

 

Griff hatte vergessen, sein Handy auf Vibrationsalarm zu stellen. Als es während des Essens bimmelte, entschuldigte er sich bei den anderen und ging auf Abstand. Alle saßen an zwei Tischen am Pool in Lindsays und Judds Garten. Griff zog sich in den Schatten der alten Eichen seitlich vom Haus zurück.

Obwohl er die Nummer des Anrufers nicht erkannte, meldete er sich nach dem fünften Klingeln. Lediglich eine Handvoll Leute kannten seine Privatnummer.

»Hier Powell.«

»Hallo, Griffin Powell. Wie geht es Ihnen heute?«

Griff erkannte die Stimme nicht. Verstellt war sie eindeutig nicht, und der Südstaatenakzent war unverkennbar. Eine Tenorstimme, die immer wieder ins Falsett kippte, etwas zu hoch für einen Mann, dennoch zweifellos männlich.

»Wer ist da, und woher haben Sie meine Nummer?«

Lachen. »Es wird ein neues Spiel geben.«

»Wie bitte?«

»Will Mrs. Powells kleiner Junge zum Spielen rauskommen?«

Griffs Muskeln verkrampften sich, so sehr umklammerte er das Telefon, und er spürte, wie sein Adrenalinpegel stieg.

»Das kommt auf das Spiel an«, antwortete er.

»Verraten Sie mir, was allein Sie und ich über den Beauty-Queen-Killer wissen, und ich verrate Ihnen ein bisschen was über mein neues Spiel.«

Griffs Herzschlag legte ein paar Takte zu. Verdammt! War der Kerl echt?

»Cary Maygarden hatte einen Partner«, sagte Griffin.

Wieder Lachen. »Sehr gut, Griffin. Wirklich sehr gut.«

Griffs Gefühl sagte ihm, dass der Anrufer jener Partner war, der davongekommen war, weil niemand von seiner Existenz wusste. Einzig Griff und Special Agent Nic Baxter glaubten, dass Maygarden einen Partner gehabt hatte. Doch egal wie sich Nic bemühte, ihre Vorgesetzten zu weiteren Ermittlungen in dem Fall zu überreden, die Akte wurde geschlossen, da keine hieb- und stichfesten Beweise vorlagen, die auf einen zweiten Täter verwiesen.

»Wann planen Sie, Ihr neues Spiel zu beginnen?«, fragte Griffin.

»Oh, ich habe schon eröffnet.«

Griff wurde fast schlecht. Dieser Irre hatte schon wieder getötet?

»Wann?«, fragte er.

»Ich gebe Ihnen einen Tipp. Stillwater, Texas, vor vier Wochen.«

Ehe Griff etwas sagen konnte, war die Leitung tot. Der Anrufer hatte aufgelegt.

 

Während Blitze über den Himmel zuckten und Donnergrollen durch die Berge hallte, kuschelte Nic sich in den extrabreiten Sessel in einer Ecke der holzverkleideten Hütte. Das Taschenbuch, in dem sie gelesen hatte, lag aufgeschlagen in ihrem Schoß, und sie hatte Mühe, wach zu bleiben. Ohne den krachenden Donner zwischendurch wäre sie wohl schon längst eingeschlafen.

Plötzlich schlug ein Blitz in der Nähe ein, so dass Nic aus ihrem Halbdämmer aufschrak. Gütiger Himmel! Das war verflucht nahe. Als sie sich bewegte, fiel ihr das Buch mitsamt der leichten Baumwolldecke, die sie sich über die Beine gelegt hatte, zu Boden. Ein Schwall kühler Luft aus dem nicht weit entfernten Bodenventilator strich ihr über die Beine, so dass Nic eine Gänsehaut bekam.

Sie wollte gerade beides wieder aufheben, da hörte sie ihr Handy klingeln. Warum hatte sie das blöde Ding nicht einfach ausgeschaltet? Schließlich war sie offiziell im Urlaub, also konnte der Anruf nicht beruflich sein. Was wiederum bedeutete, es war privat, sprich: ihre Mutter, ihr Bruder oder ihre Cousine Claire.

Falls es ihre Mutter war, würde sie wieder anrufen, und wieder und wieder und wieder, bis Nic endlich abnahm. Ihr Bruder würde eine Nachricht hinterlassen und Nic ihn zurückrufen. Charles David und sie standen sich ihr ganzes Leben schon sehr nahe, obwohl sie dreitausend Meilen voneinander entfernt lebten, er in San Francisco und sie in Woodbridge, Virginia. Sie telefonierten häufig und besuchten sich mindestens einmal im Jahr.

Und sollte es Claire sein, würde sie Nic von den neuesten Errungenschaften des zweijährigen Michael erzählen wollen. So gern sie Claire mochte und es liebte, alles über ihren Patensohn Michael zu erfahren, war nun doch bald ein gewisser Sättigungspunkt erreicht. Sollte Nic ehrlich sein, war sie bisweilen neidisch auf Claire. Sie beneidete sie um ihre wundervolle Ehe, ihr bezauberndes Kind, ihr echtes Glück.

Nic trat die Baumwolldecke auf dem Boden beiseite und ging quer durchs Wohnzimmer zu dem Tischchen, auf dem sie gestern Abend ihre Handtasche, das Schlüsselbund und das Handy abgelegt hatte.

Als sie aufs Display sah, stellte sie fest, dass ihr die Nummer fremd war. So viele Leute kannten ihre Handynummer eigentlich nicht, also falls dies kein Verwähler war …

Sie klappte den kleinen Apparat auf. »Hallo, Nicole Baxter am …«

»Hallo, Nicole Baxter. Wie schön, ihre liebreizende Stimme zu hören.«

»Wer ist da?«

»Ein Mann, der Ihre Schönheit und Ihren Verstand bewundert.«

»Woher haben Sie meine Handynummer?«

»Ich habe da meine Quellen.«

»Okay, ich lege jetzt auf. Rufen Sie nie wieder an.«

»Nein, legen Sie noch nicht auf. Lassen Sie mich Ihnen erst mal die gute Nachricht mitteilen.« Er machte eine Pause, um die Spannung zu steigern. »Es steht ein neues Spiel an.«

Nic bekam furchtbares Herzklopfen. »Was haben Sie gesagt?«

Ein Lachen erklang, finster und böse, bei dem es Nicole eiskalt den Rücken herunterlief.

»Und, sind Sie jetzt froh, dass Sie nicht aufgelegt haben?«

»Was für ein Spiel?«, fragte Nic, wenngleich sie die Antwort bereits kannte – und fürchtete.

»Was wissen nur Sie, ich und Griffin Powell über den Beauty-Queen-Killer?«

Nic schaffte es gerade noch, ihren stummen Schrei zu unterdrücken. »Cary Maygarden handelte nicht allein. Es waren zwei Mörder.«

»Sehr aufmerksam von Ihnen, meine liebe Nicole. Nun, ich gestatte Ihnen und Griffin, an meinem neuen Spiel teilzunehmen. Und hier ist mein erster Hinweis: Ballinger, Arkansas, gestern.«

»Was soll das für ein Hinweis ein?«

Schweigen.

Das Schwein hatte aufgelegt!

Nic klappte ihr Handy zu und umschloss es mit den Fingern, dass die Knöchel weiß wurden.

Mein neues Spiel.

Verflucht! Hieß das, er plante eine neue Mordserie? Nach fünf Jahren und über dreißig Morden war Cary Maygarden mit einem Kopfschuss niedergestreckt und für immer gestoppt worden. Seither versuchte Nic, die höheren Mächte beim FBI zu weiteren Ermittlungen zu bewegen, aber weil sie keinen handfesten Beweis beibringen konnte, dass der Beauty-Queen-Mörder nicht allein gewesen war, hatte man die Akte geschlossen und Nics Bedenken als unbedeutend abgetan.

Im Laufe des Jahres hatte sie sich mit anderen Fällen befasst, jedoch stets im Hinterkopf behalten, dass die Mordserie noch nicht zu Ende war. Diese Gewissheit teilte sie nur mit einem anderen Menschen. Sie beide glaubten, dass Cary Maygarden einen Partner gehabt hatte, dass die Morde ihnen jeweils eine bestimmte Anzahl an Punkten einbrachten und der Verlierer am Ende nicht nur eine Niederlage einsteckte, sondern sein Leben verwirkt hatte.

Nic ging im Zimmer auf und ab. Griffin Powell war der letzte Mensch auf Erden, den sie sich wiederzusehen wünschte. Der Milliardär und Inhaber der Powell Private Security and Investigation Agency war ein eitles Macho-Arschloch. Und dass Griffin überdies der Einzige war, der dasselbe dachte wie sie, empfand Nic als Zeichen dafür, dass das Schicksal hin und wieder einen sehr bizarren Sinn für Humor bewies.

Lieber stellte sie sich tot, als Griff zu kontaktieren, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass dieser Kerl – wer zum Teufel er auch sein mochte – genau wusste, dass Griff und sie an seine Existenz glaubten. Mithin standen die Chancen recht gut, dass er Griff entweder schon angerufen hatte oder es noch tun würde.

Vergiss deinen Stolz und tu, was du tun musst!

Hatte sie Griffin Powells Nummer überhaupt noch in ihrer Liste, oder hatte sie die gelöscht, nachdem die Akte geschlossen wurde?

Sie klappte ihr Telefon wieder auf und ging die Rufnummernliste durch. Seine Nummer war noch da. Warum, wusste sie nicht. Eigentlich hätte sie ihn letztes Jahr direkt löschen sollen.

Einen Moment lang sah sie aus dem Fenster, wo der Sommerregen die Berge wusch. Es war stürmisch und schüttete wie aus Eimern, aber das Gewitter hatte aufgehört.

Hör auf zu trödeln, ruf ihn an, jetzt!

Nic tippte seine Nummer an und wartete, während es läutete.

»Na, hoppla, wenn das nicht meine Lieblings-FBI-Agentin ist«, meldete sich Griffin Powells tiefe, raspelnde Stimme.

»Hat er Sie angerufen?«

»Hat wer mich angerufen?«

»Lassen Sie den Quatsch und sagen Sie es mir einfach. Hat er Sie angerufen oder nicht?«

»Ja, das hat er, und es ist keine fünf Minuten her. Wann hat er Sie angerufen?«, fragte Griffin.

Nic schluckte. »Gerade eben.«

»Wir hatten recht.«

»Ja, ich weiß, obwohl ich mir wünsche, wir hätten falschgelegen.«

»Hat er Ihnen erzählt, dass er sein neues Spiel bereits begonnen hat?«

Nic stöhnte. »Ja, und das heißt, dass er schon wieder getötet haben muss.«

»Gab er Ihnen einen Hinweis?«

»Ja, und Ihnen?«

»Stillwater, Texas.«

Nic schüttelte den Kopf. »Mir sagte er Ballinger, Arkansas.«

»Mistkerl. Er hat also schon zwei Morde begangen. Eine Frau in Texas, eine in Arkansas.«

»Wir sollten das erst mal überprüfen«, sagte Nic.

»Wie stehen die Chancen, dass das FBI …«

»Ohne Beweise gleich null.«

»Dann muss ich mich darum kümmern.«

»Nicht ohne mich, verstanden?«

Griffin lachte kurz. »Schlagen Sie etwa vor, dass wir zusammenarbeiten?«

So schmerzlich es auch war, antwortete Nic notgedrungen: »Ja, genau das schlage ich vor.«

[home]

Kapitel 2

Soll ich zu Ihnen kommen, oder wollen Sie …?«

»Ich bin nicht zu Hause«, erklärte Nic ihm. »Ich bin in einer Hütte in Gatlinburg.«

»Allein?«

»Das geht Sie nichts an.«

Griff schmunzelte. Er stellte sich vor, wie die hübsche Nicole Baxter beleidigt vor sich hinstarrte. Was für ein Jammer, dass eine der atemberaubendsten Frauen der Welt es unbedingt mit jedem Mann aufnehmen wollte. Nicht dass er Frauen nicht für gleichberechtigt hielt; doch er war altmodisch und mochte Frauen, die ihre Weiblichkeit genossen. Sollte ihn das automatisch zu einem männlichen Chauvinistenschwein machen, dann war es eben so.

»Da Sie nicht weit von Knoxville entfernt sind, würde ich sagen, Sie kommen zu mir«, schlug er vor. »Ich bin momentan auch nicht zu Hause, kann allerdings in drei Stunden dort sein.«

»Hat sie denn nichts dagegen, wenn Sie einfach verschwinden?«, fragte Nic spitz.

Griff lachte. »Ich setze Lisa Kay auf dem Heimweg ab. Wir sind außerhalb von Whitwell in der Nähe von Chattanooga bei Lindsay und Judd.«

Schweigen.

»Sind Sie noch dran?«, fragte er.

»Ich hatte nicht bedacht, was das für die beiden bedeuten könnte«, sagte Nic. »Falls sie erfahren, dass es zwei Mörder gab …«

»Das müssen sie nicht erfahren, weder jetzt noch irgendwann.«

Die Frage war, ob es sich vermeiden ließe. »Dieser Kerl hat ein neues Spiel angefangen und wahrscheinlich zwei weitere Frauen umgebracht.«

»Es sei denn, seine Vorgehensweise ist dieselbe geblieben und er macht da weiter, wo er letztes Jahr mit Cary Maygarden aufgehört hat. In dem Fall haben wir keine Möglichkeit, ihn mit den Morden an den Beauty Queens in Verbindung zu bringen.«

»Wollen Sie damit sagen, wir gehen diesen Fall an, als gäbe es keine Verbindung?«

»Die Akte der Beauty-Queen-Morde ist offiziell geschlossen, und mir fällt kein Grund ein, sie wieder öffnen zu lassen. Ihnen vielleicht? Vor allem ist fraglich, ob es uns helfen würde, ihn aufzuspüren und zu stoppen, bevor das neue Spiel eskaliert.«

»Wahrscheinlich haben Sie recht. Aber falls er wieder Beauty Queens tötet …«

»Finden wir es heraus«, sagte Griff. »Ich mache ein paar Anrufe und sehe, ob ich etwas über die jüngsten Mordfälle in Ballinger und Stillwater rauskriegen kann. Falls es dort Übereinstimmungen gibt, können wir wetten, dass es unser Mann ist.«

»Das FBI wird sich kaum jetzt gleich offiziell einschalten wollen, aber das heißt nicht, dass ich keine Anfragen bei den örtlichen Behörden starten kann. Sie sollten mich das regeln lassen. Ich kann auf dem Weg zu Ihnen telefonieren.«

»Wenn wir das Ganze als Wettbewerb angehen, wird die Zusammenarbeit unnötig kompliziert.«

Nic stöhnte. »Ja, schon gut. Sie rufen in Stillwater an, ich in Ballinger. Sehen Sie, ich bin durchaus teamfähig.«

»Wissen Sie, wie Sie zu mir kommen?«

»Das werde ich schon finden.«

»Ich gebe Bescheid, dass man Sie reinlässt, sobald Sie ankommen.«

»Was ist das für ein Gefühl, Mr. Powell, auf einem Anwesen zu leben, das wie ein Festung gesichert ist?« Sie bereute die Frage in dem Augenblick, in dem sie sie ausgesprochen hatte.

»Ein gutes, Miss Baxter. Man fühlt sich vollkommen sicher.«

 

Pudge kam noch vor der Abenddämmerung zu Hause an, nachdem er seinen Mietwagen in Opelousa zurückgegeben hatte und in sein eigenes Auto umgestiegen war. Als Junge hatte er das hundertsechzigjährige Haus der Familie aus tiefstem Herzen gehasst. Noch vor den Sezessionskriegen gebaut, wirkte es früher düster und bedrückend. Als Mann jedoch hatte er es schätzen gelernt, und inzwischen verband ihn eine Hassliebe mit dem Besitz. Er hatte seine Mutter angebetet, seinen Vater gehasst und seine beiden Schwestern, Mary Ann und Marsha, stillschweigend geduldet. Heute dankte er Gott, dass er sie nur an den Feiertagen oder zu besonderen Anlässen sah. Seine Vorfahren ließen sich mütterlicher- wie väterlicherseits bis nach Europa zurückverfolgen. Sein Vater war der Cousin dritten Grades von Pinkies Mutter gewesen, doch in gewissen Familien galt auch entfernte Verwandtschaft immer noch als Teil des Clans. Die beiden waren sich bei einem Familientreffen begegnet, das hier auf Belle Fleur stattfand. Seinerzeit waren sie noch Jungen gewesen, die Freunde fürs Leben wurden.

Trotzdem hätte er nie erwartet, Pinkie so sehr zu vermissen. Dass der Tod seines Cousins eine solche Leere hinterlassen würde, war ihm vorher nie in den Sinn gekommen.

Pudge parkte seinen BMW in dem zur Garage umgebauten Kutschenhaus, holte sein Gepäck aus dem Kofferraum und ging den gepflasterten Weg entlang zum Hintereingang. Er hatte keine Hausangestellten mehr. Anständiges Personal war so gut wie nicht zu finden, und lieber kam er ohne Hilfe aus, ehe er sich mit inkompetenter herumschlug. Daher beschränkte er sich auf einen wöchentlichen Reinigungsdienst und eine Köchin – die alte Allegra Dutetre –, die um neun Uhr morgens kam und nachmittags wieder verschwand, wenn er hier war. Allegra kannte er schon sein Leben lang. Solange er denken konnte, war sie die Köchin der Familie. Mittlerweile musste sie an die Siebzig sein, aber immer noch recht rüstig, auch wenn sie nicht besonders helle war. Sie war keineswegs retardiert oder so, bloß ein bisschen langsam im Kopf. Und er behandelte sie gut, weil Allegra zu den wenigen Menschen gehörte, die ihm stets den Respekt zollten, den er verdiente.

Außerdem mischte sie sich niemals in seine Angelegenheiten.

Zum Glück war die Sonne untergegangen. Vom Fluss wehte eine feuchtwarme Brise hinauf. Allein der Weg von der Garage zum Haus reichte, dass Pudge sich nass schwitzte. Nachdem er über die hintere Veranda in die Küche gegangen war, stellte er den Alarm aus und ließ seinen Koffer nebst der Trophäenschachtel auf den Boden fallen. Der Koffer war leer bis auf seine Verkleidungen – Perücken, Make-up, falsche Bärte und sogar mehrere Sets farbiger Kontaktlinsen. Die Kleidung, die er auf der Fahrt nach und von Ballinger getragen hatte, war auf verschiedene Müllcontainer an der Strecke verteilt.

Nachdem er das Jackett ausgezogen und über die Rückenlehne eines Küchenstuhls gehängt hatte, knöpfte er sein Hemd bis zur Brustmitte auf und setzte sich hin, um sich die Schuhe und die Socken auszuziehen. Ein Lächeln trat auf sein Gesicht, als er seine Trophäenschachtel ansah. Natürlich könnte er bis morgen warten, ehe er seine neueste Errungenschaft der kleinen, exklusiven Sammlung hinzufügte, aber warum sollte er warten? Sein besonderer Raum im Keller des Herrenhauses war über ein Jahr lang leer gewesen, bis er vor wenigen Monaten eine neue Sammlung begann. Als er im letzten April das fünfjährige Spiel gegen seinen Cousin gewann und den finalen Preis, Pinkies Leben, einforderte, hatte er hinterher alle Erinnerungsstücke an die zahlreichen Beauty Queens entsorgt. Jenes Spiel war Geschichte, genau wie Pinkie. Nun spielte er ein neues Spiel mit neuen Gegnern und neuen Regeln.

Pudge stand auf, hob die Schachtel hoch und steuerte die Tür an, hinter der eine Holztreppe in den Keller führte. Er betätigte den Schalter gleich neben der Tür und stieg vorsichtig hinunter. Das größte Raum im modrigen Untergeschoss wurde als Abstellkammer benutzt und war bis oben voll mit den verworfenen Gegenständen unzähliger Generationen. Links davon lag die Speisekammer, die seit Jahren leer war, und rechts war der Weinkeller, zu dem nur Pudge einen Schlüssel besaß. Geradeaus, ganz hinten an der Wand und hinter einer Reihe rostende Ketten, die aus dem alten Gemäuer hingen, befand sich ein streng geheimer Raum, den er selbst zu seinem Trophäenzimmer gemacht hatte. Auch zu diesem Raum hatte einzig er den Schlüssel.

Die Trophäenschachtel in der Hand, näherte er sich der verschlossenen Tür. Das funzelige Licht im Kellergang warf Schatten auf die schimmeligen Wände und die Reste der schweren Ketten, die einst zur Disziplinierung ungezogener Haussklaven dienten.

Seine Schwestern hatten sich immer vor dem Keller gefürchtet und ihn seines Wissens nie betreten. Er hingegen war von diesem unterirdischen Bereich fasziniert gewesen, vor allem von den Ketten. Schon als Junge hatte er sich ausgemalt, wie es wohl wäre, jemanden dort anzuketten und zu peitschen, bis er sich ihm vollends ergab. Leider hatten die Jahre am Material gezehrt, so dass die alten Ketten heute nutzlos waren.

Als er die Tür erreichte, hielt er inne, griff in seine Hosentasche und holte sein Schlüsselbund hervor. Dann entriegelte er die Tür und stieß sie auf. Er tastete innen an der Mauer nach dem Lichtschalter, kippte ihn und betrat den knapp dreizehn Quadratmeter großen Raum. An der rechten Wand waren Regale angebracht, auf denen Glaskästen standen, die bis auf vier alle leer waren. Bald sollte seine jüngste Trophäe in dem fünften Kasten sein.

Er stellte die Schachtel auf einen runden Tisch in der Mitte, hob den Deckel ab und griff hinein. In dem Moment, als seine Hand die seidig weiche Masse berührte, schloss er die Augen und seufzte.

Kendall Moore war die stärkste, die mutigste und die entschlossenste Beute gewesen, die er je gejagt hatte. Er hoffte, dass seine nächste ihm ebenso viel Jagdspaß bescherte.

 

Nic glaubte noch gar nicht, was sie da getan hatte. Nicht einmal in ihren wildesten Träumen wäre sie darauf gekommen, dass sie sich einmal mit Griffin Powell zusammentun könnte. Der Mann war charmant und verstand sich ziemlich gut darauf, den Gentleman zu spielen. Aber hinter der Fassade des GQ-Titelmodells schlug das Herz eines barbarischen Kriegers.

Du tust dich nicht mit ihm zusammen. Du arbeitest lediglich vorübergehend mit ihm, und das auch nur, weil er, soweit du weißt, die einzige andere Person ist, die vom zweiten Beauty-Queen-Killer erfuhr, dass er ein neues Mörderspiel begonnen hat.

Als sie mit ihrem Mietwagen am Tor von »Griffin’s Rest« ankam – das sah diesem Vollblutegoisten ähnlich, sein Anwesen nach sich selbst zu benennen! –, wurde ihr klar, dass sie sich anmelden musste, ehe sie hereingelassen wurde. Zwei massive Steinbögen, auf denen riesige bronzene Greife saßen, seine Namensvettern, flankierten das verschlossene Tor. Kaum hatte Nic den Klingelknopf gedrückt, meldete sich auch schon eine männliche Stimme. Sie nannte ihren Namen, sonst nichts, doch während das Tor aufschwang, bemerkte sie, dass eine Kamera ihr Bild geradewegs ins Haus übertragen hatte, wo man sie wohl erkannte.

Die Zufahrt zum Haus war anfangs eine sich schlängelnde Allee, die schließlich einer freien Straße zum Seeufer wich. Wenngleich das Herrenhaus ein beeindruckender zweigeschossiger Bau mit einem säulenumrahmten Vordereingang zum See hin war, wirkte Griffins Zuhause insgesamt doch weniger protzig, als Nic erwartet hatte. Wahrscheinlich waren es um die sieben- bis achthundert Quadratmeter, mithin fast bescheiden für einen Mann, der angeblich Milliarden schwer war. Zwielicht herrschte über dem See, auf dem sich die letzten Sonnenstrahlen spiegelten, während die Außenbeleuchtung entlang der Zufahrt und um das Haus herum bereits alles hell erleuchtete.

Nic war nicht ganz sicher, wo sie parken sollte, also verlangsamte sie das Tempo, als sie sich der Vorderveranda näherte, und fuhr so weit an die Seite der kreisförmigen Einfahrt, wie sie konnte, um keine anderen Fahrzeuge zu behindern, die eventuell noch kämen. Sie wusste nicht, wie lange ihr Treffen mit Griffin dauern würde, doch sie hatte vor, so schnell wie möglich wieder von hier wegzukommen. Auf der Fahrt hierher hatte sie diverse Motels gesehen, und in einem von ihnen würde sie übernachten.

Nachdem sie sich ihre Ledertasche übergehängt hatte, stieg sie aus dem Wagen, streckte sich auf ihre vollen eins achtundsiebzig und marschierte selbstbewusst die Vordertreppe hinauf. Weniger als eine Minute verging nach ihrem Klingeln, da wurde auch schon von Sanders geöffnet, Griffin Powells rechter Hand.

Nic musste zugeben, dass sie sich ebenso brennend für die zehn fehlenden Jahre in Griffins Biographie interessierte wie alle anderen. Mit zweiundzwanzig Jahren war er von der Bildfläche verschwunden und zehn Jahre später wieder aufgetaucht. Und nicht nur kam er von Wer-weiß-woher zurück, sondern war auch noch nachgerade unanständig reich. An seiner Seite befand sich der mysteriöse Damar Sanders.

»Ich bitte einzutreten, Special Agent Baxter.« Sanders machte einen Schritt zur Seite.

Sie zögerte eine halbe Sekunde, als etwas in ihrem Innern Alarm schlug. Griffin Powells Zuhause zu betreten kam dem Gang der Prinzessin in die Drachenhöhle gleich.

Als sie über die Schwelle war, schwenkte Sanders seinen Arm dezent nach vorn. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen. Ich bringe Sie in Griffins Arbeitszimmer.«

»Ist Mr. Powell hier?«

»Er ist eben gekommen.« Sanders sah ihr in die Augen, allerdings mit einem erstaunlich neutralen Blick, weder freundlich noch unfreundlich. »Er bittet Sie, in seinem Arbeitszimmer zu warten.«

Sie nickte und folgte dem stämmigen Mann mittleren Alters mit der lederbraunen Haut und dem kahl rasierten Schädel. Seine ethnische Zugehörigkeit war ebenso ein Mysterium wie er selbst, und wenngleich er mit einem unverkennbar britischen Akzent sprach, bezweifelte Nic, dass Englisch seine Muttersprache war. Er verließ sie an der offenen Tür zum Arbeitszimmer, nachdem er sich mit einem angedeuteten Kopfnicken entschuldigt hatte. Nic holte einmal tief Luft und betrat den zweistöckigen Raum.

Wow! Ein riesiger Kamin, der groß genug war, dass mehrere Leute darin problemlos aufrecht stehen konnten, beherrschte das eindrucksvolle Zimmer. Es war ein ausgesprochen maskuliner Raum mit holzverkleideten Wänden und Dielenboden. Eine breite grüne Ledercouch stand weit genug vom Kamin weg, dass man einen Couchtisch dazwischenschieben konnte. Außerdem flankierten noch zwei braune Ledersessel den Kamin, und ein großer antiker Schreibtisch füllte die Ecke bei den Fenstern zum See aus.

Keine Frage, Griffin hatte diesem Zimmer seinen Stempel aufgedrückt. Wer ihn so kannte wie sie, wusste, was dieses Arbeitszimmer für ihn war: sein Zufluchtsort. Hierher zog sich der große Mann zurück, um der Welt zu entkommen.

Nic fühlte seine Anwesenheit schon, bevor er hineinkam, bevor er ihren Namen ausgesprochen hatte. Jede Nervenzelle in ihrem Körper schien auf einmal in Alarmbereitschaft, jeder Muskel spannte sich. Sie atmete tief durch, bevor sie sich zu ihm umdrehte.

»Hallo, Nic.«

Sie mochte ihren Spitznamen, und dennoch klang er von seinen Lippen wie eine Beleidigung. Der Mann gehörte geteert und gefedert, weil er es stets aufs Neue verstand, ihr unter die Haut zu gehen und sie zu verunsichern.

Entschlossen sah sie ihm in die Augen und erwiderte: »Hallo, Grr…iff.« Sie ließ die eine Silbe absichtlich wie zwei klingen.

»Kann ich Ihnen einen Drink anbieten?«, fragte er, wobei sein Blick zu der edlen Hausbar gegenüber dem Schreibtisch wanderte.

»Nein danke, aber Sie dürfen gern …«

»Setzen Sie sich.«

War das ein Befehl oder eine Bitte? Bei Griffin vermutlich ein und dasselbe.

Sie wählte die rechte Ecke des großen Sofas.

Er setzte sich in die linke.

»Was haben Sie über das Opfer in Texas herausfinden können?«, fragte sie.

»Nicht viel. Es gab in den letzten paar Monaten zwei Morde in Stillwater. Das eine war ein Mann, der von seinem Geschäftspartner erstochen wurde. Das andere war eine junge Frau, deren Leiche von Jugendlichen in einem Stadtpark gefunden wurde. Sie baumelte an einem Ast, kopfüber und die Füße zusammengebunden.«

Nic schloss für einen kurzen Moment die Augen, ehe sie Griff wieder ansah. »Wurde ihr in den Kopf geschossen?«

Griff nickte. »Ja.«

»War sie skalpiert?«

Er biss die Zähne zusammen. »Verdammt! Sie haben einen identischen Mord in Ballinger gefunden, stimmt’s?«

»Es war ihm nicht genug, sie zu exekutieren, er musste sie auch noch skalpieren.«

»Trophäen«, sagte Griff.

Nic sprang vom Sofa auf. »Ich will den Kerl! Ich will ihn aufhalten, bevor wir noch mehr Leichen finden. Aber mein Boss sagt mir gewiss, dass zwei ähnliche Morde in zwei unterschiedlichen Bundesstaaten kein ausreichender Beweis für einen Serienkiller sind.«

»Nicht einmal, wenn Sie die Anrufe bei uns hinzufügen?«

»Die Anrufe besagen lediglich, dass irgendein Irrer da draußen unsere Privatnummern hat.«

»Dann müssen wir genügend Beweise finden, um unsere Theorie zu untermauern. Ich fahre nach Ballinger und Stillwater. Mal sehen, ob ich was finde, das über die spärlichen Polizeiberichte hinausgeht.«

»Ich komme mit.« Nic stand vor ihm, und ihre Blicke begegneten sich.

Auf einmal erschien der Anflug eines Lächelns auf Griffs Zügen. »Sie wissen, wie einige Polizeichefs und Sheriffs reagieren, wenn das FBI die Nase in ihre Angelegenheiten steckt. Sie werden die Burschen nur nervös machen, Süße, wenn Sie da als große, wichtige Agentin aufkreuzen und Fragen stellen.«

Bei dem Kosewort fuhr sie unwillkürlich zusammen. Wahrscheinlich hatte er es schon bei Hunderten von Frauen benutzt. Nein, wohl eher bei Tausenden. Und sie wusste genau, warum er es bei ihr tat: um sie zu provozieren.

»Nun, Süßer«, entgegnete sie, »ich sage Ihnen was. Ich bin im Urlaub, also kann ich inoffiziell mit Ihnen mitkommen und werde meine Marke nur zücken, wenn es absolut unvermeidlich ist.«

»Könnten Sie eventuell versuchen, charmant statt herrisch zu sein?«, fragte Griff mit einem gefährlichen Funkeln in den eisblauen Augen. »Auf die Weise bekommen wir vielleicht mehr Informationen.«

»Ich glaube, ich besitze genug Charme für uns beide.«

»Vielen Dank, Madam. Ich nehme das als Kompliment.«

Nic stöhnte im Stillen. »Nehmen Sie es, als was Sie wollen.«

Griff stand auf. »Halten Sie es für möglich, dass wir unsere persönlichen Gefühle beiseitelassen und zusammenarbeiten können? Wir müssten vorübergehend einen Waffenstillstand vereinbaren.«

Nic straffte sich. »Ich werde es versuchen.«

»Das reicht mir.«

»Der Mord in Ballinger war erst vor kurzem«, sagte sie, da sie davon ausging, dass der Waffenstillstand ab jetzt galt – mochte Gott ihnen beiden beistehen. »Die Leiche wurde gestern gefunden. Was ist mit der Frau in Stillwater?«

»Ihre Leiche wurde am Ersten diesen Monats, also vor fast vier Wochen gefunden.«

»Dann sollten wir zuerst nach Ballinger fahren, alle Informationen einholen, die wir kriegen können, und von dort aus nach Stillwater.«

»Einverstanden. Ich lasse den Powell-Jet für morgen früh bereitstellen.«

»Okay. Wann soll ich morgen hier sein?«

»Wo wollen Sie denn heute Abend noch hin?«, fragte er.

»Ich habe auf dem Hinweg ein paar ganz passable Motels gesehen.«

»Sie bleiben hier. Ich habe jede Menge Platz.«

»Mir wäre nicht wohl dabei, hier zu übernachten.«

»Warum nicht? Weil Sie mich nicht mögen? Oder weil Sie Angst haben, Sie könnten mir nicht widerstehen, falls ich Ihnen Avancen mache? Glauben Sie mir, Sie sind sicher vor mir.« Er hob beide Hände, um ihr zu bedeuten, dass er sie nicht mal mit einer Kneifzange anfassen würde.

»Stimmt, ich mag Sie nicht«, gestand sie freimütig. »Und wir beide wissen, dass ich Sie nicht unwiderstehlich finde, also vielen Dank für das Angebot, hier zu übernachten. Dann hole ich meine Tasche aus dem … Mist, ich bin in einem Mietwagen hier!«

»Geben Sie mir die Schlüssel. Sanders kann Ihre Tasche holen und sich morgen darum kümmern, dass der Wagen zurückgegeben wird.«

Sie lächelte. »Meine Güte, das muss nett sein! Sie erteilen einfach Befehle, und um Sie herum parieren alle.«

Griff schnalzte mit der Zunge. »Aber, aber, Nicki, was ist mit unserem Waffenstillstand?«

Nicki? Wo kam das denn her? Nachdem er sie mit »Süße« nicht auf die Palme gebracht hatte, probierte er es wohl mit etwas, von dem er dachte, es könnte sie noch mehr verärgern, nämlich einem eigenen Kosenamen für sie!

Aber sie biss nicht an, sondern öffnete den Reißverschluss ihrer Schultertasche und angelte den Schlüssel heraus. »Hier ist er.« Sie ließ ihn in Griffs offene Hand fallen, wobei sie sorgsam achtgab, ihn nicht zu berühren. »Danke. Und richten Sie bitte auch Sanders meinen Dank aus.«

Griff schloss die Finger um den Schlüssel, ohne den Blick von Nic abzuwenden. »Was denken Sie, warum er uns angerufen hat? Wozu macht er uns auf seine neuen Morde aufmerksam? Er hätte ohne weiteres ein Dutzend und mehr Frauen töten können, bevor irgendjemand eins und eins zusammenzählt und eine bizarre Verbindung zwischen den Taten herstellt.«

Nic seufzte. »Ich habe keine Ahnung, aber mein Gefühl sagt mir, dass er uns früher oder später den Grund nennen wird. Und ich bin sicher, dass er uns nicht gefällt.«

 

Pudge holte den Styroporkopf hervor und stellte ihn auf dem runden Tisch ab, auf dem Kendall Moores Skalp lag. Mit größter Sorgfalt drapierte er den blutigen Skalp auf dem kahlen Perückenschädel und rückte ihn geduldig hin und her, bis er genau richtig saß. Als er zufrieden war, öffnete er einen der Glaskästen auf dem Regal, den fünften in der obersten Reihe, und hob den Kopf hinein. Dann ging er zum schmalen Aktenschrank unter dem Metallschreibtisch in der Ecke und nahm das Etikett heraus, das er vor Wochen gefertigt hatte. Es war in sauberer schwarzer Schrift gedruckt, in der Type »Times Roman«:

 

Kendall Moore, #5.

 

Nachdem er den Glaskasten geschlossen hatte, setzte er sich auf den Schreibtischstuhl, von wo er liebevoll hinüber zu seinen fünf wunderschönen Trophäen sah, und lächelte.

Wie lange werden Griff und Nic brauchen, ehe sie herausbekommen, dass es bereits fünf Opfer gibt und nicht nur zwei?

Trotz ihrer Animositäten würden Griffin Powell und Special Agent Baxter sich gegen ihn verbünden. Natürlich war das auch sein Ziel gewesen. Zwar wussten sie es noch nicht, aber sie sollten zu Hauptfiguren in seinem neuen Spiel werden.

Er vermutete, dass sie morgen nach Ballinger oder Stillwater aufbrechen würden, falls sie nicht jetzt schon unterwegs waren. Dass gestern eine Leiche in Ballinger und vor fast einem Monat eine in Stillwater gefunden wurde, dürften sie mittlerweile in Erfahrung gebracht haben. Beide Frauen waren auf dieselbe Weise umgebracht und ihre Leichen waren gleich arrangiert worden: an den Füßen gefesselt von einem Baum hängend. Und beide Frauen waren skalpiert.

Er hätte natürlich auch den ganzen Kopf mitnehmen können, aber das Präparieren eines vollständigen Kopfes war so mühsam. Außerdem wollte er nichts kopieren, was er in dem Spiel mit Pinkie gemacht hatte. Im Laufe ihres gemeinsamen Killerspiels hatte Pudge einige Köpfe abgehackt, und das wirklich Witzige daran war, dass diese Morde bis heute nicht mit zu den Beauty-Queen-Morden gezählt wurden. Einer von ihnen war sehr früh gewesen, noch ehe Pinkie und er ihre besonderen Mordmethoden dem anpassten, was die jeweiligen Frauen bei ihren Wettbewerben vorgeführt hatten.

Pudge drehte den Stuhl herum und blickte auf den leeren Computerbildschirm. Wenn er bei seinem Plan bleiben wollte, hatte er keine Zeit zu verlieren. Die nächste Beute musste sofort ausgewählt werden. Heute Nacht oder spätestens morgen. Den Kreis der Kandidatinnen hatte er bereits eingeengt. Er wählte nur Frauen, die auf der Höhe ihrer physischen und mentalen Leistungsfähigkeit waren, auf dass sie ihm die Jagd zu einer Herausforderung machten.

Nachdem er den Computer eingeschaltet hatte, öffnete er eine Datei, die er schon vor einer Weile angelegt hatte. Ein Name hob sich von den übrigen ab. Sie sollte sein ultimativer Mord werden, der Preis für sein Lebenswerk.

Nicole Baxter.

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Kapitel 3

Alles in allem hatte Nic erstaunlich gut geschlafen. Griff hatte sie ins Gästezimmer geführt, das groß, elegant und feminin eingerichtet war. Sie fragte sich, wie viele Frauen im Laufe der Jahre dieses Zimmer genutzt haben mochten.

Als Sanders ihren Koffer brachte, hatte er gesagt: »Falls Sie irgendetwas brauchen, scheuen Sie sich bitte nicht, mich zu fragen.«

»Danke, es ist alles bestens.«

»Möchten Sie, dass ich Sie morgen früh wecke, oder ziehen Sie es vor, sich den Wecker zu stellen?«

»Ähm, ich stelle mir den Wecker. Aber ich habe vergessen, Mr. Powell zu fragen, wann ich abreisebereit sein soll.«

»Das Frühstück wird um sieben in der Küche serviert.«

 

Nic sah auf ihre Armbanduhr. Es war halb sieben morgens. Gestern Abend hatte sie sich den Wecker auf sechs Uhr gestellt. Nun war sie geduscht, hatte die Haare geföhnt und frische Unterwäsche angezogen. Ihr schulterlanges Haar hatte sie sich zu einem losen Knoten aufgesteckt und dezentes Make-up aufgelegt – Rouge, Lipgloss und Mascara. Ihre Kleidung entsprach allerdings nicht der Uniform, wie Nic sie gewöhnlich bei der Arbeit trug. Sie musste mit dem auskommen, was sie sich für ihren Urlaub in den Bergen eingepackt hatte: Shorts, Jeans und einen einzigen Rock. Sie entschied sich für Jeans, die sie mit einem kurzärmeligen weißen Pulli kombinierte.

Dann straffte sie die Schultern, reckte das Kinn und widerstand dem Drang, in den Standspiegel zu sehen, an dem sie auf dem Weg zur Tür vorbeikam. Schließlich wusste sie auch so, dass sie sauber und vorzeigbar war. Das reichte.

Unten angekommen, folgte sie einfach ihrer Nase. Das Aroma von Kaffee und Zimt führte sie in die große moderne Küche. Nach dem Eintreten blieb sie jedoch stehen, als sie Sanders am Herd sah und Barbara Jean Hughes, die in ihrem Rollstuhl herumfuhr und den Tisch deckte. Barbara Jeans jüngere Schwester war ein Opfer der Beauty-Queen-Mörder gewesen und Barbara Jean einer der wenigen Menschen, die den Täter kurz gesehen hatten, als er den Tatort verließ. Sie hätte unter FBI-Schutz stehen sollen, solange sie den Mörder suchten, aber stattdessen war sie Griffs Charme erlegen und hatte dessen Angebot angenommen, für ihre Sicherheit zu sorgen. Nic glaubte nicht, dass sie es Griff je vergeben könnte – wie so manches andere auch nicht. Immerhin hatte er Barbara Jean einfach mit zu sich genommen und hielt sie seither in »Griffin’s Rest« unter Verschluss. Selbst jetzt, nachdem Cary Maygarden tot war und alle glaubten, Barbara Jean hätte nichts mehr zu befürchten, zog sie es offenbar vor, hierzubleiben und fortan als Griffins Bedienstete zu arbeiten.

In dem Moment, als Barbara Jean sie erblickte, hielt sie ihren Rollstuhl an und lächelte. »Guten Morgen, Special Agent Baxter. Wie schön, Sie wiederzusehen. Ich wünschte nur, die Umstände wären erfreulicher.«

»Ja, ich auch, aber ich freue mich ebenfalls. Ach, und sagen Sie doch bitte Nic.«

»Sie sind ein bisschen früh dran. Das Frühstück ist noch nicht ganz fertig.« Barbara Jean sah auf den Tisch, der formvollendet mit Platzdeckchen, Silber und Porzellan gedeckt war. »Griffin und Maleah werden gleich kommen.« Sie blickte lächelnd zu Sanders. »Damar hat seine Frühstücksspezialität gekocht und frische Zimt- und Rosinenbrötchen gebacken.«

»Es duftet köstlich.« Nic mühte sich, ihre Neugier im Zaum zu halten. Maleah? War sie eine von Griffs Frauen? Wahrscheinlich. Aber als sie gestern mit ihm telefoniert hatte, war Griff bei Lindsay und Judd gewesen und hatte gesagt, er würde eine gewisse Lisa Kay auf dem Heimweg absetzen, oder?

»Möchten Sie einen Kaffee?«, fragte Sanders.

»Ja, sehr gern, aber ich kann ihn mir auch selbst einschenken.«

»Wie Sie wünschen, Ma’am.«

Als sie sich einen Kaffee eingegossen hatte und gerade einen Schluck trinken wollte, kam eine Frau in die Küche, hübsch, blond und sehr üppig ausgestattet. Sie war gut zehn Zentimeter kleiner als Nic, zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig Jahre alt, wahrscheinlich dreißig, und trug eine dunkelblaue Hose und eine leuchtend gelbgrüne Bluse.

Nic konnte verstehen, warum sich die Männer zu ihr hingezogen fühlen dürften.

»Morgen, alle miteinander«, sagte die Frau, deren Blick durch die Küche wanderte, bis er auf Nic verharrte. »Hi, Sie müssen die berüchtigte Nic Baxter sein.« Lächelnd kam sie auf Nic zu und hielt ihr die Hand hin. »Ich bin Maleah Perdue, Powell-Agentin und diese Woche für ›Griffin’s Rest‹ eingeteilt.«

Nic erwiderte das Lächeln. Merkwürdigerweise war sie erleichtert, dass sie das Frühstück doch nicht mit Griffs jüngster Eroberung zusammen einnehmen musste. »Aha, ich bin hier also berüchtigt?«

»O ja, durchaus«, versicherte Maleah. »Während der Ermittlungen zu den Beauty-Queen-Mordfällen war Ihr Name hier quasi ein Synonym für den Leibhaftigen.«

»Das soll mir nur recht sein, vor allem bei Griffin Powell. Glauben Sie mir, sein Name gilt in meinem Büro nach wie vor als Schimpfwort.«

Nic und Maleah lachten, als Griff in die Küche kam. Er sah von einer Frau zur anderen und nickte ihnen zu. »Wieso habe ich das Gefühl, dass die morgendliche Fröhlichkeit auf meine Kosten geht?«

»Tja, das könnte wohl sein«, gestand Maleah.

Sanders brachte Griff eine Tasse Kaffee und sagte: »Das Frühstück wird sofort serviert.«

Griff zeigte auf den Tisch. »Meine Damen.«

Er wartete, bis beide sich hingesetzt und Barbara ihren Rollstuhl vor eines der Gedecke gefahren hatte, bevor er selbst am Tisch Platz nahm.

Dann wandte er sich zu Maleah, die links von ihm saß. »Hast du heute Morgen schon weitere Informationen erhalten?«

Sanders brachte Maleah eine Dose Coca-Cola und einen Strohhalm. Sie öffnete den Deckel und steckte den Trinkhalm hinein. »Ja, ein paar Sachen gingen über Nacht ein. Ich habe sie noch nicht ausgedruckt, aber ich kann euch aus dem Gedächtnis eine Zusammenfassung geben.«

»Was für Informationen?«, fragte Nic. »Über die beiden Opfer?«

Maleah nickte. »Allein auf Basis der Namen und einiger Eckdaten konnten wir einige recht persönliche Infos kriegen. Das Internet macht unser aller Privatleben zu einem offenen Buch.«

»Hatten die Frauen noch anderes gemeinsam, außer dass sie auf ähnliche Weise getötet wurden?«, fragte Griffin.

»Hmm … ich würde sagen, ja und nein. Was den Hintergrund der beiden betrifft, gibt es keinerlei Verbindung. Sie wurden in unterschiedlichen Bundesstaaten geboren, lebten an unterschiedlichen Orten und wurden auch in unterschiedlichen Städten entführt. Eine war katholisch, die andere methodistisch. Kendall Moore war eine gebürtige weiße Amerikanerin aus der oberen Mittelklasse. Gala Ramirez’ Eltern kamen aus Mexiko in die Staaten, bevor sie geboren wurde, und waren bettelarm.«

Sanders stellte eine Auflaufform auf den Tisch, was Nic und die anderen kaum bemerkten.

Griff sah an Maleah vorbei zu Barbara Jean. »Bist du sicher, dass du dir das mit anhören möchtest?«

Sie nickte. »Ja, ganz sicher. Falls Cary Maygarden einen Partner hatte, will ich alles über den Mann wissen. Schließlich könnten wir dann nicht mehr genau sagen, wer von ihnen beiden meine Schwester umgebracht hat.«

»Auf Cary Maygarden passte deine Beschreibung des Mannes, den du gesehen hattest«, erinnerte Griff sie.

»Ich weiß. Es ist nur … nur …« Ihre Stimme bebte und versagte dann ganz.

Sanders stellte eine Platte mit Brötchen auf den Tisch, ging dann zu Barbara Jean und legte ihr sanft beide Hände auf die Schultern. Nic bekam es lediglich aus dem Augenwinkel mit. Weder sie noch sonst jemand sah Sanders direkt an.

»Okay, jetzt wissen wir, worin sich Gala Ramirez und Kendall Moore unterschieden«, sagte Griff. »Erzähl uns, was die beiden gemein hatten.«

Alle Augen richteten sich auf Maleah. »Tja, zunächst einmal waren sie beide brünett und wuchsen in den Südstaaten auf, vorausgesetzt, wir sind uns einig, dass Texas noch zu den Südstaaten zählt.«

»Ist das alles?«, fragte Nic.

»Da ist noch etwas. Beide Frauen waren Sportlerinnen. Gala Ramirez war Tennisprofi und stand mit einundzwanzig ganz am Anfang ihrer Karriere. Sie hatte gute Chancen, zum nationalen Star aufzusteigen«, erzählte Maleah. »Und Kendall Moore, die neunundzwanzig war, hatte als Langläuferin Silber bei der Olympiade gewonnen.«

Schweigen.

Niemand sprach ein Wort, und einzig das Ticken einer Uhr verhinderte, dass es vollkommen still im Raum war.

»Sportlerinnen, aha.« Griff füllte sich eine großzügige Portion Auflauf auf den Teller. »Das könnte bedeuten, dass er bei seinem neuen Spiel von Schönheitsköniginnen zu Athletinnen gewechselt hat.«

»Möglich«, sagte Nic.

»Waren die Frauen verheiratet? Hatten sie Kinder?«, fragte Griff.

»Beide waren Single«, antwortete Maleah. »Keine Kinder.«

Nic zählte die Übereinstimmungen auf: »Brünett, unverheiratet, keine Kinder, aus den Südstaaten und beide Sportlerinnen. Ist euch klar, auf wie viele Frauen diese Kriterien zutreffen?«