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Ein wahres Trost- und Erbauungsbuch für alle Reisenden. Aus Fontanes Briefen und seinen unterhaltsamen Reiseschilderungen hat der Fontane-Experte Gotthard Erler die schönsten Äußerungen zum Thema Lust und Last des Reisens ausgewählt. Was den großstadtgestreßten Schriftsteller erboste, was ihm die Laune gründlich verdarb und woran er sich wieder aufrichtete, all das präsentiert er mit einer selbstironischen Brillanz, die dem Leser nichts als Vergnügen bereitet. Bei aller Sesshaftigkeit war Fontane ein reiselustiger Mensch. In europäischen Hauptstädten tat er sich ebenso um wie in unbedeutenden Provinznestern. Luxuriöse Badeorte boten ihm die Gelegeneheit, seiner Meisterschaft der Menschenbeobachtung zu frönen, während er sich in einfachen Sommerfrischen bei guter Luft und ausreichender Bewegung am besten erholte. Stoßseufzer über grobe Kellner, schändliches Essen und prmitive Quartiere wechseln mit dem Lob des wohltätigen Klimas und einer angenehmen Tischgesellschaft. Auch wenn er sich über manche Unzumutbarkeit erboste, so stand ihm doch der Gewinn des Reisens für Körper, Geist und Seele ganz außer Zweifel. Schließlich stärkten ihn ausreichender Schlaf und die Abwesenheit von Ärger so, dass er selbst über gewisse Eisenbahnzustände oder das schröpfende Gebaren bestimmter Kur- und Badeplätze hinwegsah. Was es allerdings mit dem Lokus im Levkojenbeet und ähnlichen "Örtchen" auf sich hat, erfahren wir nur aus den Briefen an Ehefrau Emilie. Anderen Adressaten sind andere Themen vorbehalten. "Ich glaube, daß das ganze moderne Reisewesen sehr reparaturbedürftig ist; auszuhalten ist die ganze Geschichte nur von denen, die so gesund und kreuzfidel sind, daß sie füglich auch zu Hause bleiben können." Fontane an den Chefredakteur der "Vossischen Zeitung" Friedrich Stephany, 28. Juli 1886
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Seitenzahl: 191
Theodor Fontane wurde am 30. Dezember 1819 im märkischen Neuruppin geboren. Er erlernte den Apothekerberuf, den er 1849 aufgab, um sich als Journalist und freier Schriftsteller zu etablieren. Ein Jahr später heiratete er Emilie Rouanet-Kummer. Nach seiner Rückkehr von einem mehrjährigen England-Aufenthalt galt sein Hauptinteresse den »Wanderungen durch die Mark Brandenburg«. Neben der umfangreichen Tätigkeit als Kriegsberichterstatter, Reiseschriftsteller und Theaterkritiker schuf er seine berühmt gewordenen Romane und Erzählungen sowie die beiden Erinnerungsbücher »Meine Kinderjahre« und »Von Zwanzig bis Dreißig«. Fontane starb am 20. September 1898 in Berlin.
Gotthard Erler, geb. 1933 in Meerane/Sachsen, seit 1964 eng mit dem Aufbau-Verlag verbunden, dessen Geschäftsführer er von 1990 bis 1998 war. Seine jahrzehntelangen Forschungen und vielseitigen Editionen haben an der Verbreitung des Fontane'schen Werks einen hervorragenden Anteil.
2014 erhielt Gotthard Erler das Bundesverdienstkreuz.
Ein wahres Trost- und Erbauungsbuch für alle Reisenden.
Aus Fontanes Briefen und seinen unterhaltsamen Reiseschilderungen hat der Fontane-Experte Gotthard Erler die schönsten Äußerungen zum Thema Lust und Last des Reisens ausgewählt. Was den großstadtgestreßten Schriftsteller erboste, was ihm die Laune gründlich verdarb und woran er sich wieder aufrichtete, all das präsentiert er mit einer selbstironischen Brillanz, die dem Leser nichts als Vergnügen bereitet.
Bei aller Sesshaftigkeit war Fontane ein reiselustiger Mensch. In europäischen Hauptstädten tat er sich ebenso um wie in unbedeutenden Provinznestern. Luxuriöse Badeorte boten ihm die Gelegeneheit, seiner Meisterschaft der Menschenbeobachtung zu frönen, während er sich in einfachen Sommerfrischen bei guter Luft und ausreichender Bewegung am besten erholte. Stoßseufzer über grobe Kellner, schändliches Essen und prmitive Quartiere wechseln mit dem Lob des wohltätigen Klimas und einer angenehmen Tischgesellschaft. Auch wenn er sich über manche Unzumutbarkeit erboste, so stand ihm doch der Gewinn des Reisens für Körper, Geist und Seele ganz außer Zweifel. Schließlich stärkten ihn ausreichender Schlaf und die Abwesenheit von Ärger so, dass er selbst über gewisse Eisenbahnzustände oder das schröpfende Gebaren bestimmter Kur- und Badeplätze hinwegsah. Was es allerdings mit dem Lokus im Levkojenbeet und ähnlichen »Örtchen« auf sich hat, erfahren wir nur aus den Briefen an Ehefrau Emilie. Anderen Adressaten sind andere Themen vorbehalten.
»Ich glaube, daß das ganze moderne Reisewesen sehr reparaturbedürftig ist; auszuhalten ist die ganze Geschichte nur von denen, die so gesund und kreuzfidel sind, daß sie füglich auch zu Hause bleiben können.« Fontane an den Chefredakteur der »Vossischen Zeitung« Friedrich Stephany, 28. Juli 1886
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Theodor Fontane
Kleines Brevier für Reisende und Sommerfrischler
Herausgegeben von Gotthard Erler
Inhaltsübersicht
Über Theodor Fontane
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Vorwort
Unterwegs und wieder daheim. Reiseschicksale
In der Sommerfrische. Erlebnisse und Erfahrungen
»Überhaupt deutsche Luftkurörter!«
Hotels und Pensionen, Wirte und Kellner
»Die Verpflegungsverhältnisse sind erbärmlich«
»O diese Gerüche«
Das Örtchen. Ein fatales Kapitel
Quellen
Impressum
»Mehr als Weisheit aller Weisen galt mir reisen, reisen, reisen«, bekennt der alte Fontane in dem melancholischen Gedicht »Meine Reiselust (früher und jetzt)«. Möglicherweise hatte er etwas von der ewigen Unrast seines Vaters geerbt, der ja, nach der spöttischen Meinung seines Sohns, am liebsten immer umhergefahren wäre, um eine neue Apotheke zu finden, ohne sie wirklich finden zu wollen. Vielleicht treibt Fontane auch eine psychische Disposition zu Veränderung und Ortswechsel, und nicht zufällig hat er hinreißend beschrieben, wie er schon als kleiner Junge eine nächtliche Fahrt im offenen Wagen als etwas Außerordentliches empfand: »mir war, als reisten wir in den Himmel«. Wie dem auch sei: sein ganzes Leben vollzieht sich in der Spannung von »unterwegs und wieder daheim«, und so ist er, verglichen mit den schreibenden Kollegen seiner Zeit, ein Autor, den es nie lange an seinem Schreibtisch hält. Auch der tägliche Spaziergang im Tiergarten, den er in den späten Tagebüchern penibel vermerkt, kann als Teil dieser Umtriebigkeit gelten.
Nach den Lehr- und Wanderjahren in Berlin, Burg, Leipzig, Dresden und Letschin (in deren Verlauf ein vierzehntägiger Abstecher nach England ihm 1844 erstmals einen Blick in die »Welt« verschafft) zwingt ihn zunächst die existentielle Sorge um den Unterhalt der Familie, sich »draußen« umzutun; denn ohne eigne Apotheke ist von der erlernten Pharmazie nicht zu leben. Er versucht es 1852 als Journalist in London, und von 1855 bis Anfang 1859 lebt er erneut, diesmal sogar im offiziösen Auftrag der preußischen Regierung, in der kritisch bewunderten britischen Metropole. Berufsbedingte Aufenthalte anderswo von dieser Dauer kommen später nicht mehr vor; allenfalls schickt ihn 1863 die Redaktion der »Kreuzzeitung« für ein paar Tage als Berichterstatter zu einer europäisch bestückten Landwirtschaftsausstellung nach Hamburg. Die meisten Reisen, schon in der England-Zeit beginnend, unternimmt Fontane, wie er das nennt, »von Metiers wegen«: also wegen konkreter Recherchen für schriftstellerische Arbeiten. Dazu gehören 1856 der Besuch in Oxford und 1857 der Ausflug nach Manchester, wo er sich eine ambitionierte Kunstausstellung ansieht, um darüber in der »Zeit« zu berichten; 1858 besucht er »sein« von Jugend an historisch-romantisch verklärtes Schottland. In den Jahrzehnten von 1859 bis 1889 durchstreift er die heimatliche Mark Brandenburg, und dazwischen, von 1864 bis 1871, lernt er Dänemark, das damals österreichische Böhmen und vor allem Frankreich kennen, wo er jeweils die Schlachtfelder der Bismarckschen Kriege besichtigt und beschreibt. Dabei greifen im Herbst 1870 französische Freischärler höchst unsanft in die sorgsam vorbereiteten Reisepläne des Schlachtenbummlers und Hobbystrategen ein; als vermeintlicher preußischer Spion wird er gefangengenommen und nach einem demütigenden Transport auf Oléron an der Westküste interniert; um ein Haar wäre er standrechtlich erschossen worden, denn immerhin führte der Zivilist einen geladenen Revolver bei sich.
Mit Beginn der siebziger Jahre, als sich Fontane als freier Schriftsteller durchzuschlagen beginnt, treten in zunehmender Dichte »Sommerfrischen« an die Stelle all solcher »Dienstreisen«: er muß seine strapazierten Nerven entspannen, seine durch winterliche Erkältungskrankheiten geschwächten Kräfte erneuern. Aus dem sommerlich-schwülen Berlin mit seiner »typhösen Kanalluft« flieht er regelrecht ins Gebirge oder an die See und gelegentlich nach Kissingen und Karlsbad. Auch zwei »Bildungsreisen« leistet er sich: 1874 hält er sich mit Frau Emilie fast ein Vierteljahr in Italien auf und kommt bis Neapel, 1875 fährt er allein nach Oberitalien. Allerdings sind diese Reisen immer Arbeitsurlaube: eine Novelle wird entworfen, ein Romanmanuskript überarbeitet, Druckfahnen sind zu korrigieren.
Von beruflichen und privaten Reisen her kennt Fontane mithin beträchtliche Teile Westeuropas von der Fingalshöhle bis zur Blauen Grotte, von Kopenhagen bis Wien, von London bis Rom, von Paris bis Prag und von der Atlantikinsel Oléron bis zum Ostsee-Eiland Usedom. Dreimal ist er in England und Frankreich, zweimal in der Schweiz und Italien, in Österreich und Dänemark. Seine Sommerfrischen sehen ihn mehrfach im Harz (Thale und Wernigerode), dann ziemlich regelmäßig im Riesengebirge (bevorzugt in Krummhübel), dazwischen auf Norderney und Föhr, in Warnemünde und Dobbertin. Und auf Dutzenden von »Kurzreisen« (oft an den Wochenenden und Feiertagen) trägt er, parallel dazu, das Material für die »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« zusammen und erkundet die Szenerie für seine Romane.
Kein Zweifel: Fontane ist ein welt-befahrener Mann (auch wenn »Welt« nur einen Teil Europas bedeutet) und ein reiseerfahrener Autor, der jeweils mit einem »ganzen Sack voll Münze« nach Hause kommt, um dort, wie er es formuliert, »die Goldpfennige von dem ganz gemeinen Dreier« zu scheiden. Die literarische Ausbeute seiner ausgedehnten Reisetätigkeit schlägt sich in einem bemerkenswerten Sektor seines Gesamtwerks nieder: in den fünf Bänden der »Wanderungen« (1861–1889), den autobiographisch bekenntnisreichen Berichten »Ein Sommer in London« (1854), »Jenseit des Tweed« (1860), »Kriegsgefangen. Erlebtes 1870« (1871), »Aus den Tagen der Okkupation« (1872) sowie in den dickleibigen drei »Kriegsbüchern« (1866, 1869/70 und 1872–1876). Ein Buch über Italien hat er demonstrativ nicht geschrieben, während sich Impressionen aus Dänemark, aus Thüringen und Mecklenburg in verstreut gedruckten Feuilletons finden.
Bereits in seinen erzählerischen Anfängen wird die Reise thematisiert (vor allem in der erst neuerdings aufgefundenen Erzählung »Zwei Poststationen«, aber auch in den aus dem Englischen adaptierten »Jagdgeschichten am Kap«), und Reisen haben auch in Fontanes eigentlichem Hauptwerk, seinen Romanen, eine auffällige Funktion; es gibt keinen, in dem nicht eine Hochzeitsreise, eine Dienst- und Urlaubsreise vorkommt oder wenigstens eine Landpartie dargestellt ist, und stets fällt solchen Ereignissen eine fast dramaturgische Aufgabe zu: die Italienreise der Melanie van der Straaten (»L'Adultera«), Holks Reise nach Kopenhagen (»Unwiederbringlich«), Effi Briests Kuraufenthalt in Schwalbach, Céciles Fahrt in den Harz, Frau von Carayons Besuch beim König in Paretz (»Schach von Wuthenow«), Lehnerts Flucht nach Amerika (»Quitt«), und in »Vor dem Sturm« erzählt Tante Schorlemmer gar von ihrem Leben auf Grönland.
Vor allem freilich in seinen Briefen hat sich das reisende Subjekt Fontane zum Thema »ausräsonniert«. Da er ein mitteilungsfreudiger, kommunikativer Mensch war, sind seine Briefe von den Reisen und über das Reisen ein richtiges Kompendium, das ebenso präzise wie amüsant Auskunft gibt über seine »Reisephilosophie« und seine »Reiseschicksale«. Reisen haben danach mit Neugier auf das Unbekannte zu tun, sie erweitern den geistigen Horizont und geben vernünftige Maßstäbe für das Verständnis von Heimat und Welt, von Preußen und Europa. Die Fremde lehre die Menschen, so sagt er 1872 in einem Essay über Willibald Alexis, nicht bloß sehen, sondern richtig sehen, und ihre Kenntnis bewahre sie vor der ridikülen lokalpatriotischen Verwechslung der Müggelberge mit dem Finsteraarhorn. Reisen zeigten Fontane, »daß hinterm Berg auch Leute wohnen« – diesen Satz hat er mehrfach als einleuchtende Metapher für tolerantes Denken in seinen Briefen gebraucht, bevor er ihn auch im »Stechlin«-Roman benutzt und mit den Worten präzisiert: »und mitunter noch ganz andre«. Diese Abgrenzung von regionaler Borniertheit findet in einer Äußerung von 1884 eine aufschlußreiche Ergänzung. Als nämlich die »Gefahr« besteht, daß das Sorgen- und Lieblingskind Mete nach Amerika gehen könnte, tröstet er seine Frau mit der Versicherung, es gäbe heutzutage keine Entfernungen mehr und man habe keine andere Heimat als die Erde.
Reisen haben für Fontane aber auch diesseits solcher kulturphilosophischer Überlegungen eine höchst praktische Bedeutung. Sie bringen geistige Auffrischung durch neue Eindrücke und interessante Bekanntschaften und – sie dienen der Wiederherstellung und Stabilisierung der Gesundheit. Gerade über diesen Aspekt läßt sich der ewig lufthungrige und geradezu bewegungssüchtige Fontane immer wieder aus und berät seine Familie und seine Freunde mit sentenziösen Empfehlungen (»Gute Gesundheit ist besser als eine Million«).
Bei alledem hat er schlichtweg das Abenteuer Reise geschätzt und gern heiter-ironisch in seinen Briefen darüber geplaudert. Dabei sind ihm, briefverborgen, druckreife Feuilletons gelungen, die er mit Vorliebe an seine Frau adressierte, die lange Zeit, mangels Geld für gemeinsame Unternehmungen, daheim bleiben mußte. Es ist köstlich zu lesen, mit wieviel subtilem Humor er sich als Opfer gegenüber der »Tücke des Objekts« zu schildern weiß. Mit hochgestimmten, poetischen Erwartungen will er 1870 die Kathedrale von Toul besichtigen, doch ein bedrohliches »Rumoren« in seinen Eingeweiden zwingt ihn zu schleuniger Rückkehr ins Hotel, wo ihm eine peinliche Suche nach der Toilette bevorsteht. Ähnlich ergeht es ihm 1889, als er, der große Richard-Wagner-Skeptiker, schon während der Ouvertüre zu »Parsifal« das Festspielhaus fluchtartig verlassen muß. Solche Banalitäten des Lebens, die ihm oft das »Reiseglück« trüben, hat er voller Witz geschildert: die Magenverstimmung seiner Frau in Thüringen, die Schwierigkeit mit Spiegeleiern in Frankreich.
Zu diesen Briefen, in denen er, selbstverschuldet, der komische Held von Pech- und Pannensituationen ist, gesellen sich in großer Zahl jene Texte, die sich mit den objektiven Mängeln der zeitgenössischen Reise-Industrie auseinandersetzen. Fontane ist Zeuge und teilweise Chronist des beginnenden, ja zum Teil schon hochentwickelten Massentourismus, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits zu einem einträglichen Wirtschaftszweig ausgebildet hat. Gemessen an den gewinnorientierten Praktiken von Hoteliers und Gastronomen seiner Tage verklären sich ihm die Erinnerungen an seine Jugend, und die Postkutschenzeit scheint eine Ideal- und Idyllepoche für alle Reisenden gewesen zu sein, während ihm »das moderne Reisewesen« äußerst »reparaturbedürftig« vorkommt. Dabei geriert er sich keineswegs als »leberkranker Nörgler«, der ausgerechnet nach dem verlangt, was nicht verfügbar ist; nein, er ist nur der hellsichtige Zeitgenosse, der mit gesundem Menschenverstand urteilt und das Unzumutbare, das er über sich ergehen lassen muß, beim Namen nennt. So konstituieren die Fontaneschen Texte, die sich mit dem Reisen beschäftigen, ein drastisches, nur durch seinen Charme und Esprit gemildertes Kapitel aus der Geschichte der Alltagskultur im 19. Jahrhundert, und Fontane erscheint sozusagen als Anwalt der »geschindluderten Menschheit« – wobei er seine Erfahrungen in Schottland, Frankreich und Italien durchweg mit mehr Gelassenheit zum besten gibt als die oft grotesken Erlebnisse in Brandenburg und Schlesien.
Als »in der Wolle gefärbter Preuße«, als »geeichter preußischdeutscher Patriot« (so bezeichnet er sich mehrfach) erbost er sich über die Unzulänglichkeiten der Verkehrsverhältnisse (zum Beispiel über die überhöhten Preise für den »Hauderer«, das unumgängliche Mietfuhrwerk in der märkischen Provinz). Warum Eisenbahnachsen so oft heißlaufen und Lokomotivenkessel »lecken«, so daß erst »eine neue Maschine« angeheizt werden muß, versteht er ebensowenig wie die Kalamität mit überfüllten Speisewagen. »Immer nehmen wir das Maul voll«, daß in Deutschland alles am besten sei, klagt er, die Wirklichkeit aber sieht anders aus.
Speziell bei der Porträtierung umöglicher Reisegefährten und Hotelgenossen neigt er zu weitreichenden Schlußfolgerungen; die Begegnung mit dem Pastor und seiner todkranken Frau im Zug nach Cottbus gerät zu einer aggressiven Abrechnung mit protestantischer Geistlichkeit überhaupt, und in der Beschreibung der sogenannten »klimatischen Luftkurorte« kommen häufig seine vor allem auf die Parvenus bezogenen antijüdischen Ressentiments zum Vorschein.
Hauptgegenstand von Fontanes kritischen Erörterungen ist die Table d'hôte, das heißt die damals in europäischen Hotels noch übliche Gepflogenheit, alle Gäste zu einer festgelegten Zeit an einer gemeinsamen Tafel nach einem unumstößlichen Reglement mit einheitlicher Speisenfolge zu beköstigen. Über diesen obligatorischen »Wettlauf zwischen Langerweile und Hungrigbleiben« regt er sich ständig aufs neue auf. Er, der Gourmet und Gourmand, wollte essen, was und wann er wollte. Auch die Qualität des Essens selbst stellt ihn selten zufrieden. Hammel und Lachs und Lachs und Hammel (wie in London) seien an sich schon schlimm, aber wenn beide auch noch verdorben seien, könne man es nicht aushalten. Der alternde Fontane, der seinem Magen derlei Ungereimtheiten (die er mit Korn und Cognac wegzuspülen pflegt) nicht mehr zumuten mag, plädiert daher für »Selberwirtschaftführen« oder – wie er augenzwinkernd sagt – »sich selber kochen«, denn für die großen Hotels mit vorzüglicher Küche reicht sein Geld nicht aus. Er ärgert sich über die Arroganz von Wirten und Kellnern, über »Trinkgelderhang« und hohe Rechnungen, die in keinem Verhältnis stehen zur Schmuddeligkeit der Etablissements. Ekel überkommt ihn beim Fettwrasen aus der Küche und bei all den undefinierbaren Gerüchen, die aus »Hofestiefen« in sein Zimmer dringen.
Und über eines regt sich der empfindliche, überdies von seinen fragilen »Leibeszuständen« geplagte Fontane am meisten auf: über die denkbar unhygienischen Toilettenverhältnisse. Seit den England-Jahren an den Komfort des water closet gewöhnt, hat er sich in seinen diversen Berliner Wohnungen und den Gasthöfen der Provinz mit dem Plumpsklo abzufinden, und in der Sommerfrische pflegte er sich zuerst nach »verschwiegenen Lauben im Wald« umzusehen. Die Angelegenheit wurde nicht wesentlich erträglicher, wenn, wie in Rüdersdorf, der Lokus im Levkojenbeet oder, wie in Schlesien, unter Apfelbäumen stand.
Angewidert von den Umständen, hätte Fontane die Unappetitlichkeit am liebsten öffentlich zur Sprache gebracht, und er wollte einen Aufsatz schreiben, der wortspielend überschrieben sein sollte: »Jeder Ort in Deutschland scheitert am Örtchen«.
Die vorliegende Auswahl aus Werken und Briefen will sozusagen dieses nicht geschriebene Feuilleton ersetzen. Es könnte auch »Jauche und Levkojen« heißen, wenn Christine Brückner diese Fontane-Wendung nicht schon für ihre Erinnerungen gewählt hätte.
Gotthard Erler
»Ich glaube, daß das ganze moderne Reisewesen sehr reparaturbedürftig ist; auszuhalten ist die ganze Geschichte nur von denen, die so gesund und kreuzfidel sind, daß sie füglich auch zu Hause bleiben könnten.«
An Friedrich Stephany, 28. Juli 1886
Um 9 Uhr abends war ich in Köln. Die Stadt ist scheußlich, der Dom das Herrlichste, Großartigste, was ich überhaupt je gesehn. […] Begeb ich mich vom Dome ins Hotel. Es ist so wie hundert andre. Beefsteaks, Kellner, abgerissene Klingel – alles wie bei uns zulande; nur von dem Bett muß ich Dir eine Beschreibung machen. Das Gestell groß, hoch und von einer Solidität der Bauart, als sollten 6 Brautpaare wie König Gunther und Brunhilde ihr Beilager darin halten; dazu ein Deckbett von der Größe eines mäßigen Oreillers [Zierkissen], so daß ich mich gezwungen sah, Schlafrock und Mantel als Hilfstruppen heranzuziehn. Half aber doch nichts, ich fror jämmerlich und laboriere seitdem an Zahnweh, das ich auch hier nicht loswerden dürfte, da mein Schlafzimmer kalt und ein Erscheinen in Filzschuhen, Shawl und andren Zieraten meiner Gesundheitsnecessaires leider unangebracht ist. – Das Interessanteste in meinem Kölner Hotel war das Water-Closet: es ist sehr eng darin, und die Wand vor einem befindet sich so nahe, daß man sie mit der Nasenspitze berühren kann. Diese zudringliche Nähe war von talentvollen jungen Malern, die sonst wohl die Mauern und Wände der Häuser mit gewissen, mehr riesigen als naturgetreuen Abbildungen auszustaffieren pflegen, zu ähnlichen Kunstleistungen benutzt worden, die teils aus Bleistiftzeichnungen, teils aus dauerhaften tiefen Gravierungen bestanden. Mitten unter diesen lautren Schöpfungen der Phantasie und Laune befand sich, wie ein Professor im Bordell, die bekannte Figur des pythagoräischen Lehrsatzes, die mich vorzeiten auf der Quartaner-Bank immer sehr traurig gestimmt, heute aber mein hellstes Lachen zur Folge hatte.
An Frau Emilie, Aachen, 6. April 1852
Um 5 Uhr aufgestanden, um nach Brighton zu fahren. Den alten Bahnhof (von wo auch ich vor 8 Jahren dieselbe Tour machte) aufgesucht und erst dort erfahren, daß die Züge nicht mehr von Bricklayers-Arms, sondern von London-Station aus gehn. Hingetrabt; dennoch zu spät gekommen. – Morgenpromenade durch die City; kein Lokal geöffnet und die Unmöglichkeit eingesehn, dort bei Kaffee oder Tee den nächsten Zug abzuwarten. Zurückgeschlendert nach Burton-Street. Um 10 mit dem Steamer von Vauxhall-Bridge aus mein Heil noch mal versucht; – wieder zu spät gekommen. Brighton aufgegeben und mit dem Omnibus nach Richmond. 4 Deutsche (einer von der Truppe Emil Devrients) neben mir auf dem Wagendach; nachher mit 3 andern (dem Anschein u. der Sprache nach süddeutsche Demokraten) zusammen gegessen. Die Zahl der Deutschen ist so enorm groß, daß man mitunter auf heimatlichem Boden zu sein glaubt und sich wundert, daß nicht auch die Schilder der Kaufläden deutsche Inschriften tragen. Fast nur die Kinder und die Constabler, allenfalls auch noch die Kutscher sprechen englisch; wogegen man jeden Kellner, jeden Commis, jeden Handwerker – namentlich bestimmte Professionen – und jeden Menschen mit unrasiertem Kinn (dies ist das Hauptkennzeichen) deutsch anreden und einer deutschen Antwort gewiß sein kann. Die City ist eine deutsche Handelsstadt wie Hamburg oder Bremen, die eine Hälfte ist deutsch, die andere spricht es wenigstens. Wer heutzutage ein gereister Mann sein will, muß in China Tee getrunken und echte Nanking-Hosen getragen haben; muß in Australien Goldbuddler und in Californien ausführendes Mitglied der Lynchjustiz gewesen sein; muß die Größenunterschiede eines Patagoniers und Lappländers aus Anschauung kennen und die Guano-Inseln im Stillen Ozean durch einen tüchtigen Beitrag bereichert haben. Wer weniger gesehn hat, kann gleich lieber ruhig zu Hause bleiben und, wenn mal renommiert werden soll, sich umgekehrt damit brüsten: nie über Rixdorf hinausgekommen zu sein. – Doch zurück nach Richmond. Erst im »Greyhound« gegessen; der Wirt heißt Furz, was im Englischen hoffentlich weniger besagen will als im Deutschen. Bei uns wäre der Mann verloren, denn einmal untergräbt es den Appetit, zweitens könnte man auf die Frage: »bei wem essen Sie?« nie Antwort geben.
Tagebuch, 30. Mai 1852 (Pfingstsonntag)
Der Anfang meiner Reise war recht hübsch. Mir gegenüber im Coupé saß Frau Oppenheimer, eine reiche Jüdin aus Hamburg, die mich ganz gut unterhielt und nur in den letzten Stunden etwas unbequem wurde, weil gewisse Muskeln ihres Organismus nicht mehr luftdicht schlossen. Im Hamburg verzieh ich ihr diese kleine Schwäche wieder, weil ich nie in meinem Leben so etwas von zärtlichem Empfang gesehn habe. Ihre Kinder waren auf dem Perron, und während der Zug noch lief, schrie sie schon: meine süße Mathilde, meine einzige Mathilde, mein zuckersüßes Kind etc. Die ganze Nachkommenschaft, männlich und weiblich, trabte neben dem Zuge her, und von Zeit zu Zeit klemmten sich 2 Lippen mit Todesverachtung durch den Fensterspalt und erhaschten einen Kuß von der unermüdlich mit ihren Lippen im Anschlag liegenden, vor Freude zitternden Mama. Es war lächerlich, aber doch hübsch. Das Beste ist heutzutage überhaupt lächerlich. – Der Rest der Coupé-Besatzung bestand aus einer dänischen Familie und einem schwedischen jungen Ehepaar. Was dies letztre angeht, so könnte man von demselben sagen: es leistete in ehelicher Zärtlichkeit dasselbe, was die Oppenheimern in Mutterliebe prästierte. Ich muß Dir bekennen, daß mir ein paarmal bange wurde und der Gedanke in mir aufstieg: wie nun, wenn du der Zeuge einer alleräußersten Szene wirst? Ich blieb in Zweifel, ob ich für diesen Fall die Notfahne heraushalten oder mein Haupt im Schoß der alten Oppenheimern verbergen sollte. – Von der dänischen Familie ist weiter nichts zu sagen, als daß der Alte sehr häßlich und die Alte sehr böse aussah; – die Tochter war blond, verschämt und strickte Filet.
An Frau Emilie, London, 11. September 1855
Nur ein paar Worte. Es geht mir sehr gut; zwei Tage bin ich erst fort, und doch hab ich schon so viel gehört und gesehn, daß mir zumute ist, als hätt ich Euch vor 8 Tagen verlassen. Cossenblatt, wiewohl eher schaurig als schön, war doch ganz famos und gibt ein vortreffliches Kapitel; was mir aber vorzugsweise den Eindruck gibt, als hätte ich schon wer weiß wieviel erlebt, das ist der Umstand, daß ich diesmal auf so viele vielsprechende Leute gestoßen bin. Um den Berolinismus zu gebrauchen: »man hat mir den Kopf verkeilt«. Amtmann Buchholtz in Kossenblatt, Pastor Stappenbeck ebendaselbst, dessen Frau und Schwägerin, heute nun ein gewisser Beeskower Krösus namens Ribbeck (auf der Fahrt von Beeskow bis Fürstenwalde – der Kerl erzählte drei volle Stunden, ohne auszuspucken), und nun endlich der Kammerdiener des Herrn v. Massow namens Lavas haben mir so viel erzählt, Kluges und Dummes, Interessantes und Langweiliges, daß mir der Kopf schwirrt. Ich schleppe an einem ganzen Sack voll Münze und werde erst zu Hause die Goldpfennige von dem ganz gemeinen Dreier scheiden können.
An Frau Emilie, Steinhöfel bei Fürstenwalde, 3. Mai 1862
Es war sehr hübsch, daß Dein Brief am Sonntag morgen hier eintraf; ich war zwar, trotz des windigen Wetters, in Teupitz gewesen, war aber schon wieder zurück. Ich reiste am Freitag abend um 8 hier ab und war um 4 Uhr morgens in Teupitz, schlief 3 Stunden in einem Bett, in dem wenigstens schon einer geschlafen hatte, fuhr dann über den schönen See, besuchte Schloß und Kirche, zuletzt einen Berg, von dem aus man die ganze Herrschaft Teupitz mit ihren Bergen und Seen überblickt, fuhr um 21/2 wieder ab und war um 71/2 schon wieder in Berlin. Trifft sich's so, daß man die Posten benutzen kann, so spart man viel Zeit und Geld. Die Fahrt war sehr angenehm, und da man auch, wenn man für 20 oder 25 Personen ein Dampfschiff (das Köpnicker) mietet, zu Wasser