Klugscheißer Deluxe - Thorsten Steffens - E-Book
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Thorsten Steffens

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Beschreibung

Ein Klugscheißer an der Uni – kann das gut gehen? Ein irre komischer Roman um Studenten, Lehrer, und welche, die Lehrer werden wollen – für alle Fans von Tommy Jaud und Fack ju Göhte
Timo Seidel ist 29 Jahre alt und hat beruflich noch nicht viel in seinem Leben erreicht. Bisher stand ihm vor allem immer seine große Klappe im Weg, denn Timo leidet unter einer weit verbreiteten, aber sehr unangenehmen Krankheit: Er ist ein chronischer Klugscheißer! Dagegen helfen leider auch keine Tabletten. Und so gerät Timo immer wieder mit seinen Mitmenschen aneinander, was auch dazu führte, dass er vor fünf Jahren sein Studium schmiss. Nun glaubt er allerdings, erwachsener zu sein und beschließt, mit Ende zwanzig doch noch einmal ein Studium neben seiner Aushilfsstelle an einer Abendschule zu wagen. An der Universität trifft er auf anstrengende Lehrkräfte, außergewöhnliche Mitstudierende und auf die bildhübsche Sophie, die ihm obendrein den Kopf verdreht. Ein Klugscheißer an der Uni – kann das gut gehen? Nach »Klugscheißer Royale« der zweite Roman rund um Timo Seidel.

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Inhalt

Cover & Impressum

Ein Vorwort zur Spezies Klugscheißer

1. Workbooks und Straßenbahngespräche

2. Galaktika und Generation Z

3. Thymian und Vitastriptease

4. Faust und Mephisto

5. Graupel und Sophie Marceau

6. Ärpele und Döpche

7. Sophilologie und Sonntagsbesuche

8. Bernstein und Auslandssemester

9. M und Mademoiselle Abiturielle

10. Unterschriften und Sommeria

11. Lauschangriffe und Freunde

12. WGFE und FKK

13. Exkremente und Ventilatoren

14. Optische Kabel und Allzweckreiniger

15. Freundschaften und Brecht

16. Dyskalkulie und Lebensweisheiten

17. Drei und eine

18. Zitrusfrüchte und Rendezvous-Gesuche

19. Handynachrichten und Kurzvideos

20. Sonnenbank und Gesichtsöl

21. Mamasöhnchen und Hausarbeiten

22. Sport und Onlinestatus

23. Dreizehn und zweiundvierzig

24. Deckenstuck und Lüttich

25. Midterms und Ergebnisse

26. Drei Tage und die Oma

27. Abschlusstests und Zeugnisse

28. Beschwerden und Briefe

29. Der letzte Tag und der letzte Tag

30. Noch mehr Straßenbahngespräche

Zweieinhalb Monate später …

2. Galaktika und Generation Z

Ich biege in den Gottesweg, wo sich seit einigen Jahren eine neue private Hochschule befindet: die Greenberg University. Eigentlich war ich an der regulären Kölner Uni eingeschrieben, bis mir Freunde erzählten, dass man sich an der Greenberg auf Lehramtsstudiengänge spezialisiert habe.

Strammen Schrittes gehe ich in Richtung meiner neuen Wirkungsstätte. Die Szene in der Bahn klingelt immer noch in meinem Kopf, sodass ich ein kurzes Stoßgebet an die Gelehrten im Himmel schicke: Lieber Johann Wolfgang, lieber Friedrich, lieber Theodor, wenn ihr mich hören könnt, sorgt doch bitte dafür, dass ich diesmal nur auf kompetente Dozenten stoße, die ich achten und respektieren kann.

Je kompetenter, umso besser, denke ich mir. Dann komme ich gar nicht erst in Versuchung, mich wieder aufzuregen oder gar auszuflippen.

Der kleine Timo in mir meldet sich zu Wort und schlägt vor, ich könnte mich sicherheitshalber auch noch an Galaktika wenden – aus der Fernsehsendung Hallo Spencer. Also summe ich leise »Wir rufen dich, Galaktika, vom fernen Stern Andromeda« vor mich hin. Die anderen Fußgänger, hauptsächlich auch Studenten, werfen mir komische Blicke zu und finden mich bestimmt äußerst absonderlich.

Nach weiteren hundert Metern bin ich da. Sehr amerikanisch sieht der Campus aus. Eine riesige Rasenfläche, die von Gehwegen durchkreuzt ist, befindet sich im Inneren, umgeben von hohen Gebäuden hinten, links und rechts. Überall gibt es Sitzgelegenheiten, englischsprachige Wegweiser und etliche Fahrradständer, die schon gut genutzt sind, sodass man sich hier zur Primetime selbst mit dem Rad auf Parkplatzprobleme einstellen kann.

Ich bin spät dran. Lennart wartet bereits vor dem Eingang. Mit ihm habe ich mich letzte Woche bei einer Einführungsveranstaltung für Erstsemester direkt gut verstanden, obwohl er fast zehn Jahre jünger ist als ich. Andererseits sind das fast alle hier. Ansonsten sind wir ziemlich ähnlich gestrickt. Als wir festgestellt haben, dass wir beide für dieselben Fächer eingeschrieben sind, haben wir uns schnell einen gemeinsamen Stundenplan gebastelt.

Lennart hat sein Abitur im letzten Jahr mit Bestnoten absolviert, sagt allerdings, dass er sich einfach nur mithilfe seiner Apple Watch durch sämtliche Prüfungen geschummelt habe. Typisch Generation Z. Ich möchte nicht wissen, wie viele Schüler mich an der Abendschule schon mit ihren Handys reingelegt haben. Schließlich mache ich mir nicht die Mühe, die für jeden Vokabeltest einzusammeln.

Ge|ne|ra|ti|on Zf.; Gen. –; (soziol.) vor allem in der englischen Sprache verwendeter Begriff für Menschen, die ab der Jahrtausendwende geboren sind und somit in einem digitalen Zeitalter aufwachsen

 

Außerdem hat er die letzten sechs Monate in England verbracht, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern.

»Alter!«, begrüßt er mich schlaftrunken. »Ich weiß echt nich, ob wir mit dem Kurs die richtige Wahl getroffen haben! Welcher Irre legt denn sein Seminar Montagmorgen auf acht Uhr?«

»Als ob wir eine Wahl gehabt hätten«, antworte ich und deute damit an, dass es sich um ein Pflichtseminar handelt, das man belegen musste.

Wir betreten das Gebäude und suchen den ersten Stock auf, da wir dort R19 vermuten. Fehlanzeige!

Wir fragen einen etwas verpeilt dreinblickenden Hipster, Marke Vollbart und Flanellhemd, um bereits visuell zu kommunizieren, dass er anders ist.

»Ach, ihr wollt zur Kaltwasser?«, fragt er. »Grundkurs Linguistik?«

Lennart und ich nicken.

»Das ist da oben im zweiten Stock. Aber wenn ihr einen kostenlosen Rat wollt: Wechselt am besten schnell das Fach, solange ihr noch könnt, denn die wird nicht umsonst von allen nur die Eisbaronin genannt. Die lässt den halben Kurs jedes Mal eiskalt durchfallen. Ist aber leider ein Pflichtseminar. Ich bin dreimal bei der Alten durchgerasselt und hab jetzt stattdessen mit Bio angefangen. Is nich so stressig!«

Ich werfe Lennart einen nervösen Blick zu. Der scheint jedoch recht amüsiert von den Aussagen des Hipsters.

Wir bedanken uns schnell, hasten dann aber trotzdem die Treppen hinauf.

R19 ist eine Mischung aus Hörsaal und Seminarraum mit etlichen fest verbauten Tischreihen, an denen sich herunterklappbare Sitzflächen befinden. Wenn einer aus der Mitte der Reihe also aufstehen muss, um beispielsweise die Toilette aufzusuchen, müssten alle anderen aus derselben Reihe mit aufstehen. Schlimmer als im Kino.

Zum Glück sind noch einige Plätze frei. Während ich kurz neben der Tür verharre, um die Lage zu sondieren, steuert Lennart zielstrebig die erste Reihe an, die als einzige noch vollkommen leer ist.

»Was machst du denn?«, frage ich entsetzt, als ich ihm hinterherhaste.

»Na, was schon? Mich hinsetzen!«

»Aber doch nicht in die erste Reihe!«

»So machen wir direkt einen guten Eindruck!«, argumentiert Lennart. »Du weißt schon. Ganz smooth!«

»Nix da«, sage ich. Ich deute auf zwei Plätze weiter hinten. »Wir können auch einen semi-guten Eindruck in der vierten Reihe mach…«

»Alter!«, fällt Lennart mir ins Wort, während er über meine Schulter in Richtung Eingang blickt.

Ich drehe mich um und sehe sogleich den Grund für seine Begeisterung. Die Dozentin hat den Raum betreten. Die angebliche Eisbaronin sieht jedoch wie eine Prinzessin aus, die von Scarlett Johansson verkörpert wird: makelloser Teint, dezent geschminkt, lange blonde Haare, eine Topfigur in einem eng anliegenden Kostüm, und dazu lächelt sie freundlich mit ihren blendend weißen Zähnen in unsere Richtung.

So viel also zu dem Geschwafel des verpeilten Hipsters. Der sah ohnehin aus, als ob er sein ganzes Leben nicht auf die Reihe bekäme. Kein Wunder, dass er hier an der Uni überfordert ist, wo ein Höchstmaß an Selbstverwaltung benötigt wird.

Ich drücke Lennart in die erste Reihe, damit wir genau vor dem Dozentenpult sitzen können. Wahnsinn! Besser könnte mein erster Tag an der Uni gar nicht laufen. Von nun an werde ich nur noch zu Goethe, Schiller und Fontane beten. Na ja, und zu Galaktika.

Scarlett kommt zielstrebig auf uns zu, bleibt kurz vor dem Pult stehen, schaut sich etwas skeptisch im Raum um und fragt dann: »Ist das hier R29?«

Ich seufze innerlich bereits.

»Nein, R19«, sagt Lennart, ebenfalls hörbar enttäuscht.

»Oh, Entschuldigung!« Und bevor wir uns versehen, macht sie auch schon wieder kehrt.

Ich möchte gerade Los, komm! sagen, damit wir den Sitzplatz noch schnell wechseln können, als auch schon die richtige Dozentin den Raum betritt. Ein Blick genügt, um sicher zu sagen: Das muss die Eisbaronin sein – Frau Prof. Dr. Kaltwasser. Ihre langen grauen Haare hat sie streng zurückgebunden, während der Mund in ihrem faltigen Gesicht aussieht, als habe sie gerade in eine Zitrone gebissen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, Maggie Smith wäre aus einer Downton Abbey-Episode direkt zu uns in R19 gekommen.

Sie mustert grimmig die Seminarteilnehmer, während sie auf uns zukommt und schließlich direkt vor meiner Nase Platz nimmt. Großartig!

»Guten Morgen!«, knurrt sie und lässt dann während einer dramaturgischen Pause ihren Blick durch die Reihen schweifen. »Bevor wir inhaltlich in dieses Seminar einsteigen, werde ich Sie zunächst mit den Regeln und Anforderungen vertraut machen. Punkt eins: Für alle Seminare und Vorlesungen der Greenberg University gilt Anwesenheitspflicht, welche wir mittels Listen akribisch prüfen. Sollten Sie mehr als zwei Sitzungen fernbleiben, haben Sie keine Möglichkeit auf einen Teilnahme- oder Leistungsnachweis. Sollten Sie damit Probleme haben, kann ich Ihnen raten, ein Fernstudium in Erwägung zu ziehen. Punkt zwei: Jedwede Nutzung digitaler Endgeräte ist in diesem Kurs strikt untersa…«

Die Eisbaronin wird durch eine junge Studentin unterbrochen, die mit einem Mal die Tür aufreißt und laut schnatternd den Raum betritt. An ihrem Ohr ein Handy. »Ja, ich hab jetzt erst noch so ’nen blöden Einführungskurs, danach kann ich …« Sie verstummt, als sie bemerkt, dass sowohl alle Seminarteilnehmer als auch die Kaltwasser sie anschauen. »Ups!«, flötet sie, wohl mehr zu ihrem Gesprächspartner am Handy als zum Plenum. »Ich seh grad, der Kurs hat schon angefangen. Also, ich meld mich später, okay? Tschüssi!«

Dann nimmt sie hysterisch kichernd in unserer Reihe außen Platz.

»Tschuldigung«, säuselt sie in Richtung Dozentenpult. »Ich hab den Wecker voll nich gehört heut Morgen!«

Der Eisbaronin scheint es derweil die Sprache verschlagen zu haben, denn sie erwidert den Blick der Studentin mit einem Gesichtsausdruck, der anderweitig vermutlich nur durch Schlaganfälle ausgelöst wird. Sie braucht ein paar Sekunden, um sich wieder zu fangen. Dann fragt sie ganz leise, kaum hörbar: »Wie ist Ihr werter Name?«

»Maria. Maria Steger. Also, das ist mir jetzt voll peinlich hier. Sorry noch mal, aber ich hab den Wecker voll nich gehört.«

»Das kann doch jedem einmal passieren«, sagt die Eisbaronin nun mit gespielter Freundlichkeit, während sie eine Liste aus ihren Unterlagen hervorholt und einen Namen darauf durchstreicht. »Da habe ich Sie auch schon gefunden, Frau Steger. Wie ich Ihrer Unterhaltung entnommen habe, legen Sie ohnehin keinen großen Wert auf diesen, ich zitiere, blöden Einführungskurs. Nebst Interesse Ihrerseits erwarte ich zudem militärische Pünktlichkeit. Da Sie mit beidem nicht aufwarten, dürfen Sie mein Seminar nun verlassen. Auf Wiedersehen!«

Die Studentin schaut die Kaltwasser verdutzt an. »Ihr Ernst?«, fragt sie entsetzt.

Und ich bin doch ein wenig erstaunt, ja, fast schon enttäuscht, dass sie die Dozentin nicht duzt.

»Ich bevorzuge es zwar, wenn Studierende in vollständigen Sätzen mit mir sprechen, aber um Ihren Idiolekt zu adaptieren, antworte ich mit einem simplen: Ja, mein Ernst.« Die Kaltwasser zeigt in Richtung Ausgang.

Paff! Einmal auseinandergenommen und nicht wieder zusammengesetzt, würde ich sagen.

Die Studentin steht empört auf und schnauft nur: »Was für ’n Saftladen! Man kann ja wohl mal zu spät kommen.«

Dann verschwindet sie.

»Ich wiederhole«, fährt die Eisbaronin fort. »Punkt zwei: Jedwede Nutzung digitaler Endgeräte ist in diesem Kurs strikt untersagt. Dies gilt sowohl für Handys als auch für Laptops, Tablets und so weiter. Sollten Sie damit Probleme haben, verweise ich gern wieder auf das vorhin erwähnte Fernstudium. Ich möchte hier jedoch nicht durch Tippen, Klappern, Surren, Klingeln, Vibrieren, Piepsen oder sonstige Geräusche gestört werden. Haben wir uns verstanden?«

Lennart und ich nicken eifrig, während ich in meine Hosentasche greife, um mein Handy auszustellen. Ich höre, wie hinter mir fleißig Laptops zugeklappt und weggepackt werden. Ich bin gespannt, wie viele der hier anwesenden Smombies das Seminar in den kommenden Wochen noch unfreiwillig verlassen müssen. Denn Typen wie Lennart haben eine andere Beziehung zu ihren Handys, als ich sie habe. Bei meinen Schülern an der Abendschule ist das ähnlich. Die halten es teilweise keine neunzig Minuten aus, ohne auf ihre Smartphones zu schauen. Entweder holen sie es unerlaubterweise aus der Hosentasche oder sie verschwinden auf die Toilette, und man erwischt sie dann auf dem Flur, wie sie eine dringende Nachricht schreiben.

Smom|biem.; Gen. -es; Pl. -s; Kofferwort aus den Begriffen Smartphone und Zombie zur Beschreibung von Menschen, die inzwischen mit ihren Handys verschmolzen sind

 

»Stellen Sie sich darauf ein, dass Sie dieses Seminar nur schaffen, wenn Sie gewillt sind, hart zu arbeiten«, monologisiert sie weiter. »Sie sind hier an der Greenberg University, eine der besten Universitäten auf dem Gebiet der Lehrerausbildung bundesweit. Unsere Absolventinnen und Absolventen sind bekannt für ihre erstklassigen Fachkenntnisse. Daher erwarte ich, dass Sie sich jede Woche präzise auf die kommende Sitzung vorbereiten. Einen umfassenden Reader werde ich Ihnen hierfür zur Verfügung stellen. Mir ist wichtig, dass Sie die Inhalte verstehen und nicht nur in der Lage sind, diese zu rezitieren. Seien Sie gewiss, dass ein Großteil aller Anwesenden diesen Kurs nicht bestehen wird. Dies ist allerdings nicht weiter bedauerlich, denn es schreiben sich jedes Semester ohnehin zu viele Studierende für Germanistik ein.« Sie macht wieder eine dramatische Pause.

Ich höre, wie jemand laut schluckt. Aber vielleicht war ich das auch selbst.

 

Der Rest des Seminars ist eine einzige Zitterpartie. Die Kaltwasser stellt nämlich im Minutentakt Fragen, die irgendeiner der anwesenden Studierenden beantworten soll. »Wie lautet der Plural von Kasus?« – »Wie heißen die drei Modi der deutschen Sprache?« – »Wer gilt als Hauptvertreter der Generativen Grammatik?« – »Was versteht man unter Semiotik?« Und so weiter und so fort.

Einige Antworten weiß ich sogar, dennoch treibt mir jede weitere Frage den Angstschweiß auf die Stirn. Vor allem, weil die Kaltwasser jedes Mal verstimmt wirkt, wenn jemand die Antwort nicht weiß. »Als Germanistikstudentinnen und -studenten dürften Sie so etwas durchaus wissen!«

Immerhin erklärt sie alles ausführlich und verständlich, nachdem sie uns einmal kollektiv abgewertet hat.

Ein wenig irritiert bin ich zudem, als Lennart in der Anwesenheitsliste, die herumgereicht wird, einfach bei einem anderen Namen als bei seinem eigenen unterschreibt. Da wir aber direkt vor der Eisbaronin sitzen, traue ich mich nicht zu fragen, was es damit auf sich hat, weil ich befürchte, dass sie mich ansonsten herauswirft.

 

Nach neunzig Minuten ist der Spuk vorbei. Zum Abschluss bekommen wir noch ein Arsenal an Texten, das für die kommende Woche zu lesen ist. Dann dürfen wir gehen.

Draußen auf dem Flur verschafft Lennart sich erst einmal Luft: »Alter! Was war das denn?«

»Keine Ahnung!«, entgegne ich.

»Ach, war das euer erstes Mal bei der Kaltwasser?«, mischt sich ein Student ein, der ebenfalls gerade aus dem Seminar kommt. »Haben Sie euch nicht gesagt, worauf ihr euch da einlasst?«

»Nicht wirklich«, sage ich und muss kurz an den Hipster von heute Morgen denken. Vielleicht hätten wir seinen Ratschlag doch befolgen sollen.

Der Student grinst uns hämisch an. »Macht euch keinen Kopf. So ging’s mir beim ersten Mal auch. Das ist jetzt mein dritter Anlauf.«

»Du machst Witze?«, fragt Lennart entsetzt.

»Nö! Die meisten da drin waren schon mal da. Die wenigsten packen den Abschlusstest beim ersten Mal. Ist aber halt ein Pflichtkurs.«

»Unterhaltet ihr euch gerade über die Giftspritze?«, fragt eine Studentin, die ebenfalls gerade aus dem Seminar kommt und sich zu uns stellt.

Wir nicken einträchtig.

»Also, ich habe ja schon viel von der Gewitterziege gehört, aber die letzten anderthalb Stunden haben echt alles getoppt, was mir bisher erzählt wurde«, beschwert sie sich. »Ich hab keine Ahnung, wie ich den Kurs jemals bestehen soll.«

»Ach, das kriegen wir schon hin«, sülzt Lennart auf einmal, der voll und ganz auf Womanizer-Modus umgeschaltet hat und der Studentin seine Hand entgegenstreckt. »Ich bin übrigens Lennart. Du kannst mich jederzeit um Hilfe bitten. Tag und Nacht!«

Die letzten Wörter betont er leicht anzüglich.

Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal jemanden so offensichtlich und peinlich habe baggern sehen. Mir scheint, als ob der gute Lennart neben Deutsch und Englisch seinen Abschluss auch noch dringend in Bettwissenschaften absolvieren möchte. Dabei ist die Studentin eher in meinem Alter als in seinem.

Bett|wis|sen|schaftf.; Gen. –; Pl. -en; neuer Studiengang für Möchtegerncharmeure mit dem Schwerpunkt »peinliche Anmachsprüche« (Modul I)

 

»Hannah«, entgegnet sie, eher an mich gerichtet und ohne Lennarts Hand zu ergreifen.

»Timo«, stelle ich mich vor.

»Alex«, komplettiert der Vierte im Bunde nun unsere Vorstellungsrunde. »Ist das dein erstes Mal bei der Kaltwasser?«

Hannah nickt. »Wieso? Gibt es Leute, die sich die Kratzbürste zweimal antun?«

»Na ja, nicht freiwillig«, erklärt Alex. »Das ist jetzt mein dritter Anlauf.«

»Ach, du Scheiße! Dann kann ich mir mein Deutschstudium wohl abschminken.« Hannah sieht so aus, wie ich mich gerade fühle. Äußerst besorgt.

Nur Lennart ist weiterhin in Flirtlaune: »Keine Sorge, das kriegen wir gemeinsam schon hin. Du kannst mich jederzeit anrufen …«

»Ja, ja, ich weiß. Tag und Nacht. Sag mal, hattest du mit so einem lahmen Spruch schon mal Erfolg?«

Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen und schaue gespannt auf Lennart. Der lässt sich allerdings nicht so leicht aus der Bahn werfen.

»Wirkt er denn schon?«, fragt er kess.

»Nicht im Geringsten.«

»Das wird schon noch«, zeigt sich Lennart siegessicher.

Derweil stimme ich in die Bedenken mit ein, dass dieses Seminar ein ganz schön harter Brocken wird.