Knödelreich - Elisabeth Grabmer - E-Book

Knödelreich E-Book

Elisabeth Grabmer

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Beschreibung

Sie sind das kulinarische Wahrzeichen in und über Österreich hinaus: Knödel, in all ihren vielfältigen Varianten und Geschmäckern. Vom traditionellen Grießknödel über den weniger bekannten Ipsilanti-Knödel bis zum beliebten Marillenknödel beinhaltet dieses Kochbuch eine köstliche Rezept-Vielfalt und erzählt Spannendes zur Geschichte des Knödels. Diesem Buch liegt ein ganz besonderer Rezeptschatz zugrunde: In einer Museumsbibliothek in Oberösterreich schlummern seit 1835 unzählige handschriftliche Kochbücher aus 350 Jahren. Nun wurden die besten und ungewöhnlichsten Knödel-Rezepte aus dem Archiv gerollt und so aufbereitet, dass sie heute ganz leicht nachgekocht werden können.

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Elisabeth GrabmerKatharina SeiserMagdalena Wieser

Knödelreich

Rezeptschätze derösterreichischenKnödelkultur

FOTOGRAFIEN VON

Gunda Dittrich UlrikeKöb

Vorwort

KNÖDELGESCHICHTE

Magdalena Wieser

Wie der Knödel Einzug in unsere Küchen hielt

RUND UM DEN KNÖDEL

Katharina Seiser

Warenkunde, Tipps und Tricks für den perfekten Knödel

REZEPTE

Elisabeth Grabmer

Alte Rezepte neu interpretiert

Fleischknödel

Fischknödel

Semmelknödel

Bröselknödel

Grießknödel

Mehlknödel

Topfenknödel

Erdäpfelknödel

Reisknödel

Gemüseknödel

Obstknödel

Süße Knödel

Knödeltorte

Grundrezepte

Endnoten

Kochbuch-Handschriften

Literatur

Österreichisches Küchendeutsch

Zutatenregister

Team & Dank

Impressum

Wie der Knödel ins Rollen kam. Handschriftliche Knödelrezepte aus 350 Jahren ins Heute gebracht

Magdalena Wieser, Leiterin der Bibliothek des OÖ Landesmuseums

„Machen wir ein Knödelkochbuch!“ Die Idee von Alfred Weidinger stand am Anfang dieses Kochbuchs, das Sie heute in Händen halten. Wir haben überlegt, ob wir damit nicht „more of the same“ machen, quasi das Rad neu erfinden. Doch bald war klar: Wir machen etwas, das es so noch nicht gibt.

Die Bibliothek des OÖ Landesmuseums als eine der Sammlungen des Landes Oberösterreich verwahrt neben einem großen Buchbestand zahlreiche Sondersammlungen wie historische Landkarten, Postansichtskarten und vieles mehr, darunter über 100 handschriftliche Kochbücher. Die Objekte kamen und kommen sowohl als Geschenke als auch als Ankäufe ins Museum. Sie werden seit der Gründung des Museums im Jahr 1835 gesammelt und im Francisco Carolinum in Linz verwahrt. Bereits zu Beginn der Sammeltätigkeit im Haus galt der Auftrag, besonderes Augenmerk auf in Oberösterreich Entstandenes, durch Private Gesammeltes und hier Verwendetes zu legen. Wir entschieden, uns an jenen Knödelrezepten zu orientieren, die in unseren historischen Kochbuch-Handschriften verzeichnet sind. Und: uns durch sie inspirieren zu lassen.

So sichtete ich alle handschriftlichen Kochbücher unserer Sammlung, um einen Überblick zu bekommen. 100 Kochbücher – schnell einmal durchgeschaut, meinen Sie? Hineingeblättert und herausgenommen, was uns angesprochen hat? Nicht ganz! Immerhin handelt es sich um Handschriften. Viele verschiedene Menschen haben die Rezepte zu unterschiedlichen Zeiten von Hand niedergeschrieben – die Manuskripte decken den Zeitraum von ca. 1600 bis 1950 ab.

Von meiner Handschrift sagt man, dass sie schön anzuschauen, aber schlecht zu lesen sei. So ähnlich kann man sich Rezepte aus drei Jahrhunderten in Kochbuch-Handschriften vorstellen, mit mindestens einer Steigerungsstufe. Die Schrift ist eine andere als die, die wir heute kennen. Bis weit in das 19. Jahrhundert herauf wurde die sogenannte Kurrentschrift verwendet, die durch die Jahrhunderte im Schriftbild stark variiert. Verschnörkelt und undeutlich erscheint sie, manchmal schroff und eng, hin und wieder muss regelrecht Buchstabe für Buchstabe entziffert werden. Dazu kommt, dass die allgemeingültige Rechtschreibung, auf die wir heute zählen, in früheren Jahrhunderten nicht vorhanden war. Und als es sie gab, wurde sie nicht so ernst genommen. Nihm oder nimb steht für nimm, nach eigenem Gutdünken geschrieben, manchmal erscheinen Worte, als seien sie nach Gehör niedergeschrieben, etwa Mülch (für Milch) oder Ayr (für Eier), und relativ oft werden Worte verwendet, die für die damalige Zeit selbstverständlich waren, uns aber Rätsel aufgeben können. Dabei handelt es sich um Zutaten (z.B. Arbes für Erbsen), um Maßeinheiten (z.B. Libra für Pfund) und um die Art der Zubereitung (schlags in ein Brie für „lege sie in die Suppe“).

Auch nachdem die Rezepte vollständig in modernes Deutsch transkribiert worden waren, war in vielen Fällen noch nicht klar, wie man sie kocht. Entweder fehlen Maßeinheiten völlig oder sie werden nach alten Messsystemen oder gar nach Geldeinheiten benannt (Nimb um 1. Xer [Kreuzer]: Sembl für „nimm um einen Kreuzer Semmel“). Oder das zu verwendende Fett wird z.B. als Schmalz bezeichnet, wir müssen aber erst recherchieren, welches Schmalz zur jeweiligen Zeit gemeint sein könnte (Butterschmalz? Schweineschmalz?) und so weiter. Um mit den Rezepten arbeiten zu können, braucht es kundige Menschen, die sich mit den historischen Gegebenheiten und der Umschrift befassen, die Leerstellen bei Mengenangaben auflösen und die Zutaten eindeutig und für die heutige Zeit passend benennen.

Zurück an den Anfang. Ich habe also die handschriftlichen Kochbücher unserer Sammlung auf Knödelrezepte durchgeschaut und stieß auf teils eigenwillige Bezeichnungen (z.B. Khnötl zu machen von Grienen Khraut (MS 118,31r-31v), Ipsilanti Knödeln (MS 139, 67v) oder Purkandische Knödeln (MS 162/1, 9r)), teils auf Knödel, die genauso heißen, wie wir sie auch heute nennen. Alle „Knödelnamen“, ihre Hauptzutaten und, wenn vorhanden, Serviervorschläge habe ich in Excel-Listen erfasst und hatte so Hunderte von Rezepten vorliegen. Nun ging es daran, diese in Gruppen zusammenzufassen und erste Rezepte auszuschließen, nach dem Grundsatz, dass wir nicht viele gleichartige Rezepte brauchen.

Nachdem wir die aus Oberösterreich stammende Kochbuchautorin Katharina Seiser davon überzeugt hatten – neugierig war sie von Anfang an –, an diesem Projekt mitzuwirken, hat die Sache Fahrt aufgenommen oder, um im Knödeljargon zu bleiben: Wir haben eine runde Sache daraus gemacht. Die reduzierte Rezeptliste lag zwischen uns, als wir in meinem Büro die Köpfe rauchen ließen. Einen sehr intensiven Tag lang haben wir Rezepte verglichen, Zutaten studiert und vor allem durch Katharinas Expertise –„das ist ungewöhnlich“, „so kenne ich das nicht“, „das ist dem, das wir bereits ausgewählt haben, zu ähnlich“ – auf eine Liste heruntergebrochen, die uns machbar erschien. Immer wieder kamen von Katharinas Seite Zurufe wie „Wie ist denn das mit den Leberknödeln?“ oder „Schauen wir uns die Weichselknödel noch genauer an“.

Am Ende blieben etwa 70 Rezepte, die uns für ein Kochbuch sinnvoll umsetzbar erschienen. Waltraud Faißner, meine Vorgängerin und ausgewiesene Kochbuchspezialistin, ergänzte die Transkriptionen der originalen Rezepte und stellte die mit inhaltlichen Ergänzungen und Klärungen historischer Begriffe versehenen Umschriften dazu (s. Rezeptteil). Neben all diesen Vorarbeiten – und dem teilweise äußerst lustvollen Probekochen von Knödeln – war der Weg zum Verlag nicht mehr weit. Eine Köchin jedoch, die mit diesen Rezepten arbeiten, sie modern interpretieren könnte, war noch nicht am Horizont zu sehen. Zum Glück konnte bald darauf die kaufmännische Geschäftsführerin der OÖ Landes-Kultur GmbH, Isolde Perndl, die Spitzenköchin Elisabeth Grabmer für das Projekt gewinnen. Es war ein beglückender Augenblick im Restaurant Waldschänke in Grieskirchen, als das Feuer, das in uns bereits entfacht war, auf Elisabeth übersprang. Es folgten zahlreiche Videokonferenzen und wohl einige Hundert von Elisabeth gerollte Knödel, bevor die Auswahl komplett war und wir endgültig starten konnten.

So liegen nun 39 überarbeitete Knödelvariationen aus 27 Kochbuch-Handschriften aus der Zeit zwischen 1600 und 1950 vor Ihnen.

Ergänzt werden sie durch einen speziell für das Bruckner-Jahr kreierten „Bruckner-Knödel“ von Klaus Petermayr, Brucknerspezialist, gelernter Koch sowie Leiter der Sammlung Musik in unserem Haus. Dazu kommen vier oberöstereichische Familienrezepte von heutigen Köchinnen und Köchen (Familie Fuchs, Andrichsfurt; Elisabeth Grabmer, Grieskirchen; Lukas Nagl, Traunkirchen; Familie Rachinger, Neufelden).

Historisches

… das es ein Rechter Knödl Taig würdt1

Eine geschichtliche Erkundung von Magdalena Wieser

Knödel sind – vor allem in Oberösterreich, Bayern und Böhmen2 – „Allgemeingut“. Sie sind regionale Besonderheit, landestypisches Gericht oder „Grundnahrungsmittel“3. Knödel sind in aller Munde. „Der Knödel? Das sind wir!“, lässt uns die Oberösterreichische Tourismuswirtschaft wissen4 und in den Medien taucht er häufig als „oberösterreichische Weltkugel“ auf. Außerdem ist der Knödel „der kulinarische Botschafter Nummer 1 aus Oberösterreich“5 und Oberösterreich wird als Knödelhochburg6 bezeichnet. Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick auf die Identität stiftende7 kulinarische gedrehte Köstlichkeit werfen, die uns in vielerlei Erscheinungsformen8 Genuss bereitet.

mach knödl darauß9

DER KNÖDEL

„Klösse/Knötlein/Klumpe/ seynd runde / aus Mehl und Wasser / oder aus Milch / Fleisch-Suppe und Eyerdottern / nebenst andern guten Igredientien von Buter / Fett oder Marck / Gewürtz und Kräutern formirte Ballen / welche hernach völlig gahr gesotten / und nach dem sie gut oder schlecht gemacht seyn / zur Speise Krancker und Gesunder / sonderlich aber die aus groben schlechten Mehl angerührte / zur Sättigung und Füllung des Magens / bey gemeinen und arbeitsahmen Leuten dienen müssen.“

JACOB MARPERGER, KÜCH- UND KELLER-DICTIONARIUM, 1716.10

Der Knödel ist also – wie Jacob Marperger uns vor Augen führt – grob gesprochen eine aus Getreide, Salz und Wasser, Suppe oder Milch, Fett und Eiern gerollte Kugel. Gerollt? Eine Kugel?

Wie ein Knödel zu machen ist oder wie er auszusehen hat, wird in den vorliegenden handschriftlichen Rezepten unserer Sammlung, wenn überhaupt, nur sehr rudimentär mitgeteilt.11 Wir können davon ausgehen, dass die Kochenden wissen, wie ein Knödel gerollt wird. So heißt es dann etwa Knödl darauß gemacht (MS 121) oder u. daraus Knödel gebildet (MS 154/1). Hin und wieder werden Informationen zur Größe angegeben, zum Beispiel sodan macht man kleine Knöderl darauß (MS 121) oder mach Lauter kleine Knödl als wie die Kleinen nuß seint (MS 129, mach ausschließlich kleine Knödel, klein wie Nüsse). Häufig gibt es, ohne die vorbereitenden Schritte zu nennen, nur die Anweisung schlags in ein brie, wie du willst (MS 133, lege sie in die Suppe, wie du willst), mache die Knödel in ein Siedende Suppen (MS 118) oder schlages in ein Ründ oder Arbes Suppen (MS 118, lege sie in eine Rind- oder Erbsensuppe). Einmal gibt es den Hinweis darauf, dass man sie mit Hilfsmittel machen könnte (Zuletzt steche man Knödeln aus) und ein einziges Mal auf ihre Form: mache sie rund u koche sie in Salzwasser aus12.

Über die Qualität der Zutaten sagen die Rezepte nichts aus, auch wem und wie sie serviert wurden, bleibt zum Teil verborgen.

EIN BLICK ZURÜCK

Was uns beim Lesen kulinarischer und historischer Betrachtungen über den Knödel immer wieder begegnet, ist die Annahme, der Knödel sei bereits in urgeschichtlicher Zeit „erfunden“ worden. Die Pfahlbausiedlung in Mondsee galt lange Zeit als nachgewiesener Fundort. Auch die Erzählung von umhülltem Fleisch oder Obst, also von gefüllten Knödeln aus Mondsee, taucht wiederholt auf.13 Neuere Forschungen legen jedoch die Vermutung nahe, dass es sich bei einem als Knödel bezeichneten Fundobjekt seiner Zusammensetzung nach um Brot handelt.14 Einen „Ursprung“ des Knödels auszumachen, gestaltet sich kompliziert, einen frühen Nachweis für gefüllte Knödel zu führen noch komplizierter.

Ist es sinnvoll, unseren heutigen Begriff „Knödel“ für getreidehaltige Speisen aus archäologischen Fundzusammenhängen zu verwenden? Die Forschung hinterfragt diese Benennungen grundsätzlich und weist darauf hin, dass für archäologische Funde, die aus Getreide bestehen, keinerlei standardisierte Terminologie existiert. Die Benennung der Funde nach „modernen“ Erscheinungsformen, z.B. Knödel, hat zwar lange Tradition, sei aber möglichst zu vermeiden.15

Auch die Überlieferung, dass in der Antike Götter mit Knödelopfern geehrt wurden, muss in Frage gestellt werden.16 Bei den als „ludi saeculares“17 bezeichneten Festen, die seit 17 v. Chr. auch schriftlich fassbar sind, soll Kaiser Augustus solche Opfer dargebracht haben. In der antiken Quelle, die uns darüber berichtet, wird für die Opfergabe das Wort „popanum“18 verwendet. Es kommt vom Griechischen ποπανον, Gebäck, besonders Opferkuchen, und kann also keinesfalls als Knödel übersetzt werden.19

Erna Horn, die Verfasserin der – bislang einzigen – Kulturgeschichte des Knödels, bezieht sich auf das älteste erhaltene Kochbuch „de re coquinaria“ (bekannt als Kochbuch des Apicius), das in das dritte oder vierte nachchristliche Jahrhundert datiert und in mittelalterlichen Abschriften überliefert ist.20 Sie erkennt in den Rezepten des zweiten Buches, die mit „Isicia“ überschrieben sind, Vorgänger des Knödels.

„mach küglin darauß“21

Versagen die Quellen für den Nachweis des Knödels in der Urgeschichte und der römischen Antike völlig? Kann sein. Doch nur für konkrete Beispiele und für die Benennung. Die Möglichkeit der Herstellung einer gerollten, vorwiegend aus Fleisch oder Getreide bestehenden Kugel hat es wohl gegeben, seit das Feuer um 400.000 v. Chr. ins Spiel kam.22

Wir können aus heutiger Sicht keineswegs von einer linear zu erzählenden Geschichte des Knödels ausgehen. Millionen oder auch nur Tausende von Jahren sind vergangen. Quellen sind so gut wie keine vorhanden und doch orientieren wir uns nach wie vor an jenen Erzählungen, die sich – auf angebliche Quellen gestützt – bis heute halten. Wir wissen nicht, ob der „urgeschichtliche“ Mensch tatsächlich Knödel gerollt und gegessen hat. Auch können wir nicht fassen, wann in der Zeitspanne von vor 2,5 Millionen Jahren bis zum Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. der erste Knödel gekocht worden sein mag. Ebenso wenig können wir davon ausgehen, dass römische Götter mit Knödeln besänftigt oder bestochen werden sollten.

Was wir allerdings mit Sicherheit behaupten können, ist, dass eine mit den Händen geformte, runde Speise aus vielerlei Grundmassen bestehen und auf unterschiedliche Weise gegart werden kann. Und, um es klar zu sagen: Gerollte, zu Kugeln geformte Teige existieren in zahlreichen Küchen der Welt. Sie heißen Polpetti, Falafel, Shizitou, … „Der Knödel? Das sind wir!“ – im Italienischen abgewandelt zu „Polpetti? Siamo noi!“ (andere Küchen, andere Sprachen) – können also viele Menschen sagen.

VOM „CHNOEDEL“ ZUM KNÖDEL

Die Sammelhandschrift MS I 128 der Universität Salzburg aus dem 1. Drittel des 15. Jahrhunderts enthält das Rezept „Gutes Mus mit Hühnerfüßen“ (329r–329v), in dem der Koch angewiesen wird, die vorbereitete Fülle in „chlaine chnoedel“ zu formen, diese in die Hühnerkrallen zu füllen und in der Suppe zu kochen.23 Ein ähnliches Rezept „Von huner fuessen ein essen“ findet sich auch im Kochbuch des Doroteenklosters in Wien.24 Die in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts entstandene Handschrift enthält zwei weitere Knödelrezepte. Eines davon, nämlich „Knedelen von kuteln“25 ist auch im sogenannten Mondseer Kochbuch aus der Mitte des 15. Jahrhunderts nachgewiesen.26 Das dritte Rezept „Von krodlein“ – die Editorin geht von einem Schreibfehler aus27 – könnte eventuell als „gefüllter“ Knödel durchgehen: „Nimm gekochtes Fleisch, Hacke Eier, [nimm] Mehl und die besten Kräuter, die du hast. Mische das zusammen und mache Bällchen [im Original lautet der Begriff: pellein, Ergänzung MW] daraus und ziehe die Bällchen durch einen Eierteig und backe sie in heißem Schmalz heraus. Du kannst die Bällchen zu allerlei Gebratenem servieren.“28

Mit diesen Nachweisen liegen uns mehrere sehr frühe sprachliche Belege für den Knödel vor. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts werden im sogenannten „Tegernseer Wirtschaftsbuch“29 (Bayerische Staatsbibliothek, Signatur Cgm 813730), in dem Speisenfolgen ohne Rezepturen aufgelistet sind,31 „gelbe knödl“, „knödel aus den scherben32 oder falbe33 henn“ „knödelsuppe“34 „schwarze knödl aus dem scherben oder küchl“35 „gesotten haberknödl“36 „schwarze knödl in pfeffer oder zizendl37“ genannt. Aus welchen Zutaten die Knödel hergestellt wurden, kann nur vermutet werden: Die gelben Knödel könnten mit Safran gelb gefärbt – gegilbt – worden sein oder aus Hirse bestanden haben, schwarze Knödel könnten aus Roggenmehl38 zubereitet worden sein, Haberknödel waren wohl aus Hafer.39

Allein die Bezeichnungen für Knödel, die die Grundlage dieses Textes und Buches bilden, sind zahlreich. Wir haben es mit Chnoedel, Gnödl, Khnoden, Khnötl, Knedelen, Knodeln, Knodlein, Knödel (Knödl, Knöderl) und Knötlein zu tun. Johann Georg Krünitz weist in seiner „Oekonomischen Encyklopädie“ unter dem Begriff „Knödel“ auf den Knoten hin,40 den er wiederum auf das lateinische Wort „nodus“ zurückführt.41 Knöpflin und Knöpflein kommen von Knopf,42 Küglin von Kugel in der Bedeutung „ein jeder vollkommen, oder doch fast vollkommen, runder Körper“43. Eine Kugel meinen auch die Begriffe Ballen, von Ball44, Pellein und Ballon45. Es geht also immer um eine runde Sache. Zahlreiche weitere, vor allem regionale Worte existieren für das Phänomen Knödel. So werden sie etwa in Böhmen „Knedlik“ genannt und in Norddeutschland „Klöße“. Ebenso ist das Wort „Klump“ für Knödel weit verbreitet.46

Der Begriff „chnoedel“ begegnet uns schriftlich ab dem 1. Drittel des 15. Jahrhunderts. Inwieweit das Wort in der Zeit davor für Formen und Gerichte, die wir heute als Knödel bezeichnen, üblich war, ist nicht nachzuvollziehen und nicht belegt. Das „Etymologische Wörterbuch des Althochdeutschen“ verweist im Artikel zum Wort „knodo, knoto“ auf die mittelhochdeutsche Ableitung „knödel“.47 Das „Mittelhochdeutsche Handwörterbuch“ des Matthias Lexer wiederum verweist beim Wort Knödel, das als Speise begriffen wird, auf Birlinger 1864 (das ist die erste Edition des Tegernseer Wirtschaftsbuchs).48 Damit ist der früheste sprachliche Nachweis für das Wort Knödel um die Mitte des 15. Jahrhunderts gegeben.49 Zwischen dem 1. Drittel des 15. und im Laufe des 16. Jahrhunderts werden die Rezepturen für Knödel immer häufiger und ihre Bezeichnungen eindeutiger.

Bereits im ersten gedruckten Kochbuch, um 1470/75 in Rom in lateinischer Sprache publiziert, sind Knödelrezepte zu finden. Herausgegeben wurde es von Bartholomäus Sacchi, genannt Platina. Die erste deutsche Übersetzung dieses Werkes erschien 1542 unter dem Titel „Von der Eerlichen zimlichen, auch erlaubten Wolust des leibs …“ in Augsburg50 und enthält einen Fleischknödel von Tauben- oder Geflügelfleisch sowie ein in der deutschen Übersetzung als Knödel bezeichnetes Gericht, bei dem Marzipan in einen Teig gehüllt und gebacken wird.51 Ab 1530 – also noch vor der tatsächlichen Übersetzung des originalen Platina ins Deutsche – kamen, unter der angeblichen Autorschaft Platinas, in mehreren Verlagen Kochbücher mit dem Titel „Von allen Speisen und Gerichten …“ heraus.52 Diese sind allerdings Ausgaben der „Küchenmeisterei“, des ersten deutschsprachig gedruckten Kochbuchs53, erstmals 1485 in Nürnberg erschienen.54 In dieser Ausgabe finden sich „knodlein von fleisch“55.

Marco Heiles, der die „Küchenmeisterei“ eingehend untersucht hat, verortet ihren Ursprung in der Manuskriptkultur, in der jedes Buch, im Unterschied zu gedruckten Büchern, einzigartig ist und abgeschrieben werden muss, um weiter verbreitet zu werden. Der Kochbuchforscher stellt also fest, dass „das umfangreichste, von breiten Schichten zumindest benutzbare und vor allem das am genauesten beschriebene Kochbuch den Sprung von der Handschrift in den Druck geschafft hat“,56 womit es höhere Bekanntheit erlangen konnte. In der Augsburger Ausgabe des „falschen Platina“ von 1530 findet sich das Rezept „Knöpflin und fleisch“, das genau wie die „knodlein von fleisch“ in der „Küchenmeisterei“ bereitet wird:

„Hacks welcherley das ist / gar klein mit peterlinn / machs ab mitt // saltz/ würtz / und ein wenig specklin / schlach zwey rohe eyer drein // mach küglin darauß / seud sie in huener oder yrer eygenenn brue / gilb sie // wol / und richts an / Man mags zue lebersulz legen / damit vereinen.“

Hacke welches [Fleisch] auch immer klein, mache es mit Petersilie, Salz, Würze und ein wenig Speck ab, schlag zwei rohe Eier hinein und mach Kügelchen daraus. Siede sie in Hühner- oder in ihrer eigenen Suppe, gilbe sie gut und richte sie an. Man kann sie zu Lebersulz legen, sie damit vereinen.57

In dem wenig später datierten Kochbuch der Sabina Welserin (ca. 1553) ist kein einziges Knödelrezept zu finden.58. Im Kochbuch des Balthasar Staindl (Augsburg 1552) dagegen finden sich „Knödel auch Würst von Vischen“ sowie „Knödeln von Hennenflaisch oder Vogelbrät“59. Der „Freywillig-auffgesprungener Granat-Apffel, des Christlichen Samaritans“60 der Fürstin Eleonora Maria Rosalia von Eggenberg (1647–1703), geborene Fürstin von Liechtenstein, erschien ab 1695 in Wien. Es ist ein in mittelalterlicher Tradition verfasstes Arzneibuch, das einen Kochbuchteil enthält.61 In der Ausgabe von 1699 gibt es ein eigenes Kapitel „Von allerhand Wüstel / Knödl / Strudl etc.“ Darin werden Rezepte für Mandelknödel, Fleisch- und Fischknödel und andere zu dieser Zeit bereits übliche Knödel sowie „Zupffte Knödel“62 vorgestellt.63

Insgesamt kommen Knödel in gedruckten und handschriftlichen Kochbüchern seit dem 16. Jahrhundert häufiger vor.64 Bis zu diesem Zeitpunkt waren Breie, Muse und Suppen wesentlicher Bestandteil der Ernährung.65 Nun kommt es zu einem Wandel in den Ernährungsgewohnheiten, und der sogenannte „Brei-Mus-Standard“ wird zunehmend von geformten Mehlspeisen abgelöst. So meint der renommierte Historiker Roman Sandgruber: „Seit dem 16. Jahrhundert werden Knödel und Nudeln in breiter Front in der Volkskost verbreitet, die Knödel als Nachahmung oberschichtlicher Fleischbällchen, die Nudeln unter italienischem Einfluß.“66

Der Historiker Andreas Kühne, der sich der Erforschung der Ernährung in Süddeutschland in der Zeit zwischen 1650 und 1800 gewidmet hat, bemerkt, dass soziale Unterschiede bei der Ablösung der Kost festgestellt werden können und diese unterschiedlich lang dauerte: „Bis ins 18. Jahrhundert hinein war diese Kostform [Brei- und Musgerichte] vor allem in ländlichen Gebieten, besonders in den unteren sozialen Schichten, weithin von Bedeutung, während sie in anderen Bevölkerungsgruppen bereits seit dem 17. Jahrhundert langsam durch ‚modernere‘ Ernährungsgewohnheiten ersetzt wurde. Es vollzog sich damit ein stetiger Wandel vom sogenannten ‚Brei-Mus-Standard‘ hin zum vorwiegenden Verzehr ‚fester‘ Speisen.“67 Die Breie verschwinden im Laufe des 17. Jahrhunderts aus den Mittagsmahlzeiten, bleiben als Abendspeisen aber noch erhalten. Doch auch diese werden zunehmend von den „festen Mehlspeisen“ abgelöst.68 Durch die Reformation geht die Bedeutung der Fastenspeisen zurück. Im süddeutschösterreichischen Raum erhalten im Zuge der Gegenreformation – durch die Rückkehr zur katholischen Weltanschauung und die dadurch wieder eingeführten Fastenzeiten – Mehlspeisen eine besondere Stellung.69

Ein Rezeptheft der Rosine Pumb, 1858/1859

Conrad Haggers „Neues Saltzburgisches Koch-Buch“, erschienen 1718 in Augsburg, enthält rund 40 Knödelrezepte. Bei den meisten handelt es sich um Fleisch- oder Fischknödel, es sind jedoch auch Semmel- oder Käseknödel (Parmesan!), Mandel- und Apfelknödel darin zu finden.70 Auch in vielen weiteren Kochbüchern des 18. und 19. Jahrhunderts finden sich zahlreiche Knödelarten, wie Grieß- oder Bröselknödel, Krebsknödel, Leberknödel, hin und wieder Knödel von einzelnen Gemüsen wie etwa Spargel oder, häufiger, Obstknödel wie Weichselknödel.

Auch Kochbücher aus Oberösterreich enthalten zahlreiche Knödelrezepte: So etwa das in Steyr 1742 erschienene „Nutzliche Kochbuch …“, das 18 Rezepte vorstellt, darunter mehrere Arten von Speck- und Leberknödeln sowie einen „Knödel von Kalbs-Brisel“.71 Auch das 1804 erstmals erschienene „Linzer Kochbuch“ der Maria Elisabetha Niederederin (nachmals Meixner) verzeichnet 19 Knödelarten und eine Knödeltorte (S. 239).72 Im „Praktischen Urfahr Linzer Kochbuch“ der Franziska Probst, 1837 in Linz herausgegeben, sind 25 Knödelrezepte versammelt.73 1866 erschien in Steyr „Die genaue und sparsame Oberösterreicher Köchin“ der Barbara Oberbarleitner.74 Sie führt zehn Knödelrezepte an. Im Kochbuch der Adele Wimmer aus dem Jahr 1901 finden sich 23 unterschiedliche Rezepte für Knödel.75 Im Laufe des 20. Jahrhunderts und im beginnenden 21. Jahrhundert kam es immer wieder zur Rückbesinnung auf historische Rezepte. In mehreren Kochbüchern, die sich diesem Thema widmen, haben sich die Autor*innen neben anderen Rezepten besonders den Knödeln zugewandt.76

MEHLSPEISEN

Wir verstehen den Begriff „Mehlspeisen“ als „Speisen, die hauptsächlich aus Mehlen oder Grießen zubereitet werden“.77 Im Zuge der fortschreitenden technischen Entwicklungen konnten ab dem beginnenden 16. Jahrhundert feinere Mehle gemahlen werden. „Die Vermutung erscheint fast Gewißheit, daß diese Verbesserung in der Mühle die Voraussetzung für das plötzliche Auftauchen und die schnelle Verbreitung vieler Mehlgerichte, d. h. der wassergekochten und schmalzgebackenen Teigspeisen innerhalb des 16. Jahrhunderts schuf. Wenn auch, aus kleineren handgesiebten, daher teuren Mengen von Mehlen in Oberschichten oder festtags Vorläufer vorangegangen sind.“78 Wie bereits festgestellt, war es vor allem der süddeutsch-österreichische Raum, in dem Mehlspeisen weite Verbreitung fanden.79 Diese Entwicklung wurde auch dadurch gefördert, dass der in den Alpenländern verwendete tischhohe Herd – im Gegensatz zum bodentiefen Herd des Nordens – einfacher zu bedienen war und daher unterschiedliches Kochgeschirr gleichzeitig benutzt werden konnte.80 Die „Wiener Mehlspeisen“, die vom 19. Jahrhundert an die österreichischen Küchen präg(t)en, ankern in ihren Vorläufern des 17. und 18. Jahrhunderts.81 Überhaupt avancierten die Mehlspeisen, ob salzig oder süß, im 19. Jahrhundert mehr und mehr zu Hauptgerichten.82

Zahlreiche Zubereitungsarten und Bezeichnungen setzten sich nach und nach durch. Neben Kochen und Musen stehen Wandeln, Nudeln, Nocken, Schmarren, Strudel, Krapfen, Küchel, Strauben und andere Gerichte, deren Benennungen noch der genaueren Erforschung harren.83 Ganz selbstverständlich denken wir, wenn wir heute Knödel hören, an Mehlspeisen (hier fast schon im Sinne der Süßspeise). Vor unserem geistigen Auge tauchen – als Inbegriff des Knödels – meist Marillen- oder Zwetschkenknödel auf.84

Die ersten in Rezepten überlieferten Knödel sind Fleisch- oder Fischknödel. Doch die Basis vieler Knödel bis weit herauf in das 19. Jahrhundert ist meist die Semmel oder das Knödelbrot. In eine Masse aus Semmelwürfeln oder Semmelbröseln kommen entweder Fleisch, Fisch oder Gemüse, aber auch jene Obstsorten, die in unseren Breiten besonders üblich waren: Äpfel, Weichseln und Zwetschken. Unterschiedliche Zubereitungsarten erfordern jedenfalls unterschiedliche Wärmequellen: „Alle Teige brauchen, um für den Genuß ‚gar‘ zu werden, einen sie möglichst allseits umschließenden Wärmemantel – aus Wasser (o.a. Flüssigkeit), heißem Schmalze oder heißer Luft (geschlossene Erdgruben, Ofen, Backofen, Backrohr) […].“85

„u giebs zur Tafel“86

SPEISEORDNUNGEN & SPEISENFOLGEN

Die Erforschung größerer sozialer Einrichtungen, für die es schon früh Speiseordnungen gibt, ist weit fortgeschritten. Die tägliche Nahrungsversorgung von privaten Haushalten dagegen ist schwer nachzuvollziehen.87 In den Speiseordnungen von Spitälern des 15. Jahrhunderts finden sich hauptsächlich Brei- und Musgerichte.88 Erst im frühen 18. Jahrhundert stehen dann auch zahlreiche Mehlspeisen89 – zu denen, wie wir gesehen haben, die Knödel gezählt werden – auf dem Speiseplan.90 Speiseordnungen für Armeneinrichtungen oder Spitäler sind eine sehr gute Quelle für die Ernährungsgeschichte, da sie meist für alle Tage der Woche die Nahrung vorgeben. Jüngst wurden etwa die Speisenfolgen des Stiftes Melk durch die Jahrhunderte untersucht, darunter auch jene für Personen, die direkt vom Stift versorgt wurden, etwa Wagenknechte, Torwärter, Rüdenknechte91, Ochsenbauern und Spitaler92. Im Jahr 1637 erhalten sie „auff die Nacht allzeit Spökh khnoden“ (abends immer Speck-Knödel).93 Für das Gesinde gilt im Jahr 1780: „Ausser der Fasten bekommen sie Gnödl in der Milch, das ganze jahr an einem Sambstag. In der Fasten aber keine, weil die Milch am Sontag zum Prein94 gebraucht wird.“95 (Außerhalb der Fastenzeit bekommen sie das ganze Jahr samstags Knödel in der Milch. In der Fastenzeit aber keine, weil die Milch am Sonntag für den Brei gebraucht wird.)

In Stift Schlägl werden Knödel in den Speiseordnungen offenbar nicht explizit genannt, im 18. Jahrhundert wird hier nur ganz allgemein von „mellspeis“ gesprochen.96 Speisenfolgen, die sowohl in handschriftlichen als auch in gedruckten Kochbüchern immer wieder zu finden sind und vor allem für bürgerliche und städtische Schichten gelten, sind noch nicht ausführlich untersucht97 und stellen nur bedingt eine so verlässliche Quelle dar, wie es die Speiseordnungen sozialer Einrichtungen sind.

Allen Speiseordnungen gemein ist, dass sie die seit dem Mittelalter streng reglementierten Fastentage berücksichtigen: „Diese setzen sich zusammen aus der Adventszeit vor Weihnachten, der 40-tägigen Fastenzeit vor Ostern, den Freitagen, den Fastentagen vor einem Festtag […] und variierenden Fastentagen unter der Woche (z.B. regional jeder Mittwoch), wenn diese keine Feiertage sind.“98 An diesen Tagen durfte kein Fleisch gegessen werden. Über die Jahrhunderte hielt sich diese von der katholischen Kirche vorgeschriebene Regel, die Zahl der Fasttage eines Jahres ging jedoch von bis zu 200 Fasttagen im Mittelalter auf rund 150 Fasttage vor dem Ersten Weltkrieg zurück.99 Die Fasten- und Abstinenztage der katholischen Kirche zählen zu den „Heiligen Zeiten“100, diese werden im „Codex Ius Canonici“ geregelt. So sollen gläubige Christen an einem Fasttag nur einmal essen, am Abstinenztag auf Fleisch verzichten. In der der Fastenordnung der katholischen Kirche gelten heute alle Freitage des Jahres (es sei denn, auf den Freitag fällt ein Hochfest) sowie der Aschermittwoch und der Karfreitag als strenge Fasten- und Abstinenztage.101

Am Ende der 1950er Jahre hat der Lehrer und Volksbildungsreferent Hans Commenda die Volkskunde der Stadt Linz ausführlich erforscht.102 Unter anderem nahm er sich auch der Ernährungsgewohnheiten der Bewohner*innen an und befragte unterschiedliche Quellen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Er berichtet darüber, dass sich am Ende des 18. Jahrhunderts „die Klagen über magere Linzer Gasthauskost“ häuften und zitiert einen Durchreisenden, der am Freitag „Fischbäuschelsuppe, Fisch, Knödel, Fleckerln und Wein“103 als Mittagsmahl erhält. Im Linzer Strafhaus – also wieder einer Institution, für die es Speiseordnungen gibt – werden 1813 vier Mal in der Woche Knödel genannt. Am Sonntag mit Fleischsuppe „zwei Knödel von weißem Kornmehl104“, Dienstag, Donnerstag und Samstag: „Milchsuppe mit zwei Knödeln und Zugemüse105“.106 Das Sonntagsessen gehört durch die Erwähnung „von weißem Kornmehl“ wohl zur feineren Kategorie. Welche Knödel aus welcher Masse an den anderen Tagen zubereitet wurden, verschweigt die Quelle.

Die Ernährungsgewohnheiten einer Beamtenfamilie am Ende des 19. Jahrhunderts sind nach Commenda: zu Mittag täglich eine kräftige Knochensuppe mit abwechselnden Einlagen, darunter Knödel. Außerdem wird Fleisch mit Beilagen, die nicht genauer spezifiziert werden, serviert. Unter den mittäglichen Mehlspeisen, hier schon im heutigen Sinn gebraucht, wurden auch böhmische Knödel mit Kompott aufgetischt.107 Ganz allgemein hält Commenda für seine Zeitgenoss*innen 1959 fest, dass auch in Linz die Wiener Kochkunst vorherrsche und das panierte Schnitzel im Mittelpunkt der Feiertagsgerichte stehe. „Daneben aber behaupten das ‚fette Bratl‘, ein uralter Wunschtraum des Volkes […], und das derbe Bauerngeselchte mit Sauerkraut, Grieß- oder Mehlknödeln, das Lieblingsgericht der oberösterreichischen Bauern, ihr angestammtes Recht auf dem Tische.“108 „Bis heute“ [also am Ende der 1950er Jahre], sagt Commenda, seien die „Ghack (Haschée-)Knödel“ des „Binder im Rat“ am Freinberg bei seinen Stammgästen besonders beliebt.109

DAS EINFACHE MAHL?

Knödel seien etwas so Alltägliches (und die Nahrung der Armen), ihre Rezepte „Allgemeingut“,110 deshalb kämen sie in Kochbüchern lange nicht vor, heißt es.111 Doch finden sich, wie oben ausgeführt, bereits seit dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts Knödelrezepte in handschriftlichen und gedruckten Kochbüchern. Sie als „ursprünglich bäuerliche[s] Gericht“112 zu charakterisieren, ist daher nicht zulässig, spricht sogar gegen die strikte Zuordnung des Knödels als reine Armeleutespeise.113 Dennoch waren die sozialen Unterschiede zwischen den einzelnen Gesellschaftsschichten groß, was nicht bedeutet, dass die Kost der unteren Schichten ärmlich war, auch Fleisch kam regelmäßig auf den Tisch.114

Zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert wird der Fleischverbrauch weniger und geformte Mehlspeisen nehmen seit dem 16. Jahrhundert in unserem geografischen Raum zu. Dies führt der Historiker Roman Sandgruber nicht nur auf den „Rückgang des Fleischverbrauchs und das damit zusammenhängende Verlangen nach Variation bei den Mehlspeisen“115 zurück, sondern er sieht diese Entwicklung auch im Zusammenhang damit, dass Roggen und Weizen Hafer und Gerste verdrängten, mehr Schmalz116 verbraucht, die Mühlentechnik verbessert und in der Zeit der Gegenreformation wieder verstärkt auf Fastenregeln geachtet wurde.117 „[…] zu Beginn des 19. Jahrhunderts [dürfte der Fleischverbrauch] in Österreich höher gewesen […] sein als im nördlichen Deutschland, obwohl die süddeutsch-österreichische Küche so häufig als Mehlspeisenküche charakterisiert wird.“118 Die oberen Schichten waren bis ins 19. Jahrhundert hinein wesentlich weniger von einheimischen Gütern abhängig. In ihren Küchen werden Spezereien und exotische Produkte aus aller (erreichbaren) Herren Länder verkocht.119 Menschen niedrigeren Standes sind dagegen wesentlich auf regionale Lebensmittel angewiesen. Und doch sind Grün- und Wurzelgemüse in der alltäglichen Ernährung dieses Raumes wenig vertreten.120

Insgesamt scheint die Akzeptanz neuer Entwicklungen im Laufe des 19. Jahrhunderts bei den Ernährungsgewohnheiten im süddeutschösterreichischen Bereich eher traditionsverhaftet gewesen zu sein. Roman Sandgruber geht in seinen Untersuchungen genau auf die „Faktoren von Wandel und Beharrung“ ein und untersucht Mahlzeitensysteme anhand von Erhebungsbögen, die um 1830 entstanden und detailliert Gerichte und Zutaten verzeichnen.121 Daraus geht hervor, dass die bäuerlichen Haushalte in Linz in ihren Ernährungsgewohnheiten „einen durch und durch bürgerlichen Zuschnitt“ hatten, bei dem sie ohne Knödel auskamen.122 In Urfahr dagegen wurden am Sonntag, Dienstag und Donnerstag „Sauerkraut, Fleisch mit Knödel oder Erdäpfeln (durch ¼ des Jahres wird Rindfleisch mit Krennsoß und Erdäpfel in der Schale, die übrigen ¾ des Jahres Schweinefleisch und Mehlknödel gegeben)“123 serviert. Am Montag kamen Speckknödel auf den Tisch und an hohen Festtagen gab es Fleischknödel. Die Mehlknödel wurden aus Roggenmehl gemacht, die Speckknödel aus Roggenmehl und Speck, die Fleischknödel aus Rindfleisch, Semmeln, Eiern und Weizenmehl.124 Der Wochenspeiseplan der Innviertler Gemeinde Sauldorf ist knödellastig und monoton: „Sonntag mittags Fleischknödelsuppe, Fleischknödel, Kraut und Brot und die Wochentage hindurch täglich roggene Knödel, Kraut und Brot.“125 In seiner Untersuchung meint Sandgruber in Knödeln einen klaren „Indikator für reduzierten Fleischverbrauch“126 zu erkennen. So würden in Linz, wo der Fleischverbrauch hoch gewesen sei, „überhaupt keine Knödel gekocht“, in ärmeren Gegenden dagegen würden Knödel die Fleischspeisen ersetzen.127

Und doch sind Knödel, wie wir unterschiedlichen Quellen entnehmen können, in den Küchen aller Schichten vertreten.128 Knödel können einerseits als Kalorienlieferanten oder Grundnahrungsmittel gesehen werden, andererseits sind sie aber auch „Statusprodukte“, die der „soziokulturellen Identifikation“ dienen.129 Anders gesagt, Knödel können eine gemeinsame gesellschaftliche Grundlage liefern, die in der Knödelhochburg Oberösterreich lautet: „Der Knödel? Das sind wir!“130

Die „Knödelesserin“ von Hocheppan

TISCHSITTEN

Die Tisch- und Tafelsitten der Höfe Europas hatten auf den Adel wie auf das Bürgertum Einfluss. Die Analyse der in unserer Sammlung vorliegenden Kochbücher ergibt, dass wir es hauptsächlich mit Rezeptsammlungen aus bürgerlichen Haushalten zu tun haben. Diese servierten, wie es im 17. und 18. Jahrhundert üblich war, „à la française“. In mehreren Gängen, auch Trachten genannt, kamen gleichzeitig mehrere Speisen zu Tisch.131 Fleisch wurde in ganzen Stücken aufgetragen und musste erst bei Tisch tranchiert werden: eine Kunst, die von Tranchiermeistern ausgeübt wurde.132 Die meisten Gerichte lagen in Saucen oder, wie wir es aus unseren Rezepten kennen, im „Supperl“.

Im Kochbuchmanuskript 141 (künftig als MS abgekürzt) findet sich eine derartige Tafel, die abbildet, was um 1780 in Steyr zehn Personen serviert wurde. Die Gerichte sind auf dem dreigeteilten Tisch jeweils um eine zentrale Schüssel angeordnet. Im oberen Teil finden sich rund um „gestossene Suppen mit Schöberl“ (gestoßene Suppe mit Schöberl) im Uhrzeigersinn „Nötz=Vögerl“ (Netz-Vögerl, möglicherweise Faschiertes in einem Schweinsnetz, eine Art Schweins- oder Saumeisen), „ungurgen“ (Gurken), „Zem[m]er (Rückenstück vom Hirsch), „Ribisel Soß“ (Ribisel Sauce), „Eingemacht Hendel mit Pastetten oben“ (Hendl in Pastete), „Rauner“ (Rote Rüben), „Rindfleisch“ (Rindfleisch) und „Sartellen Soß“ (Sardellen-Sauce). In der Mitte unterhalb der Suppe die Anweisung: „Die Suppe ausgewechselt Kraut mit Bachene Hendl hinein“ (Die Suppe ausgewechselt, Kraut mit gebackenem Hendl hinein).

Im mittleren Teil steht in der Mitte ein „Lang gespicktes Brätl“ (lang gespickter Braten) und rundum sind eine „Rothe=Sultz“ (rotes Gelee), „3 Gebrattene Kopäindl“ (drei gebratene Kapaune), „… in einer Schüßl in Saurem Sollat“ (in einer Schüssel in saurem Salat), „lemonikoch“ (Zitronenmus) und „2 Gebrattene Ändten“ (zwei gebratene Enten) gestellt. In der Mitte unterhalb des Bratens wird angewiesen: „In der mitte ausgewechselt und ein französische Blätter Dorte hinein“ (In der Mitte ausgewechselt und eine französische Blättertorte hinein).

Was bei einer Tafel um 1780 in Steyr für 10 Personen aufgetragen wurde

Grundsätzlich wurden runde und ovale Platten und Schalen aufgetragen, die von kleineren Platten, Assietten genannt, flankiert wurden. Die Gäste bedienten sich selbst oder baten einen Tafeldiener um Hilfe. Einen Menüzettel gab es noch nicht, sodass die Tafelnden die Speisen erst zu sehen bekamen, wenn sie auf dem Tisch standen. Am einfachsten gelangten sie wohl an jene Gerichte, die am nächsten standen. Ob die Speisen noch warm waren und ob alle Tafelnden satt wurden, wird wohl von Mahl zu Mahl verschieden gewesen sein. Gegessen wurde von individuell zugeordneten Tellern, auch das Besteck war in der heutigen Verwendung bereits bekannt, die Gabel allerdings kam erst mit dem ausgehenden 17. Jahrhundert in Gebrauch.133

Das Gerät, das auf der vermeintlich ersten Darstellung134