Köln für Imis - Falko A Rademacher - E-Book

Köln für Imis E-Book

Falko A Rademacher

4,6

Beschreibung

Der unentbehrliche Lebensretter für alle, die Köln besser verstehen wollen, geht in die vierte Ausgabe. In der Mischung aus Stadtführer und kölnischem "stupid White Men" geht es nicht um Dom, Kneipen und Geschichte, sondern um die wichtigen Dinge: Wo soll ich wohnen? Wie sind die Leute hier so? Was ist hier eigentlich los, verdammt? Und wieso gehen die Leute immer noch zum FC?

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© 2014 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten © für die Fotografien beim Autor und bei den Fotografen Umschlaggestaltung: Weusthoff Noël, Hamburg (www.wnkd.de) Layout und Zeichnungen: Eva Kraskes, Köln eBook-Erstellung: CPI books GmbH, LeckISBN 978-3-86358-568-6

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Dieses Buch versteht sich als Satire im Sinne des Gesetzgebers.

»Natürlich herrscht in Dresden eine andere Lebensqualität als in Köln. Hier das Elbflorenz mit Semperoper, Zwinger, Frauenkirche, Museen und Elbsandsteingebirge – dort die verdreckte Großbaustelle vor den Toren des Phantasialandes.«

Harald Schmidt

Inhalt

Titel

Impressum

Widmung

Vorwort zur Version 4.0

Basiswissen für Imis

Einführung in die Einführung

Der Imi als notwendiges Übel

Bei echten Kölnern kommt es auf die Grösse an

Gott ist Kölner

Zum Fressen ungern

Das Düsseldorf

Lebenshilfe für Imis

Mad City - Einkaufen im siebten Kreis der Hölle

Der seltsamste Fussballclub der Welt

Kölns regierender Medienmogul

Nichts als Müll

Kölsch für Imis

Kölner Kulturbeutel

Geographie für Imis

Der Rhein in unseren Köpfen

En unserem Veedel

Organisation für Imis

Mediterrane Lebensfreude

Über den Parteien

Der Meisterbürger und die Meta-Kognition

Klüngelüngelüng

Köln Krimis

Verkehrserziehung für Imis

Die Strassen von Köln

Beinarbeit in Köln

Öffentlich. Persönlich. Nah. Verkehrt.

Vorbilder für Imis

Vorwort

zur Version 4.0

Dieses Werk erscheint nun schon in der vierten Version. Ist doch recht viel passiert in der Zwischenzeit, wobei das Positive eindeutig überwiegt, und damit meine ich die Verkaufszahlen des Buchs. Es wird Sie freuen zu hören, dass Teile Ihres Geldes dadurch direkt in die Dritte Welt gehen, zum Beispiel als Bezahlung für meine Turnschuhe oder meine acht Liter Kaffee pro Tag. Außerdem kriegt natürlich auch die Stadt Köln in Form von Steuereinnahmen was ab – wobei ich relativ weit davon entfernt bin, Köln zur Dritten Welt zu zählen. Sagen wir … Zweite?

Davon abgesehen ist es nett zu wissen, dass dieses Werk auch von der herrschenden Klasse Kölns gelesen wird. Unter anderem erkennbar war das in der Vergangenheit durch Klagedrohungen zwielichtiger Bankhäuser und hergelaufener FDP-Fraktionsvorsitzender. Und dann sind da diese prägnanten Leserbriefe mit Briefkopf, abgesandt von zornigen Lindenthalern im Vorruhestand – Ausdrücke kennen die …

Wie in jeder Neuausgabe gibt es auch in dieser wieder eine Menge Aktualisierungen; besonders viel stand diesmal in den Bereichen Politik und Fußball auf der Agenda. So hundertprozentig aktuell kann man da natürlich nie sein. Keine Ahnung, ob zu dem Zeitpunkt, da Sie dies lesen, die Kölner CDU noch existiert oder der 1. FC Köln sich irgendwie zum fünften oder sechsten Erstliga-Gastspiel gestolpert hat. Wichtig für die Stadt ist keins von beidem. So lange die ortsansässigen Brauereien weiter in Betrieb sind, können die Kölner alles ertragen. Ich verfolge sowieso schon seit langem die Theorie, dass Köln innerhalb eines Jahres zu einer führenden Kultur- und Wirtschaftsmetropole werden würde, wenn nur eine einzige Karnevalssession komplett ausfällt. Aber das wird wohl eher nix.

Die Zukunft Kölns sieht dennoch sehr gut aus. Das tut sie freilich schon lange, und es ist leider charakteristisch für die Zukunft, dass sie nie passiert, sondern immer nur passieren wird. Das reicht den Kölnern jedoch für gewöhnlich schon aus. Die Gegenwart ist mehr so was wie ein lästiges Zwischenstadium, das nur länger anhält als ursprünglich gedacht. Apropos: Sollte Kardinal Meisner nicht eigentlich längst in Rente sein? Ich frag ja nur.

Stets der Ihre,

Falko Rademacher

April 2008

Basiswissen

für Imis

»Mit einer gewissen Befriedigung stellte ich fest, dass Köln eine triste Stadt ist. Es tat gut zu sehen, dass die Deutschen eine Stadt ebenso verpfuschen können wie alle anderen. Köln ist dafür das beste Beispiel.«

Bill Bryson

»Willkommen in der schönsten Stadt Deutschlands!«

Michael Trippel, Stadionsprecher des 1. FC Köln

Einführung in die Einführung

Wir gratulieren Ihnen zu Ihrer Entscheidung für die Stadt Köln, die bedeutendste Metropole östlich von Pulheim. Wir wollen Ihnen mit diesem Buch helfen, sich die Stadt möglichst schnell zu »erarbeiten«. Es ist aus der Sicht eines verschüchterten, überrumpelten Immigranten geschrieben, der schnell gemerkt hat, dass in Köln bestimmte Bräuche und Gesetzmäßigkeiten vorherrschen, die es so in kaum einer anderen Stadt geben dürfte. Köln ist selbstverständlich mehr als nur »das größte Kaff der Welt« oder die »hässlichste Stadt Deutschlands«, wie der Bund Deutscher Architekten vor ein paar Jahren maßlos untertrieb. Es ist im Grunde sträflicher Leichtsinn, Menschen einfach nach Köln ziehen zu lassen, ohne sie auf die Dinge vorzubereiten, die hier auf sie warten.

Bemerkenswert ist dabei auch, dass den meisten Kölnern überhaupt nicht bewusst ist, in was für einer Ausnahmeerscheinung von Stadt sie leben. Sie sind allerdings in der positiven Einschätzung Kölns von niemandem zu überbieten und besitzen ein sehr gesundes Selbstbewusstsein, das manche Leute– wie zum Beispiel Heinrich Böll – auch schon mal mit »mieser Arroganz« verwechselt haben. Sie sind vom unerschütterlichen Glauben beseelt, dass Köln ganz klar die tollste Stadt der Welt ist, in der die sympathischsten Menschen des Universums leben. Wie sie zu dieser Ansicht gekommen sind, ist uns bisher allerdings noch nicht klar. Alle Kölner sagen es, das haben sie schon als kleine Kinder auswendig gelernt, also muss es wohl stimmen. Aber aufgrund der Tatsache, dass sie ihre geliebte Stadt nur äußerst selten verlassen, haben sie kaum die Möglichkeit, die herrschenden Zustände in Köln mit denen in anderen Städten zu vergleichen. Das führt dann dazu, dass sogar bizarre Entwicklungen wie die Einkaufs- und Verkehrssituation in der City oder die schrittweise Umwandlung der Straßen in eine permanente Mülldeponie als völlig normal angesehen werden.

Dem Neu-Kölner geht es anders. Er kennt zumindest seine vorherige Heimatstadt sehr genau und wird früher oder später anfangen, sich sehr zu wundern. Viele werden stutzig, wenn sie ihr erstes Kölsch trinken und sich fragen, wie man so was als Bier bezeichnen kann und wieso das Gewerbeaufsichtsamt da nicht einschreitet. Andere machen einen Spaziergang durch die Innenstadt und verirren sich in einem unüberschaubaren Straßendschungel. Oder man sagt einen unschuldigen Satz wie »Ich wohne in Holweide« und wird unter Hohngelächter aus der Szenekneipe vertrieben.

Das Wörtchen »Imi« ist Ihnen möglicherweise unbekannt. Es steht durchaus nicht, wie viele vermuten, für »Immigrant«, dann müsste man es ja auch– trotz oder gerade wegen der Reformschreibrichtung – mit zwei m schreiben. Nein, Imi leitet sich ab von dem Wort »imitieren«. Es entstammt der bei eingeborenen Kölnern allgemein vorherrschenden Auffassung, ein nichtgebürtiger Kölner sei gar kein richtiger Kölner. Auch wenn Sie Ihr ganzes Leben in der Stadt verbringen und jeden Pflasterstein mit Vornamen anreden, werden Sie niemals als vollwertiger Mensch anerkannt. Der Autor dieser Zeilen wurde trotz seines jahrelangen Aufenthalts in Köln von der Bild-Zeitung als »Bochumer Autor« bezeichnet, der angeblich »Köln beleidigt«. Dies nur als Hinweis darauf, wie viel Freundlichkeit Sie von den weltoffenen Kölnern erwarten können. Dennoch: Nach der Lektüre dieses Buches werden Sie es nicht abwarten können, nach Köln zu ziehen.

»Der Kölner ohne Imi ist eine Katastrophe, der ersäuft in seiner heimat-klerikalen Pampe.«

Jürgen Becker

Der Imi als notwendiges Übel

Dem Imi kommt in Köln traditionell eine besondere Bedeutung zu. Zunächst einmal sind die Eingeborenen– so sagte es zum Beispiel mal der Stadtentwicklungsdezernent – eigentlich für keine richtige Arbeit geeignet und für nichts vernünftig ausgebildet. Die schwierigen Arbeiten müssen demnach von Imis erledigt werden. Das hat Tradition, alle nennenswerten Kölner Errungenschaften stammen von Imis: Das »Kölnisch Wasser« wurde nicht von den eher hygieneskeptischen Kölnern erfunden, sondern von einem Italiener namens Giovanni Maria Farina, der angeblich den Gestank der Stadt nicht mehr aushalten konnte. Albertus Magnus, der Gründer der Kölner Universität, war ein Imi aus dem Sauerland. Und sogar das Millowitsch-Theater ist ein Import aus Düsseldorf. Auch polithistorisch ist unser Status fundiert: Wenn nicht die Franzosen 1794 mal so frei gewesen wären, die Stadt ein paar Jahre zu besetzen und für Ordnung zu sorgen, wäre Köln heute nach Ansicht von Historikern »irgendein unbedeutendes, zurückgebliebenes Kaff mit merkwürdig überdimensionaler Kirche«. Es bedurfte der Initiative der französischen Imis, um dem Kölner höflich, aber bestimmt nahezulegen, den Müll doch bitte schön nicht mehr auf die Straße zu schmeißen und zur Krönung noch darauf zu defäkieren. Der Klerus wurde enteignet, Juden durften wieder in die Stadt ziehen, und sogar, halten Sie sich fest, Protestanten! Das ist in etwa so, als würde Andy Möller zu Schalke 04 wechseln: undenkbar! Des Weiteren sorgten die Neuankömmlinge für ein Krankenhaus, den Friedhof Melaten, eine regelmäßige Müllabfuhr, eine gescheite Wasserversorgung und ähnlichen neumodischen Firlefanz. In dieser Tradition steht jeder Imi, ganz egal woher er kommt.

Kommen wir zu einem etwas unappetitlichen Thema: den Mieten. Bisher gab es keine echte Wohnungsnot in Köln, zumindest global betrachtet. Wem es nichts ausmachte, in den Vororten oder gar im Rechtsrheinischen zu wohnen (s. Kapitel »Geografie für Imis«), konnte bisher immer eine Wohnung finden. Aber in den letzten Jahren hat sich die Situation dramatisch verändert: Preiswerter Wohnraum wird in Köln allmählich so knapp wie in München oder auf dem Jupiter. Die CDU fördert nun mal lieber Einfamilienhäuser statt sozialen Wohnungsbau. Im Juli 2004 wachte man dann plötzlich auf und beschloss den Bau von 3800 neuen Wohnungen pro Jahr. Überflüssig zu sagen, dass dieses hehre Ziel nicht erreicht wird, vor allem weil ungefähr die Hälfte der Kölner Bauunternehmer entweder pleite ist oder im Knast hockt. Die Botschaft ist klar: In Köln will man keine armen Leute haben. Und vor allem keine Studenten. Davon gibt es sowieso zu viele. An der Universität zu Köln studieren etwa 45.000 junge Menschen (und ein paar hundert alte Hippies über vierzig). Allein zum Wintersemester kommen jedes Jahr sechstausend neue bildungshungrige Imis nach Köln zum bafögeln. Plätze in Studentenwohnheimen sollten Sie mindestens drei Jahre im Voraus reservieren, am besten bedenken Sie auch gleich Ihre Kinder mit, auch wenn die noch nicht geboren sind.

Die Universität zu Köln war lange Zeit die größte Uni Deutschlands, seit Einführung der Studiengebühren ist dieser Status jedoch äußerst wacklig. Da nutzt es auch nichts, die Studentenzahl zu manipulieren, indem man frech die Zweithörer hinzurechnet. So ähnlich geht die Stadt auch vor, wenn es darum geht, die Einwohnerzahl zu fälschen, um als Millionenstadt durchzugehen. Da das niemanden beeindruckt, versucht die Stadt nun, Studenten zum Ummelden zu nötigen, indem eine Zweitwohnungsteuer in Höhe von zehn Prozent der Kaltmiete erhoben wird. Die Hälfte der Einnahmen geht für die Verwaltung drauf – Sie sehen also, hier geht es nicht um Geld.

Als das Centrum für Hochschulentwicklung ein Ranking der Hochschulen in NRW erstellte, landete die Universität von und zu Köln auf einem hervorragenden allerletzten Platz. Die Fachleute monierten das Fehlen eines Leitbildes und klar definierter Qualitätsziele. Außerdem würden Studenten nicht genug eingebunden, und die Reformfreude entspreche in etwa der des Vatikans im dreizehnten Jahrhundert. Die Uni Bonn hingegen erhielt als Belohnung für gutes Qualitätsmanagement nicht nur fünfzig Prozent mehr Geld aus den Studiengebühren als Köln, sondern zählt laut einer Studie auch zu den besten deutschen Forschungsstätten, ebenso wie Aachen. Es hat zuweilen den Anschein, dass über der Stadt Köln eine Käseglocke aus Ignoranz und Faulheit hängt, während das Umland fröhlich pfeifend neue Gipfel erklimmt. Wenn Sie also grundsätzlich kein Streber sind, ist die Uni Köln wie für Sie gemacht!

Noch ein guter Grund, in Köln zu studieren, besteht in der hohen Moral und dem verantwortungsvollen Sexualverhalten der hiesigen Studenten, zumindest laut einer Erhebung des Playboy-Magazins: Täglichen Sex haben nur 3,4 Prozent der Studenten; bei den Aachenern, diesen triebgesteuerten Säuen, sind es 11,6 Prozent. Noch schlimmer treiben es die durch und durch verkommenen Bochumer, diese wandelnden Aids-Schleudern haben dreimal so oft One-Night-Stands wie die Kölner Studenten, die das stolze Schlusslicht der Sexbesessenen-Tabelle bilden. Außerdem finden nur 1,7 Prozent der Kölner ihre Mitstudenten »sehr attraktiv« (in Mainz: 22,1 Prozent). Sollten Sie also in der Hoffnung nach Köln kommen, Ihre niederen Triebe auszuleben, so sind Sie hier falsch. Kölner Studenten sind gottesfürchtig, sittenstreng und haben starke Handgelenke.

Wobei es möglicherweise auch mehr eine Frage des körperlichen Vermögens ist. Wie eine Erhebung der Kölner Universitätsklinik unter 20.000Probanden ergab, sind zwanzig Prozent aller Kölner Männer impotent. Könnte am Rauchen liegen, aber wir wollen den niedlichen kleinen Glimmstengeln ja nicht das ganze Elend der Menschheit in die Schuhe schieben. Dafür haben wir schließlich Gott erfunden. Abgesehen von der erfreulichen und auch statistisch belegbaren Auswirkung, dass die Kölner sich kaum noch vermehren, hat das Ganze aber auch eine Schattenseite: Die Zahl der Verkehrsunfälle steigt. Dies belegt uns wiederum eine Studie der University of New York, der zufolge achtzig Prozent der verhaltensauffälligen Autofahrer, die untersucht wurden, unter sexuellen Hemmungen oder Potenzstörungen litten. Die hohe Unfallrate in Köln lässt sich so auf einmal ganz leicht erklären …

Für den Imi ist es leider nicht gerade leicht, sich in Köln zurechtzufinden. Der Kölner an sich hat nämlich eine heftige Abneigung gegen jede Art von Hinweisschildern. Ganz egal, ob es um den Weg zur Kölnarena, zu einer bestimmten U-Bahn-Linie oder zu einem bestimmten Kinosaal im Cinedom geht: Es gibt grundsätzlich keine Schilder, die den Weg weisen. So was haben Kölner nicht nötig. Die Menschen hier gehen davon aus, dass einfach jeder WEISS, wo er lang muss. Pünktlich nach dem Papstbesuch hat man inzwischen begonnen, ein Fußgängerleitsystem einzuführen, wie es anderswo, zum Beispiel in Aachen oder im Phantasialand, schon seit Ewigkeiten üblich ist, sodass man zumindest die wichtigsten Punkte in der Innenstadt finden kann, ohne sich ständig zu verlaufen. Für die Fußgänger sind die Schilder erfreulich. Den Auto- und Radfahrern nutzen sie derweil wenig, denn die wollen idealerweise auch gern wissen, wie eigentlich die Straßen heißen, durch die sie fahren. Das müssen sie sich aber meistens einfach selber denken, denn Straßennamensschilder sind in dieser Stadt ein völlig überflüssiger Luxus. So gab es vor ein paar Jahren einen Geheimbeschluss, demzufolge sämtliche Straßennamensschilder sukzessive abzumontieren seien, um zu verhindern, dass Köln-Besucher die Stadt wieder verlassen. Es ist nur der etwas trägen Arbeitsmoral der Kölner zu verdanken, dass dieser Beschluss bisher nur stückweise umgesetzt wurde. Ein nicht zu unterschätzender Teil der Verkehrsstaus in der City ist darauf zurückzuführen, dass Ortsfremde verzweifelt herauszufinden versuchen, wo zum Teufel sie eigentlich gerade sind. Schon so mancher Handelsreisende oder Brummifahrer hatte auf dem Barbarossaplatz einen mittleren Nervenzusammenbruch. Besonders witzig sind die Schilder, auf denen nichts weiter steht als »Autobahn«. Welche Autobahn sich dahinter verbirgt, erfährt der Leser nicht. Der Kölner braucht diese Hinweise auch nicht, er verlässt die Stadt ja nie. Das Kabarett-Duo »Missfits« mutmaßte: »Der Kölner glaubt, Köln ist ’ne Scheibe. Und dahinter ist nichts.«

»Unsere viel gerühmte Kompromissfähigkeit, heute kaum noch zu finden, leitete sich aus keiner schleierhafteren oder komplizierteren Sache ab als der generellen Gleichgültigkeit jedweder Diskussion gegenüber, die womöglich gerade im Gang ist – was wir in unserer Eitelkeit natürlich Toleranz nennen.«

Edmund Crispin über freilich die Engländer

Bei echten Kölnern kommt es auf die Grösse an

Vor einiger Zeit wurde ein neununddreißigjähriger Kölner verhaftet, der sich beim Bau einer Bombe selbst entmannt und deshalb vier Jahre lang von Autobahnbrücken auf Autos geschossen hatte. Aber na ja, keine Angst liebe Imis, nicht alle Kölner sind so.

Im Gegenteil: Ein paar von denen sind wirklich nett, und die meisten pflegen sich und sprechen sogar ganz gut deutsch. Man kann die schon mögen, solange sie sich uns Imis anpassen. Aber wie ist er denn nun wirklich, der typische Kölner Eingeborene, mit dem Sie in den nächsten Jahren auskommen wollen? Der international gefeierte Philosoph Falko Amadeus Rademacher hat einmal in einem insgesamt eher dämlichen Buch1 geschrieben: »Die Kölner nehmen Dinge leicht, die sie ernst nehmen sollten, wie den Klüngel. Und sie nehmen Dinge ernst, die sie leicht nehmen sollten, wie den Humor«.

Der Kerl ist ein aufgeblasener Sackheini, wenn Sie uns fragen. Dass solche Leute Bücher schreiben dürfen, da kann man nur den Kopf schütteln. Aber leider ist er nicht der Einzige, der ein völlig verzerrtes Bild von den Kölnern hat. Besonders drastische Formulierungen verwendete auch der niedersächsische Berufsmisanthrop Dietmar Wischmeyer, der Köln als »Debilenkaff« bezeichnete und seine »behämmerten Ureinwohner« als einen »unerträglich von sich selbst eingenommenen Menschenschlag, vulgär, laut und zotig«. Ist das nicht furchtbar? Da werden gesunder Lokalpatriotismus und eine gesellige, fröhliche Art auf so niederträchtige Weise verunglimpft, es ist schrecklich. Nun ja, »behämmert« und »debil«, das könnte man eventuell so stehen lassen, mag sein. Aber man sollte es wenigstens etwas rücksichtsvoller formulieren. Lassen Sie sich von solchen Tunichtguten nicht beeinflussen!

»Et kütt wie et kütt« lautet einer der kölschen Wahlsprüche. Übersetzt heißt er so viel wie »Ist mir doch scheißegal«, und er ist auch die Quintessenz der wohl wichtigsten und von den Kölnern am meisten propagierten Ureigenschaft der kölschen Lebensform: Toleranz.

Das wird Ihnen jeder Kölner sofort bestätigen: Die Kölner sind so was von tolerant! Und weltoffen! Das sind die Vokabeln, die jedem Kölner auf die Stirn tätowiert sind, auch wenn manche was anderes behaupten, wie der Humorforscher Jürgen Bennack: »Wirklich toleranter als andere Leute sind die Kölner nicht, sie sind genauso kleingeistig und spießig wie andere auch, und sie sind genauso gegen Ausländer.« Ähnlich äußerte sich der Kabarettist René Otzenköttel, besser bekannt als Johann König, der meint, der Kölner Humor sei »so tolerant wie der Barbarossaplatz schön ist«. Er diagnostizierte den Kölnern eine grundsätzliche Unfähigkeit zur Selbstironie, die dazu führt, dass sie sich über andere, aber niemals über sich selbst lustig machen. Unverfrorenheit! Natürlich sind die Kölner tolerant, aber so was von. Und wenn sie intolerant sind, dann zumindest auf ihre eigene, versponnene Art und Weise. In manchen Gegenden Deutschlands können konservative Politiker mit ausländerfeindlichen Tiraden und Verweisen auf gängige Vorurteile spielend jede Wahl gewinnen. In Köln ginge das auch, aber nicht mit Agitation gegen Ausländer oder Homosexuelle, sondern gegen Düsseldorfer! Jedes Volk bastelt sich eben sein eigenes Feindbild.

Nun könnte man sagen (und manche tun es): Wie kann man eine Stadt als »weltoffen« bezeichnen, wenn ihre Toleranz schon bei der nächsten großen Nachbarstadt aufhört? Nicht ganz ungerechtfertigt, aber man bedenke: Das sind immerhin dreißig Kilometer Luftlinie. Das ist für einen Kölner quasi schon die ganze Welt. Köln ist die Welt! Man sagt ja schließlich »Die Welt ist ein Dorf.«

Um diese Einstellung zu verdeutlichen, kam mal ein »City Globus« auf den Markt, ein Globus, der nur Köln darstellt. Der Stadt-Anzeiger meinte ironiefrei, darin den »handfesten Beweis« gefunden zu haben, dass Köln »die Welt ist«. Der Globus ist von innen beleuchtet, wodurch er »Köln-typisch strahlt«, und als nächstes Projekt empfehle man Düsseldorf, »als Mond, der um Köln kreist«. Spötter meinten allerdings zu diesem »peinlichen Provinzler-Fetisch«, das sei gar nicht nötig, Köln drehe sich ja selbst nur um seine eigene Achse, wie der Globus zeige.

Nicht ganz so gut funktioniert das Argument der räumlichen Begrenzung bei dem Umstand, dass die Kölner nicht nur Nachbarstädte, sondern sogar die ganze rechte Seite ihrer eigenen Stadt diskriminieren. Die rechte Rheinseite Kölns wird traditionell »schäl Sick« genannt, was so viel heißt wie »krumme Seite«. Manchmal kann man sogar hören, dass dort bereits »Sibirien beginnt«. Dabei stimmt das im Grunde gar nicht, es sieht bloß so aus.

»Köln gilt in Deutschland als Aids-Hauptstadt, bezogen auf die Zahl der Einwohner gibt es hier die meisten HIV-Infizierten«, berichtet die Präventionsexpertin Heidi Eichenbrenner. Hier kommen zwei Komponenten zum Tragen: Zum einen die natürliche Sorglosigkeit der Kölner im Umgang mit Problemen, zum zweiten die verstärkte Penis-Affinität eines recht großen Teils der männlichen Population. Angeblich sollen zehn Prozent der Kölschheit dem eigenen Geschlecht zugetan sein. Warum das so ist, weiß niemand so recht. Aber ob es nun am typisch kölschen Schnauzbart liegt oder an den hässlichen Kölner Frauen, ganz egal, Schwule fühlen sich in Köln wohl und werden von jedem gemocht und akzeptiert. Na gut, abgesehen von denen, die Jagd auf Schwule machen und sie verprügeln. Der Kölner Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Jröne) berichtet von »Schwulenhassern, die am Aachener Weiher und am Ring Jagd auf Homosexuelle machen«. Wenn Sie selber zu dieser »Zielgruppe« gehören, sollten Sie vielleicht woanders spazieren gehen, zum Beispiel irgendwo im Wald, wo Sie keiner sieht. Im Jahr 2000 meldete das »Schwulen-Überfall-Telefon« (19228) Dutzende schwerer Vorfälle, darunter sogar zwei Tötungsdelikte. Wobei neunzig Prozent aller Übergriffe gar nicht erst gemeldet werden. Wie tolerant die Kölner in Bezug auf Homosexualität wirklich sind, ist in der Tat umstritten. Die taz zitierte vor einiger Zeit einen Kölner Schwulen-Aktivisten, der vom »Märchen vom besonders toleranten und weltoffenen Köln« sprach und dies als »Konstrukt des Stadtmarketing« bezeichnete. Als schwuler Imi sollten Sie auf dem Thema nicht rumreiten. Wenn Sie blutend auf der Straße liegen, sollten Sie trotzdem jedem vorbeikommenden Kölner sagen, wie toll Sie Köln finden und dass Sie das total »unkölsch« finden, sonst verletzen Sie deren Gefühle.

Wie heißt diese Stadt: Sie ist wunderschön, liegt an einem wunderschönen Fluss, hat eine wunderschöne große Brücke und ist voller wunderschöner Schwuler? San Francisco

»Unkölsch« ist dabei das Zauberwort. Der Express schlagzeilte vor nicht allzu langer Zeit: »Nazis sind unkölsch!« Aber hallo! So etwas wie Nazis oder Neonazis kennt man in Köln gar nicht. Beziehungsweise, natürlich doch. »Köln schlägt Bund« jubelte die taz im Frühjahr 2001. Der Anlass: Die Zunahme rechtsextremistischer Straftaten (u.a. Brandanschläge auf Moscheen) lag in Köln endlich mal über dem Bundesdurchschnitt, und zwar saftig! Um achtundachtzig Prozent war die Zahl im Jahr 2000 gestiegen. Die Zahl der gemeldeten Straftaten pro tausend Einwohner war in Kölle mehr als doppelt so hoch wie im Bundesschnitt. Gleichzeitig war die Aufklärungsquote mit zwanzig Prozent nur halb so hoch wie in Gesamtdeutschland. Auch der Mann, der in der türkisch dominierten Keupstraße eine Nagelbombe zündete, wurde nicht erwischt. Na ja, die Polizei hat auch wichtigere Dinge zu tun. Zum Beispiel verhaftet sie gern Leute wie Walter Herrmann, der u.a. als Initiator der »Klagemauer«, eines international gewürdigten Mahnmals für Völkerverständigung und gegen Rassismus, bekannt wurde. Bei einer solchen Verhaftung– er hatte das Verbrechen begangen, sich auf der Schildergasse aufzuhalten – zog er sich im Zuge einer »Rangelei« mit den Beamten Nasenbein- und Rippenbrüche zu. Tja, selber schuld! Aber das ist noch lange kein Grund, Köln als einen »in Europa einmalig intoleranten Ort« zu bezeichnen! Was denkt sich die Pfeife eigentlich?

Wie einmalig tolerant und weltoffen und scheiß-ausländerfreundlich die Kölner sind, beweisen vor allem zwei Dinge. Erstens ist der Ausländeranteil von Köln mit knapp neunzehn Prozent recht hoch. Na gut, in Mannheim sind es ebenso viele, in Stuttgart etwa fünfundzwanzig Prozent und in Frankfurt sogar fast dreißig Prozent, aber trotzdem. Statistiken, was beweisen die schon. Zweitens gibt es in Kölle ständig Großdemonstrationen gegen Rechts. Dann stellt sich Köln quer, aber so was von quer, querer geht’s nicht! Niemand steht so quer wie die Kölner! Im Dezember 2000 zum Beispiel waren es »mehr als 20.000Menschen« (Tagesschau), eventuell auch »23.000Menschen« (Kölner Stadt-Anzeiger), vielleicht sogar »rund 25.000Menschen« (StadtRevue), wenn nicht sogar »30.000Menschen« (Express), die gegen Rechts aufmarschierten. Anlass waren circa hundert Neue Nazis, die irgendwo in der Nähe vom Ebertplatz ein Stündchen spazieren gingen. Angeblich. Gesehen hat die eigentlich keiner. Umso erstaunlicher das gewaltige Medienecho dieser Ereignisse. Ohne die große Gegendemo hätte sicher niemand über »Die unsichtbaren Nazis von Köln« berichtet. Da sieht man mal wieder, was man alles erreichen kann.

Die Kölner haben noch viele liebenswerte Eigenheiten. Eine Frage stellt man sich als Imi recht schnell: Wieso, wieso sind eigentlich alle Kölner so, na ja, so – winzig?

Wenn Sie ein normal gewachsener Mann sind, werden Sie feststellen, dass ein Großteil der Kölner Ihnen gerade mal so zur Hüfte reicht. Köln, die Stadt der Sitzriesen. Vielleicht liegt’s diesmal wirklich am Rauchen. Die Vokabel »Rauchverbot« ist jedenfalls im Sprachschatz des durchschnittlichen Kölners nirgends aufzufinden (ebenso wenig wie das Wort »Leinenzwang«). Und mit den Jahren verschrumpeln die Kölner langsam zu einer klumpigen, zähen Masse mit engen Arterien und kurzen Stummelbeinen. Und dann werden sie Karnevalsprinz.

Jetzt wissen Sie schon eine ganze Menge über die Kölner. Kümmern wir uns jetzt mal um die Stadt als solche und vertiefen unsere Grundlagenkenntnisse über das Geheimnis der schönsten Stadt am Niederrhein.

Allerdings müssen wir Sie warnen: Das ist das einzige Kompliment, das die Kölner über ihre Stadt auf keinen Fall hören wollen. Die Kölner wollen nicht wahrhaben, dass sie am Niederrhein leben, das assoziieren sie gleich mit Provinz. Fakt ist jedoch: Köln befindet sich mitten in der Niederrheinischen Bucht, und nicht etwa am Mittelrhein, der erst bei Bad Godesberg beginnt. Um das zu kaschieren, hat man irgendwann für die Region Köln den Begriff »Kölner Bucht« erfunden. Die gibt es zwar nicht wirklich, im Atlas steht natürlich Niederrheinische Bucht, aber reiten Sie da nicht drauf rum, diese harmlose kleine Schrulle wollen wir den Kölnern mal gönnen.

Wenn schon die Ureinwohner Probleme damit haben, den Standort Kölns zu bestimmen, müssen Auswärtige wohl automatisch scheitern. So sagt zum Beispiel Ralf Kuhlmann, Inhaber von zwei Herbergen für Rucksacktouristen: »Ich habe Amerikaner getroffen, die sagten, sie hätten noch nie gehört, dass Köln eine Stadt ist.« Also wirklich, diese Amis. Lernen die überhaupt etwas in der Schule, abgesehen vom korrekten Umgang mit Schusswaffen? Nachdenklicher stimmt uns da freilich eher das, was Dr.Herbert Ferger, seines Zeichens Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, so von sich gibt. So sei angeblich die Region Köln/Bonn als Wirtschaftsstandort international nahezu unbekannt. Ferger: »Wir werden nirgendwo in Deutschland als viertgrößte Stadt wahrgenommen. Geschweige denn in Europa oder in der Welt.« Der Eindruck, den die Stadt nach außen hin mache, decke sich nicht mit der Wahrnehmung der hier lebenden Menschen. Angeblich soll es eine Studie geben, der zufolge die meisten Menschen auf der Welt denken, die Stadt »Cologne« läge in Frankreich.

So unbekannt Köln international ist, so unbekannt ist den Kölnern die Welt. Sogar Deutschland ist schon zu exotisch. Die berühmte kölsche Grundhaltung, die Außenwelt ungern wahrzunehmen und die Möglichkeit zu verdrängen, dass es anderswo eventuell doch genauso lebenswert sein könnte wie rund um den Dom, nimmt zuweilen bizarre Auswüchse an. Eines der besten Beispiele sind die Straßennamen. Einige der längsten Straßen Kölns sind nach irgendwelchen Kleinstädten und Dörfern benannt. Gleichzeitig sind die Namen anderer großer deutscher Städte in Kölner Straßennamen aberwitzig unterrepräsentiert oder tauchen nur am Rande auf. So heißt eine der wichtigsten Verkehrsadern Kölns Venloer Straße, benannt nach einem Kaff irgendwo in der niederländischen Steppe, wo weniger Menschen leben als an der Venloer Straße in Köln. Die Hamburger Straße dagegen ist eine kleine Seitengasse. Die Subbelrather Straße in Ehrenfeld ist nach einem nicht mehr existenten Ortsteil benannt und fast drei Kilometer lang, die Münchner Straße wiederum ist eine Gasse in Höhenberg. Alle übrigen »Pflichtübungen« hat man schön ins Rechtsrheinische verschoben: Die Frankfurter Straße ist zumindest noch sehr lang, aber die Stadt ist ja auch kleiner als Köln. Die Berliner Straße ist ein Zubringer zwischen Mülheim und Leverkusen, ebenso die Düsseldorfer Straße – bei der man sich wundert, dass es sie überhaupt gibt.

Der Höherwertigkeitskomplex der Kölner ist, wie Sie sehen, das Ergebnis gründlicher Planung. Als 2004 in der »Wirtschaftswoche« eine groß angelegte Studie erschien, um Deutschlands Städte auf ihre Zukunftsfähigkeit zu untersuchen, fiel die Berichterstattung darüber in den Kölner Medien vergleichsweise spärlich aus, was vielleicht damit zusammenhing, dass Köln bei diesem Städte-Ranking nicht einmal unter die ersten zehn kam. München war auf Platz eins, Düsseldorf auf fünf, aber Köln landete auf seiner Glückszahl elf. Die perfide Erklärung lautete, dass in die Berechnungen auch einfloss, ob die Städte dynamisch prosperieren oder sich nur »auf den Meriten der Vergangenheit ausruhen«. Köln konnte sich in keinem Bereich irgendwie auszeichnen, landete bei der Sozialstruktur auf dem eher enttäuschenden siebenunddreißigsten Rang, und auch mit der gemütlichen Kneipenszene konnte man nicht punkten – danach war unverständlicherweise gar nicht gefragt worden. Vor allem aber wurde, anders als bei einer früheren, sehr viel schmeichlerischeren Studie, die Meinung der Einheimischen nicht eruiert, stattdessen ließ man sich von unparteiischen Kennzahlen und Fachleuten leiten. Daran sieht man, was dabei herauskommt, wenn man wissenschaftliche Studien den Wissenschaftlern überlässt: eine unmenschliche, emotionslose Darstellung schnöder Fakten, ohne jede Fantasie, ohne Träume, ohne liebenswert-ignoranten kollektiven Selbstbetrug. Wir finden: schade.

»Beim Verlassen des Bahnhofs erblickt man am oberen Ende einer Rolltreppe unversehens den Dom, das größte gotische Bauwerk der Welt. Er ist Ehrfurcht gebietend und imposant, keine Frage, aber er steht mitten auf einem riesigen, windgepeitschten und erhabenen Betonplatz, der unbeschreiblich öde und verlassen wirkt. Stellen Sie in Gedanken die Kathedrale von Salisbury mitten auf den leeren, riesigen Parkplatz eines Einkaufszentrums und Sie haben eine ungefähre Vorstellung.«

Bill Bryson

Gott ist Kölner

Vielleicht wollen Sie gar nicht herziehen, sondern sind nur Tourist? Nun, da sind Sie in guter Gesellschaft. Aus der ganzen Welt strömen schließlich jedes Jahr zig Millionen Touristen nach Rom. Aber das soll uns jetzt nicht interessieren, es strömen ja auch ein paar Touristen nach Köln.

Viele Jahre lang war das Baugerüst am Nordturm die wichtigste Touristenattraktion der Stadt, inzwischen abgelöst vom etwas weniger fotogenen Gerüst an der Südost-Ecke des gleichen Turms. Dass das erste einmal existiert hat, werden spätere Generationen niemals erfahren, denn auf Postkarten oder in Bildbänden ist es nicht zu sehen – ähnlich wie Vampire oder Geister bildete es sich auf Fotos nie ab. Touristen, die vor dem Dom Zwischenstation machen, sind inzwischen vermutlich der Meinung, Baugerüste seien ein integraler Bestandteil gotischer Baukunst. Das hat auch geschichtliche Hintergründe. Es ist noch nicht so lang her, da hatte der kölsche Dom gar keine Türme, weil die Kölner sechshundert Jahre lang Mittagspause machten und schlicht keine Böcke hatten weiterzubauen. Stattdessen war der alte Baukran oben drauf das Wahrzeichen der Stadt (noch heute meinen viele Imis, ein wahrhaftigeres Wahrzeichen habe es nie gegeben). Die Türme wurden dann natürlich von Imis, nämlich von Preußen, fertig gestellt. Die Leute haben es hier mit so was nicht so eilig, die machen sich keinen Stress.

Inzwischen hat man eine neue Domtreppe errichtet, auf die man ganz doll stolz ist. Ein paar alte Meckerfritzen beklagen zwar, dass es zu wenig Geländer gibt, und die Mütter, die sich damit abquälen, irgendwie die Kinderwagen nach oben zu wuchten, weil sie den trickreich versteckten Fahrstuhl übersehen haben, hört man auch manchmal ziemlich unchristliche Flüche zu Füßen des Doms ausstoßen, ganz zu schweigen von den Radfahrern, die immer noch keine Möglichkeit haben, schnell und einfach auf die Domplatte zu gelangen. Aber davon abgesehen hätte man es nicht besser machen können. Und wer den Dom aus der Nähe sehen will, soll gefälligst auch Opfer dafür bringen, das ist biblisch!

Wie »schön« oder wie »abgrundtief hässlich und deprimierend trostlos« der Dom aussieht – nun, das ist Geschmackssache. Wenn die Sonne scheint und man erahnen kann, welche Farbe die Steine ursprünglich hatten, bevor Myriaden von Tauben den Bau zugeschissen haben, ist der Anblick des Kölner Doms beinahe im Bereich des Erträglichen, wenn man nicht zu nah rangeht. Allerdings gilt das nur bedingt für die Nordseite. Denn dort befindet sich abgesehen vom erwähnten Baugerüst seit Oktober 2000 ein Anbau – ein bisschen so wie eine Garage am Reihenhaus. Und so sieht das Teil auch aus. Das Erzbistum bezeichnet den braunen Würfel als neue Domschatzkammer, das FAZ-Feuilleton jedoch schöpfte die Formulierung »Geschwürfel« und meinte: »Als wäre das Bild der Stadt nicht geschunden genug, ist selbst ihre größte Sehenswürdigkeit vor den Anschlägen der »modernen Architektur« nicht mehr sicher. Armes Köln.« Was soll das denn nun wieder? Das Bild der Stadt ist SEHRWOHL geschunden genug!

Obwohl, einen draufsetzen kann man hier wohl immer noch. In diesen für Köln nicht unproblematischen Zeiten ist der Dom der einzig verlässliche Fels in der Brandung, auf dessen Strahlkraft sich die Stadt verlassen kann. Aber auch den muss man doch irgendwie kaputt kriegen können, sagten sich die Kölner und schritten ans Werk. Der Dom gehört seit 1996 zum Weltkulturerbe der UNESCO. Dieser Status war freilich schon ein paar Jahre darauf wieder hochgradig gefährdet, als etwas geschah, das in der Geschichte der UN-Organisation bis dahin noch nie passiert war: Der Dom wurde– nur acht Jahre nach seiner Aufnahme – auf die »Rote Liste des bedrohten Weltkulturerbes« gesetzt, und zwar, und das war das Besondere, nicht wegen zu befürchtender Schäden durch Naturkatastrophen oder Kriege, sondern wegen zu befürchtender Schäden durch kölsche Borniertheit.

Die Stadt Köln hatte seinerzeit der UNESCO zugesichert, alle städtischen Planungen daraufhin zu untersuchen, ob sie den Dom in seinen Sichtachsen beeinträchtigen. Der Oberstadtdirektor versprach: »Die Stadt wird den eingeschlagenen Weg, das Erscheinungsbild der Dom-Umgebung behutsam weiterzuentwickeln, konsequent weitergehen.« Und kaum hatte der Dom den offiziellen UNESCO-Status, ging man fröhlich daran, auf der gegenüberliegenden Rheinseite einen Hochhauskranz mit hundertfünfzig Meter hohen Türmen zu planen. Später wurde die Höhe etwas reduziert, aber es half nichts. Die düpierte UNESCO bestand auf gravierende Änderungen, sonst sei Schluss mit lustig. Irritiert stellten Kölner Lokalpolitiker fest, dass große internationale Institutionen nicht viel übrig haben für faule Kompromisse, die ja schließlich in Köln besonders bei der Stadtplanung die einzig verlässliche Größe darstellen. Die Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner verzweifelte an der sorglosen Vorgehensweise der Stadt: »Wir können nicht von den ärmeren Ländern verlangen, dass sie ihre Welterbestätten schützen, und wir machen das nicht. Dann muss Ägypten auch eine Autobahn neben den Pyramiden bauen dürfen.« Gott sei Dank gibt es den Rhein, sonst hätte dieser Satz so manchen in Köln sofort auf Ideen gebracht.

Die Türme werden niemals gebaut. Nachdem die UNESCO noch eine Gnadenfrist bewilligt hatte, zog die Stadt die Reißleine. In den Köpfen der meisten Kölner spukt vermutlich die Auffassung herum, die doofe UNESCO habe den Bau verhindert und damit dem Wirtschaftsstandort Köln immensen Schaden zugefügt. Tatsächlich hat die Organisation die Stadt gleich in zweierlei Hinsicht vor großem Schaden bewahrt: Erstens wird der Dom nun doch nicht durch Bürotürme erniedrigt, und zweitens hat die Politik offenbar erst nach dem Einspruch der UNESCO überprüft, ob so viel zusätzlicher Büroraum in Köln überhaupt benötigt würde. Klare Antwort: Nö. Köln sei »kein Markt für Hochhäuser«, erklärte ein Experte von Hochtief lakonisch, weil es hier zu wenig große Firmen gebe. »Immer wieder stellen sich die großen Kölner Projekte als Luftschlösser heraus«, seufzte der Kölner Stadt-Anzeiger und fragte sich, ob die Basis des gesamten Projekts nicht vor allem aus »Großmannsgehabe« bestand. »Scheint fast so«, durchzuckte es da den peinlich berührten Baudezernenten, und er blies die ganze Sache ab. Schade eigentlich. Es wäre zweifellos äußerst unterhaltsam gewesen zu beobachten, wie die Stadtvorderen sich selbst entleiben, weil der Dom seinen Weltkulturerbe-Status verliert zugunsten von Türmen, die allesamt leer stehen – aber das wäre dann doch ein etwas zu teurer Spaß gewesen.

Als der Dom ins Weltkulturerbe aufgenommen wurde, geschah dies zum siebenhundertfünfzigjährigen Dienstjubiläum. Das gilt natürlich nicht für die Türme, die sind, wie gesagt, fast brandneu, und auch sonst ist vieles nachgebessert worden. Mitten in der Patchwork-Kathedrale liegt eine Art große goldene Kommode, und da drin sind die Knochen der Heiligen Drei Könige. Also, nicht wirklich, man hat festgestellt, dass die nicht echt sind, aber von irgendwelchen »international gefeierten Koryphäen von Weltruhm« lassen sich die Kölner nicht den Spaß verderben. Für den Tourismus ist es ja eh egal. Der Sarg ist wahrscheinlich auch nicht aus echtem Gold, sondern bloß aus Blech, um das man Goldpapier aus Schmierkäseverpackungen drumgewickelt hat. Solche Dinge sieht man hier nicht so eng. Freilich waren die Herren Könige nie in Köln, die Knochen hat halt irgendwann mal einer aus dem Süden mitgebracht. Sie kennen das ja auch aus dem Urlaub, die Typen da können einem irgendwie alles aufschwatzen.

Kölns alter Ruhm als Pilgerzentrum fußt sowieso im Wesentlichen auf Trickbetrug im ganz großen Stil. Der Verkauf von gefälschten Reliquien stellt alle Kujaus dieser Welt locker in den Schatten. Das Problem ist, dass heute keiner mehr weiß, was für Knochen echt heilig waren und welche vom Rauhaardackel des Domküsters stammen. Sie sollten in Ihrem Testament unbedingt festhalten, dass Sie verbrannt und in den Rhein verstreut werden wollen, sonst kommen nachts ein paar Typen auf den Friedhof, klauen Ihre Knochen und verscherbeln sie an Touristen. Da sind die hier ziemlich nonchalant.

Besonders häufig sind übrigens japanische Touristen in Köln zu bewundern. Anscheinend hatte Köln einen Deal mit Japan abgeschlossen: Die Japaner kamen alle her, sahen sich Köln an, tauchten den Dom in ein Blitzlichtgewitter und hielten die Kölner Tourismusbranche am Laufen, und als Ausgleich dafür bekamen sie – Pierre Littbarski.

Wo wir gerade beim Dom sind: 795 wurde Köln Erzbistum, und zwar auf Betreiben von Karl dem Großen. Warum er Köln so gehasst hat, ist nicht bekannt. Die Kölner sind dadurch aber nicht besonders religiös geworden. Religion ist in Köln ein erstaunlich unsensibles Thema, was im Wesentlichen daran liegt, dass sich niemand dafür interessiert. Schelme behaupten, die Kölner seien überhaupt nur deshalb Katholiken, weil die die meisten Feiertage haben.

Der Stellvertreter des Papstes auf Erden heißt in Köln Joachim. Das klingt jetzt vielleicht nicht so sakral – man stelle sich mal vor: »Papst Joachim I.« –, aber lassen Sie sich nicht täuschen, der Mann ist so katholisch, dass einem schwindlig wird. Mit vollem Namen heißt er Joachim Meisner, er stammt aus der Zone und arbeitet in Teilzeit: vormittags als Erzbischof, nachmittags als Kardinal. So richtig kapiert das keiner, aber da es auch niemanden interessiert, wird nicht nachgefragt. Die Leute haben eh genug damit zu tun, seinen streckenweise etwas verschrobenen Gedankengängen zu folgen. Und seine Auffassung, es sei »einem Christen unwürdig, aus dem Sonntag ein schönes Wochenende zu machen«, ist da noch am harmlosesten.

So war er federführend bei der Torpedierung des Kompromisses bezüglich der katholischen Schwangerschaftsberatung, indem er die anderen Bischöfe beim Papst verpetzte. Und die Einführung der Abtreibungspille Mifegyne geißelte das »kölsche Sturmgeschütz Gottes« (taz) als gleichrangig mit den Vernichtungslagern der Nazis. Das ist überhaupt sein Lieblingsthema, mindestens einmal pro Jahr vergleicht er Abtreibungen öffentlich mit dem Holocaust, sodass Paul Spiegel, der Präsident des Zentralrats der Juden, seine daran anschließenden halbherzigen Entschuldigungen schon gar nicht mehr annimmt. Er ruft schon mal zum Boykott einer christlichen Buchhandlung auf, wenn dort auch Lesungen von Kirchenkritikern stattfinden. Komischerweise findet er aber gleichzeitig, man müsse »auch in einer Demokratie« gegen staatliche Gesetze »in Opposition gehen«, wenn sie einem nicht passen, da ist ihm auch sein Eid auf das Grundgesetz egal. Der Verfassungsschutz soll angeblich schon V-Leute anwerben.

Die religiösen Wahnvorstellungen des Kardinals hingegen sind schon wieder lustig. Die Wahl Benedikts Nr. 16 war nach seiner Auffassung ein »Wunder«, denn der abgekratzte Alt-Papst habe durch seine Fürsprache bei Gott die Wahl des Konklaves beeinflusst. Zu dessen Geburtstag überraschte Meisner seinen Vorstandsvorsitzenden mit der Meinung: »Heiliger Vater, wenn Jesus achtzig Jahre alt geworden wäre, dann würde er aussehen wie du. Denn du lebst in achtzigjähriger Gemeinschaft mit dem Herrn.« Wie Jesus den Kommentar bewerten würde, dass er aussieht wie Papa Ratzi, überlassen wir den Theologen. Publizist Günter Wallraff empfand diese Äußerung als »Gotteslästerung«. Wenn überhaupt, würde Jesus aussehen »wie Arafat oder Bin Laden«. Unverschämtheit! Bin Laden ist gerade mal knapp über fünfzig! Und was meint Wallraff überhaupt, wenn er meint, Meisner sei »Nachfahre der Inquisition« und »wahrscheinlich therapiebedürftig«?

Nun ja. Meisner glaubt ernsthaft (der Mann macht niemals Witze), man könne Satan tatsächlich sehen und riechen. Die CDU macht ihm wenig Freude, ganz schlimm findet er vor allem, wenn die Partei Juden aufnimmt. Das ist ja wohl ein Verstoß gegen das christliche »Wertefundament«. Gut, dass einer wie der Erzkardinal aufpasst, das würde noch ein böses Ende nehmen. Inzwischen hat er den Religionslehrern verboten, multireligiöse Feiern mit ihren Schülern zu veranstalten – im Grunde verständlich, schließlich kriegt man bei Subway auch keine Gutscheine für Burger King. Dennoch wurde Meisner auch dafür arg gescholten. Nicht einmal im nicht gerade unchristlichen Bayern stößt er auf besonders viel Gegenliebe. Als der Achim im Bundestagswahlkampf 2002 die Unionsparteien wegen der Berufung der unverheirateten (!) Katherina Reiche zur Familienexpertin kritisierte, fand man dort, der Kardinal sei »als Christ hinterfragbar«. Der damalige CSU-Generalsekretär Goppel sagte: »Die Bundesrepublik Deutschland besteht nicht nur aus Kardinal Meisner und ein paar anderen mit ihren streng katholischen Vorstellungen von Familie.« Es ist gar nicht so leicht, in den Augen der CSUzu katholisch zu sein, aber der Kölner Kardinal muss für diese Übung nicht mal vom Sofa aufstehen.