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Pia, eine studierte Sprachenkorrespondentin, ist glücklich mit ihrem Freund Sven. Neben ihrem Beruf engagiert sie sich freiwillig bei der Initiative-Gruppe, welche dafür sorgt, dass Not leidende Menschen eine warme Suppe bekommen. Pia hat ohnehin schon genug Sorgen, da kommt noch dazu, dass Roy Pfeiffer, der Vorstand der Initiative-Gruppe, in seinem Büro tot aufgefunden und sie von der Polizei des Mordes verdächtigt wird. Ist Pia aber wirklich die Täterin? Roy Pfeiffer war bei seinen Mitmenschen nicht gerade beliebt! Ein schwerer Fall für Kommissar Flemming und seinem Assistenten Schönemann. Schafft das Duo, den Täter zu überführen?
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Seitenzahl: 288
Phuong Chi Van
Kommissar Flemming und sein Assistent Schönemann
Ein verstecktes Spiel
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2012
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Copyright (2012) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Coverfoto © Mary Stark - Fotolia.com
Bearbeitung Tino Hemmann
Lektorat: Corinna Luerweg
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
Der lang ersehnte Urlaub war endlich da. Silvia und Heinz Müller flogen vom Flughafen München aus mit ihrem zehnjährigen Sohn Uwe nach Palma de Mallorca.
Nachdem sie eingecheckt hatten, blieb ihnen noch Zeit, sich einen Drink zu gönnen. Anschließend hielten sie sich im Warteraum auf, welcher modern eingerichtet war. Die Klimaanlage sorgte für angenehm kühle Luft, nur der Geruch von Putzmittel störte etwas. Immer mehr Leute kamen herein. Manche verließen ihn gestresst, da ihre Maschine in wenigen Minuten startete. Verschiedene Sprachen hallten durch den Raum. Die Touristen kamen aus allen Ländern der Welt.
»Ich freue mich schon auf Mallorca«, sagte Silvia begeistert.
»Hoffentlich finde ich Freunde«, machte sich Uwe Sorgen.
»Schatz, du findest sicher ein paar nette Jungen, mit denen du dich unterhalten kannst«, erwiderte Silvia.
»Das denke ich mir auch. Noch dazu bei so vielen Leuten«, fügte Heinz freundlich hinzu, während er seine Zigarette rauchte und den Qualm in Form von Ringen ausblies.
Silvia war gerade noch an der Grenze zu dem, was man mollig nennt. Einige Strähnen ihres schulterlangen Haares fielen in ihr hübsches ovales Gesicht. Aus diesem strahlten zwei rehbraune Augen. Die zierliche Nase passte gut zum wohl proportionierten Mund. Ihr Lächeln harmonierte wunderbar mit dem Ausdruck der Augen. Silvia liebte zeitlose Mode.
Lange hielt es Uwe nicht aus auf seinem Sitzplatz, während sie auf ihren Flug warteten. Schon nach wenigen Minuten strolchte er zwischen den anderen Flugästen herum. Als ihm auch dies zu langweilig wurde, schlenderte er in Richtung Souvenirläden und guckte in alle Regale. Zwischendurch lief er immer wieder zu seiner Mutter und bettelte, ob sie ihm ein Schildkäppchen kaufen würde, das optimal zu seinem Lieblings-T-Shirt passte, wie er behauptete.
Heinz’ Blick richtete sich auf eine Rothaarige. Sie hatte lange Beine und trug einen Minirock. Daneben saß ihr Begleiter, der ganz blass im Gesicht war. Er schwieg, und er starrte ins Leere.
Silvia forschte dem Blick ihres Mannes nach und entdeckte die Rothaarige, die auf der ihr gegenüberliegenden Bank saß. Sie war schätzungsweise dreißig Jahre alt, trotzdem waren ihre Falten nicht zu übersehen. Ihre feuerroten langen Haare trug sie zu einem lässigen Pferdeschwanz gebunden, und aus ihren grünen Augen meinte Silvia einen herablassenden Ausdruck zu erkennen.
Die Rothaarige beobachtete die Passagiere, die hektisch vorbeieilten. Plötzlich nahm die Unbekannte Heinz’ Interesse wahr. Sie fühlte sich angesprochen und grinste ihn breit an. Doch dann senkte sie ihren Blick. Vermutlich dachte sie über ihre Beziehung nach. Seit dem Verkehrsunfall war ihr Mann Leonard nicht mehr so, wie er einmal gewesen war. Von Tag zu Tag wurde er immer stiller.
Silvia begann nachzudenken. Heinz hatte beruflich viel Stress. Als Versicherungsvertreter hatte er ständig Termine und musste oft bis nachts arbeiten. Nebenbei war er Mitglied des Vereins »Initiative-Gruppe«, den er zusammen mit zwei Freunden gegründet hatte. Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern veranstaltete er Feste, zu denen der Verein Prominente und Ehrengäste einlud. Sie waren beliebte Sponsoren des Vereins »Initiative-Gruppe«. Mit den erlangten Spenden half die Gruppe Hilfsbedürftigen. Bisher hatten sie immer großzügige Spenden bekommen. »Heinz könnte mit mir über alles sprechen«, dachte Silvia bei sich. Sie hatte vor, ihn bei Gelegenheit zu fragen, ob er etwas auf dem Herzen hatte. Wie auch immer wollte sie zu ihm halten. Silvia und Heinz hatten bereits zehn Jahre lang ihr Leben durch dick und dünn gemeistert. Nun war Uwe langsam groß geworden. So hatte das Ehepaar mehr Zeit füreinander. Silvia hatte auch alle Hände voll zu tun. Nach zwanzig Jahren Berufstätigkeit im Bankwesen hatte sie nun die Möglichkeit, halbtags zu arbeiten und die restliche Zeit ihrem Hobby als Malerin zu widmen. Ihre Familie war ihr am Wichtigsten. Silvia unternahm gern etwas mit ihrem Mann und Uwe. Insgeheim hoffte sie, dass ihr Glück anhielt. Sie war bereit, alles für die Liebe zu tun.
»Alles kann verjähren, aber doch nicht die Liebe«, sinnierte sie. »Silvia, unsere Maschine fliegt in wenige Minuten«, sagte Heinz und unterbrach die Gedanken seiner Frau. In diesem Moment hörte sie auch schon die Ansage der Stewardess, dass ihr Flugzeug startbereit war. Schnell stand sie auf und ging mit ihrer Familie mit. Die Rothaarige beeilte sich auch und lief mit ihrem kränklichen Mann zum Gate. Silvia meinte ironisch: »Dieser Mann hat es bitter nötig, ein Sonnenbad am Meer zu nehmen.« Am Gate angekommen, wandte sich die Stewardess fragend an den Mann der Rothaarigen. Silvia konnte es nicht verstehen, beobachtete aber, dass er das Gate passieren durfte.
Nach zweistündigem Flug landete der Eisenvogel. Die Gäste vom Hotel »Amour« wurden mit dem Reisebus abgeholt. Unterwegs zum Hotel in Palma de Mallorca roch es nach Meeresluft und trockener Erde. Am strahlend blauen Himmel zogen Schleierwolken langsam Richtung Horizont. Auf der Straße herrschte reger Verkehr.
Der Bus stoppte vor dem Hotel. Die Reisenden reihten sich in eine Warteschlange und warteten ungeduldig ihr Gepäck. Bei manchen Koffern waren die Etiketten verloren gegangen, doch die Urlauber konnten ihr Gepäck an der Form und Farbe erkennen. Manche einheimische Kinder liefen zum Reisebus und hofften, ihre Waren wie Bananen, Ananas, Kokosnüsse, Getränke, Strandkleider, Badetücher und vieles mehr zu verkaufen. Silvia war gern bereit zu helfen und kaufte von den Kindern etwas vom frischen Obst.
Endlich waren Silvia und ihre Familie in ihrem Hotelzimmer.
Uwe war begeistert: »Wow, hier gibt es eine Bar mit kalten Getränken und Schleckereien! Und da drüben ist ein großer Fernseher.«
Silvia und Heinz schauten sich ebenfalls um. Durch die große Fensterfront bot sich ein herrlicher Ausblick auf das türkisblaue Meer.
Die Möbel waren aus solidem Holz und kunstvoll bearbeitet.
Zwischen Uwes Zimmer und dem seiner Eltern gab es eine Verbindungstür, sodass man nicht über den Flur zum jeweils anderen Zimmer gehen musste.
Heinz ließ sich schweren Atems auf einen der Sessel im Zimmer fallen. Er war erschöpft von der Reise und brauchte einige Minuten Ruhe. Schweißperlen liefen von seiner hohen Stirn in seine großen blauen Augen. Mit seiner schmalen, langen Hand strich er sich verstohlen eine Haarsträhne über den sich lichtenden Schädel.
Silvia küsste ihn auf seine stoppelige, hagere Wange und bemerkte: »Du schaust ziemlich müde aus, Heinz.«
Mit seiner tiefen Stimme raunte er zurück:
»Ich bin ein wenig schlapp von der Fahrt. Weißt du, wann es Mittagsessen gibt?« Hungrig strich er sich über seinen kleinen Bauchansatz. Etwas Sport hätte dem fast Zwei-Meter-Mann gut getan. An seinen Schläfen bildeten sich graue Haarfäden und um seinen Mund lag ein müder Zug.
»Theoretisch müsste es um 12 Uhr sein«, erwiderte sie.
»Wo sind meine Badesachen, Mama?«, fragte Uwe, der es kaum noch erwarten konnte, ins Meer zu springen. Kein Wunder, bei so einem herrlichen Wetter und einladenden Wellen, die ans Ufer prallten, und dann vom Meer wieder zurückgezogen wurden, wie bei einem versteckten Spiel. Man hörte schon die Kinder schreien und lachen.
»Tschüss, Mama«, sagte Uwe. »Ich gehe ans Meer.«
Schon war er aus dem Hotelzimmer verschwunden. Uwe war in den letzten Monaten ein schönes Stück gewachsen, man merkte es an seinen Bewegungen, dass er sich erst noch an diese Veränderungen seines Körpers gewöhnen musste. Er hatte sich vor dem Urlaub sein blondes Haar ganz kurz schneiden lassen, weil es ihn nervte, nach dem Baden die Haare trocknen zu müssen.
In Gedanken an ihren Sohn lächelte Silvia in sich hinein und räumte die Wäsche aus der Reisetasche in den Schrank. Heinz ging auf den Balkon und genoss die Sonne, die direkt in sein Gesicht schien. Er zündete eine Zigarette an und nahm einen Zug. Langsam öffnete er seinen Mund und blies den Qualm in Ringen künstlerisch in die Luft. Sein Blick war betrübt und sehr nachdenklich.
»Da bist du ja«, rief Silvia fröhlich, als sie ihn auf dem Balkon fand.
»Schau, da ist Uwe, der gerade mit den anderen Kindern hochsprang, als die Wellen kamen«, sagte Heinz und zeigte seiner Frau, wo Uwe war.
»Jetzt kann ich ihn auch sehen. Toll, dass es ihm Spaß macht«, flüsterte sie leise und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Er umarmte sie. Das Glück des Momentes wollten sie sich nicht entgehen lassen. Vor zehn Jahren hatten sie sich das Ja-Wort gegeben, aber Silvia kam es so vor, als wäre es gestern gewesen. Liebevoll schaute Heinz seine hübsche Frau an. Silvias Lächeln gab ihm wieder Mut und Kraft. Heinz gab ihr einen Kuss. Der Kuss war noch so innig wie vor zehn Jahren, als sie heirateten.
In der letzten Zeit ging es bei Heinz drunter und drüber. Um den Stress abzubauen, hatten sie sich für einen Erholungsurlaub entschieden. So konnten alle wieder Kraft tanken und sich entspannen. Nun wollten sie den Urlaub einfach genießen. Mit Uwe unternahmen Heinz und Silvia viel. Er hat ihnen das Glück gebracht und verband sie miteinander. Wiederum gaben sie ihm Sicherheit, vor allem Liebe, Zuwendung und Geborgenheit. Zu dritt würden sie das Leben meistern.
Glücklich schauten sie Uwe vom Balkon aus zu. Sie lächelten sich gegenseitig an. Silvia fühlte sich in den Armen ihres Mannes geborgen. Die Sonne und die Meeresluft brachten die Menschen wieder in Bewegung. Alles, was sie im Alltag beengt hatte, wurde nun für einen neuen Weg und für einen neuen Anfang befreit. Die alte Liebe wurde aufgefrischt. Die schönen Erinnerungen zogen vor dem geistigen Auge vorbei. Gemeinsame Erlebnisse hinterließen stets schöne Bilder, die man wie in einem Album immer wieder gerne durchblätterte. Diese Bilder hielten am längsten; außerdem würden sie nie beschädigt werden und auch nie verloren gehen, denn sie waren weder aus Papier noch aus Kunststoff gemacht worden. Es sei denn, man wollte sie nicht mehr im Herzen bewahren.
Soweit wollten es Heinz und Silvia aber nicht kommen lassen. Der zehnjährige Hochzeitstag war ein Zeichen der Liebe und Treue. Ein Zeichen, das die beiden sich immer noch liebten und spürten, dass die Beziehung nicht brüchig war. Uwe war ein Geschenk, ein Zeichen der Liebe und Verbundenheit für seine Eltern. Er brachte sie auch zum Lachen. Glücklich verfolgten Heinz und Silvia, wie Uwe mit den anderen Kindern spielte. Sie waren wie kleine Nimmersatte, die vom Wasser gar nicht genug bekommen konnten. Silvia und Heinz hörten das Echo des Kinderlachens. Uwe amüsierte sich sehr mit seinen Spielkameraden. Silvia lächelte in sich hinein.
»Wir spazieren den Strand entlang und holen Uwe ab . Was hältst du davon?«, schlug Heinz vor.
»Hab ich auch gerade gedacht«, sagte sie und lächelte.
»Das ist Gedankenübertragung«, sagte Heinz und schmunzelte.
Hand in Hand gingen sie zum Strand. Als sie zusammen mit Uwe ins Hotel zurückkehrten, stieg ihnen schon der Duft der Küche in die Nase. Der Koch beeilte sich und gab sich Mühe, seine Gäste zu verwöhnen.
»Es gibt heute Fisch«, sagte Silvia, die eine gute Nase hatte.
»Wenn es nicht am Meer Fisch gibt, wo soll es sonst einen geben?«, sagte Heinz und zog leicht an der Nase seiner Frau.
Als Silvia an der Nase ihres Mannes ziehen wollte, war er schon davongelaufen. Silvia rannte ihm nach. Irgendwann war Heinz müde und kapitulierte. Uwe sah, dass seine Eltern sich jagten, kam schnell hinterher und spielte mit. Das Spiel endete mit einem leckeren Mittagessen. Der Speisesaal lag an der Südseite des Hotels und die einfallenden Sonnenstrahlen ließen die weißen Tischdecken intensiv leuchten.
Es waren noch nicht alle Hausgäste da. Mit dem Sohn einer Familie hatte Uwe schon Bekanntschaft gemacht. Er hieß Til.
»Ich bin Günther. Günther Bamberger«, stellte Tils Vater Günther sich vor. Er trug bunte Shorts und ein T-Shirt mit Schmetterlingsaufdruck.
Silvia schmunzelte, denn Günther schien ein humorvoller Mann zu sein.
»Ich bin Claudia«, stellte Günthers Frau, eine rundliche Mittvierzigerin mit blondiertem Kurzhaarschnitt, sich vor.
»Heinz Müller, sehr erfreut«, sagte Heinz.
»Silvia, ganz meinerseits«, sagte sie und lächelte.
Uwe und Til holten sich ein Eis. Ihre Eltern unterhielten sich über die Schule und den Alltag.
»Was machst du beruflich?« fragte Silvia Claudia.
»Ich bin Büroangestellte in einer Baufirma«, entgegnete Claudia.
»Tatsächlich, ich auch! Da sind wir ja Kolleginnen! Willkommen an Bord«, grüßte Silvia mit Handschlag.
»Ich bin selbstständig«, stellte sich Günther vor.
»In welcher Branche bist du, wenn ich fragen darf?«, fragte Heinz ihn direkt.
»Ich betreibe eine Kfz-Werkstatt«, entgegnete Günther.
»Nicht schlecht«, meinte Heinz und lächelte.
Das Essen wurde aufgetragen und es schmeckte den Gästen vorzüglich. Nachdem Uwe mit dem Eis fertig war, fragte er:
»Mama, ich möchte mit Til schwimmen gehen. Darf ich?«,
»Ja, Schatz. Pass auf dich auf«, gab Silvia ihrem Sohn die Erlaubnis.
»Mama, darf ich mit Uwe schwimmen gehen?«, fragte auch Til seine Mama.
»Ja, aber um 17 Uhr musst du wieder da sein, weil wir heute in die Stadt fahren und bummeln gehen«, gab Claudia ihrem Sohn eine limitierte Zeit.
»Warum so früh?«, nörgelte Til.
»Weil du vorher noch duschen gehen und dich umziehen musst, mein Schatz«, antwortete Claudia bestimmt.
Kaum dass Claudia ihren Satz beendet hatte, verschwanden die Jungs schon hinter den Palmen.
»Heinz, schwimmen wir auch eine Runde?«, fragte Silvia ihren Mann.
»Ich bin dabei«, stimmte Heinz zu.
Claudia und Günther fanden, dass es eine gute Idee war. Zu viert eilten sie zum Strand und schwammen den Wellen entgegen.
»Wo bleibst du? Silvia, komm mit!«, rief Heinz.
»Ich möchte nicht zu weit hinausschwimmen, draußen ist es ein bisschen tief«, ging Silvia auf Nummer sicher.
»Ich komme gleich zurück« sagte Heinz, und war auch schon unter Wasser getaucht.
Silvia und Claudia schwammen parallel. Sie wollten beide nicht zu weit hinaus ins Meer schwimmen. Günther schwamm Heinz nach. Nirgendwo sah er ihn. Plötzlich tauchte dieser aus dem Wasser auf und lachte laut. Günther war fast erschrocken, doch dann lachte er auch mit.
Als sie wieder am Strand lagen, schrie Heinz plötzlich schmerzerfüllt:
»Woher kommt der Sand?« In diesem Augenblick bemerkte er, dass nebenan Kinder eine Sandburg bauten. Der Wind wirbelte den Sand auf und verteilte ihn überall. Silvia half ihm, den Sand aus den Augen zu blasen.
»Danke, nun geht es wieder besser«, sagte Heinz erleichtert und gab seiner Frau einen Kuss.
»Gern geschehen! Hast du Uwe gesehen?«, fragte Silvia.
»Gerade eben noch«, erwiderte er.
»Jetzt sehe ich ihn wieder! Er kommt gerade mit Til zu uns, siehst du?«, freute sich Silvia.
»Ist es jetzt 17 Uhr, Mama?«, fragte Uwe.
»Viertel vor«, gab Silvia ihrem Sohn Bescheid.
»Essen wir denn nicht im Hotel?«, wollte Uwe wissen.
»Nein, Schatz! Wir essen heute auswärts«, sagte Silvia und küsste ihn auf die Wange.
»Wohin geht ihr zum Abendessen?«, fragte Heinz.
»Wir wissen es noch nicht«, entgegnete Günther.
»Wie wär‘s, wenn wir uns gemeinsam auf die Suche machen?«, schlug Heinz vor.
»Eine blendende Idee«, antwortete Günther.
»Es wär wirklich toll«, freute sich Claudia.
»Mit dem Bikini kann ich nicht zum Abendessen erscheinen«, fiel Silvia ein.
Alle lachten, und gingen gemeinsam ins Hotel zurück. Uwe und Til gingen voraus. Sie unterhielten sich, als würden sie sich schon immer kennen.
Sie kamen bei einem Verleih für Taucherausrüstung vorbei. Til und Uwe blieben stehen und betrachteten hoch interessiert die Auslage. Die Eltern kamen nach und gingen ins Geschäft hinein. Man konnte hier Segelboote und Taucherausrüstungen ausleihen oder sich auch zu einem Segel-Kurs anmelden.
»Es ist schon lange her, dass ich gesegelt bin«, sagte Günther.
»Mit einem Kurs kannst du alles wieder auffrischen, Schatz«, sagte Claudia, und lächelte.
»Eine Fahrradtour für die ganze Familie wäre auch schön«, schwärmte Silvia.
»Das können wir schon machen. Was sagst du dazu, Uwe?«, fragte Heinz.
»Ich möchte morgen lieber den Strandmarkt anschauen und schwimmen gehen«, entgegnete Uwe gelangweilt.
»Til, du auch, stimmt‘s?«, fragte Uwe seinen neuen Freund.
»Logo!«, antwortete Til.
Die Eltern der beiden Jungs waren auch der Meinung, dass man, wenn man schon einmal da war, die Gelegenheit nutzen sollte, am Meer zu bleiben. Fahrrad fahren konnte man schließlich auch zu Hause.
Die beiden Männer lächelten und schlenderten mit ihren Partnerinnen Hand in Hand ins Hotel zurück. Eigentlich müssten sie schon längst dort sein. Unterwegs aber gab es so viel zu sehen. Sie hatten ja schließlich Urlaub. Man nahm sich Zeit, um Ruhe zu finden. In einem fremden Land erwachte die Neugier und man wollte alles sehen. Dafür machten sie ja Urlaub. Urlaub, um sich vom grauen Alltag abzulenken, und um sich zu entspannen.
Heinz holte den Hotelschlüssel und gemeinsam mit Silvia ging er die Treppe zu ihrem Zimmer hoch. Die Tür stand offen. Erschrocken streckten sie den Kopf herein und schlichen ganz langsam ins Zimmer. Jemand war im Bad. Als sie plötzlich Schritte hörten, blieben sie atemlos stehen. Um sich zu verteidigen, griff Silvia den Regenschirm, der am Eingang lag.
»Ach, du bist es! Du hast uns aber richtig Angst eingejagt«, sagte Silvia erleichtert, als Uwe aus dem Bad kam.
»Wenn du uns Angst einjagen wolltest, dann ist dir das gelungen«, sagte Heinz und lächelte.
»Til und ich sind ja voraus gegangen. Ihr ward so vertieft im Gespräch, deshalb holten wir unten am Empfang unseren Zimmerschlüssel«, antwortete Uwe schlagfertig.
»Ja, du hast ja Recht«, stimmte Heinz zu.
»Wir waren verträumt und waren von Mallorca fasziniert«, gab Silvia zu.
»Aber nächstes Mal machst du die Tür zu, ok?«, sagte Silvia.
»Ok, aber meinst du, dass wirklich ein Einbrecher kommen könnte?«, fragte Uwe.
»Ich glaube nicht, aber man sollte immer vorsichtig sein«, entgegnete Silvia.
»Ich passe schon auf«, versicherte Uwe.
Wie vereinbart trafen sich Uwe und Til mit ihren Eltern im Warteraum des Hotels. Frisch wie der Sommer waren sie alle schön bekleidet. »Pünktlich wie immer«, sagte Günther.
»Ja, wir lassen ungern die Anderen warten«, erwiderte Heinz kumpelhaft grinsend.
»Meine Ladies, können wir gehen?«, fragte Günther spontan.
»Ja, lasst uns gehen, ich habe schon einen Bärenhunger«, konnte Claudia es kaum noch warten.
»Welche Richtung gehen wir, Papa?«, fragte Uwe.
»Immer geradeaus, bis wir in die nächste Straße kommen. Dann gehen wir bis zum Zentrum. Bleibt aber bitte bei uns in der Nähe«, sagte Silvia besorgt.
»Müssen wir so weit gehen?«, jammerte Uwe.
»Mit dem Fahrrad wäre es ideal«, schlug Heinz vor.
»Für einen Ausflug wäre ein Fahrrad geeigneter als nur in der Stadt herumzubummeln«, meinte Silvia.
»Wie wär‘s mit dem Bus?«, fragte Til.
»Das ist eine gute Idee«, war Günther dafür.
Nun entschieden sich die beiden Familien, den Bus zu nehmen. Bis zum Zentrum von Palma de Mallorca waren es nur drei Stationen. Der Bus war voll von Leuten. Viele mussten stehen, aber solange sie einen Platz für ihre Füße fanden, war es erträglich. Der Geruch erinnerte Silvia an Sardinen. Jede Station war eine Erleichterung, denn immer, wenn der Fahrer die Türen öffnete, konnte man ein wenig frische Luft schnappen.
»Endlich raus aus der Sardinendose!«, sagte Günther.
Alle lachten und konnten sich in ihn hineinversetzen. Die Luft draußen war besser, aber hier wartete schon der nächste Gestank: Die Abgase der Fahrzeuge.
Sie schauten sich nach einem Restaurant um.
»Gehen wir rein?«, fragte Heinz.
»Ein paar Tische sind noch frei«, fügte Silvia hinzu.
»Bevor noch andere Gäste kommen, müssen wir die Plätze belegen«, sagte Claudia und trat ins Restaurant ein.
Uwe und Til hatten schon Platz genommen. Das Gasthaus war einfach eingerichtet. Doch die grob gearbeiteten Holztische und malerischen Bilder an den Wänden verliehen der Gaststube eine gemütliche Atmosphäre. Eine braun gebrannte Kellnerin mit einer auffälligen Hakennase kam gleich herbei und nahm die Bestellung auf. Alle wollten die Spezialitäten des Landes probieren.
Heinz kramte sein bisschen Spanisch hervor und fragte:
»Señorita, habla alemán?« Die Kellnerin antwortete zu seiner Verblüffung in beinahe akzentfreiem Deutsch:
»Ja, mein Herr, ich habe ein Jahr in Dortmund gearbeitet und habe etwas Deutsch gelernt. Sie können gerne in Ihrer Sprache bestellen.«
»Da bin ich wirklich froh! Also dann: welche typischen mallorcinischen Gerichte können Sie uns empfehlen?«, fragte Heinz.
Die Kellnerin schlug vor:
»Als Vorspeise ‘Sopas malloquinas‘, das ist ein würziges Gemüsebrot, dann als Hauptgericht ‘Mé farcit‘, eine gefüllte Lammkeule, oder vielleicht ‘Dorade‘, ein Speisefisch? Als Nachtisch kann ich ‘Gato d’almendra‘ empfehlen, das ist ein Mandelkuchen, übergossen mit einem Schuss Mandellikör.«
»Wenn da Alkohol drin ist, dann möchte ich zum Nachtisch lieber einen Eisbecher«, meldete sich Til und schaute seine Eltern fragend an.
»Bestell ruhig dein Lieblingseis«, meinte seine Mutter.
»Ich hätte gern einen Früchteeisbecher«, präzisierte Til ohne zu zögern. Die Kellnerin lächelte, weil er das so nett gesagt hatte.
»Ich hätte gern Früchte mit Jogurt«, bestellte auch Uwe.
»Danke«, sagte die Kellnerin und zwinkerte mit ihrem rechten Auge zu Uwe. Die beiden Jungs kicherten. Die Erwachsenen schmunzelten, und bestellten ihren Kaffee.
Die Kellnerin deckte den Tisch ab und fragte, ob das Essen den Gästen geschmeckt hatte. Sie vergaß auch nicht zu lächeln. Alle waren zufrieden und lobten die Spezialitäten des Hauses.
»Darf ich mit dem Spielauto fahren, Mama?«, fragte Uwe.
»Ich möchte auch«, meldete sich Til.
»Heinz, gehst du mit den Kindern mit?«, fragte Silvia besorgt.
»Ok, ich komme mit«, willigte dieser gutmütig ein.
Günther begleitete Til.
»Wir kommen gleich wieder«, sagte Heinz beim Verabschieden.
»Wir werden euch vermissen«, sagte Silvia schelmisch.
Die beiden Frauen unterhielten sich bei einem Glas Wein und verstanden sich blendend. Sie konnten miteinander über alles reden.
»Na, ihr habt euch ja ganz vertieft in eurem Gespräch«, sagte Heinz, als er mit Uwe zurückkam.
»Seid ihr schon da? Wo bleiben Günther und Til?«, fragte Claudia nervös und erhob sich von ihrem Stuhl.
»Til wollte noch eine Runde fahren!«, antwortete Heinz beruhigend.
Die Kellnerin kam und fragte, ob sie noch einen Drink wollten.
»Ja gerne. Darf ich etwas fragen? Wann fährt der letzte Bus?«, fragte Heinz.
»Im Sommer, glaub ich, fährt der letzte um 22 Uhr. Ansonsten könnten Sie auch mit dem Taxi fahren«, gab die Kellnerin ihnen gern Auskunft.
»Auf dem Fahrplan habe ich gesehen, dass der Bus alle halbe Stunde fährt. Das heißt, der nächste müsste in zehn Minuten fahren. Wir müssen uns beeilen«, sagte Heinz.
»Ich hole meine Männer«, sagte Claudia.
Endlich hatte Claudia die Beiden gefunden. Alle rannten los und atemlos erreichten sie die Bushaltestelle. Kaum dass sie eingestiegen waren, fuhr der Bus auch schon an. Beinahe fielen Til und Uwe auf den Boden, weil sie sich nicht an der Haltestange festgehalten hatten. Der Unterschied zur Hinfahrt war, dass nicht mehr so viele Fahrgäste im Bus waren, sodass jeder einen Sitzplatz fand.
Auf der Straße waren noch viele Leute unterwegs. Die bunten Lampen leuchteten, sodass es in den Augen blendete.
»Bitte aussteigen!«, kündigte der Busfahrer an. Silvia war fast erschrocken, denn sie war ganz in ihre Lebensphilosophie vertieft. Alle verabschiedeten sich beim Busfahrer. Er lächelte und wünschte allen eine gute Nacht.
»Halt, ihr Beiden, wir müssen bis zur Ampel gehen!«, rief Günther Til und Uwe zurück.
»Sind wir nicht am Tag diese Straße entlang gegangen?«, fragte Til.
»Das war eine kleine Abkürzung, aber nun ist es schon spät, und wir nehmen die Straße, wo viele Leute sind. Es ist aber nicht mehr weit, und bald sind wir wieder im Hotel«, erklärte Günther.
Erschöpft erreichten Til und Uwe ihr Hotel.
Am nächsten Morgen trafen sich die beiden Familien wieder beim Frühstückstisch.
»Ein Sonnenbad wäre nicht schlecht!«, sagte Silvia. Sie wollte lieber am Strand bleiben.
»Schon so früh am Morgen? Wie wär’s, wenn wir den Strand entlang spazieren?«, schlug Heinz vor, der Bewegung bevorzugte.
Dann einigten sich alle, den Strand entlang zu spazieren.
»Lauft nicht zu weit weg!«, schrie Silvia den beiden Jungs nach.
Nun sah sie nur noch zwei Köpfchen, die sich ganz vorn zwischen die Menschenmenge durchdrängten.
Claudia schaute den kleinen Strandmarkt an, der genauso schnell aufgebaut war, wie er abgebaut wurde, wenn ein Polizeiauto von der Ferne in Sicht war. Das Leben der Verkäufer war immer so hektisch. Sie mussten immer gefasst auf die Obrigkeit sein. Allmählich kamen einige Leute und manche kauften ein Tuch oder eine Tasche. Manche wollten nur schauen, weil sie nichts von dem brauchten, was angeboten wurde. Doch dann wurden sie von dem Verkäufer zurückgeholt. Er wollte ihnen einen kleinen Rabatt geben. Dann drückten die Leute doch ein Auge zu und kauften.
»Deine Haare sind ja ganz nass!«, sagte Silvia.
»Til und ich sind eine Runde geschwommen!«, erzählte Uwe.
»Ich habe Durst, Mama!«, jammerte Til.
»Gehen wir etwas trinken?«, fragte Günther.
»Ja, ich wollte es auch gerade vorschlagen«, fügte Heinz hinzu.
Es gab eine ganze Menge Auswahl. Überall war voller Betrieb.
»Schaut mal, die Leute beim Tisch da drüben wollen gerade gehen«, sagte Silvia und zeigte auf den frei gewordenen Tisch.
Das kalte Getränk tat allen gut.
Manche Babys schrien, weil ihnen trotz Sonnenmütze zu heiß war.
»Als Til noch klein war, machten wir keinen Urlaub! Die Babys vertragen nicht die große Hitze«, fing Claudia an zu erzählen.
»Wir auch nicht! Es gibt auch Alternativen! Hauptsache nicht, zu weit fahren«, war Silvia gleicher Meinung.
Zum Abschluss gingen die beiden Familien noch ins Wasser. Die Sonne schämte sich und versteckte sich hinter den Wolken. Die Hitze gab langsam nach.
Die Fischer kamen mit einem Netz voller Fische zurück. Eilig gingen sie zu den Hotels und den Gasthäusern, um ihre Fische abzuliefern. Manche Fische zappelten noch. Mit letzter Kraft kämpften sie noch um ihr Schicksal. Doch es war aussichtslos, denn ohne Wasser konnte sie nicht lange überleben.
»Ich möchte einen Fisch als Haustier haben!«, sagte Uwe zu seinem Vater.
»Das geht leider nicht, Schatz! Im Hotel ist es verboten. Außerdem müssten wir ein Aquarium und Futter kaufen«, erklärte Heinz seinem Sohn.
»Selbst, wenn wir jetzt einen Fisch kaufen würden, wie willst du ihn nach Hause transportieren?«, fragte Silvia.
Traurig schaute Uwe den Fischer mit seinen Fischen an.
»Na sieh mal einer an, wer da kommt!«, dachte sich Silvia.
Die Rothaarige, die ihr am Flughafen im Warteraum gegenüber gesessen hatte. Neben ihr ging ihr Mann, der nicht mehr so bleich wie bei der ersten Begegnung aussah.
Sie schlenderte vorbei und grinste. Vermutlich erkannte sie Heinz wieder, da ihr Blick sich auf ihn richtete.
»Wer war das?«, fragte Claudia neugierig.
»Wir sind in derselben Maschine geflogen«, erwiderte Silvia.
»Sucht sie was?«, fragte Claudia leise.
»Keine Ahnung! Ihr Mann ging doch neben ihr«, sagte Silvia und wirkte nachdenklich. Sie hatte ein ungutes Gefühl, weshalb, wusste sie nicht.
»Welch ein herrliches Wetter«, schwärmte Heinz.
»Ich könnte stundenlang am Strand spazieren gehen«, sagte Silvia enthusiastisch und schob ihre Missstimmung beiseite.
Til und Uwe wollten mit ihren Familien zu Mittag beisammen sein.
Nach dem Essen gingen Uwe und Til mit ihren Familien wieder zum Strand. Unterwegs trafen sie wieder die Rothaarige, die ein dünnes Strandkleid trug und von ihrem Mann begleitet wurde. Die Beiden blieben stehen und sie wandte sich an Heinz:
»Hallo, machst du gleich nach dem Mittagessen schon einen Verdauungsspaziergang?«
»Ein wenig Bewegung schadet nie. Ich bin Heinz, das hier ist meine Frau Silvia und hier ist mein Sohn Uwe«, stellte Heinz sich und seine Familie vor.
»Sehr erfreut! Ich bin Leonard und das ist meine Lebensgefährtin Nicole«, schloss er sich der Rundenvorstellung an.
»Ich bin Til!«, Til wollte auf sich aufmerksam machen.
»Ich bin Günther und das ist meine Frau Claudia. Mein Sohn hat sich bereits vorgestellt«, scherzte Günther ein wenig und streichelte Til den Kopf.
»Das Wetter ist herrlich«, sagte Silvia, die nicht wusste, was sie mit der neuen Bekanntschaft anfangen sollte.
»Ja, ich könnte mir vorstellen, hier zu wohnen«, sagte Leonard mit verträumtem Blick.
»Ich auch, wir müssen weiter, die Kinder möchten den Strandmarkt anschauen. Man sieht sich«, verabschiedete sich Günther.
»Tschüs! Macht‘s gut«, wünschte Leonard seiner neuen Bekanntschaft.
»Gehen wir danach schwimmen?«, fragte Uwe.
»Ja, klar! Wir sind ja im Urlaub«, antwortete Silvia.
»Probieren wir zu tauchen«, forderte Til heraus.
»Klar«, stimmte Uwe überzeugt zu.
Die zwei neuen Freunde planten gemeinsam, was sie für den Rest des Urlaubs noch unternehmen wollten.
Da Uwe und Til Durst hatten, beschlossen sie, beim Kiosk etwas zu trinken. Wen sahen sie da? Leonard und Nicole. Bis die Bedienung kam, unterhielten sie sich über dies und jenes.
Nicole flirtete mit Heinz und Günther.
»Hallo, hätte einer von euch eine Zigarette für mich?«
Heinz zog mit einer lockeren Handbewegung ein Päckchen aus seiner Brusttasche und reichte es ihr hin und sagte dabei:
»Ja, klar.«
Als Nicole die Zigarette in ihren Mund steckte, zündete er sie ihr an.
»Danke«, sagte sie und blies den Rauch genüsslich in sein Gesicht.
Günther grinste amüsiert.
Claudia und Silvia schauten sich gegenseitig an, da sie wenig Sympathie für Nicole übrig hatten und weil sie sich darüber ärgerten, dass sie sich an ihre Männer heran machte.
»Es ist nun einmal so in der Bar. Es wird viel geflirtet, sonst nichts«, raunte Claudia Silvia zu.
Da wandte sich Nicole Silvia zu und fragte sie:
»Was machst du beruflich, wenn ich fragen darf?«
»Ich bin Angestellte in einem Büro für Fremdsprachenkorrespondenz. Wo arbeitest du?«, wollte Silvia wissen.
»Im Büro«, antwortete Nicole kurz.
»Nachdem mein Lebensgefährte einen Verkehrsunfall hatte, nahm ich zusätzlich einen Nebenjob als Kellnerin. Es dauert eine Weile, bis Leonard wieder in das Berufsleben einsteigen kann«, fuhr Nicole fort.
»Wie ist das passiert?«, fragte Silvia ein wenig zu neugierig.
»Ich habe mit den Kollegen ein paar Gläser zu viel getrunken und bin trotzdem mit dem Auto gefahren. Ich habe an einer Kreuzung die Vorfahrt missachtet und einen Unfall verursacht. Der andere Autofahrer hat zwar scharf gebremst, aber es war zu spät. Beim Zusammenprall wurde mein Bein schwer verletzt«, erzählte Leonard.
»Wie viel Promille hattest du?«, fragte Günther.
»Auf jedem Fall mehr als erlaubt«, antwortete er und lächelte verlegen. Er schien ein wenig verbittert zu sein.
»Wie lange dauert die Rehabilitation?«, erkundigte sich Heinz fachmännisch.
»Ich kann von Glück reden. Ich bin schon auf gutem Weg! In ca. drei Monaten kann ich wieder arbeiten. Zunächst nur halbtags«, antwortete er.
»Nun machst du Urlaub?«, fragte Claudia und lächelte.
»Der Herr Doktor hat mir geraten, in die Sonne zu gehen und viel frische Meeresluft zu tanken«, erzählte Leonard beschämt, denn er wusste, was die Leute denken könnten. Es stimmte auch, dass er und seine Lebensgefährtin finanzielle Unterstützung vom Staat bekamen, sie mit diesem Geld aber ein paar Tage Urlaub machten.
»Ist es nicht anstrengend für dich, so weit zu fahren? Ich meine, man kann auch in der Nähe von Zuhause Urlaub machen?«, brachte Claudia Leonard in Verlegenheit.
»Im Internet habe ich ein Angebot »Urlaub auf dem Bauernhof« gefunden! Es war sehr günstig«, antwortete Leonard ruhig, so dass niemand seine Verlegenheit bemerkte.
»Wir haben uns dann aber doch für einen Last-Minute-Flug nach Mallorca entschieden«, schaltete sich Nicole mit schneller Zunge ein.
»Als Kellnerin habe ich oft auch Nachtdienst, der mir jedoch zu anstrengend ist. Ich suche vielleicht einen anderen Nebenjob«, fügte Nicole hinzu, um das Thema zu wechseln.
»Wo wohnt ihr?« fragte Heinz.
»In München«, erwiderte Nicole kurz.
»Ich frage unseren Vereinsvorsitzenden, ob er jemanden brauchen würde. Wir haben zwar schon eine Halbtagsaushilfe, aber manchmal häuft sich die Arbeit und da bräuchte sie etwas Unterstützung. Aber wie gesagt, es wäre nur aushilfsweise, für eine feste Stelle ist nicht genügend Arbeit«, sagte Heinz.
»Das wäre prima«, freute sich Nicole und schaute ihren Lebensgefährten Leonard an. Sein Blick richtete sich in die Ferne, als würde er im Voraus ahnen, dass seine Zukunft nicht mehr so vielversprechend sein würde, wie sie es einmal gewesen war. Doch er verdrängte seine Gedanken und kam in die Realität zurück.
»Ich finde es toll. Du kannst es ja probieren, Schatz«, meinte Leonard leise, fast murmelnd.
»Ich werde auf dich zurückkommen«, zeigte Nicole ihr Interesse, nachdem sie von Heinz Telefonnummer und Adresse des Vereins bekommen hatte; und sie schüttelte verführerisch ihre Mähne.
Das Meer raute auf und die Wellen schlugen schäumend an den Strand. Man hatte das Gefühl, dass sie die Urlaubsgäste zu einem Spiel einladen wollten. Bei der Hitze konnten die Urlauber nicht stundenlang ein Sonnenbad genießen. Selbst wenn sie in der Bar etwas tranken.
Nicole flüsterte leise etwas in Leonards Ohr. Er nickte und sie schlenderte den beiden Paaren, die den Kindern zum Strand folgten, hinterher.
Leonard schaute zu, wie die Leute schwammen. Sie lachten und bespritzten sich gegenseitig mit Wasser. Das hatte er als Kind auch immer gern getan. Durch den Verkehrsunfall hatte sich sein Leben entschieden verändert. Es war nichts mehr so wie früher. Es könnte sein, dass er nur mit solchen Gedanken spielte. Eines war aber schon wahr: Seine finanzielle Lage schaute nicht gerade sehr rosig aus. Er fühlte sich eingeengt und abhängig. Leonard hatte vor, aus der Krise heraus zu kommen.
Dazu musste er zunächst gesund und fit werden. Das Wichtigste war, dass er wieder ins alltägliche Leben zurückkehren und wieder als Postbeamter arbeiten konnte. Allein diese Gedanken gaben ihm wieder ein wenig Mut. Ein Gefühl, wieder Freiheit zu haben und alles ohne Hilfe zu schaffen, wäre überwältigend. Der Weg dafür lag nicht weit entfernt. Sein Wille war stark genug, um neu anzufangen. Die Gäste in der Bar schauten ihn mitleidig an. Leonard schaute seiner Lebensgefährtin nach. Sie schien mit den Wellen Spaß zu haben. Er grübelte nach, ob Nicole ohne ihn glücklicher wäre. Sie wollte ihr Leben noch genießen und nicht abhängig sein. Ihm persönlich fehlte etwas, etwas Wertvolles, das man nicht kaufen konnte. Er wünschte sich eigene Kinder. Bisher hatten weder er noch Nicole den Wunsch geäußert. Leonard wusste nicht einmal, ob Nicole überhaupt Kinder wollte. Man arbeitete und genoss einfach das Leben.
Man plante für Urlaub, Autos und Immobilien, ging mit Freunden aus, feierte die ganze Nacht Partys, all das war für ihn im Laufe der Zeit nicht mehr so wichtig. Wenn er so zurück dachte, war es ganz schön mit seinen Geschwistern in seiner Kindheit gewesen. Ob alle Männer so dachten wie er, wusste Leonard nicht, aber ab einem bestimmten Alter sehnte man sich nach einem Kind. Er könnte alles mit dem Kind teilen: Lachen, spielen, Drachen basteln und steigen lassen, Gutenacht-Geschichten erzählen oder vorlesen. Solche Beschäftigungen würden ihn glücklich machen. Darin fände er seinen Sinn des Lebens.
Jetzt war aber keine günstige Gelegenheit, mit seiner Frau darüber zu sprechen, aber er hoffte auf bessere Zeiten. Bis dahin musste er sich noch gedulden. In Gedanken hatte er schon den ersten Schritt gemacht.
»Noch einen Drink?«, fragte eine Stimme.
Erschrocken kehrte er in die Gegenwart zurück. Neben ihm stand eine Dame. Leonard hatte das Gefühl, dass sie zu den abenteuerlichen Typen gehörte. Sie war wie ein Cowgirl gekleidet, mit Jeans-Bluse und einer Jeans mit Lederfransen. Darüber trug sie eine offene kurze gefranste Lederjacke und natürlich durften zu diesem Outfit auch die Lederstiefel nicht fehlen.
»Nein, danke, ich wollte gerade gehen«, antwortete er freundlich.
»Schade«, sagte sie und zündete sich eine Zigarette an.