Kompendium der Psychiatrie für Studierende und Ärzte - Dornblüth, Otto - kostenlos E-Book

Kompendium der Psychiatrie für Studierende und Ärzte E-Book

Otto, Dornblüth

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Project Gutenberg's Kompendium der Psychiatrie, by Otto Dr. med. DornblüthThis eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and mostother parts of the world at no cost and with almost no restrictionswhatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms ofthe Project Gutenberg License included with this eBook or online atwww.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll haveto check the laws of the country where you are located before using this ebook.Title: Kompendium der Psychiatrie       für Studierende und ÄrzteAuthor: Otto Dr. med. DornblüthRelease Date: October 13, 2014 [EBook #47106]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KOMPENDIUM DER PSYCHIATRIE ***Produced by Peter Becker, Norbert H. Langkau and the OnlineDistributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net

KOMPENDIUMDERPSYCHIATRIE

FÜR

STUDIERENDE UND ÄRZTE

VON

Dr. med. OTTO DORNBLÜTH

NERVENARZT IN FRANKFURT A. M.

ZWEITE VÖLLIG UMGEARBEITETE AUFLAGE

MIT ZAHLREICHEN ABBILDUNGEN

LEIPZIG

VERLAG VON VEIT & COMP.

1904

Vorwort.

Die Psychiatrie beginnt, die ihr zukommende Stellung in der Ausbildung des Arztes einzunehmen. Der Besuch der psychiatrischen Klinik ist nunmehr für die Studierenden verbindlich geworden, und der § 45 der Prüfungsordnung vom 28. Mai 1901 bestimmt: »Die Prüfung in der Irrenheilkunde wird von einem Examinator in der Irrenabteilung eines größeren Krankenhauses oder in einer Universitätsklinik abgehalten und ist an einem Tage zu erledigen. In Gegenwart des Examinators hat der Kandidat einen Geisteskranken zu untersuchen, die Anamnese, Diagnose und Prognose des Falles sowie den Heilplan festzustellen, den Befund sofort in ein vom Examinator gegenzuzeichnendes Protokoll aufzunehmen und hierauf in einer mündlichen Prüfung auch an anderen Kranken nachzuweisen, daß er die für den praktischen Arzt erforderlichen Kenntnisse in der Irrenheilkunde besitzt.«

Nachdem so von den angehenden Ärzten das Studium der Psychiatrie verlangt wird, werden sich auch die Praktiker dieser Aufgabe nicht mehr entziehen können, wenn sie nicht zurückbleiben wollen. Es ist leider nicht zu bestreiten, daß zahlreiche Geisteskranke die Aussicht auf Heilung verlieren, ihre Familie schädigen oder durch Selbstmord enden, weil der befragte Arzt den Zustand unrichtig beurteilte und nicht die richtigen Mittel vorschlug. Es ist ferner nicht zu verkennen, daß das ärztliche Ansehen manchen Stoß bekommen hat, weil Ärzte vor Gericht oder in der Praxis verkehrte Urteile über krankhafte oder gesunde Geisteszustände abgegeben haben. Dazu kommt noch, daß ein richtiges Urteil über die zahllosen Grenzzustände und über die so verbreiteten Neurosen mit ihren psychischen Eigentümlichkeiten nur durch psychiatrische Vorbildung gewonnen werden kann.

Um die Art Geisteskranker und den ärztlichen Verkehr mit ihnen kennen zu lernen, ist der Besuch der psychiatrischen Klinik unentbehrlich; ein gesichertes Urteil für den einzelnen Fall läßt sich aber nur durch das Studium eines systematischen Lehrbuches gewinnen. Daß dazu ein kurzes Buch mit knappen und klaren Schilderungen oft besser ist als ein umfangreiches Lehrbuch, das die feinsten spezialistischen Beobachtungen wiedergibt, dürfte unbestreitbar sein. In der ausführlichen Behandlung der für die Praxis so wichtigen Grenzzustände sowohl, wie in einer auf die ärztliche Praxis berechneten Darstellung der Therapie sucht unser Buch den Ansprüchen des Arztes besonders gerecht zu werden.

Frankfurt a/M., Januar 1904.Bockenheimer Anlage 2.O. D.

Inhalt.

SeiteErstes Buch. Allgemeine Psychiatrie.I.Einleitung1II.Geschichtlicher Überblick3III.Ursachen der Geistesstörungen51. Persönliche Veranlagung52. Allgemeine Veranlagung93. Äußere Ursachen11IV.Pathologische Anatomie und Chemie15V.Die allgemeinen Erscheinungen der Geisteskrankheiten171. Störungen der Wahrnehmung182. Störungen der Verstandestätigkeit243. Störungen der Gefühlsvorgänge. Krankhafte Affekte und Stimmungen334. Störungen des Wollens und Handelns36VI.Die allgemeinen körperlichen Erscheinungen bei Geisteskrankheiten41VII.Die Untersuchung der Geisteskranken45VIII.Verlauf und Ausgänge der Geisteskrankheiten49IX.Die Verhütung der Geisteskrankheiten52X.Allgemeine Behandlung der Geisteskranken55XI.Rechtliche Bedeutung der Geisteskrankheiten68XII.Einteilung der Geisteskrankheiten75Zweites Buch. Spezielle Psychiatrie.I.Erschöpfungspsychosen791. Kollapsdelirium und Delirium acutum792. Akute Verwirrtheit, Amentia80II.Infektionspsychosen87III.Intoxikationspsychosen92A. Vergiftungen durch Arznei und Genußmittel92   1. Alkoholismus92      Delirium tremens96      Die akute alkoholische Paranoia100      Der Eifersuchtswahn der Alkoholisten101      Die alkoholische Pseudoparalyse102      Ätiologie der Alkoholpsychosen102   2. Morphinismus104   3. Kokainismus106B. Selbstvergiftungen des Körpers107   1. Thyreogene Psychosen107   2. Selbstvergiftungspsychosen108IV.Neuropsychosen1091. Neurasthenie, Hypochondrie1092. Traumatische Depressionszustände, Unfallneurosen, Traumatische Neurosen, Schreckneurose1233. Melancholie, Schwermut1274. Hysterie134   1. Vorübergehende psychische Störungen140   2. Länger anhaltende Störungen1425. Epilepsie156   Formen des epileptischen Anfalls156   Verlauf und Ausgänge1646. Choreatisches Irresein171V.Grenzzustände1721. Einfache Gefühlsanomalien1762. Zwangszustände, Phobien1773. Abweichungen des Geschlechtsgefühls1814. Abweichungen im Gebiete des Charakters, des Verstandes und der Phantasie1865. Störungen des Handelns188   Behandlung der Grenzzustände193VI.Degenerationspsychosen1971. Paranoia, Verrücktheit1972. Manisch-depressives Irresein (Manie, periodisches und zirkuläres Irresein)2073. Dementia praecox, Jugendirresein226   a) Dementia simplex, der primäre konstitutionelle Schwachsinn226   b) Hebephrenie227   c) Katatonie229VII.Organische Psychosen2391. Dementia paralytica239   Vorläuferstadium240   Einleitungstadium240   Höhestadium der Krankheit245   Endstadium2532. Psychosen bei Hirnsyphilis2613. Arteriosklerotische Psychosen2634. Dementia senilis, Altersblödsinn2675. Idiotie und Imbezillität268

Erstes Buch.Allgemeine Psychiatrie.

I. Einleitung.

Unter Psychiatrie versteht man die Lehre von den Geisteskrankheiten und ihrer Behandlung. Sie ist im Grunde ein Teil der inneren Medizin, denn die geistigen Vorgänge und ihre Störungen sind an ein Organ des Körpers, an das Gehirn, ebenso gebunden wie die wesentlich durch körperliche Zeichen sich äußernden Gehirnkrankheiten im engeren Sinne. Die Geisteskrankheiten nehmen aber insofern praktisch eine andere Stellung ein, als ihre Äußerungen sich vorzugsweise auf psychischem Gebiet abspielen, also nicht den gewöhnlichen Methoden der inneren Medizin zugänglich sind, und ferner dadurch, daß ihre Behandlung in vielen Fällen gerade wegen der Störung des geistigen Lebens ganz andere Vorkehrungen und die Trennung von den körperlich Kranken erfordert. Trotzdem muß die wissenschaftliche und menschliche Auffassung der Geistesstörungen streng daran festhalten, daß es sich dabei um Krankheiten handelt, die sich im Wesen nicht von anderen, körperlich greifbaren Leiden unterscheiden.

Nach den gehirnphysiologischen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die geistigen Vorgänge besonders an Teile und Veränderungen der Großhirnrinde gebunden sind. Insbesondere ist anzunehmen, daß die Hinterhauptwindungen der Gesichtswahrnehmung, die Schläfenwindungen der Gehörswahrnehmung, die Zentralwindungen und die Scheitellappen den Bewegungsvorstellungen (Erinnerungsbildern der Bewegungs-, Haut- und Muskelgefühle und ihrer Lokalisation) als Sitz dienen. Geschmack und Geruch, die für die geistigen Vorgänge von geringerer Bedeutung sind, verknüpfen sich mit Rindenfeldern der Gehirnbasis. Unzählige Assoziationsfasern verknüpfen die verschiedenen Gebiete und Schichten zu einem gemeinsamen Wirken als Organ der geistigen Vorgänge.

Von großer Wichtigkeit für die Theorie der normalen und der krankhaften Geistestätigkeiten ist jedenfalls das Sprachzentrum und seine Beschaffenheit, da sicher die meisten Menschen in Sprachvorstellungen denken. Hier gilt aber ganz besonders, was für die gesamte materielle Erklärung des Denkens und seiner Störungen nie außer acht gelassen werden sollte, daß es sich dabei immer nur um Theorien handelt, die bei aller Wahrscheinlichkeit und bei allem wissenschaftlichen Werte doch keine wirkliche Erklärung für das Beobachtete geben können. Die Psychiatrie als eine Wissenschaft bedarf dieser Aufstellungen und wird dadurch gefördert, die fortschreitende Erkenntnis der geistig kranken Menschen und ihrer Behandlung muß auch unabhängig davon durch klinische Beobachtung und durch reine Erfahrung herausgebildet werden.

Eine scharfe Grenze zwischen Geistesgesundheit und Geisteskrankheit gibt es ebensowenig wie zwischen den entsprechenden Körperzuständen. Wie niemals zwei Menschen körperlich völlig gleich sind, und wie kein Maß geschaffen werden kann, um jemand als körperlich normal zu erweisen, so sind auch bei möglichst gleicher geistiger Anlage und Ausbildung die größten Verschiedenheiten möglich. Was bei geistig Hochgebildeten als grobe Abweichung vom Normalen und als klaffende Lücke betrachtet werden muß, kann bei Ungebildeten als durchaus regelrecht erscheinen, und noch größer sind die Verschiedenheiten, wenn an Stelle des ruhigen Denkens die Affekte den Geist beherrschen. Man soll sich daher hüten, jede Abweichung von der bisherigen Erfahrung oder von dem Gewohnheitsbilde ohne weiteres als abnorm oder gar als krankhaft hinzustellen, auch wenn der erfahrene Beobachter geistiger Persönlichkeiten Anklänge an Krankhaftes wahrnimmt. Nur durch Mißbrauch solcher Beobachtungen wird man z. B. das Genie wegen seiner mannigfachen Eigentümlichkeiten dem Irren an die Seite stellen.

In der Praxis ist eine willkürliche Trennung zwischen gesund und krank nicht zu entbehren; sie ist Sache der Erfahrung und des Taktes, also nicht durch bestimmte Regeln zu erlernen und daher dem Unkundigen nicht jedesmal als berechtigt nachzuweisen. Zu große Bestimmtheit in derartigen subjektiven Ansichten hat manchem Irrenarzte den nicht ganz irrigen Vorwurf zugezogen, sein Gebiet unrechtmäßig ausdehnen zu wollen. Mit gutem Grunde stellt daher die neuere Psychiatrie ein eigenes Gebiet der »Grenzzustände« auf.

II. Geschichtlicher Überblick.

Geistesstörungen sind zu allen Zeiten vorgekommen und beobachtet. Das Alte Testament berichtet sie von Saul und von Nebukadnezar, die griechischen Dichter erzählen ihr Vorkommen bei Ajax, Ödipus, Orestes, bei den Töchtern des Königs Proitos, die von Juno irrsinnig gemacht waren; die Skythen glaubten sich eines Tages in Weiber verwandelt. Im allgemeinen betrachtete man das Irresein als Folge göttlicher Strafen oder teuflischer Einwirkungen. Hippokrates, 460–377 v. Chr., leitet zuerst die Seelenstörungen aus körperlichen Ursachen her und bringt sie mit Krankheiten des Gehirns in Verbindung; bei ihm finden sich »Manie« und »Melancholie« als allgemeine Bezeichnungen für Irresein; seine Behandlung besteht in Diät, Gymnastik, kalten Übergießungen, Verabreichung von Alraunwurzel (Atropa Mandragora), Helleborus u. s. w. Asklepiades, Cälius Aurelianus, Celsus, Galenos u. A. beschreiben die einzelnen Formen des Irreseins genauer; Asklepiades erwähnt die psychische Behandlung und verwirft eingreifende Mittel, Celsus kennt die Halluzinationen und die Wahnvorstellungen, er wie Cälius Aurelianus legen Wert auf Individualisieren und auf psychische Therapie. Im Mittelalter gingen alle diese Errungenschaften verloren, die Irren galten als Besessene und wurden eingesperrt oder der Teufelsaustreibung unterworfen. Den größten Teil der Besessenen, die der Folter und dem Scheiterhaufen unterworfen wurden, bildeten übrigens nicht die eigentlichen Irren, sondern Kranke mitgrande hystérie, wie sich aus den Protokollen der Hexenprozesse und aus gleichzeitigen Bildwerken ersehen läßt. Ruhige Geisteskranke wurden an manchen Orten in besonderen Anstalten untergebracht. Im 16. Jahrhundert tritt Felix Platter, Professor in Basel, gegen die Einsperrung der Geisteskranken und für die psychische Behandlung auf, aber zu derselben Zeit herrscht noch weithin die grausame Verfolgung derjenigen Irren, die sich nach den abergläubischen Vorstellungen des Mittelalters in ihrem Wahn für Werwölfe halten. Erst das 18. Jahrhundert bringt große Fortschritte; 1751 wird in London die erste öffentliche Irrenanstalt errichtet, zahlreiche Privatanstalten, meist unter Schülern Cullens (1712–1790), folgen nach; in Frankreich ertrotzt Pinel (1755–1826) unter persönlicher Gefahr vom Nationalkonvent im Jahre 1792 die Erlaubnis, die Irren von ihren Ketten und von dem Zusammenleben mit den Verbrechern zu befreien. Esquirol (1772–1840) wurde sein würdiger Nachfolger. Die Bestrebungen dieser erleuchteten Ärzte Englands und Frankreichs riefen auch in Deutschland eine neue Zeit in der Psychiatrie wach. Reil (1759–1813) und Langermann (1768–1832) reformierten theoretisch und praktisch, und Reils Schüler Horn und Chr. Fr. Nasse setzten das Werk im 19. Jahrhundert fort. Hervorragende Förderung erfuhr das humane Irrenwesen weiterhin durch Foville, Falret und Morel in Frankreich, Schröder van der Kolk in Holland und Belgien, Conolly, den Urheber des no-restraint-Systems, der Irrenbehandlung ohne Zwang, in England, Damerow, Jacobi, Flemming und besonders Griesinger (1817–1868) in Deutschland. Mit den Arbeiten dieser Männer wurde zugleich die rein psychologische Auffassung der Geisteskrankheiten (z. B. als Folge der Sünde, Heinroth, oder als gewucherte Leidenschaften, Ideler) und die Behandlung der Irren durch Einschüchterung (Leurets Traitement moral) endgültig zugunsten der modernen Anschauungen beseitigt.

Von den zuletzt genannten Irrenärzten ragt Griesinger am meisten in unsere Zeit hinein. Seine »Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten« (4. Aufl. 1876) bildet die Grundlage der heutigen Lehren. Die wichtigsten neueren Lehrbücher sind:

v. Krafft-Ebing, Lehrbuch der Psychiatrie. 7. Aufl. 1903.Kraepelin, Psychiatrie. 7. Aufl. 1903. 2 Bände.Schüle, Klinische Psychiatrie. 3. Aufl. 1886.Ziehen, Psychiatrie. 2. Aufl. 1902.Wernicke, Grundriß der Psychiatrie. 1894–96.Weygandt, Atlas und Grundriß der Psychiatrie. 1902.Hoche, Handbuch der gerichtlichen Psychiatrie. 1901.Cramer, Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie. 3. Aufl. 1903. Vgl. ferner Störring, Vorlesungen über Psychopathologie. 1901.

III. Ursachen der Geistesstörungen.

Bei den Geistesstörungen tritt es für den Arzt noch deutlicher als bei körperlichen Leiden hervor, daß er nicht mit der Krankheit, sondern mit dem kranken Menschen zu tun hat. Gerade dadurch ist die Psychiatrie für jeden Arzt unentbehrlich, daß sie ihn mehr als jedes andere Fach der Medizin darauf hinweist, ja ihn geradezu durch Zwang dazu bringt, in dem Kranken den ganzen Menschen zu studieren und bei der Behandlung jeden Augenblick sein gesamtes leibliches und geistiges Befinden zu berücksichtigen.

Auch bei der Erforschung der Ursachen des Irreseins ist diese Wahrheit unverkennbar. Wie alle Krankheiten, so stellen auch die des Geistes das Ergebnis äußerer Schädlichkeiten und innerer Anlage dar, wobei je nach dem Einzelfall der eine oder der andere Faktor überwiegt. Für die Geisteskrankheiten hat nun die Erfahrung die größere Wichtigkeit der inneren Ursachen, also der ganzen Anlage des betreffenden Menschen, erwiesen. Man stellt sie als persönliche und als allgemeine Veranlagung (Prädisposition) den äußeren Ursachen gegenüber, die ihrerseits geistig oder körperlich einwirken können.

1. Persönliche Veranlagung.

Die Anlage zu geistiger Erkrankung wird am meisten durch die Vererbung bestimmt. Am seltensten so, daß bestimmte Krankheiten sich von den Eltern oder Vorfahren auf die Nachkommen übertragen, sondern meist in der Weise, daß die Nachkommen ein weniger widerstandsfähiges Gehirn oder Nervensystem auf die Welt mitbringen. In diesem Sinne überträgt sich erfahrungsgemäß eine Vererbung, besser eine erbliche Veranlagung auf die Nachkommen nicht nur von Geisteskranken, sondern auch von konstitutionell Nervenkranken (mit Epilepsie, Hysterie, Migräne, konstitutioneller Neurasthenie usw.), von Menschen mit auffallenden Charakteren, mit Neigung zu Verbrechen oder zu Selbstmord, und ebenso gefährdend für die geistige Widerstandskraft der Nachkommen sind Trunksucht und Syphilis der Vorfahren, letztere bis in die dritte Generation! Die Vererbung erfolgt entweder direkt von einem der Eltern, auch wenn bei ihnen die deutliche Störung usw. erst später ausbricht, oder mit Überspringung derselben von einem der Großeltern her. In letzterem Falle findet sich nicht selten eine der aufgezählten Abweichungen bei Geschwistern des Vaters oder der Mutter, als Hinweis darauf, daß die Anlage auch in dieser Generation vorhanden, aber durch irgendwelche Umstände nicht (oder noch nicht) zur Äußerung gekommen ist. So ist also bei der Aufnahme der Erblichkeitsverhältnisse eine Nachforschung auch über die Seitenverwandten wertvoll, wenn sie verständig ausgenützt wird.

Schädigend für die Erzeugten wirken außerdem Schwächezustände der Eltern zur Zeit der Zeugung, insbesondere zu großer Altersunterschied, zu jugendliches oder zu vorgerücktes Alter, chronische Krankheiten wie Diabetes usw., Tuberkulose, schlechter Ernährungszustand durch Not oder überstandene schwere Krankheiten u. dgl. mehr; ebenso erklärlicherweise auch Not, Kummer u. dgl. der Mutter während der Schwangerschaft. Ob die Blutsverwandtschaft der Eltern an sich schädlich wirkt, ist streitig, sicher ist sie doppelt gefährlich, wenn krankhafte Anlagen von beiden Seiten zusammenfließen, und bewirkt dann oft fortschreitende Entartung.

Jede der verschiedenen Abweichungen, die wir vorhin aufgeführt haben, kann bei den Nachkommen irgend eine Form der geistigen Störung, ebensowohl aber auch Nervenkrankheiten, verbrecherische, Trunk- und Selbstmordneigungen usw. hervorrufen. Man bezeichnet das als Transformation der Vererbung. Bei der gleichartigen Vererbung kehren die Krankheiten mit primären krankhaften Affekten (Manie, Melancholie) gern in derselben Form bei den Nachkommen wieder, ebenso wie die belastete Deszendenz von Kranken mit intellektuellen Psychosen (Paranoia) vorzugsweise an Paranoia erkrankt.

Die Wirkung der Vererbung, die sich bei etwa 40% der Geisteskranken nachweisen läßt, ist trotzdem keine zwingende. Auch das Kind zweier geisteskranker Eltern kann geistig gesund bleiben. Es kommt wohl darauf an, wieweit die Krankheit der Eltern als in der Konstitution liegend betrachtet werden muß, oder ob sie sich mehr als nicht vererbbare erworbene Schädigung darstellt. Durchsichtiger ist es, daß bei Gesundheit des Vaters und Abnormität der Mutter oder umgekehrt das Kind gesund bleiben kann, indem der Einfluß des gesunden Teils überwiegt. Im allgemeinen scheint der Einfluß des Vaters bei der Vererbung krankhafter Anlagen größer zu sein und besonders die Töchter zu bedrohen.

Die erbliche Anlage verrät sich bald gar nicht, bald in der verschiedensten Art. Ist sie erkennbar, so spricht man von erblicher Belastung, bei hohen Graden von erblicher Entartung, Degeneration. Zu den leichteren Formen gehören das nervöse Temperament (reizbare Schwäche in geistiger und körperlicher Beziehung, Disharmonie des Gemütslebens, krankhafte Depression oder Reizbarkeit, periodische Stimmungsschwankungen, Neigung zu Angst- und Zwangszuständen), die Neigung zu Trunk, Ausschweifungen, Sonderbarkeiten, zu den schwereren Erscheinungen die großen Neurosen, die sexuellen Perversionen, die ungleichen Begabungen, das Fehlen des moralischen Sinnes usw., das manisch-depressive Irresein und die Grenzzustände sowie das große Gebiet der Dementia praecox, ferner die Selbstmordneigung, die Idiotie und die Imbezillität. Die schwersten Formen führen durch soziale Wirkungen oder durch die körperliche Unfähigkeit zum Erlöschen der Familie und damit zum Aufhören der Vererbung.

Die erbliche Belastung pflegt sich auch durch körperliche Zeichen, sogenannte Degenerationszeichen, zu verraten, die zwar auch ohne geistige Zeichen der Belastung vorkommen, aber immerhin als Hinweis und im Verein mit den psychischen Äußerungen von Wert sind. Dazu gehören Asymmetrie des Schädels oder Gesichts, auffallende Form des Schädels, fliehende Stirn, übermäßig starke Entwickelung des Oberkiefers oder des Unterkiefers, Vorspringen der Jochbeingegend, sehr unregelmäßige Zahnstellung, flacher oder zu stark gewölbter Gaumen, ungleich hohe Anheftung, henkelförmiges Abstehen, zu grobe Bildung der Ohrmuschel, Fehlen ihres Läppchens, ihres Randes u. dgl. m., allgemeines körperliches Zurückbleiben (Infantilismus), mangelhafte Haarbildung, abnorm späte Menstruation, Ungleichheit der Pupillen, Irisflecken, Kolobom, angeborener Nystagmus, essentieller Tremor usw.

Das Zustandekommen dieser körperlichen Zeichen ist ebenso wie das Wesen der erblichen Belastung noch ganz unklar. Von Theorien der letzteren wären die zu nennen, wonach die verminderte Widerstandsfähigkeit auf vererbter zu geringer Blutversorgung des Gehirns beruht, und eine zweite, wonach es sich um angeborene leichtere Erschöpfbarkeit der Zentralorgane handelt.

Neben der Vererbung ist von großem Einfluß auf die persönliche Veranlagung die Erziehung im weitesten Sinne. Man darf trotz aller Einwürfe annehmen, daß Erziehung und Gewöhnung gegen erbliche Anlagen oft im guten Sinne unendlich machtvoll sind. Leider wirken am häufigsten beide in schädlicher Richtung zusammen, weil die Erzeuger der krankhaften Anlage zugleich die Erzieher sind. Abnorme Eigenschaften der Erzieher gefährden vor allem durch planloses Wechseln zwischen Strenge und Nachgiebigkeit die Bildung eines ruhigen, gefestigten Charakters, sie unterwerfen schon das Kind, den werdenden Menschen, Affekten und Gemütsbewegungen, die ihm schädlich sind, und beeinträchtigen das Gleichmaß der Arbeit, das für die gesunde geistige Ausbildung unentbehrlich ist.

Sehr wichtig ist als Unterabteilung der Erziehung auch die körperliche Gewöhnung. Unzweckmäßige Ernährung, mangelnde Hautpflege, übermäßiges Warmhalten, ungenügender Schlaf schädigen die gesunde Entwicklung des Gehirns und des Nervensystems und untergraben damit die Widerstandsfähigkeit.

2. Allgemeine Veranlagung.

Ein allgemeiner Einfluß auf die Zunahme der Geisteskrankheiten wird herkömmlich der Zivilisation zugeschrieben, oder wie das Schlagwort meist lautet: dem rastlosen Streben und Vorwärtsdrängen unserer Zeit. Dagegen spricht zunächst ziemlich gewichtig der Umstand, daß in allen Ländern, wo Zählungen der Irren zuverlässig durchgeführt sind, ihre Verhältniszahl gegenüber der gesunden Bevölkerung ziemlich die gleiche ist, nämlich etwa 3 auf 1000. Dieser Satz hat sich nicht nur fast genau übereinstimmend für die meisten Kulturländer ergeben, sondern z. B. auch für Montenegro, wo außer den Schäden der Überkultur noch der Alkoholismus, eine sichere Ursache zahlreicher Geisteskrankheiten, wegfällt. Eine bestimmte Entscheidung, ob die Irrenzahl stärker wächst, als die der Gesunden, ist schon deshalb unmöglich, weil aus früherer Zeit keine erschöpfenden Zählungen vorliegen. Die Zunahme der Anstalten darf dafür nicht verwendet werden, denn sie beruht teils auf der wachsenden Fürsorge für Kranke und Schwache, die schon wegen der modernen Lebensverhältnisse dringend geboten ist — die Irren werden heutzutage viel leichter gemeingefährlich als früher bei der Abgeschlossenheit der einzelnen Orte —, teils auf dem Schwinden des Vorurteils gegen die Anstalten. Es ist wohl wahrscheinlich, daß die stärkeren Anforderungen, die die heutige Welt an den Einzelnen stellt, durch bessere Ernährung und Lebensweise in ihrer schädlichen Wirkung wieder ausgeglichen werden.

Ebensowenig Bestimmtes läßt sich über den Rasseneinfluß sagen, nur das dürfte feststehen, daß die Juden, wie überhaupt die orientalischen Völker, etwas mehr zu geistigen Störungen veranlagt sind, und daß diese bei ihnen besonders zu ungünstigen Ausgängen, chronischer Verwirrtheit usw., neigen.

Klima und Jahreszeit sind ohne durchgreifende Bedeutung, wo sie sich nicht etwa mit krankmachenden äußeren Einflüssen verbinden.

Weit wichtiger ist die Beziehung zwischen Krankheitanlage und dem Alter und dem Geschlecht. Das Kindesalter besitzt, wenn man von den angeborenen Entwicklungshemmungen und von den schweren Erkrankungen der ersten Jahre absieht, einen gewissen Schutz gegen geistige Erkrankungen, obwohl von diesen zumal Melancholie, Manie, hysterische und epileptische Störungen öfters vorkommen. Die Zeit der Pubertät ist um so gefährlicher, namentlich für die erblich Veranlagten. Die unbestimmten Empfindungen und Stimmungen dieser Zeit gehen nicht selten in ausgesprochene Erkrankungen über, zumal in Dementia praecox. Auch manisch-depressive sowie hysterische und epileptische Störungen beginnen oft in der Pubertät. Das der Geschlechtsentwicklung eigentümliche Auftreten von teils physiologischen, teils pathologischen Stoffwechselprodukten macht Intoxikationen des Zentralnervensystems sehr naheliegend. Die erbliche Belastung äußert sich häufig in verfrühter Geschlechtsentwicklung, und es ist klar, daß in jüngerem Alter die Folgen z. B. der Onanie bei Knaben, der Chlorose oder der auch körperlich erschöpfenden Menstruation bei den Mädchen um so schwerer sein müssen. Die Menstruation ist außerdem auch bei gesunden Erwachsenen fast stets mit Störungen des geistigen Befindens, zumal des gemütlichen Gleichgewichts, verbunden.

In der Blütezeit zeigt sich ein gewisser Unterschied in dem Verhalten der Veranlagung zu geistiger Erkrankung bei beiden Geschlechtern. Beim Weibe ist die Gefährdung am größten etwa vom 25.–35. Jahre, beim Manne vom 35.–45., entsprechend der verschiedenen Lage des Höhepunkts der Erwartungen, Leistungen und Schädigungen. Die Frau ist hier gefährdet durch Enttäuschungen, Liebeskummer, Schwangerschaft, Wochenbett usw., der Mann durch die Schädlichkeiten des Lebens und des Berufs. Für das Weib beginnt eine neue üble Zeit mit den Wechseljahren, die große körperliche und geistige Umwälzungen bringen. Beide Geschlechter sind endlich einer neuen allgemeinen Veranlagung unterworfen um das 60. Jahr herum, wo bei vielen die Beschwerden und Schwächen des Alters sich zeigen. Im ganzen ist die Zahl der geistigen Erkrankungen bei beiden Geschlechtern ziemlich gleich.

Ähnlich wie die veranlagenden Einflüsse des Alters und Geschlechts sich wesentlich durch bestimmte Vorgänge erklären, die sich an die verschiedenen Zeiten und Umstände zu knüpfen pflegen, ist auch der Einfluß der verschiedenen Berufsarten hauptsächlich von Eigentümlichkeiten abhängig, die in mehr oder weniger lockerem Zusammenhange damit stehen. Manche Stände sind mehr als andere anstrengender Geistes- oder Körperarbeit im Verein mit Kränkungen, Verantwortungsgefühl oder Sorgen ausgesetzt, bei anderen sind daneben Ausschweifungen, Trunk und Syphilis geradezu herkömmlich, wieder anderen Zweigen wenden sich vorzugsweise zarte oder nervös beanlagte Menschen zu. Dadurch erklärt sich ohne weiteres, daß Bankiers, Großkaufleute, Offiziere und Soldaten, Erzieherinnen, Künstler usw. verhältnismäßig viel Erkrankungen liefern.

Viel Staub hat in neuerer Zeit die Frage der Überbürdung der Schüler aufgewirbelt, worin Einzelne die Ursache häufiger Erkrankungen sehen wollten. In dieser Schärfe war die Behauptung übertrieben, bei den vorgeführten Fällen spielten erbliche Belastung und üble äußere Einflüsse eine sehr große Rolle. Immerhin ist es zweifellos, daß die Schule mit ihren im ganzen sehr pedantisch-philologischen Vorschriften und der noch viel zu geringen Berücksichtigung der Hygiene, der körperlichen Erholung usw. viel mehr Unheil in bezug auf die geistige Gesundheit der Schüler anstiften würde, wenn diese nicht als Sicherheitsventil gegen Überanstrengung die Unaufmerksamkeit besäßen. Deshalb sind auch Kinder im Einzelunterricht, wo das Aufmerken bis zu einem gewissen Grade erzwungen werden kann, viel mehr gefährdet. Kraepelin weist sehr richtig darauf hin, daß die 200000 Geisteskranken in Deutschland doch alle einmal Schulkinder gewesen sind. Gewiß wäre bei manchen davon ein schonenderer Unterricht heilsam gewesen!

3. Äußere Ursachen.

Die äußeren Ursachen der Geisteskrankheiten zerfallen in körperliche und geistige.

Unter den körperlichen Ursachen stehen obenan die Gehirnkrankheiten, allerdings nur dann, wenn sie (z. B. die Entzündung der Pia oder multiple Erkrankungsherde) ausgedehnte Ernährungstörungen in der Gehirnrinde hervorrufen oder durch allgemeine Drucksteigerung (Gehirntumoren) die Gehirntätigkeit stören. Örtliche Erkrankungen des Gehirns ohne Fernwirkung können ohne Einfluß auf die Geistesverrichtungen bleiben. Im ganzen sind die Kopfverletzungen wichtiger. Sie veranlassen häufig Geisteskrankheiten, entweder, indem sie chronische Entzündungen der Pia oder der Hirnrinde bewirken, oder indem sie auf unbekannte Art die Tätigkeit der Nervenzentren und der Gefäße des Gehirns stören. Die Erkrankung kann sich direkt an die Verletzung anschließen oder durch eine längere Zwischenzeit mit geringen Erscheinungen (Kopfschmerz, Reizbarkeit, Kongestionen) davon getrennt sein. Die Krankheitbilder, die danach auftreten, gehören meist zur Epilepsie, zum arteriosklerotischen Irresein oder zur Dementia paralytica, in leichteren Fällen zur Schreckneurose.

Häufig verbinden sich Geisteskrankheiten mit Nervenkrankheiten, Migräne, Neuralgie usw., doch darf man dabei die letzteren nicht schlechthin als Ursache betrachten. Vielmehr entspringen beide dann meist aus derselben Ursache, vgl. die Abschnitte Neurasthenie und Hysterie.

Eine wichtige Ursache geistiger Störungen bilden akute körperliche Krankheiten, vor allem akute Infektionskrankheiten: Typhus, Gelenkrheumatismus, Pneumonie, Influenza, Kopfrose, Malaria, Pocken, Kindbettfieber usw. Abgesehen von der Betäubung und der traumhaften Verwirrtheit der Fieberdelirien kommen bei manchen der genannten schon im Vorläuferstadium, aber gelegentlich auch bei allen ohne direktes Verhältnis zur Höhe des Fiebers geistige Störungen vor, die man demnach außer auf die Herzschwäche und den Säfteverlust auf die Vergiftung mit Bakteriengiften beziehen darf. Auch in ihren Erscheinungen sind diese Störungen nicht ohne Ähnlichkeit mit Vergiftungen, zumal durch Alkohol, Kokain, Chloroform, Jodoform, Blei, Kohlendunst, Absinth usw. Außer den Fieberdelirien und den Vergiftungspsychosen, die im Beginn und auf der Höhe oder bei kritischem Ende der Infektionskrankheiten vorkommen, gibt es auch Geistesstörungen, die erst nach dem Ablauf der akuten Krankheit einsetzen; sie sind als Erschöpfungspsychosen anzusehen. Eine ähnliche Stellung haben wohl die Geisteskrankheiten, die gelegentlich durch Entbehrungen, Hungern, Nachtwachen, verkehrte Kuren, oder auf dem Boden chronischer erschöpfender Krankheiten, Tuberkulose. Magen-, Herz-, Nierenleiden, Gicht, Diabetes, Karzinome usw. und namentlich auch chronischer Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane, erwachsen. Bei der Syphilis handelt es sich entweder um anatomische Veränderungen in den Zentralorganen mit eigentümlichen Krankheitsbildern, die in einem besonderen Abschnitt eingehender behandelt sind, oder um Toxinwirkungen, wie z. B. bei der Dementia paralytica. 1/4-1/3 der Anstaltskranken verdankt seine Krankheit dem Alkohol oder der Syphilis!

Die Vergiftungspsychosen bieten häufig gewisse klinische Verschiedenheiten, die mit verschieden lokalisierter Giftwirkung zusammenhängen dürften: so die Urteilschwäche bei Dementia paralytica, die sittliche Stumpfheit und Haltlosigkeit der Alkoholisten, die Teilnahmlosigkeit und Verkehrtheit bei Dementia praecox usw.

Unter den geistigen Ursachen der Psychosen sind namentlich Überanstrengung und Gemütsbewegungen zu nennen. In vielen Fällen wirken beide unheilvoll zusammen wie bereits S. 11 angedeutet ist. Im allgemeinen bewirken sie Geistesstörungen nur da, wo entweder erhebliche erbliche Anlage besteht, oder wo körperliche Ernährungstörungen mitwirken. Die Gemütsbewegungen sind meist solche, die längere Zeit einwirken, wie Kummer, Sorgen, seltener handelt es sich um plötzliche sehr heftige Affekte, Schreck u. dgl, die dann meist akute, seltener chronische Geistesstörungen hervorrufen: akute Verwirrtheit, Schreckneurosen.

Geistig bedingt sind auch die Psychosen durch Ansteckung, Folie à deux, Folie communiquée, wo durch Zusammensein mit einem Geisteskranken bei einem besonders dazu veranlagten Menschen eine Geistesstörung entsteht, meist Paranoia oder ein Grenzzustand.

Ein Gemisch von körperlichen und geistigen Einwirkungen erzeugt die recht häufigen Geisteskrankheiten der Gefangenen. In vielen Fällen erblich belastet haben sie Elend, Not, Angst vor der Entdeckung und die Beschwerden der Untersuchung, die Einsamkeit der Zelle bei ungewohnter Kost und ungenügender Bewegung, dazu noch Gram und Gewissensbisse zu ertragen, so daß also eine ganze Reihe von Schädlichkeiten auf sie einwirkt.

Die verschiedenen Ursachen des Irreseins, die wir kennen gelernt haben, wirken in der Tat in der verschiedensten Weise zusammen. Selten wird eine Erkrankung durch eine einzelne Ursache hervorgebracht. Wo die erbliche Anlage fehlt, müssen die äußeren Einwirkungen, um Krankheit zu erzeugen, besonders schwer sein, wie dies z. B. bei den akuten Infektionskrankheiten zutrifft, die den Gesamtstoffwechsel und zugleich die Gehirnernährung so schwer schädigen. Bei erblich Veranlagten oder gar Belasteten genügen weit leichtere Einflüsse, bei erheblich Belasteten sind oft schon die normalen Anforderungen des Lebens, z. B. zur Zeit des Selbständigwerdens, des Militärdienstes, hinreichend, um Seelenstörungen zum Vorschein zu bringen.

Besonderer Sorgfalt bedarf es in vielen Fällen, um bei der Beurteilung der Entstehung einer Geisteskrankheit nicht Ursache und Wirkung zu verwechseln. Von Laien geschieht dies sehr häufig, indem z. B. die mit einer abnormen Geistesanlage oder mit dem Beginn einer ausgesprochenen Geisteskrankheit verbundene Neigung zum Trunk, zu Onanie und anderen geschlechtlichen Ausschweifungen, zu hochfahrendem Auftreten gegen Andere u. dgl. m. für die Ursache der späteren Krankheit gehalten wird. Wo derartige Neigungen im Beginn akuter Störungen auftreten, ist die Unterscheidung bei gewissenhafter Anamnese meist leicht, weil der Gegensatz zu dem früheren Verhalten in die Augen springt. Freilich wird er oft dadurch verschleiert, daß man annimmt, der Betreffende sei z. B. durch Gemütsbewegungen zum Trunk getrieben und durch Trunk geisteskrank geworden, während er in Wahrheit durch Gemütsbewegungen krank wurde und in der Krankheit zu trinken begann. Wo das abnorme Verhalten auf dauernder abnormer Geistesbeschaffenheit, insbesondere auf erblicher Belastung beruht, ist die Erkennung nur auf Grund irrenärztlicher Erfahrung möglich. Die Laien sind deswegen in diesen Fällen meist schwer von der Wahrheit zu überzeugen, um so mehr, da in allen Kreisen eine Unmasse von törichten Vorurteilen aufgespeichert ist. Ein wichtiges Beispiel geben hier die häufigen Fälle, wo die Umgebung die Krankheitsursache je nach dem — oft trügerischen — äußeren Schein in Onanie, geschlechtlicher Nichtbefriedigung oder übermäßigem Geschlechtsgenuß sucht, während in Wahrheit alle drei Erscheinungen oder zum mindesten ihre üblen Folgen nur der Ausfluß der abnormen Veranlagung sind. Sehr oft trifft man es auch, daß die Angehörigen des Kranken in sehr bestimmter Weise irgend welchen Personen oder Vorfällen die Schuld beimessen, während es sich um von selbst entstandene Krankheiten, syphilitische Psychosen usw. handelt.

IV. Pathologische Anatomie und Chemie.

Eine pathologische Anatomie in dem Sinne, wie sie für die meisten körperlichen Krankheiten feststeht, ist für die Geisteskrankheiten noch zu schaffen. Für eine Reihe derselben ist anzunehmen, daß es sich um funktionelle Störungen handelt, d. h. um molekulare Veränderungen in der Hirnrinde, die teils den heutigen Untersuchungsmethoden noch nicht zugänglich sind, teils in flüchtigen Hyperämien und Anämien bestehen, die mit dem Ablauf des Lebens verschwinden und deshalb durch keine Untersuchung festgestellt werden können. Die funktionellen Neurosen und Psychosen beruhen in letzter Linie auf nutritiven Störungen der funktionstragenden Nervensubstanz und insbesondere der zentralen Nervenzelle, und zwar sowohl in einer Schädigung der assimilatorischen als auch der dissimilatorischen (kraftverbrauchenden) Prozesse innerhalb der Nervenzelle. Nach bestimmten Untersuchungen glaubt Binswanger die ausgleichbaren funktionellen Schädigungen, die einem völligen Ausgleich zugänglich sind, auf Partialschädigungen der Bestandteile der Nisslschen Körper in der Zelle beziehen zu können; je schwerer die Schädigung und je unvollkommener die Konstitution der Nervenzelle und je größer der Widerspruch zwischen Ansprüchen und Wiederersatz, um so schwerer ausgleichbar sind die Veränderungen. Vielleicht seien bei den bleibenden funktionellen Störungen der schweren Erschöpfung nicht nur die Nisslschen Körper, sondern auch die funktionstragende Nervensubstanz im engeren Sinne, das Neurosoma Helds, mitbeteiligt, aber auch hier könne es sich nur um Partialschädigungen handeln, weil die Funktion nur herabgemindert, nicht aber aufgehoben und dauernd vernichtet sei. Bei noch stärkeren Einwirkungen kann die ganze Nervenzelle ergriffen werden und können nicht nur die Nisslschen Granula, sondern die ganze Zelle zerstört werden, was Binswanger speziell für das Delirium acutum nachgewiesen hat. Insbesondere können die syphilitischen Toxine alle Grade von Veränderungen bewirken, von Partialschädigungen, die das Bild der Neurasthenie bis zu verwickelten Paranoiafällen ergeben, bis zu den schweren Degenerationen bei viszeraler und zerebraler Syphilis und Dementia paralytica, und zwar können bei der langdauernden, oft schubweise erfolgenden Einwirkung syphilitischer Toxine auf das Nervensystem die verschiedensten Grade der Schädigung nebeneinander vorkommen (Neurasthenie neben bleibenden Herdsymptomen, reflektorischer Pupillenstarre, Aufhebung des Patellarreflexes u. dgl. ohne fortschreitenden Verlauf).

Für die Dementia paralytica, die arteriosklerotischen Störungen, die Dementia senilis und für die Idiotie liegen schon heute zahlreiche pathologisch-anatomische Befunde vor, die bei diesen Krankheiten besprochen werden sollen. Endlich finden sich grobe Veränderungen, die schon für das bloße Auge sichtbar sind, bei allen länger bestehenden und mit Verblödung verbundenen Geisteskrankheiten. Zunächst an den Umgebungen des Gehirns, am Schädel in Gestalt von Exostosen oder von allgemeiner Verdickung, an der Dura mater als Verwachsung mit dem Schädeldach, zumal an den Nähten, oder als chronische Pachymeningitis. Wichtiger noch sind die Veränderungen der weichen Hirnhaut. Diese ist getrübt, hyperämisch oder zellig infiltriert, wäßrig oder sulzig verdickt, die größeren Gefäße sind oft strotzend gefüllt. Diese Veränderungen sind meist in der Gegend der Sylvischen Spalte und an der Konvexität des Gehirns am stärksten. Nicht selten besteht erhebliche Ansammlung klarer oder leicht getrübter Flüssigkeit im Subduralraum und in den Gehirnhöhlen. Die weiche Haut ist in vielen Fällen mit der Gehirnrinde verwachsen und nicht ohne Abreißung von Rindenteilchen abzulösen, andre Male ist sie nicht verlötet und gerade wegen ihrer Verdickung leicht abziehbar. Auch die Plexus chorioidei sind oft verdickt und getrübt, das Ependym der Ventrikel, zumal des vierten, verdickt und mit zahlreichen ganz feinen, nur im spiegelnden Licht erkennbaren Körnchen besetzt oder durch gröbere in eine sich rauh anfühlende Fläche verwandelt. In der Gehirnmasse wechseln die Festigkeit und der Blutgehalt; punktförmige Blutergüsse und Erweiterungen der perivaskulären Räume, wodurch ein eigenartiges, siebähnliches Aussehen, état criblé, entsteht, sind häufig, ebenso umschriebene Veränderungen der Färbung und der Festigkeit. Die Gehirnwindungen sind häufig deutlich atrophisch, wie sich aus der Verbreiterung der Furchen und minder sicher bei der Betrachtung ihrer Schnittflächen ergibt; oft ist die Rinde blaß und die Zeichnung ihrer Schichten verwischt. Dabei kann sie erweicht oder von vermehrter Festigkeit sein. Die mikroskopische Untersuchung hat besonders für die Dementia paralytica arteriosclerotica und senilis, für einzelne Formen von Idiotie, für das Delirium tremens und anscheinend auch für die Dementia praecox bestimmte Befunde ergeben, doch stehen wir hier noch im Anfang der Kenntnisse. Der anatomische Befund gestattet bisher nur in den angeführten Krankheiten die Diagnose der Krankheitsform. Starke Veränderungen der Gehirnoberfläche in der eben geschilderten Art machen das Vorherbestehen einer schweren Geisteskrankheit sehr wahrscheinlich, dagegen schließt ein anscheinend normaler Befund nicht aus, daß der Betreffende bis zu seinem Tode geisteskrank gewesen ist.

Die Versuche, aus allgemeinen Stoffwechselbeobachtungen einen Einblick in die chemischen Vorgänge des Gehirns von Geisteskranken zu gewinnen, haben bisher nichts Bestimmtes ergeben. Sowohl über die physikalische als über die chemische Beschaffenheit des Blutes haben die Forscher die verschiedensten Erfahrungen veröffentlicht, und ebenso ist es mit den Harnuntersuchungen, zumal auf Harnstoff und Phosphorsäure, gegangen. Es wird damit auch jedenfalls erst dann Besseres zu erzielen sein, wenn eine gewisse Einigkeit über die Abgrenzung der einzelnen Formen erzielt sein wird; es ist natürlich sehr wahrscheinlich, daß die verschiedenen Krankheiten darin sehr voneinander abweichen werden.

V. Die allgemeinen Erscheinungen der Geisteskrankheiten.

Das einheitliche und in seiner Tätigkeit tatsächlich unteilbare Seelenleben kann man sich zum Zweck der Betrachtung und Erforschung in Teile zerlegt denken. Die herkömmliche Einteilung zerlegt die geistigen Vorgänge in Wahrnehmung, Vorstellen und Streben. Die Sinneseindrücke werden aufgenommen und gedeutet, mit vorhandenen Vorstellungen verknüpft und je nachdem wieder wachgerufen, unter wechselnder Gefühlsbetonung, und schließlich werden die Vorstellungen in Willensantriebe und Handlungen umgesetzt. In jedem dieser Gebiete können krankhafte Störungen auftreten.

1. Störungen der Wahrnehmung.

Unter normalen Verhältnissen ruft nur die spezifische Reizung des Sinnesorgans und höchstens ausnahmsweise die mechanische, elektrische u. s. w. Reizung des Sinnesnerven im Sinneszentrum eine Empfindung und im Bewußtsein eine Wahrnehmung hervor. Der Schein einer im Gesichtskreis befindlichen Kerze wird im Sehzentrum gesehen und vom Bewußtsein wahrgenommen, die elektrische Reizung des Sehnerven oder ein Druck auf den Augapfel rufen ebenso eine Lichtempfindung hervor. Nach einer älteren Anschauung haben die Empfindungen in den subkortikalen Zentren, die Wahrnehmungen und die Erinnerungsbilder in der Rinde ihren Ort; nach der gegenwärtigen Anschauung werden alle Empfindungen und Erinnerungsbilder in der Rinde selbst niedergelegt und aufbewahrt, man nimmt aber doch eine örtliche Trennung für sie an, wahrscheinlich nach den verschiedenen Schichten der Rinde. Wernicke unterscheidet die Empfindung als kortikal, die bewußte Wahrnehmung als transkortikal. Wie man sich aber diese Lokalisation vorstellen mag, jedenfalls ist eine Trennung zwischen dem Sinneseindruck und seinem Erinnerungsbilde, der latenten Sinnesvorstellung, notwendig. Auch unter den krankhaften Verhältnissen, die hier in Frage kommen, wird diese Unterscheidung deutlich. Es kommen nämlich Halluzinationen, d. h. Sinneswahrnehmungen ohne äußeren Reiz, unter Umständen auch nach völliger Zerstörung der peripheren Organe, bei völliger Erblindung, Taubheit u. s. w., in dreierlei Art vor. Zunächst in Form einer krankhaften Erregung des Empfindungszentrums in der Rinde: Perzeptionshalluzination, wobei auf die Wahrscheinlichkeit dieses Sitzes hinweisen: die Beschränkung auf ein Sinnesgebiet, die Unabhängigkeit von den gegenwärtigen Vorstellungen des Betreffenden, dem sie sofort als etwas Fremdes, Abnormes auffallen; häufig beschränken sie sich auf ziemlich elementare Wahrnehmungen. Beim Geistesgesunden finden sie sich zuweilen in dem Übergangszustand zwischen Wachen und Schlaf als sogenannte hypnagogische Halluzinationen; in manchen Fällen werden sie durch Reizzustände im peripheren Sinnesorgan: Glaskörpertrübungen, Hyperämie der Netzhaut, chronische Entzündungen des Mittelohrs, experimentell durch Druck auf den Augapfel (z. B. bei Deliranten) usw. hervorgerufen und treten dann zuweilen einseitig auf. Die kortikal bedingten pflegen sich aber nicht wie die peripher erzeugten auf subjektive Lichterscheinungen und Geräusche zu beschränken, sondern sich als Bilder, Worte u. dgl. zu äußern. Dabei haben sie genau dieselbe Deutlichkeit wie die wirklichen Sinneswahrnehmungen und können daher nur durch Beobachtung und logische Schlüsse als äußerlich unbegründet erkannt werden.

Die zweite Art der Halluzinationen stellt Erinnerungsbilder von besonderer Lebhaftigkeit dar, die wahrscheinlich durch eine zentrifugale Reizung, ein Mitschwingen des kortikalen Empfindungszentrums bewirkt wird. Die Halluzination wird hier also auf psychologischem Wege vermittelt, sie ist nicht mehr rein physiologisch-mechanisch begründet. Deshalb entspricht sie weit mehr als die Perzeptionshalluzination dem augenblicklichen Denkinhalt. Jeder Affekt begünstigt solche lebhaften Reproduktionen.

Eine dritte Art, die nur uneigentlich dazu gerechnet wird, stellt in Wahrheit keine Sinnestäuschungen dar, sondern Vorstellungen, die sich jedoch durch ihre große Lebhaftigkeit von den gewöhnlichen Vorstellungen für das Gefühl der Betreffenden deutlich unterscheiden. Man bezeichnet diese (transkortikalen) Erscheinungen als psychische oder Apperzeptions- oder auch als Pseudohalluzinationen. Sie pflegen sich ganz nach dem Inhalte des Denkens zu richten und mehrere oder alle Sinnesgebiete gleichzeitig zu umfassen. Sie stehen der Art nach zwischen den eigentlichen Halluzinationen und den bloß reproduktiven Vorstellungen; sie haben die Deutlichkeit wirklicher Wahrnehmungen, werden aber von intelligenten Kranken deutlich davon unterschieden. Von den normalen Vorstellungen unterscheiden sie sich u. a. dadurch, daß sie ohne das Gefühl eigener innerer Tätigkeit und unabhängig vom Willen auftreten.

Die Unterscheidung der drei Arten ist in Wirklichkeit nur unvollkommen möglich, ihre krankhafte Bedeutung wohl auch nicht wesentlich verschieden. Wenn bei den beiden ersten die sinnliche Deutlichkeit überwiegt und ihre kritische Scheidung von den gleichzeitigen wirklichen Eindrücken erschwert, also die Verfälschung des Urteils erleichtert, so hat bei den Pseudohalluzinationen die Übereinstimmung mit dem Denkinhalt dieselbe Wirkung. Gerade die Undeutlichkeit der Sinneseindrücke erhöht hier die Schiefheit der Wahrnehmung.

Neben den Halluzinationen steht, zuerst durch Esquirol (vgl. S. 4) davon unterschieden, die Gruppe der Illusionen, wobei ein tatsächlicher Sinnesreiz verfälscht in das Bewußtsein tritt. Manchmal wird etwas gesehen, gehört usw., was nicht da ist, bei höheren Graden wird etwas, was da ist, nicht gesehen, und dazu etwas nicht Tatsächliches hinzu gesehen oder gehört. Illusionen kommen im Bereich des Gesunden überall da leicht vor, wo ein undeutlicher Sinneseindruck mit einem gewissen Affekt oder mit anderweitig begründeter ungenauer Beobachtung, z. B. bei Ermüdung, zusammentrifft. Vorzüglich dargestellt hat Goethe die Illusionen des Knaben im Erlkönig.

Eine scharfe Scheidung zwischen Halluzinationen und Illusionen ist praktisch nicht durchführbar, beim Gehör und beim Gesichtsinn noch am ehesten; beim Geschmack-, Geruch-, Tastsinn und bei den Gemeingefühlen läßt sich nicht ohne weiteres erkennen, ob eine abnorme Empfindung, z. B. Kotgeschmack, halluziniert wird, oder ob er auf einen Mundkatarrh zurückzuführen ist und eine illusionäre Verkennung des bekannten pappigen Geschmacks vorliegt. Besonders schwer wird auch die Trennung von den Pseudohalluzinationen, die sich mit wahnhaften Auslegungen untrennbar verbinden.

Halluzinationen kommen bei Geistesgesunden viel seltener vor als Illusionen, verhältnismäßig am häufigsten wohl in der zweiten Form, als Vorstellungsbilder von plastischer Lebhaftigkeit, wie sie namentlich von Künstlern auch willkürlich hervorgerufen werden können (optisch oder akustisch). Hierher dürfte Goethes bekannte Selbstvision im hechtgrauen Anzug auf dem Weg nach Sesenheim zu rechnen sein: »Ich sah, nicht mit den Augen des Leibes, sondern des Geistes, mich mir selbst denselben Weg, zu Pferde wieder entgegen kommen, und zwar in einem Kleide, wie ich es nie getragen: es war hechtgrau mit etwas Gold. Sobald ich mich aus diesem Traum aufschüttelte, war die Gestalt ganz hinweg.« Dagegen dürfte Luthers Teufelsvision als Pseudohalluzination aus dem Kreise lebhafter Vorstellungen heraus in einem durch Askese und Arbeit überreizten Gehirn zu betrachten sein. Jedenfalls bleiben Halluzinationen und Illusionen bei Gesunden vereinzelt und ohne dauernde Herrschaft; bei geistig Abnormen dagegen gewinnen sie meist einen unwiderstehlichen Einfluß auf das ganze Denken. Dazu trägt viel bei, daß sie meist bei einem schon bestehenden krankhaften Zustande der Vorstellungen und ihrer Gefühlsbetonung auftreten, der die Kritik ähnlich beeinträchtigt, wie unter normalen Verhältnissen eine Erwartung oder eine Gemütsbewegung die ruhige Beobachtung stört. So treten z. B. leicht Gehörshalluzinationen auf, wenn ein Kranker ein paar Menschen miteinander sprechen sieht, ohne sie verstehen zu können. Bei vorhandener Erregung der Zentren, zumal bei Erwartungsspannung, kann jeder Sinneseindruck eine Halluzination bewirken. Die Disposition für Halluzinationen wird allgemein gesteigert durch Gemütsbewegungen, Anspannung der Aufmerksamkeit (beides zusammen z. B. in der Gefängnishaft), Erschöpfung, besondere Erregung der Zentren (z. B. Vergiftung mit Kokain, Atropin), im Fieber usw.

Von den Sinnestäuschungen — so bezeichnet man Halluzinationen und Illusionen gemeinsam — sind die Gehörstäuschungen am häufigsten. Sie treten verhältnismäßig selten als elementare Täuschungen: Geräusche, Sausen, Klingen, Knall usw. auf, häufiger als komplexe Täuschungen, als »Stimmen«, wie sie von den Kranken sehr oft bezeichnet werden. Sie bestehen in einzelnen Worten, meist zunächst beleidigender oder aufregender Art, oder in ganzen Sätzen, zuweilen von verschiedenen Stimmen gesprochen, so daß der Kranke die Unterhaltung verschiedener Personen zu hören glaubt. Illusionen schließen sich in denselben Formen an die gewöhnlichen Geräusche des täglichen Lebens, an die Stimmen der Vögel und anderer Tiere. Die Stimmen sind bald laut, bald im gewöhnlichen Gesprächston, bald flüsternd, so daß ein Hinhorchen nötig wird. Bald scheinen sie unmittelbar vor dem Ohr (und zwar nur vor einem Ohr) zu entstehen, bald aus weiter Ferne, von Gott usw. zu kommen; durch Ausdeutung oder durch eigentümliche Nebenempfindungen werden sie in den Ofen, hinter das Schlüsselloch, unter den Fußboden, in den Leib oder in andere Teile des Kranken verlegt und in der verschiedensten Weise wahnhaft verwertet (vgl. unten). Die elementaren Täuschungen haben meist viel weniger Beziehung zum Vorstellungsinhalt als die komplexen.

Gesichtstäuschungen (Visionen) sind im ganzen seltener. Auch hier kommen alle Arten vor, von den einfachsten Funken- und Lichterscheinungen bis zu den umständlichsten, theaterähnlichen Darstellungen. Wie beim Gehörsinn verhalten sich beim Gesichtsinn die Halluzinationen auch insofern verschieden, als sie manchmal gerade bei gespanntem Hinsehen oder Horchen auftreten, andere Male nur dann, wenn die Augen verschlossen oder die Ohren verstopft werden. Dem Inhalt nach sind sie oft erschreckend, nicht selten aber auch beglückend, zumal in religiösem Sinne. Die Illusionen des Gesichtsinns äußern sich häufig in Personenverwechslung.

Geschmackstäuschungen kommen gleich den physiologischen Empfindungen dieses Sinnes am häufigsten mit Geruchstäuschungen vereinigt vor, während letztere mindestens ebenso oft allein auftreten. Alle Arten der normalerweise durch äußere Reize bewirkten Empfindungen werden als Halluzinationen oder als Illusionen beobachtet, meist mit unangenehmem Charakter.

Die Täuschungen im Gebiet des Gemeingefühls bieten, ebenfalls die größte Mannigfaltigkeit. Wie schon erwähnt, sind Halluzinationen und Illusionen hier besonders schwer zu trennen. Die Kranken fühlen Berührungen ihrer Haut in sehr verschiedener Weise, z. B. Streichen mit einer lebenden oder einer Totenhand, Zwicken, Stechen, Kriechen von unsichtbaren Tieren; es wird ihnen in den Mund oder ins Ohr gespieen, Sand in die Augen gestreut, Schlangen kriechen ihnen im Schlund oder im Leibe herum, die Eingeweide werden zerschnitten, der Same wird ihnen abgezapft, der Beischlaf mit ihnen vollzogen, unter Wollust- oder Schmerzgefühl, die Körperöffnungen oder einzelne Körperteile sind verschwunden; sie fühlen sich mit elektrischen Strömen durchzogen oder anderswie gepeinigt. Höchst eigentümlich sind die sogenannten Reflexhalluzinationen, Kahlbaum, wobei z. B. durch eine normale Gesichtswahrnehmung halluzinatorische Mitempfindungen in einem andern Sinnesgebiet auftreten; die Kranken fühlen sich mit der Suppe »ausgefüllt«, von der Dampfmaschine »zerdreht« usw. Beachtenswert ist auch das sogenannte Gedankenlautwerden, wobei dem Kranken alles, was er denkt oder liest oder sagen will, gleichzeitig oder, wie Viele angeben, schon vorher vorgesprochen oder auch nachgesprochen wird; die Erscheinung wird nach A. Cramer auf Halluzinationen im Muskelsinn der Sprachorgane bezogen, um so glaubhafter, da meistens in Sprachvorstellungen gedacht wird. Zum Teil machen die Kranken nur nachträglich den Schluß auf das Lautwerden ihrer Gedanken, weil sie die Vorgänge wahnhaft zu ihren Gedanken in Beziehung setzen.

Die Beobachtung der Sinnestäuschungen erfordert eine gewisse Übung. Nicht immer sind die Kranken geneigt, darüber Auskunft zu geben, sie verheimlichen und verleugnen sie aus verschiedenen Gründen, etwa weil sie ihnen selbst noch unklar oder unerklärt erscheinen, oder weil sie aus Erfahrung wissen, daß man die Zustände für krankhaft hält, auch wohl, weil die Stimmen selbst Schweigen darüber geboten haben. Dann gibt oft das Benehmen Hinweise: auffallendes Spähen oder Horchen, verzückter oder gespannter Ausdruck bei Gesichts- und Gehörstäuschungen, Verdecken des Gesichts bei Geruchstäuschungen, häufiges Ausspeien bei Geschmackstäuschungen, eigentümliche Stellungen und Bewegungen bei Störungen des Gemeingefühls. Gehörshalluzinanten erwidern den »Stimmen« häufig mit Schimpfworten oder in Sätzen, woraus man den Inhalt des Gehörten entnehmen kann.

Aber auch wo die Kranken selbst von Sinnestäuschungen berichten, muß man mit dem Urteil vorsichtig sein, weil unter Umständen tatsächliche Vorgänge oder auch Träume zugrunde liegen können. Der Beobachter hat stets die Verpflichtung, objektiv und ohne vorgefaßte Meinung zu prüfen. Eine Geisteskrankheit liegt nur vor, wenn zweifellose Sinnestäuschungen als normale Beobachtungen verwertet werden und keine Belehrung angenommen wird.

2. Störungen der Verstandestätigkeit.

Die Grundlage aller geistigen Vorgänge bildet die im vorigen Abschnitt in physiologischer und pathologischer Hinsicht besprochene Tätigkeit der Sinnesorgane. Nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensu. Der Sinnesreiz mag noch so flüchtig sein, der dadurch in der Großhirnrinde hervorgerufene Eindruck bleibt aufbewahrt, als eine materielle Veränderung, die beliebige Zeit schlummern, aber dann durch ähnliche Reize oder durch zufällige oder absichtliche Ideenassoziationen erweckt werden kann. Die meisten äußeren Dinge wirken nicht auf ein Sinnesorgan allein, sondern zugleich auf mehrere. Eine Persönlichkeit, die wir kennen lernen, prägt sich uns nicht nur nach ihrem Aussehen, also durch den Gesichtsinn, ein, sondern auch nach dem Klange ihrer Sprache, nach dem Gefühl ihres Händedrucks, und sie bleibt zugleich verbunden mit dem Ort, wo wir sie kennen lernten, und mit den Mitteilungen, die wir über sie erhielten; sie kann auch für uns dauernd in Verbindung treten mit den Erinnerungen an einen Ort, wohin sie reisen wollte oder wovon sie uns sprach, sie hat uns vielleicht durch ihre Kleidung, durch Eigentümlichkeiten des Ausdrucks oder der Haltung usw. an irgend jemand erinnert. Diese Andeutungen zeigen, wie verschiedenartige Verknüpfungen schon ein zufälliger Eindruck haben kann. Von allen diesen Anknüpfungspunkten kann später der Eindruck wieder wachgerufen werden; eine ähnliche Stimme, die wir irgendwo hören, kann uns die ganze Situation wieder ins Gedächtnis rufen, die dem ersten Eindruck zugrunde lag. Es ergibt sich daraus, daß erstens die Erregungen verschiedener Sinneszentren eng miteinander verbunden werden und bleiben, und zweitens, daß sich an Sinneseindrücke alsbald geistige Funktionen anschließen. Ungenaue und flüchtige Eindrücke werden regelmäßig durch Verknüpfung mit ähnlichen oder verwandten Erinnerungsbildern ergänzt. So verbessern wir beim Lesen unmerklich die Druckfehler, wir ergänzen halbgehörte Sätze eines Redners nach dem Sinn, natürlich um so vollkommener, je vertrauter uns der behandelte Gegenstand ist. Wo dagegen die zum Verständnis nötigen Assoziationen fehlen, ist die Möglichkeit irriger Auffassungen vorhanden. Die gesunde Geistestätigkeit befähigt zu genauen Wahrnehmungen, weil ihr die Eigenschaft der Aufmerksamkeit zukommt. Man versteht darunter nicht etwa eine besondere Geistesfunktion, sondern nur die erfahrungsmäßige Erscheinung, daß gewisse Eindrücke und Vorstellungen zeitweise im Vordergrund der Beobachtung und des Denkens stehen, entweder durch ihre hervorragende Deutlichkeit, als auffallende Teile des Gesamtbildes, oder durch den besonderen Gefühlston, der sie uns annähert und verwandte Assoziationen wachruft. Wir sehen z. B. im Straßengewühl der Großstadt entweder die auffallenden Erscheinungen, hören die lautesten Geräusche usw., wir können aber, wenn es uns genehm ist, bestimmte weniger auffallende Dinge beobachten und aus dem allgemeinen Lärm etwa die Klänge einer leise ertönenden Melodie heraushören. Ohne eine solche Auswahl würden wir beständig der Spielball trügerischer Wahrnehmungen und unangenehmer, für uns gleichgültiger oder störender Eindrücke sein. Jede stärkere Ermüdung bringt Zustände, die daran erinnern, insbesondere die Unfähigkeit, logischen Auseinandersetzungen zu folgen; der Ermüdete überhört wichtige Teile der Darstellung und wird durch jede unbedeutende Störung abgelenkt. In Erschöpfungspsychosen, bei der manischen Ideenflucht, bei akuten Vergiftungen mit Gehirngiften ist die Fähigkeit zur Konzentrierung der Aufmerksamkeit völlig verloren gegangen und damit die richtige Beurteilung der äußeren und inneren Vorgänge schwer gestört; dasselbe tritt ein, wenn durch organische Erkrankungen, wie bei Dementia paralytica, die Assoziationsbahnen untergehen, die den normalen Zusammenhang der Vorstellungen ermöglichen.

Die in ihrem Wesen noch völlig dunkle Umwandlung physiologischer Reize in psychische Vorgänge und die damit verbundene Wahrnehmung des Auftretens von Empfindungen, Vorstellungen, Gefühlen und Willensregungen nennen wir Bewußtsein. Aus der Gesamtheit der Organ- und Lagegefühle und der Lust- und der Unlustempfindungen des Organismus ergibt sich das Bewußtsein der Körperlichkeit; aus der Erfahrungserkenntnis, daß die früher erlebten und durch die Erinnerung erneuten geistigen Zustände demselben Subjekt angehören, resultiert das Bewußtsein der Persönlichkeit; diese beiden, die man auch als Selbstbewußtsein zusammenfaßt, stehen dem Bewußtsein der Außenwelt gegenüber, das die äußeren Vorgänge erfaßt. In gewissen Krankheitzuständen kann das Selbstbewußtsein aufgehoben sein, während das Bewußtsein der Außenwelt nicht erheblich gestört ist. Dadurch kommen dann scheinbar überlegte Handlungen zustande, die doch dem Bewußtsein des Handelnden fremd sind und auch nicht in die Erinnerung aufgenommen werden. Solche Dämmerzustände finden sich besonders bei Epilepsie und Hysterie und machen oft gerichtsärztliche Schwierigkeiten. Eine weitere Steigerung dieser Störung bezeichnet man als Bewußtlosigkeit; hier ist die Tätigkeit des Denkorgans völlig aufgehoben, es wird weder empfunden noch gedacht, und keine Willensregung tritt ein. Das Kennzeichen der Bewußtlosigkeit ist das nachträgliche Fehlen aller Erinnerungen für die betreffende Zeit, die Amnesie. Sie erstreckt sich oft auch noch auf die letzte Zeit vor dem Eintreten der Bewußtlosigkeit, so daß z. B. Erhängte, die wieder ins Leben gerufen werden konnten, oft gar nichts von ihren Selbstmordvorbereitungen wissen. Ebenso umfaßt die Amnesie des berauscht Gewesenen häufig auch die Zeit, wo der Betreffende noch ziemlich klar zu sein schien.

Bei gesundem Bewußtsein werden die Erinnerungen auch in verschiedener Deutlichkeit festgehalten. Das hängt einerseits, wie schon hervorgehoben wurde, von der Stärke des Eindruckes und seinem Gefühlstone ab, andererseits auch sehr wesentlich von dem Zustande des Gehirns. Die Fähigkeit des Gehirns, frische Eindrücke festzuhalten, nennt man, nach Wernicke, die Merkfähigkeit. Sie ist normalerweise größer in der Jugend als im Alter; krankhafte Störungen erleidet sie überall da, wo durch Zerfahrenheit der Assoziationen oder durch ungenaue Wahrnehmungen das Erinnerungsbild von vornherein matt aufgenommen wird. Insbesondere die chemische Schädigung des Gehirns durch Alkohol stört sehr die Merkfähigkeit, aber auch die gewöhnliche Ermüdung wirkt ungünstig darauf ein, zum Teil aus den eben genannten Gründen. Wiederholung der Eindrücke trägt sehr zur Festigung des Erinnerungsbildes und seiner Assoziationen bei; daher die Erscheinung, daß die in der Jugend erfahrenen und durch Wiederholen auswendig gelernten Vorstellungskreise bis in das späteste Alter geläufig bleiben: das Gedächtnis bleibt erhalten, auch wenn die Merkfähigkeit stark abnimmt. Das zeigt sich auch bei Krankheiten sehr deutlich; bei funktionellen Psychosen ist die Merkfähigkeit oft ganz aufgehoben, aber das Gedächtnis ungestört, soweit die Kranken zu Äußerungen zu bewegen sind; bei organischen Psychosen treten die Störungen des Gedächtnisses erst ein, wenn größere Teile des Assoziationsorganes zugrunde gegangen sind. Die geringeren Störungen der Merkfähigkeit äußern sich durch mangelhafte zeitliche Verknüpfung der Eindrücke; der Kranke weiß nicht mehr, ob er etwas Bestimmtes heute oder gestern erlebt oder erzählt hat usw. Indem dabei die Tatsachen gewissermaßen willkürlich geordnet werden, kommt es zu Entstellungen der Wahrheit, zu Erinnerungsfälschungen, ganz besonders, wenn Gefühlsbetonungen oder die Beteiligung der eigenen Persönlichkeit mitspielen, also die Wahrnehmung durch das Urteil mit beeinflußt wird. Wie es Gesunde gibt, die nach einem lebhaften Streit glauben, alles das gesagt zu haben, was ihnen in Wirklichkeit erst nachher als passende Antwort eingefallen ist, so wird unter krankhaften Verhältnissen noch in viel stärkerer Weise die Wirklichkeit mit den Zutaten der Einbildungskraft vermischt. Namentlich bei Dementia paralytica, im Delirium tremens, bei Psychosis polyneuritica und bei gewissen Formen von Paranoia und Dementia praecox kommt es dadurch zu den eigentümlichsten Konfabulationen. Auch eine Gruppe der Grenzzustände verdankt dieser Eigenart den Namen der Pseudologia phantastica, der pathologischen Lügensucht.

Zu den Erinnerungsfälschungen rechnet man auch die von Sander beschriebene Empfindung, ein eben stattfindendes Erlebnis schon einmal ganz ebenso durchgemacht zu haben. Die Erscheinung, die man auch als Doppeldenken bezeichnet, kommt bei Gesunden gelegentlich in Zuständen der Erschöpfung vor und ist bisher unerklärt. Daß sie auf ungleichzeitigem Denken beider Gehirnhälften beruhe, ist nicht anzunehmen. Unter krankhaften Verhältnissen kommt die Empfindung besonders ausgebildet bei Epileptischen und Hysterischen vor.

Wird der innere Zusammenhang des Vorstellungsablaufs gestört, so entsteht Verwirrtheit, Inkohärenz. Eine Andeutung davon bringen vielfach schon unruhige Träume, namentlich bei Übermüdung oder im Fieber, ferner gehört dazu das zusammenhangslose Denken in manchen Rauschzuständen. Das Wesen der Verwirrtheit liegt darin, daß nicht wie im normalen Zustande bestimmte leitende Vorstellungen das Denken beherrschen, sondern daß der Zufall äußerer oder innerer Reize die Assoziationen bestimmt. Bei geringeren Graden ist oft noch ein gewisser Zusammenhang der aufeinander folgenden Vorstellungen nachweisbar, oder eine Bestimmung durch äußere Eindrücke. Bei dieser Ideenflucht ist vielfach die äußere Ähnlichkeit der Worte, der Gleichklang oder der Rhythmus bestimmend für die Aneinanderreihung. Das akute Auftreten von Verwirrtheit ist ganz besonders an eine mehr oder weniger schwere, oft rauschartige Trübung des Bewußtseins gebunden: unter Umständen wird sie durch massenhaft auftretende Halluzinationen oder durch krankhafte Affektzustände begünstigt, doch sind diese nicht immer dabei vorhanden. Oft bildet die Verwirrtheit einen Teilzustand der erwähnten Dämmerzustände, im allgemeinen ist aber eine erhöhte Ablenkbarkeit der Vorstellungstätigkeit dazu erforderlich. Infolgedessen verbindet sich die geistige Verwirrtheit gewöhnlich auch mit einer Unstetigkeit und regellosen Geschäftigkeit der Bewegungen.

Eine andere wichtige Störung des Vorstellungsablaufes ist die Denkhemmung. Es besteht dabei, oft von den Kranken selbst deutlich und schmerzlich empfunden, eine Verlangsamung der Wahrnehmung und der Assoziationen und eine Beschränkung des Denkens auf bestimmte Gebiete, die der wohl immer zugrunde liegenden trüben Stimmung entsprechen. Die Erschwerung des Denkens kann so weit gehen, daß der Kranke dem Beobachter als erheblich schwachsinnig oder gar blödsinnig erscheint, während mit dem Schwinden des depressiven Affekts alsbald ein völlig ungestörtes Denkvermögen wieder da ist. Bei Besprechung der Melancholie wird darauf zurückzukommen sein.

Bei den Erinnerungsfälschungen greifen die sonstigen Vorstellungen des Betreffenden in die Wahrnehmungen verändernd ein. Bei andern krankhaften Zuständen werden, wie ebenfalls schon angedeutet ist, wenig oder gar keine Assoziationen gebildet, hier muß also außer der Gedächtnisschwäche auch eine Urteilschwäche