Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation - Marshall B. Rosenberg - E-Book

Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation E-Book

Marshall B. Rosenberg

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Beschreibung

Bei Auseinandersetzungen und Gewalt geht es immer auch um den Wunsch nach Wertschätzung und Respekt. "Im Herzen des Feindes" liegt der Kern des Problems - und die Lösung. Empathie ist der Weg. Im persönlichen Gespräch mit Gabriele Seils zeigt der international bekannte Psychologe, wie man Hass überwinden kann: Gewaltfreie Kommunikation ist möglich. Eine faszinierende Alternative.

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Marshall B.Rosenberg

Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation

Ein Gespräch mit Gabriele Seils

Impressum

Titel der Originalausgabe: Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation

Ein Gespräch mit Gabriele Seils

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2004, 2012

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung und -konzeption:

R·M·E München / Roland Eschlbeck, Liana Tuchel

Umschlagmotiv: © Getty Images

E-Book-Konvertierung: epublius GmbH, Berlin

ISBN (E-Book): 978-3-451-80454-0

ISBN (Buch): 978-3-451-05447-1

Vorwort

Was ist Gewaltfreie Kommunikation?

„Willst du lieber Recht haben oder glücklich sein? Beides zusammen geht nicht.“

Die Logik der Gefühle

„Das Ziel im Leben ist, all unser Lachen zu lachen und all unsere Tränen zu weinen.“

Die Sprache der Bedürfnisse

„Ein Konflikt ist tragischer Ausdruck eines unerfüllten Bedürfnisses.“

Die Philosophie der Fülle

„In jedem Moment haben wir das Potenzial, dem Leben zu dienen oder Leben zu zerstören.“

Die Macht der Empathie

„Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind . . .“

Im Herzen des Feindes

„Jenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort . . .“

Ausgleich zwischen Tätern und Opfern

„Recht ist nicht gleich Gerechtigkeit.“

Liebesbeziehungen als Konfliktschule

„Liebe ist kein Gefühl.“

Kinder gewaltfrei erziehen

„Stellen Sie sich vor, Ihr Kind wäre Gandhi . . .“

Gewaltfreie Kommunikation in der Schule

„Lehren heißt, den Schülern Lust aufs Reisen zu machen.“

Die Welt verändern – jetzt!

„Die Liebe zum Leben, die wir in uns spüren, nach außen tragen.“

Dankbarkeit ausdrücken und annehmen

„Das Leben feiern.“

Anmerkungen

Über das Buch und die Autoren

Vorwort

Als ich Marshall B.Rosenberg im Januar 2000 das erste Mal bei einem Seminar erlebt habe, war mir als hätte mich ein Lastwagen gestreift – in diesem Moment eröffneten sich mir ganz neue Perspektiven. Ich habe Marshall B.Rosenberg danach bei seiner Arbeit begleitet, Interviews geführt und als Lernende an Seminaren teilgenommen.

In das vorliegende Buch sind diese Erfahrungen eingegangen – zum größten Teil jedoch entstand es aus einem Gespräch mit Marshall B.Rosenberg an sieben aufeinander folgenden Abenden in seinem kleinen Haus mit Blick auf die Basler Voralpen. Ich war dabei immer wieder überrascht und bewegt von seiner Offenheit und Präsenz, zumal er tagsüber ein Seminar mit 40Teilnehmern geleitet hatte.

Marshall B.Rosenberg ist ein Praktiker. Seine Lieblingsantwort auf die Frage: „Was macht Sie so sicher, dass das funktioniert?“, ist: „Ich habe es ausprobiert.“ Die Gewaltfreie Kommunikation ist eine Methode, die sich auf der Basis ihrer Grundidee ständig weiterentwickelt hat und es immer noch tut. Der Schlüssel ist Mitgefühl: für sich selbst, für die eigene Wut, die eigenen Bedürfnisse. Das ist der erste wichtige Schritt.

Wer anfängt, sich auf die Haltung der Gewaltfreien Kommunikation einzulassen, erfährt, wie effektiv sie sein kann, wie Konflikte ihre Bedrohlichkeit verlieren, wie in scheinbar unlösbaren Situationen plötzlich Veränderung möglich wird. Marshall B.Rosenberg ist häufig in Kriegs- und Krisengebieten unterwegs. Ich lernte in unserem Gespräch seinen Kampfesgeist kennen, der zugleich seine verletzlichste Seite zeigt: Er will die Welt verändern, und er meint es ernst. Woraus er seine Kraft bezieht: Er öffnet sein Herz immer wieder für die Schönheit, aber auch für die Gewalt, die von Menschen ausgeht. Seine Liebe zum Leben darin zu spüren, seine Trauer und seine Tränen zu erleben – das hat mich sehr berührt.

Marshall B.Rosenberg lehrt die Gewaltfreie Kommunikation durch Beispiele. Er ist ein Geschichtenerzähler, dessen Geschichten man nicht vergisst. In ihnen verdichtet sich aus jahrelangen Erfahrungen gesammeltes Wissen, und sie bringen ein Problem auf den Punkt.

Ich freue mich, wenn dieses Buch allen, die noch nichts oder wenig über die Gewaltfreie Kommunikation wissen, etwas Profundes und Brauchbares im Umgang mit Konflikten vermittelt – und wenn es den Wissensdurst derer stillt, die bereits Feuer gefangen haben und sich eine Vertiefung wünschen. Im Gespräch bin ich darum in unterschiedliche Rollen geschlüpft, die alle auch ein Teil von mir sind: die neugierig Fragende und skeptisch Nachhakende. Die konfrontative Journalistin und jemand, der in konkreten Konflikten feststeckt. Die Schülerin, die schon tief in die Materie eingestiegen ist und die Trainerin, die selber Seminare zur Gewaltfreien Kommunikation gibt und es genießt, noch einmal ganz genau nachfragen zu können.

Mein Dank gilt allen, die mich beim intensiven Entstehungsprozess dieses Buches unterstützt haben: Ruth Hofmann für die besondere, inspirierende Qualität unserer Gespräche und für ihre tatkräftige Hilfe bei der Übersetzung des in englischer Sprache geführten Interviews. Heike Hahn danke ich dafür, dass sie mich mit ihren großen „Giraffenohren“ (Näheres im Kapitel „Die Macht der Empathie“) durch die Krisen gecoacht hat und für ihre ausführlichen und hilfreichen Kommentare, die mir die Arbeit leicht gemacht haben. Regine Reinhardt hat mich als „Testleserin“ mit ihrem begeisterten Interesse bei der gesamten Entstehung des Buches begleitet. Dami Charf, Susanne Zanker, Monika Flörchinger, Christoph Seils und Ulrike Schmidt haben mir in verschiedenen Phasen der Arbeit durch ihr Feedback genau die Ermutigung und Unterstützung gegeben, die ich jeweils brauchte.

Bei Barbara Kunz in der „Orchidea Lodge in Wasserfallen/​Reigoldswil durfte ich während des Interviews mit Marshall B.Rosenberg zu Gast sein. Ingrid Holler und das Verein Netzwerk Gewaltfreie Kommunikation in München haben mir im September 2003 spontan die freie Teilnahme an einem Seminar mit Marshall B.Rosenberg in Schney ermöglicht.

Judith Mark vom Verlag Herder danke ich für die Einfühlsamkeit in das Thema und die schöne Zusammenarbeit.

Mein Dank geht darüber hinaus an alle Menschen, die in mir und anderen den Mut und die Kraft erwecken – immer mehr – mit offenem Herzen zu leben.

Gabriele Seils

Was ist Gewaltfreie Kommunikation?

„Willst du lieber Recht haben oder glücklich sein?

Beides zusammen geht nicht.“

Sie arbeiten oft mit Menschen, die vorher noch nie von Ihrer Methode gehört haben. Wie fangen Sie an? Wie erklären Sie, worum es bei der Gewaltfreien Kommunikation geht?

Ich werde oft in Schulen eingeladen. Meistens sind es Schulen, in denen es Probleme zwischen Lehrern und Schülern gibt, zum Beispiel, weil kaum jemand Hausaufgaben macht oder im Unterricht mitarbeitet. Wenn ich dann vor der Klasse stehe, sage ich normalerweise: „Mein Name ist Marshall Rosenberg, ich schlage euch vor, dass wir uns heute mit dem Thema beschäftigen, das euch am meisten interessiert.“ Dann sind die Schüler erst mal irritiert, denn seit wann geht es in der Schule darum, was sie interessant finden? Meistens fragen sie mich dann: „Wer sind Sie überhaupt?“

Ich sage nur drei Worte: „Ich zähme Wölfe.“

Die Schüler: „Häh? Was soll’n das heißen?“

„Ich meine keine richtigen Wölfe, ich meine Leute, die Kommunikationsprobleme haben. Ich nenne solche Leute, Wölfe‘, und ich zeige ihnen, wie man besser miteinander reden kann. Versteht ihr, was ich meine?“

Ein Mädchen meinte neulich: „Ja, klar! Meine Schwester ist ein Wolf.“ Und ein anderer Schüler sagte: „Der Lehrer, der sonst da vorne steht, ist ein Wolf.“

Jeder kennt Wölfe. Manchmal ist es der Chef, manchmal ein Kind. Es kann auch der Partner sein, der Wolfssprache benutzt. Es kann jemand sein, den Sie sehr mögen, der Sie aber zur Weißglut treiben kann.

Zum Schluss frage ich die Schüler: „Beantwortet das eure Frage? Wenn nicht, dann sagt mir, was ihr noch wissen wollt.“ Und so kommen wir ins Gespräch.

Ich kann mir vorstellen, dass man sich eine Weile damit beschäftigen kann, die Liste der „bösen Wölfe“ zu vervollständigen. Wie gehen Sie dann weiter vor?

Ich bitte die Leute, mit denen ich arbeite, darum, das Verhalten der Wölfe zu beschreiben und zu benennen, was genau es ist an dem Verhalten eines anderen Menschen, das ihre Lebensqualität einschränkt.

In der Gewaltfreien Kommunikation geht es darum, eine einfühlsame Verbindung zu uns selbst und anderen aufzunehmen. Es geht um Mitgefühl, dieses wertvolle und zutiefst menschliche Potenzial.

Leider entfremdet uns Sprache, die wir gelernt haben, von unserer menschlichen Natur. Gewaltfreie Kommunikation hilft uns, dieses natürliche Einfühlungsvermögen wieder zu entfalten. Und ich glaube wirklich, dass wir Menschen eigentlich nichts mehr genießen, als zum Wohlergehen anderer Menschen beizutragen.

Wenn ich die Zeitung aufschlage, dann bekomme ich den Eindruck, dass wir sehr weit davon entfernt sind.

Ich sehe die Gewalt. Ich komme in meiner Arbeit ständig damit in Berührung. Aber das hält mich nicht davon ab, daran zu glauben, dass es die Freude am einfühlsamen Geben und Nehmen ist, die unserem natürlichen Wesen entspricht. Warum also die Gewalt?

Ich habe mich mein ganzes Leben lang mit dieser Frage beschäftigt. Es fing in meiner Kindheit an, als meine Familie 1943 nach Detroit, Michigan umzog, gerade rechtzeitig, um die Rassenkrawalle mitzuerleben, die in unserer Nachbarschaft ausbrachen. Wir haben tagelang unser Haus nicht verlassen, während um uns herum der Rassenkrieg tobte.

Und das war ein prägendes Erlebnis für mich als achtjähriger Junge. Ich habe gelernt, dass Menschen sich aufgrund ihrer Hautfarbe gegenseitig verletzen und umbringen. Und als ich zur Schule ging, bekam ich zu spüren, dass mein jüdischer Nachname Aggressionen bei anderen auslöste. Also bin ich mit der Frage aufgewachsen: Was bringt Menschen dazu, andere zu verletzen? Was gibt es ihnen, jemanden leiden zu sehen?

Gleichzeitig hatte ich das Glück, in meiner Familie das genaue Gegenteil zu erleben. Als meine Großmutter sterbenskrank war – sie war am ganzen Körper gelähmt–, kam jeden Abend mein Onkel zu uns und hat meiner Mutter geholfen, sich um meine Großmutter zu kümmern. Und ich konnte sehen, wie er dabei gestrahlt hat; ihn schien das mit tiefer Freude zu erfüllen. Und ich dachte: Warum ist das so, warum gibt es Menschen wie meinen Onkel und warum gibt es Menschen, die fähig sind, andere zu töten? Diese Fragen haben mich begleitet, als ich älter wurde. Ich habe Psychologie studiert, weil ich dachte, dort würde ich vielleicht etwas über diese Zusammenhänge erfahren. Ich habe das Studium mit einer Promotion abgeschlossen, aber ich hatte nicht wirklich befriedigende Antworten auf meine Fragen gefunden. In der Psychologie habe ich gelernt, dass Menschen, die gewalttätig sind, eine Störung haben. Ich glaube, dass es eine vereinfachende und gefährliche Perspektive ist, zu meinen, dass Gewalttätigkeit eine Krankheit ist. Ich wünschte, es wäre so einfach.

Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass es um Sprache und Kommunikation geht. Die Antwort auf die Frage nach der Ursache von Gewalt liegt in der Art und Weise, wie wir gelernt haben zu denken, zu kommunizieren und mit Macht umzugehen.

Als ich die Universität verließ, waren mir diese Zusammenhänge noch nicht so klar, und ich habe erst einmal eine eigene Praxis aufgebaut und als Psychotherapeut gearbeitet. Ich war ziemlich erfolgreich damit; irgendwann hatte ich ein großes Haus, meine drei Kinder gingen auf Privatschulen, ich hatte ein nettes Leben. Die meisten Menschen, die zu mir kamen, waren Frauen mit Depressionen. Und ich habe immer deutlicher gespürt, dass ich als Therapeut die ganze Zeit nur mit den individuellen Symptomen beschäftigt war, deren Ursache in meinen Augen ganz woanders, nämlich in den gesellschaftlichen Strukturen, in unserer Sprache, in den Machtverhältnissen zu finden waren. Diese Frauen waren nicht depressiv, weil sie krank waren. Ich meine, die Rolle, die Frauen seinerzeit hatten, würde vermutlich fast jeden Menschen in Depressionen stürzen. Also warum nicht lieber die Strukturen verändern, wenn sie zerstörerisch sind für die Menschen, die in ihnen leben?

Meine Arbeit mit den Klientinnen, die mit Depressionen zu mir kamen, war deshalb so erfolgreich, weil ich ihnen zugehört habe. Ich hätte ihnen eine Diagnose stellen, sie hätten Antidepressiva nehmen können, aber was ihnen geholfen hat, war: Ich habe ihnen, ihrem unglaublichen Schmerz und ihrer Verzweiflung, Empathie gegeben. Und das war es, was ihnen geholfen hat, was ihnen die Kraft gegeben hat, etwas zu tun, um ihre Lebenssituation zu verändern.

Ich konnte mich schließlich immer weniger mit meiner Rolle als Therapeut identifizieren und habe letztendlich meine Praxis aufgegeben und nach Formen gesucht, um Denk- und Machtstrukturen zu verändern, und nach einer Methode, die uns dabei helfen kann, uns selbst umzuerziehen. Und daraus ist irgendwann die Gewaltfreie Kommunikation entstanden.

Die Gewaltfreie Kommunikation wird auch „Giraffensprache“ genannt. In Ihren Workshops benutzen Sie nicht nur den Wolf als Symbol für eine entfremdete Kommunikation, sondern auch die Giraffe als Symbol für eine Sprache des Herzens. Giraffen haben riesengroße Herzen, mit deren Hilfe sie das Blut durch ihre langen Hälse in ihre Köpfe pumpen; sie haben keine natürlichen Feinde und sind einfach wunderbar geeignet, um mit allen denkbaren positiven Eigenschaften in Verbindung gebracht zu werden. Mittlerweile sind Giraffen und Wölfe in Form von Handpuppen weltweit im Einsatz. Was ist es eigentlich, das die Gewaltfreie Kommunikation zu einer so erfolgreichen Konfliktklärungsmethode macht?

Die Leute freuen sich am Anfang immer, dass die Gewaltfreie Kommunikation so einfach ist. Als nächstes stellen sie fest, wie schwierig sie ist. Die Grundidee der Methode ist tatsächlich ganz einfach. Erstens: Beobachte dich selbst – was ist lebendig in dir? Und zweitens: Wodurch würde sich deine Lebensqualität verbessern, was würde dein Leben bereichern? Lerne diese beiden Dinge zu kommunizieren, ehrlich, ohne jegliche Kritik. Es sind nur diese beiden Fragen. Es geht darum, sie gegenüber anderen Menschen auszudrücken und entsprechende Informationen von seinem Gegenüber empathisch aufzunehmen.

Um diese beiden Fragen zu beantworten, braucht man eine gewisse Sprachfertigkeit. Wenn uns etwas an dem Verhalten eines Menschen stört, ist es wichtig, präzise zu sein. Es gibt vier Komponenten, die ich für sehr nützlich halte. Erstens: Beobachte, ohne zu bewerten. Der erste Schritt in der Gewaltfreien Kommunikation ist also, einer anderen Person mitzuteilen, was uns nicht gefällt, ohne ihr Verhalten zu bewerten. Eine klare Beobachtung heißt: Halte dich einfach an die Tatsachen.

Zum Beispiel: Ein Mann sagt zu seiner Frau: „Du kannst einfach nicht mit Geld umgehen.“ Und sie sagt: „Immer musst du mich kontrollieren.“ Das sind keine Beobachtungen. Das sind Interpretationen und Bewertungen eines Verhaltens.

Der indische Philosoph Krishnamurti sagt: Die höchste Form der Intelligenz ist es, zu beobachten, ohne zu urteilen. In Studien über Rassismus und Sexismus wird deutlich, dass Menschen, die zu diskriminierendem Denken neigen, diese Differenzierung nicht vornehmen. Sie denken, ihre Vorurteile entsprächen den Tatsachen.

Das heißt, mit der Gewaltfreien Kommunikation müssten alle Vorurteile von der Welt verschwinden. Aber wie können wir überhaupt durchs Leben gehen, ohne Dinge zu bewerten? Urteilsvermögen ist doch eine überlebenswichtige Fähigkeit.

Ja, auf jeden Fall ist sehr wichtig, dass wir die Dinge bewerten können. Mir geht es darum, dass wir eine Form der Bewertung finden, die dem Leben dient. Wenn ich zum Beispiel das Verhalten eines anderen Menschen bewerte, kann ich das tun, ohne mich über ihn zu stellen. Es geht darum, wie ich meine Macht einsetze. Ich möchte mit anderen Menschen so umgehen, dass wir gemeinsam von dieser Macht profitieren. Es ist aber sehr verbreitet, mit Macht anders umzugehen, Macht über andere haben zu wollen. Eine beliebte Form von Machtmissbrauch ist zum Beispiel Schuld. Dabei gehen wir davon aus, dass andere Menschen unsere Gefühle kreieren. Dann mache ich mein Gegenüber dafür verantwortlich, wenn es mir schlecht geht. Ich sage zum Beispiel: „Du verletzt mich.“ Oder: „Ich bin enttäuscht von dir“, „Du machst mich wütend.“

Ein zentraler Aspekt der Gewaltfreien Kommunikation ist das Bewusstsein, dass andere Menschen nicht für unsere Gefühle verantwortlich sind. Das einzige, was unsere Gefühle beeinflussen kann, ist die Haltung, mit der wir reagieren. Wenn ich jedoch glaube, dass eine Äußerung wahr ist, wenn ich sie also persönlich nehme, dann fühle ich mich schlecht, dann schäme ich mich. Scham ist also eine weitere Form des Machtmissbrauchs. Wer sich schlecht fühlen will, dem schlage ich Folgendes vor: Benutze möglichst oft das Wort „falsch“. Überlege dir, wie du bist, wann du dich daneben benommen hast und wann du vorbildlich warst. Frag dich: Bin ich attraktiv? Bin ich kompetent? Wenn du dir so richtig die Laune verderben willst, dann denke auch ausgiebig darüber nach, wie andere Menschen sind, ob sie normal sind oder anormal, ob ihr Verhalten angemessen ist oder nicht.

Wenn es dir immer noch nicht reicht, dann kannst du dich auch noch der Frage widmen, was andere Menschen wohl von dir denken. Ob sie dich nett finden. Benutze möglichst auch das Wort „soll“. Was sollte ich tun, was sollten andere tun? Was glauben andere, was ich tun sollte?

O ja, das klingt irgendwie vertraut. Wie könnten wir auf produktivere Weise mit Macht umgehen?

Indem wir uns auf einfühlende Weise mit uns selbst und anderen Menschen verbinden. Indem unser Hauptmotiv ist, die Bedürfnisse aller im Blick zu haben. Indem wir uns in unserem Handeln nicht von Schuld- oder Schamgefühlen motivieren lassen. Wenn wir eine Sprache lernen, in der wir mitteilen können, wie es uns in jedem einzelnen Moment geht, welche Gefühle und Bedürfnisse in uns lebendig sind, dann ist es nicht schwer, mit anderen Menschen in einem empathischen Kontakt zu sein.

Jede Kultur, die ich auf dieser Welt kennen gelernt habe, stellt, jede auf ihre Weise, diese immer gleiche Frage: „Wie geht es dir?“ Es ist ganz natürlich, ja offensichtlich, das zu fragen. Wenn wir harmonisch miteinander leben wollen, wenn wir am Leben anderer Menschen Anteil haben wollen und uns gegenseitig unterstützen wollen, dann ist es wichtig zu wissen, wie es den Menschen um uns herum geht. Das meine ich mit dieser für mich so wichtigen Frage: Was ist lebendig in dir? Und obwohl diese Frage von universeller Bedeutung ist, ist sie längst zu einem leeren Ritual geworden. Die Menschen wissen nicht mehr, wie man diese Frage stellt, und sie wissen nicht, wie man sie beantwortet, weil sie die Sprache des Lebens nicht gelernt haben.

Die Frage nach dem, was in uns lebendig ist, ist tatsächlich sehr ungewöhnlich. Meistens ist es doch so, dass wir – besonders, wenn es Konflikte gibt – unsere ganze Energie in die Suche nach dem Schuldigen stecken und danach, wer Recht hat und wer nicht.

In dem Buch „Ein Kurs in Wundern“1 heißt es: „Willst du lieber Recht haben oder glücklich sein?“ Das ist eine wichtige Entscheidung, die wir in jedem Moment unseres Lebens treffen müssen. Beides zusammen geht nicht.

Um dieser Frage– Was ist lebendig in dir? – nachzugehen, habe ich die erste Komponente der Gewaltfreien Kommunikation Beobachtung genannt. Was ist der Auslöser? Was hat die andere Person getan, das dich in deiner Lebensqualität einschränkt? Die zweite Komponente sind Gefühle. Wie fühlst du dich, wenn die Person sich so verhält?

Und die dritte Komponente sind die Bedürfnisse, die mit den Gefühlen verbunden sind. Wenn unsere Bedürfnisse erfüllt sind, dann haben wir angenehme Gefühle. Wenn sie nicht erfüllt sind, haben wir schmerzhafte Gefühle. Je bewusster wir uns unserer Bedürfnisse sind, desto selbstbestimmter können wir leben und desto besser können wir andere Menschen verstehen. Denn alle Menschen haben die gleichen Bedürfnisse. Das heißt, wenn wir unserem Gegenüber vermitteln können, was unsere Bedürfnisse sind, dann haben wir eine viel bessere Chance, dass diese Person bereit ist, etwas zur Erfüllung dieser Bedürfnisse beizutragen, als wenn wir sie angreifen und kritisieren.

Und wenn meine Bedürfnisse nicht erfüllt sind, dann kommt die andere Frage ins Spiel, die ich genannt habe: Wodurch würde sich deine Lebensqualität verbessern? Und dafür habe ich die vierte Komponente der Gewaltfreien Kommunikation entwickelt: die Bitte. Im vierten Schritt geht es also darum, eine klare Bitte zu äußern, das heißt, positiv zu formulieren, was ich von der anderen Person will – nicht, was ich nicht will – und dabei klare Handlungsangebote zu machen: Worum bitte ich die andere Person, was möchte ich von ihr? Es geht nicht darum, was sie denken soll oder wie sie sich fühlen soll, nicht, wie sie sein soll. Sondern es geht um ganz konkrete Handlungen, um die ich sie bitte, damit mein Leben bereichert wird.

Eine Frau sagt zum Beispiel zu ihrem Mann: „Ich will nicht, dass du soviel arbeitest.“ Das ist keine konkrete Bitte.

Vielen Menschen fällt es schwer konkrete Bitten zu äußern. Man muss sich in dem Moment bewusst darüber sein, was man eigentlich genau will. Dieser vierte Schritt ist sehr wichtig, denn um etwas ganz Einfaches zu bitten, kann die Welt verändern. Und es macht vielen Menschen Angst, danach zu fragen, was sie jetzt, in diesem Moment wollen. Es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und die Welt zu kreieren, in der man leben will.

Wie könnte denn die konkrete Bitte der Frau lauten, die möchte, dass ihr Mann nicht so viel arbeitet?

Zum Beispiel: „Ich möchte gerne, dass du mir sagst, ob du bereit bist, einen Abend in der Woche mit mir zu verbringen und einen mit den Kindern.“

Der Hauptgrund dafür, dass unsere Bedürfnisse unerfüllt sind, ist, dass wir keine klaren und konkreten Bitten geäußert haben.

Also, die Sache ist doch eigentlich ganz einfach. Die Frage ist: Was ist lebendig in mir, was ist lebendig in dir und wie können wir gemeinsam dafür sorgen, dass das Leben reicher und schöner wird?

Die Logik der Gefühle

„Das Ziel im Leben ist, all unser Lachen zu lachen und all unsere Tränen zu weinen.“

Die Grundidee der Gewaltfreien Kommunikation ist also ganz einfach, aber die Umsetzung ist nicht leicht.

Ja, die Herausforderung ist, anderen Menschen offen mitzuteilen: „Hey, wenn du so handelst, dann passiert Folgendes in mir. So fühle ich mich, das brauche ich. Und das ist es, worum ich dich bitten will.“ Und das alles, ohne die andere Person moralisch zu verurteilen und ohne Forderungen zu stellen. Eine Bitte ist dann keine Forderung, wenn wir respektvolles Verständnis aufbringen, wenn die andere Person das, worum wir sie bitten, nicht tut, aus welchem Grund auch immer. Wenn wir Gewaltfreie Kommunikation benutzen und einen Menschen um etwas bitten, dann wollen wir, dass er unsere Bitte nur dann erfüllt, wenn er wirklich bereit dazu ist.

Dabei ist es wichtig, im Auge zu behalten, dass die meisten Mensche es nicht gewohnt sind, dass sie frei entscheiden können, ob sie einer Bitte nachkommen wollen oder nicht. Was sie kennen, sind Forderungen und deren Konsequenzen. Deshalb haben die meisten Menschen Probleme damit, einer solchen Haltung gleich zu vertrauen und hören schnell in der Bitte eine Forderung. Wir bezahlen jedes Mal teuer dafür, wenn jemand etwas von uns als Forderung oder Kritik hört, denn es zerstört die einfühlsame Verbindung und die Freude am Geben. Und das ist etwas sehr Wertvolles, das man in einer Beziehung nicht verlieren möchte.

Also, kurz gesagt: Es geht darum, herauszufinden, was man fühlt, was man braucht und was man will, denn das wissen die meisten Menschen nicht.

Das ist auch nicht wirklich erstaunlich, denn eine herkömmliche Sichtweise auf Konflikte ist, sie möglichst zu vermeiden. Und wenn das nicht geht: auf jeden Fall sachlich zu bleiben, die Gefühle im Zaum zu halten, auch mal nachzugeben und offen für Kompromisse zu sein. Sie sagen nun, es geht in erster Linie darum herauszufinden, was ich fühle und was ich brauche. Wie hängen denn diese in der Gewaltfreien Kommunikation so zentralen Begriffe „Gefühle“ und „Bedürfnisse“ zusammen? Und warum sind die Gefühle so wichtig, um die Bedürfnisse zu identifizieren?

Gefühle und Bedürfnisse sind nicht voneinander trennbar. Bedürfnisse werden durch Gefühle sichtbar, erkennbar. Darin liegt die Bedeutung von Gefühlen. Das ist wie bei den Signallämpchen im Auto. Wenn das rote Licht angeht, dann wissen wir, dass der Tank leer ist. Das gelbe Licht zeigt das elektrische System, Öl und Wasserstand an. Das sind die Gefühle. Entweder alles funktioniert oder irgendetwas muss repariert oder nachgefüllt werden. Das heißt, die Gefühle sind wie die Signale auf dem Armaturenbrett, sie geben Auskunft über die Bedürfnislage. Also übertragen heißt das, wenn ich schmerzhafte Gefühle habe, dann weiß ich, ein Bedürfnis wird gerade nicht erfüllt. Und dann kann ich mir überlegen, was ich unternehmen will, um das Problem zu beheben.

Das Bild gefällt mir, weil es zeigt, dass Gefühle – unabhängig davon, ob es angenehme oder unangenehme Gefühle sind – eine wichtige Funktion eines intakten Systems sind.

Was auch immer das Gefühl ist – ob Schmerz oder Freude–, es ist ein Geschenk und seine Schönheit liegt darin, dass es wahr ist und dir zeigt, dass du lebendig bist.

Ich denke, das Ziel im Leben ist nicht, immer glücklich zu sein, sondern all unser Lachen zu lachen und all unsere Tränen zu weinen. Was auch immer sich in uns offenbart, es ist das Leben, das sich darin zeigt und es ist immer ein Geschenk, sich damit zu verbinden.

Man kann also im Prinzip alle Gefühle diesen zwei Grundgefühlen unterordnen: Schmerz und Freude.

Ja. Früher habe ich sie in positive und negative Gefühle unterteilt. Und dann habe ich gesehen, dass diese beiden Kategorien implizieren, dass es Gefühle gibt, die „schlecht“ sind, anstatt als Teil des Lebens gesehen zu werden. Jetzt nenne ich sie: Gefühle, die entstehen, weil Bedürfnisse erfüllt sind, und Gefühle, die entstehen, weil Bedürfnisse nicht erfüllt sind.

Daniel Goleman bezieht sich auf die wichtige Rolle der Gefühle in seinem Buch „Emotionale Intelligenz“. Er sagt, es ist die natürliche Funktion von Schmerz, uns zu warnen, wenn die Versorgung der Grundbedürfnisse in Gefahr ist. Kein Lebewesen würde lange überleben, wenn es keine Gefühle hätte. Wenn wir zum Beispiel dieses unbehagliche Gefühl haben, das wir Hunger nennen, dann besorgen wir uns etwas zu essen. Und so haben alle Gefühle eine natürliche, lebenswichtige Funktion.

Es gibt Gefühle, die sich so gar nicht produktiv anfühlen. Wie ist es mit Wut und Ärger?

Nehmen wir mal ein ganz einfaches und harmloses Beispiel aus dem Alltag, eines, das jeder kennt: Angenommen, ich lebe mit jemandem, Freund, Partnerin, Mitbewohner oder mit einem Kind zusammen und diese Person hat die Angewohnheit, wüstes Chaos um sich zu verbreiten,alles herumliegen zu lassen und nie sauberzumachen. Irgendwann fängt der Ärger darüber an, sich so in mir zu verbreiten, dass ich wütend bin, sobald ich diese Person sehe. Wie stelle ich das jetzt an, mich dem anderen gewaltfrei mitzuteilen?

Ich lege Ihnen nahe, gar nichts zu sagen, bevor Sie nicht die Ursache des Ärgers gefunden haben und wieder mit dem Leben verbunden sind. Um Ärger gewaltfrei auszudrücken, müssen wir uns bewusst machen, dass es niemals die andere Person ist, die uns ärgerlich macht. Ärger wird durch Denken verursacht. Es ist wichtig, Auslöser und Ursache des Ärgers zu unterscheiden. Also, was ist in diesem Fall die Ursache für den Ärger?

Mein Bedürfnis nach Ordnung und Sauberkeit an einem Ort, wo ich mich zu Hause fühlen möchte, ist nicht erfüllt. Und ich möchte, dass das respektiert wird.

Es sind nicht die Bedürfnisse, die uns ärgerlich machen. Es ist nicht das Verhalten der anderen Person, das kann der Auslöser sein, aber es ist nicht die Ursache. Die Ursache unseres Ärgers ist das, was wir denken. Also, was haben Sie über diese Person gedacht?

Sie sollte mehr saubermachen und überhaupt ordentlicher sein.

Aha, das habe ich mir gedacht. Wenn sich Ärger in unseren Herzen breit macht, dann haben wir ein „sollte“ im Kopf. Eines der gefährlichsten Worte, das die Menschen erfunden haben. Also, am besten ist es erstmal, das „sollte“ aus dem Kopf zu kriegen und es in ein Bedürfnis umzuwandeln. Wenn wir mit unseren Bedürfnissen verbunden sind, sind wir nicht mehr ärgerlich oder wütend. Kann sein, dass wir dann frustriert sind oder traurig, aber nicht wütend. Wir sind nur wütend, wenn wir vom Leben abgeschnitten sind.

Also: Wenn Sie von dem „sollte“ im Kopf zu den dahinter liegenden Bedürfnissen gelangt sind, dann könnten sie Folgendes sagen: „Ich bin gerade frustriert, weil ich mein Bedürfnis nach Respekt nicht erfüllt sehe, wenn die Wohnung nicht aufgeräumt ist.“

Und die konkrete Bitte wäre: „Wenn du die Küche benutzt, dann mache dort bitte hinterher sauber“?

Das ist ein Wunsch, keine Bitte. Eine konkrete Bitte bezieht sich auf den gegenwärtigen Moment, auf das, was ich jetzt gerade will. Und was Sie genannt haben, bezieht sich auf die Zukunft. Aber was möchten Sie jetzt von der Person?

Ich schätze, es wäre gut, um eine Rückmeldung zu bitten. Damit sie auch versteht, was Sie von ihr wollen. Soll sie denken, dass sie die verabscheuenswerteste Kreatur ist, die jemals auf Erden gelebt hat? Wenn man nicht um eine klare Rückmeldung bittet, dann kann es gut sein, dass genau das bei der anderen Person ankommt.

„Bitte sag mir, ob du bereit bist, die Küche sauberzumachen, nachdem du sie benutzt hast.“

Ja, das klingt nach einer konkreten Bitte. „Bitte sag mir“, das ist etwas, um das wir jemanden in diesem Moment bitten können.

Ich hätte wahrscheinlich, wenn ich in Ihrer Situation wäre, noch eine Bitte: „Kannst du mir bitte sagen, was du von mir gehört hast?“ Es ist nämlich nicht unwahrscheinlich, dass die andere Person nicht hört, was Sie sagen. Die Person hört stattdessen ein „soll“, obwohl Sie es gar nicht gesagt haben. Und dann könnten Sie fragen: „Wie kann ich dir meine Bedürfnisse mitteilen, ohne dass du einen Vorwurf hörst?“ Und sie wird sagen: „Häh?“ Das ist erstmal schwer zu verstehen, weil dahinter eine radikal andere Haltung steckt. Die meisten Menschen kennen den Unterschied nicht, sie haben immer nur Kritik und Forderungen gehört. Wenn Sie also mit dieser Person weiter zusammenleben wollen, dann helfen Sie ihr, diesen Unterschied zu sehen. Ansonsten wird es immer, wenn Sie ihr gegenüber ein Bedürfnis ausdrücken, endlose Kämpfe geben.

Ich sehe ein, dass es sich lohnt, mich mit einem Menschen, der mir nahe steht, über unterschiedliche Auffassungen zum Thema Ordnung und Sauberkeit auseinander zu setzen. Aber es gibt Auffassungen, die will ich überhaupt nicht diskutieren, weil ich sie nicht akzeptiere. Zum Beispiel diskriminierende Meinungen und Handlungen. Ich habe mir neulich tatsächlich von einem Mann anhören müssen: „Eine anständige Frau sollte zu Hause bleiben, kochen, für Mann und Kinder da sein.“ Ich meine, das ist doch offensichtlich falsch, und wenn jemand so etwas behauptet, dann ist er im Unrecht, finden Sie nicht? Und es gibtja auch Menschen, die aus abwertendem Denken heraus anderen gegenüber gewalttätig sind.

Ich finde, wir könnten folgende Worte aus unserem Vokabular entsorgen: richtig, falsch, gut, schlecht, normal, unnormal, kompetent, inkompetent. Das ist statische Sprache. Der Psychologe O.J.Harvey hat über den Zusammenhang von Sprache und Gewalt geforscht. Er ist um die ganze Welt gereist und hat die Sprache verschiedener Kulturen untersucht, wie häufig statische Sprache, also Worte, die festschreiben und beurteilen, in der Literatur dieser Kulturen vorkommt. Und dann hat er die Gewaltrate, Selbstmord, häusliche Gewalt, Gewalt gegen Kinder und Frauen in dieser Kultur damit verglichen. Die Korrelation zwischen statischer Sprache und Gewalt ist sehr hoch.

Gewaltfreie Kommunikation hingegen ist eine Prozesssprache. Das heißt, wir machen uns bewusst, dass wir uns in einem ständigen Veränderungsprozess befinden, und deshalb macht es eigentlich viel mehr Sinn, davon zu sprechen, was im Moment lebendig ist oder zu einem bestimmten Zeitpunkt lebendig war. Das heißt, alle Bewertungen von uns selbst und anderen sind immer nur Bewertungen innerhalb eines Prozesses. Man kann das Verb „sein“ auf zwei unterschiedliche Weisen benutzen. In Gewaltfreier Kommunikation würde ich sagen: „Bist du im Moment wütend?“ Aber wenn ich sage: „Du bist ein wütender Mensch“, dann ist das statische Sprache. Durch statische Sprache macht man aus Menschen leblose Dinge, und wenn man Menschen zu einem solchen Denken erzieht, dazu, dass es richtig und falsch gibt, normal und unnormal, dann ist diesem Denken inhärent, dass es ganz oben eine Autorität gibt, die weiß, was richtig und was falsch ist. Man muss die Hirne von Menschen schon sehr früh entsprechend formen, damit sie in solchen Strukturen funktionieren.

Der Theologe Walter Wink2 spricht in diesem Zusammenhang von Dominanzstrukturen. In den letzten ein- bis zweihundert Jahren hat die Menschheit einen kleinen Entwicklungsschub durchgemacht und gesellschaftliche Strukturen implementiert, die wir für fortgeschrittener halten als die Monarchie, in der eine Person über viele herrscht. Seit wie vielen Generationen leben Sie und Ihre Familie nicht mehr unter einem König?

Seit zwei Generationen.