Königsfall – Der Paladin - Jeff Wheeler - E-Book

Königsfall – Der Paladin E-Book

Jeff Wheeler

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Beschreibung

Als junger Knabe kam Owen Kiskaddon als Geisel an den Hof des grausamen Königs Severn. Inzwischen ist Owen ein junger Mann und durch seine einzigartige magische Begabung in der Gunst des Königs gestiegen. Doch dann strebt ein Usurpator nach der Krone Severns und dieser ergreift daraufhin drastische Maßnahmen. Er setzt Elysabeth – die Enkelin eines adeligen Lords und Owens große Liebe – als Lockvogel ein, um seinen Gegner in die Knie zu zwingen. Owen ist hin und hergerissen: Soll er seinem König treu dienen oder für die Frau seines Lebens alles riskieren?

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Seitenzahl: 512

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Das Buch

Um den Thron von Ceredigion zu besteigen, scheute Servern Argentine in jungen Jahren vor keiner Grausamkeit zurück. Er habe sogar seine eigenen Neffen, die rechtmäßigen Könige, töten lassen, so munkelt man hinter vorgehaltener Hand. Von seiner Burg aus, geschützt durch die in die Tiefe donnernden Wasserfälle, regiert er sein Königreich mit eiserner Hand.

Doch nun ist Severns Macht in Gefahr: Ein Usurpator, der behauptet, einer der verschollenen Königssöhne zu sein, greift nach der Krone. Unterstützt wird er durch die benachbarten Königreiche Ceredigions, die Severn in blutigen Kriegen unterworfen hat. Um dem vermeintlichen Hochstapler das Handwerk zu legen, schickt Severn Lady Elysabeth Mortimer zu ihm – die Frau, die Owen Kiskaddon innig liebt. Owen, der von der Heiligen Quelle berührt ist, ist inzwischen von der Geisel des Königs zu seinem engsten Berater aufgestiegen.

Doch dann ereilt Owen im Traum eine Vision – eine Vision, die nicht nur die Treue zu seinem König, sondern auch seine Liebe zu Elysabeth auf eine gefährliche Probe stellt …

Der Autor

Jeff Wheeler wurde 1971 in New Jersey, USA, geboren. Er wuchs in Silicon Valley auf und begann schon während seines Studiums eine Karriere bei Intel. Doch seit ihm in der Highschool Terry Brooks’ Die Elfensteine von Shannara in die Hände fiel, wusste er, dass seine wahre Berufung im Schreiben liegt. 2014 beendete er seine Karriere bei Intel und widmete sich ganz seiner Autorenlaufbahn. Seine Romane landen regelmäßig auf der Wallstreet Journal-Bestsellerliste. Der Autor lebt mit seiner Familie in den Rocky Mountains.

JEFF  WHEELER

KÖNIGS-

FALL

Der Paladin

Roman

Aus dem Amerikanischen übersetzt

von Johan Birken

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

THE THIEF’S DAUGHTER

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe 08/2019

Redaktion: Uta Dahnke

Copyright © 2016 by Jeff Wheeler

Copyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe

und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München,

unter Verwendung von Motiven von Shutterstock

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-24178-0V001

www.heyne.de

Für Victoria

Königreiche und Personen

Königreich Atabyrion: König Iago IV. (Haus Llewellyn): bekannt für Tapferkeit. Sein Vater (Iago III.) war ein erfolgloser König, geplagt von Aufständen seiner Vasallen und wiederkehrenden Auseinandersetzungen mit Ceredigion, zuletzt unter Eredur. Damals hatten Eredurs Bruder Severn und Lord Horwath das atabyrio­nische Heer in einer entscheidenden Schlacht geschlagen. Als es ­danach zur Rebellion kam, starb Iago III., und Iago IV. wurde im Alter von fünfzehn Jahren König. Mittlerweile ist er neunzehn Jahre alt und noch unverheiratet.

Königreich Ceredigion: König Severn (Haus Argentine): bemächtigte sich des Throns, der den Söhnen seines verstorbenen Bruders Eredur zustand, welche verschollen sind und als ermordet gelten. Er ist vierzig Jahre alt und regiert seit über einem Jahrzehnt über sein unruhiges Königreich.

Königreich Okzitanien: König Chatriyon VIII. (Haus Vertus): folgte im Alter von dreizehn Jahren seinem Vater auf den Thron, stand bis zum Alter von einundzwanzig Jahren ganz unter der Vormundschaft seiner älteren Schwester. Nach der tatsächlichen Machtübernahme mischte er sich in die Hoheitsrechte seiner Cousine ein, der Herzogin von Brythonien, die er heiraten und dadurch zu einem Bündnis zwingen möchte.

Lords von Ceredigion

Owen Kiskaddon: Herzog der Westmark

Stiev Horwath: Herzog von North Cumbria

Jack Paulen: Herzog von East Stowe

Thomas Lovel: Herzog von Southport

»Die Geschichte Ceredigions aufzuzeichnen wird meiner Einschätzung nach zehn Jahre in Anspruch nehmen. Ich bin gebannt von dem, was ich bisher in Erfahrung gebracht habe, und gedenke nicht, in absehbarer Zukunft nach Pisan zurückzukehren. Meine Aufzeichnungen habe ich mit den Anfängen der Herrschaft von Severn Argentine beginnen lassen. Davon ausgehend, werde ich mich in die Vergangenheit vorarbeiten, die Regentschaft seines Bruders Eredur Argentine dokumentieren und mich dann den Bürgerkriegen widmen, die einen großen Teil der bisherigen Geschichte einnehmen. Eine Geistesverwandte und einen wahren Schatz an Wissen habe ich in der Enkelin des Herzogs von North Cumbria gefunden. Lady Elysabeth Victoria Mortimer teilt meine feurige Leidenschaft für ­Geschichte und verfügt über verblüffend detailreiche Kenntnisse für eine Siebzehnjährige. Es wird vermutlich nicht mehr lange dauern, bis König Severn eine eheliche Verbindung für sie arrangiert.«

Polidoro Urbino,

Hofgeschichtsschreiber von Königsfall

1

Der Herzog der Westmark

Owen Kiskaddon trug nur ungern eine volle Rüstung, in der er sich unwohl und eingeengt fühlte. Deshalb legte er selten mehr als ein Kettenhemd an. So wie jetzt, als er am Abend vor seiner ersten Schlacht als Feldherr durch das Lager der Soldaten ging, die Hand auf dem Schwertknauf. Die Nacht senkte sich schnell herab. Schon konnte er im frühen Dämmerlicht die ersten Sterne sehen.

Er vermisste die kalte Schönheit des Nordens, wo er in den letzten zehn Jahren zu Hause gewesen war. Und er vermisste seine Freundin Evie, die Enkelin des Herzogs von North Cumbria. Sie wartete sicher gespannt auf Nachricht von seiner ersten Schlacht, der er selbst mit einer Mischung aus Unruhe und Aufregung entgegensah. Es war zu erwarten, dass Blut fließen würde, auch wenn er sich nicht darauf freute. Er hatte die Kampftechniken geübt, doch er war noch nicht erprobt. Jahrelang hatte er im Sattel trainiert, mit Schwertern, Äxten, Bögen und Lanzen, aber noch viel lieber las er in Büchern über kriegerische Auseinandersetzungen. Er hatte alle entscheidenden Schlachten studiert, jene aus längst vergangenen Zeiten wie auch die der jüngeren Vergangenheit. Er wusste auswendig, wie viele Soldaten in den Morast vor der Feste Azin marschiert waren, wusste, dass es dem König gelungen war, durch ein sorgsam ausgewähltes Terrain, angespitzte Pfähle und ­Bogenschützen ein zahlenmäßig weit überlegenes Heer zu schlagen. Doch während andere die Geschichtswerke lediglich studierten, ging Owen einen Schritt weiter. Er durchleuchtete und hinterfragte die Ereignisse.

Was hätte er getan, wäre er Kommandant des okzitanischen Heers gewesen, um den König von Ceredigion in der Schlacht von Azin zu schlagen? Wie bei einer Partie Wizar suchte er nicht nur nach Möglichkeiten von seiner Warte aus. Er betrachtete es auch vonseiten der Gegner. Und schon vor Langem hatte er begriffen, dass es bei Konflikten mehr als zwei Seiten gab, wenn um Königreiche und Kronen gespielt wurde, und dass unerwartete Figuren auf den Plan treten konnten.

»Guten Abend, Mylord«, sagte ein Soldat, als Owen, tief in Gedanken versunken, an seinem Lagerfeuer vorbeilief.

Owen blieb stehen und sah auf den Mann hinunter, an dessen Namen er sich nicht erinnerte. »Guten Abend. Wem untersteht Ihr?«, erkundigte er sich.

Und obwohl der Soldat doppelt so alt war wie Owen, blickte er ehrfürchtig zu ihm auf. »Harkins, Mylord. Ich heiße Will und unterstehe Harkins. Meint Ihr, das Wetter hält bis zur Schlacht morgen?«

»Erfreut, Will. Wollen wir es hoffen, oder?«

Owen schenkte dem Soldaten noch ein müdes Lächeln und ein dankbares Nicken, dann setzte er seinen Weg zum Kommandozelt fort. Er glaubte nicht, dass er Schlaf finden würde. Wie viele der Soldaten mochte es mit Sorge erfüllen, einem so jungen Feldherrn in die Schlacht zu folgen? König Severn hatte seine erste Schlacht im Alter von achtzehn Jahren angeführt. Owen war ein Jahr jünger. Die Verantwortung lastete schwer auf seinen Schultern.

Und es irritierte ihn ein wenig, oder auch mehr als nur ein wenig, dass die Männer so blind auf ihn vertrauten. Nur wenige Menschen waren mit der Gabe der Quelle gesegnet, aber diese wenigen verfügten über magische Kräfte, die ihre natürlichen Talente verstärkten. Gesegnete waren so selten, dass jeder die Geschichte kannte, wie Owens Gabe bereits, als er acht Jahre alt war, zutage getreten war. Und es stimmte: Owen war mit der Gabe der Quelle gesegnet, doch niemand ahnte, dass seine angebliche Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken, eine einzige groß angelegte Täuschung war. Denn damals hatte ihm Ankarette Tryneowy, die gerissene Giftmischerin der Königin, geholfen, diesen Ruf zu etablieren, um ihm die Gunst des Königs zu sichern. Zusammen hatten sie das gesamte Königreich an der Nase herumgeführt.

Nach Ankarettes Tod hatte Owen die Täuschung mithilfe von Dominic Mancini aufrechterhalten. Der Herr über das königliche Espion hatte einige der größeren politischen Entwicklungen für ihn in Erfahrung gebracht, bevor sie allgemein bekannt wurden. Dadurch hatte sich Owens Ruf, in die Zukunft schauen zu können, bis über die Grenzen von Ceredigion hinaus gefestigt. Ursprünglich hatte der König Mancini nur vorübergehend zum Herrn über das Espion ernannt, doch Mancini war es gelungen, auf geschickte Weise die Interessen des Königs zu fördern und seine Stellung über Jahre hinweg zu behalten. Owen und Mancini waren durch eine heimliche Zusammenarbeit verbunden, von der sie beide profitierten.

Manchmal hatte Owen die Neuigkeiten, die Mancini ihm zuspielte, tatsächlich vorhergesehen, aber das lag daran, dass er einen scharfen Blick für Ursache und Wirkung hatte. Zum Beispiel hatte ihm Mancini gemeldet, dass sich König Iago Llewellyn von Atabyrion mit König Chatriyon von Okzitanien zusammenschließen wollte, um sich gegen Ceredigion zu verbünden, und es hatte Owen nicht im Geringsten überrascht. Doch um das vorherzusehen, bedurfte es keiner hellseherischen Gabe, sondern Klugheit.

Als Owen auf das Kommandozelt zukam, hoben die Wachen die Hellebarden und ließen ihn passieren. Mit seinen siebzehn Jahren war Owen noch nicht ganz ausgewachsen, aber er hatte bereits Mannesgröße erreicht, und er trug das Wappen seiner Familie, das Aurum – drei goldene Hirschköpfe auf einem blauen Schrägstreifen.

Owen duckte sich, trat durch den Eingang und sah Lord Horwath, der seine Kampfrüstung trug und einen Kelch mit süß riechendem Wein in der Hand hielt. Sein Haar war in den vergangenen Jahren noch mehr ergraut, doch er hatte noch immer das ruhige, unerschütterliche Auftreten, das Owen schon als Kind an ihm bewundert hatte. Er war durch und durch Soldat und hatte sich in den vergangenen fünfzig Jahren in unzähligen Schlachten bewiesen. Diesen verlässlichen Mann an seiner Seite zu haben erfüllte Owen mit Zuversicht.

»Guten Abend, Junge.« Horwath neigte den Kopf und lächelte schief.

»Ihr wirkt überhaupt nicht beunruhigt«, sagte Owen und musste sich ein Grinsen verbeißen.

Horwath zuckte die Schultern, trank von seinem Wein und stellte den Kelch auf einen kleinen Tisch ab.

»Hattet Ihr Nachricht von Eurer Enkelin?«, fragte Owen hoffnungsvoll.

»Sie meinte, sie würde den Norden halten, sollte das Heer von Atabyrion dort einfallen, während wir uns hier mit den Okzitaniern schlagen. Ich habe den Eindruck, sie hofft beinahe darauf. Sie scheint ein wenig neidisch zu sein, dass Ihr an einer Schlacht teilnehmt, bevor sie es tut.«

Owen lächelte und rief sich ihr Bild ins Gedächtnis. Wie immer erfüllte ihn dabei eine merkwürdige Unruhe, als hätte sich ein Schwarm von Schmetterlingen in seinem Bauch versammelt. Ob dieses Gefühl der Anspannung vor der Schlacht zuzuschreiben war oder seiner Sehnsucht nach der Freundin, wusste er nicht, und er wollte nicht verdrossen erscheinen, doch sie fehlte ihm schrecklich. Sie hatte wunderschönes braunes Haar, voll und lang, das sie mal offen, mal geflochten trug. Ihre Augen waren von einem faszinierenden Blau oder Grün oder Grau, je nach Licht und je nach ihrer Stimmung. Ihm fehlten ihr Geplauder, ihr scharfer Verstand, ihr intelligenter Humor. Elysabeth Victoria Mortimer – Evie – war seine engste Vertraute und neben Mancini die Einzige, die sein Geheimnis kannte.

»Vorsicht, Junge«, warnte Horwath. »Bleibt mit Eurem Kopf in Okzitanien. Verliert Euch nicht in Tagträumen, wenn ein Schwert nach Euch schlägt.«

Owen lächelte reumütig. Lord Horwath war ihm wohlgesinnt, und nach all den Jahren war er auch für Owen fast wie ein Großvater. Er schien auf eine Verbindung zwischen der Westmark und North Cumbria zu hoffen, auch wenn es Owen und Evie nie gestattet war, allein Ausflüge zu unternehmen, sondern nur mit Evies Zofe. Doch zu dritt waren sie für Wagnisse bekannt, wie am Fuße der Wasserfälle auf Felsen zu klettern und in den Fluss zu springen.

»Wann rufen wir die Hauptleute zusammen?«, fragte Owen und rieb sich die behandschuhten Hände. Er konnte es kaum erwarten, dass der Morgen dämmerte.

»Sie sorgen noch für Nachtruhe im Lager, aber sie werden bald da sein. Ihr wirkt ein wenig unruhig. Ihr hättet Eure Kacheln mitbringen sollen.«

Owen grinste. Schon als Kind hatte er es geliebt, Kacheln zu komplizierten Mustern aufzustellen. Jetzt, da er älter war, waren die Konstruktionen noch ausgefeilter geworden, und seine Sammlung umfasste eine beeindruckende Menge unterschiedlichster Kacheln.

Owens Herold, ein Offizier namens Farnes, duckte sich ins Zelt und verbeugte sich steif. Er war Mitte vierzig, und in seinem rötlichen Haar schimmerten erste graue Strähnen. Er hatte schon Owens Vater in vielen Schlachten gedient und kannte das Protokoll wie kein anderer. »Mylords, der Herold des Königs von Okzitanien ist soeben im Lager eingetroffen. Er wünscht, zu Euch vorgelassen zu werden.«

Owen blickte fragend zu Horwath, auf dessen Stirn sich eine Falte gebildet hatte, doch statt seine Meinung zu äußern, sagte Horwath nur: »Es ist Euer Heer.«

»Dann schickt ihn rein, Farnes«, befahl Owen. Sobald der Herold weg war, verschränkte Owen die Finger hinter dem Rücken und nahm seine rastlose Wanderung wieder auf. »Ich vermute, er möchte uns entweder bestechen oder uns drohen. Wobei mir eine Bestechung wahrscheinlicher erscheint. Vielleicht will er uns mit den Münzen bezahlen, die er aus der Schatulle der Herzogin von Brythonien zu rauben gedenkt.« Der gegenwärtige Unfrieden war zu einem Teil dadurch bedingt, dass der König von Okzitanien versuchte, Lady Montfort gegen ihren Willen zu heiraten. Lady Montfort hatte alle benachbarten Königreiche um Hilfe gebeten, und König Severn hatte diesem Ruf Folge geleistet, um sich eine Verbündete zu sichern. »Wie viel, meint Ihr, wird er uns bieten, damit wir kampflos abziehen?«

Lord Horwath lachte leise. »Ist der Betrag von Bedeutung?«

»Selbstverständlich nicht. Chatriyon versteht nicht, worum es uns geht … oder Ceredigion. Ich möchte nur ein Gefühl dafür bekommen, ob ich das Angebot als Beleidigung auffassen sollte.« Draußen näherten sich Schritte. »Sie sind da.«

Farnes kündete den Herold von Okzitanien mit Namen Anjers an, und dieser kam ins Zelt, wobei er mit dem Kopf an der Zeltplane hängen blieb, weil er sich nicht tief genug duckte. Dabei geriet seine Frisur in Unordnung, und Owen musste sich ein Schmunzeln verkneifen.

Der Herold trug eine samtene Tunika mit Puffärmeln, veilchenblau und mit Lilien bestickt. Sein hochgeschlossener Kragen war steif und gerade und erinnerte an eine Halskrause. Etwas an der okzitanischen Mode war Owen zutiefst zuwider. Männer kämmten ihr Haar nach vorn, ganz gleich, ob schütter oder voll, sodass es in der Stirn spitz zulief. Auch seitlich wurde es nach vorn gekämmt, wodurch die Enden wie Federn wirkten. Doch abgesehen von der Mode, waren die Okzitanier von dunklem Typus und gutem Aussehen, und Anjers bildete keine Ausnahme, obgleich er doppelt so alt war wie Owen.

»Ah, der junge Herzog«, sagte Anjers und versuchte, seine Frisur zu glätten. Er beherrschte die Sprache Ceredigions fehlerfrei, doch Owens Alter zu kommentieren war nicht die beste Art, ein Gespräch zu beginnen.

»Ihr bringt eine Botschaft von Eurem Herrn?«, fragte Owen in gelangweiltem Ton. Er verschränkte die Arme und warf Horwath einen Seitenblick zu.

»Durch mich, Anjers, seinen Herold, beschwört Chatriyon, König von Okzitanien, Ceredigion noch einmal, den Frieden zu bewahren. Die Angelegenheit mit Brythonien betrifft Euch nicht. Der König möchte Euer Verbündeter und Freund sein. Als solcher schlägt er vor, die Ausgaben für Euren Feldzug zu begleichen. Sollte eine Schlacht vonnöten sein, um den Blutdurst Eures Königs zu stillen, erlaubt er das Abstechen von dreitausend Mann aus seinen Reihen, um den Schlächter von Ceredigion zu besänftigen. Doch mein Gebieter hofft, dass sich zwei Könige auf eine Waffenruhe einigen können, die ohne Blutvergießen auskommt. König Chatriyon hält rechtmäßig um die Hand von Lady Sinia an, die seine Untertanin ist, um das Reich zu einen. Zu welchem Preis darf mein Gebieter versichert sein, dass Eure Einmischung endet?«

Owen hörte sich die Ansprache geduldig an, obwohl er innerlich kochte. Die Anschuldigungen gegen seinen König waren infam, das Angebot geschmacklos. Er setzte Magie ein, um die Schwächen des Herolds zu ergründen, und erfuhr, dass er Diplomat war, kein Soldat. Anjers trug weder Brustharnisch noch Kettenhemd unter dem Gewand und war vollkommen wehrlos.

Über die Jahre hatte König Severn Owen beigebracht, wie man Kraft und Magie aus der Quelle ziehen und einsetzen konnte. Dabei hatten sie bemerkt, dass Owens Fähigkeiten tiefer gingen als die des Königs, was daher rühren mochte, dass Severn seine Gabe erst in fortgeschrittenem Alter entdeckt hatte.

Von Mancini wusste Owen, dass König Severn an fremden Höfen als grausamer Tyrann, als Schurke und Kindermörder verschrien war, doch das hatte nicht mehr mit dem wahren König Severn zu tun, als ein Spielzeugschwert einen echten Treffer landen konnte. Die Neffen des Königs waren zwar tatsächlich verschwunden, doch König Severn war nicht verantwortlich für ihren Tod. Sein Fehler war es gewesen, die Kinder dem falschen Mann anzuvertrauen.

Der Herold war längst verstummt, und das Schweigen zog sich in die Länge. Owen blickte Anjers in die Augen und ließ die Stille noch etwas andauern, um sein Gegenüber auf die Folter zu spannen. Es verunsicherte Männer, wenn eine Antwort auf sich warten ließ.

»Ich weiß nicht, was mich mehr beleidigt«, sagte er schließlich. »Dass Euer König glaubt, er könnte uns mit einer gewonnenen Schlacht kaufen, oder dass er uns überhaupt für käuflich hält. Und das, nachdem bereits sein Vater versucht hatte, durch Bestechung des früheren Herrn über das Espion meinen Tod zu erkaufen, als ich noch ein Kind war.« Wieder schwieg Owen. Feinde Ceredigions hatten seine vermeintliche seherische Gabe als Bedrohung empfunden und seine Ermordung in Auftrag gegeben. »Ich wusste, dass Ihr heute Abend kommt«, sagte Owen und verlieh seiner Stimme einen geheimnisvollen Klang. »Richtet Eurem Gebieter aus: Wenn die Sonne über diesem Schlachtfeld aufgeht, wird er die wahre Größe der Männer von Ceredigion erkennen. Mein König und Gebieter hat Lady Montfort geschworen, Brythonien zu verteidigen. Euer Gebieter wird sehen, dass wir Wort halten. Richtet ihm das aus, Herold. Solltet Ihr danach noch einmal in unser Lager zurückkommen, tut Ihr dies auf eigene Gefahr. Mein König hat nicht vergessen, dass dieses Land einst uns gehörte. Wir haben das Recht, unseren treuen Untertanen beizustehen.«

Wut und Abscheu standen im Gesicht des Herolds. »Wie Ihr wünscht. Junge.«

Damit machte er kehrt und marschierte aus dem Zelt, wobei er sich erneut den Kopf anstieß. Diesmal wäre er beinahe umgefallen, und Owen konnte sich nur mit größter Mühe beherrschen, um nicht loszulachen. Davon musste er Evie erzählen.

Als Anjers fort war, wandte sich Owen mit fragendem Blick an den alten Horwath.

»Ich glaube, mit dieser Anrede wollte er Euch beleidigen«, sagte dieser.

Farnes lachte leise und schüttelte den Kopf über Anjers’ Fehler. Er hatte Owen sträflich unterschätzt.

»Farnes«, sagte Owen, »holt Clark. Das Espion soll Anjers bis ins feindliche Lager verfolgen und mir von der Reaktion des Königs berichten.«

»Wie Ihr wünscht«, sagte Farnes und verließ das Zelt, ohne die Zeltplane auch nur zu streifen.

»Was habt Ihr vor?«, fragte Horwath und legte die Stirn in Falten.

Owen grinste. »Was der König von Okzitanien am wenigsten erwartet: Wir greifen schon heute Nacht an.«

Die Falten in Horwaths Stirn wurden tiefer. »So etwas ist sehr riskant, Owen.«

»Nun, ich habe ihn gewarnt«, meinte Owen und hob die Hände. »Erinnert Ihr Euch? Wenn der Morgen kommt, wird er die wahre Größe der Männer von Ceredigion erkennen. Bis zum Morgen ist alles vorbei. In der Panik werden seine Soldaten wahrscheinlich gegeseitig übereinander herfallen. Rufen wir die Hauptleute zusammen. Ich kann es kaum erwarten, die erste Kachel umzustoßen.«

»Es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass Königreiche genau definierte Gebiete mit starren Grenzen sind. Ein Königreich kann eine Stadt umfassen, es kann sich aber auch über einen ganzen Kontinent erstrecken. Viel hängt ab vom Ehrgeiz und Geschick desjenigen, der über das Königreich regiert. Schwache Herrscher verlieren Gebiete, starke Herrscher gewinnen sie hinzu. Es ist die Aufgabe des Geschichtsschreibers, das Leben herausragender Persönlichkeiten zu beleuchten. Wahrhaftig, es sind die großen Persönlichkeiten und ihre Entscheidungen, die den Lauf der Welt prägen – sie treiben das Rad der Geschichte an.

Severn Argentine ist gefürchtet unter seinem Volk, doch man schätzt ihn für sein militärisches Geschick. Er ist sarkastisch, ungeduldig und immun gegen Schmeicheleien, da er wenig ansehnlich und sein Körper missgestaltet ist. In den zwölf Jahren seiner Regentschaft hat er seine Macht gefestigt und ihm treu ergebene Herzöge eingesetzt. Nun strebt er danach, sein Reich auszuweiten. Der König von Okzitanien hingegen ist erst rechtmäßiger König, seit er vor ­einem Jahr einundzwanzig wurde. Er ist jung, nur halb so alt wie sein Rivale, und unerfahren. Chatriyon hat eine Schwäche für Mode, Musik, Tanz und die Falknerei und macht sich erst jetzt mit der Kunst des Krieges vertraut. Sein Drang, sich zu beweisen, könnte König Severn in die Hände spielen. Wie werden sich wohl die Landkarten verändert haben, wenn diese Rivalität ihr Ende gefunden hat?«

Polidoro Urbino,

Hofgeschichtsschreiber von Königsfall

2

Marschall Roux

Der blasse Mond erhellte die Nacht. Owens Augen benötigten einen Moment, um sich an das schwache Licht zu gewöhnen. Er war angespannt und rutschte unruhig im Sattel hin und her. Den Helm hatte er sich unter den Arm geklemmt, um nur ja kein Geräusch zu überhören. Das Klappern der Hufe war schrecklich laut, aber bald würden sie die Pferde zurücklassen und sich zu Fuß fortbewegen, um nicht entdeckt zu werden. Das Manöver war riskant, doch zumindest würde es nur einen Teil seines Heeres gefährden.

Owens Plan war einfach. Der größte der Stoßtrupps, den er selbst anführte, bestand aus einhundert Mann, darunter zwei Dutzend Bogenschützen. Diese würden einen Pfeilhagel auf das okzitanische Lager niedergehen lassen, um Verwirrung und Panik zu stiften. Danach würden die übrigen Soldaten mit Schwertern und Schilden angreifen und möglichst viel Lärm dabei verursachen. Zwei weitere, jeweils fünfzig Mann starke Truppeneinheiten würden den Kampfeslärm abwarten und dann das gleiche Manöver an den beiden Flanken des feindlichen Lagers wiederholen. Owen wollte den König Okzitaniens überrumpeln und ihn glauben lassen, seine Leute wären in der Unterzahl. Im Grunde hoffte Owen, den König so sehr in Angst und Schrecken zu versetzen, dass er die Flucht antrat. Sollte es gelingen, den König als Geisel zu nehmen, hätte Owen nichts dagegen.

Das Risiko bestand darin, dass seine Männer vielleicht zu laut waren und die Okzitanier sie mit einem Hinterhalt empfingen. Aber das schien unwahrscheinlich, denn sie hatten ihnen keinen Anlass gegeben, mit einem nächtlichen Überfall zu rechnen. Zudem hatte Owen Späher entlang der Straßen postiert, um mögliche Nachzügler abzufangen, die ihnen sonst über den Weg laufen könnten, und um die Wachtposten der gegnerischen Seite auszuschalten.

Lord Horwath ritt neben ihm, schweigsam wie immer. Er hatte Owens Plan mehrfach gründlich auseinandergenommen und Owen auf Schwachstellen hingewiesen, die sich für gewöhnlich rächten. Das Terrain war ihnen nicht vertraut. Die Kundschafter hatten nicht genau ausmachen können, wie weit entfernt das okzitanische Heer lagerte. Es gab vielleicht Flüsse oder Bäche, die ihnen den Weg versperrten. Owen war ihm dankbar, dass er diese Gefahren aufgezeigt hatte, doch er war bei seinem Vorhaben geblieben. Sie riskierten nur einen Teil des Heers, und wenn der Plan aufging, wäre es ein großer Erfolg.

Links von ihnen schrie ein Nachtvogel im Wald, und Owen wandte ruckartig den Kopf. Sein Puls ging schneller. Er dachte daran, wie er als Kind in den Palast von Königsfall gebracht worden war, um dort als König Severns Geisel zu leben. Damals hatte ihn alles in Schrecken versetzt. Mittlerweile war er mutiger, aber er erinnerte sich noch gut an den kleinen, verängstigten Jungen mit der weißen Strähne im braunen Haar.

Und wie so viele Erinnerungen führte ihn auch diese zu Evie. Nach wie vor hatte er diese weiße Stelle im Haar, die sie so liebte, wenngleich sie kaum zwischen seinen Locken zu sehen war. Immer wieder wollte sie dieses Haarbüschel berühren, wenn sie zusammen durch die Berge von North Cumbria streiften und er die Aussicht bewunderte, die sich vor ihnen auftat. Ihr gemeinsamer Plan war es, zusammen die Eishöhlen zu erforschen, aber dazu hatte sich noch keine Gelegenheit ergeben. Die Umstände zwangen sie, ständig von Schloss zu Schloss zu ziehen. Mal war es eine Feier in Königsfall, ein andermal zwangen ihn Streitigkeiten zwischen niederen Adligen oder Bauern dazu, heimzukehren und zu schlichten. In Tatton Hall wurde er hochgeschätzt, und jedes Jahr während der Wintermonate, wenn North Cumbria unter einer Decke aus Eis und Schnee verschwand, kehrte er dorthin zurück. Vor seinem geistigen Auge sah er Evie, über ein Buch gebeugt, vor dem Kamin sitzen. Sie kaute auf einer Haarsträhne und las Geschichten über Könige und Schlachten, die sie ihm später erzählen würde. Sie war impulsiv, lebhaft und bildhübsch. Manchmal erwischte sie ihn dabei, wie er sie ansah, und ihre Wangen röteten sich. Wenn das geschah, schmerzte sein Herz auf eine fast tröstliche Weise.

»Ihr werdet bald Eure volle Aufmerksamkeit brauchen«, mahnte Lord Horwath, der so nah an ihn herangeritten war, dass sich ihre Beine fast berührten. »Konzentriert Euch.«

Owen fragte sich, was ihn verraten hatte, aber Lord Horwath entging selten etwas. Er mochte wortkarg sein, doch er nahm sehr genau wahr, was um ihn herum vorging. Außerdem war er einer der wenigen, dem die scharfe Zunge des Königs nichts anhaben konnte.

»Mylord«, drang eine leise Stimme aus der Dunkelheit zu ihnen. Owen zügelte seinen Hengst und ließ den Mann näher herankommen. Es war Clark, ein hagerer Mann aus dem Espion mit einem kantigen Gesicht und dunklem, kurz geschorenem Haar. Er war ein exzellenter Fährtenleser, fand sich bestens in Wäldern zurecht und hatte sich schon vielfach bewährt.

»Wie sieht es aus, Clark?«, fragte Owen und versuchte, sein unruhiges Pferd zu bändigen.

»Ich empfehle, die Pferde hier festzumachen«, sagte der Espion auf seine förmliche Art. »Bis zum Feldlager ist es noch eine halbe Meile. Ein kurzer Marsch, doch wenn Ihr näher reitet, hören sie Euch.«

Owen nickte und setzte seinen Helm auf, bevor er abstieg. Clark hielt ihm die Zügel, dann führte er den Hengst zu den Bäumen und band ihn fest. Auch die anderen Männer saßen ab. Die Pferde wurden mit Futter versorgt, um sie ruhigzustellen, und einige Pferdeführer blieben bei ihnen zurück. Owen sah, wie die Bogenschützen die Bögen spannten, um die Sehnen zu dehnen. Jeder hatte drei Köcher mit Pfeilen dabei. Sie sprachen sich untereinander ab.

»Wie lange ist es noch bis zum Sonnenaufgang, Clark?«, fragte Owen und schaute in den Himmel, doch er war nicht gut im Lesen der Gestirne.

Clark sog die Luft ein und blickte nach oben. »Ein paar Stunden, Mylord. Einige unserer Feinde haben eben noch gezecht, aber die meisten schlafen tief und fest, mit Ausnahme der Wachtposten.«

»Nun, dann wollen wir sie wecken«, grinste Owen und legte die Hand auf den Knauf seines Langschwerts. Daneben hatte er ein Kurzschwert und einen Dolch bei sich. Das Kettenhemd war angenehm zu tragen, und ihm war warm trotz der Kälte, die seinen Atem in Nebelwolken verwandelte.

Die Männer setzten sich in Bewegung und marschierten in Richtung des feindlichen Lagers. Owens Herzschlag beschleunigte sich. Jahrelang hatte er im Burghof geübt; jetzt würde sich zeigen, ob es sich auszahlte. Mit Zuversicht erfüllte ihn, dass er gegenüber anderen ein paar entscheidende, wenngleich unfaire Vorteile besaß, denn seine Gabe zeigte ihm die Schwächen seiner Gegner. Außerdem schützte sie ihn vor der magischen Beeinflussung durch andere Gesegnete. Horwath lief neben ihm, und Owen war dankbar, den erfahrenen Mann an seiner Seite zu haben, auch wenn dieser sicher lieber im Bett gelegen hätte, als eine unbekannte Straße in Okzitanien entlangzuwandern. Owen merkte, dass er die Zähne zusammenbiss, während er marschierte. Clark hielt sich in seiner Nähe. Vermutlich hatte der Spion die Order, sein Leben zu schützen, doch man führte ein Heer nicht aus der hintersten Reihe an; daher lief Owen ganz vorn.

Sie zogen ihre Waffen, wappneten sich für den Kampf und verließen den Schutz des Waldes. Vor ihnen lag eine sanft abfallende Ebene, und in der Ferne sah man die Lichter der belagerten brythonischen Burg Pouance. Owen hatte die wenigen Landkarten, die ihnen zur Verfügung standen, genau studiert, daher wusste er, dass dies eine der äußeren Befestigungsanlagen des Herzogtums war und nicht die Hauptstadt Ploemeur.

»Macht Euch bereit, die Fackeln zu entzünden«, sagte Owen zu einem seiner Hauptleute. »Jeder trägt zwei. Das wird unsere Zahl in ihren Augen verdoppeln. Bogenschützen, auf die Plätze.«

Seine Nerven beruhigten sich, und ein seltsam friedvolles Gefühl breitete sich in ihm aus. Dann hörte er es: das wasserfallartige Rauschen der Quelle. Er hatte sie nicht gerufen, aber er fühlte, wie ihre Kraft ihn durchströmte, als wollte sie ihm helfen, den Sieg zu erringen.

»Männer, lasst uns diesen Narren zeigen, aus welchem Holz wir geschnitzt sind«, sagte Owen mit fester Stimme. Er sah hinüber zu Horwath, der ihn unter dem Nasenschutz seines Helms schief anlächelte. Es lag Spannung in der Luft und ein Gefühl von Zuversicht.

»Reicht mir eine Fackel, Clark«, bat Owen.

Der Spion nickte und schlug zwei Steine über den Fackeln gegeneinander, die er zusammengebunden hatte. Das feuchte Öl loderte auf, und er übergab Owen das Feuerzeichen. Die Flamme knisterte und flackerte im Dunkel der Nacht. Owen streckte sie hoch empor und rief: »Ceredigion!«

Es war wie ein Dammbruch. Der Schlachtruf der Männer übertönte fast das Sirren der Bögen, als sich die Luft mit Pfeilen füllte. Die Bogenschützen nahmen eine geduckte Haltung ein und schnellten hoch, wenn sie ihre Pfeile in den Himmel schickten. Eine weitere tödliche Salve wurde losgeschickt, noch bevor die erste ihr Ziel erreicht hatte. Man hörte die dumpfen Geräusche, als sie im Lager einschlugen. Von den okzitanischen Soldaten drangen überraschte Schreie zu ihnen.

Owen lief voran und schwenkte die Fackeln über dem Kopf. Clark blieb ihm auf den Fersen. Eine Wand aus Fackeln folgte ihnen. Es sah aus, als würden sie mit fünfhundert Mann angreifen; dabei waren es nicht mal hundert. Übermut erfüllte Owens Brust, während er voranstürmte. Durch die langen Wanderungen in den Bergen war er kräftig und ausdauernd geworden, und Ankarettes heilender Tee hatte seine schwache Lunge aus Kindheitstagen gänzlich kuriert.

Das Lager vor ihnen erwachte zum Leben. Männer sprangen auf und hasteten zu ihren Waffen und Rüstungen, doch ihnen blieb keine Zeit, sie anzulegen. Pfeile regneten auf das Lager nieder, und die Stille der Nacht wurde von Schmerzensschreien zerrissen. Owen näherte sich den vordersten Reihen des Feindes, wo ein paar Pikeniere zitternd mit ihren Spießen standen. Sie ließen ihre Waffen fallen und liefen davon.

Owen wusste, dass er gewonnen hatte, noch bevor es zu den ersten Gefechten Mann gegen Mann kam.

Die Bogenschützen stoppten ihren tödlichen Regen, als Owens Männer auf die Reihen der aufgeschreckten Feinde trafen. Owen beobachtete, wie geschickt und anmutig Clark sich bewegte und mit seinen beiden Kurzschwertern Soldaten niederstreckte, die sich auf sie stürzten. Auf seinem grimmigen Gesicht lag ein geschäftsmäßiger Ausdruck, während er sich duckte und drehte und zustieß.

Owen spürte das Rauschen der Quelle überall um sich herum, als wäre er selbst die Flut. Männer flohen, einige mit Pfeilen gespickt. Zelte stürzten in sich zusammen, und ihre Leinen peitschten durch die Luft. Pferde wieherten und gingen durch. Owen meinte eines zu sehen, auf dessen Schabracke das Wappen Okzitaniens prangte. Es trug seinen Reiter davon.

Wieder gab es Geschrei, als sich die Soldaten der beiden anderen Truppenteile in den Kampf stürzten. Kein Zweifel, die Schlacht war so gut wie gewonnen.

In dem Moment sprang ein Pikenier hinter einem Zelt hervor und stieß nach Owens Brust. Reflexhaft wehrte Owen den Schlag mit dem Schwert ab und schleuderte seine Fackel in das Gesicht des Mannes. Der Soldat schlug vor Schmerz wild um sich, ließ den Spieß fallen und floh wie all die anderen.

Ein weiterer Mann wollte Owen mit seinem Schild umstoßen. Owen duckte sich zur Seite und stellte seinem Angreifer ein Bein, sodass der seinen Schild selbst ins Gesicht bekam. Er sackte in sich zusammen und stand nicht wieder auf.

Owen beobachtete, wie sich seine Männer durch das Lager vorarbeiteten wie Sensen durch ein Weizenfeld. Seltsamerweise war ihm nach Lachen zumute.

»Lord Owen!«, rief Ashby. Der Hauptmann lief eilig auf ihn zu. »Sie fliehen! Einige sind barfuß! Wir haben versucht, den König zu ergreifen, aber er war auf einem Pferd, umgeben von seinen Rittern. Er ist als Erster geflohen. Ihr habt es geschafft, Lord Owen!«

Plötzlich schallten Trompeten von der anderen Seite des Lagers herüber, so durchdringend und klagend, dass Owen ein Schauer über den Rücken lief.

»Was war das?«, rief ein anderer Hauptmann verwirrt.

»Ich werde es in Erfahrung bringen«, sagte Clark förmlich. Er stürzte sich ins Getümmel der Soldaten, die sich nun daranmachten, die Zelte zu plündern. Manche schnappten sich okzitanische Flaggen oder Abzeichen als Erinnerungsstücke.

Wieder ertönten Trompeten – ein schauriger Klang.

»Alle Männer zu mir«, befahl Owen. »Hört auf, in ihrer Wäsche zu wühlen. Dies ist nicht der Moment, um zu plündern. Ruft die Männer zusammen! Bogenschützen in Position!«

Owen spürte, wie ein Zittern durch den Fluss der Magie ging, und biss angstvoll die Zähne zusammen. Etwas stimmte nicht. Woher kamen die Trompeten? Schweißgebadet ließ er den Blick über das Durcheinander schweifen.

Clark kehrte nach einem kurzen Augenblick mit sorgenvoller Miene zurück. »Brythonische Ritter«, sagte er knapp. »Sie haben das okzitanische Lager von der anderen Seite aus angegriffen. Das okzitanische Heer zerstreut sich.«

Horwath kam zu Owen, das Schwert in der Hand. »Wir befinden uns in einer misslichen Lage, sollten sich diese Ritter gegen uns wenden.«

»Das stimmt«, sagte Owen. Wieder fühlte er das seltsame Stocken im Puls der Quelle. »Wir haben erreicht, weswegen wir gekommen sind. Ruft die Männer zurück. Sie sollen zu mir kommen.«

Der Tumult wurde nur noch größer, als weitere Kampfgeräusche von der anderen Seite des Lagers zu ihnen hallten.

»Lord Owen«, flüsterte Clark ihm zu, »ich habe ein Pferd für Euch.«

Owen wandte sich um und schüttelte den Kopf. »Wenn ich diese Männer zurücklasse, bin ich keinen Deut besser als Chatriyon.«

Der Spion blickte grimmig drein und schien zu überlegen, ob er Owens Zorn riskieren sollte, indem er auf seiner Flucht bestand.

»Da kommen sie«, sagte Horwath und hielt sein Schwert fester.

Owen sah die Flagge, bevor er den Mann sah. Die Standarte war weiß, durchzogen von einer gebogenen schwarzen Linie, hinter der ein schwarz gefiederter Vogel mit kräftigem Schnabel emporflog – eine Krähe oder ein Rabe. Owen wurde jäh bewusst, dass das Wappen von König Severn – ein weißer Keiler auf schwarzem Grund – einen Gegenpart hatte.

Der Reiter, der die Standarte mit sich führte, war mittleren Alters, in etwa so alt wie Severn, doch sein Haar war bereits schiefergrau und im okzitanischen Stil nach vorn gekämmt. Sein Blick war streng, als er auf Owens Männer zuritt, die sich wie eine Mauer um Owen herum gruppierten. Er trug einen weißen Umhang, der bis auf den Rücken seines Pferdes fiel, und hatte keine Waffe gezückt.

»Marschall Roux«, begrüßte ihn Lord Horwath mit ruhiger Stimme.

Der Marschall schien Horwarth erst jetzt zu bemerken. »Lord Horwath«, erwiderte er mit leichtem Akzent, nickte förmlich und straffte die Schultern. »Ihr seid sehr fern von North Cumbria, Mylord. Fürchtet Ihr nicht, so weit südlich zu schmelzen? Ihr führt diese Truppe an? Ich dachte, es wäre Kiskaddon.«

»Das ist richtig«, sagte Owen, der fühlte, wie die Kraft der Quelle zu einem Rinnsal verebbte. Er war sich sicher, dass dieser Marschall trotz seiner schroffen Art nicht vorhatte, sie anzugreifen. Trotzdem ließ Owen die Hand auf dem Griff seines Schwerts ruhen. Er glaubte nicht an Zufälle.

Marschall Roux blickte in seine Richtung. »Oh, Ihr seid hier. Ich habe Euch im Dunkeln nicht erkannt. Lord Kiskaddon, ich bringe Nachricht von meiner Gebieterin, der Herzogin von Brythonien. Sie dankt Euch für Eure Mühe, ihr Hoheitsrecht zu verteidigen. Durch Euer rechtzeitiges Eingreifen wurde Chatriyons Heer vernichtend geschlagen. Wir werden von hier an übernehmen. Ich habe meinen Rittern befohlen, das verstreute Heer bis zur Grenze zurückzutreiben. Lady Montfort bittet mich, Euch und Eurem König zu danken. Die Herzogin von Brythonien wird Euch eine treue Verbündete sein. Sollte Krieg nach Ceredigion kommen, könnt Ihr darauf zählen, dass sie die Gefälligkeit nicht vergessen und Euch den gleichen Dienst erweisen wird.« Er neigte respektvoll das Haupt vor Owen und deutete mit einem Wink über das verwüstete Lager. »Bitte verteilt die Siegesbeute unter Euren Männern. Dieses Recht habt Ihr Euch durch Eure Tapferkeit verdient. Ich empfehle mich, Brendon Roux, Marschall und Schutzherr von Brythonien.«

»Sagt Eurer Gebieterin«, erwiderte Owen und nickte ebenso respektvoll, »dass es uns Ehre und Privileg war, ihr zu helfen. Unsere Reiche grenzen aneinander. Wir sollten Verbündete sein.«

Der Marschall zog die Brauen zusammen. »Ich werde es ihr ausrichten«, sagte er steif. Damit wendete er sein Pferd und ritt mit seinen bewaffneten Rittern zurück in das Durcheinander aus flatternden Zelten und Gestöhn.

Owen wandte sich Horwath zu, der Marschall Roux voll Misstrauen nachsah.

Der ergraute Lord rieb sich das Kinn. »Es ist bemerkenswert, dass seine Ritter Chatriyons Heer im gleichen Moment angegriffen haben wie wir. Es war fast, als ob …«

»… sie uns erwartet hätten«, führte Owen den Satz zu Ende.

3

Wiederauferstehung

Am Vormittag desselben Tages drängten sich Männer in Owens Kommandozelt, deren Begeisterung kaum zu bändigen war. Das Heer von König Chatriyon VIII. war besiegt und noch immer auf der Flucht, getrieben von brythonischen Rittern. Der König selbst hatte sich in sein Reich zurückgezogen und in einem Schloss verschanzt, und die Kunde vom Sieg Ceredigions verbreitete sich von Dorf zu Dorf im Osten von Okzitanien. Owens Hauptleute hatten den Sieg errungen und dabei keinen einzigen Verletzten in ihren Reihen zu beklagen. Das war eine Leistung, für die man Owen größte Anerkennung und Dankbarkeit entgegenbrachte. Die Gabe der Quelle bescherte Owen nicht nur Visionen der Zukunft, so flüsterte man, sie verlieh ihm auch ein einmaliges Kriegsgeschick.

»Mylord«, sagte Farnes, der sich zwischen zwei Hauptleuten hindurchzwängen musste. Er strich sich durch den grau durchsetzten roten Schopf und versuchte, nicht zu grinsen – was ihm nicht gelang. »Mylord, der Bürgermeister von Averanche ist mit einer Delegation aus der Stadt gekommen.« Seine Mundwinkel zuckten. »Sie sind hier, um … nun, die Stadt einschließlich der Burg will sich Euch ergeben und Ceredigion die Treue schwören.«

Owen war verblüfft. »Habe ich Euch richtig verstanden, Farnes? Diese Stadt möchte sich ergeben, ohne dass wir sie angegriffen haben? Wo liegt Averanche? Ich brauche eine Karte.«

»Hier drüben, Mylord«, sagte Hauptmann Ashby.

Owen sah Horwath ratlos an, zuckte die Schultern und unterdrückte ein Lachen. Ashby brachte die Karte, und mehrere Männer drängten sich um das kostbare Dokument und suchten die Stadt Averanche.

Owen vertrieb sie und winkte Farnes und Horwath zu sich. Zusammen studierten sie das Werk des Kartografen. Sie wussten nur wenig über Okzitanien und seine Städte und Herzogtümer. Die Häfen an der Küste waren eingezeichnet, aber über das Landesinnere war kaum etwas bekannt. König Severn beschäftigte ein Heer von Kartografen, und das Espion verfügte über die genauesten Karten von allen, doch sie wurden gehütet wie Staatsgeheimnisse. Owen konnte Averanche nicht finden.

»Was soll’s, Farnes, bringt sie rein, sie sollen uns zeigen, wo es liegt«, meinte Owen und klopfte dem Herold auf die Schulter. Farnes lachte in sich hinein und schob sich durch die Versammelten zurück nach draußen.

Owen sah die Hauptleute an, die sich in dem Zelt drängten. »Brecht das Lager ab«, befahl er. »Tauscht die Wachen aus, und bereitet Euch auf den Aufbruch vor. Wartet auf Befehl.«

»Jawohl, Mylord«, sagte Hauptmann Ashby. Er und die anderen strömten aus dem Zelt und ließen Owen und Lord Horwath allein.

»Ich mag kein Gedränge«, brummte Owen. »Jeder hat irgendein Anliegen. Man findet keinen Moment Ruhe. Was haltet Ihr von dieser Entwicklung?«

Horwath blickte nachdenklich auf die Karte. »Zwischen unseren Reichen kommt es seit langer Zeit immer wieder zum Krieg. Dieses Averanche könnte sich als Festung nützlich erweisen. Vor Jahren haben wir Callait in Brugia erobert, und es ist bis heute eine strategisch wichtige Hafenstadt für uns. Ich vermute, der Bürgermeister hat nicht genug Männer, um seine Stadt zu verteidigen. Die wenigen, die ihm zur Verfügung standen, sind womöglich letzte Nacht mit dem königlichen Heer geflohen. Es ist wie Wizar. Ihr habt gerade einen wichtigen Zug gemacht, den Euer Gegner nicht erwartet hatte. Jetzt ist er angreifbar, und beide Seiten wissen es.«

Farnes brachte den Bürgermeister von Averanche ins Zelt, einen kleinen, stämmigen Mann mit fahler Gesichtsfarbe und einer Halbglatze, auf der Schweiß schimmerte. Nach einer kurzen, förmlichen Vorstellung erfuhr Owen, dass Averanche nicht weit entfernt lag, ein Stück in Richtung Küste und direkt an der Grenze zu Brythonien. Die Stadt samt Burg lag auf einem Gebiet, das lange Zeit zu Ceredigion gehört hatte, und der Bürgermeister war nur zu bereitwillig, Übernahmebedingungen auszuhandeln.

Noch am Nachmittag desselben Tags lief Owen mit dem Bürgermeister von Averanche über die Befestigungsmauern der Burg und sah, wie die Flagge mit den drei goldenen Hirschköpfen auf dem diagonalen blauen Streifen im Wind flatterte. Es fühlte sich unwirklich an, so viel stand fest, und Owen traute der Gastfreundschaft der Stadtbevölkerung nicht und hatte seinen Männern strikt untersagt, zu trinken oder zu lärmen. Seine Soldaten patrouillierten die Straßen und machten sich mit den Verteidigungsanlagen vertraut, und alle waren bereit, beim kleinsten Anzeichen davonzureiten, sollte der König von Okzitanien versuchen, zusammen mit den ursprünglichen Verteidigern der Stadt zurückzukehren. Doch Letzteres war unwahrscheinlich, wenn den Nachrichten zu trauen war, die Owen den ganzen Tag über erreicht hatten. Chatriyon war in seinem Stolz verletzt und schmollte, weil ihn ein jüngerer Mann geschlagen hatte.

Von den Verteidigungsmauern aus blickte Owen auf grüne Täler und Gehöfte. In der Ferne sah man die glatte graue See, doch das Rauschen der Brandung drang nicht bis zu ihnen. Vor der Küste lag eine Insel mit einer Festung.

»Was ist das da drüben?«, fragte Owen den Bürgermeister und deutete über das Wasser.

»Verzeihung? Oh, das ist der Tempel Unserer Herrin von Toussan. Es ist ein altes Bauwerk, der wichtigste Tempel Brythoniens. Besucher können es nur einmal am Tag erreichen, bei Ebbe. Sonst ist es von Wasser umgeben. Es ist die letzte Bastion Brythoniens, unserer Nachbarn. Vom Turm aus sieht man besser. Möchtet Ihr hinaufsteigen?«

»Nein«, sagte Owen und blieb stehen, um sich den Tempel anzusehen. Er war deutlich größer als der Tempel Unserer Herrin der Quelle von Königsfall, der auch auf einer Insel stand, wenngleich einer viel kleineren inmitten eines Flusses. Diese Insel ragte aus dem Meer. Es war schwer zu erkennen, wo der Tempel endete und die Insel begann. Die Mauern reichten bis zum Wasser hinunter, wo Boote festgemacht waren. Owen fragte sich, wie man einen solchen Ort erobern konnte.

»Was könnt Ihr mir über die Herzogin von Brythonien sagen?«, fragte Owen und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.

»Nun, sie entstammt einer alten Familie, Mylord«, erklärte der Bürgermeister. »Das Haus Montfort herrscht seit Langem über Brythonien. Ihr Vater starb vor sechs Jahren, als sie elf war. Ihr Volk lässt sich nur von den Montforts regieren, ungeachtet dessen, dass sie ein Mädchen ist. Es ist … ein eigensinniges Volk, Mylord. Äußerst stur.«

»Sehr schön, jetzt weiß ich etwas über ihr Volk. Doch wie steht es mit ihr selbst?«

Der Bürgermeister schien einen Moment nachzudenken. »Nun, ich bin ihr nur selten begegnet, Mylord, ich kann Euch nichts über ihren Charakter sagen. Sie war zwölf, als ich sie das letzte Mal sah. Sie soll sehr schön sein, dem Vernehmen nach. Ist Mylord … interessiert, sie besser kennenzulernen?«

»Bei der Quelle, nein!«, lachte Owen. Sein Herz gehörte einem Wassergeist aus dem Norden, da war kein Platz für jemand anderen.

»Das ist weise.« Der Bürgermeister seufzte vor Erleichterung. »Ich hatte gehofft, dass Ihr keine derartigen Intentionen hegt. Obwohl Ihr das richtige Alter hättet. Doch die Herzogin von Brythonien heiratet nur einen König. Sie hatte viel Pech mit ihren Anwärtern. Zuerst wurde sie als Kind verlobt, mit dem ältesten Sohn von König Eredur. Aber das … nahm kein gutes Ende. Ich hoffe, ich drücke mich diskret genug aus. Danach wurde sie einem Prinzen aus Brugia versprochen, doch auch daraus wurde nichts. Der König von Okzitanien möchte sich ihr Land aneignen. Jetzt, da Ihr sein Heer vertrieben habt, werden sich die Verhandlungen über ihre Vermählung vermutlich in die Länge ziehen. Sagt mir, Mylord, ist es wahr, dass Euer König nach so vielen Jahren noch immer unverheiratet ist?«

»Das ist kein Geheimnis«, sagte Owen in sachlichem Ton. Er würde die Neugierde des Mannes nicht mit Tratsch vom Hof befriedigen.

»Beabsichtigt Euer König, selbst um Lady Sinia zu werben?«

Der König war sehr alt im Vergleich zu dem Mädchen, und allein der Gedanke an eine derartige Verbindung stieß Owen ab. Doch es blieb ihm erspart, auf diese Frage zu antworten, denn der Bürgermeister wechselte das Thema. »Es sieht aus, als hättet Ihr Besuch«, meinte er mit einem Hüsteln. »Entschuldigt mich.«

Owen riss sich vom Anblick des Tempels los und sah, dass Clark in respektvoller Entfernung wartete. Seine Haltung war steif und angespannt und verhieß nichts Gutes. Er sah aus wie ein Windhund, der darauf wartete, von der Leine gelassen zu werden.

Owen entließ den Bürgermeister und winkte Clark zu sich. Der Espion hatte sich nicht rasiert, und die Stoppeln an seinem Kinn passten zu den Stoppeln auf seinem Kopf.

»Mylord, verzeiht die Unterbrechung, aber meine Nachricht kann nicht warten.«

»Was gibt es, Clark?«, fragte Owen, und ein ungutes Gefühl bemächtigte sich seiner.

»Während unseres Angriffs letzte Nacht habe ich Chatriyons Zelt durchsuchen lassen. Das war kurz vor der Ankunft von Marschall Roux. Die zurückgelassene Korrespondenz bin ich mit meinen Männern durchgegangen im Hinblick auf wertvolle Informationen. Dabei haben wir etwas gefunden, was wir König Severn unverzüglich mitteilen müssen.«

»Es scheint Euch Sorge zu bereiten, Clark«, sagte Owen und versuchte, seine Ungeduld zu zügeln.

»Mir bereitet Sorge, wie der König darauf reagieren wird«, meinte Clark. »Er ist ein jähzorniger Mann, wie Ihr wisst.«

»Worum geht es?«, fragte Owen. Er war noch näher an Clark herangetreten und hatte die Stimme gesenkt. Jetzt sah er sich um, ob jemand mithören konnte, doch niemand stand nah genug. Ein paar Möwen kreischten am Himmel. Seeluft wehte zu ihnen herüber.

»Mylord«, sagte Clark leise, »Chatriyon hat kürzlich einen Brief von einem Mann aus Legault erhalten. Ein Adeliger mit dem Namen Desmond behauptet, er habe König Severns jüngeren Neffen, den rechtmäßigen Herrscher von Ceredigion, bei sich. Der König hatte zwei Neffen, wenn Ihr Euch entsinnt. In dem Brief heißt es, der ältere wäre in Königsfall ermordet worden, doch den jüngeren hätte die Quelle verschont, damit er eines Tages Anspruch auf den Thron erheben kann. Der Verfasser des Briefs erbat Chatriyons Hilfe, um Ceredigion anzugreifen. Okzitanien sollte von Westen aus angreifen unter dem Vorwand, es ginge um Brythonien. Atabyrion würde im Osten einfallen. Damit wäre der Norden schutzlos dem Angriff des Prätendenten und dem Heer von Legault ausgeliefert. Es ist wie am Berg Ambion. Dass Okzitanien ein Abkommen mit Atabyrion geschlossen hat, wissen wir schon länger, aber die Nachricht aus Legault ist eine Überraschung. Wie ich schon sagte, der Brief ist jüngeren Datums. Ich glaube, unser Königreich steht kurz vor einer Invasion. Chatriyons Angriff haben wir abgewehrt, aber die Kunde von seiner Niederlage erreicht die anderen beiden Bündnispartner vielleicht nicht schnell genug, um sie von ihren Angriffen abzuhalten.«

Owen stockte der Atem, als ihm bewusst wurde, dass Evie den Norden allein verteidigte.

»Ihr habt recht, Clark. Der König muss auf der Stelle davon erfahren. Ein weiterer Thronprätendent ist aufgetaucht.«

Clark holte tief Luft. »Es kommt noch schlimmer, Mylord.« Er wand sich unbehaglich. »Die Schwester des Königs, die Königinwitwe von Brugia, unterstützt das Komplott. Vier Königreiche haben sich gegen uns verbunden. Vier.« Er schüttelte fassungslos den Kopf. »Und ich verstehe nicht, warum die Schwester des Königs auf die Behauptungen eines Schwindlers hereinfallen sollte. Das wiederum wirft die Frage auf: Was, wenn tatsächlich einer von Eredurs Söhnen den Mordanschlag überlebt hat? Er war damals ein Junge. Heute wäre er ein Mann. Mindestens einundzwanzig, nach meiner Rechnung. Das ist … ein wahrer Schlag für den König!«

Owen klopfte Clark auf die Schulter. »Erzählt niemandem davon. Macht unsere Pferde bereit. Wir reiten auf der Stelle nach Königsfall.«

»König Severn Argentine hat nach dem Tod seiner ersten Gemahlin, Lady Nanette, Tochter von Lord Warrewik, nicht wieder geheiratet. Sie hatten ein gemeinsames Kind, das an Fieber starb, kurz nachdem Severn den Thron bestiegen hatte. Bald darauf starb seine Frau. Es heißt, sie sei vergiftet worden, doch derlei Mutmaßungen sind immer beliebt. An dem Tag, als seine Gemahlin starb, gab es eine Sonnenfinsternis. Manche haben dies als ein Zeichen der Quelle gedeutet, dass Severn den Thron nicht hätte besteigen sollen. Andere, die ihn besser kannten, sahen darin den Ausdruck seines tiefen Kummers über den Tod der Gemahlin. Böse Zungen behaupten, der König hege insgeheim den Wunsch, seine Nichte Elyse zu ehelichen. Doch wer die beiden bei Hofe erlebt hat, weiß, dass ihre Zuneigung nicht romantischer Natur ist. Sie verbindet eine gemeinsame Zuneigung: ihre tiefe Liebe zu Eredur Argentine. Selbst nach so vielen Jahren wirft dieser Geist noch seinen Schatten.«

Polidoro Urbino,

Hofgeschichtsschreiber von Königsfall

4

Severn

Als Herzog der Westmark hatte Owen sich daran gewöhnt, Nachrichten und Befehle durch Boten zu übermitteln. Aber diese Nachricht musste persönlich überbracht werden, zumal ein feindlicher Angriff drohte.

Owen hegte gemischte Gefühle gegenüber dem König. Es war nicht leicht, ihm zu dienen. Severns Zunge war rasiermesserscharf, er war reizbar und ungeduldig und weithin bekannt für seine Launenhaftigkeit. Außerdem war auch Severn mit der Gabe der Quelle gesegnet. Er konnte mit Worten überzeugen und ergötzte sich daran, andere mit Sarkasmus und zynischem Spott zu überziehen. Owen fragte sich insgeheim, wie es wohl wäre, wenn der König Lob statt Hohn verteilen würde. Würde sich seine Gabe verstärken? War ein so kaltherziger Mann überhaupt in der Lage, ein freundliches Wort zu sagen?

Und doch schätzte Severn Loyalität über alles – Treue bindet mich lautete sein Leitspruch, als er noch seinem Bruder Eredur diente, und Owen bewunderte ihn dafür, wie er seine angeborenen körperlichen Makel ausglich. Seine Schultern waren schief, und einer der Arme war leicht deformiert. Oft humpelte er, obgleich er sich Mühe gab, es zu überspielen.

Severn hatte sich den Thron von Ceredigion gesichert, nachdem er erfahren hatte, dass Eredurs Ehe aufgrund einer früheren Vermählung ungültig und damit seine Nachkommenschaft illegitim war. Kurz darauf waren Eredurs Söhne verschwunden, und es wurde weithin vermutet, dass Severn seine Neffen ermorden ließ, um ihnen die Krone zu entreißen. Das Wissen um diese Gerüchte quälte den König. Er hatte die Ermordung der Jungen nicht angeordnet, doch sie waren unter seiner Herrschaft getötet worden, und er fühlte sich deswegen schuldig. Außerdem hatte man die Sache nie offiziell bekannt gegeben.

Das war ein Fehler gewesen.

Manche mutmaßten, die Jungen seien noch am Leben und würden in einer der königlichen Burgen im Norden des Reichs versteckt. Doch Owen war in all diesen Burgen gewesen und wusste, dass sie dort nicht zu finden waren.

Der Kummer des Königs saß tief. Selbst nach über einem Jahrzehnt schwärte die Wunde noch. Owen konnte sich kaum vorstellen, welche Gefühle Severn durchleben würde, wenn er von dem Anspruch des Hochstaplers hörte und erfuhr, dass sich vier Königreiche auf dessen Seite geschlagen hatten.

Owen und Clark ritten in größter Hast von der Westmark in Richtung Osten, wechselten mehrfach die Pferde und gönnten sich nur den nötigsten Schlaf, um bei Kräften zu bleiben. Lord Horwath blieb in Averanche, um die Sicherheit der Westmark zu gewährleisten. Danach wollte er Owen in Königsfall treffen. Owen hatte ihn natürlich in die Neuigkeiten eingeweiht, und auch Horwath war der Meinung, dass der König sofort davon erfahren musste, und er teilte Owens Sorge um Evie im Falle einer Invasion im Norden.

Owen war jahrelang nicht in Königsfall gewesen, und als sie sich der Stadt nun näherten, erwachten widersprüchliche Gefühle in seinem Herzen. Er erinnerte sich daran, wie er als kleiner Junge hinter Lord Horwath im Sattel gesessen hatte, als sie zum Palast geritten waren. Jetzt kam er mit seinem eigenen Gefolge, das für alle sichtbar die Standarte mit seinem Wappen trug. Die Menschen begrüßten ihn überschwänglich, viele lüfteten ihren Hut und winkten ihm zu. Einige Frauen warfen Blumen in der Hoffnung, dass er ihnen einen Blick schenkte. Die Kunde von seinem Sieg in Okzitanien war ihm vorausgeeilt.

Als er durch die Stadt ritt und die Brücke zum Tempel Unserer Herrin der Quelle überquerte, blickte er hinauf zu den Turmspitzen und dachte daran, wie er sich aus dem Palast geschlichen hatte, um in den heiligen Tempelmauern Schutz zu erbitten. Dabei war er zum ersten Mal auf Dominic Mancini getroffen, der damals ein einfacher Spion gewesen war, und auf die Königinwitwe, die auch jetzt noch dort lebte. Der Gedanke brachte ihn auf eine Idee, die er ausarbeiten würde, bis er den König traf.

Sie erreichten den Palasthügel und trieben ihre erschöpften Pferde ein letztes Mal an. Es war ein Dreitagesritt von der Grenze Okzitaniens bis nach Königsfall, und Owen war müde und hungrig. Die Versuchung war groß, sich in die Küche zu schleichen, um sich eine Waffel von der Köchin Liona zu holen, die ihm als kleinem Jungen so viel Trost geschenkt hatte.

Owen entließ seine Eskorte und marschierte in die dunklen Hallen des Palasts, die Hand auf dem Schwert. Sogleich trat ihm Mancini entgegen.

»Ich bin überrascht, Euch hier zu sehen«, empfing ihn der fettleibige Espion mit einem hinterlistigen Lächeln. »Doch es war wohl der Wille der Quelle, denn ich habe Neuigkeiten.« Ein paar graue Strähnen durchzogen Mancinis Haar, und sein enormer Leibesumfang hatte sich ein wenig vermindert, doch er würde immer ein dicker Mann sein. Er trug die eleganten Gewänder eines Höflings, auf seiner Tunika prangte das königliche Wappen mit dem weißen Keiler, und um den Hals trug er die Amtskette. Seit zehn Jahren war er nun Herr über das Espion und hatte seinen Einfluss auf den König durch fachkundigen Rat und die Kenntnis fremder Länder stetig vergrößert. Sein Wissen über die Handelsnation Genevar hatte die Kassen des Königs merklich gefüllt. In den letzten Jahren hatte Severn mehrere Schiffskapitäne unterstützt und Erkundungsreisen finanziert, um neue Handelsrouten in den Süden zu erschließen. Einige hatten sich als ertragreich erwiesen.

»Ich frage mich, ob wir dieselben Neuigkeiten haben«, sagte Owen, ohne den Schritt zu verlangsamen.

»Der Eile nach zu urteilen, die ihr jungen Leute so gern an den Tag legt, wäre es möglich. Hattet Ihr in letzter Zeit irgendwelche Träume, Mylord?«, fragte Mancini mit einem schmierigen Grinsen.

»Die hatte ich in der Tat«, erwiderte Owen. So sehr er Mancinis Fähigkeiten schätzte, blieb er doch vor ihm auf der Hut, denn der Espion verstand es, jede Information zu seinen Gunsten zu nutzen. »Ich träumte von Legault.«

Mancini schürzte die Lippen. »Also habt Ihr von dem Hochstapler gehört. Ich habe den König bereits unterrichtet. – Schaut nicht so verdrossen, Owen, es ist meine Aufgabe, ihn zu informieren, bevor es andere tun. Hätte ich von Eurem Kommen gewusst, hätte ich noch einen Tag gewartet. Aber derlei Neuigkeiten dulden normalerweise keinen Aufschub.«

»Ich verstehe, Mancini«, sagte Owen. Vor allem verstand er, dass Mancini stets zuerst die eigenen Interessen im Blick hatte. »Wo ist der König?«

»Wo er immer ist, wenn er sich ärgert. Kommt mit.«

Sie gingen zum Thronsaal. Owen war verschwitzt und gereizt vor Müdigkeit, er sehnte sich nach einem Bad und einer Mahlzeit, aber die Sorge um Evie trieb ihn an. Was, wenn der falsche Prinz mit einem Überraschungsangriff in den Norden einfiel? Er wollte so schnell wie möglich wieder aufbrechen, um ihr beizustehen.

Eine Fanfare verkündete ihre Ankunft im Saal, ein Brauch, der Owen genauso verhasst war wie dem König selbst.

Owen musste daran denken, wie viel sich geändert hatte, seit man ihn vor all den Jahren das erste Mal dem König vorgeführt hatte. Seitdem war Severn sichtlich gealtert. Sein Haar schimmerte silbern an den Schläfen, aber er trug es noch immer lang, wie es Mode in Ceredigion war. Auch seine Kleidung war weiterhin schwarz, wenngleich kunstvoll geschneidert und von feinstem Stoff, da sein Reichtum zunahm, und er hatte unverändert die unbewusste Angewohnheit, seinen Dolch ein Stück aus der Scheide zu ziehen und wieder hineinzustoßen, als würde er jemanden erstechen. Seine Haltung auf dem Thron – nach vorn gebeugt, das Kinn auf die Faust gestützt – verbarg den krummen Rücken.

»Owen«, rief der König überrascht, und sein Gesicht hellte sich auf. Owen kniete vor dem Thron nieder, doch Severn winkte ihn ungeduldig wieder hoch.

»Majestät, ich ritt, so schnell ich konnte«, erklärte Owen und fühlte, wie ihm Schweiß über den Rücken rann.

»Ihr kommt wie gerufen«, antwortete der König ernst. »Ich gratuliere zu Eurem Sieg. Die Nachricht hat uns erst gestern erreicht. Gut gemacht, Junge. Etwas anderes hatte ich nicht erwartet. Doch es gibt Ärger. Über dem Meer braut sich ein Sturm zusammen.« Seine Miene verdüsterte sich.

»Ich weiß«, sagte Owen und trat näher, während sich Mancini in respektvollem Abstand hielt. Owen räusperte sich. »Verzeiht, Majestät, ich bin erschöpft von der Reise. Doch ich hatte einen Traum in der Westmark, von dem ich Euch berichten muss.«

»Einen Traum? Erzählt!« Severns Augen waren groß. Er schien begierig, Owens prophetischen Traum zu hören.

»Es war ein kurzer Traum«, begann Owen. »Ich lief durch einen Garten. Dort stand ein verdorrter Rosenbusch, und als ich daran vorüberging, bemerkte ich eine einzelne weiße Rose darin. Ich pflückte sie und roch an ihr, doch im Traum kann man nicht riechen. Ich konnte nicht sagen, ob noch Leben in ihr war oder nicht.«

Die Augen des Königs verengten sich. »Eine weiße Rose.«

Owen nickte. Er hatte das Bild der Rose gewählt, weil sie auf Ere­durs Kriegsbanner prangte – zusammen mit einer Sonne. Er griff in sein Wams und zog den Brief aus Chatriyons Zelt hervor. »Dann kämpften wir gegen das okzitanische Heer, und einer meiner Männer fand diesen Brief im Zelt des Königs. Nachdem ich ihn gelesen hatte, verstand ich den Traum.«

Der König riss den Brief an sich, faltete ihn auf und überflog ihn mit fiebrigem Blick. Dabei verzog sich sein Gesicht vor Zorn.

»Verdammt sei die Quelle!«, donnerte er und warf das Schreiben zu Boden. Bebend erhob er sich vom Thron. Bedienstete schlüpften aus dem Saal, um dem Gewitter zu entgehen, das sich da zusammenbraute. Severns blasphemischer Fluch brachte auch Owens Herz ins Stocken, doch er schwieg. Er wusste aus Erfahrung, dass es am besten war, abzuwarten, bis sich das Gewitter entladen hatte.

Der König stieg von der Estrade, trat dabei auf den Brief. »Muss ich mich denn ständig mit Unzufriedenen und Intriganten plagen? Ist mir kein Moment des Friedens vergönnt? Ich hatte zwei Feinde, zwei knurrende Wölfe, die nach meinen Fersen schnappten. Jetzt kommt ein Jäger und zielt mit einem Spieß auf mein Herz. Und wer steckt dahinter? Meine eigene Schwester!«

Owen sah den König an und wartete, wohl wissend, dass es noch zu früh war, um zu sprechen. Der Zorn des Königs loderte noch.

»Überall schlägt mir Hass entgegen«, murmelte Severn. »Hass, Furcht und Verachtung. Selbst die Hunde kläffen mir hinterher. Früher wurde dem Haus Argentine Respekt und Zuneigung entgegengebracht. Ganze Völker zitterten davor, unseren Ärger auf sich zu ziehen. Jetzt seht sie Euch an. Sie verschwören sich und planen heimlich, mich zu erlegen. Wie einen Keiler.« Seine Stimme senkte sich zu einem Knurren. »Aber ich lasse mich nicht fangen. Ich lasse mich nicht aufspießen.«

Es schien zu merken, dass er Selbstgespräche führte. Mühsam richtete er sich auf und wandte sich Owen und Mancini zu, die ihn anstarrten.

»Es ist schwer, angesichts solcher Machenschaften einen kühlen Kopf zu bewahren«, sagte er düster. »Deshalb brauche ich Euch, Owen, Dominic. Im Moment vernebelt mir die Wut den Blick. Drei Feinde, vier, wenn man Brugia mitzählt. Da könnte sich genauso gut die Prophezeiung vom grimmen Totgeglaubten erfüllen und alle sechs Königreiche greifen uns an.« Er tippte sich an die Lippen und schüttelte sorgenvoll den Kopf. »Die Prophezeiung. Ein interessanter Gedanke. Was, wenn das die Erfüllung der Prophezeiung ist? Ein König erhebt sich von den Toten und vereinigt Ceredigion. Mein Bruder hielt sich für den Totgeglaubten. Auch ich dachte einmal, ich wäre damit gemeint. Aber was, wenn es dieser Hochstapler ist? Was, wenn das ein Spiel ist, das ich nicht gewinnen kann?«

»Majestät«, sagte Mancini geduldig, »haltet Euch nicht zu lange mit toten Widersachern auf, Ihr habt genügend lebendige. Prinzen spielen Wizar um Königreiche. Euer Protegé hat Chatriyon VIII. von Okzitanien soeben eine empfindliche Niederlage beschert. Chatriyon wollte seine Macht durch eine Vermählung mit Lady Montfort mehren, und Ihr habt ihn daran gehindert. Warum sollte er den Anspruch dieses … dieses … Tuchhändlersohns aus Legault auf den Thron von Ceredigion unterstützen, wenn nicht, weil er Euch fürchtet, Majestät. Und er fürchtet, Euch in einer echten Schlacht zu unterliegen. Aber genauso gut könnte er einen Affen krönen! Der Hochstapler wird sich keinen Monat halten, geschweige denn ein Jahr. Es ist ein Spiel. Ein Manöver. Ihr werdet noch Gelegenheit bekommen, Okzitanien für seine Niedertracht zu bestrafen.«

»Und Legault?«, fragte der König zornig.