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Eigentlich sollte Kazumas zweites Leben in der anderen Welt super laufen und seine Party die mächtigste Gruppe in Axel sein. Seine Freunde haben schließlich die fortgeschrittensten Klassen: Aqua ist Hohepriesterin, Megumin Erzmagierin und Darkness ein Paladin. Doch leider haben sie alle einen Knall, sodass alles schrecklich schiefgeht und sie kaum genug sparen können, um sich einen Stall zu leisten! Die Gelegenheit, in einem Herrenhaus zu übernachten, kommt da gerade recht. Bloß: Sie müssen die bösen Geister austreiben, die dort spuken. Was kann da schon passieren?
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Seitenzahl: 208
Veröffentlichungsjahr: 2021
»Kazuma Sato … Willkommen in der Welt der Toten. Ich bin die Göttin Eris, und ich werde dir deinen neuen Pfad weisen. Dein Leben in dieser Welt ist vorbei.«
Als ich meine Augen öffnete, war ich an einem Ort, der wie ein römischer Tempel aussah. Das Mädchen vor mir hatte diese Worte gesprochen, aber ich konnte ihnen keinen Sinn abgewinnen.
Sie trug einen weiten weißen Federmantel, hatte langes silbernes Haar und Alabasterhaut. Ihr wirkliches Alter war unmöglich abzuschätzen, aber sie wäre als jünger als ich durchgegangen. Ich glaubte, einen Schatten über ihre hübschen Züge huschen zu sehen.
Die Göttin mit den blauen Augen, die sich selbst Eris genannt hatte, sah mich mitleidig an, während ich dastand und starrte.
Als ich ihre Worte verarbeitet hatte, wurde mir klar, dass ich tot war. Das Gefühl war seltsam vertraut. Genauso war es gewesen, als ich die andere selbst ernannte Göttin, Aqua, getroffen hatte, was mich überhaupt erst in diese Welt gebracht hatte.
Doch dieses Mal erinnerte ich mich an das, was vor meinem Tod passiert war.
Verstehe … Ich bin also wieder gestorben. Während sich dieser Gedanke formte, rollte etwas Feuchtes über meine Wange. Als ich das erste Mal gestorben war, war das nicht passiert.
Hm … Wer hätte das gedacht! Diese dämliche, nutzlose Welt war mir wohl doch mehr ans Herz gewachsen, als ich geglaubt hatte.
»Ich will Kohle!«, stöhnte ich genervt.
Kohle, ja. Und zwar jede Menge davon.
In der Gaststube der Abenteurer-Gilde hielt ich meinen Kopf mit beiden Händen und lag mit der Stirn auf der Tischplatte.
»So wie alle. Mich eingeschlossen! Denk doch mal nach. Ist das nicht absolut armselig? Selbst wenn du davon ausgehst, dass ich – eine Göttin, wohlgemerkt! – den Rest meines Lebens in einem Stall wohnen wollte, warum würdest du das zulassen? Würdest du dich nicht schämen? Wenn du das verstehst, dann tu was! Verhätschel mich!«, redete die wunderschöne junge Frau mit dem hellblauen Haar auf mich ein, während ich mich zusammenkauerte.
Sie sah gut aus, aber damit hatte es sich auch schon. Ihr Name war Aqua, und angeblich war sie eine Art Göttin …
»Du weißt nicht mal, wofür ich das Geld will, oder?«
»Wie sollte ein reines, gutherziges, wunderschönes Wesen wie ich wissen, was im dreckigen Verstand eines ehemaligen Hikikomori vorgeht? Wahrscheinlich willst du nur genug Geld, um dich für den Rest deines Lebens irgendwo einschließen zu können oder so was.«
»Es geht um die Schulden!«, spie ich ihr entgegen.
Aqua zuckte leicht zusammen und wandte sich ab.
»Schulden! Die Schulden, die du angehäuft hast, verschlingen einen Großteil der Belohnung für jede neue Quest. Es ist fast Winter! Als ich heute Morgen in meinem Strohhaufen aufgewacht bin, waren meine Augenbrauen eingefroren! Alle anderen Abenteurer schlafen längst im Gasthaus. Was machen wir, wenn es erst mal richtig Winter ist, hm? Wir werden in unseren Strohhaufen erfrieren! Wen interessiert schon, ob wir den Dämonenkönig besiegen und nach Hause kommen – ich will einfach nur die Nacht überleben!« Ich schlug mit den Fäusten auf den Tisch, während ich Aqua anschrie, die sich die Ohren zuhielt und die Augen zusammengekniffen hatte. Dann drehte ich mich um.
Die Bewohner dieser Welt waren Abenteurer. Tag und Nacht bekämpften sie Monster, die die Bevölkerung bedrohten, sparten ihren Lohn für einen Drink an der Bar auf und existierten generell, ohne zu wissen, ob sie den nächsten Tag noch sehen würden. Doch selbst diesen Leuten, die von der Hand in den Mund lebten, war es gelungen, sich für den Winter ein Plätzchen in einem Gasthaus zu sichern.
Ein Grund dafür war, dass die meisten schwächeren Monster Winterschlaf hielten, sodass nur noch mächtigere Gegner unterwegs waren. Wir hatten unsere Basis in Axel, einer Stadt voller neuer Abenteurer, und für solche Amateure, die noch grün hinter den Ohren waren, wäre es Selbstmord gewesen, gegen diese Wintermonster anzugehen.
Rumms! Aqua leitete ihre Antwort mit einem Schlag auf den Tisch ein. »Na, was hätte ich denn tun sollen?! Ohne meine total unglaubliche Leistung wäre die Stadt vielleicht vernichtet worden. Und dafür brummen die mir Schulden auf?! Die sollten mir danken! Diese Rechnung war ungerechtfertigt. Ich werde mich gleich bei der Rezeptionistin beschweren!«
»Hey, lass gut sein! Belästige die Dame nicht. Du darfst nicht vergessen, dass sie uns eine stattliche Belohnung gegeben haben, auch wenn sie uns dann so viel berechnet haben, dass wir in die roten Zahlen gerutscht sind. ›Tut uns leid, dass wir Teile der Stadt zerstören mussten, um sie zu retten.‹ Glaubst du, dafür lassen sie uns ungeschoren davonkommen?«
Ein General des Dämonenkönigs namens Beldia hatte die Stadt angegriffen.
Ganz genau, der Dämonenkönig. Wie man ihn aus Manga, Videogames und Ähnlichem kennt. Und einer seiner Generäle hatte uns angegriffen.
Aqua hatte Beldias Schwäche ausgenutzt, indem sie ihn mit einer Flutwelle angegriffen hatte. Im Anschluss hatte ich ihn mit einer unschlagbaren Technik bezwungen, und wir waren ohne größere Schwierigkeiten davongekommen. Außer …
»Wie auch immer! Du bist die ganze Zeit nur weggerannt, und als ich dann den Dullahan geschwächt hatte, hast du ihm mit ›Stehlen‹ den Kopf geklaut. Du schuldest mir Anerkennung. Bewunderung! Wo sind die Verbeugungen, der Jubel, die Geschenke?! Jeder hier in der Gilde sollte rufen: ›Wir wussten, du schaffst es, oh verehrte Göttin!‹«
»Du größenwahnsinnige Schwachsinnige! Du bist ganz schön von dir eingenommen. Ja, ich gebe zu, dass du den Dullahan irgendwie bezwungen hast. Na schön. Die Belohnung, das Lob und alle Schulden gehören ganz dir! Also kannst du sie auch ganz allein zurückzahlen.«
»Waaah! Es tut mir leid! Ich hab mich mitreißen lassen. Bitte verlass mich nicht!« Aqua heulte und klammerte sich an mich, während ich aufstand, um die Göttin der Schulden zurückzulassen.
Doch hinter uns rief jemand: »Müsst ihr zwei wirklich schon am frühen Morgen streiten? Alle … Keiner starrt euch an. Wie’s aussieht, hat sich die gesamte Gilde schon daran gewöhnt.«
»Ihr seid früh dran. Gibt’s irgendwelche guten Jobs?«
Angesprochen hatten uns unsere Gefährtinnen: Darkness, unsere Paladin/Hardcore-Masochistin, und Megumin, unsere ewig kindliche Erzmagierin.
Während sie sich setzte, strich Darkness ihr langes goldenes Haar zurück. Sie trug bequeme Alltagskleidung und hatte ihr Großschwert umgeschnallt. Megumin setzte sich neben sie. Eine Augenklappe verdeckte eines der roten Augen der Magierin.
»Hey, Leute, seid ihr fertig mit den Vorbereitungen? Bisher haben wir keine Jobs gefunden. Unter den gegebenen Umständen hab ich keinen Grund zur Eile gesehen. Ich dachte, wir könnten warten, bis ihr da seid.« Während ich sprach, sah ich mich in der Gildenhalle um. Trotz der frühen Stunde betranken sich viele Abenteurer nach Herzenslust.
Manche Dinge waren wohl einfach zu erwarten. Jeder, der an der Schlacht gegen den General des Dämonenkönigs teilgenommen hatte, hatte eine Belohnung bekommen. Und Abenteurer mit vollen Taschen hatten keinen Grund, sich die Mühe zu machen, gefährliche Wintermonster zu jagen. Dementsprechend konnten wir uns am Schwarzen Brett unsere Quests frei aussuchen.
Ich ging hin, um zu sehen, ob es was Gutes gab. »Mal sehen … Ein paar höhere Belohnungen, aber keine Quests, die sich wirklich zu lohnen scheinen …«
Schalte ein Rudel Weißwölfe aus, die eine Farm bedrohen.
Belohnung: 1 Million Eris.
Ein Zerstörerbär ist aus dem Winterschlaf erwacht und lebt in einem Feld.
Belohnung fürs Töten: 2 Millionen Eris. Belohnung fürs Verjagen: 500 Tausend Eris.
Auf keinen Fall konnten wir ein Rudel Wölfe bewältigen. Sie waren größer als Hunde, schneller, und wenn sie sich alle auf einmal auf uns stürzten, wären wir erledigt.
Und der Bär war auch keine Option. Was, wenn er Megumin oder mich angriff? Verdammt, wahrscheinlich wären wir hinüber, wenn er uns nur den Kopf tätschelte. Außerdem wollte ich nichts mit einem Wesen zu tun haben, das Zerstörerbär hieß.
»Was ist das? ›Die mobile Festung Destroyer ist in der Gegend. Späher gesucht, um ihre mögliche Route auszukundschaften.‹ Hm? Was ist ein Destroyer?«
»Destroyer ist … Destroyer eben«, sagte Darkness. »Du weißt schon, schnell, mobil … eine Festung.«
»Sie bewegt sich zack, zack«, fügte Megumin hinzu, »und trampelt alles auf ihrem Weg nieder. Außerdem ist sie seltsam beliebt bei Kindern.«
Klar. Ich versteh kein Wort.
Ich stellte auf Durchzug und machte mich wieder auf die Suche nach einem Job. Übrig blieb noch …
»Hey, wie wär’s damit? Schneegeister jagen? Das klingt nicht sehr bedrohlich.«
Jeder Schneegeist, den man einfing, brachte hunderttausend Eris ein. Im Vergleich zu den Wesen, die wir bisher bekämpft hatten, war das keine sehr lukrative Belohnung, aber der Name klang im Gegensatz zu Wölfen und Bären nicht sehr bedrohlich.
»Schneegeister sind sehr schwache Monster. Schneefelder sollen voll von ihnen sein, und ich habe gehört, man kann sie leicht mit dem Schwert niederstrecken. Aber …«
Bevor Megumin ausreden konnte, riss ich den Zettel vom Brett. Während ich ihn einsteckte, schloss Aqua sich uns an.
»Schneegeister jagen? Sie sind für Menschen nicht sehr gefährlich, aber es heißt, wann immer einer stirbt, rückt der Frühling einen halben Tag näher. Wenn ihr auf diese Quest wollt, mach ich mich schnell fertig. Wartet kurz!« Und sie verschwand irgendwohin.
Megumin schien keine Einwände gegen die Quest zu haben. Darkness dagegen murmelte vor sich hin: »Schneegeister …?«
Ich hatte erwartet, dass unsere Hardcore-Masochistin protestieren würde. Die Paladin wollte sich immer mit mächtigen Monstern messen. Doch aus irgendeinem Grund schien sie fast glücklich zu sein.
Während wir warteten, machte ich mir Sorgen um Darkness’ Stimmung. Sobald Aqua zurück war, brachen wir allerdings trotzdem auf.
Auf einem Feld außerhalb der Stadt.
Ich war ziemlich sicher, dass es in der Stadt noch nirgendwo geschneit hatte, doch hier – und nur hier – war alles weiß überzuckert. Hier und da schwebten weiche weiße Wattebällchen von der Größe meiner Faust in der Luft – das mussten die Schneegeister sein. Auf jeden Fall sahen sie nicht gefährlich aus. Warum also waren sie hunderttausend das Stück wert?
Es gab diese Legende, dass der Frühling ein paar Stunden früher kam, wann immer eine dieser Kreaturen starb. Vielleicht hatten sich ein paar Leute, die den Frühlingsanfang nicht erwarten konnten, zusammengetan, um diese großzügige Belohnung auszusetzen. Niemand hatte schließlich gesagt, dass das Monster mächtig sein musste, nur weil die Quest eine üppige Belohnung versprach. Angenommen, man hatte ein mittelstarkes Monster, das Felder aufwühlte, aber keine Gefahr für Menschen darstellte, und ein schwaches, das angriffslustig war und aktiv Leute angriff. Natürlich würde das Kopfgeld für das schwache, aber aggressive höher sein.
Ja, die Summe, die auf die Geister ausgeschrieben war, machte mir Sorgen, aber etwas anderes beschäftigte mich noch mehr. »Was soll eigentlich dieses dämliche Outfit?«
Es war tiefster Winter, und Aqua war mit einem Schmetterlingsnetz und ein paar kleinen Flaschen ausgerüstet wie ein dummes Kind, das Käfer fangen wollte.
Aqua warf mir einen Blick zu, mit dem man nur vollkommene Idioten bedenken würde.
Diese kleine …!
»Wir fangen ein paar Schneegeister und sperren sie in diese Flaschen. Dann stellen wir die Flaschen in die Kiste mit unseren Getränken. So haben wir eisgekühlte Neroid, wann immer wir wollen. Mit anderen Worten: Ich habe gerade den Kühlschrank erfunden! Was denkst du? Ziemlich clever, oder?«
Ich ahnte schon, dass das nach hinten losgehen würde. Aber es war ihre Idee, und sie konnte machen, was sie wollte. Außerdem …
»Hey … Wo ist deine Rüstung?«
»In der Werkstatt.«
Als sei Aqua allein nicht schlimm genug, war Darkness, unsere Ein-Frau-Verteidigung, immer noch in ihrer Alltagskleidung und trug nur ihr Schwert an der Hüfte.
»Ja, der General des Dämonenkönigs hat deiner Rüstung ganz schön zugesetzt, was? Aber bist du sicher, dass dir so nichts passiert? Na ja, ich schätze, die Schneegeister neigen ohnehin nicht dazu, anzugreifen.«
»Das ist kein Problem. Ein bisschen kühl vielleicht, aber ich sehe es einfach als Test meiner Widerstandsfähigkeit.«
Nur in ihrem engen schwarzen Rock und dem schwarzen Shirt stand Darkness bibbernd da und wirkte, als müsste ihr ziemlich kalt sein. Aber vielleicht gehörte die Perverse auch einfach zu den Leuten, denen immer warm war. Möglicherweise brachte das auch ihr Hirn zum Schmelzen.
Wir sammelten uns und begannen mit der Jagd.
»Megumin, Darkness! Schnappt euch den, der da lang ist! Halt still, verdammt!«
Die Schneegeister hatten träge in der Luft geschwebt, solange wir uns von ihnen ferngehalten hatten, doch sobald wir zum Angriff übergingen, schossen sie davon. Es war schwer, einen Treffer zu landen.
Aber, na ja, sie waren je hunderttausend wert. So einfach konnte es also nicht sein.
Ich erwischte meinen dritten oder vierten Geist, dann atmete ich durch.
»Ich hab meinen vierten gefangen! Sieh dir das an, Kazuma! So viele!«
Als ich mich auf Aquas aufgeregten Ruf hin umdrehte, stopfte sie gerade einen gefangenen Schneegeist in eine Flasche.
Vielleicht hätte ich statt meinem Schwert doch ein Netz mitbringen sollen.
Wenn wir auf dem Feld nicht genug Geister erledigen konnten, konnten wir immer noch die in Aquas Gläsern plattmachen.
»Kazuma. Darkness und ich jagen die Geister durch die Gegend, aber sie sind zu flink und schwer zu treffen. Kann ich das Feld bitte einfach mit ›Explosion‹ überziehen?«, fragte Megumin atemlos. Nachdem sie und Darkness ihn kreuz und quer über die Ebene gejagt hatten, war es ihr endlich gelungen, einem Geist eins mit ihrem Stab überzuziehen.
Ich hatte Sorge gehabt, dass wir den Wölfen oder dem Bären aus den anderen Quests begegnen könnten, aber mein »Gegner erspüren«-Skill war ständig aktiv, und wenn ich etwas spürte, konnten wir sofort weglaufen.
»Gut. Dann mach, Megumin. Säubern wir dieses Feld.«
Megumin sah mich aufgeregt an und leitete ihren Zauberspruch ein.
»Explosion!«
Megumins ultimativer Zauber, den sie nur einmal pro Tag einsetzen konnte, hüllte das Feld ein. Die Druckwelle der tosenden Detonation erschütterte die kalte, trockene Luft, und in dem Krater, der sich in der Mitte des Felds auftat, konnten wir die blanke Erde sehen.
Megumin, die all ihre Magie aufgebraucht hatte, brach zusammen. Dennoch schaffte sie es, uns stolz ihre Abenteurerkarte zu zeigen. »Acht! Ich hab acht erledigt und aufgelevelt!«
Hey, nicht schlecht.
Es wäre allerdings beeindruckender gewesen, wenn sie nicht mit dem Gesicht im Schnee gelegen hätte.
Das machte drei für mich und neun für Megumin. Insgesamt hatten wir bisher also zwölf ausgeschaltet. Zusammen mit denen, die Aqua gefangen hatte, hatten wir sechzehn – mit anderen Worten, 1,6 Millionen Eris. Das bedeutete vierhunderttausend pro Kopf. Und es hatte nicht mal eine Stunde gedauert.
Das war also die berüchtigte Winterjagd? Warum befasste sich niemand sonst mit diesen schwachen und doch so profitablen Monstern?
Die Antwort auf meine Frage folgte auf dem Fuße …
»Ah, da ist er ja!«
Nach einem kurzen Blick ging Darkness mit gezücktem Schwert in Position. Sie grinste zufrieden.
Es brach so schnell über uns herein, dass mein »Gegner erspähen«-Skill mich nicht rechtzeitig warnen konnte, um zu fliehen.
Megumin, die noch vor einer Sekunde vor Stolz gestrahlt hatte, lag jetzt ganz still auf dem Boden und stellte sich tot.
»Kazuma, ich kann dir sagen, warum Abenteurer keine Quests im Winter annehmen.« Aqua wich zurück, ohne den Blick von dem Ding zu nehmen.
Das Wesen, das unser aller Aufmerksamkeit gefesselt hatte, glitt einen Schritt vor.
»Du hast in Japan gelebt. Da müsstest du zumindest mal seinen Namen im Wetterbericht zu dieser Jahreszeit gehört haben.«
Sein gesamter Körper war in eine weiße Rüstung gekleidet, und es verströmte einen unbändigen Drang, uns zu vernichten.
Ja, ich war Japaner. Ich wusste auf den ersten Blick, was das war, selbst wenn Aqua nichts gesagt hätte. Sobald ich diese schreckliche Figur gesehen hatte, brauchte ich keine Erklärung mehr von ihr. Trotzdem wartete ich ab.
»Der Herr der Schneegeister, von dem die Legenden des Winters erzählen …«
Er trug einen weißen Samuraihelm und einen äußerst fein gearbeiteten Waffenrock. Eisnebel stieg von der Klinge in den Händen des weiß maskierten Schwertkämpfers auf.
Mit ernstem Gesicht murmelte Aqua: »Der Wintergeneral* ist hier.«
»Idioten! Diese ganze verfluchte Welt! Leute und Essen und Monster – alles komplette Idioten!«
Die Schneide des Schwerts funkelte scharf wie eine Rasierklinge. Und dann griff der Wintergeneral an.
*Bezeichnet in Japan die kalten Luftmassen aus Sibirien, die starken Schneefall im Osten Japans bringen.
Eine Rüstung in reinem Weiß. Eigentlich eine dämliche Farbe für eine Rüstung, aber das minderte den Prunk dieses Modells aus der Zeit der Streitenden Reiche* nicht im Geringsten. Das aufwändige Muster auf dem Waffenrock war mit Eis überzogen.
Man musste dem Katana, von dem eisiger Nebel aufstieg, nicht nahekommen, um zu erkennen, dass die Klinge gefährlich scharf war. Der Wintergeneral verströmte eine mächtige Präsenz und einen starken Blutdurst, während er in Position ging und das Schwert neben seinen Kopf hob.
Die blanke Klinge funkelte in der Sonne. Dann stürzte der General auf seinen erstbesten Feind zu – Darkness!
»Hrk?!« Darkness wollte den Hieb mit ihrem Großschwert abblocken, aber …
Mit einem feinen Klirren brach ihr Schwert, das selbst den heftigsten Attacken von Beldia standgehalten hatte, entzwei.
»Aaah! M… Mein Schwert …!«
Aqua versuchte, Abstand zu dem Kampf zwischen Darkness und dem Wesen zu gewinnen. »Der Wintergeneral«, sagte sie. »Die Regierung hat eine besonders hohe Belohnung auf ihn ausgesetzt. Er ist der Geist des Winters selbst … Geister haben keinen richtigen Körper. Sie dringen ins Unterbewusstsein der Menschen ein, denen sie begegnen, und ziehen daraus die Form, die sie annehmen. Ein Feuergeist kann als wilder Feuersalamander erscheinen, weil wir Feuer mit einem alles verschlingenden Inferno verbinden. Ein Wassergeist könnte sich am Bild einer reinen, großartigen, brillanten, atemberaubenden Wassergöttin orientieren und als wunderschöne Frau auftreten … Aber der Geist des Winters ist eine Ausnahme. All die mächtigen Monster halten die Abenteurer im Winter in ihren Häusern, und die Stadtbewohner erst recht. Deshalb begegnet kaum jemand dem Geist des Winters … es sei denn, er kommt aus Japan und verwendet Cheats.« Aqua hielt ihre Flasche voller Schneegeister fest umklammert, während sie mich über den Geist des Winters aufklärte.
Ein weißer Nebel stieg aus dem Mund der Maske des Geistes auf, fast wie eine Atemwolke.
Ich stand neben Darkness mit ihrer gebrochenen Klinge und hatte mein eigenes Schwert auf den General gerichtet. »Du willst also sagen, dieser Kerl existiert, weil irgendein Penner aus Japan in diese Welt gekommen ist und sich dachte: ›Oh, Winter! Als sei der Wintergeneral hier!‹? Wie ätzend! Was sollen wir tun? Wie bekämpft man den Geist des Winters?«
Um ehrlich zu sein, glaubte ich nicht, dass wir auch nur die geringste Chance hatten, das Monster vor uns zu besiegen. Es mochte aussehen wie die Rüstung eines menschlichen Kriegers, aber anscheinend war es ein Geist in physischer Gestalt. Irgendwie bezweifelte ich, dass sich das Problem mit einem einfachen Schwerthieb aus der Welt schaffen ließ.
Megumin, unsere letzte Hoffnung, hatte ihre Magie für heute bereits aufgebraucht. Sie lag immer noch auf dem Boden und stellte sich tot. Wenn der Kampf vorüber war, würde ich vielleicht einfach auf sie treten.
Aqua öffnete den Deckel ihrer Flasche und befreite die Schneegeister, die sie so mühevoll eingefangen hatte. »Hör zu, Kazuma. Der Wintergeneral ist großherzig. Wenn wir aufrichtig um Verzeihung bitten, wird er uns gehen lassen.«
Kaum hatte Aqua ausgesprochen, warf sie sich auf den verschneiten Boden. »Kniet alle nieder!«, rief sie. »Kommt schon, werft euch zu Boden! Beeilt euch und legt eure Waffen ab! Bittet um Verzeihung! Schnell, Kazuma, bitte um Verzeihung!«
Die frühere Was-auch-immer schluckte ihren Stolz hinunter und berührte mit der Stirn den Schnee. Es war eine beeindruckende Unterwerfung.
Der Anblick von Aqua, die sich so bereitwillig erniedrigte, und Megumin, die sich tot stellte, befreite mich aus meiner Schockstarre. Es stimmte: Der Wintergeneral hatte sich von der am Boden kauernden Aqua abgewandt.
Was bedeutete, dass er Darkness und mich umso intensiver anstarrte. Es brauchte allerdings nicht mehr als einen flüchtigen Blick von ihm, um mich davon zu überzeugen, mich auf den Boden zu werfen.
Darkness dagegen stand immer noch über mir.
»Hey, was machst du denn? Runter mit dir!«
Sie hatte die Einzelteile ihres Schwerts weggeworfen und blickte den Wintergeneral hasserfüllt an. »Hrr! Auch ich habe meinen Stolz als Kriegerin – als Paladin! Die Vorstellung, dass ein Ritter wie ich sich einem Monster beugt, nur weil ich ein bisschen Angst habe … Selbst wenn mich niemand dabei beobachten würde …«
Na toll! Mit der linken Hand griff ich nach ihr und zog sie nach unten. »Sonst rennst du jedem Monster hinterher, und ausgerechnet jetzt entwickelst du Stolz?«
»H… Hör auf! Hrr! Wo ist die Ehre darin, mich gegen meinen Willen zu beugen und das Gesicht in den Staub gedrückt zu bekommen?« Sie atmete schwer. »Aah, der Schnee ist kalt!«
Während ich der Perversen den Kopf runterdrückte, hielt ich auch selbst den Kopf unten. Ihre Wangen waren gerötet. Sie tat nur so, als würde sie sich wehren.
Ich spähte zum Wintergeneral hinauf: Er hatte sein Schwert bereits wieder weggesteckt. Erleichtert atmete ich auf, hielt den Kopf aber …
Aqua schrie schrill auf: »Kazuma, deine Waffe! Deine Waffe! Du musst die Waffe in deiner Hand loslassen!«
Das Gesicht ins eisige Gras gedrückt, erinnerte ich mich plötzlich, dass ich mein Schwert noch in der rechten Hand hielt. Panisch warf ich es weg.
Dabei konnte ich nicht verhindern, den Kopf zu heben …
Und als ich es tat, traf mein Blick den des Wintergenerals, dessen linke Hand auf dem Schwertgriff ruhte. Ich konnte sehen, dass er mit dem Daumen den Griff aus der Scheide herausgezogen hatte, sodass ein kleines Stück der Klinge hervorblitzte. Er war bereit, sie zu ziehen und zuzustechen.
Einen Augenblick lang schien seine rechte Hand zu verschwimmen. Dann hörte ich ein leises Surren. Es schien das Geräusch eines Schwerts zu sein, das zurück in seine Scheide gesteckt wurde.
Ich war verwirrt: Während das Geräusch noch in meinen Ohren nachklang, wanderte mein Blick vom Wintergeneral, auf dem er versehentlich gelandet war, zur schneebedeckten Erde. Dann kam der weiße Boden näher und näher …
*1477–1573
Ich erinnerte mich genau. Der Wintergeneral hatte mich getötet.
»Ähm … Geht es dir besser?«
»Oh … tut mir leid. Ich habe die Fassung verloren. Ich zeige mich wohl gerade nicht von meiner besten Seite.« Beschämt darüber, in diesem reinweißen Tempel vor einer Göttin in Tränen ausgebrochen zu sein, wandte ich mich ab.
Doch die Göttin, die sich als Eris vorgestellt hatte, schüttelte betrübt den Kopf und sagte: »Du musst dich nicht schämen. Du hast dein kostbares Leben gegeben …« Während sie sprach, schloss sie traurig die Augen, als sei sie besorgt um mich.
»Ähm … Kann ich etwas fragen? Was ist mit dem Monster passiert, nachdem es mich getötet hat?« Ich hatte Angst, dass die anderen sich auf die Kreatur gestürzt haben könnten, nachdem sie mich getötet hatte.
»Alles ist gut. Nachdem er dich niedergestreckt hatte, ist der Wintergeneral verschwunden.«
Eine Last fiel von mir ab, und ich atmete erleichtert auf.
Doch Eris blickte mich betrübt an. »Kazuma Sato … Es ist eine Schande, dass dir das widerfahren musste, nachdem du so gnädig warst, aus deiner friedlichen Heimat in diese Welt zu kommen … Ein mutiger Besucher aus einer anderen Welt. Ich werde meine Kräfte einsetzen, damit du zumindest im nächsten Leben in deinem beschaulichen Heimatland in einer wohlhabenden Familie aufwächst, in der es dir an nichts mangeln wird. Ich schicke dich an einen Ort, wo du ein glückliches Leben führen kannst.«
Bei Eris’ Worten erinnerte ich mich: Wenn man starb, konnte man entweder in den Himmel kommen oder als Baby noch mal von vorn anfangen. Es war eine Ausnahme von der Regel, dass ich in dieser bizarren Welt einen zweiten Versuch hatte starten können.
Er hatte nicht lange gedauert, aber am Ende hatte ich ihn doch genossen. Ich würde diese nervige Bande nie wiedersehen. Und das machte mich ein bisschen …
Also, wirklich nur ein bisschen … aber es machte mich traurig.
Vielleicht konnte Eris es meinem Gesicht ablesen, denn sie sah mich erneut mit traurigem Blick an. Dann hielt sie ihre rechte Hand über meinen Kopf …
Komm schon, Kazuma, komm zurück! Was machst du denn, dich an so einem Ort töten zu lassen? Du kannst noch nicht sterben!
Plötzlich hörte ich Aquas Stimme. Sie dröhnte durch die Kammer, gefolgt von einem Dopplereffekt.
Verwirrt stieß ich selbst einen Schrei aus. »Halt! Wa… Was ist das?!«
Wie es schien, war ich nicht der Einzige, der verwirrt war.
»Wa…? Diese Stimme … Ist das meine Vorgängerin, Aqua?! Ich dachte doch, dass diese Priesterin ihr ähnlich sieht, aber … Sag mir nicht, dass sie das wirklich war!« Eris’ Stimme hallte in dem leeren Saal wider. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und Fassungslosigkeit stand in ihrem Gesicht.
Erneut erklang Aquas Stimme: Hey, Kazuma, kannst du mich hören? Ich habe den Zauber »Reinkarnation« angewandt. Du kannst jetzt also zurückkommen! Wahrscheinlich stehst du gerade vor einer Göttin, oder? Sie soll ein Portal für uns öffnen.
Whoa! Verarsch mich nicht, Göttin! Kannst du das wirklich tun?, dachte ich, aber dann fiel mir ein, dass sie ja auch die Abenteurer zurückgebracht hatte, die der Dullahan getötet hatte.
»Klar, warte, Aqua! Ich komme!« Ich wusste nicht, ob sie mich hören konnte, trotzdem brüllte ich in die Leere und hüpfte vor Freude auf und ab.
»M… M… M… Moment mal! So geht das nicht! Es tut mir sehr leid, aber du bist bereits einmal ins Leben zurückgekehrt, und den Himmelsvorschriften zufolge geht das nicht noch mal. Ich fürchte, durch deine persönliche Verbindung zu meiner Vorgängerin bist du der Einzige, der mit ihr auf der anderen Seite kommunizieren kann. Könntest du ihr das bitte für mich erklären?« Eris wirkte leicht panisch.