Kontextsensibler Fremdsprachenunterricht - David Gerlach - E-Book

Kontextsensibler Fremdsprachenunterricht E-Book

David Gerlach

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Beschreibung

Methodenwissen allein reicht nicht aus, qualitativ hochwertigen Fremdsprachenunterricht anzubieten. Erfolgreiches Lehren und Lernen - auch im Hattie'schen Sinne - hat seinen Ausgangspunkt im Erkennen und der Reflexion des Zusammenspiels verschiedener Ebenen und Faktoren. Zu diesem Bündel kontextueller, personeller und sachlicher Faktoren gehören die Lehrkraft und die Lernenden selbst sowie eine Vielzahl von externen Gegebenheiten und aktuellen Anforderungen (ob curricular, bildungspolitisch oder individuell). Nur wenn die Lehrkraft sich dieses Kontextes bewusst wird und ihn bei der Unterrichtsplanung und -durchführung einbezieht, entsteht gemeinsames Lernen und Lehren, das langfristig zu Erfolg und Zufriedenheit bei Lehrkräften und Lernenden führt und das gleichzeitig auch den Bildungsansprüchen eines modernen Fremdsprachenunterrichts gerecht wird. Das Buch bietet einen Zugang zu einer Kontextsensibilität, die hilft, methodisch-didaktisch begründete Entscheidungen reflektiert zu treffen und die Interaktion im Klassenraum zu einer immer wieder neu zu konzipierenden und erlebten Erfahrung zu machen. Die einzelnen Kapitel bieten Theoriebezüge und Reflexionsaufgaben, die das Hinterfragen eigener Überzeugungen über Fremdsprachenunterricht sowie das eigene Denken und Handeln fördern. Fallbeispiele zeigen, wie Kontextsensibilität (oder -unsensibilität) Auswirkungen auf den Unterricht haben. Das begleitende Onlinematerial rundet das Angebot ab und bietet zusätzliche Anwendungsmöglichkeiten in allen Phasen der (Fremdsprachen-)Lehrerbildung.

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David Gerlach / Eynar Leupold

Kontextsensibler Fremdsprachenunterricht

A. Francke Verlag Tübingen

 

 

© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

 

ePub-ISBN 978-3-8233-0111-0

Inhalt

Einleitung1 Schulischer Fremdsprachenunterricht heute1.1 Institutionelle Merkmale fremdsprachlichen Lehrens und LernensBildungsstandardsLehrpläneWeitere Merkmale institutionellen Fremdsprachenunterrichts1.2 Qualitätsmerkmale von (Fremdsprachen-)UnterrichtAllgemeinpädagogische QualitätsmerkmaleFremdsprachendidaktische QualitätsmerkmaleBildungspotenzial des Fremdsprachenunterrichts1.3 Gestaltungsmerkmale der Lehr-/Lernkultur im FremdsprachenunterrichtTraditionelle Fremdsprachenlehr-/-lernmethodenVon Methoden über Ansätze zu PrinzipienDie post-methodische Ära2 Bedeutung der Unterrichtskultur2.1 Definition: Fremdsprachenunterricht als sozial-kulturelle Praxis2.2 Interaktionsebene I: Fachbezogene DimensionInhaltliche Dimension am Beispiel „Interkulturelles Lernen“LernprozesssteuerungFormen der Rückmeldung und Evaluation2.3 Interaktionsebene II: Lernerbezogene DimensionEmotionalitätVertrauenTransparenz3 Kontextfaktoren im Fremdsprachenunterricht3.1 Lehrpersonen3.2 LernendeIndividuelle VoraussetzungenInteresse oder Desinteresse für das FachAnnahmen zum Handeln der Lehrperson3.3 Eltern und ihre Erwartungen3.4 Kolleginnen und KollegenTeamgeist und/oder KonkurrenzverhaltenIndividualität und/oder Kooperation3.5 Räumliche und zeitliche GegebenheitenLernräumeSoziokulturelle AspekteSchulformSchulkultur/-programmUnterrichtszeit und -abfolge3.6 Medien und Lehrwerke3.7 Administrative Vorgaben für den Fachunterricht4 Fremdsprachenunterrichtliches Handeln: Reflexivität – Adaptivität – Innovation4.1 Reflexivität als Ausgangspunkt für das eigene HandelnWissen und KönnenExpertenDie (Berufs-)BiographieDie W-Fragen der Reflexion: Warum? Worüber? Wann? Wie?Die sozial-interaktionale Zusatzfrage: Mit wem?4.2 Bedeutung von Routinen4.3 Adaptivität der LehrkraftMerkmale der AdaptivitätProfessionelle Kompetenzen von LehrkräftenAnwendungsbereiche adaptiven Handelns4.4 Instanzen und Formen von Innovation im Fremdsprachenunterricht5 Vom adaptiven Handeln zum innovativen Fremdsprachenunterricht5.1 Veränderung im professionellen Selbstverständnis5.2 Veränderung im Interaktionsverhalten5.3 Veränderung in der Unterrichtsplanung5.4 Veränderung in der Evaluations- und FeedbackkulturSchlussLiteraturverzeichnisStichwortverzeichnis

Einleitung

Als der Sänger Peter Maffay Anfang des Jahres 2018 seine Unplugged-Deutschland-Tournee startete, war dies für viele Journalisten ein Anlass, um ihn, der anfänglich als Softrocker verspottet und mit Tomaten beworfen wurde, nach seinem Erfolgsrezept zu fragen. In einem Interview im Schleswig-Holstein Magazin am 14.02.2018 antwortete er wie folgt (https://www.youtube.com/watch?v=csAooals1OI). Er frage sich:

Wie geh’ ich mit den Leuten um? Wie hör’ ich in mich hinein? Was steckt in mir drin, wo ich mich fordern kann, so dass jemand Anders das erkennt? Diese Sensibilität, die muss man antrainieren. Das ist Training, wie wahrscheinlich in jedem Beruf auch, wo man einfach die handwerklichen Fähigkeiten als Basis hernimmt, um dann daraus Intuition usw. sprechen zu lassen und zu improvisieren. Improvisieren erst, wenn wir wissen, dass die Basis solide ist.

Diese bemerkenswerte Reflexion bietet eine gute Grundlage, um dieses Buch, seine Absicht, seinen Inhalt und seine Struktur einleitend zu skizzieren.

Wir als Autoren bringen unser Wissen und unsere Erfahrung ein, um für einen Fremdsprachenunterricht zu plädieren, der nicht schon deshalb guter Unterricht ist, weil er von einer fachlich kompetenten Lehrkraft verantwortet wird und auch deshalb zu guten Ergebnissen auf Seiten der Lernenden führt. Nach unserer Überzeugung ist der Fremdsprachenunterricht eine privilegierte Instanz für einen interaktiven Prozess, der über den Erwerb einer sprachlichen Kompetenz hinaus zu einer nachhaltigen Lernmotivation aller Beteiligten führt.

Die Fragen, „wie man mit Leuten umgeht“, welches Selbstkonzept man als Unterrichtende/r hat, was man von sich und Anderen fordern kann, sind Fragen, auf die im Unterrichtsalltag immer wieder neue Antworten gefunden werden müssen. Diese von Peter Maffay angesprochene Sensibilität zeichnet jede Lehrkraft aus. Sie zeigt sich in der bewussten und stets aufs Neue reflektierten Einbeziehung des Kontextes, in dem Unterricht stattfindet. Kontext bezeichnet einerseits personale Faktoren wie den einzelnen Schüler/die einzelne Schülerin und die Lerngruppe insgesamt sowie Kolleginnen/Kollegen und Eltern, andererseits Umgebungsfaktoren wie den Lernraum, die Zeitdimension, das Schulprogramm, das Lernmaterial sowie die Lehrpläne. Eine Lernumgebung kontextsensibel einzurichten bedeutet, diesen Faktoren in der Planung, Gestaltung und Auswertung Rechnung zu tragen. Der kontextsensible Fremdsprachenunterricht zeichnet sich dadurch aus, dass das unterrichtliche Lernangebot auf der Basis einer reflektierten Berücksichtigung der genannten Faktoren motivierend und abwechslungsreich angelegt und angeboten wird. Diese Perspektive auf die Lernumgebung ist insofern neu, als der Kontext beispielsweise auch in der internationalen Forschung zum Fremdsprachenlernen meist nur kulturell unterschiedliche Bildungskontexte (z.B. der britische Englischlehrer, der in Peking unterrichtet, oder die französische Lehrerin, die in Australien Französischunterricht für „Aussies“ durchführt)1 berücksichtigt, wohingegen unser Ansatz der Faktorenkomplexität innerhalb eines Bildungskontextes Rechnung trägt.

Unsere nachfolgenden Ausführungen sind nicht der Versuch, normativ eine neue Fremdsprachendidaktik zu schreiben, sondern bilden selbst einen Beitrag zur Reflexion und damit auch zur Sensibilisierung der Vielschichtigkeit unterrichtlicher Aktivität im Fremdsprachenunterricht. Wenn dieses Buch zu einer kritischen Diskussion um eine neue Fokussierung des Fremdsprachenunterrichts führen sollte, ist uns dies recht. Aber um es noch einmal deutlich zu sagen: Es geht uns nicht um eine neue Theorie, sondern um die Ermutigung für einen anderen Weg, eine geweitete Perspektive auf Fremdsprachenunterricht und professionelles Handeln seiner Lehrerinnen und Lehrer.

Im Mittelpunkt unserer Ausführungen steht die Lehrkraft in den Fremdsprachen Englisch und Französisch, wobei wir vermuten, dass unsere Gedanken auch die Kolleginnen und Kollegen der sprachlichen Fächer, die wir selbst nicht vertreten, wie z.B. Spanisch oder auch Deutsch als Fremdsprache, interessieren könnten.

Das Buch ist in Kapitel gegliedert, die zwar in sich geschlossene Abschnitte darstellen, die aber natürlich inhaltlich miteinander in einem Zusammenhang stehen. Wir als Autoren wünschen uns, dass dieses Buch als ein persönliches Arbeitsbuch genutzt wird. Reflexionsaufgaben, Einschübe, die vertiefte, eher theoriegebundene Inhalte unter der Überschrift „Gut zu wissen“ anbieten, sowie Anregungen zum Weiterlesen und vertiefendes Online-Material zum Selbststudium mögen immer wieder zum Lesen anregen, auch wenn die Zeit knapp ist. Schließlich hoffen wir, dass unsere Gedanken auch Eingang in universitäre Praxisseminare, in die Seminarsitzungen in der 2. Phase der Lehrer/innenbildung sowie in Weiterbildungsveranstaltungen finden.

Selbst wenn auf dem Titelblatt lediglich die beiden Autorennamen vermerkt sind, von denen das Buch geschrieben wurde, sind doch mehrere Personen gedanklich am Entstehen eines solchen Studienbuches beteiligt. Danken möchten wir daher ganz ausdrücklich unseren Studierenden sowie Lehrerinnen und Lehrern, mit denen wir die in diesem Buch vorgestellten Ansätze diskutiert und ausprobiert haben. Ihre Anregungen, Ideen und Reflexionen haben dazu beigetragen, dass wir uns der Praxisrelevanz des kontextsensiblen Denkens und Arbeitens sicher sein können. Dank gilt auch den studentischen Hilfskräften für Recherche und organisatorische Unterstützung sowie Angelika Gruber (Englischdidaktik Universität Regensburg) für Feedback und Anregungen zu frühen Fassungen des Manuskripts.

Wir möchten schließlich dem Narr-Verlag danken, hier insbesondere auch Kathrin Heyng, die unser Buchkonzept voll überzeugt hat und die es dankenswerterweise in die Reihe der Studienbücher aufgenommen hat.

 

Januar 2019    David Gerlach/Eynar Leupold

1Schulischer Fremdsprachenunterricht heute

Progress is impossible without change,

and those who cannot change

their minds cannot change anything.

(G.B. SHAW)

Moment der Reflexion

Als Leserin/Leser stehen Sie gerade an einem bestimmten Punkt, an dem Sie sich mit dem Lernen und Lehren von Fremdsprachen in Schulen auseinandersetzen: Sie sind entweder im Studium, im Vorbereitungs- oder schon im Schuldienst, Sie arbeiten im Hochschulbereich in diesem Feld oder sind in den unterschiedlichen Phasen selbst als Lehrerbildner/in tätig.

Überlegen Sie, welche Aspekte von Fremdsprachenunterricht für Sie ganz aktuell eine besondere Bedeutung haben.

Sein Interesse am Lehrerberuf im Bekanntenkreis zu äußern oder sich als Lehrerin bzw. Lehrer in der Öffentlichkeit zu outen, führt vielfach zu – freundlich gesagt – eher zurückhaltenden Reaktionen. Nicht selten werden damit bei den Personen gegenüber wieder Erlebnisse aus der eigenen Schulzeit wachgerufen, die immer auch mit Personen, die ein Fach unterrichteten, verbunden sind. Damit öffnen sich Schubladen einer Kommode, die unsichtbar das Schild „Schule und Unterricht“ trägt, und deren kleinere Fächer Namen von ehemaligen Lehrerinnen und Lehrern tragen (und in die man dann nolens volens eingeordnet wird). Wie vermutlich wenige andere Institutionen ist Schule mit Urteilen und Vorurteilen aus der eigenen individuellen Vergangenheit belastet, die auch Jahre und Jahrzehnte später noch wirksam sind.

Aber Schule und Unterricht haben sich verändert. Und so ist es unser Anliegen, einleitend darzustellen, was schulischen, d.h. institutionellen, Fremdsprachenunterricht heute ausmacht, um an späterer Stelle auf die verschiedenen Faktoren dezidiert eingehen zu können, die diesen Fremdsprachenunterricht und damit unseren Kontext beeinflussen können. Dabei berücksichtigen wir neben den institutionellen Eigenheiten, auf die Lehrkräfte und Lernende Rücksicht nehmen müssen, auch fachdidaktisch-methodische Tendenzen der letzten Jahrzehnte, deren Ideen und Ansätze sich zunehmend in Lehrer/innenbildung, administrativen Vorgaben und Lehrmaterialien wiederfinden. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass an schulischen Fremdsprachenunterricht immer die Erwartung gestellt wird, qualitativ möglichst hochwertig zu sein. Deshalb ist auch zu fragen, was diese Qualität im normativen Sinne ausmacht bzw. wie sie sichergestellt wird. Zur Qualität gehört für uns nicht nur eine kompetenz- und outputorientierte Sicht auf Fremdsprachenunterricht, sondern auch, dass bestimmte Prozesse von Bildung auf einer individuellen Ebene der Lernenden stattfinden, mittel- und längerfristige Prozesse also, welche möglicherweise im Fremdsprachenunterricht gar nicht unmittelbar messbar werden.

1.1Institutionelle Merkmale fremdsprachlichen Lehrens und Lernens

Moderner Fremdsprachenunterricht in der Institution Schule wird von zahlreichen Faktoren und Vorgaben beeinflusst, die gleichzeitig eine gewisse Steuerung bewirken, die aber auch den Gesamtkontext „Schulischer Fremdsprachenunterricht“ zumindest auf formaler Ebene ausmachen: Zum einen geht es um Prozesse an sich, insbesondere Lernprozesse, die im Fremdsprachenunterricht angestoßen und deren Erfolg überprüft werden soll. Dies kann durch Bildungsstandards, aber auch durch verbindliche administrative Vorgaben wie Bildungs- und Lehrpläne geschehen. Auf der anderen Seite gibt es Strukturen, strukturelle Merkmale, die Fremdsprachenunterricht in der Institution Schule konstituieren wie z.B. die verwendeten Lehrwerke oder auch die zur Verfügung stehenden Medien.

Bildungsstandards

Was die inhaltlich-curriculare Steuerung angeht, spielen sicherlich die BildungsstandardsBildungsstandards eine gewichtige Rolle, die seit Erscheinen der ersten PISA-Studie (und weiteren großen Untersuchungen wie TIMMS und DESI) zum Zwecke der Qualitätsförderung und -sicherung eingeführt wurden. Für den Fremdsprachenunterricht werden hier insbesondere die funktionalen kommunikativen Kompetenzen (kommunikative Kompetenzenkommunikative Kompetenz wie Hör-/Sehverstehen, Sprechen, Schreiben, Leseverstehen und Sprachmittlung sowie das Verfügen über sprachliche Mittel wie Wortschatz, Grammatik und Aussprache), die interkulturelle kommunikative Kompetenzinterkulturelle kommunikative Kompetenz sowie Text- und Methodenkompetenz als für den Mittleren Bildungsabschluss bedeutend herausgestellt (vgl. KMK2003). Für den höchsten schulischen Abschluss in Deutschland, die Allgemeine Hochschulreife am Ende der gymnasialen Oberstufe, wurden für die fortgeführten Fremdsprachen Englisch und Französisch insbesondere die Aspekte der SprachbewusstheitSprachbewusstheit und SprachlernkompetenzSprachlernkompetenz ergänzt (vgl. Abb. 1), die sich mit den drei bereits genannten Kompetenzbereichen verbinden und die damit auch eine besondere inhaltliche Relevanz haben.

Abb. 1: Kompetenzbereiche der Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache in der Sekundarstufe II (KMK2012: 12).

Auf der Ebene der funktionalen kommunikativen Kompetenzen ist der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR, vgl. Europarat 2001) bis heute ein wichtiges Dokument, kennen doch mittlerweile auch die meisten Schülerinnen und Schüler sowie viele Eltern die Einteilung in Kompetenzstufen von A1 (beginnende Fremdsprachenlernende) bis C2 (muttersprachliches Niveau), welche in „Kann-Beschreibungen“ abgebildet werden. Das Diagnoseinstrument für sprachliche Kompetenz ist nicht nur die Grundlage für zahlreiche Sprachzertifikate. Es kann auch Aufschluss darüber geben, was Lernende zu einem bestimmten Zeitraum können (sollten), um dann entsprechende Fördermaßnahmen im Fremdsprachenunterricht in Richtung des nächsthöheren Niveaus einleiten zu können.

Lehrpläne

Auf Länderebene werden die CurriculaCurriculum und LehrpläneLehrplan nicht nur von den gerade angeführten Bildungsstandards geprägt, sondern auch die Vorgaben des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens spielen eine nicht unerhebliche Rolle. Die Schwerpunktsetzungen zum Erreichen der BildungsstandardsBildungsstandards sind unterschiedlich und auch abhängig von den verschiedenen Schulformen und Schulkulturen in den Ländern. Einige Lehrpläne formulieren eher Kompetenzen, andere weisen zusätzlich beispielhaft Inhalte aus mit der Erwartung, dass die Schulen und Kolleginnen und Kollegen des jeweiligen Fachs dann eigene Schulcurricula mit bestimmten Schwerpunktsetzungen erarbeiten. Überprüft wird das Erreichen der Standards über in der Regel landesweit einheitliche Abschlussprüfungen (Mittlere Reife oder Zentral-/Landesabitur). Vorab schon werden sogenannte Vergleichsarbeiten auf bundesweiter Ebene durchgeführt (Vergleichsarbeiten = VERA in den Jahrgangsstufen 3 und 8), die Aufschluss darüber geben sollen, ob sich die Lernenden auf einem guten Weg befinden.

Moment der Reflexion

Wie ist die Lage in dem Bundesland, in dem Sie aktuell tätig sind? Inwiefern sind die bundesweiten Bildungsstandards für die modernen Fremdsprachen (KMK2003 und 2012) in den Curricula und Lehrplänen Ihres Bundeslandes verortet? Legt Ihr Kultusministerium auf bestimmte Aspekte, Inhalte oder Kompetenzen besonderen Wert? Sind diese möglicherweise traditionell, kulturell oder auch durch die geographische Lage Ihres Bundeslandes beeinflusst?

Gut zu wissen: Kritik an Bildungsstandards und Lehrplänen

Die Entwicklung der Bildungsstandards, ihr Einfluss auf die Lehrpläne und den Unterricht ist nicht ohne Kritik geblieben. Dazu gehört zum einen der starke Fokus auf den Output bzw. insbesondere auch die Förderung der funktional-kommunikativen Kompetenzen und die damit einhergehende Standardisierung. Und auch die Tatsache, dass durch die KompetenzorientierungKompetenzorientierung weniger Inhalte verpflichtend gefordert, sondern höchstens noch in exemplarischer Form durch Beispielaufgaben zur Umsetzung der Standards herausgestellt werden, wurde wiederholt kritisiert. Inhalte werden mutmaßlich beliebig(er), um den formulierten Output an sprachlicher Kompetenz zu generieren. Damit einher geht auf Seiten der Kritiker auch die Vermutung, dass durch die geringere Inhaltsverpflichtung und die starke Kompetenzorientierung individuelle Bildungsprozesse ins Hintertreffen geraten. Dem entgegen steht aber z.B. die fremdsprachendidaktisch starke Betonung interkultureller kommunikativer Kompetenz (siehe auch unten), die diese Bildungsprozesse in besonderem Maße berücksichtigen.

Weitere Merkmale institutionellen Fremdsprachenunterrichts

Neben diesen aus institutioneller Sicht unmittelbar auf das Fach bezogenen Merkmalen gibt es natürlich ebenfalls allgemein-pädagogische oder soziale Herausforderungen, denen sich der Fremdsprachenunterricht heute stellen muss. Neben Fragen der Differenzierung oder Forderungen nach inklusiver Beschulung auch im Fremdsprachenunterricht sind ein sich ständig ändernder oder intensivierter Medienkonsum, ein sich wandelndes Familienbild oder auch die Rolle von kulturell-sozialer und identitärer Mehrsprachigkeit Aspekte, auf die jeder Unterricht eingehen muss. Und all dies in Zeiten von Globalisierung und Technisierung, deren rasante Fortschritte ständige Weiterentwicklung und lebenslanges Lernen nach sich ziehen.

Damit stehen auch die Unterrichtsmedien, Lehrwerke und Materialien unter einem gewissen Zugzwang: Durch die Möglichkeit, sich zahlreiche (auch fremdsprachliche) Inhalte per Youtube-Video oder Wikipedia zu „ergooglen“, müssen Lehrwerke Wege finden, in gewissem Maße zeitlos zu bleiben oder sich ständig zu erneuern, sich den Anforderungen insbesondere der jungen Lernenden anzupassen. Inwiefern Neue Medien, interaktive Whiteboards oder Smartphones dabei das Fremdsprachenlernen (überhaupt) befördern, ist weiterhin Gegenstand von Forschung. Tatsache ist allerdings, dass der Umgang mit „Neuen Medien“ sowohl seitens der Lehrkräfte wie auch der Lernenden das Alltagsleben und damit auch ein Stück weit den Unterricht beeinflusst.

Moment der Reflexion

Auch wenn wir uns hier primär mit schulischem, d.h. institutionell organisiertem Fremdsprachenunterricht beschäftigen, gibt es doch auch außerhalb von Schule zahlreiche Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche, Sprachen zu lernen. Welche Möglichkeiten sehen Sie bei sich vor Ort in Ihrer Stadt oder Gemeinde? Welche Alternativen digitaler Natur oder Ähnliches kennen Sie noch?

1.2Qualitätsmerkmale von (Fremdsprachen-)Unterricht

Ausgehend von den Bildungsstandards könnte man konstatieren, dass Fremdsprachenunterricht dann „gut“ ist, wenn die Lernenden die Standards erreichen. Leider sagt dies natürlich noch nichts darüber aus, wie ein solches Ziel letztlich erreicht wird. Auch scheint man in der Fremdsprachendidaktik vorsichtig zu sein mit normativen Aussagen dahingehend, was im Unterricht gemacht werden sollte oder eben nicht, was also dezidiert QualitätsmerkmaleQualitätsmerkmale eines gelingenden Fremdsprachenunterrichts sein könnten. Wenn darüber hinaus Kriterienkataloge für guten Fremdsprachenunterricht aufgestellt werden, sind sie selten spezifisch fremdsprachendidaktisch formuliert, sondern können häufig auch auf andere Fächer übertragen werden.

Allgemeinpädagogische Qualitätsmerkmale

Allgemeinpädagogisch fallen im deutschsprachigen Raum im Zusammenhang mit Qualität und Unterricht insbesondere drei Namen: Hilbert Meyer, Andreas Helmke und John Hattie.

Hilbert Meyer (2016) stellt zehn Kriterien auf, die guter Unterricht erfüllen sollte. Hierzu gehören z.B. eine klare Strukturiertheit, ein lernförderliches Klima und die Maximierung echter Lernzeit. Ihm geht es mit diesen Kriterien primär um die Unterrichtsgestaltung an sich, die sich zwar auch – interpretiert durch die Lehrkraft – den konkreten Bedingungen anpassen soll, eine echte Kontextgebundenheit findet sich jedoch nicht.

Andreas Helmke (2015) formuliert ein Angebot-Nutzen-Modell von Unterricht (im Anschluss an Fend 1981 und die DESI-Studie) und betrachtet darin zum einen die Prozessebene des Unterrichtens (z.B. Unterrichtsstruktur, Motivation durch die Lehrkraft) und die Produktebene, also inwiefern das durch den Unterricht entstehende Angebot durch Lernaktivitäten genutzt wird und welchen Ertrag diese Interventionen haben (z.B. im Sinne von Lernzuwachs, Motivationssteigerung). Für ihn hat auch der Kontext, in dem dieses Angebot durch Lernen und Lernzuwächse genutzt wird, eine besondere Rolle. Als Kontextfaktoren nennt er: kulturelle Rahmenbedingungen, regionaler Kontext, Schulform und Bildungsgang, Klassenzusammensetzung, didaktischer Kontext sowie Schul- und Klassenklima.

John Hattie (2014) hat in seiner vielrezipierten Meta-Meta-Analyse von Unterricht und Schule eine Hitliste lernförderlicher und -hinderlicher Faktoren anhand ihrer sogenannten Effektstärken herausgearbeitet. Auch wenn die quantitativ vereinfachte Darstellung häufig kritisiert wurde und sie meist genauerer Betrachtung und Analyse der zugrundegelegten Studien bedarf, hat Hattie einen besonderen Punkt immer wieder herausgestellt: Die Lehrkraft steht als unmittelbar gestaltende Person im Mittelpunkt eines qualitätsorientierten Unterrichts. Und: Lehrkräfte sollen ihren eigenen Einfluss und den ihrer Interventionen auf die Lernenden für sich selbst reflexiv wahrnehmbar machen („Know thy impact!“).

Moment der Reflexion

Recherchieren Sie eines der oben vorgeschlagenen Konzepte für guten Unterricht und überlegen Sie, welche konkreten Konsequenzen sich aus den Vorgaben für Ihr unterrichtliches Handeln als Fremdsprachenlehrerin bzw. Fremdsprachenlehrer ergeben.

Fremdsprachendidaktische Qualitätsmerkmale

Die fächerübergreifenden Erkenntnisse, die neben diesen drei namhaften Akteuren auch viele weitere Expertinnen und Experten produziert haben, bedürfen immer einer fachdidaktischen Interpretation: Welche Schlüsse können für den Fremdsprachenunterricht gezogen werden? Was bedeuten „Strukturiertheit“, „TransparenzTransparenz“, „Direkte Instruktion“ und „FeedbackFeedback“ für den Fremdsprachenunterricht? Wie kann eine lernförderliche Umgebung für das Lehren und Lernen einer fremden Sprache gestaltet werden?

Insbesondere was die Interaktionsprozesse sowie die je anteilige Bedeutung von Lehrkraft und Lernenden im Fremdsprachenunterricht angeht, haben Nold und Roters (2010) einige Erkenntnisse und Schlüsselstellen aus den einschlägigen Untersuchungen hinsichtlich des Sprachenlernens zusammengestellt. Dazu gehören beispielsweise:

die Rolle von Form- und Inhaltsfokussierung,

die Rolle von motivationalen und lernstrategischen Lernprozessen,

die Bedeutung und Verteilung des Sprechanteils von Schülerinnen und Schülern,

die Bedeutung der Geduld von Lehrerinnen und Lehrern, auf Schülerantworten zu warten,

die differenzierte Rolle des Deutschen im Unterrichtsdiskurs […],

die Bedeutung von Schüleräußerungen über Ein-Wort-Sätze hinaus,

die Betonung der Formulierarbeit, verbunden mit einer Engführung des Lehrer-Schüler-Diskurses,

einen positiven Umgang mit Fehlern, verbunden mit der gezielten Möglichkeit zur Selbstkorrektur oder Korrektur durch Mitschüler,

positive Wirkung von bilingualen Programmen (bilingualer Sachfachunterricht und CLIL). (ebd.: S. 47)

Wolfgang Gehring (2015) leitet anhand der Erkenntnisse aus der Sprachlehr- und -lernforschung sowie in der Fremdsprachendidaktik anerkannten Prinzipien siebzehn Aspekte ab, die er für die Planung – in seinem Fall – guten Englischunterrichts als essentiell ansieht:

Das Vorwissen der Lernenden wird aktiviert und integriert.

Der Lerninput ist verständlich und nachvollziehbar.

Die Leistungserwartungen werden verständlich kommuniziert.

Das, was verstanden werden soll, wird kontinuierlich gesichert.

Das Maß des Verstandenen wird kontinuierlich überprüft.

Viele Fehler werden als Merkmal von Sprachentwicklung gewürdigt.

Übungen und Aufgaben bedienen Lernansprüche und überschreiten sie.

Lehr- und Lernphasen fördern die Selbsttätigkeit und leiten zum Lernen und Üben an.

Die Lernumgebung fordert und sorgt für Erfolgserlebnisse.

Die Lernangebote berücksichtigen vorgefundene Leistungsniveaus.

Das Gelernte wird gesichert, wiederholt und vertieft.

Erarbeitung und Verarbeitung sind ausgewogen.

Das Lehrkonzept begünstigt das Hypothesentesten und versorgt mit Feedback.

Vielfältige Angebote der Sprachbenutzung sorgen für hohen Aktivanteil.

Methodenpluralismus ist Kernelement.

Der Unterricht lässt Raum für Experimente mit der Lernsprache.

Aufgaben regen auch zur Analyse und zur Problemorientierung an. (ebd.: S. 23)

Im Anschluss an die weiter oben bereits erwähnten BildungsstandardsBildungsstandards und die allgemeinen Diskussionen in den einschlägigen Fremdsprachendidaktiken ist guter Fremdsprachenunterricht damit kompetenzorientiert, fördert also einerseits die sprachlichen Fertigkeiten – auch vor dem Hintergrund einer interkulturellen kommunikativen Kompetenzinterkulturelle kommunikative Kompetenz –, gleichzeitig aber auch methodische (Sprachlern-)Kompetenzen sowie SprachbewusstheitSprachbewusstheit. Die von Meyer, Helmke und Hattie formulierten Maßgaben bedeuten für den Fremdsprachenunterricht, dass eine Lernumgebung didaktisch-methodisch in einer bestimmten Weise strukturiert werden muss, um dieses kompetenzorientierte Sprachenlernen im Sinne der Kriterien von Nold/Roters sowie Gehring möglichst ungehindert stattfinden zu lassen. Dann können auf der Performanzebene Lernfortschritte (Kompetenzzuwächse) für die Lehrkraft sichtbar werden und sie kann beispielsweise im Optimalfall erkennen, welche Aspekte des Unterrichts welchen Ertrag an der Entwicklung der Lernenden haben. Die einschlägigen Studien sind sich weitgehend darin einig, dass insbesondere der Lehrkraft eine entscheidende Bedeutung für das Zustandekommen eines hochwertigen, lerner- und kompetenzorientierten Unterrichts zukommt.

Bildungspotenzial des Fremdsprachenunterrichts

Die bisherigen Ausführungen könnten den Anschein erwecken, dass Lehren und Lernen im Fremdsprachenunterricht hier als ein recht instrumentelles oder gar technokratisches Unterfangen verstanden werden soll. Schnell könnte man vermuten, dass das Beherrschen der sprachlich-kommunikativen Fertigkeiten ausreiche, um die Ziele des (institutionellen) Fremdsprachenunterrichts zu erfüllen. Dem ist mitnichten so! Andreas Bonnet und Uwe Hericks verbinden mit einem Bereich des Fremdsprachenunterrichts „funktional-pragmatische Ziele“ (Bonnet/Hericks 2014: 90), während in dem Bereich der Arbeit an kultur- oder literaturdidaktischen Gegenständen „reflexiv-emanzipatorische Ziele“ (ebd.) erreicht werden können. Vielmehr sind also die funktional-kommunikativen Kompetenzen Mittel zum Zweck, um den Austausch mit zielsprachlichen Kulturen (und Personen anderer Muttersprachen) zu ermöglichen, über „fremde“ Gegenstände zu diskutieren und so den individuellen Horizont zu erweitern:

Immerhin wird allgemein anerkannt, dass das Fach [hier am Beispiel des Englischunterrichts; Anmerkung D.G./E.L.] entscheidend an der Vermittlung von zentralen Erfahrungen, Werten und Fähigkeiten für das Leben in der modernen, heterogenen Gesellschaft beteiligt ist, indem es dafür Sorge trägt, Diversität und Andersartigkeit erfahrbar zu machen, angefangen von der unterschiedlichen Lautung und den anders gelagerten Ausspracheregeln in einer fremden Sprache bis hin zu den Konventionen der Interaktion, der Gesprächsgestaltung und den textuellen Großformen (Genres) im Schreiben wie im mündlichen Diskurs. (Vollmer 2016: 78)

Insofern kann auch Meinert Meyer nur zugestimmt werden, wenn er aus Sicht der Subjekte, der Lernenden im Fremdsprachenunterricht, herausstellt:

Gebildet ist nicht, wer weitreichende fremdsprachlich-kommunikative Kompetenzen in vielen Sprachen nachweisen kann – das ist nur nützliches Wissen. Gebildet ist vielmehr, wer aus diesem Kompetenzprofil heraus sieht, in welcher besonderen Weise seine Sicht der Welt subjektiv ist. […] Fremdsprachenunterricht ist bildend, wenn die fremden Sprachen so vermittelt werden, daß die Schüler die in ihnen artikulierte fremdsprachige „Weltsicht“ erfahren können, und wenn ihnen dabei ermöglicht wird, die prinzipiell nicht aufhebbare Andersartigkeit der Anderen zu erfahren. Bildung ist das aufgeklärte Bewußtsein der Subjektivität dieser je eigenen Weltansicht. (Meyer 1993: 135; Hervorhebung im Original)

Wenn interkulturelle kommunikative Kompetenzinterkulturelle kommunikative Kompetenz als Kernelement von Bildung im Fremdsprachenunterricht herausgestellt wird, muss gleichzeitig attestiert werden, dass dieses übergeordnete Ziel nur schwer messbar ist. Als Grundlage für die Auseinandersetzung z.B. mit zielsprachlicher Literatur gilt selbstverständlich die Förderung von Fertigkeiten, Grammatik und Wortschatz. Aber stellt sich eine cultural awareness automatisch dadurch ein, dass man sich interaktiv mit einem Text auseinandergesetzt hat, diesen bezüglich der eigenen Einstellungen hinterfragt und dann ggf. in einem Rollenspiel umgesetzt hat? Möglicherweise, vielleicht sogar tatsächlich, eventuell aber eben auch nicht.

Die im Zusammenhang mit Bildungsstandards häufig aufkommende Kritik, dass diese weder viel mit Inhalten noch mit BildungBildung zu tun hätten, birgt einige Chancen: Wenn Inhalte „beliebiger“ sind, sollten diese nicht verschwinden zugunsten isolierter Fertigkeitsförderung, vielmehr bietet sich dadurch die Chance, aktuelle, für die Lernenden (bzw. den gesamten Kontext) im inter-/transkulturellen Sinn relevante Inhalte (möglicherweise auch jenseits der dezidiert zielsprachlich normalerweise anvisierten Kulturen) im Unterricht zu thematisieren. Damit soll nicht die Bedeutung bestimmter zentraler Themen oder Texte für die verschiedenen Fremdsprachen herabgesetzt werden, sie haben weiterhin eine zentrale Wichtigkeit. Dem Prinzip der LernerorientierungLernerorientierung folgend müssten sie jedoch stärker den Kontext des Fremdsprachenunterrichts berücksichtigen, in dem sie aufgegriffen und behandelt werden. Um dies zielführend umsetzen zu können, sind zwei Voraussetzungen wichtig: Zum einen ist die Kenntnis der verschiedenen Faktoren wichtig, die den Kontext Fremdsprachenunterricht ausmachen (Kapitel 3), zum anderen ist der Fremdsprachenunterricht als sozial-kulturelle Praxis zu verstehen, bei der die beteiligten Personen (Lehrkraft und Lernende) sowohl mit (fremdsprachlichen) Inhalten als auch miteinander interagieren und die für sich je individuelle Bedeutung aushandeln. Ein Verständnis für diese UnterrichtskulturUnterrichtskultur (Kapitel 2) des fremdsprachlichen Unterrichts ist damit von großer Bedeutung.

Im Fremdsprachenunterricht wurden und werden die Qualität und der Lernertrag häufig bezüglich der Umsetzung von Unterricht insbesondere in methodischer Hinsicht betrachtet, weswegen die Diskussion um die aktuelle Rolle von Methoden im Fremdsprachenunterricht nun angeschlossen werden soll.

1.3Gestaltungsmerkmale der Lehr-/Lernkultur im Fremdsprachenunterricht

Moment der Reflexion

Erinnern Sie sich zurück an Ihre zuletzt gehaltene oder (im Studium) diskutierte oder erlebte Unterrichtsstunde in einer Fremdsprache. Wie wurde methodisch vorgegangen? Wie wurde fremdsprachliches Lernen initiiert?

Einen großen Einfluss auf die Gestaltung (guten) Fremdsprachenunterrichts hatten insbesondere Diskussionen um die Bedeutung bestimmter Sprachlehr- und -lernmethoden, die allerdings zunehmend von umfassenderen methodisch-didaktischen Ansätzen bzw. einer Zahl an Prinzipien abgelöst wurden. Man kommt hinsichtlich der Diskussion um die Rolle von MethodenMethode im modernen Fremdsprachenunterricht nicht umhin, in der Geschichte der Fremdsprachendidaktik zu suchen. Als Unterdisziplin ist damit eine „Historische Fremdsprachenforschung“ höchst bedeutsam: Sie zeigt dezidiert auf, unter welchen Bedingungen welche methodisch-didaktischen Strömungen entstanden sind und warum entsprechende Gegenbewegungen beispielsweise einsetzten – mögen sie aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse stattgefunden haben oder aufgrund politisch-ideologischer Konzepte oder Vorgaben (vgl. z.B. Doff/Klippel 2012). Ein Verständnis auch in gewissermaßen historischer Perspektive – und wir sprechen hier von den vergangenen 100 Jahren – ist damit für eine Kontextsensibilität heutzutage und in naher Zukunft von großer Bedeutung.

Traditionelle Fremdsprachenlehr-/-lernmethoden

Der Fremdsprachenunterricht hat sich in der Vergangenheit weitgehend an Prämissen orientiert, welche zum jeweiligen Zeitpunkt erklärten, wie Lernen und Lehren optimal funktionieren oder funktionieren könnten. Bevor dezidiert wissenschaftlich valide Experimente zur Genese von LerntheorienLerntheorien eingesetzt wurden, galt daher die traditionelle Grammatik-Übersetzungs-MethodeGrammatik-Übersetzungs-Methode als Nonplusultra im Fremdsprachenunterricht: Das Erarbeiten von isolierten Regeln und das sich anschließende Übersetzen hatte primär zum Ziel, fremdsprachliche Texte verstehen zu können. Kommunikation in der anderen Sprache hatte keine Priorität, der Unterricht an sich erfolgte in der Muttersprache der Lernenden.

Die Anforderungen der früh beginnenden Globalisierung wirkten sich dann jedoch schnell auch auf die Bedürfnisse von Menschen aus, die möglichst effektiv die Basics einer Sprache lernen mussten, welche sie im Austausch mit Sprecherinnen und Sprechern anderer Sprachen brauchten. Man erkannte, dass die Grammatik-Übersetzungs-Methode hier (mindestens) einen wichtigen Bereich der Fremdsprache, nämlich das Sprechen, ausließ. Eine Methode, die hier durch einen sehr deutlichen Fokus auf mündliche Produktion Abhilfe schaffte, war die DirekteMethodeDirekte Methode. Insbesondere in der Erwachsenenbildung – z.B. von Berlitz-Sprachschulen heute noch eingesetzt – bedient sich dieses andere Extrem folgender Prinzipien: Der Unterricht findet ausschließlich in der Zielsprache statt, fokussiert auf Hören und Sprechen, Grammatik wird induktiv gelehrt. Lehrkräfte, die die Direkte Methode einsetzen, bedienen sich einer Vielzahl von Visualisierungen, Realia oder der Pantomime. Die Interaktion mit den Lernenden erfolgt in der Regel durch Frage-Antwort-Schemata.

Die AudiolingualeMethodeAudiolinguale Methode fokussierte einzelne Kompetenzbereiche (mit Schwerpunkt weiterhin auf Hören und Sprechen), setzte allerdings stark auf die Imitation der Lehrkraft bzw. vorgegebener patterns, in der Regel eingebettet in Dialoge. Die Vorbildkraft der Lehrperson ist hier besonders hoch, genauso wie die nötige Korrektheit der von den Lernenden wiedergegebenen Äußerungen. Die primär aus Frankreich stammende, ebenfalls sehr einflussreiche AudiovisuelleMethodeAudiovisuelle Methode folgte ähnlich der Audiolingualen Methode der Lerntheorie der Zeit, dem Behaviorismus, präsentierte die meist an der Alltagssprache orientierten Inhalte aber primär über Videos oder Bilder bzw. Bildsequenzen. Beide Methoden beeinflussten maßgeblich auch die Einführung von unterstützenden Sprachlabors, in denen die Lernenden üben konnten.

Grammatik- Übersetzungs- Methode

Direkte Methode

Audiolinguale und Audiovisuelle Methode

Fertigkeiten

Lesen, Schreiben

Hörverstehen, Sprechen

Hörverstehen, Sprechen

Grammatik

regelbasiert

implizit

strukturbasiert

Wortschatz

Wortlisten

wichtiger als Grammatik

in Form von Dialogen

Regelableitung

deduktiv

induktiv

induktiv

Technik

Übersetzung

Frage – Antwort

Drills

Lehr-Lern-Prozess

lehrerzentriert

Lehrer-Schüler-Interaktion

lehrerzentriert (audiolingual) oder medienzentriert (audiovisuell)

Tab. 1: Übersicht der traditionellen Methoden in der Fremdsprachendidaktik.

Moment der Reflexion

Nehmen Sie sich ein beliebiges Fremdsprachenlehrwerk vor – wenn möglich ein älteres und vielleicht eine neuere Auflage. Können Sie bestimmte methodische Schwerpunkte der drei oben beschriebenen Methoden identifizieren?

Diese umfassenderen Methoden – Helene Decke-Cornill und Lutz Küster (2015) nennen sie in ihrer Fremdsprachendidaktik auch „geschlossene Konzeptionen des Fremdsprachenunterrichts“ –, die häufig als „historisch“ herausgestellt werden, sind keineswegs „alt“ in dem Sinne, dass sie nicht mehr eingesetzt werden würden. Tatsächlich werden Aspekte oder grundsätzliche Ideen dieser traditionellen Methoden weiterhin in Klassenzimmern auf der ganzen Welt verwendet, sind methodischer Bestandteil von Lehrwerken und Arbeitsmaterialien oder bedienen (teils auch kulturell) geprägte Glaubenssätze (BeliefsBeliefs)