Konzepte - Verfahren - Methoden - Hans-Jürgen Pitsch - E-Book

Konzepte - Verfahren - Methoden E-Book

Hans-Jürgen Pitsch

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Beschreibung

Für den Unterricht im sonderpädagogischen Schwerpunkt Geistige Entwicklung (SGE) ist die Fülle von Konzepten, Verfahren und Methoden kaum überschaubar. Es fehlt dagegen an einer systematischen Ordnung dieses Inventars, einer Orientierungshilfe in dem oft beklagten "Methodendschungel". Der Band leistet dies, indem er prominente sowie weniger bekannte, aber auch neu entwickelte Konzepte und Methoden präsentiert. Ihre Stärken und Reichweiten werden ausgewiesen und anhand von Kriterien einem Ordnungsschema zugeordnet.

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Schule und Unterricht bei intellektueller Beeinträchtigung

 

Herausgegeben von Holger Schäfer und Lars Mohr

Band 2

 

Der Autor und die Autorin

Dr. Hans-Jürgen Pitsch ist Volksschul- und Sonderschullehrer und Diplom-Pädagoge, war Schulleiter an Schulen für Geistigbehinderte, hat in Sonderpädagogischer Zusatzausbildung und der Ausbildung von Heilerziehungspflegern mitgearbeitet und Beratungstätigkeit in Südkorea ausgeübt. Anschließend war er Professor für Geistigbehindertenpädagogik an der Universität Luxemburg und Lehrbeauftragter an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

Kontakt: [email protected]

Dr. Ingeborg Thümmel ist Förderschullehrerin und Diplom-Pädagogin. Sie hat an Förderschulen mit unterschiedlichen Förderschwerpunkten und in der inklusiven Förderung gearbeitet. Sie war Fachleiterin an einem Studienseminar und Schulleiterin einer Schule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung, leitende Regierungsschuldirektorin an der Schulbehörde in Koblenz, Dozentin an der Universität Koblenz und Lehrbeauftragte an der Universität Leipzig. Derzeit ist sie apl. Professorin an der Universität Oldenburg und Beiratsmitglied und Mitherausgeberin der Fachzeitschrift LERNEN KONKRET.

Kontakt: [email protected]

Hans-Jürgen Pitsch Ingeborg Thümmel

Konzepte – Verfahren – Methoden

Sonderpädagogischer Schwerpunkt Geistige Entwicklung

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2023

 

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN 978-3-17-040404-5

 

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-040405-2

epub:     ISBN 978-3-17-040406-9

Vorwort der Reihenherausgeber

Dr. phil. Holger Schäfer (*1974) ist Förderschulrektor und Schulleiter (SGE) sowie Lehrbeauftragter am Institut für Sonderpädagogik der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Es ist Beiratsmitglied und Mitherausgeber der Fachzeitschrift LERNEN KONKRET.

Kontakt: [email protected]

Dr. phil. Lars Mohr (*1976) ist Sonderpädagoge und Dozent am Institut für Behinderung und Partizipation der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich (HfH) sowie Lehrbeauftragter am Departement für Sonderpädagogik der Universität Fribourg.

Kontakt: [email protected]

Zur Praxisreihe

Die Praxisreihe Schule und Unterricht bei intellektueller Beeinträchtigung beschäftigt sich

  mit zentralen didaktischen und methodischen Fragestellungen der Unterrichtsgestaltung,

  angemessenen Möglichkeiten eines pädagogischen, interdisziplinären Zugangs und konkreter Intervention

  sowie organisatorischen und strukturellen Aufgabenstellungen der Schulentwicklung im Kontext intellektueller Beeinträchtigung.

Die praxisnahen Anregungen berücksichtigen pädagogische und unterrichtliche Belange sowohl in Förderschulen als auch in einem inklusiven Setting unter den jeweiligen Bedingungen.

Die Autorinnen und Autoren sind tätig in der Aus- und Weiterbildung für Lehrpersonen bzw. für Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen und ausgewiesene Expertinnen und Experten in ihrem Fachbereich. Sie verfügen über Praxiserfahrungen und stellen das jeweilige Themenfeld in einem kompakten Bild ausbildungswirksam sowie mit konkreten unterrichtspraktischen Bezügen dar.

Die Ausführungen sind grundsätzlich bundeslandübergreifend, beziehen Erfahrungen aus dem deutschsprachigen Raum ein und orientieren sich an den aktuellen erziehungswissenschaftlichen Erkenntnissen. Nationaler wie auch internationaler Foschungsstand finden Berücksichtigung.

Als besondere Hinweise werden neben wichtigen Definitionen und Begrifflichkeiten auch Exkurse als in sich geschlossene Abschweifungen und Literaturempfehlungen sowie Hinweise und Beispiele aus der Praxis grafisch hervorgehoben:

kennzeichnet Definitionen und Begriffserklärungen sowie Exkurse.

deutet auf Praxisbezüge und weiterführende Ideen hin.

verweist auf weiterführende Literatur.

bietet Links zu Quellen im Internet (zuletzt geprüft am 2.01.2023).

Die Praxisreihe möchte eine Lücke schließen in der Grundlagenliteratur für die Aus- und Weiterbildung im Studium und Referendariat sowie für die Kolleginnen und Kollegen in der Praxis, denen nun in einer stringenten methodischen Aufarbeitung die zentralen Themenfelder für die Gestaltung von Unterricht und die Schulentwicklung im sonderpädagogischen Schwerpunkt Geistige Entwicklung (SGE) kompakt und aus einem Guss zur Verfügung stehen.

Dabei ist uns bewusst, dass in der Pädagogik für Schülerinnen und Schüler im SGE eine Vielfalt an Begriffen herrscht, die der Bezeichnung des Personenkreises dienen sollen. Man spricht und schreibt etwa von Lernenden mit kognitiver Beeinträchtigung, mit (zugeschriebener) geistiger Behinderung oder mit Lernschwierigkeiten (um nur wenige Beispiele zu nennen).

In unserer Buchreihe kommen zudem Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Regionen und Ländern zu Wort, mit entsprechend unterschiedlichen Formulierungsneigungen.* Wir haben uns mit ihnen dankenswerterweise auf eine einheitliche Begriffsverwendung verständigen können: Im vorliegenden wie in den übrigen Bänden ist die Rede von Kindern und Jugendlichen im »sonderpädagogischen Schwerpunkt Geistige Entwicklung (SGE)« oder – angelehnt an den internationalen Sprachgebrauch – »mit intellektueller Beeinträchtigung«. Demgemäss haben wir auch der Buchreihe als Ganze den Titel »Schule und Unterricht bei intellektueller Beeinträchtigung« gegeben.

Folgende Bände sind im Erscheinen bzw. in Vorbereitung:

(1)  Wirtschaft-Arbeit-Technik (Isabelle Penning)

(2)  Konzepte – Verfahren – Methoden (Hans Jürgen Pitsch & Ingeborg Thümmel)

(3)  Unterricht bei komplexer Behinderung (Lars Mohr & Thomas Loscher) (Hrsg.)

(4)  Wahrnehmungsförderung (Erhard Fischer)

(5)  Unterstützte Kommunikation (Melanie Willke & Karen Ling)

(6)  Herausforderndes Verhalten (Lars Mohr & Alex Neuhauser)

(7)  Planung und Gestaltung von Unterricht (Ariane Bühler & Albin Dietrich)

(8)  Diagnostik (Frauke Janz & Stefanie Köb)

(9)  Psychische Störungen (Pia Bienstein)

(10)  Autismus (Remi Frei)

(11)  Schulhund (Holger Schäfer, Karin Schönhofen & Andrea Beetz)

(12)  Sport & Bewegung (Christiane Reuter) (Hrsg.)

Weitere Hinweise zur Praxisreihe unter www.Kohlhammer.de

Zu diesem Band

Konzepte, Verfahren, Methoden gehören zu den prominentesten didaktischen Interventionsmitteln von Lehrkräften, die diese einsetzen, um Lernprozesse bei einer bestimmen Schülerschaft zu initiieren, voranzubringen und zu unterstützen.

Insbesondere im sonderpädagogischen Schwerpunkt Geistige Entwicklung (SGE) wurden im historischen Verlauf große Anstrengungen unternommen, methodische Zugänge zu finden, die es Schülerinnen und Schülern mit intellektueller Beeinträchtigung ermöglichen, sich mit der dinglichen, sozialen und kulturellen Welt auseinanderzusetzen und sich diese anzueignen.

Als Ergebnis dieser Bemühungen liegt heute eine kaum überschaubare Anzahl von vielfältigen und variationsreichen Konzepten, Verfahren und Methoden vor, und in regelmäßigen Abständen kommen weitere hinzu. Zusätzlich verstärkt wird dieses wachsende Methodenwirrwarr dadurch, dass für eine nicht unerhebliche Anzahl von Methoden Alleinstellungsmale reklamiert werden inklusive weitereichender Wirksamkeitsversprechungen. Angesichts der so entstandenen Unübersichtlichkeit verwundert es nicht, dass es Lehrkräften zunehmend schwerer fällt, diejenigen Konzepte, Verfahren und Methoden auszuwählen, die möglichst optimale Bedingungen für die Begegnung von Lernenden mit Lerninhalten bieten.

In diesem Band widmen sich Hans-Jürgen Pitsch und Ingeborg Thümmel im Kontext ihrer bereits in der Vergangenheit vorgelegten umfangreichen Methodensammlungen diesem komplexen Handlungsfeld im SGE. Hier liegt der Schwerpunkt darauf, bewährte sowie neue, wirksame und zweckdienliche Konzepte, Verfahren und Methoden – auch aus dem angloamerikanischen Sprachraum – kritisch zu sichten und diese zu ordnen. Als übergeordnete und pragmatische Zielstellung verfolgt die Autorenschaft die Entwicklung eines Ordnungsrahmens, der Lehrerinnen und Lehrern in Förderschulen und in inklusiven Settings als Orientierungsinstrument dienen kann, um den theoretischen Hintergrund von Konzepten, Verfahren, Methoden zu verstehen und um nachgängig zu beurteilen, welche Zugangsweisen sich eignen, Lernenden bestimmte Inhalte erfolgreich zu vermitteln.

Der Band bietet eine profunde Darstellung methodischer Problemstellungen im SGE und konkretisiert praktische Lösungsansätze im Sinne der Praxisreihe. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis und praktische Hinweise zur Ausgestaltung von Lernsettings komplettieren die Ausführungen.

An der Planung und Umsetzung von Unterricht im sonderpädagogischen Schwerpunkt Geistige Entwicklung arbeitet ein multiprofessionelles Team gemeinsam. Die Erörterung und Festlegung methodischer Zugangsweisen sowie verbindliche Absprachen zur praktischen Umsetzung sind obligat. Der von Hans-Jürgen Pitsch und Ingeborg Thümmel entworfene Ordnungsrahmen eignet sich als ein probates Mittel zur Unterstützung multiprofessioneller Teamarbeit. Diese Sichtweise, Konzepte, Verfahren und Methoden im multiprofessionellen Team unter Zugrundelegung einer vorgegebenen Systematik abzusprechen und die Zugangsweisen aufeinander abzustimmen, ist ein relativ neuer Zugang und ein weiterer Aktivposten des Bandes, den wir uneingeschränkt den Leserinnen und Lesern empfehlen können.

Bernkastel-Kues und Zürich im Winter 2022

Dr. Holger Schäfer & Dr. Lars Mohr

*     Wir sprechen in unserer Praxisreihe immer von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern, weitere Geschlechter bitten wir mitzulesen und gedanklich einzubeziehen. Auch in diesem Kontext konnten wir uns dankenswerterweise mit dem Verlag sowie den Autorinnen und Autoren der Praxisreihe auf eine lesbare Form verständigen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort der Reihenherausgeber

Zur Praxisreihe

Zu diesem Band

Ein Wort zuvor

1          Problemaufriss

1.1        Bildung

1.2        Lernen

1.2.1     Zum Begriff Lernen

1.2.2     Exkurs zur handlungspraktischen Relevanz von Ergebnissen der Lernforschung

1.2.3     Lernarten

1.3        Grundüberlegungen zu Konzepten, Verfahren, Methoden

1.3.1     Die Begriffe

1.3.2     Ordnungsmöglichkeiten

1.3.3     Aufgabe der Schule

2          Erste Lernaufgabe: Motorik und Wahrnehmung

2.1        Aufgaben

2.2        Theoretischer Hintergrund

2.2.1     Motorik

2.2.2     Wahrnehmung

2.3        Konzepte und Methoden zur motorischen Förderung und Wahrnehmungsförderung

2.3.1     Basales Niveau (Einzelförderung)

2.3.2     Grundlegendes Niveau (Lernen in der Gruppe)

2.3.3     Erweitertes Niveau (Lernen mit der Gruppe)

3          Zweite Lernaufgabe: Kommunikation und Kooperation

3.1        Aufgaben

3.2        Theoretischer Hintergrund

3.2.1     Kommunikation

3.2.2     Kooperation

3.3        Konzepte und Methoden zur Förderung von Kommunikation und Kooperation

3.3.1     Basales Niveau (Einzelförderung)

3.3.2     Grundlegendes Niveau (Lernen in der Gruppe)

3.3.3     Erweitertes Niveau (Lernen mit der Gruppe)

4          Dritte Lernaufgabe: Dinge gebrauchen, verändern und selbst herstellen

4.1        Aufgaben

4.2        Theoretischer Hintergrund

4.3        Konzepte und Methoden zur Förderung von gegenständlicher Tätigkeit

4.3.1     Basales Niveau

4.3.2     Grundlegendes Niveau (Lernen in der Gruppe)

4.3.3     Erweitertes Niveau (Lernen mit der Gruppe)

5          Vierte Lernaufgabe: Selbstbestimmung und Partizipation

5.1        Aufgaben

5.2        Theoretischer Hintergrund

5.3        Konzepte und Methoden zur Förderung von Selbstbestimmung und Partizipation

5.3.1     Basales Niveau

5.3.2     Grundlegendes und erweitertes Niveau (Lernen in und mit der Gruppe)

6          Fünfte Lernaufgabe: Handeln

6.1        Aufgaben

6.2        Theoretischer Hintergrund

6.2.1     Handeln

6.2.2     Das handlungsgestützte Konzept als programmatische Basis für handlungsorientierte Methoden und Subkonzepte

6.3        Methodische Grundkonzepte und Strategien

6.3.1     Basales Niveau

6.3.2     Grundlegendes Niveau (Lernen in der Gruppe)

6.3.3     Erweitertes Niveau (Lernen mit der Gruppe)

7          Epilogischer Ausblick

Verzeichnisse

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Register

Ein Wort zuvor

»Methode gibt es überall irgendwie« (Terhart 2019, 181).

Liebe Leserinnen und Leser,

mit dem Aufkommen der Idee der Bildsamkeit von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung im Zeitalter der Aufklärung standen die ersten pädagogischen Pioniere vor der Frage, wie Lernprozesse für diese Personengruppe gestaltet werden können. Neben der Frage nach dem »Wozu« und »Was« gelernt werden sollte, gehört die Frage nach dem »Wie« zu den historischen Grundfragen der Teildisziplin Pädagogik bei geistiger Behinderung. Bereits von Beginn an der ersten Unterrichtsversuche wurde der Methodenfrage ein prominenter Stellenwert zuerkannt, denn mittels der angewandten Methoden sollte der Nachweis der Bildsamkeit von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung erbracht werden (Thümmel 2003, 11–13). Mithin konzentrierten sich die Pädagoginnen und Pädagogen in Praxis und in Theorie auf die Entwicklung von wirksamen Verfahren, respektive von solchen, deren vermeintliches Potential stark beworben wurde. Als Resultat dieser Schwerpunktsetzung wurden im Verlauf der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Teildisziplin Konzepte, Verfahren und Methoden erarbeitet, deren Anzahl nicht eindeutig festzustellen ist und die unzählige Bände füllen.

Damit stellt sich vor dem anfangs skizzierten Hintergrund einer vorliegenden üppigen Literaturbasis die Frage: »Wozu wird eigentlich unter diesen Umständen ein weiteres Buch zu Methodenfragen im sonderpädagogischen Schwerpunkt Geistige Entwicklung (SGE) veröffentlicht?« Vorweg ist klarzustellen, dass wir uns in diesem Buch nicht der Sisyphosarbeit stellen, ein vollständiges Bild von Konzepten, Verfahren und Methoden im sonderpädagogischen Schwerpunkt Geistige Entwicklung zu präsentieren. Sammelbände, die auf Vollständigkeit ausgerichtet sind, können, unter den derzeitigen Bedingungen eines schnelllebigen Büchermarktes, ohnehin dem Anspruch auf Vollständigkeit nur zeitlich begrenzt gerecht werden.

Dieses Buch lässt sich demnach nicht von dem Anspruch auf Vollständigkeit leiten. Vielmehr verfolgen wir das Ziel, in der unübersehbaren Vielheit und Vielfalt der vorhandenen methodischen Angebote für Bildungseinrichtungen im SGE Ordnung zu schaffen und Wegweiser für unsere Leserinnen und Leser aufzustellen zur Orientierung im bestehenden Methoden-Dschungel.

Seinen Ausgangspunkt nimmt der Ordnungsprozess von den Grundüberlegungen zum Zusammenhang von Bildung, Lernen und Methoden (Kap. 1). Methoden sind kein Selbstzweck. Sie werden eingesetzt, um Ziele erreichen. Schule hat den Auftrag, Bildung zu vermitteln. Grob gefasst lässt sich demnach Bildung als Ziel, Methode als Weg, der zum Ziel führen soll, beschreiben. Grundsätzlich richten sich Methoden aber nicht nur nach dem Ziel, sondern die Wege dorthin müssen für die Lernenden auch gangbar sein. Konzepte, Methoden, Verfahren sollen dazu dienen, die Lernenden auf ihrem Weg hin zum Ziel zu unterstützen. Zur kritischen Prüfung von Methoden auf ihre Reichweite und Grenzen ist es sicherlich hilfreich zu wissen, wie Lernen funktioniert. Auch Theorien zum Lernen gibt es viele, aber viele sind lediglich Variationen und Kompositionen aus lediglich drei grundlegenden Lernarten. Auf diese fundamentalen Modelle versuchen wir auch die Methoden zurückzuführen.

Konzepte, Verfahren, Methoden haben wir in diesem Buch fünf Lernbereichen zugeordnet, die wir als »Lernaufgaben« bezeichnet haben: Erste Lernaufgabe: Motorik und Wahrnehmung (Kap. 2), Zweite Lernaufgabe: Kommunikation und Kooperation (Kap. 3), Dritte Lernaufgabe: Dinge gebrauchen, verändern und selbst herstellen (Kap. 4), Vierte Lernaufgabe: Selbstbestimmung und Partizipation (Kap. 5) und Fünfte Lernaufgabe: Handeln (Kap. 6).

Die Buchkapitel selbst sind gliedert nach den Aufgabenbeschreibungen für die fünf Lernaufgaben, gefolgt von der Darstellung des theoretischen Hintergrunds und der methodischen Grundkonzepte. Diese wiederum werden unterteilt in basale Verfahren, Verfahren auf grundlegendem Niveau und Verfahren auf erweitertem Niveau (Kap. 2–Kap. 6).

Bei Konzepten, Verfahren und Methoden, für die gesicherte Effektivitäts- und Effizienzwerte vorliegen, haben wir diese auch ausgewiesen. Desgleichen waren wir bestrebt, neuere Entwicklungen in Zusammenhang mit digitaler Technik, digitalen Medien, digitalem Lernen und digitaler Kommunikation aufzunehmen.

Hervorheben möchten wir auch, dass die ausgewählten Konzepte, Verfahren und Methoden unabhängig von der Schulart eingesetzt werden können. Daher haben wir uns gezielt auf dem anglo-amerikanischen Methodenmarkt umgesehen, um neuere konzeptionelle Entwicklungen für den Unterricht in heterogenen Klassen einzubeziehen.

Bescheiden merken wir an, dass die Einordnung in den von uns vorgeschlagenen Ordnungsrahmen nicht vollständig sein kann und auch im Zeitverlauf der ständigen Überarbeitung bedarf. Gleichwohl sehen wir unsere Intentionen erreicht, wenn es uns mit diesem Buch gelingt, den Leserinnen und Lesern Konzepte, Verfahren, Methoden plausibel und nachvollziehbar darzustellen, sodass diese sich als handlungsrelevant im pädagogischen Alltag erweisen und dazu inspirieren, Etabliertes auf den Prüfstand zu stellen und Neues zu erproben.

Wir sind an Rückmeldungen interessiert und bedanken uns für Ideen sowie kritische Anmerkungen.

Wichtige Anregungen im Verlauf der Bearbeitung des Textes verdanken wir Herrn Dr. Holger Schäfer, und ganz besonderen Dank schulden wir Frau Julia Leonhard für die Bearbeitung des Literaturverzeichnisses.

Wadgassen und Koblenz/Oldenburg im Winter 2022

Hans-Jürgen Pitsch und Ingeborg Thümmel

1

Problemaufriss

Einführend beginnt das erste Kapitel mit den Begriffsbestimmungen der Schlüsselbegriffe, die für die Planung und Ausgestaltung von Bildungsprozessen im Allgemeinen, die didaktisch-methodischen Entscheidungsprozesse im Besonderen von unhintergehbarer Bedeutung sind. Der Bedeutung des Begriffes angemessen, rückt der Begriff der Bildung an erste Stelle.

1.1       Bildung

Das englische education umfasst als Einheit etwas, das in Deutschland begrifflich getrennt wird: Erziehung und Bildung. Erziehung sei, so die deutsche Lesart, zuvörderst von den Familien zu leisten, Bildung von der Schule und von außerschulischen Möglichkeiten. Bildung wollen wir in Abhebung zum klassischen Verständnis verstehen als die Gesamtheit aller Handlungskompetenzen, die erforderlich sind, um »die Chancen und Risiken einer individualisierten Lebensführung zu bewältigen« (Rauschenbach 2005, 3). Hat Schule aber solche Bildung zu vermitteln, stellt sich die Frage, ob und in welcher Weise Konzepte, Verfahren, Methoden zur Erfüllung dieses Auftrags beitragen.

Individualisierte Lebensführung ist Teil der individuellen Biografie, und damit »gerät die ungleich größere Palette von Bildungsanlässen und -gelegenheiten ins Blickfeld« (Rauschenbach 2005, 6) als »nur« die Schule. So ausgeweitet ist Bildung nicht nur einseitig zu zentrieren auf Ausbildung und Arbeit, sondern umfassend auf »Handlungsfähigkeit, Kritikfähigkeit, Fähigkeit zur Selbstbestimmung und zur selbständigen Lebensführung [wie auf eine] erfolgreiche Identitätsbalance« (ebd.). Dies zu erwerben erfordert »Eigentätigkeit, Lernen und gemeinsames Handeln mit anderen […], kulturelle Bildung, soziales Lernen, emotionale Entwicklung und politische Bildung sowie, nicht zuletzt, [den] Erwerb von kulturellen, instrumentellen, sozialen und personalen Kompetenzen« (ebd.).

In dieser Breite lässt sich Bildung verstehen »als Aneignung der die Menschen gemeinsam angehenden Frage- und Problemstellungen ihrer geschichtlich gewordenen Gegenwart und der sich abzeichnenden Zukunft« sowie der »Auseinandersetzung mit diesen gemeinsamen Aufgaben, Problemen und Gefahren« (Klafki 2007, 53, 56). Auf diese Weise sollen Schülerinnen und Schüler nach Klafkis Dialektik der kategorialen Bildung befähigt werden, sich die Welt zu erschließen und sich für die Welt zu öffnen (erschlossen zu sein). Konkretisiert werden die Bildungsaufgaben auf der Grundlage von epochaltypischen Schlüsselproblemen (Klafki 2007, 56–60). Als die fünf zentralen epochaltypischen Schlüsselprobleme benennt Klafki (ebd.) »die Friedensfrage«, die »Umweltfrage«, die »gesellschaftlich produzierte Ungleichheit«, »Gefahren und Möglichkeiten der neuen technischen Steuerungs-, Informations- und Kommunikationsmedien« sowie die »Subjektivität des Einzelnen und das Phänomen der Ich-Du-Beziehungen«.

Die Reichweite des Katalogs einschränkend verweist Klafki (2007) mit dem zugeordneten Merkmal »epochaltypisch« darauf hin, dass es sich bei den Schlüsselproblemen »um einen in die Zukunft hinein wandelbaren Problemkanon handelt« (ebd., 60). Ein kritischer Aspekt, der Störtländer (2019, 52) veranlasst zu fragen, ob dieser Problemkanon nach Klafki (zuletzt 2007) bisher auf Veränderungsbedürftigkeit hin überprüft wurde und »[…] ob eine Aktualisierung benötigt wird«. Die Notwendigkeit, Modifikationen und Ergänzungen an den Schlüsselbegriffen vorzunehmen, lässt sich selbst bei einer oberflächlichen Sichtung feststellen. Bei der erforderlichen Aktualisierung kann das Konzept von Martha Nussbaum (1998, 2003, 2007, 2010, 2011, 2019) weiterhelfen.

Die Schlüsselprobleme lassen sich aus der Perspektive des Befähigungsansatzes (capability approach) nach Nussbaum (2007; 2010; 2011; 2019) neu denken (vgl. hierzu im Kontext auch schwerster Beeinträchtigung die aktuellen Arbeiten von Schäfer, Zentel & Manser (2022) im Zuge der Fortschreibung der Arbeiten von Fröhlich & Haupt (2004)). Der Befähigungsansatz geht ähnlich wie die Protagonisten der kulturhistorischen Schule, Leontjew (1968; 1973; 1977; 1980), Lurija (1982) und Vygotskij (1962), davon aus, dass jedes menschliche Lebewesen mit Grundbedürfnissen (materiellen und immateriellen), Grunderfahrungen und basalen Grundbefähigungen zur Welt kommt (»erste Schwelle«). Im Laufe ihres Lebens werden Menschen mit vielen Situationen und Erfahrungen konfrontiert, und um diese bewältigen zu können, bedarf es grundlegender Befähigungen, die von der Umwelt unterstützt und gefördert werden, sodass das Individuum ein gelingendes Leben führen kann (»zweite Schwelle«) (Nussbaum 2007, 181). Als Mindestvoraussetzung einer gerechten gesellschaftlichen Ordnung gilt die Ermöglichung von Verwirklichungschancen bis zur zweiten Schwelle.

Werden durch die Gesellschaft keine Ressourcen zur Verfügung gestellt, behindert dies Menschen, ihre Vorstellungen über ein gutes Leben zu realisieren. Solche Gesellschaften werden von Nussbaum (ebd.) als ungerechte Gesellschaften klassifiziert. Als grundlegende Befähigungen eines Menschen, um aus objektiver Sicht ein menschenwürdiges, aus subjektiver Sicht ein gelingendes Leben zu führen, benennt Nussbaum (2011, 32; 2019, 41–42) zehn zentrale Fähigkeiten als absolutes Minimum. Bildung gehört zu den gesellschaftlichen Kontextbedingungen, welche die Weiterentwicklung von Befähigungen unterstützen und Befähigungen auf der zweiten Schwelle erst ermöglichen. Angelehnt an Nussbaum (2011, 33–34) legt Störtländer (2019, 56) eine Zusammenstellung der zehn zentralen Befähigungen nach dem Capability-Ansatz vor, die hier gekürzt übernommen wird. Die tabellarische Auflistung (Tabelle 1.1) kann als Zielspektrum des Befähigungsansatzes gelesen werden, aus dem Bildungsaufgaben abgeleitet werden können.

Tab. 1.1: Liste der menschlichen Befähigungen und Befähigungsdimensionen (Störtländer 2019, 40–42 nach Nussbaum 2011; 2019, 41–42) (eigene Darstellung)

Übergeordnete Zielsetzung bei Nussbaum (2003; 2007; 2010; 2011; 2019) ist das »Primat des Guten« bzw. des gelingenden Lebens. Gesellschaftlichen Einrichtungen obliegt der Auftrag, die Bürgerinnen und Bürger zu einem gelingenden Leben zu befähigen und die Freiheiten einzuräumen, die ihnen die Gestaltung eines guten Lebens ermöglichen. Dazu ist es notwendig, dass Bildung als »Kultivierung von Menschlichkeit« (Nussbaum 2003) bereits im Kindes- und Jugendalter auf die Weiterentwicklung von Befähigungen abzielt. Unter den Begriff der »Kultivierung von Menschlichkeit« und der darunter subsumierten Befähigungen lassen sich auch die drei Zielperspektiven nach Klafki (2007) von Bildung, Selbstbestimmung sowie Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit (2007, 52) fassen.

PraxisSelbstbestimmt leben

Selbstbestimmt zu leben bedeutet, Entscheidungen selbst treffen zu können und zu dürfen auf der Grundlage von eigenen Planungen, Wünschen und Interessen.

  Die Befähigung zur praktischen Vernunft sollte von der Lehrkraft mitgedacht und an vielen Inhalten durch den Einsatz geeigneter Methoden und Materialien berücksichtigt werden. Ein Schwerpunkt der Förderung kann jede produktive Tätigkeit (auch schon in der Primarstufe), besonders aber die Berufsvorbereitung sein, um Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, ihre Interessen herauszufinden, Zukunftsplanungen zu entwerfen und eine selbstbestimmte Berufsentscheidung zu treffen, was bis heute im sonderpädagogischen Schwerpunkt Geistige Entwicklung (SGE) noch nicht selbstverständlich ist (Thümmel, Erdélyi & Battke 2019, 231–232; zur Diagnostik Fischer & Kranert 2021).

  Die Fähigkeit zur Mitbestimmung umfasst auch die Befähigung zur Kontrolle über die eigene Umwelt. Menschen sollten in der Lage sein, wirksam an allen wichtigen Entscheidungen teilzuhaben, die das eigene Leben betreffen (»Nichts über uns ohne uns«). Mitbestimmung als Kontrolle über die eigene Umwelt muss gelernt werden, denn das persönliche Mitbestimmungsrecht kann an die Grenzen eines anderen oder vieler Menschen stoßen. In schulischen Situationen kann Mitbestimmung z. B. in der Schülervertretung oder anderen schulischen Gremien geübt werden (Schäfer 2020; Schütte 2020).

  Die Solidaritätsfähigkeit hat bei Klafki eine Mittlerfunktion zwischen Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit mit Bezügen zur Befähigung zur Zugehörigkeit. Mit der Solidaritätsfähigkeit sind Befähigungen verbunden, mit anderen friedlich zu leben, sich für andere, auch Schwächere einzusetzen, sie zu akzeptieren und anzuerkennen. Solidaritätsfähigkeiten gewinnt man im alltäglichen Zusammenleben, aber auch durch Projekte und Unterrichtseinheiten, die Fremdheit und Begegnungen in den Fokus stellen. An dieser Stelle ist das größte bundesweite Netzwerk »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage«) zu nennen, das bundesweit Schulen bei der Konzeptbildung und bei Aktionen für ein diskriminierungssensibles und solidarisches Miteinander unterstützt (Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage o. J.).

Bildung als Leitkategorie beeinflusst maßgeblich den Diskurs über Methoden. In der allgemeinen Didaktik herrscht längst Übereinstimmung über die Prioritätenfolge der vier Strukturelemente der unterrichtlichen Planung: Ziele, Inhalte, Methoden und Medien. Es gilt der »Primat der pädagogischen Intentionalität« (Blankertz 2000, 93), zugleich sind alle vier Strukturelemente aufeinander bezogen. Dieser Implikationszusammenhang evoziert Rückwirkungen bei der Festlegung eines Strukturelementes auf die anderen drei Elemente. So kann sich zum Beispiel die Entscheidung für eine bestimmte Methode maßgeblich auf die intentionale und inhaltliche Ausrichtung auswirken. Im Gegenzug zeigen intentionale und inhaltliche Festlegungen Auswirkungen auf methodische Vorgehensweisen.

Die Teildisziplin der Pädagogik und Didaktik bei geistiger Behinderung hat in der Vergangenheit bildungstheoretische und didaktische Fragestellungen oft vernachlässigt zugunsten der Suche nach wirksamen Methoden. Eine Folge der weitgehenden Abstinenz gegenüber einer bildungstheoretischen und didaktischen Diskussion ist ein gewisser Methodenwirrwarr im SGE.

  Es waren zunächst Methoden und Verfahren aus der Sozialmedizin und der Aufklärungspädagogik, die ab Mitte des 18. Jahrhunderts in der Erziehung von Kindern und Jugendlichen, die als Kretine, Imbezille oder Idioten bezeichnet wurden, zum Einsatz kamen (Thümmel 2003).

  Späterhin wurde ein buntes Methodenrepertoire entwickelt aus den unterschiedlichsten Fachwissenschaften und Fachpraxen, aus der Krankenpflege, der Ergotherapie, der Krankengymnastik, aus psychologischen Interventionsansätzen und Ansätzen aus der Kindergarten- und Reformpädagogik.

  Ergänzt wurden diese methodischen Ansätze durch Verfahrensweisen der russischen Tätigkeitspsychologie und neuerdings durch Varianten der in allgemeinen Schulen eingesetzten Verfahren.

  Zudem drängen neuere Verfahren aus dem anglo-amerikanischen Raum auf den Markt, die auch digital sehr stark beworben werden.

Um in dieser extensiven und unübersichtlichen Methodensammlung eine Orientierungshilfe zu leisten, helfen uns sechs Ordnungskriterien eine systematische Zuordnung der vorhandenen Verfahren vorzunehmen. Anhand der sechs in Kapitel 1.3.2 (Kap. 1.3.2) ausgeführten Kriterien lassen sich Konzepte, Verfahren, Methoden in einer Systematik ordnen, wie sie mit dem dreibändigen Methodenkompendium für den Schwerpunkt geistige Entwicklung (SGE) (Pitsch & Thümmel 2015a; 2015b; 2017a; 2019; Thümmel 2021) begonnen wurde und die wesentliche Grundlage der nachfolgenden Ausführungen bildet.

1.2       Lernen

Lernen ist ein weiterer prominenter didaktisch-methodischer Schlüsselbegriff, der sich im relationalen Zusammenhang mit dem Bildungsbegriff erschließen lässt. Anknüpfend an den Bildungsbegriff als Zielperspektive lässt sich Lernen als Mittel zur Erreichung von Bildungszielen ausweisen. Schule soll Lernen organisieren. Lernen sollen in erster Linie die Schülerinnen und Schüler, wünschenswert auch (im Sinne von Professionalisierung) die Lehrkräfte und die Schule als System selbst. Das Lernen der Schülerinnen und Schüler soll organisiert erfolgen, auf Ziele ausgerichtet sein und geplant werden, anhand bestimmter Medien und mittels bestimmter Methoden. Methoden der Lernorganisation sind Gegenstand dieses Buches, und da Methoden Lernprozesse initiieren und unterstützen sollen, ist es sachdienlich zu wissen, was Lernen überhaupt ist. Also klären wir zunächst den Begriff Lernen.

1.2.1      Zum Begriff Lernen

Die pädagogische und psychologische Fachliteratur ist angefüllt mit einer reichen Sammlung unterschiedlicher Definitionen des Lernens, von denen wir für unsere alltägliche Arbeit Hilfe erhoffen. Definitionen sollen einen Begriff inhaltlich fassen und verständlich machen. Das Ziel und den Weg des Lernens wie die Dauerhaftigkeit seiner Ergebnisse fassen Edelmann & Wittmann (2019, 17) in der knappen Formel zusammen: »Lernen ist ein Prozess, der zu relativ stabiler Erfahrungsbildung führt.« Freilich gibt es Lernen durch Zufall, ohne Anlass, das sogenannte inzidentelleLernen. Der Unterschied zu dem pädagogisch inszenierten Lernen besteht gleichwohl darin, dass inzidentelles Lernen irgendwo, irgendwann, irgendwie (also ungeplant) beginnt. Dieser Beginn fehlt in der vorstehenden Definition. Ergänzen wir die vorstehende Kurzdefinition von Lernen durch einen Ausgangspunkt bzw. Anlass und die notwendige Tätigkeit, kommen wir zu einer Gebrauchsdefinition für Pädagoginnen und Pädagogen:

Lernen

Lernen ist ein Geschehen, das aus einem Anlass heraus durch zielgerichtete Tätigkeit zu Änderungen des Lernenden mit dauerhaftem Bestand führt. Diese Definition von Lernen ist so umfassend, dass wir sie für die weiteren Erörterungen in abgrenzbare Komponenten aufteilen: Lernen als Geschehen führt

  aus einem Anlass heraus (der i. d. R. von der Lehrkraft herzustellen ist; das Anlass-lose, inzidentelle Lernen ist nicht planbar);

  durch zielgerichtete Tätigkeit (die wiederum die Lehrkraft zu organisieren und/oder anzuregen hat);

  zu Änderungen (des Verhaltens bzw. von Verhaltensdispositionen, die die Lehrkraft wohl intendiert, aber nicht erzwingen kann);

  zu dauerhaftem Bestand (der durch Abrufen überprüfbar ist).

Menschliches Lernen ist ein Prozess, ein Vorgang, der abläuft und Veränderungen mit sich bringt. Veränderungen werden durch Tätigkeiten des Menschen hervorgerufen. Menschliche Tätigkeit differenzieren wir nach Leontjew (1968; 1973; 1977) in das nach außen gerichtete Tun, die Exteriorisierung, und dessen Rückwirkung auf das Individuum, die Interiorisierung.

Auch differenzieren wir die Exteriorisierung in (beobachtbare) äußere, konkrete Tätigkeit (Arbeit) und in (nicht beobachtbare, aber mitteilbare) innere Tätigkeit (Denken). Das Gelernte ist dann dauerhafter Bestand, wenn es im Langzeitgedächtnis abgespeichert und verfügbar ist. Dessen relevante Bereiche führen wir nach Pitsch & Limbach-Reich (2019) an. Damit ergibt sich eine erste Grobübersicht in Tabelle 1.2.

Tab. 1.2: Komponenten des Lernens (eigene Darstellung)

Die von uns entwickelte Gebrauchsdefinition hat gegenüber den einschlägigen Definitionen den Vorteil, dass der Begriffsbereich Lernen breiter gefasst ist. Somit werden mit dem erweiterten Lernbegriff im Gegensatz zu den konventionellen Definitionen auch basale Lernprozesse erfasst, die im Hinblick auf die Schülergruppe mit schwerster Beeinträchtigung zu berücksichtigen sind.

1.2.2      Exkurs zur handlungspraktischen Relevanz von Ergebnissen der Lernforschung

Bevor im Nachfolgenden weitere Ergebnisse der Lernforschung dargelegt werden, ist ein kurzer Exkurs erforderlich, um das Verhältnis zwischen Unterrichtsmethoden und den Erkenntnissen der psychologischen Lernforschung zu klären.

ExkursUnterrichtsmethoden und Lernforschung

Vorrangig stellt sich bei der vorzunehmenden Abgrenzung die Frage, ob die Ergebnisse der Lernforschung als Blaupause für Unterrichtsmethoden dienen und damit über diesen Weg direkt als Verfahrensweisen in der Praxis Anwendung finden können und überdies auch sollten.

Zur Beantwortung dieser Frage lässt sich zunächst festhalten, dass Unterrichtsmethoden traditionell in zwei Kategorien eingeteilt wurden:

  Die Methoden, die ihren Ausgangspunkt nehmen von der Struktur der Inhalte,

  und jene, die die Besonderheiten und individuellen Bedürfnisse – bspw. im Kontext schwerster Beeinträchtigung – den Lernprozess der Lernenden in den Fokus rücken.

Der dargestellte Methodendualismus in der Didaktik kann allerdings als überwunden gelten. Terhart (2019) spricht davon, dass es sich bei dieser Betrachtungsweise um eine »Vereinseitigung des tatsächlichen Unterrichtsprozesses« handelt (ebd., 41). Beides muss in den Blick genommen werden: die Inhalte wie auch die Lernprozesse, die die Lernenden vollziehen müssen, um sich die Inhalte anzueignen. »Man kann nicht über nichts unterrichten; und ein Unterrichten, das nicht auf das Lernen der Unterrichteten abzielt, ist kein volles Unterrichten« (ebd.).

Unterrichtsmethoden zeichnen sich demnach dadurch aus, dass sie intentionale und inhaltsbezogene Lernprozesse für einen oder eine festgelegte Gruppe von Lernenden organisieren.

Methoden sind mithin immer in einem Implikationszusammenhang mit den für die jeweilige Unterrichtsstunde ausgewählten Zielen und Inhalten zu betrachten (Kap. 1.1).

In diesem Kontext ist weiterführend zu fragen, welche Inhalte unter welchen Bedingungen optimal gelernt werden, was nicht gelernt wird und welche brauchbaren Ergebnisse die Lernforschung den Lehrenden zur Verfügung stellt. Reinmann (2015) kommt zu der klaren Aussage: »Lerntheorien sind weniger als Grundlage von Bedeutung, aus denen sich didaktisches Handeln ableiten lässt […]« (ebd., 132). Die gleiche Auffassung vertritt Terhart (2019, 41–43) und begründet dies damit, dass Lerntheorien auf den Ergebnissen von Laborforschungen basieren und damit deskriptivanalytisches Wissen beinhalten. In der pädagogischen Praxis allerdings sind »präskriptives Wissen« (ebd., 41) und »operative-gestalterische Fähigkeiten« (ebd., 42) gefragt.

Eine direkte Übertragung von Erkenntnissen, die unter Laborbedingungen gewonnen wurden, in eine pädagogische Situation ist somit nicht möglich. An dieser Stelle obliegt den Lehrenden die Vermittlungsrolle. Das heißt

  zum einen, dass Lehrkräfte so viel wie möglich wissen sollten über die Ergebnisse der Lernforschung,

  und zum anderen über die Fähigkeiten verfügen müssen, dieses Wissen auf die Gestaltung von förderlichen Lehr- und Lernbedingungen für Schülerinnen und Schüler zu übertragen.

Hier betreten wir nun den Bereich der Unterrichtsmethoden, die intentional-inhaltlich ausgerichtet, den Lernprozess von Schülerinnen und Schülern initiieren und unterstützen sollen.

1.2.3      Lernarten

Die pädagogische Fachliteratur umfasst eine große Anzahl von Theorien des Lernens, die zum Teil nur einzelne Aspekte ansprechen wie Bandura (1976) mit dem Lernen am Modell oder kontrastierend dazu ein Gesamtsystem entwerfen wie beispielsweise Gagné (1970).

Für die pädagogische Förderung von Schülerinnen und Schülern im SGE müssen deren Nützlichkeiten differenziert betrachtet werden. Lernen beruht auf der Mobilisierung von Prozessen, die dem Lernenden selbst innewohnen, zu seinem eigenen kognitiven Bereich gehören. Sie bewirken umgebungsbezogene Verhaltensänderungen als Folge einer individuellen Informationsverarbeitung. Jantzen (1992) betont in diesem Zusammenhang, dass dieses Lernen »auf der Basis emotionaler (positiver oder negativer) Bekräftigung« stattfindet, wobei er diese Bedingung dann als am besten erfüllt sieht, »wenn Sicherheit und Bindung im innerartlichen Verkehr die positive Bekräftigung optimieren und ein umfassendes Explorations- und Neugierverhalten möglich machen« (ebd., 273).

Vor diesem Hintergrund unterscheidet Jantzen (1992) drei elementare Formen des Lernens: (1) Wahrnehmungslernen, (2) Signallernen und (3) Operantes Konditionieren.

1.  Wahrnehmungslernen: nach Piaget (1974) die wiederkehrende und generalisierende Assimilation; Habituation. Üblicherweise wird die hier als Wahrnehmungslernen bezeichnete Habituation in der schulpädagogischen Literatur kaum erörtert, gehört sie doch zu den durch Erbkoordination präformierten neurobiologischen Ereignissen, die i. d. R. unmittelbar nach der Geburt eintreten. Es handelt sich um eine »Gewöhnung an neue Reize […] im Sinne des Abgewöhnens« (Jantzen 1992, 273) in einer sich nicht ändernden Situation (physiologische Habituation als ein allmähliches Nicht-mehr-Wahrnehmen eines Reizes). Eine zweite Form, die Habituation positiver Reize, erfolgt auf der Grundlage der Verstärkung der Vertrautheit mit dem neuen Gegenstand durch seine positive Valenz in einem »dialektische[n] Zusammenhang von Assimilation und Akkommodation« (Jantzen 1992, 274).

Die weiteren Lernformen Signallernen und instrumentelles Lernen bilden die beiden ersten Lernformen in der Hierarchie des Lernens von Gagné (1970).

2.  Signallernen (bedingter Reflex und bedingte Reaktion; Assoziationslernen, klassisches Konditionieren) gilt als »die einfachste Lernart« (Angermeier & Kuhlmann 2000, 27) und meint das Lernen einer allgemeinen, diffusen, emotionalen und meist reflexartigen Reaktion auf ein Signal. Es fördert wohl das Erlernen unwillkürlicher Reaktionen, insbesondere von Emotionen wie Angst und Freude, setzt aber voraus, dass eine solche Reaktion (als angeborenes Verhaltensprogramm oder erlernt) im Individuum bereits vorhanden ist. Diese bereits vorhandene Verhaltensweise, als unkonditionierter Stimulus bezeichnet (engl. Un-Conditioned Stimulus, abgekürzt UCS), wird lediglich an einen bisher nicht wirksamen auslösenden Reiz gebunden mit der Folge, dass nunmehr ein künstlicher Reiz (engl. Conditioned Stimulus, abgekürzt: CS) die ursprüngliche Reaktion auslösen kann. Dazu sind zwei Bedingungen erforderlich: Ein Reiz (unkonditionierter Stimulus UCS), der eine beabsichtigte Reaktion (unkonditionierte Reaktion UCR) provoziert, und ein gleichzeitig auftretendes Signal (konditionierter Stimulus CS). Nach einer unterschiedlich langen Trainingszeit ist bei der Versuchsperson die Assoziation zwischen Reiz und Signal so weit ausgeprägt, dass sie die Reaktion, die sie sonst nur in Verbindung mit dem unkonditionierten Reiz äußert, bereits dann zeigt, wenn nur das Signal auftritt. Diese Reiz-Reaktions-Folgen können sich ausweiten in zirkulärer Form in ständiger Wiederholung des Gleichen ( repetitives Lernen,  Üben) wie in linearer Form, sodass Reiz 1 die Reaktion 1 auslöst, diese als Reiz 2 wirkt und die Reaktion 2 auslöst. Diese Kette wird vorgesetzt, bis die lernende Person weitere Reize ignoriert ( Kettenlernen,  Priming).

Priming

Unter Priming versteht man die »Voraktivierung von Sequenzelementen: Bei einer Zeitkette (beobachtbarer) Ereignisse […], von denen jedes einzelne selbst wieder als Endstufe einer Serie von Zwischenstufen der Informationsverarbeitung anzusehen ist […], ist von P[riming] dann die Rede, wenn die Realisierung irgendeiner Zwischenstufe die Realisierung bestimmter Zwischenstufen von zeitlich nachgeordneten Endergebnissen mitbedingt oder beschleunigt« (Vukovich 2007, 1681). Die aufeinander folgenden Ereignisse sind zeitlich und/oder logisch miteinander assoziiert. Priming führt von einem vorangegangenen Reiz über Assoziationen zum Erkennen eines neuen Reizes. Wir haben es demnach mit Assoziationslernen zu tun.

Assoziationen

Assoziationen sind Verknüpfungen von Inhalten derart, dass »eine Vorstellung eine andere ins Bewußtsein ruft oder diesen Vorgang begünstigt« (Peters 1997, 47),

  wenn zwischen beiden Vorstellungen eine Ähnlichkeit besteht,

  oder wenn sie miteinander kontrastieren: »Zwei entgegengesetzte Elemente werden miteinander verknüpft« (Aebi 1996, 162),

  wenn zwei Ereignisse zeitlich miteinander verknüpft werden (Kontiguität) wie Blitz und Donner,

  oder wenn sie inhaltlich unmittelbar miteinander verknüpft sind.

Häufig verwendete Formate der Verknüpfung von Inhalten

  Verbale Assoziation: Die Ähnlichkeit besteht in Sprechweise und Klang der Wörter (Gaul, Maul, faul – das Rohmaterial für Endreime). Theorien des verbalen Lernens beschreiben komplexeres Lernen auf der symbolischen Ebene der gesprochenen Sprache und gehen vom Phänomen der Assoziation aus. In dieser Weise lernen wir die Zuordnung von Namen zu Dingen oder Tätigkeiten, auch z. B. Fremdsprachen.

  Semantische Assoziation: Die Ähnlichkeit besteht in der Bedeutung der Wörter (Tee, Kaffee: beides Getränke). Anwendungsbereiche sind z. B. Wortfeldsammlungen.

  Freie Assoziation: Freie Assoziation »ist der nicht mit Absicht gelenkte Ablauf der Gedanken« (Toman 1996, 161). Alle Einfälle werden ohne Unterschied geäußert. Anknüpfungspunkte können bestimmte Kontexte sein, einzelne Worte oder Vorstellungen. Ohne Anknüpfungspunkte können sich frei einstellende Vorstellungen geäußert werden. Hierzu passende Arbeitsformen: Brainstorming, Clustering.

  Gerichtete Assoziationen: Sie sind »unter bestimmten Leitvorstellungen, Zielen oder Endmotiven ablaufende […] Gedanken, Vorstellungen oder Erinnerungen« (Toman 1996, 161). Assoziationen können somit beschrieben werden als auf einen bestimmten Inhalt hin gerichteter »und mit diesem zusammenhängender Einfall« (Peters 1997, 48). Passende Arbeitsformen: Clustering, Mind-Maps, Kartenlesen.

  ZeitlicheAssoziation– Kontiguität: Zwei Ereignisse treten gleichzeitig oder sehr kurz nacheinander ein (Blitz – Donner). Die entsprechende Lernform ist das klassische Konditionieren.

  Kausale Assoziation: Ein Ereignis löst das andere aus (Schalter drücken – Licht an; etwas essen – Sättigung). Die entsprechende Lernform ist das operante Konditionieren, das Lernen am Erfolg.

3.  Reiz-Reaktions-Lernen,Instrumentelles oder Operantes Konditionieren: Die wesentlichen Selbstorganisationsprozesse auf diesem Niveau sind solche der Akkommodation (Jantzen 1992, 284). Reiz-Reaktions-Lernen, Instrumentelles oder Operantes Konditionieren, wie es insbesondere von Skinner (1971) beschrieben worden ist, stützt sich darauf, dass ein vom Individuum gezeigtes Verhalten entweder mit Belohnung oder mit Bestrafung verbunden wird. »Der Lernende erwirbt eine präzise Reaktion auf einen genau unterscheidbaren Reiz« (Gagné 1970, 51).

Diese Lernart ist im Gegensatz zum Signallernen durch einen allmählichen Zuwachs charakterisiert und setzt voraus: (a) Die Motivation der Versuchsperson, also Bedürfnisse, die sie zu befriedigen sucht, und (b) ein bestimmtes Repertoire an Reaktionen, das der Person zur Verfügung steht. Auch hier kann nur belohnt oder bestraft werden, was der Mensch bereits an Verhalten äußert. Dieses Verhalten wird unter Belohnung nicht neu gelernt, sondern lediglich verstärkt. Die gewünschte, angemessene Reaktion wird sofort, kontinuierlich und kontingent verstärkt (Bedürfnisbefriedigung), wodurch bei wiederholter Konfrontation mit dem Reiz die erwünschte richtige Reaktion immer häufiger auftritt. Allmählich kann die Verstärkung für die richtige Reaktion ausgeblendet, d. h. allmählich zurückgenommen werden, sobald sich die erwünschte Reaktion so stabilisiert hat, dass der Lernende auch ohne Verstärkung im erwünschten Sinne reagiert. Diese Art von Lernen ist resistenter gegen Löschung als das Signallernen.

Lernen, insbesondere das Lernen einzelner Verhaltensweisen, wird demnach auch durch die Konsequenzen bestimmt, welche die Handlung für das Individuum nach sich zieht. Diese Konsequenzen sind durch Lehrkräfte beeinflussbar, und Konsequenzen zu setzen gehört zu deren pädagogischer (im engeren Sinne unterrichtlicher) Tätigkeit. Eine Handlung kann dabei angenehme, unangenehme oder gar keine Konsequenzen haben. Der Wirkung von Konsequenzen liegen zwei Grundgesetze zugrunde:

  Neutrale Ereignisse bewirken keinen Lerneffekt.

  Je später die Konsequenzen einsetzen, desto geringer wird das Ausmaß des Lernens.

Die Konsequenzen einer Handlung, ob für das Individuum angenehm oder unangenehm, bezeichnen wir als Verstärker. Dabei wird zwischen positiven, angenehmen Verstärkern und negativen, unangenehmen Verstärkern (aversiven Reizen) unterscheiden. Als Verstärker können eingesetzt werden:

  Primäre Verstärker befriedigen primäre Bedürfnisse wie Durst, Hunger usw.;

  sekundäre Verstärker sind durch Konditionierung an die Stelle primärer Verstärker getreten;

  generalisierte Verstärker können später gegen eine Belohnung eingetauscht werden, z. B. Geld, Spielmarken, Tokens;

  vikariierende (stellvertretende) Verstärker, die ein Verhaltensmodell erhält und bei denen Lernen durch Beobachtung am Modell ( Modell-Lernen) erfolgt (durch Imitation).

Nachstehend sollen kurz die positive und negative Verstärkung sowie damit verbunden die Bestrafung skizziert werden:

  Positive Verstärkung: dient dem Aufbau eines Verhaltens, wenn sie jedes Mal beim Auftreten eines erwünschten Verhaltens (kontinuierlich) vergeben wird; wenn sie unregelmäßig (intermittierend) vergeben wird, dient sie dessen Aufrechterhaltung. »Werden positive Verstärker entzogen, wirkt dies wie eine Strafe und führt zu einem allmählichen Abbau des vorher verstärkten Verhaltens (Löschung, Extinktion), nachdem die Verhaltensrate zunächst stark angestiegen war. Was als positive Verstärkung wirken kann, ist vom jeweiligen Individuum und dessen Bewertung abhängig (Pitsch & Thümmel 2015a, 78).

  Negative Verstärkung: ist die Wirkung eines für das Individuum subjektiv unangenehm empfundenen oder schädlichen (aversiven) Reizes. Wir beobachten dies, wenn das Individuum über solche Verhaltensweisen verfügt, mit denen es den unangenehmen Reiz beenden (Fluchtverhalten) oder vermeiden (Vermeidungsverhalten) kann.

  Bestrafung: Tradition hat in der sogenannten Prügelpädagogik der Versuch, unerwünschtes Verhalten durch aversive Reize (direkte Bestrafung) zum Verschwinden zu bringen, und wie wir wissen, sind solche Versuche zum einen untauglich: Das bestrafte Verhalten tritt wieder auf, wenn die aversiven Reize beendet werden. Zum andern werfen Strafen erhebliche ethische Probleme auf. Sie können bestrafte Verhaltensweisen lediglich unterdrücken, aber nicht zum Verschwinden (Verlernen) bringen. Dem Verlernen dient besser der Aufbau eines unvereinbarten, aber erwünschten Verhaltens. Auch der Entzug positiver Verstärker kann zum Abbau unerwünschten oder schädigenden Verhaltens eingesetzt werden, wobei sich im Wesentlichen zwei Möglichkeiten anbieten, die time-out-Methode, die sich im Wesentlichen auf den Entzug positiver Sozialkontakte richtet (10 Minuten auf den Flur, oder auf die sogenannte »Stille Treppe«), und die response-cost-Methode, der Entzug von Privilegien.

Beim Aufbau erwünschter Verhaltensformen unterscheiden wir drei Strategien:

  die Verhaltungsformung (shaping of behaviour);

  die Hilfestellung (prompting);

  das Ausschleichen der Hilfestellung, der langsame Abbau (fading).

Auf den Punkt gebracht lässt sich das Grundgesetz der Verhaltensmodifikation wie folgt konkretisieren: »Der Königsweg jeglicher Erziehung, Bildung, Therapie ist der Aufbau angemessener, nützlicher Verhaltensweisen unter der Steuerung von Zuwendung, Anerkennung, Verstärkung, Lob, Erfolg« (Pitsch & Thümmel 2015a, 78).

Lernenals Prozess

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Lernen ein Prozess ist, der Veränderungen nach sich zieht. Lernen verlangt die Tätigkeit eines Individuums an oder mit einem Gegenstand. Der Gegenstand kann real vorhanden sein oder eine Vorstellung, ein Begriff, ein Gedanke. Tätigkeit verlangt Kontakt. Kontakt entsteht durch Bewegung. Es müssen also zwei Elemente mindestens vorhanden sein: ein Individuum, das sich bewegt, und ein Gegenstand, auf den diese Bewegung zielt. Die Ergebnisse der Lernforschung können nicht eins zu eins in die Unterrichtspraxis übertragen werden, sollten aber den Lehrkräften bekannt sein, denn sie liefern das Hintergrundwissen über Lernen und Kenntnisse darüber, dass und warum Lernprozesse erfolgreich verlaufen oder auch scheitern können.

Weiterführende Literatur

 

Pitsch, H.-J. & Limbach-Reich, A. (2019): Lernen und Gedächtnis bei Schülern mit kognitiver Behinderung. Stuttgart: Kohlhammer.

Pitsch, H.-J. & Thümmel, I. (2015): Methodenkompendium für den Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Band 1: Basale, perzeptive, manipulative, gegenständliche und spielerische Tätigkeit. Oberhausen: Athena.

Reinmann, G. (2013): Didaktisches Handeln. Die Beziehung zwischen Lerntheorien und Didaktischem Design. In: Ebner, M. & Schön, S. (Hrsg.): Lehrbuch für Lehren und Lernen mit Technologien. http://l3t.eu/homepage/das-buch/ebook-2013/kapitel/lesen/o/id/93

1.3       Grundüberlegungen zu Konzepten, Verfahren, Methoden

1.3.1      Die Begriffe

Lehrpläne oder Richtlinien, Schul-, Unterrichts- oder Fachbereichskonzepte sind bildungspolitische und administrative strategische Steuerungsinstrumente. Sie steuern das längerfristige pädagogische (Planungs-) Handeln. Der Begriff Methode, aus dem Griechischen méthodos (μέθοδος) abgeleitet, bezeichnet ein »nach bestimmten Regeln geordnetes Verfahren, eigentlich das Nachgehen, Verfolgen, Nachforschen« (Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, DWDS o. J.). Kurz gefasst lassen sich Methoden als strukturierte Verhaltensvorschriften zur Lösung eines Problems beschreiben. Probleme oder Aufgaben stellen sich im Alltag und sind im Laufe des Lebens vielfältigen Veränderungen unterworfen. An der Lösung von Problemen, an der Bewältigung von Aufgaben lernt der Mensch, und da Aufgaben und Probleme sich im Laufe seines Lebens ständig ändern und immer komplexer werden, müssen sich auch die zu ihrer Lösung notwendigen Verfahren, die Lösungsmethoden, ständig ändern.