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Sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche weisen primär keine körperlichen Beeinträchtigungen auf und werden vom deutschen Schulsystem bisher in keiner spezifischen eigenen Schule aufgenommen, sondern kommen in verschiedenen Institutionen unter bzw. scheitern dort. Das Buch beschäftigt sich mit der Förderung dieser Schülerinnen und Schüler, die eine sehr heterogene Gruppe in unterschiedlichen Lebenskontexten darstellen. Grundsätzlich werden Kinder aus armen Familien, Kinder mit Migrationshintergrund und aus Flüchtlingsfamilien, Risikokinder aus Risikofamilien und traumatisierte Kinder als sozial benachteiligt bezeichnet. Weil soziale Benachteiligung allerdings nicht ohne ihre gesellschaftliche Kehrseite, die soziale Bevorzugung, zu denken ist, stellt dieses Buch auch ein soziologisches Plädoyer für mehr Gerechtigkeit in Deutschland dar und reflektiert zudem professionstheoretische Untersuchungsergebnisse für ein Umdenken im schulischen Alltag.
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Seitenzahl: 226
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Sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche weisen primär keine körperlichen Beeinträchtigungen auf und werden vom deutschen Schulsystem bisher in keiner spezifischen eigenen Schule aufgenommen, sondern kommen in verschiedenen Institutionen unter bzw. scheitern dort. Das Buch beschäftigt sich mit der Förderung dieser Schülerinnen und Schüler, die eine sehr heterogene Gruppe in unterschiedlichen Lebenskontexten darstellen. Grundsätzlich werden Kinder aus armen Familien, Kinder mit Migrationshintergrund und aus Flüchtlingsfamilien, Risikokinder aus Risikofamilien und traumatisierte Kinder als sozial benachteiligt bezeichnet. Weil soziale Benachteiligung allerdings nicht ohne ihre gesellschaftliche Kehrseite, die soziale Bevorzugung, zu denken ist, stellt dieses Buch auch ein soziologisches Plädoyer für mehr Gerechtigkeit in Deutschland dar und reflektiert zudem professionstheoretische Untersuchungsergebnisse für ein Umdenken im schulischen Alltag.
Prof. Dr. phil. Stephan Ellinger ist Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen der Universität Würzburg.
Fördern lernen – Intervention Herausgegeben von Stephan Ellinger Band 1
Stephan Ellinger
Förderung bei sozialer Benachteiligung
Verlag W. Kohlhammer
Alle Rechte vorbehalten © 2013 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Umschlagmotiv: © Jose Manuel Gelpi – fotolia.com Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart
ISBN: 978-3-17-021806-2
E-Book-Formate
pdf:
epub:
978-3-17-027568-3
mobi:
978-3-17-027569-0
Die Reihe Fördern lernen umfasst drei klare thematische Schwerpunkte. Es sollen erstens die wichtigsten Förderkonzepte und Fördermaßnahmen bei den am häufigsten vorkommenden Lern- und Verhaltensstörungen dargestellt werden. Zweitens gilt es, die wesentlichen Grundlagen pädagogischer Beratungsarbeit und die wichtigsten Beratungskonzepte zu diskutieren, und drittens sollen zentrale Handlungsfelder pädagogischer Prävention übersichtlich vermittelt werden. Dabei sind die Bücher dieser Reihe in erster Linie gut lesbar und unmittelbar in der Praxis einzusetzen.
Im Schwerpunkt Intervention informiert jeder einzelne Band (1–9) in seinem ersten Teil über den aktuellen Stand der Forschung und entfaltet theoriegeleitet Überlegungen zu Interventionen und Präventionen. Im zweiten Teil eines Bandes werden dann konkrete Maßnahmen und erprobte Förderprogramme vorgestellt und diskutiert. Grundlage für diese Empfehlungen sollen zum einen belastbare empirische Ergebnisse und zum anderen praktische Handlungsanweisungen für konkrete Bezüge (z. B. Unterricht, Freizeitbetreuung, Förderkurse) sein. Schwerpunkt des zweiten Teils sind also die Umsetzungsformen und Umsetzungsmöglichkeiten im jeweiligen pädagogischen Handlungsfeld.
Die Bände im Schwerpunkt Beratung (10–16) beinhalten im ersten Teil eine Darstellung des Beratungskonzeptes in klaren Begrifflichkeiten hinsichtlich der Grundannahmen und der zugrundeliegenden Vorstellungen vom Wesen eines Problems, den Fähigkeiten des Menschen usw. Im zweiten Teil werden die Methoden des Beratungsansatzes anhand eines oder mehrerer fiktiver Beratungsanlässe dargestellt und erläutert, so dass Lehrkräfte und außerschulisch arbeitende Pädagogen konkrete Umsetzungen vornehmen können.
Die Einzelbände im Schwerpunkt Prävention (17–21) wenden sich allgemeinen Förderkonzepten und Präventionsmaßnahmen zu und erläutern praktische Handlungshilfen, um Lernstörungen, Verhaltensstörungen und prekäre Lebenslagen vorbeugend zu verhindern.
Die Zielgruppe der Reihe Fördern lernen bilden in erster Linie Lehrkräfte und außerschulisch arbeitende Pädagogen, die sich entweder auf die Arbeit mit betroffenen Kindern vorbereiten oder aber schnell und umfassend gezielte Informationen zur effektiven Förderung oder Beratung von Betroffenen suchen. Die Buchreihe eignet sich auch für die pädagogische Ausbildung und als Zugang für Eltern, die sich nicht auf populärwissenschaftliches Halbwissen verlassen wollen.
Die Autorinnen und Autoren wünschen allen Leserinnen und Lesern ganz praktische Aha-Erlebnisse!
Stephan Ellinger
Intervention
Band 1: Förderung bei sozialer Benachteiligung
Band 2: Förderung bei Lese-Rechtschreibschwäche
Band 3: Förderung bei Rechenschwäche
Band 4: Förderung bei Gewalt und Aggressivität
Band 5: Förderung bei Ängstlichkeit und Angststörungen
Band 6: Förderung bei ADS/ADHS
Band 7: Förderung bei Sucht und Abhängigkeiten
Band 8: Förderung bei kulturellen Differenzen
Band 9: Förderung bei Hochbegabung
Beratung
Band 10: Pädagogische Beratung
Band 11: Lösungsorientierte Beratung
Band 12: Kontradiktische Beratung
Band 13: Kooperative Beratung
Band 14: Systemische Beratung
Band 15: Personzentrierte Beratung
Band 16: Berufsbezogene Beratung
Prävention
Band 17: Förderung der Motivation bei Lernstörungen
Band 18: Schulische Prävention im Bereich Lernen
Band 19: Schulische Prävention im Bereich Verhalten
Band 20: Förderung bei Bindungsstörungen
Band 21: Hilfen zur Erziehung
Einführung: Ein Buch über Förderung bei sozialer Benachteiligung – Was ist da zu erwarten?
1 Soziale Benachteiligung
1.1 Grundmuster sozialer Benachteiligung
1.2 Soziale Benachteiligung in Deutschland
1.2.1 Die soziale Spaltung in Deutschland ist beschreibbar
1.2.2 Die Armut in Deutschland hat Gesichter
1.2.3 Soziale Milieus, Migrationshintergrund und Lebensstilgruppen
1.2.4 Traumatisierende Biographien inmitten einer Wohlstandsgesellschaft
1.2.5 Risikofamilien und bindungsbenachteiligte Kinder
1.3 Soziale Benachteiligung im deutschen Schulsystem
1.3.1 Die zunehmende soziale Spaltung in Deutschland
1.3.2 Kinder aus armen Verhältnissen werden abgehängt
1.3.3 Soziale Milieus unterscheiden Lehrer und Schüler
1.3.4 Traumatisierende Biographien verhindern erfolgreiches Lernen
1.3.5 Risikokinder haben schlechte Rahmenbedingungen für Schule
2 Pädagogische Förderung als Beruf
2.1 Zur Beschaffenheit von Nährböden für soziale Benachteiligung
2.2 Berufsfeld zwischen Familienerziehung und Selbsterziehung
2.3 Pädagogisches Handeln zwischen Theorie und Praxis
2.4 Intuition zwischen Wissen und Erfahrung
2.5 Pädagogische Grundsätze für die Arbeit in der Schule
2.6 Ertrag des zweiten Kapitels
3 Schulische Förderung bei sozialer Benachteiligung
3.1 Effektive Unterrichtsgestaltung und denkbare Beeinträchtigungen
3.2 „Sozial benachteiligt“ ist keine homogene Gruppe
3.2.1 Soziale Spaltung entsteht außerhalb der Schule
3.2.2 Förderung armer Kinder
3.2.3 Förderung von Kindern aus unterschiedlichen Milieus
3.2.4 Förderung traumatisierter Kinder
3.2.5 Förderung von Flüchtlingen und Kindern mit Migrationshintergrund
3.2.6 Förderung von Risikokindern
3.3 Milieusensible Ganztagsschulen als Vision inklusiver Schulentwicklung
Verwendete Literatur
„Soziale Benachteiligung“ stellt keine eigene sonderpädagogische Fachrichtung dar. Genau genommen könnten unter bestimmten Umständen wahllos alle Kinder davon betroffen werden – egal wie begabt, kräftig und gut aussehend sie sind. Die gute Nachricht: Es gibt selbst im differenzierten Schulsystem Deutschlands keine eigene – separierende – Institution für diese Problemklientel. Sozial benachteiligte Kinder sind mit keiner einschlägigen sonderpädagogischen Diagnostik zu bestimmen und zu fördern. Es gibt auch keine speziellen Programme, Trainings, Konzepte und andere Materialien – wie dies etwa für die Förderung bei Rechenschwäche, LRS, Aggressivität, Angst oder Motivationsschwäche der Fall ist. Für solche Beeinträchtigungen sind in der einschlägigen Fachliteratur und in den Testotheken, Lernwerkstätten, Bibliotheken und Ausbildungsseminaren reichlich Instrumente, Tests und fachkundige Ausführungen zu finden. Soziale Benachteiligung als Phänomen scheint hingegen immer diffuser und weniger handhabbar zu werden.
Dieses diffuse und wenig handhabbare Phänomen hat allerdings zugleich für die Betroffenen fatale Folgen. Der Grund hierfür liegt darin, dass soziale Benachteiligung nahezu unsichtbar verläuft. Sie ist nur bedingt am Körper zu erkennen und schwierig im System zu beschreiben. Obwohl also Pädagoginnen und Pädagogen speziell auch für die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler in belastenden Lebenslagen verantwortlich sind, etabliert sich in pädagogischen Handlungsfeldern häufig unmerklich ein Nährboden, der es den Professionellen schwer macht, jenen Lernbeeinträchtigungen professionell zu begegnen, die speziell durch soziale Benachteiligung erzeugt und stabilisiert wurden.
Damit eine Lehrperson Hilfe zur Selbsthilfe leisten kann, muss sie sich zuallererst des genauen Charakters der Hilfsbedürftigkeit ihrer Schülerinnen und Schüler bewusst sein. Die Leserinnen und Leser sind in den kommenden vier Stunden eingeladen, ihre bisherige Wahrnehmung der sozialen Strukturen um sie herum – und auch der Lebenswirklichkeit einzelner Schülerinnen und Schüler – in Frage zu stellen. Sie sind außerdem eingeladen, Anwalt der Benachteiligten zu werden, indem sie widersprechen und Ungerechtigkeiten nicht für außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches halten. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen brauchen seitens ihrer Lehrerinnen und Lehrer eine pädagogische Grundhaltung, die Verständnis für andere Lebenswirklichkeiten und Lebensentwürfe ermöglicht. In vielen Fällen setzt dies ein bewusstes Eintauchen in eine fremde Welt und die Bereitschaft zum Umdenken voraus. Das Buch soll hierzu Denkanstoß sein und will dazu anregen, konsequent über gebundene Ganztagsschulen in einer kommunalen milieusensiblen Bildungslandschaft nachzudenken.
Der Text spitzt sich argumentativ stufenweise von einer breit angelegten Sicht auf das Grundmuster sozialer Benachteiligung und seine unterschiedlichen Formen bis hin zur konkreten Förderung in der Schule zu. Dabei werden die verschiedenen Themen jeweils über mehrere Kapitel hinweg immer wieder neu aufgegriffen und weiter verdichtet.
Im ersten Kapitel sollen zunächst die Dimensionen sozialer Benachteiligung in unterschiedlichen Gesellschaftsausschnitten besprochen werden. Hier ist in erster Linie wichtig zu klären, wie soziale Benachteiligung in Erscheinung tritt und welchem Grundmuster sie folgt. Anhand weltweiter Beispiele werden hierzu acht Leitsätze formuliert. Das ermittelte Grundmuster sozialer Benachteiligung wird dann (in Kapitel 1.2) auf Deutschland herunter gebrochen, durch konkrete Sachverhalte „mit Fleisch gefüllt“ und analysiert. In Kapitel 1.3 finden diese gesellschaftlichen Beobachtungen Anwendung auf das deutsche Schulsystem. Dort treffen schließlich die Lehrerinnen und Lehrer auf Kinder, die in unserer Gesellschaft mit einer sozialen Benachteiligung leben müssen.
Nach diesem Problemaufriss zum Begriff soll im zweiten Kapitel das Bedingungsfeld in der Schule beschrieben werden. Dabei sollen Denkgewohnheiten, Wahrnehmungsmuster, Handlungstraditionen und ganz allgemein Vorstellungen von professionellem Handeln auf ihr Potential für effektive Förderung – oder eben im ungünstigen Fall auf ihr Potential als Nährboden für den Fortbestand sozialer Benachteiligung – in der Schule untersucht werden.
Das dritte Kapitel des Buches greift dann wieder die verschiedenen Phänomene auf und mündet schließlich jeweils in pädagogischen Anregungen für die Förderung. Die hier behandelten Benachteiligungskontexte sind bereits in den Kapiteln 1.2 und 1.3 dargestellt worden. Dazu gehören Armut, soziale Differenzen, Migrationshintergrund, Traumatisierung und das Aufwachsen in Risikofamilien. Im Zentrum der Überlegungen stehen nicht konkrete Förderstrategien, -trainings oder -programme, sondern Strukturüberlegungen, die Hilfen zur Selbsthilfe betroffener Kinder und Jugendlicher ermöglichen können.
Abbildung 1: Aufbau des Buches im Überblick
Weil vielfach sehr knappe Abschnitte die z.T. komplexen Problemfelder nur anreißen und sich manche Leserin oder mancher Leser vielleicht in einzelne Themengebiete gründlicher einarbeiten will, sind am Ende verschiedener Kapitel Empfehlungen zu weiterführenden Veröffentlichungen zu finden.
Auch wenn die immer noch zu beklagende soziale Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt in diesem Buch nicht als solche problematisiert wird, ist sie dem Autor durchaus bewusst. Dennoch sind im Text der besseren Lesbarkeit wegen bei der Beschreibung von Personen in der Regel männliche Formen verwendet worden. Diese Entscheidung hat bisweilen richtig weh getan, denn ich erinnere mehr weibliche Lehrkräfte, die ich als Schüler ins Herz geschlossen hatte, als männliche. Veröffentlichungen, die weniger pragmatisch mit dieser Problematik umgehen oder ihre Liebe zum großen I in Verbindung mit zweifelhaften syntaktischen Lösungen entdecken, sind häufig schlecht lesbar. Und Lesbarkeit ist ja schließlich auch ein hohes Gut.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und mir selbst viele Rückmeldungen, die ich sämtlich beachten und beantworten werde!
Würzburg, im November 2012
Stephan Ellinger
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Das Grundmuster sozialer Benachteiligung orientiert sich nicht strukturgebend an einer Polarisierung von individueller Leistung eines Menschen oder einer Menschengruppe auf der einen Seite und Minderleistung auf der anderen Seite. Eine so entstandene Hilfsbedürftigkeit ist nicht in erster Linie gemeint, wenn im Folgenden von sozialer Benachteiligung die Rede sein wird. Vielmehr entsteht und stabilisiert sich soziale Benachteiligung durch die Prioritätensetzungen derjenigen, die mehr oder weniger zufällig wohlhabend sind. Soziale Benachteiligung ist die Kehrseite sozialer Bevorzugung in einer Gesellschaft oder Weltgemeinschaft. Sie ist in einigen Fällen leicht zu erkennen, weil Glaubensgemeinschaften, ethnische Gruppen oder ein einzelnes Geschlecht bevorzugt werden. In vielen Fällen vollzieht sich soziale Benachteiligung allerdings weit weniger offensichtlich, dennoch in jeder wohlhabenden Gesellschaft mehr oder weniger häufig.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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