Hexenjagd - Ursula Sarrazin - E-Book

Hexenjagd E-Book

Ursula Sarrazin

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Beschreibung

35 Jahre hat die Grundschullehrerin Ursula Sarrazin an deutschen Schulen unterrichtet, zuletzt bis zu ihrer Pensionierung an der Berliner Reinhard-Otto-Grundschule im Stadtteil Westend. Ihr erstes und mit Spannung erwartetes Buch ist ein fundierter und pointierter Beitrag zur Schul- und Bildungsdebatte. Sie spricht aus, welche Fehler die Politik, die Lehrer, die Eltern im vielleicht wichtigsten gesellschaftlichen Bereich – der Erziehung – täglich machen. Und sie formuliert Lösungswege, in deren Mittelpunkt immer das nachhaltige Wohl der Kinder steht.

Ursula Sarrazin wehrt sich vehement gegen die Auslagerung elterlicher Verantwortung an das Bildungssystem: „Wir Lehrer können nicht alle gesellschaftlichen Defizite beheben. Schule ist damit überfordert. Ein Teil der Elternhäuser müsste stärker mitziehen und sich intensiver um den Bildungserfolg bemühen. Es stört mich, dass dieser Aspekt oft von der Politik ausgeblendet wird, weil es unbequem ist, die Mitarbeit der Eltern einzufordern.“

  • Ein aufrüttelnder Tatsachenbericht
  • Debattenbuch zur deutschen Bildungsmisere

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Seitenzahl: 359

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Ursula Sarrazin

Hexenjagd

Mein Schuldienst in Berlin

Diederichs

Copyright © 2012 Diederichs Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Weiss | Werkstatt | München

unter Verwendung eines Motivs © shutterstock

ISBN 978-3-641-08361-8

www.diederichs-verlag.de

Vorwort

Seit zu Beginn des Jahres 2011 die öffentlichen Anwürfe gegen mich und meine Amtsausführung als Lehrerin die Gemüter erregten, wurde ich immer wieder darauf angesprochen, ob ich nicht über meine Erfahrungen ein Buch schreiben wollte. Das taten nicht nur Journalisten, sondern auch Menschen in meinem näheren Umfeld, deren Meinung ich hoch schätze. Meine Erlebnisse im Berliner Schuldienst sind sicher nicht alltäglich, das hoffe ich doch zumindest, aber, abgesehen von den Veröffentlichungen, die ja nur wegen meines Namens so »interessant« waren, können sie im Prinzip jedem x-beliebigen Lehrer oder Lehrerin zustoßen, wenn Kollegen, Vorgesetzte und Eltern so reagieren wie in meinem Falle. Auch deshalb habe ich dieses Buch geschrieben, nämlich für meine Kollegen. Manche von ihnen sind arg blauäugig und wissen gar nicht, welcher Unrat sich über ihren Häuptern zusammenbrauen kann. Manche spüren ihre Unwissenheit und reagieren übervorsichtig, wo beherzter Mut nötig wäre oder auch nur ein wenig Standvermögen. Manche werden krank, weil sie keine Strategien kennen und haben, um mit Repressalien umgehen zu können. Lehrer wissen in aller Regel auch nicht, was eine Verwaltung darf, was nicht und was sie tun muss oder tun sollte. Diese Unsicherheit ist kein guter Ratgeber für vernünftiges Verhalten und fundierte Entscheidungen.

Dieses Buch ist auch ein Tatsachenbericht. Dazu habe ich die Sachverhalte und Vorgänge klar benannt und exakt dargestellt. Dabei handelt es sich zum Teil um sehr problematisches, fragwürdiges Verhalten von Vorgesetzten und Kollegen. Es ist mir nicht leichtgefallen, dies zu schildern und die handelnden oder eben gerade nicht handelnden Personen der Öffentlichkeit preiszugeben. Deswegen stehen auch nur Vorgänge in diesem Buch, die belegt sind. Meine hauptsächliche Absicht war es, Missstände aufzudecken, an denen unser Schulsystem krankt, vielleicht ein wenig zu ihrer Lösung beizutragen, und nicht, andere zu verletzen. Als Missstand empfinde ich es auch, dass es Eltern von meinen Vorgesetzten generell zugebilligt wurde, in der Anonymität gegen mich zu wirken, dieselben Vorgesetzten es aber zuließen, wenn nicht gar unterstützten, dass ich öffentlich mit vollem Namen bloßgestellt wurde. »Bei der Führung fehle es in manchen Fällen an der Charakterstärke, die Macht angemessen zu verwalten«, sagte Bernhard Bueb einmal. Das musste ich leidvoll erfahren.

Ich habe mir viel Zeit gelassen. Das Buch erscheint eineinhalb Jahre nach den geschilderten Vorfällen, Zeit genug für Vorgesetzte, in irgendeiner Form zu reagieren. Als ich zu schreiben begann, im September 2011, lagen die Vorgänge, um die es in diesem Buch hauptsächlich geht, auch schon ein halbes Jahr zurück, ohne dass die Schulverwaltung in irgendeiner Weise Anstalten machte, die haarsträubenden Vorwürfe, die da öffentlich gegen mich in völlig unqualifizierter Weise erhoben worden waren, auch nur zu untersuchen, geschweige denn zu widerlegen. Während diesen halben Jahres unterrichtete ich an der Reinhold-Otto-Schule weiter, so als wäre nichts geschehen. Nur aus der Klasse, von der aus einem Teil der Elternschaft die Vorwürfe ausgegangen waren, wurde ich vom Schulabteilungsleiter Laube aus »schulorganisatorischen Gründen« herausgenommen. Ebenfalls ohne jede Prüfung der im Raume stehenden und weiter wabernden Vorwürfe. So wollte ich mein jahrzehntelanges Lehrerdasein nicht abschließen.

Es war mir ein Anliegen, aufzuzeigen, in welchem Netzwerk ein Lehrer agiert. Er ist eingebunden nicht nur in ein Geflecht von Vorschriften und Weisungen, sondern ist auch sehr auf das verständige Wohlwollen und die Sachkenntnis seiner Vorgesetzten angewiesen. Nur in einem solchen Rahmen kann er pädagogisch erfolgreich wirken. Das heißt, zu einer modernen leistungsfähigen Schule gehört eine ebenso leistungsfähige Schulverwaltung, die dem Lehrer für seine Aufgaben den entsprechenden Raum sichert.

Dass ein Teil der Elternschaft tatsächlich so ungehemmt und rücksichtslos, wie ich es erleben musste, versucht, ihre – vermeintlichen – Vorteile gegenüber der Lehrerin ihrer Kinder durchzusetzen, zeigt auch sehr schön das Theaterstück »Frau Müller muss weg« von Lutz Hübner, das zurzeit in Berlin und anderen Städten gezeigt wird. Es geht darum, dass Eltern eine missliebige Lehrerin absetzen lassen wollen. Sie entfachen einen wahren Psychokrieg aus heuchlerischer Sorge um ihr Kind. Die Tatsache, dass es überhaupt ein solches Theaterstück gibt, zeigt, dass dieses Elternverhalten ein Thema in unserer Gesellschaft ist und kein spezielles Problem bei mir war. Dann stellt sich allerdings die Frage, wo wir mit unserem Schulsystem hingekommen sind, wenn solche Verhaltensweisen »normal« werden oder schon sind. Was ist das für eine Gesellschaft, in der es »erlaubt« ist, die Lehrer ihrer Kinder so unter Druck zu setzen, dass sie erpressbar werden oder gehen müssen? Und welche Rolle spielt dabei die Schulbehörde? Auch davon handelt dieses Buch.

An dieser Stelle bedanke ich mich vor allem bei meinem Mann, der mir unerschütterlich zur Seite stand, mich mit Rat und Tat zuverlässig unterstützte und damit verhinderte, dass ich Mut und Zuversicht verlor.

Besonders zu nennen ist auch meine Bonner Freundin Uschi Achenbach. Sie verstand es, mit ihren lebensklugen Ansichten und ihrer von Herzen kommenden Anteilnahme auch den Humor nicht zu kurz kommen zu lassen. Gemeinsam fanden wir auch noch in den empörendsten Geschehnissen das kleine Quentchen Komik, das die Situation wieder erträglich machte.

Die Liste ließe sich weiter fortführen. Mir haben noch viele Menschen geholfen, bewusst und unbewusst. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

In diesem Buch geht es um Mobbing, um Mobbing einer engagierten Lehrkraft im Berliner Schulsystem.

Nach Heinz Leymann bedeutet Mobbing: »Der Begriff Mobbing beschreibt negative kommunikative Handlungen, die gegen eine Person gerichtet sind (von einer oder mehreren anderen) und die sehr oft und über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommen und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer kennzeichnen.« Weiter führt er aus: »Mobbing bedeutet, dass dem Opfer zentrale soziale Möglichkeiten am Arbeitsplatz genommen werden. Es ist ein direkter über lange Zeit andauernder Angriff auf die Möglichkeit, sinnvoll zu kommunizieren, auf die sozialen Beziehungen und das gesellschaftliche Ansehen, auf die Möglichkeit des Opfers, seinen Beruf auszuüben, und auf seine Gesundheit.« 1

Mobbing kann überall vorkommen, wo soziale Gruppen miteinander umgehen, es ist natürlich nicht auf Berlin beschränkt! Nur habe ich es dort erleben müssen. Da Mobbing immer mit gehässigen, hinterhältigen und gemeinen Verhaltensweisen der beteiligten Personen verbunden ist, komme ich in diesem Buch nicht umhin, sie auch zu schildern. Ich versuche das möglichst sachlich und ohne negative Emotionen zu beschreiben, soweit mir das als Betroffene überhaupt möglich ist. Die Beweggründe für das fragwürdige Verhalten der Beteiligten ergeben sich zum Teil aus den beschriebenen Geschehnissen, zum Teil sind sie mir bis heute nicht bekannt. Entschuldigt ist das Mobbing mir gegenüber in keinem Fall. Es reicht zum Mobben, wenn wenige Angehörige einer sozialen Gruppe sich aktiv beteiligen, um dem Opfer massiv wie oben beschrieben zu schaden. Solange alle anderen passiv zuschauen, meist in dem Glauben, unbeteiligt zu sein und sich daher nichts vorwerfen zu müssen, funktioniert das Bloßstellen, Diskriminieren usw. wunderbar. Würden sie sich auf die Seite des Gemobbten stellen und diesem helfen, könnte Mobbing gar nicht stattfinden. Daher sind auch scheinbar unbeteiligte Mitglieder einer Gruppe nicht unschuldig am Geschehen. Das hat Erich Kästner in seinem Kinderbuch »Das fliegende Klassenzimmer« schon erkannt. Der Lehrer straft nicht nur die Übeltäter, die das betroffene Kind gehänselt haben, sondern auch diejenigen, die durch ihr passives Zuschauen dieses Verhalten nicht nur geduldet, sondern auch nichts zu seiner Verhinderung getan haben.

Ich beschreibe dieses Mobbing in der Hoffnung, eine größere Sensibilisierung, eine höhere Achtsamkeit zu erzeugen. Mobbing ist gefährlich, weil es die Betroffenen zerstören, ihnen ihre Lebensfreude und ihre physische und/oder psychische Gesundheit nehmen kann. Das gilt auch und ganz besonders für Mobbing bei Kindern, gut geschildert in dem Buch »Du Opfer!«2. Deshalb ist es für mich besonders erschreckend, das Mobbing unter Lehrern und meinen Vorgesetzten erlebt zu haben. Wir sollten es besser wissen!

Bevor ich im Sommer 1999 an der Reinfelder Montessori-Schule im Berliner Bezirk Charlottenburg meinen Dienst anfing, hatte ich in Köln, Bonn und Mainz über fünfundzwanzig Jahre vielfältige Erfahrungen als Grundschullehrerin gesammelt. Ich ahnte nicht im Entferntesten, was in Berlin auf mich zukommen sollte.

An der Reinfelder Montessori-Schule geriet ich an Lehrkräfte, die Maria Montessoris pädagogische Vorstellungen, bekannt unter dem Stichwort »Hilf mir, es selbst zu tun« mit Beliebigkeit verwechselten und unter Berufung auf die berühmte Freiarbeit einen Unterricht anboten, der diesen Namen nicht verdiente. Ich möchte diese Schule nicht als solche in ihrer Gesamtheit verunglimpfen. Ich habe dort hochengagierte, fachlich versierte und ausgezeichnete Lehrkräfte vorgefunden, mit denen ich mich sehr gut verstand. Ich berichte in diesem Buch über die Lehrer, mit denen ich auf Weisung der Schulleitung zusammenarbeiten musste, von mir aus hätte ich mir andere Arbeitspartner gewünscht und gesucht. Aber diese Chance hatte ich an dieser Schule leider nicht.

An der Reinhold-Otto-Schule habe ich von den neun Schuljahren, die ich dort verbrachte, sechs Schuljahre jeweils zwei Klassen von dem ersten Schuljahr bis zum dritten Schuljahr geführt. Aber der einmal gesetzte Keim aus der Reinfelder Schule setzte sich auf ungute Weise fort, auch beruhend auf Dilettantismus und Unverstand. Hierzu gesellten sich wohl Neid und Missgunst, die aus gewöhnlichen Komplikationen im Schulalltag, die mit Besonnenheit und fundierten Fachkenntnissen durchaus lösbar gewesen wären, Stolperfallen und pädagogische Fallstricke für mich machten, die schon im Jahre 2008 teilweise öffentlich ausgeschlachtet wurden. Mit Erscheinen des Buches meines Mannes »Deutschland schafft sich ab« fand das schulinterne und öffentliche Mobbing gegen mich eine weitere Steigerung, die wohl ohne Beispiel in der deutschen Schullandschaft ist.

Als mein Mann sein Buch »Deutschland schafft sich ab« schrieb, haben wir uns immer wieder – wie schon in den Jahrzehnten vorher – über die dort angesprochenen Bildungsfragen unterhalten. Bei allen Unterschieden in Ausdrucksform und Temperament kann ich doch sagen, dass ich seine Analysen und Aussagen zur Bildungspolitik im Wesentlichen teile. Geisterhaft fand ich es, dass ich darauf niemals im Berliner Schulsystem, auch nicht an meiner Schule, angesprochen wurde. Die verdruckste Leugnung durch die Führungskräfte, aber auch durch viele Lehrer führt für mich in den Kern der Berliner Bildungskatastrophe, die ja letztlich nur das Brennglas der deutschlandweiten Probleme ist.

Meine persönlichen Erfahrungen im bundesdeutschen Schulsystem in drei Bundesländern seit 1973 sind anschaulich und konkret. Die heutigen Probleme setzen eine ehrliche Analyse voraus, wenn man sich um eine ernsthafte und nachhaltige Lösung bemühen will. Mein Blick auf Schule ist keiner von oben auf das System, sondern aus ihm heraus. Dieser Blickwinkel hat bis jetzt weitgehend gefehlt. Er bietet gute Ansätze für Überlegungen zur Verbesserung von Schule für alle Beteiligten, denn der Lehrer hat die eigentliche Schlüsselstellung im pädagogischen Handeln inne, ohne aber dementsprechend anerkannt zu sein.

Zudemist jeder Lehrer, der seine Aufgabe ernst nimmt, einer erschreckend hohen Schutzlosigkeit ausgeliefert, wenn es seine Vorgesetzten denn so wollen. Nun kann es ja nicht sein, dass Schulleitungen und Schulräte sich nach Belieben aussuchen können, wen oder was sie rechtmäßig behandeln oder wen oder was nicht. Meine jahrelangen Beobachtungen und Erlebnisse legen den Schluss nahe, dass sie genau dieses tun. Hier Abhilfe zu schaffen, wäre ein weites Betätigungsfeld für alle damit befassten gesellschaftlichen Gruppen.

Die Schulverwaltung ist leider bis heute nicht willens und in der Lage gewesen, diejenigen, die an dem Mobbing gegen mich beteiligt waren, angemessen zur Rechenschaft zu ziehen. Sie hat ja selbst jede ernsthafte öffentliche Kritik in der Sache sorgfältig vermieden.

Ich habe in meinem Buch alle Beteiligten bei den jeweiligen Vorgängen, die sich selbst freiwillig in die Öffentlichkeit begeben hatten, mit Klarnamen genannt. Wenn es aber darum geht, Kinder vor den Folgen der Verfehlungen ihrer Eltern zu schützen, habe ich Decknamen verwandt, auch hier allerdings mit der Ausnahme jener Eltern, die sich selbst in der Presse negativ über mich geäußert haben. Die öffentliche Benennung der Täter ist persönlichkeitsrechtlich als sog. »Recht auf Gegenschlag« ausdrücklich zulässig und stellt für mich jene persönliche Rehabilitierung dar, die mein Dienstherr – weder öffentlich noch intern – nicht ins Werk zu setzen willens und in der Lage war. Auch deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.

Ich bin gespannt auf die Reaktion der Verwaltung. Vermutlich wird sie jede Stellungnahme verweigern. Wo sie das nicht kann, wird sie versuchen, meine Integrität und Glaubwürdigkeit als Autorin in Zweifel zu ziehen. Das wird nicht möglich sein. Jedes einzelne in meinem Buch aufgeführte Faktum ist aus meinen Unterlagen belegbar und auch in den Akten der Verwaltung enthalten.

Obwohl Schulleiter Joachim Syska, Schulrätin Bettina Liebherr3, Oberschulrat Günther Kuhring und Schulabteilungsleiter Erhard Laube das Mobbing jederzeit hätten stoppen können, taten sie es nicht. Auch deswegen habe ich dieses Buch geschrieben. Ich will nicht werten, ob es aus Willkür, Opportunismus und Bosheit geschah und falls ja, welche der genannten Eigenschaften ausschlaggebend war, es wird bei den beteiligten Personen eine unterschiedliche Motivation gewesen sein. Verantwortungsscheu waren sie meines Erachtens alle. Das Nicht-Verantwortung-Tragen ist sozusagen systemimmanent eingebaut, entschuldigt aber kein persönliches Handeln oder Nichthandeln.

Jeder Beteiligte hat gewusst, dass ich mich bei vielen Vorwürfen verleumdet fühlen musste. Er sah sich aber offenbar zu seinem Verhalten berechtigt, weil er glaubte, dass an den Vorwürfen der anderen mindestens ein Teil wahr sei, und weil er meinte, durch seinen Beitrag dazu diene er quasi einer höheren Wahrheit.

Das Mobbing hat funktioniert. Ich musste den Schuldienst verlassen, weil es unter diesen Umständen für mich unmöglich war, weiter zu unterrichten.

Das Mobbing funktionierte offenbar auch bei einem Teil der Briefe, die mir im Januar 2011 aus Solidarität und zu meiner Unterstützung an meine Schule geschickt wurden. Nur in der Woche nämlich, in der unsere Sekretärin fehlte und die Schulleitung selber die Post verteilte, erhielt ich keine Briefe. Für alle Solidaritätsbekundungen, die mich erreichten, bedanke ich mich an dieser Stelle herzlich. Nur durch Zufall erreichten mich der Blumenstrauß und der Gruß von Professor Richard Schröder. Der Theologe Richard Schröder gehörte nach der Wende zu den Gründern der ostdeutschen SPD. Er spielte eine prominente Rolle im Vorfeld der deutschen Einheit und war 1998 als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten im Gespräch. Strauß und Gruß waren von der Schule an die Blumenhandlung zurückgeschickt worden, die mich allerdings kannte und mir beides nach Hause brachte. Für diesen Blumengruß bedanke ich mich an dieser Stelle ganz besonders herzlich und darf meiner Freude über diese Geste Ausdruck geben.

Die Reaktion des Leiters der Schulabteilung des Landes Berlin Laube auf die Information, dass ich einen Blumenstrauß und Gruß von Professor Richard Schröder an meine Schule bekommen hatte, war so: »Könnte das nicht eine Verwechslung mit einem Vater gewesen sein?«4 Es passte – anscheinend – einfach nicht in sein Weltbild, dass es bei Ursula Sarrazin um etwas anderes gehen könnte als banale Probleme mit einer unleidlichen kleinen Lehrkraft. Der Umstand, dass mir dieser bemerkenswerte Gruß nach dem Willen der Schulleitung allem Anschein nach absichtlich vorenthalten werden sollte, wurde überhaupt nicht kommentiert. Mir fiel darauf nichts mehr ein.

Ich widme das Buch auch all jenen Kolleginnen und Kollegen, nicht nur in Berlin, sondern im ganzen Land, die in einer ähnlichen Lage sind oder waren und nicht die Möglichkeit haben, so wie ich, öffentlich gehört zu werden.

1 Heinz Leymann: Mobbing. Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann, Hamburg 2002, S. 21 und 32.

2 Mechthild Schäfer und Gabriela Herpell: Du Opfer! Wenn Kinder Kinder fertig machen, Reinbeck bei Hamburg 2010.

3Name geändert

4So geschehen im Gespräch am 17. Januar 2011, an dem außer uns beiden noch Herr Schmidt von der Rechtsabteilung der Schulverwaltung und Schulleiter Syska teilnahmen.

Einige praxisnahe Gedanken zum Berliner Grundschulsystem

Gute und schlechte Schulen gibt es in jedem Land und in jeder Stadt. Ebenso gibt es an jeder Schule gute und schlechte Lehrer.

Meine konkreten Erfahrungen sagen jedoch ganz klar, dass es im Berliner System eine Häufung negativer Erscheinungen gibt, und zwar in Bezug auf das gesamte Schulklima, welches ich nirgendwo so betulich, so wirklichkeitsabgewandt und unehrlich erlebt habe wie in Berlin. Alle mir bekannten Kollegen, die aus westdeutschen Bundesländern vor allem im Rahmen des Regierungsumzuges in das Berliner Schulsystem versetzt wurden, haben mir über gleiche Erfahrungen berichtet. Vor allem waren sie entsetzt über die allgemein leistungsabgewandte Grundhaltung aller Beteiligten, und zwar der Eltern und der Lehrer gleichermaßen und infolgedessen auch der Schüler, die ja in dieser Beziehung nur ein Produkt ihrer Umwelt sein können. Sehr schnell war und ist man mit Begriffen wie Überforderung und Leistungsdruck zur Hand. Sie mussten auch dann herhalten, wenn mangelnder Fleiß zu geringen Leistungen führte. Ich habe Westdeutschland vor über einem Jahrzehnt verlassen. Auch dort wird sich seitdem einiges verändert haben. Ich könnte mir vorstellen, dass die Berliner Verhältnisse zwar die Spitze des Eisberges sind, es aber woanders auch nicht viel besser ist.

Gute Noten wollen natürlich alle. Am 22. Januar 2012 berichtete die »Berliner Morgenpost«, dass mittlerweile der Notendurchschnitt in Berlin bei den Abiturienten bei 1,6 liegt. Das ist das Zeichen eines schon ins Absurde reichenden kollektiven Selbstbetruges im Berliner Schulsystem. Aus den PISA-Tests wissen wir nämlich, dass die Schulleistungen an Berliner Gymnasien einen breiten Deckungsbereich mit den Schulleistungen an bayerischen Hauptschulen haben.

Das Erschreckende ist, dass das Berliner Schulsystem nicht in der Lage ist, gegen sich gelten zu lassen, dass es anderswo mehr Anstrengungsbereitschaft, mehr Selbstkritik und infolgedessen auch mehr Leistung gibt. Jene, die die Maßstäbe von Bonn oder Mainz, um zwei beliebige westdeutsche Städte zu nennen, in Berlin leben wollen, werden im Berliner Schulsystem von Eltern, Kollegen und auch Vorgesetzten mit Abneigung gesehen.

Der zentrale Eckpunkt im Lernfortschritt der Grundschüler ist seit vielen Jahrzehnten – eigentlich seit Einführung der allgemeinen Schulpflicht –, dass ein Kind mit Abschluss des zweiten Schuljahres das Erlernen von Lesen und Schreiben grundsätzlich abgeschlossen hat, das heißt, es kann altersgemäße Texte fließend lesen und beherrscht das Grundhandwerk des Schreibens. In Berlin hingegen ist es leider so, dass ein Großteil der Schüler zu Beginn des dritten Schuljahres diese Grundsätze nicht beherrscht. Das mag auch damit zusammenhängen, dass die sechsjährige Berliner Grundschulzeit gefühlsmäßig mehr Zeit generiert und so zu einem »gemütlicheren« Voranschreiten aller Beteiligten von Anfang an verführt.

Deshalb werde ich nachfolgend viele Erfahrungen aus meiner Zeit an Berliner Schulen schildern. Die allgemeinen Erfahrungen, die ich dort gemacht habe, gelten aber vom Grundsatz her auch für alle anderen Schulen in unserem Land. Bei mir haben sich die vorhandenen Probleme allerdings wie unter einem Vergrößerungsglas verstärkt, weil viele Beteiligte nicht in der Lage oder nicht willens waren, zwischen der Person und der Lehrerin Ursula Sarrazin und ihrem Ehemann Thilo Sarrazin ausreichend zu trennen. Nur so erklärt sich die sensationsgierige Erörterung in der Presse, die zudem ohne jede Rücksicht auf Persönlichkeitsrechte (mein Mann ist prominent, nicht ich!) geführt wurde.

Ich habe das Buch so angelegt, dass am Anfang diejenigen bedacht werden, um die sich in der Schule alles dreht: nämlich die Kinder. Da wir über Schule sprechen, erfolgt dann ein nachdenklicher Exkurs über Noten. Kinder und Eltern gehören zusammen, daher behandelt das dritte Kapitel das Thema Eltern. Die Lehrer sind die entscheidende Nahtstelle in der Schule. Daher ist ihnen das nächste Kapitel gewidmet. Über den Lehrern thront der Schulleiter, darüber die Schulverwaltung und so ist auch die Kapitelfolge. So wie ein Stein, der ins Wasser fällt und immer größere Kreise zieht, so ist dieses Buch aufgebaut.

Kapitel 1

Die Kinder

Grundlegendes zu Kindern und Schule

Schule findet wegen der Kinder statt. Ohne Kinder gäbe es auch keine Schule. Sie sind also die Hauptpersonen, um die sich alles drehen sollte.

Über Kinder ist schon viel geschrieben worden, in allen Zeiten und an allen Orten, in denen die Menschen einer Schrift mächtig waren. Jede Generation denkt darüber nach, wie sie die nachfolgende erziehen und bilden soll.

Unsere Zeit hat sicher am meisten über Kindererziehung, Bildung und Ausbildung kommuniziert, einfach auch deswegen, weil wir technisch am weitesten fortgeschritten sind.

Wir haben viel Wissen über Kinderverhalten, Psychologie, Entwicklung, Reife und Lernen angehäuft, entdecken ständig Neues, stellen Altes in Frage. Wir haben einen anderen Blick auf individuelle Wahrnehmung, Subjektivität und Objektivität bekommen und erforschen unser eigenes Kommunikationsverhalten.

Hierzu gibt es fundierte Literatur von Menschen, die sich intensiv damit beschäftigt haben. Dazu kann und will ich nichts beitragen. Ich habe allerdings während meiner aktiven Zeit viel gelesen und immer wieder versucht, die Ergebnisse in meinem Unterricht und mit dem Umgang mit Kindern umzusetzen.

Unabhängig von allem Fachwissen und -können gibt es meines Erachtens zwei Dinge, die den Lehrerberuf besonders prägen und die Lehrer wie Eltern deshalb nie aus den Augen verlieren sollten:

1. Kinder sind abhängig.

2. Kinder sind manipulierbar.

Der erste Punkt leuchtet natürlich sofort ein. Sie sind es in jeder Hinsicht, materiell und emotional. Sie sind von den Erziehungsvorstellungen der Zeit, in der sie geboren sind, insbesondere auch von dem Bildungsangebot, von der geistigen Nahrung, die ihnen zugänglich gemacht wird, abhängig.

Kinder sind von ihren Eltern und von ihren Lehrern abhängig. Und hier fangen meines Erachtens die Probleme an. Während den Kindern diese Zusammenhänge zum Glück nicht bewusst sind, sind die Erwachsenen sich natürlich darüber im Klaren. Manche Eltern haben bei dieser Abhängigkeit ihrer Kinder vom Lehrer ein mulmiges Gefühl. Ich finde das verständlich, denn für die meisten Eltern sind ihre Kinder das Kostbarste, was sie haben. Und nun kommt die Schule und will, u. a. in Gestalt der Lehrer, erheblichen Einfluss nehmen. Da Schule aber nun ohne Frage zum Wohle der Kinder da ist, legt sich dieses eventuelle mulmige Gefühl zu Beginn der Schulzeit meist schnell. So habe ich es jedenfalls über viele Jahre meiner Berufstätigkeit erlebt. Das scheint sich in den letzten Jahren geändert zu haben. Dem Lehrer wächst aus dieser Abhängigkeit eine große Verantwortung zu, denn der Fortschritt der Kinder hängt von seinem pädagogischen Können, seiner Einfühlsamkeit, seinem Wohlwollen, seinem fachlichen und didaktischen Wissen ab.

Daher ist es unerlässlich, dass der Lehrer sein Handwerk versteht. Viel ist auch immer von der »Lehrerpersönlichkeit« die Rede. Natürlich muss ein Lehrer eine Persönlichkeit sein, denn er soll ja Vorbild für die Heranwachsenden sein und trägt, wie wir ja schon gesehen haben, eine Menge Verantwortung. Da er Verantwortung für die Kinder übernimmt, hat er diese auch gegenüber den Eltern. Wer Verantwortung trägt, hat in der Regel auch Entscheidungsbefugnisse. Wie sollte das vernünftig gehen, wenn Lehrer wenig Selbstbewusstsein hätten oder keine Persönlichkeiten wären?

Es wird also zu Recht erwartet, dass Lehrer Persönlichkeiten sein sollen. Dass sie nicht immer als solche behandelt werden, werde ich im Weiteren aufzeigen.

Punkt 2: Fast alle Menschen sind grundsätzlich manipulierbar. Sonst hätte es zum Beispiel keinen Nationalsozialismus gegeben. Kinder sind es in einem erschreckenden Ausmaße auch. Das fand ich ausgerechnet an einer Berliner Montessori-Schule in übler Weise bestätigt.

An einer Berliner Montessori-Schule

Ich hatte in Bonn einige meiner schönsten Lehrerjahre an der »Bodelschwinghschule« verbracht, damals eine Versuchsschule mit Integration behinderter Kinder. Daher, und auch schon vorher, war mir Lernen nach Maria Montessori und der Umgang mit Behinderungen vertraut. Obwohl ich immer eigene Klassen geleitet hatte, war ich einverstanden, nach unserem Umzug nach Berlin an der Reinfelder Schule erst einmal als Co-Lehrerin zu arbeiten. Vielleicht gab es ja etwas Neues zu lernen, was ich noch nicht kannte. Neugierig war ich schon immer.

So begann ich dort meine Arbeit zu Beginn des Schuljahres 1999/2000. Ich wusste damals nicht, dass statt meiner eine andere Lehrerin erwartet und erhofft worden war.

Der alte Schulleiter wurde bald von Frau Anja Spätling5 abgelöst. Sie war von Hause aus Sonderschullehrerin, von Montessoripädagogik verstand sie, jedenfalls zu meiner Zeit, recht wenig. Sie war mir während meiner Schulzeit an dieser Schule keine Hilfe, im Gegenteil.

Ich wurde einem ersten Schuljahr als Co-Lehrerin zugeteilt. Da ich bis dahin schon siebenmal unter den unterschiedlichsten Bedingungen ein erstes Schuljahr geleitet hatte und damit viel Erfahrung hatte, war mir nach wenigen Wochen klar, dass sich die Klasse unter dem laxen Laissez-faire-Stil dieser Lehrerin problematisch entwickeln würde. (Unterricht nach Maria Montessori bedeutet nicht Führungslosigkeit.)

Im selben Schuljahr unterrichtete ich in einem fünften Schuljahr Musik. Damit war ich einer Bitte der Schulleitung nachgekommen, denn es hatte sich an der Schule kein Kollege bereitgefunden, in dieser Klasse Musikunterricht zu geben. Da ich bisher noch nie ein fünftes Schuljahr unterrichtet hatte – im Westen hört die Grundschule nach dem vierten Schuljahr auf – nahm ich die Gelegenheit wahr, auch diese Altersgruppe kennenzulernen. Rückblickend muss ich sagen, es war wohl kein Kollege bereit, mit dem Klassenlehrer Herrn Unker6 zusammenzuarbeiten, denn er erwies sich als äußerst unkollegial. Ich sah in der Übernahme des Musikunterrichtes kein Problem: Ich war zwar fachfremd, hatte aber stets in meinen Klassen Musik unterrichtet und konnte Blockflöte und Gitarre spielen.

Nur die Vorstellungen der Schüler an dieser MontessoriSchule über den Inhalt des Musikunterrichts gingen mit meinen Vorstellungen von einigermaßen anspruchsvollem Unterricht in einer fünften Klasse überhaupt nicht konform. Die Schüler erwarteten Popmusik und Verwandtes, allenfalls waren sie noch bereit, Musikinstrumente selber zu basteln. Dabei betonten sie, dass die Bastelei in der Schule stattfinden müsse, nicht etwa auch als Hausarbeit! Der erste Punkt war altersgemäß verständlich und ließ sich sicher ab und zu verwirklichen. Der zweite Punkt gehörte in frühere Schuljahre und war nun wirklich keine besondere Herausforderung mehr. Instrumentenkunde, Werkkunde und Notenkunde fanden die Kinder langweilig und zu anstrengend, dabei hatten sie aber so gut wie keine Vorkenntnisse. Bisher hatten sie auch überhaupt noch nie Schulnoten erhalten. Ihre Erwartungshaltung – sie erwarteten ausschließlich gute Noten – und ihr Anforderungsprofil klafften weit auseinander. Musik ist ein Fach, wo es schon von »Natur aus« nicht leise ist. Daher haben viele Lehrer, auch Fachlehrer, in diesem Fach Disziplinschwierigkeiten. In dieser Klasse blieben sie auch mir nicht erspart. In einer Musikstunde ließen sich gleich vier Kinder mitten im Unterricht von ihrem Stuhl fallen und fingen an, auf dem Fußboden herumzualbern. Drei Kinder fanden durch meine Aufforderung wieder von alleine auf ihren Stuhl zurück. Der Vierte im Bunde räkelte sich weiterhin auf dem Boden herum, sparte nicht mit »witzigen« Kommentaren und es hätte nicht viel gefehlt, und die ganze Klasse wäre in Gekicher und Unruhe ausgebrochen. Also half ich ihm erst auf die Beine und dann auf seinen Stuhl. Da ich bei dieser Transaktion meine Blockflöte in der Hand hielt, schließlich waren wir im Musikunterricht, erklärte der Junge dreist, ich hätte ihn mit meiner Flöte geschlagen. Schon seine Klassenkameraden bestätigten dieses nicht. Klärende Gespräche mit der Mutter und dem Jungen taten ein Übriges. Damit war die Sache erledigt.

Jedoch elf Jahre später, als viele meinten, über mich herfallen zu müssen oder zu dürfen, berichtete der Vater des Jungen, der mit mir zu keinem Zeitpunkt gesprochen hat, öffentlich am 16. Januar 2011 in mehreren Zeitungen Berlins, dass ich seinen Sohn – damals wohl elf Jahre alt, jetzt also Anfang zwanzig – mit ebendieser Flöte in meinem Musikunterricht geschlagen hätte! Die Ironie in meiner Antwort, meine Flöte wäre mir dafür zu schade – es war in der Tat eine recht wertvolle Flöte –, hat offenbar keiner bemerkt. Die Schulverwaltung schon gar nicht, denn sie hielt mir die absurde, ein Jahrzehnt später geäußerte Behauptung des Vaters und meine Antwort als Beschwerde im Januar 2011 (!) vor.

Damals wandte ich mich an den Klassenlehrer, schilderte ihm meine Schwierigkeiten mit seiner Klasse und bat ihn um Unterstützung. Er erklärte mir kurz und bündig, mit den Disziplinschwierigkeiten müsse ich alleine zurechtkommen, er habe mit dem Fach Musik nichts zu tun. An dieser Schule lautete jedes zweite Wort »Teamwork«. Ich war überrascht. Noch überraschter war ich, als ich von den Schülern von einer Liste erfuhr, die der Lehrer Unker in seinem Unterricht mit einigen Schülern erstellt hatte, wo er in vier seiner eigenen Schulstunden etwa zehn Kritikpunkte zu meinem Musikunterricht erstellt hatte! Diese Liste war ohne meine Kenntnis den Eltern vorgelegt worden. Ich wandte mich an den Elternsprecher. Er war empört über das Zustandekommen dieser Liste und wünschte sich die Erziehung seines Kindes nicht auf diese Art und Weise. Auf dem folgenden Elternabend erläuterte ich den Eltern mein Konzept und bot ihnen gleichzeitig an, den Musikunterricht an den Klassenlehrer abzugeben. Schließlich gab ich diesen Unterricht fachfremd und aus Gutmütigkeit. Davon wollten die Eltern dieser Klasse allerdings nichts wissen! Den Rest des Schuljahres verlief mein Musikunterricht in dieser fünften Klasse einer Berliner Montessori-Schule in erfreulich friedlichen Bahnen. Das Verhalten des Klassenlehrers legt die Vermutung nahe, dass ihm meine Schwierigkeiten im Musikunterricht nicht ungelegen kamen, um von eigenen Schwierigkeiten in seiner Klasse abzulenken. Das bestätigten mir auch Kollegen, denen meine Schwierigkeiten in seiner Klasse nicht verborgen geblieben waren.

Dem Klassenlehrer Herrn Unker blieb eine Entschuldigung in Gegenwart des Personalrates am 19. Juni 2000 mir gegenüber nicht erspart. Anwesend bei diesem Gespräch waren auch der damalige Rektor der Reinfelder Schule und die damalige Konrektorin Frau Spätling.

Elf Jahre später (!), nämlich im Januar 2011, als öffentlich und schulintern in schon grotesker Weise nach Verfehlungen von mir gesucht wurde, stellte Oberschulrat Kuhring in einem Schreiben an die Senatsverwaltung den Sachverhalt wie folgt dar:

»Telefongespräch mit Frau Spätling, der Schulleiterin der 04S04 (Anmerkung Verfasser: Erster Teil des Gespräches)

Im Schuljahr 1999/2000 ist der damalige Klassenlehrer Herr Unker Beschwerden von Kindern aus einer 6. Klasse (!) über den Musikunterricht von Frau Sarrazin nachgegangen und hat Frau Sarrazin mit diesen Vorwürfen konfrontiert. Frau Sarrazin hat abwehrend und hochgradig erregt darauf reagiert. Im Mai 2000 gab es darum ein Gespräch mit der damaligen Dienststellenleiterin Frau Marcks, dem damaligen Schulleiter …, Frau Sarrazin und dem Personalrat. Günther Kuhring 18.01.2011.«

Die Darstellung von Oberschulrat Kuhring ist in weiten Teilen falsch. Ich kann nur vermuten, dass er von Frau Spätling, die damals Konrektorin war, – in irreführender Absicht? – falsch informiert wurde. Gleichwohl hätte er sich diese Darstellung nicht unkritisch zu eigen machen dürfen. Sein Umgang mit den Fakten und seine mangelnde Sachaufklärung sprechen für mich eine klare Sprache. Es ist überhaupt die Frage, welche Motive Oberschulrat Kuhring hatte, elf Jahre später Nachforschungen über mich anzustellen. Im Januar 2011 war ihm offenbar sehr daran gelegen, meinen Ruf möglichst weitgehend zu schädigen.

Die von ihm erwähnte Dienststellenleiterin Frau Marcks war bei dem erwähnten Gespräch gar nicht anwesend und auch nicht eingeladen, wie meine Akten eindeutig zeigen. Das oben erwähnte Gespräch mit dem Personalrat kam auf meine Initiative zustande, weil ich mir solch ein unkollegiales Verhalten nicht bieten lassen wollte. »Abwehrend und hochgradig erregt« kann ich schon deshalb nicht reagiert haben, weil der Klassenlehrer Herr Unker mir ja gerade seine »Beschwerdensammlung« vorenthielt! Offenbar hatte die Schulleiterin Frau Spätling den Oberschulrat Kuhring über den damaligen Sachverhalt unrichtig informiert. Geschah das, um mir zu schaden und sich bei ihm Liebkind zu machen? Frau Spätling meinte wohl, sie müsse sich auch noch schnell am Mobbing – das ja für jedermann öffentlich in der Zeitung stattfand – gegen mich beteiligen. Was für ein leichtfertiger Umgang mit der Wahrheit tat sich da auf in der Berliner Schullandschaft! Im Grunde ist solch ein Verhalten überall möglich. Ein Oberschulrat fragt – hinter dem Rücken der betroffenen Lehrkraft – eine vorvorvorherige Schulleiterin einer vorherigen Schule nach einem angeblichen Sachverhalt – und diese macht eine falsche, für die Lehrkraft nachteilige Aussage. Solch bösem Treiben ist jeder Lehrer schutzlos ausgeliefert.

Da ich zum damaligen Zeitpunkt im Jahre 2000 überzeugt war, es mit absoluten Ausnahmen an so einer besonderen Schule (eine Montessori-Schule mit Integration schwerhöriger Kinder stellt eigentlich auch besondere Ansprüche an den Lehrkörper) zu tun zu haben, blieb ich an der Schule und ließ mich nicht umsetzen.

In meinem zweiten Jahr an dieser Schule wurde ich stellvertretende Klassenlehrerin in einem fünften Schuljahr. Die Klassenlehrerin Frau Hanf7 war nach der Wiedervereinigung ohne weitere Umstände in den Berliner Schuldienst übernommen worden, so wie es in Berlin üblich war. Sie konnte keinerlei Montessoriausbildung vorweisen, unterrichtete u. a. Deutsch und Mathematik. Der Unterricht war so, dass ich mich am 20. Januar 2001 schriftlich an die Schulleiterin wandte, ihren fragwürdigen, grob fehlerhaften Unterricht ausführlich schilderte und fragte, ob ich als Co-Lehrerin mitverantwortlich für das Unterrichtsgeschehen sei. Sie verneinte das. Zuerst war ich überrascht, als ich feststellte, dass die Kinder durchweg gute, ja meist sehr gute Noten vorweisen konnten. Einsen gab es geradezu inflationär. Dazu trug auch bei, dass Kinder, die eine Klassenarbeit »verhauen« hatten, diese, nach gründlicher Besprechung, noch einmal schreiben durften! Die zweite Fassung wurde dann gewertet. Das war keine Ausnahme, sondern gang und gäbe. Ich drückte ihr meine Verwunderung über diese unrechtmäßige Vorgehensweise aus. Sie antwortete: »Ich kann das so machen und ich werde das so machen. Ich nehme das auf meine Verantwortung.« Dieser rigorose, schroffe Ton, mit dem sie sich selbstherrlich über Grundregeln des Schullebens hinwegsetzte, das verschlug mir den Atem. So einen Umgang miteinander war ich nicht gewohnt. Dann wurde mir die Lage klar: Die Eltern kritisierten ihren Unterricht auf Elternabenden durchaus und fanden ihn alles andere als zufriedenstellend, aber gute Noten (für nichts!) waren ja auch nicht zu verachten. In der fünften Klasse geht es allmählich um die weiterführende Schule, und auf dem Zeugnis stehen eben ausschließlich Noten, nicht die tatsächliche Leistung. So hielten die Eltern still. Sie dachten wohl, Hauptsache, eine gute Note, das ermöglicht eine gute Schule, der »Rest« findet sich dann schon. Das wird für viele Kinder aus dieser Klasse eine böse Überraschung gegeben haben. Die Schulleitung unternahm nach meinem Brief über die Unterrichtsmängel von Frau Hanf nichts, außer mich aus dem gemeinsamen Unterricht mit ihr zu entfernen. Offenbar war eine nähere Kenntnisnahme ihres Unterrichts durch mich nicht erwünscht. Frau Hanf wurde ausfallend mir gegenüber, weigerte sich, Gespräche zu führen, versuchte mich – vergeblich – gegenüber den Schülern herabzusetzen. Das war alles sehr unschön. Da jedes Schuljahr einmal zu Ende geht, ignorierte ich ihre Schikanen, so gut es ging. Es gab ja eine Menge andere Kollegen, die umgänglich und fachlich sehr versiert waren. Ich bewunderte besonders eine Kollegin, Frau Glasewald. Sie machte einen ausgezeichneten Unterricht und war hoch engagiert. Ich war ihr als Co-Lehrerin für die Freiarbeit zugeteilt und gab Fachunterricht in ihrer Klasse. Auch diese Kollegin, die aufgrund ihrer gemeinsamen Herkunft und ihres ausgleichenden Wesens ein gutes Verhältnis zu Frau Hanf hatte, konnte nichts ausrichten. Jeden Versuch eines gemeinsamen Gespräches schlug Frau Hanf aus. Heute frage ich mich, woher die Kollegin den Mut nahm, derart frech und dreist aufzutreten. Das bisherige Verhalten und vor allem die weitere Entwicklung lassen den Schluss zu, dass die Schulleiterin, die ja ebenfalls keine Montessorilehrerin war, sondern im Sonderschulbereich ihre Wurzeln hatte, auf ihrer Seite stand. Da ich im Sommer 2001 ein eigenes fünftes Schuljahr übernehmen sollte, blieb ich an der Schule, obwohl ich schon sehr verwundert über so merkwürdige Verhältnisse an einer Schule war, die einen besonderen Anspruch erhob. Das war ich aus Westdeutschland nicht gewohnt.

ENDE DER LESEPROBE