23,99 €
Ein Mensch, der sich in seinem Körper wohlfühlt und guten Kontakt zu dessen Impulsen und Strömungen hat, spürt, was ihm guttut und was ihn fördert - auch und gerade mit zunehmenden Alter. Die ganzheitlichen Körperübungen, die in diesem Buch vorgestellt werden, tragen dazu bei, die bei vielen Menschen verloren gegangene innige Freundschaft mit der eigenen Natur wiederherzustellen, die Gesundheit zu fördern und Stress, auch altgewohnten, abzubauen. Das Buch bietet Bewegungs-, Ausdrucks-, Wahrnehmungs- und Berührungsübungen sowie Rollen- und Gruppenspiele, zugeschnitten auf fünf Bereiche: körperliches, mentales, emotionales, spirituelles und soziales Wohlergehen. Es werden Übungsprogramme und -sequenzen vorgestellt, mit einer genauen Beschreibung, für welche Lebenssituationen und Anliegen sie geeignet und welche Varianten möglich sind. Das Buch enthält zahlreiche farbige Originalfotografien von Mike Kudla.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 196
Anne LindenbergKörperselbsterfahrung im Alter Agil bleiben. Übungs- und Bewegungsprogramme
Copyright: © Junfermannsche Verlagsbuchhandlung, Paderborn 2012
Fotografien: Mike Kudla (www.mkudla-fotodesign.de) Coverfoto: © Anette Linnea Rasmus – Fotolia.com Covergestaltung / Reihenentwurf Christian Tschepp
Alle Rechte vorbehalten.
Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2012
Satz & Digitalisierung: JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn
ISBN der Printausgabe 978-3-87387-866-2 ISBN dieses eBooks: 978-3-87387-882-2
Hier stellen wir Ihnen unsere Fotomodelle vor: Edith Marschmannn, Doris Meinicke sowie Susanne und Günter Weinelt. Als die Fotos entstanden, waren sie zwischen 69 und 77 Jahre alt. Alle vier kannten die Übungen vorher noch nicht. Sie sind sportlich aktiv und in sehr guter körperlicher Verfassung. Außerdem waren sie gut gelaunt, kooperativ und haben die Anleitungen und den Sinn der Übungen sofort verstanden und mit Begeisterung ausgeführt.
Unsere Foto-Termine waren daher eine reine Freude, und ich möchte mich ausdrücklich bei Euch für die wunderbare Zusammenarbeit bedanken!
Edith Marschmann
Susanne Weinelt
Doris Meinicke
Günter Weinelt
In diesem Buch wurde die männliche Form nur im Sinne des Leseflusses gewählt. Ich bitte meine weiblichen Leserinnen um Verständnis. Sie sind selbstverständlich auch gemeint!
In meinen ersten sieben Lebensjahren wuchs ich überwiegend bei meinen Großeltern auf, die mir Halt, Struktur, Führung und Nestwärme boten. Mit älteren und alten Menschen fühle ich mich seither wohlwollend und respektvoll verbunden.
Und so freue ich mich sehr, meinerseits mit diesem Buch Ihnen, den heutigen Senioren, etwas Wertvolles anbieten zu können, das Ihnen Vitalisierung, Bewegungsfreude, Erhaltung und Regeneration Ihrer Lebenskraft ermöglicht.
Ich wünsche Ihnen ein langes, gesundes, erfülltes und fröhliches Leben!
Die Entfremdung vom Körperselbst ist in unserer Gesellschaft leider ein Prinzip mit weitreichenden Folgen: Die Abwesenheit von Zufriedenheit, Gesundheit und Genügsamkeit ist sehr wirtschaftsfördernd.
Ein Mensch, der sich als Körper identifiziert und guten Kontakt zu dessen Impulsen und Strömungen hat, spürt, was ihm guttut und was ihn fördert. Er wird Mittel und Wege finden, um gut für seine Bedürfnisse zu sorgen, und er wird immer wieder erfüllende Momente finden. Er hat Vertrauen zu seiner Selbstregulation und zu seinen Selbstheilungskräften. Sein Immunsystem ist stabil und kräftig. Er muss nicht übermäßig konsumieren, um sich zufrieden zu fühlen. Er mutet sich anderen Menschen zu, wendet sich ihnen zu und gestaltet seine Kontakte befriedigend für sich und die Menschen, denen er Gesellschaft leistet.
Die ganzheitlichen Körperübungen, die in diesem Buch vorgestellt werden, tragen dazu bei, diese bei vielen Menschen verloren gegangene innige Freundschaft mit der eigenen angeborenen Natur wiederherzustellen und damit die Gesundheit zu fördern und Stress, auch altgewohnten, abzubauen.
Allerdings sind Fühl-, Denk- und Verhaltensmuster, die sechs Jahrzehnte und länger bestehen, fest etabliert und formen die Identität. Werden sie zu schnell und zu heftig erschüttert, könnten die einsetzenden Prozesse der Reorganisation Sie verunsichern, überfordern und destabilisieren.
Aus diesem Grund werden in diesem Buch ausschließlich Übungen vorgestellt, die den Organismus vitalisieren und ihn an seine ursprünglichen Fähigkeiten erinnern; Übungen, die den Organismus einladen, seine Strömung wieder zu aktivieren und sich zu regenerieren.
Auf Übungen, die nur in Begleitung eines ausgebildeten Psychotherapeuten durchgeführt werden sollten, wurde bewusst verzichtet.
Da wir uns
als Individuum,
in Begegnung und Kontakt mit einem Gegenüber und
als Gemeinschaftswesen
kennen und erkennen, sind die Übungen dementsprechend in
Einzelübungen,
Partnerübungen und
Gruppenübungen
eingeteilt.
Die Übungen stammen aus
der Bioenergetischen Einzel- und Gruppenarbeit, wie sie von Alexander Lowen entwickelt wurde,
der Biodynamischen Psychologie von Gerda Boyesen,
dem Hakomi von Ron Kurtz,
dem Trager-Training von Milton Trager,
der Tanz-Improvisation,
dem Psychodrama,
dem Impro-Theater und aus
der Trauerarbeit nach Jorgos Canacakis.
Viele Übungen wurden von mir variiert, weiterentwickelt und der Nutzung durch Senioren angepasst. Auch Übungen, die ich selbst entwickelt habe, kommen vor.
Obwohl die hier vorgestellten Körperübungen durchaus sportiven Charakter aufweisen, da sie den Körper fordern, ihn zum Schwitzen bringen, den Kreislauf in Schwung bringen und eine verbesserte Kondition und Muskelbildung fördern, haben sie doch andere Ziele und Schwerpunkte als sportliche Betätigung.
Der größte Unterschied besteht darin, dass andere Trainingsprogramme den Körper kontrollieren und zu Leistungen bringen wollen. Er wird behandelt wie ein Sportgerät, das auf eine bestimmte Weise funktionieren und aussehen soll.
Die ganzheitlichen Körperübungen haben ein genau entgegengesetztes Ziel. Mit ihnen wird es möglich, sich selbst wieder als körperliches Geschöpf zu erleben, denn alles, was Menschen wahrnehmen und erleben, wird im Körper gebildet und durch den Körper wahrgenommen: Gedanken, Identität, Gefühle, Empfindungen, Sinneseindrücke.
Der Körper wird mit diesen Übungen ermutigt, seine ursprüngliche Fähigkeit zur Selbstregulation und zur Pulsation wiederzuerlangen. Die Übungen dienen als ausdrückliche Einladungen und Aktivierungen.
Dabei ist das Ziel nicht, dass die Muskeln möglichst fest, dick oder leistungsfähig werden, sondern dass die Muskulatur wieder schwingungs- und empfindungsfähig wird und ihren Reaktionsspielraum erweitert. Denn das Skelettmuskelsystem, auch Willkürmuskulatur genannt, bestimmt unsere Identität, die Art und Weise, wie wir uns selbst definieren und fühlen.
Beim Sport dominiert der Gedanke, den Körper leistungs- und funktionsfähig zu erhalten und die Leistungen zu steigern. Im Unterschied dazu steht bei den ganzheitlichen Körperübungen nicht die Leistung im Vordergrund, sondern die immer genauere Wahrnehmung der aktuellen körperlichen Grenzen, der Empfindungen und von allem, was damit verknüpft ist: Selbstbild, Selbstvertrauen, Gefühle, Emotionen (Gefühlsausdruck).
Beim Fitnesstraining geht es um Ausdauer und volle Funktionsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems. Nicht berücksichtigt wird dabei, dass der Körper sich kontinuierlich an die tatsächlichen Alltagsanforderungen anpasst. Wer also hauptsächlich am Computer oder vor dem Fernseher sitzt und zweimal wöchentlich eine Stunde Fitnesstraining absolviert, muss seine Ausdauer ständig neu anschieben, da der Körper sich zwischendurch immer wieder auf den Ruhezustand einrichtet. Das ist natürlich besser als gar keine nennenswerte Bewegung.
Einfacher ist es jedoch, die ursprüngliche Bewegungsfreude wieder zu aktivieren, sodass jeden Tag einige Stunden abwechslungsreiche Bewegung stattfindet: über Tanzen und Laufen, Ballspielen, Spazierengehen, Radfahren, Rudern und Ähnliches.Dadurch stellt sich die natürliche und altersgemäße Fitness ganz von selbst ein.
Gymnastik hat die volle Beweglichkeit der Muskeln zum Ziel. Auch hier gilt, dass eventuelle Blockaden und Hemmungen, die aus der Lebensgeschichte stammen, nicht berücksichtigt, sondern bezwungen werden.
Ein Beispiel: Ein Mensch, der als Kind immer wieder zu hören bekam „Finger weg!“ und vielleicht sogar Klapse oder Schläge auf die Hände ertragen musste, wird es als Erwachsener schwierig finden, weit auszugreifen, fest zuzugreifen und etwas „in Angriff zu nehmen“. Der Bewegungsimpuls des Deltamuskels wird von einer unwillkürlichen Hemmungsreaktion des Brustmuskels gebremst. Wer sich über die Hemmung hinwegsetzen will, muss einiges an Anstrengung und Training aufbringen, um sie zu überwinden. Der ursprüngliche Stress, den der Konflikt zwischen Verbot und Impuls produziert, bleibt dabei leider erhalten.
Einfacher und für den Organismus bekömmlicher ist es, diesen früh entstandenen Stressmotor ausfindig zu machen, einige Momente lang die Angst und die Empörung, die in den Händen, Armen und Schultern festgehalten werden, freizusetzen und auszuhalten und dann im Vollbesitz seiner Hände zu sein, die nun wieder ihre ursprüngliche Kraft und Einsatzfreude finden.
Yoga ist weitverbreitet und erfreut sich großer Beliebtheit. Viele ganzheitliche Körperübungen sind von Yoga-Stellungen inspiriert oder ähneln ihnen.
Wie Alexander Lowen, der die bioenergetischen Übungen entwickelt hat, feststellte, stammt die Yoga-Praxis aus einer gänzlich anderen Kultur mit anderen Einschränkungen und Prioritäten.
Yoga hatte ursprünglich die Befreiung der Seele vom Rad der Wiedergeburten zum Ziel, also die endgültige Ent-Körperung. Dementsprechend sind Yoga-Übungen zwar darauf angelegt, die Strömungen des Körpers wiederherzustellen und Blockaden aufzulösen, dann aber die freigewordene Energie nach oben und hinaus aus dem Körper zu leiten.
Demgegenüber vertrat Lowen den Standpunkt, der typische westliche Mensch müsse erst einmal lernen, sich überhaupt mit seinem Körper zu identifizieren, und seine frei werdende Energie dann einsetzen, um das Leben zu gestalten und sich voll und ganz dafür einzusetzen.
Daher unterscheiden sich die ganzheitlichen Körperübungen in einigen Punkten, auch in der Philosophie und Zielsetzung, grundlegend von Yoga-Übungen. So werden beispielsweise bei vielen Übungen dort, wo in Yoga-Asanas die Füße und Beine gestreckt werden, in den ganzheitlichen Übungen die Knie leicht und die Füße stark angewinkelt. Auch die Atemtechnik ist gegensätzlich: Die praktizierte Yoga-Atmung während der Übungen ist in der Körpertherapie als „paradoxe Atmung“ bekannt.
Die Vorgaben für gesunde Bewegung sind ähnlich widersprüchlich und Moden unterworfen wie die Ratschläge für gesunde Ernährung. Man stellt sich die Fragen: Ist der Ratschlag wirklich erforscht? Stecken kommerzielle Interessen dahinter, soll damit beispielsweise ein Präparat oder ein Video verkauft werden?
Die Verwirrung ist allseits groß: Einmal gilt Joggen als das Nonplusultra, dann heißt es, es belaste die Gelenke zu stark und Schwimmen oder Nordic Walking sei wesentlich besser. Dann vernehmen wir, dass Ausdauer und Kondition alles sei, andererseits wiederum die Beweglichkeit entscheidend wäre, dann wieder Kraft und das entsprechende Training im Vordergrund stehen sollten.
Vor einigen Jahren habe ich mich mit einem auf Orthopädie spezialisierten Heilpraktiker unterhalten, der auf ganz anderen Wegen zu der gleichen Erkenntnis gekommen war wie ich, was sich einfach durch die Auswertung der verschiedenen Behandlungsziele und -methoden herauskristallisierte.
Wenn wir uns den Menschen ohne Technik vorstellen, so, wie er und seine Lebensweise ursprünglich entstanden sind (bei manchen Naturvölkern ist diese Ursprünglichkeit noch zu beobachten), dann stellt sich heraus, dass alle Menschen eines Stammes durchschnittlich sechs Stunden am Tag (mit Pausen durchsetzt) in Bewegung waren. Man schlenderte gemütlich über unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten und sammelte Grassamen, grub Wurzeln aus, pflückte Früchte, trug ein Kind. Nahrung zubereiten, Felle bearbeiten, Dinge herstellen waren weitere mit moderater, aber dauerhafter Anstrengung verbundene Tätigkeiten. Ab und an wurde diese an sich schon sehr vielfältige Bewegung durch kurze Phasen von intensiver Aktivität und Anstrengung unterbrochen, wenn etwa gemeinsam ein größeres Tier gejagt wurde oder eine Gefahr zu bewältigen war. Immer fand die Betätigung in Abstimmung mit der Gemeinschaft statt und immer war die Sinnhaftigkeit des Tuns unmittelbar einleuchtend.
Interessanterweise haben Forscher vor wenigen Jahren herausgefunden, dass Muskeln sich am besten entwickeln, wenn sie möglichst umfassend und vielfältig jeden Tag mit Pausen für längere Zeit moderat beansprucht werden und kurze Trainingseinheiten mit intensiver Anstrengung eingelegt werden (etwa alle zwei Tage mehrmals 15 Minuten)[1] – was exakt unserer ursprünglichen Lebensweise entspricht.
Vor diesem Hintergrund kann ich Ihnen wärmstens ans Herz legen, in Bewegung zu bleiben, auch wenn Fernseher und Stubenhocken locken oder Schmerzen die Bewegung schwer machen.
Stellen Sie sich aus den vorgestellten Übungen ein Programm zusammen, das Ihre Neugier weckt, Ihnen Spaß macht und Sie auch in einem gewissen Maß herausfordert, damit Sie ein Leben lang gut gelaunt und beweglich bleiben!
(zurück zu Abschnitt 1.2: Der kulturell und gesellschaftlich bedingte Alterungsprozess)
Im Alter verändert sich nichts, manches, vieles und alles zum Besseren und zum Schlechteren. Wir bekommen jede Meinung dazu zu hören, manchmal auch ganz widersprüchliche Aussagen gleichzeitig von ein und derselben Person. Das Alter macht gelassener, im Alter wird die Gesundheit schlechter, aber man entwickelt mehr Ausdauer; man schläft nicht mehr so gut, braucht aber immer mal ein Schläfchen zwischendurch. Im Alter genießt man den Vorzug eines besseren Überblicks, wodurch Zusammenhänge deutlicher werden, aber gleichzeitig setzt der Altersstarrsinn ein, was auf Kosten der Flexibilität geht.
Sie merken schon, wir werden nicht nur über die Medien und mittels vorherrschender Volksmeinungen, wie sie sich in Redewendungen und Sprüchen zeigen, sondern auch bei Arztbesuchen und in persönlichen Gesprächen mit vielfachen sich widersprechenden Botschaften über das Altern konfrontiert. Manche davon werden ausgesprochen, viele erreichen uns jedoch indirekt und subtil. Solche verschleierten Botschaften wirken am nachhaltigsten, denn sie gehen, ohne kritisch gefiltert werden zu können, durchs Ohr direkt ins Hirn. Dort wirken sie sich je nach Inhalt als Segen oder Fluch aus.
Es kommt noch hinzu, dass heutzutage ältere und alte Menschen aller Art anzutreffen sind. Die gut gepflegten Endsechziger, die von allen anderen auf höchstens Mitte 50 geschätzt werden. Endfünfziger, die von Krankheiten gezeichnet sind und viel älter geschätzt werden. Ganz alte Menschen um die 100, die immer noch geistig klar und körperlich rüstig sind. Und Menschen, denen es höchst wichtig ist, um jeden Preis möglichst ihr Leben lang jung und dynamisch zu wirken, Schönheitsoperationen inbegriffen.
Kurzum, es gibt heutzutage kein Standardmodell mehr für den alten Menschen, an dem wir uns orientieren könnten, um zu entscheiden: Dieses Modell nehme ich an oder ich verwerfe es. Es gibt auch keinen Standardwert mehr für das Alter. Mal entwertet, mal hochgelobt, darf man sich als alter Mensch je nach der aktuell befragten Quelle höchst unterschiedlich fühlen.
Was einerseits ein Verlust an stabilen Vorgaben ist, bedeutet auf der anderen Seite einen beträchtlichen Zugewinn an Freiheit: Es gab, das Alter betreffend, in unserer Kultur seit Beginn unserer Zeitrechnung wohl noch nie einen so großen Spielraum an persönlicher Definition, Bedeutungszuweisung und Gestaltungsmöglichkeit.
Altern ist definiert als ein nicht umkehrbarer Veränderungsprozess eines Organismus, der mit dem Tod endet. Streng genommen beginnt der Alterungsprozess bereits bei der Zeugung, da ab diesem Zeitpunkt permanente Entwicklungen und Veränderungen stattfinden, die auf das Altern und Sterben des Organismus hinführen. Beobachtbare Alterungsprozesse fallen bei den verschiedenen Spezies äußerst unterschiedlich aus. Sie reichen von „vermutlich unsterblich“ (manche Amöben, Algen und Süßwasserpolypen) und „nicht beobachtbar alternd“ (Eichen, Nacktmulle) bis hin zu extrem kurzlebigen Arten, wie zum Beispiel den sprichwörtlichen Eintagsfliegen und einer Beutelrattenart, bei der die Männchen, nur wenige Monate alt, direkt nach der ersten Paarung sterben.
Daher sind die Definitionen für „Alter“ und „Altern“ auch beim Menschen je nach der befragten Quelle äußerst unterschiedlich und werden ganz verschieden erläutert, begründet und in Zahlen festgelegt.
Bis vor Kurzem galt als Obergrenze der menschlichen Lebenserwartung die Zahl 122, denn so alt wurde bisher belegbar der älteste Mensch. Inzwischen gehen die wissenschaftlichen Schätzungen in Richtung 140 Jahre. Eine genetische Ursache für Altern und Tod wird seit einigen Jahren diskutiert. Diese Idee findet durch die Theorie der Telomer-Verkürzung größere Verbreitung, nachdem 2009 die Forscherin Elizabeth H. Blackburn und zwei ihrer Kollegen den Nobelpreis für ihre Arbeit über Telomere erhalten haben.[2] Telomere bilden die beiden Enden jedes Chromosoms und bestehen nicht aus Erbinformationen, sondern aus mehreren gleichen Sequenzen. Davon brechen im Laufe der Lebensjahre abhängig vom Einfluss des umgebenden Milieus und durch Verschleiß kleine Stückchen ab. Wenn das Telomer verbraucht ist, schädigen weitere Abbrüche am Chromosomenende das eigentliche Erbgut, was als irreparabel gilt und den Alterungsprozess bewirkt, der nicht mehr umkehrbar ist.
Wie gesagt, handelt es sich hierbei um eine Theorie, und da die genauen Vorgänge und Ursachen der Abnutzung noch nicht bekannt sind, ist es eher eine Schilderung des Geschehens als eine Begründung.
Es gibt zahlreiche weitere Theorien des Alterns, aber endgültige Schlussfolgerungen können noch nicht gezogen werden.
Neulich fragte mich eine gute Freundin, die demnächst ihren fünfzigsten Geburtstag feiert: „Ich weiß gar nicht, wie ich mich anziehen soll, wenn ich erst über 50 bin. Muss ich mich dann so anziehen wie die anderen Frauen über 50?“ Ich konterte mit der Gegenfrage: „Was passiert denn, wenn nicht?“ Im darauffolgenden Gespräch wurde zunehmend deutlich, was ich in der Einleitung zu Teil I schrieb: Es herrscht Konfusion statt Einheitlichkeit, was im besten Fall einen hohen Grad an persönlicher Freiheit bedeutet.
Ich beobachte, dass viele Menschen, wenn sie allmählich erst zu den älteren, dann zu den alten Semestern gehören, eher unreflektiert einen Querschnitt aus den vorherrschenden Meinungen bilden und dass sie versuchen, den vermeintlichen Erwartungshaltungen einigermaßen zu entsprechen.
Eine dieser vorherrschenden, oft aber nur indirekt in den Raum gestellten Erwartungen ist: „Im Alter lassen die Kräfte, die Gesundheit, die Leistungen und die Belastungsfähigkeit nach.“ Es erfordert viel und dauerhaftes persönliches Engagement, um sich diesem Konsens entziehen zu können.
Wie relativ der Begriff „Alter“ verstanden werden kann, wird deutlich, wenn wir hören, dass die Einstellungshöchstgrenze für viele Berufe, zum Beispiel für Rechtspfleger oder Berufspiloten, bei unter 30 liegt.
Andererseits ging just beim Schreiben dieses Buches (Mitte Oktober 2011) die Meldung durch die Medien, dass ein hundertjähriger Inder beim Marathon in Toronto mitlief und in einer Zeit von etwas über acht Stunden ins Ziel kam. Die Studien des medizinischen Forschungsgebietes der Psychoneuroimmunologie belegen, wie eng die Psyche, das Nervensystem und die Immunkräfte miteinander verzahnt sind. Daher sind Sie gut beraten, wenn Sie Ihre eigene Haltung zum Alter bilden und sie den verworrenen gesellschaftlichen Normen bewusst gegenüberstellen.
Um herauszufinden, welche „Alterungsvorgaben“ Sie verinnerlicht haben, können Sie Ihre Glaubenssätze untersuchen und verändern, wie in der Anleitung beschrieben. Beginnen Sie, indem Sie zehn Sätze bilden mit dem Satzanfang „Man sagt, im Alter ...“.
Aus meiner langjährigen Arbeit mit Menschen ist die Einschätzung entstanden, dass der persönliche Alterungsprozess sowohl sehr individuell und unterschiedlich erfolgt als auch ganz maßgeblich davon bestimmt wird, wie lange persönliche Lebenshaltungen und prägende Erfahrungen, die entweder Sicherheit und Gelassenheit ermöglichen oder intensiven Stress im Körper verursachen, beibehalten werden. Darauf gehe ich genauer im Abschnitt über die biologischen Zyklen ein.
Weitere individuelle Faktoren, die das Altern mit beeinflussen, sind:
Ihre persönlichen Lebensumstände.
Wenn Sie gesund und beweglich, geistig fit und finanziell abgesichert sind, in angenehmem Kontakt mit einem vertrauten und geliebten Lebenspartner und / oder anderen geschätzten nahen Menschen leben, sich in Ihrer Wohnung und an Ihrem Wohnort wohlfühlen, Ihr Leben reich und sinnvoll finden und es selbstbestimmt, abwechslungsreich und erfüllend gestalten können und Ihr Organismus keine nennenswerten stressenden „Altlasten“ aus Ihrer Lebensgeschichte verwalten muss, wird Ihr Alterungsprozess natürlich langsam und undramatisch erfolgen. Wenn Sie jedoch einen oder mehrere dieser Punkte als Belastung erleben, hat das auch Einfluss auf Ihr Altern, denn genau diese Umstände verursachen am meisten Stress, wenn sie unbefriedigend sind.
Die Familienmodelle.
Also, welche Angehörigen wurden wie und auf welche Weise alt und welche Botschaften über das Altern haben sie direkt oder indirekt weitergegeben? Wenn Sie sich mit diesem Punkt beschäftigen, können Sie die subtilen Botschaften, die auf Sie in Form von bisher unreflektierten, aber wirksamen Glaubenssätzen einwirken, prüfen, wenn Sie wiederum die
Anleitung
verwenden und dafür zehn Fortführungen des Satzanfangs: „Altwerden bedeutet für mich ...“ bilden.
Die Vor- oder Nachteile, die jemand durch das Älterwerden erfährt.
Zum Beispiel: Wird der Ruhestand ersehnt oder gefürchtet? Werde ich endlich ernst genommen? Wird man in meinem Verein erst jenseits der 70 zum Vorstand gewählt? Endlich Großmutter oder Großvater werden! Und so weiter.
Vom Schulalter bis zur Verrentung stehen die meisten Menschen in unserer Gesellschaft tendenziell unter Leistungs- und Zeitdruck und werden hohen Anforderungen im Berufs- und Familienleben gerecht. Fallen diese Stressfaktoren ab dem Ruhestand weg, entsteht erstmals im Erwachsenenleben die Möglichkeit, jenseits der Pflicht in Ruhe die persönlichen Vorlieben herauszufinden und ihnen nachzugehen oder lang gehegte Lebensträume zu verwirklichen, für die bisher im Alltagsgetriebe keine Zeit war. Alle Fähigkeiten und Kompetenzen, die mit Leistung, Druck und Pflicht zusammenhängen, bilden eine Abteilung in der Persönlichkeit, die meistens sehr gut entwickelt und sehr kompetent ist. Im Ruhestand kann nun eine andere Persönlichkeitsabteilung auftauchen, die Fragen stellt wie: „Was macht mich eigentlich glücklich? Woran erfreue ich mich? Welche meiner Potenziale habe ich noch gar nicht ausgeschöpft? Welche Interessen und Ziele habe ich bisher immer hintangestellt?“
Die bisherige Lebenserfahrung ist für das Alter ein sehr großes, wichtiges Kapital. Sie kennen sich selbst und haben ein Stück weit gelernt, wie Sie im Guten mit sich umgehen können, zum Beispiel, dass Niedergeschlagenheit und Krisen aller Art kommen und gehen, dass sie bewältigt werden können und sogar den persönlichen Reifungsprozess voranbringen. In irgendeiner Form haben Sie jede Mode, jede politische und gesellschaftliche Entwicklung schon erlebt und ganz Neues kann in den reichhaltigen Erfahrungsschatz gut eingegliedert werden. Wie die Jugend von den absoluten Sensationen und das mittlere Alter von der Bildung von finanziellem und geistigem Kapital geprägt ist, so kann das Alter Gelassenheit, Unerschütterlichkeit und Einsicht in größere Zusammenhänge bieten.
In den ursprünglichen Stammeskulturen gab es den Ältestenrat, der die letzten Entscheidungen traf, eben wegen des Überblicks, der es ermöglicht, aktuelle Entwicklungen zu relativieren und sie in größere Zusammenhänge einzuordnen. Die Alten eines Stammes hatten bewiesen, dass sie Meister im Überleben waren, und wurden dafür geehrt und respektiert, auch weil sie für den Stamm eine Erfahrungsressource darstellten. Natürlich waren sie außerdem für viele, wenn nicht sogar alle Mitglieder des Stammes, Eltern, Großeltern, Urgroßeltern und so weiter.
Über die Jahrhunderte und Jahrtausende hat sich der Ältestenrat auf der politischen Ebene in den verschiedenen Formen eines Senats bis heute erhalten.
Und so kann eine wesentliche Aufgabe des Alters verstanden werden: Geschätzt als Ratgeber und als Vermittler von wichtigen Erfahrungen und Erkenntnissen.
Die Entwicklungen der superschnell wachsenden IT-Firmen der frühen neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts („in zwei Jahren von der Garagenfirma zu einem Unternehmen mit 400 Mitarbeitern“) haben gezeigt, was passiert, wenn eine Gemeinschaft ausschließlich von jungen Menschen gebildet wird: Die wenigsten dieser Unternehmen existieren noch. Sie sind einerseits durch Missmanagement, andererseits jedoch wegen der mangelnden Erfahrung in der Mitarbeiterführung und zum Dritten wegen des fehlenden beruhigenden und stabilisierenden Einflusses, den ältere Personen haben können, eingegangen.
Eine gelingende Gemeinschaft braucht also Menschen aller oder mehrerer Altersstufen, wobei die Älteren und die Alten als Ruhepole Kontinuität verkörpern, was sich beruhigend und orientierend auf die ganze Gemeinschaft auswirkt. In Krisen sind Gemeinschaften auf alte Menschen angewiesen, die einen kühlen Kopf bewahren und wie Felsen in der Brandung wirken. Daran können sich die Jüngeren orientieren, es hilft ihnen, nicht in Panik zu verfallen und stattdessen unverzüglich die nötigen Maßnahmen zu ergreifen (und sich bei den „Senatoren“ Rat dafür zu holen).
Die vielschichtige und widersprüchliche Bedeutung, die dem Alter heute zugesprochen wird, muss nicht für Sie gelten! Ihnen steht es zum Glück frei, sich die „Senatoren-Haltung“ anzueignen und sich, wenn Sie das möchten, einen Wirkungskreis zu suchen, in dem Sie konstruktiv mitarbeiten oder einfach präsent sind. Ich möchte Sie ausdrücklich dazu ermutigen, sich Ihre Würde und den Wert Ihrer Lebenserfahrung und Lebensweisheit nicht absprechen zu lassen!
(zurück zu Abschnitt 4.3.3: 70 bis 80: Beweglichkeit sichern)
Ein Glaubenssatz ist ein inneres Gesetz, das aufgrund von Erfahrungen gebildet wurde, um Sie davor zu bewahren, solche Erfahrungen noch einmal durchleben zu müssen. Glaubenssätze sind also die Resultate von Lernprozessen und dementsprechend tief verankert.[3]
Es gibt erlaubende, gebietende, also antreibende, und verbietende Glaubenssätze, die bewusst, unterbewusst (oder halb bewusst) bisher unreflektiert oder tief verdrängt sein können.
Diese Glaubenssätze bilden miteinander das Glaubenssatzsystem und jeder Mensch bewegt sich innerhalb dieses Systems. Es ist das Knochengerüst unserer Psyche und wir können uns nur so bewegen, wie die „Gelenke“ dieses Gerüstes es uns gestatten.
Die mächtigsten Glaubenssätze bilden sich innerhalb der ersten etwa vier Lebensjahre und leider werden etliche davon nicht mehr aktualisiert, sodass sich viele Menschen ihr Leben lang verhalten, als müssten sie sich noch im fortgeschrittenen bis hohen Lebensalter vor den Gefahren ihrer Kindheit schützen und den damaligen Geboten nachkommen.
Die ganzheitlichen Körperübungen bringen Sie in Kontakt mit Ihren altgewohnten inneren Gesetzen, sodass diese deutlich werden und in Ihr Bewusstsein treten können.
Im Folgenden finden Sie eine Anleitung, wie Sie mit einschränkenden Glaubenssätzen unter Einbeziehung des körperlichen Erlebens arbeiten können. Im Anschluss an die Anleitung wird ein konkretes Beispiel geschildert.
Hinderliche Glaubenssätze erkennen
Die Kernaussage finden
Die Wirkung spüren
Die Änderung erkennen
Der bessere Glaubenssatz
Die neue Kernaussage finden
Die neue Wirkung spüren
Mit dem Atmen verbinden
Die abschließende Wahrnehmung des hinderlichen Glaubenssatzes
(zurück zu Abschnitt 1.2: Der kulturell und gesellschaftlich bedingte Alterungsprozess)
(zurück zu Abschnitt 1.3: Der persönliche Alterungsprozess)
Hinderliche Glaubenssätze erkennen
Formulieren Sie Ihre Unzufriedenheit oder das Problem möglichst genau, gern auch schriftlich oder im Gespräch mit einem Partner. Formulieren Sie Ihre Aussage dann in die Ich-Form um (falls noch nicht geschehen).
Die Kernaussage finden