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Russland im 18. Jahrhundert: Die adelige Sonja ist die einzige Hoffnung ihrer Familie - nur durch eine reiche Heirat Sonjas kann der finanzielle und gesellschaftliche Ruin aufgehalten werden. Als der reiche Fürst Baranow um Sonjas Hand anhält, ist ihre Familie begeistert. Sonja ist die Heirat mit dem grausamen Fürst jedoch zuwider. Auf der Reise zu Baranows Gut wird die Kutsche von rebellischen Kosaken überfallen und Sonja von ihnen entführt! Andrej, der wilde Anführer der Kosaken, beansprucht die schöne Beute für sich, und obwohl Sonja sich zuerst noch abweisend zeigt, schmilzt sie bald unter seinen Verführungsversuchen dahin ...
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Seitenzahl: 450
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Patricia Amber
KOSAKENSKLAVIN
Erotischer Roman
© 2007/2016 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels
www.plaisirdamourbooks.com
Covergestaltung: © Mia Schulte
Coverfoto: Hot Damn Stock
ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-271-5
ISBN eBook: 978-3-86495-272-2
Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Es war zum Ersticken heiß in der geschlossenen Kutsche, denn man hatte wegen des Staubs die Fenster geschlossen gehalten. Dennoch wagte es Sonja nicht, das seidene Schultertuch herunterzunehmen – aus Furcht vor Baranows lüsternen Blicken. Seit dem Morgen, als sie in St. Petersburg in die Kutsche gestiegen waren, saß er ihr gegenüber, begaffte sie, verfolgte jede ihrer Bewegungen und hatte die ganze Zeit über ein seltsames Lächeln in den Mundwinkeln, das sie erzittern ließ. Einige Male, als die Kutsche auf holprigen Wegen hin und her schaukelte, hatten seine dicken Knie ihre Beine berührt, und sie war hastig auf dem engen Sitz zur Seite gerutscht. Es war lächerlich genug, sich so anzustellen. Ihr Bruder Sergej, der neben Baranow saß und in der neuen, grünen Gardeuniform so steif und unnahbar aussah, hatte sie mehrfach strafend angesehen.
Als die kleine Reisegesellschaft an einem Bachufer Rast machte – auch um die Pferde zu tränken –, hatte Sergej sie beiseite genommen.
„Hör zu, Sonja“, sagte er ärgerlich. „Der Fürst schätzt es gewiss, dass du eine strenge Erziehung genossen hast und unberührt in die Ehe gehst. Trotzdem solltest du dich nicht benehmen wie eine prüde, alte Jungfer. Lächle ihn an und zeige ihm, dass du stolz und glücklich bist, seine Braut zu sein.“
„Natürlich, Sergej“, sagte sie tapfer und versuchte ihre Verzweiflung zu verbergen. „Ich werde mich bemühen, ganz bestimmt werde ich das.“
„Es sind noch zwei Tage bis zur Hochzeit, Sonja“, fügte er mahnend hinzu. „Du willst doch wohl nicht, dass wir so kurz vor dem Ziel noch scheitern?“
„Nein, das will ich nicht“, flüsterte sie gepresst. „Ich weiß sehr gut, wie wichtig diese Heirat für uns alle ist. Vor allem für dich, Sergej, weil du durch Baranows Protektion Gardist der Zarin geworden bist.“
„Für uns alle“, betonte er verdrossen.
Sergej hörte nicht gern, dass er seine neue Position am Zarenhof dem Fürsten Baranow verdankte, obgleich es die Wahrheit war. Er öffnete schon den Mund, um seine kleine Schwester zurechtzuweisen, doch dann setzte er rasch eine heitere Miene auf, denn Ossip Arkadjewitsch Baranow stapfte durch das Ufergras zu ihnen.
„Es ist immer das gleiche mit diesen Dummköpfen“, schimpfte der Fürst wütend. „Wir sind einen Umweg von mindestens fünf Werst gefahren, weil der Kutscher ein Schwachkopf ist und sich nicht an meine Befehle gehalten hat. Jetzt werden wir nicht vor dem Abend auf Gut Pereschkowo ankommen.“
Baranow war groß, kräftig und furchteinflößend. Auch wenn er reich gekleidet und mit Orden dekoriert am Zarenhof auftrat, war er alles andere als eine höfische Erscheinung. Jetzt hatte er wegen der Hitze die Jacke und die Weste ausgezogen, so dass das seidene Spitzenhemd herausquoll. Schweißtropfen glänzten auf seiner Stirn und rannen in die markanten Augenbrauen hinein. Baranow hatte die Vierzig schon überschritten, was ihn nicht davon abgehalten hatte, um die knapp zwanzigjährige Sonja Woronina anzuhalten. Er wusste, dass man ihm diese bezaubernde Unschuld trotz des Altersunterschiedes nicht verweigern würde, denn die Woronins waren finanziell restlos ruiniert, und alle ihre Hoffnungen ruhten auf Sonja. Das hübsche junge Mädchen hatte das Wohlwollen der Zarin Katharina gewonnen und war als Hofdame an den Zarenhof berufen worden. Die denkbar besten Voraussetzungen für eine gute Partie.
„Besser spät ankommen als gar nicht“, meinte Sonja schüchtern und zwang sich zu einem Lächeln.
Tatsächlich wäre sie viel lieber überhaupt nicht auf Gut Pereschkowo angekommen, geschweige denn auf dem Landsitz der Baranows, wo übermorgen die Hochzeit stattfinden sollte. Was sie in jener Nacht der Nächte erwartete, davon hatte sie nur undeutliche Vorstellungen, doch sie ahnte, dass es etwas Peinliches und sehr Unschickliches sein würde.
„Es ist nur meine Ungeduld, mein Täubchen, die mich so zornig macht“, gab Baranow zurück und packte ihre Hand, um sie an seine Lippen zu ziehen. „Ich kann es gar nicht erwarten, dich auf meinem Besitz zu begrüßen und zu wissen, dass du ganz und gar mir angehören wirst.“
Sonja spürte die strengen Augen ihres Bruders und erstarrte zu vollkommener Unbeweglichkeit, während der Fürst einen Kuss auf ihren Handrücken drückte.
„Dann sollten wir die Reise so rasch wie möglich fortsetzen“, sagte sie leise, um wenigstens Baranows Lippen nicht mehr spüren zu müssen.
„Nichts lieber als das, meine kleine Sonne!“
Er ließ es sich nicht nehmen, sie zur Kutsche zu geleiten und ihr beim Einsteigen behilflich zu sein. Seine Hand griff dabei um ihre Taille, berührte ihr langes rotblondes Haar, das offen über ihre Schultern hing, und als sie eine rasche, erschrockene Bewegung machte, spürte sie, wie das schützende Tuch von ihren Schultern glitt. Er hatte es ihr mit einem Ruck herabgezogen.
„Es ist wirklich zu heiß, meine Liebe, um sich in so etwas einzuwickeln“, meinte er in väterlich vorwurfsvollem Ton.
„Es … es ist nur wegen des Staubs“, begehrte sie auf.
„Wir halten die Fenster geschlossen, mein Kätzchen.“
Es gab keine Möglichkeit zu protestieren oder sich gar zu wehren. Ihr Bruder wäre der Letzte gewesen, der ihr beigestanden hätte. Fürst Baranow war ihr Bräutigam und nahm sich jetzt schon das Recht heraus, über sie zu verfügen. Er würde von nun an auf ihr Dekolleté starren, das nach höfischer Mode offenherzig war und trotz der zarten Spitzen den Ansatz ihrer Brüste offenbarte. Wie merkwürdig – bei Hofe war es ihr niemals unangenehm gewesen, sich in tief ausgeschnittenen Roben zu zeigen. Im Gegenteil – sie genoss es, wenn man ihr Komplimente machte. Die Blicke der jungen Gardeoffiziere hatten sie zwar erröten lassen, doch die Gefühle, die sich dabei einstellten, waren angenehm gewesen. Jetzt aber spürte sie nichts als eisigen Schrecken, während Baranows Augen abschätzend über ihren Körper glitten.
Eintönig zog die flache, unendlich weite Landschaft an den Fenstern der Kutsche vorüber. Gelblicher Staub wurde von den Pferdehufen aufgewirbelt, hüllte alles in ockerfarbigen Nebel und ließ die wenigen Gehöfte und Dörfchen nur wie durch einen Schleier erkennen. Immer noch brannte die Sonne unbarmherzig vom Himmel herab, und die Hitze in der Kutsche ließ jedes Gespräch ersterben. Bleierne Müdigkeit senkte sich auf die Insassen. Sonja stellte erleichtert fest, dass Baranows Kinn in die Spitzen des seidenen Hemdes herabsank, und seine Augenlider sich langsam schlossen. Gleich darauf war trotz des Knarrens der Kutsche und des Geräusches der Pferdehufe ein kräftiges Schnarchen zu hören. Sonja lehnte den Kopf an das Polster und versuchte ebenfalls einzuschlummern, doch die Furcht vor dem, was sie in den kommenden Tagen erwartete, ließ sie keinen Schlaf finden. Was würde er mit ihr tun, wenn sie ganz allein mit ihm im Zimmer war? Ihre Eltern hatten sie streng erzogen, und ihrer Meinung nach hatte eine junge Frau unberührt in die Ehe zu gehen, ihrem Mann Nachkommen zu schenken und ein Leben lang treu an seiner Seite auszuharren. Über das, was zwischen Mann und Frau geschah, hatte sie nur sehr verschwommene Vorstellungen, und auch ihr Bruder hatte dieses Thema niemals berührt. Würde Baranow von ihr verlangen, dass sie ihre Kleider auszog? Aber nein – Eheleute taten so etwas nicht. Er würde sich ihr nähern, sie berühren, vielleicht sogar küssen – ja, das würde er vermutlich tun. Die Vorstellung war widerlich genug, doch sie hatte es klaglos hinzunehmen. Und er würde dafür sorgen, dass sie ihm einen Sohn gebar. Sie schauderte, denn ihr war nicht ganz klar, was dabei geschehen würde. Auf jeden Fall stellte sie es sich schrecklich vor – aber es dauerte sicher nicht sehr lange und ging vorüber. Sie wollte es schon aushalten – schließlich war sie nicht die erste junge Frau, die verheiratet wurde.
Nachdenklich sah sie aus dem Fenster. Draußen waren jetzt rechts und links des Weges breite Kornfelder zu sehen, Bäuerinnen mit bunten Kopftüchern standen gebückt und banden die Ähren zu Garben, junge Männer mit nacktem Oberkörper luden die Garbenbündel auf Pferdewagen. Sonja ertappte sich dabei, dass sie die Männer voller Neugier betrachtete. Wie gewandt die jungen Kerle waren, wie kräftig ihre nackten Arme schienen. Einer war mit wenigen Sprüngen auf den hochbeladenen Wagen geklettert und winkte der vorüberfahrenden Kutsche zu. Natürlich durfte sie nicht zurückwinken, aber sie lächelte. Sie hatte ihre Kindheit auf dem Landgut der Eltern verbracht und konnte sich noch gut an diese Erntearbeiten erinnern. Das kleine Landgut ihrer Eltern war schon vor einigen Jahren verkauft worden, um Sergej, der als Offizier in die Truppen der Zarin eintreten wollte, standesgemäß auszustatten.
Am späten Nachmittag erreichte man endlich den kleinen Gutshof Pereschkowo, der bereits zum Besitz des Fürsten gehörte. Hunde umkläfften die Kutsche, als sie durch das hohe, geschnitzte Holztor rollte, Bedienstete sprangen herbei, Mägde liefen aus den niedrigen Nebengebäuden, um die junge Braut des Fürsten zu sehen, von der so viel erzählt worden war. Haar wie rotes Gold sollte sie haben, schön wie ein Engel sei sie und zart wie eine Elfe, die der Herr sich in St. Petersburg am prächtigen Hof von Mütterchen Zarin eingefangen hatte. Die Mägde bedauerten die junge Braut, denn man wusste, dass der Herr nicht gut zu seinen Frauen war. Drei hatte er bereits gehabt, eine hatte er davongejagt, die anderen beiden waren vor Kummer gestorben. Der Herr tat, was er wollte. Er ließ auch unter den Mägden und Bäuerinnen keine ungeschoren davonkommen, wenn sie ihm gefiel.
Igor Borisowitsch Sarogin, der Gutsverwalter, stürzte aus dem Haus und lief der Kutsche entgegen, um mit untertäniger Verbeugung den Schlag zu öffnen. Baranow quälte sich aus der Kutsche, fluchte gotteslästerlich über die Hitze und den Dummkopf von einem Kutscher und bot dann Sonja seine Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Die Hand glühte vor Wärme, so dass sie sich mit dem Aussteigen beeilte, um so rasch wie möglich wieder von ihm loszukommen. Sergej stieg zuletzt aus, reckte die eingeschlafenen Glieder und strich seine Uniform glatt. Er musste jedoch feststellen, dass die Augen der Bediensteten und auch die des dürren, schwarzbärtigen Verwalters keineswegs auf seine glänzende Erscheinung gerichtet waren. Nein, Sonja war es, die die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Ja, sie war so, wie man gesagt hatte. Schön wie eine Zarentochter, mehr noch: wie ein Zauberwesen aus den Märchen, die an den Abenden neben dem Ofen erzählt wurden. Rötlich schimmerte das lange seidige Haar in der Abendsonne, blass und zart war ihr Gesicht, und die blauen Augen blickten ernst. Ach, und erst das kostbar schimmernde hellgrüne Kleid mit den feinen Spitzen an Ärmeln und Dekolleté! Die Mägde flüsterten leise miteinander, und die jungen Knechte starrten mit verzückten Augen auf die junge Braut.
„Was glotzt ihr, verdammtes Gesindel!“, brüllte Baranow wütend. „Ladet das Gepäck ab! Und wehe, es geht dabei etwas zu Bruch!“
Der Verwalter Sarogin überschlug sich fast dabei, die Knechte herumzuscheuchen und schlimmste Strafen anzudrohen, falls auch nur ein einziges Gepäckstück beschädigt werden würde.
„Es ist alles bereit für Eure Ankunft“, sagte er untertänig und verbeugte sich immer wieder. „Wir sind glücklich über die hohe Ehre des Besuchs und haben keine Mühen gescheut, die hohen Herrschaften zufrieden zu stellen. Es ist ein Essen zubereitet worden, die Betten sind gemacht und die Kissen geschüttelt …“
„Schon gut – geh voraus“, knurrte Baranow, dem das Geschwätz zuviel wurde. „Und lass ein Bad für die Herrin richten. Wir sind staubig von der Reise.“
Der Verwalter trieb die Mägde in die Küche und stolperte im Übereifer über die Stufen der überdachten, kunstvoll geschnitzten Veranda.
„Ein Bad“, murmelte eine der Mägde und stieß eine andere in die Seite. „Kann’s nicht erwarten, seine Lust auszutoben. Armes Vöglein, scheint noch nicht zu wissen, was ihr blüht.“
„Halt’s Maul“, zischte die andere. „Soll er sich mit ihr vergnügen – die Hauptsache ist, er lässt uns in Ruhe!“
***
Geschäftige Betriebsamkeit erfüllte das Gutshaus. Bedienstete trugen Kisten und Pakete die engen Stiegen hinauf, Mägde schleppten hölzerne Wassereimer, Speisen wurden vorübergetragen, in der Wohnstube brodelte trotz der Hitze der Samowar. Baranow hatte im oberen Stockwerk rasch die unbequemen Stiefel von sich geworfen, die Kleidung gewechselt und sich den Staub von Gesicht und Händen gewaschen. Dann ließ er sich auf einem Stuhl nieder und lauschte. Ein schwerer Gegenstand wurde durch den Flur geschleppt, er hörte die Bediensteten keuchen, eine Frauenstimme schalt, weil man die hölzerne Schnitzerei des Treppengeländers gestreift hatte – der Badezuber wurde hinaufgetragen. Baranow lehnte sich im Stuhl zurück und spürte genüsslich, wie das Verlangen in ihm anstieg. Sie war unschuldig wie ein kleines Mädchen und vollkommen ahnungslos – gerade das war der Reiz, der ihn so fesselte. Er war überrascht gewesen, an dem lasterhaften Zarenhof solch ein bezaubernd naives Wesen zu entdecken. Katharina war eine kluge, gebildete Herrscherin, gleichzeitig jedoch eine unersättliche, liebeshungrige Frau. Jedermann wusste, dass die Zarin am Abend ihren neuen Liebhaber Potjomkin empfing, einen heißblütigen Kraftmenschen, der glühende Leidenschaft in ihr entfachte. Auch die Hofdamen hatten ihre heimlichen oder öffentlichen Amouren – es war fast ein Wunder, dass Sonja von all dem völlig unberührt geblieben war. Baranow hatte sie oft genug betrachtet und war Frauenkenner genug, um sich ihren unbekleideten Körper vorstellen zu können. Sie hatte eine schlanke, biegsame Taille und weich geschwungene Hüften, wie er es an den Frauen liebte. Auch waren ihre Brüste sicher voller, als es unter dem eng gezogenen Schnürlaibchen den Anschein hatte. Er spürte, wie sein Glied langsam anschwoll, und strich wohlig mit der Hand darüber, tastete über die dicke Eichel und stieß die Luft mit leisem Stöhnen durch die Zähne. Er würde es ganz sicher nicht bis übermorgen aushalten, dazu war die Gelegenheit viel zu verlockend. Er hatte befohlen, Sonja in einem Zimmer einzuquartieren, das direkt neben seinem eigenen lag. Es gab eine schmale Verbindungstür, so dass er ganz nach Belieben bei ihr eintreten konnte. Wieder wurde drüben die Türklinke betätigt, und er hörte die schweren Schritte einer Magd, die einen Wassereimer trug. Die Wanne wurde gefüllt.
Zu seinem Ärger klopfte es jetzt. Er richtete sich im Stuhl auf, blieb breitbeinig sitzen und knurrte:
„Was ist?“
Mit leisem Knarren öffnete sich seine Zimmertür, und der Verwalter Sarogin schob seine spitze Nase hinein.
„Verzeiht, wenn ich Euch störe. Aber es gibt eine Kleinigkeit, die ich Euch noch berichten muss“, sagte er mit dünner Stimme und betrat zögernd, in leicht gebückter Haltung den Raum.
„Was gibt’s denn? Tust ja so geheimnisvoll, Kerl.“
Sarogins Miene war voller Schuldbewusstsein, so, als bitte er schon von vornherein um Gnade. Baranow ahnte, dass es keine gute Nachricht sein würde, die er jetzt erfuhr.
„Ich habe geschwiegen, um das gnädige Fräulein Braut nicht zu erschrecken. Deshalb komme ich erst jetzt, um Euch die Sache in aller Ruhe zu melden. Es ist so, dass wir einen Gefangenen im Keller haben.“
Baranow senkte die Augenbrauen und starrte seinen Verwalter an, als wollte er ihn auffressen.
„Einen Gefangenen? Bist du besoffen Igor Borisowitsch Sarogin? Was für einen Gefangenen?“
Der Verwalter trat von einem Fuß auf den anderen und hätte viel darum gegeben, jetzt davonlaufen zu können, denn Baranow war für seinen Jähzorn bekannt.
„Was sollte ich tun? Heute früh kam ein Trupp Soldaten durchs Hoftor geritten, in ihrer Mitte ein hölzerner Käfig und darin ein gefangener Kosak. Waren Soldaten von Mütterchen Zarin, große Kerle in schönen Uniformen – und was für Pferdchen die geritten haben – eine Freude war’s zu sehen, Herr …“
„Schweif nicht ab“, knurrte Baranow. „Sie haben also einen verfluchten Kosaken gefangen. Warum haben sie ihm nicht gleich die Kehle durchgeschnitten, he? Wozu in einen Käfig gesteckt?“
„Es ist ein wichtiger Gefangener“, erklärte Sarogin. „Andrej Bereschkoff – der Anführer der aufrührerischen Dnjepr Kosaken. Sie werden ihn nach Petersburg bringen und ihm dort den Kopf abschlagen. Damit das Volk sieht, dass Mütterchen Zarin mit allen, die gegen sie aufzustehen wagen, kurzen Prozess macht.“
Baranow schnaufte vor sich hin. Die Sache schien ärgerlich zu sein, vielleicht sogar gefährlich. Er hatte von Bereschkoff gehört – ein junger Draufgänger, der wie viele andere davon überzeugt war, dass Zar Peter noch lebte und bereit war, sein Volk zum Aufstand gegen Katharina zu führen. Baranow wusste es besser: Katharina hatte ihren Ehemann Peter in einem raschen Militärputsch entmachtet, und der Unglückliche war längst in seinem Gefängnis zu Tode gekommen. Der falsche Zar Peter war niemand anderes als der dreckige Donkosak Pugatschoff.
„Was tut der Kerl dann bei uns?“
„Die Soldaten mussten weiterreiten, Herr“, erklärte Sarogin und machte einen Kratzfuß. „Weil Nachricht kam, dass es ein Scharmützel gegen die Aufständischen gleich in der Nähe gab, und sie die Truppen unterstützen sollten. Da haben sie ihren Gefangenen bei uns im Keller gelassen und wollen ihn morgen wieder holen. Mit unserem Kopf haften wir dafür, dass er nicht entkommt. So haben sie mir gesagt, die Herren Offiziere.“
„Verfluchte Sache!“, brummte Baranow, den inzwischen weniger der Gefangene beunruhigte als die Tatsache, dass sich der Kosakenaufstand dieses elenden Schwindlers Pugatschoff bereits bis in die direkte Umgebung seines Besitzes gezogen hatte. Es war kaum zu glauben, aber die aufständischen Kosaken wuchsen wie die Pilze aus dem Boden und schienen überall zu sein.
„Wird der Kerl gut bewacht?“
„Er ist im Keller so sicher wie im tiefsten Verlies der Peter-und-Paul-Festung. Drei Männer stehen Wache, zudem ist er ja noch in seinem Käfig eingesperrt. Er müsste der Teufel selber sein, um sich aus diesem Gefängnis herauszuschleichen.“
Es war eine lästige Angelegenheit, besonders jetzt, da er eigentlich andere Dinge vorgehabt hatte. Gerade wurde drüben ein weiterer Eimer hineingetragen, und er konnte hören, wie die Magd das Wasser in die Wanne goss. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis Sonja in ihr Bad stieg. Nackt, wie Gott sie geschaffen hatte. Sein Glied regte sich schon wieder, was ihn trotz der Anwesenheit seines Verwalters keineswegs störte.
„Geh voran – ich will mich überzeugen, dass im Keller alles in Ordnung ist.“
Sarogin huschte auf den Flur hinaus und stieß dort fast mit der Magd zusammen, die mit dem leeren Wassereimer wieder die Stiege hinabsteigen wollte.
„Mach die Augen auf, dumme Kuh“, keifte er sie an, so dass sie sich erschreckt in eine Ecke drückte.
Unten im Keller war flackernder Lichtschein zu sehen. Die drei Wächter hatten eine Fackel in eine Wandhalterung geklemmt und starrten Sarogin, der mit Baranow im Gefolge auftauchte, ängstlich entgegen. Es waren drei junge Leibeigene, die eigentlich bei der Erntearbeit auf den Feldern gebraucht wurden, jetzt aber schon den ganzen Tag über hier unten im Keller hockten, um einen gefangenen Kosaken zu bewachen. Sie waren nur mit Messern und Knüppeln bewaffnet – selbst wenn man den einfältigen Burschen eine Büchse in die Hände gegeben hätte, so hätten sie doch nichts damit anzufangen gewusst. Baranow war klar, dass die drei jungen Kerle kaum Widerstand leisten würden, falls eine Gruppe Kosaken auf die Idee käme, ihren Kameraden zu befreien.
„Halte die Fackel dichter heran, damit ich ihn sehen kann.“
Der Gefangene war jung und kräftig, er saß ruhig in seinem hölzernen Käfig, den Rücken an die Stäbe gelehnt, den Blick voller Verachtung auf die beiden Männer gerichtet, die ihn bei erhobener Fackel beäugten. Das dichte schwarze Haar hing ihm in die Stirn. Sein Hemd war zerfetzt, und am Arm schien er eine Verwundung zu haben. Man hatte ihn nicht einmal gefesselt.
Baranow spürte einen instinktiven Hass bei dem Anblick des Gefangenen. Der Bursche mit seinem Dreitagebart sprühte trotz seiner schlimmen Lage vor Kraft und Energie. Ganz offensichtlich war er kein Dummkopf sondern einer, der gewohnt war, Pläne auszuhecken und andere anzuführen. Hol’s der Teufel, die zaristischen Offiziere hatten ihm da ein höchst gefährliches Ei ins Nest gesetzt. Seine einzige Hoffnung war, dass man den Kerl recht bald wieder abholen würde, bevor seine Kameraden von seinem Aufenthaltsort erfuhren. Einem Kosakenüberfall würde er mit den paar Bediensteten auf Pereschkowo nicht lange Widerstand leisten können.
„Lass die Wachen gut versorgen und tausche sie gegen Mitternacht gegen drei andere aus – aber keinen Tropfen Wodka, verstanden?“
„Natürlich nicht. Das wäre Selbstmord, wenn die jetzt zu saufen anfingen.“
Er nickte den drei Aufpassern zu, die wichtige Mienen machten und sich vermutlich eine gute Belohnung ausrechneten, falls sie ihren Auftrag zur Zufriedenheit ihres Herrn erfüllten. Er befahl Sarogin, zwei Leute am Tor zu postieren und aufmerksam zu sein, falls die Hunde anschlugen. Mehr konnte er nicht tun. Dann stapfte er die Treppe hinauf, blieb einen kurzen Moment vor Sonjas Zimmertür stehen, um zu lauschen. Es war nichts zu hören, doch er war sich fast sicher, den feinen Duft von Rosenwasser zu riechen, der in der Kutsche ihrem Kleid entströmt war. Die Lust überkam ihn mit solcher Macht, dass ihm das Blut in den Ohren rauschte.
***
Das stickige Zimmer, das mit alten, düsteren Möbeln eingerichtet war, gefiel Sonja nicht sehr. Doch sie war unendlich froh, wenigstens für kurze Zeit vor Baranows lästigen Blicken und seinen plumpen Annäherungen sicher zu sein. Erschöpft ließ sie sich auf dem breiten, geschnitzten Bett nieder, schrak zusammen, weil es fürchterlich knarrte, und versuchte sich dann zu entspannen. Es gelang ihr nur schlecht, denn der Raum schien eher ein Gefängnis als ein Schlafzimmer zu sein.
Man hatte die schweren dunkelroten Vorhänge zugezogen, um die sommerliche Hitze abzuhalten. Der Stoff war alt und roch muffig – vermutlich wurde dieser Raum nur selten benutzt, da Baranow dieses Gut äußerst selten bewohnte. Er residierte auf Gut Welikowo, das eine Tagereise entfernt lag und – so hatte er ihr berichtet – sehr viel größer und prächtiger sei als Pereschkowo. Ein großes Herrenhaus würde sie dort vorfinden, aus Stein erbaut und aufs Teuerste eingerichtet. Nicht einmal die Zarin selbst besäße solch kostbare Möbel und Tapeten, denn Baranow habe sie eigens aus Frankreich kommen lassen.
Sonja hatte ihm damals mit kindlicher Begeisterung zugehört, ja sie war sogar ein wenig stolz auf ihren reichen Bräutigam gewesen, um den sie nicht wenige ihrer Freundinnen bei Hofe beneideten.
„Das große Los hast du gezogen, mein Täubchen“, hatte die Wolkonskaja mit säuerlicher Miene gesagt. Artemisia Wolkonskaja war nicht mehr ganz jung, wenn auch noch immer schön und verführerisch, und man sagte von ihr, dass sie eine Weile gehofft habe, Fürstin Baranskaja zu werden. Sonja wäre jetzt ohne Weiteres bereit gewesen, ihr dieses Glück zu schenken. Immer deutlicher wurde ihr, was für ein Mensch Baranow war. Wie untertänig und furchtsam seine Bediensteten sich ihm gegenüber verhielten, wie der Verwalter ihm schmeichelte und vor ihm buckelte – das alles widerte sie an. Das ganze Gut atmete den düsteren Dunst dieses Mannes, und sie spürte nur allzu deutlich, dass es noch Dinge gab, die man bisher vor ihr geheim hielt. Wären da nicht ihre Eltern gewesen, die den letzten Rubel zusammengerafft hatten, um sie als Hofdame standesgemäß auszustatten – und die nun auf dem Höhepunkt des Glücks schwebten, weil die Tochter die erhoffte reiche Partie gemacht hatte – Sonja wäre gern davongelaufen.
Sie fuhr zusammen, als es draußen im Flur rumpelte und jemand an die Tür klopfte.
„Das Bad – Euer Gnaden.“
Es war eine der jungen Mägde, eine schmale Person mit großen hellblauen Augen und feinem blondem Haar, das unter einer merkwürdig geformten Haube hervorquoll. Sie lächelte Sonja schüchtern zu, und Sonja spürte zum ersten Mal an diesem Tag, dass ihr jemand ein wenig menschliche Wärme entgegenbrachte.
„Es ist recht“, sagte sie freundlich und nickte der jungen Frau zu. Dann beobachtete sie neugierig, wie der oval geformte hölzerne Badezuber von zwei Bediensteten in den Raum getragen und vorsichtig neben dem Bett abgestellt wurde.
„Wünscht Ihr das Wasser recht heiß?“, erkundigte sich die Magd.
„Nicht gar so heiß“, meinte Sonja lächelnd. „Schließlich hatten wir auf der Reise genügend unter der Hitze zu leiden.“
Die Magd versuchte ungeschickt einen Knicks zu machen und lief geschäftig aus dem Zimmer. Sonja erhob sich von dem Bett und ging zum Fenster, um den Vorhang zur Seite zu schieben.
Man konnte von hier aus den staubigen Hof des Anwesens überblicken, der mit einer hölzernen Palisade umgeben war, an die sich einige niedrige Nebengebäude lehnten. Es begann schon zu dämmern. Ein hoch beladenes Pferdefuhrwerk mit reifen Garben passierte das Tor. Sonja sah zu, wie die jungen Burschen, die nur mit einer weiten Hose bekleidet waren, vom Wagen herabsprangen und die Ernte in die Scheune zu tragen begannen. Wieder bewunderte sie die kräftigen muskulösen Gestalten der Bauernburschen. Als sie hörte, dass die Zimmertür wieder geöffnet wurde, wandte sie sich um. Die junge Magd schleppte zwei schwere Eimer, stellte sie neben der Wanne ab und goss das heiße Wasser in den Zuber. Feiner Dampf stieg auf, den Sonja begierig einatmete. Ja, ein erfrischendes Bad würde eine Wohltat sein nach all den Anstrengungen und Unwegsamkeiten dieser Reise.
Die Magd schwitzte von der Anstrengung, fuhr sich mit der Hand über die Stirn, um die kitzelnden Härchen beiseite zu streichen und sah dabei neugierig zu Sonja hinüber.
„Was schaust du mich an?“, fragte Sonja schmunzelnd.
Die Magd errötete und griff rasch nach den Eimern.
„Ihr seid schön“, murmelte sie mit abgewandtem Gesicht. „Ich bete zu Gott, dass er Euch schützen möge.“
Sonja hielt das für eine fromme Formel, die aus Freundlichkeit gesagt wurde. In ihrem Inneren war sie jedoch beunruhigt. Wovor sollte Gott sie schützen? Gab es denn eine Gefahr, die auf sie lauerte?
„Auch du bist schön“, gab sie zurück. „Es ist mir gleich aufgefallen.“
Die Magd schüttelte energisch den Kopf und trat ein paar Schritte zurück, als sei sie erschrocken.
„Ich? Oh nein, Euer Gnaden. Ich bin nicht schön. Es wäre auch nicht gut für mich, eine Schönheit zu sein.“
„Warum denn nicht?“, wunderte sich Sonja. „Es gibt doch sicher dort unten einen jungen Burschen, dem du gefallen möchtest, oder nicht?“
Über das Gesicht der jungen Magd huschte ein kurzes Lächeln, doch sie war gleich wieder ernst.
„Schönheit ist ein Fluch“, sagte sie leise und lief mit den leeren Eimern davon.
Sonja blieb ein wenig fassungslos am Fenster stehen, dann zuckte sie die Schultern und sagte sich, dass diese junge Person recht altklug und seltsam daherredete. Sie begann im Raum umherzugehen, schaute neugierig in eine Kommodenschublade und wunderte sich über die feinen Spitzenunterröcke, die dort gestapelt waren. Dann öffnete sie den großen Schrank, der altmodische Frauenkleider enthielt. Sie verströmten einen seltsam süßlichen Geruch, der ihr unangenehm war, und sie drückte die Schranktür rasch wieder zu. Neben dem Schrank gab es einen geblümten Vorhang aus einem glänzenden Seidenstoff, und dahinter entdeckte sie eine kleine Tür, die weder Klinke noch Schloss hatte und sich nicht bewegen ließ. Ein Wandschrank? Aber wieso konnte man ihn nicht öffnen? Sie zuckte die Schultern, ließ den Vorhang wieder vor die Tür gleiten und wollte sich schon umwenden, als sie einen dunklen Gegenstand dicht neben dem Vorhang an der Wand hängen sah. Es war eine ledergeflochtene Peitsche – ein Kantschu, wie man ihn verwendete, um die Leibeigenen zu bestrafen.
Verunsichert ging sie wieder zum Bett zurück, um sich darauf niederzulassen. Es war inzwischen sehr dämmrig im Zimmer, und sie war froh, dass die junge Magd, die mit zwei weiteren Wassereimern eintrat, eine Kerze entzündete.
„Wünschen Euer Gnaden, dass ich Euch helfe?“
„Nein – ich komme schon allein zurecht.“
Ein seltsames Schamgefühl hielt sie davon ab, sich der jungen Frau nackt zu zeigen. Das Bad war gerichtet, es gab einen dicken Badeschwamm und eine Schale mit leicht nach Rosen duftender Seife, dazu ein großes weißes Badetuch. Sonja prüfte vorsichtig die Wassertemperatur und empfand sie genau richtig – nicht zu heiß und nicht zu kühl. Sie wartete, bis die Magd das Zimmer verlassen hatte, versicherte sich, dass die Vorhänge am Fenster sorgfältig geschlossen waren, und stieg dann aus den bestickten Schuhen. Langsam begann sie ihr Kleid aufzuhaken, hielt immer wieder inne und lauschte in den Flur, doch es war niemand zu hören. Vorsichtig streifte sie die spitzenbesetzten, halblangen Ärmel herab und schlüpfte aus dem Kleid heraus. Es war angenehm, von dem schweren Stoff befreit zu sein. Sie rieb sich die Oberarme und zog die Schleife der Korsettschnur auf. Obgleich sie sich niemals sehr fest schnüren ließ, war sie doch erlöst, als der Druck auf Brüste und Oberkörper sich lockerte, und sie wieder frei atmen konnte. Sie löste die Unterröcke und streifte gerade das dünne Hemd ab, da vernahm sie plötzlich ein scharrendes Geräusch im Flur und erschrak. War es die junge Magd, die ihr noch irgendetwas bringen wollte? Oder einer der Bediensteten? Plötzlich bekam sie panische Angst, legte die Hände über den halb entblößten Busen und lauschte voller Furcht auf weitere Geräusche. Doch es blieb alles still, und sie schalt sich eine Närrin. Warum sollte sie es stören, wenn die junge Magd ins Zimmer kam? Schließlich war sie eine Bedienstete und hatte den Auftrag, ihr beim An- und Auskleiden zu helfen. Sie würde jetzt ein kurzes Bad nehmen und sich dann von ihr rasch wieder ankleiden lassen.
Hastig zog sie das Hemd und die Strümpfe aus, stieg nackt in den Zuber, spürte die angenehme Wärme des Wassers und setzte sich hinein. Der Zuber war nicht sehr lang, sie musste mit angezogenen Knien sitzen, das Wasser ging ihr gerade bis zur Taille, umspielte sacht ihren Nabel, und wenn es sich kräuselte, entstanden im Schein der Kerze flimmernde Lichtpünktchen auf der Wasseroberfläche. Sie schöpfte sich mit den Händen kleine Kaskaden auf Schultern und Brüste, genoss das Gefühl, den scheußlichen Reisestaub endlich loszuwerden, und griff nach dem Schwamm.
Plötzlich hörte sie wieder das Scharren. Dieses Mal kam es nicht vom Flur her, sondern von der Wand zu ihrer Rechten. Sonja erstarrte. Ihr wurde plötzlich klar, dass die Tür hinter dem Vorhang kein Wandschrank, sondern eine Verbindungstür sein musste. Jemand hatte sie geöffnet. Noch bevor sie den Kopf wandte, wusste sie instinktiv, dass es nicht die junge Magd war. Es waren die schweren Schritte eines Mannes.
„Du bist süß und verlockend, kleine Wassernixe!“
Sie stieß einen Schrei aus, als Baranow neben den Zuber trat und genüsslich grinsend auf sie herabsah. Er trug nur das weite Hemd und die Kniehosen, die sich eng um seine Hüften spannten. Etwas Dickes, Längliches wölbte sich unter dem straffen Stoff.
„Was erlaubt Ihr Euch“, rief sie wütend und versuchte, ihre bloßen Brüste vor seinen Blicken zu verbergen. „Verlasst das Zimmer! Ich ersuche Euch, das Zimmer sofort zu verlassen!“
Sein Gesicht glühte. Ohne auf ihre Empörung zu reagieren, fasste er ihr langes Haar im Nacken und zwang sie, zu ihm hochzusehen.
„Hör zu, meine süße Braut. Du wirst in zwei Tagen eine der reichsten Frauen Russlands sein. Dafür verlange ich, dass du dich meinen Wünschen fügst. Und zwar allen – ohne Ausnahme.“
„Ich denke nicht daran!“, rief sie zornig.
Niemals in ihrem ganzen Leben hatte ein Mensch sie so erniedrigend und grob behandelt. Sie fasste ihr Haar mit einer Hand und versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien.
„Lasst mich los, oder ich schreie um Hilfe!“, drohte sie und versuchte sich loszureißen. Doch der Griff seiner dicken Faust war eisern.
Er lachte tief und dröhnend, ihr Widerstand schien ihm Vergnügen zu bereiten.
„Fauche nur, mein Kätzchen“, sagte er und hielt sie nur umso fester. „Wie hübsch deine bloßen Brüste tanzen, wenn du so herumzappelst. Schrei nur, es wird niemand kommen – denn ich bin der Herr und tue, was mir gefällt.“
Entsetzt begriff sie, dass sie ihm vollkommen ausgeliefert war. Nackt, ohne die schützende Hülle der Kleidung, viel zu schwach, um sich gegen den kräftigen Mann zu wehren, und ohne jegliche Hoffnung, dass jemand es wagen würde, ihr zu Hilfe zu eilen.
„Macht mit mir, was Ihr wollt“, sagte sie, und ihre Unterlippe zitterte. „Aber ich werde Euch nicht gehorchen. Niemals werde ich das.“
Sie spürte, wie er ihr Haar fester fasste und daran zog. Es tat höllisch weh, doch sie widerstand dem Schmerz und biss die Zähne zusammen.
„Weißt du, wie man hierzulande mit ungehorsamen Frauen verfährt?“, zischte er. „Man treibt sie mit der Peitsche nackt durchs Dorf, bis sie sich besinnen und vor ihrem Herrn in den Staub sinken. Willst du das?“
Sie erbebte. Von solch grausamen Bestrafungen hatte sie gehört, doch da hatte es sich um Ehebrecherinnen gehandelt, die von ihrem Mann auf diese Weise gezüchtigt wurden. Niemals jedoch hatte man solch eine Zeremonie an einer Frau von Stand und Adel durchgeführt.
„Ihr seid ein Teufel! Glaubt nicht, dass ich jemals Eure Frau werde. Lieber sterbe ich!“
Wieder lachte er, und sie spürte erschaudernd, dass er sich an ihrer Verzweiflung und Scham weidete.
„Raus aus der Wanne, meine Schöne. Ich will dich anschauen.“
Sie krallte sich mit den Fingern an den Wänden des hölzernen Badezubers fest.
„Nein!“
„Soll ich dich an den Haaren herauszerren? Das kannst du haben.“
Ein stechender Schmerz ließ sie fast besinnungslos werden. Mit beiden Händen griff sie nach ihrem Haar und versuchte es festzuhalten. Da hatte er sie schon aus dem Zuber herausgerissen und gegen die Wand geschleudert. Im Fallen griffen ihre Hände instinktiv nach einem Halt, fassten den schweren Samt des Fenstervorhangs und rissen ihn herab, als sie zu Boden stürzte.
Einen Moment lag sie wie betäubt, ihr Kopf schmerzte, Tausende von Nadeln schienen in ihre Kopfhaut zu stechen. Dann bemerkte sie, dass er über ihr stand. In seiner Rechten hielt er die Peitsche, die sie an der Wand gesehen hatte.
„Steh auf!“
Sie kauerte sich zusammen und versuchte ihren nackten Körper mit dem Vorhang zu bedecken.
„Nein!“
„Du hast zu gehorchen. Steh auf, ich bin dein Herr und will dich betrachten.“
„Ihr seid nicht mein Herr und werdet es niemals sein!“
Sein rotes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Er hob den Arm und ein Peitschenhieb sauste auf Sonjas bloße Schulter. Es war, als habe jemand einen glühenden Feuerhaken über ihre Haut gezogen – sie schrie leise auf, doch sie rührte sich nicht aus ihrer kauernden Stellung. Stattdessen zog sie den Stoff enger um ihren Körper und verbarg sich zitternd darunter.
„Weg mit dem Lappen! Soll ich ihn dir vom Leibe peitschen?“
Wieder schlug er zu, traf jedoch nur den Vorhangstoff und ihren rechten Fuß, der daraus hervorlugte. Er sah ein, dass er auf diese Weise nichts ausrichten würde. Die Kleine war zäher, als er geglaubt hatte.
„Nicht meine Frau werden?“, höhnte er. „Das wirst du dir gut überlegen, meine Schöne. Ein Wort von mir, und die Zarin wird deinen Bruder degradieren, ja, ins Gefängnis werfen lassen. Ein Wink von mir, und deine Eltern ziehen in Lumpen und am Bettelstab durchs Land. Willst du das wirklich, Sonjeschka?“
Sie spürte, wie ihr die Tränen der Verzweiflung über die Wangen rannen. Seine Drohung war ernst zu nehmen. Er konnte sie alle vernichten, wenn er nur wollte. Oh Himmel, mit welch einem Menschen hatten sie sich eingelassen!
„Ihr seid ein Tier, Ossip Arkadjewitsch. Ein Teufel in Menschengestalt. Der Herr wird Euch richten, dessen bin ich gewiss!“
Er lachte grob, bückte sich urplötzlich und riss an dem Vorhangstoff, der sie vor ihm verbarg. Sie hielt mit aller Kraft fest, wurde jedoch ein Stück weit zu ihm herangezerrt.
„Steh jetzt auf und zeige dich mir, so wie ich es haben will.“
„Niemals werde ich das freiwillig tun!“
„Dann willst du also, dass ich deine Familie vernichte?“
Nein, das konnte sie denen, die sie liebte, nicht antun. Lieber wollte sie sterben, als der Anlass für das Unglück ihrer Eltern zu sein. Sie raffte das Tuch enger um sich zusammen und stand langsam auf. Baranow sah ihr mit zufriedenem Grinsen dabei zu. Hatte er es doch gewusst, dass sie so zu packen war.
„Dort an die Wand, meine kostbare Braut. Lass das Tuch ganz langsam heruntersinken, damit ich deine Reize genießen kann. Und vergiss nicht, dass ich den Kantschu zu gebrauchen weiß.“
Zitternd stand sie, presste den Rücken an die Wand und sah sich verloren. Sein gieriger Blick schien sie förmlich verschlingen zu wollen, wollüstig hatte er den Mund halb geöffnet, seine feisten Lippen waren feucht. Sie schloss die Augen, um ihn nicht sehen zu müssen, hatte das Gefühl, auf eine Richtstätte gehen zu müssen, um dort ihr Leben zu lassen.
„Los, du Hure. Oder soll ich nachhelfen?“
Die Hand, mit der er die Peitsche hielt, zuckte – doch er schlug nicht zu. Stattdessen trat er einige Schritte zurück, um sie besser betrachten zu können, stieß dabei jedoch mit einem Fuß heftig gegen den hölzernen Zuber und kam ins Straucheln.
Sonja hörte ein klatschendes Geräusch, öffnete die Augen und sah, dass Baranow hinterrücks in den Badezuber gestürzt war. Blitzartig erfasste sie die Lage. Nur fort von hier! Hastig flüchtete sie zur Tür und eilte – das Tuch fest um den Körper gewickelt – durch den engen Flur die Stiege hinab.
Sie war kaum unten angelangt, da hörte sie schon Baranows wütende Schreie, und sie konnte sich gerade noch in eine dunkle Ecke drücken, als die Bediensteten schon an ihr die Stiege hinaufrannten, um nachzusehen, was mit dem Herrn geschehen war.
Mit wild klopfendem Herzen stand sie, lehnte den Kopf an die hölzerne Wand. Panik beherrschte sie. Nur fort, sich verbergen, niemals wieder in die Hände dieses Menschen fallen. Lieber sich in den Fluss stürzen oder sich im tiefsten Loch verkriechen. Sie spürte eine Stufe unter ihrem nackten Fuß und folgte der Treppe nach unten, bis ein flackernder, rötlicher Schein vor ihr auftauchte. Oh Gott – dort unten waren Leute – man würde sie entdecken. Schon wollte sie sich umwenden, um die Treppe wieder hinaufzuflüchten, da vernahm sie Baranows heiseres Gebrüll.
„Sucht sie überall – sie muss im Haus sein. Schleppt sie an den Haaren herbei. Soll ich euch noch Beine machen, faules Pack?“
Gepolter über ihr, die Bediensteten beeilten sich, den Befehl auszuführen. Verzweifelt lief sie die Treppe hinunter. Es gab keine Rettung, sie war verloren. Ein Kellergewölbe tat sich vor ihr auf, von einer Fackel beleuchtet. Drei Männer erhoben sich vom Fußboden, starrten sie ungläubig mit verschlafenen Augen an.
„Was … wer bist du?“, fragte einer.
Ihr Blick irrte verzweifelt durch den Raum und erfasste einen seltsamen hölzernen Käfig, in dem sich eine dunkle Gestalt regte. Die unheimliche Erscheinung steigerte ihre Angst noch mehr, zitternd stand sie, jeden Augenblick erwartend, dass man sich auf sie stürzen würde, um sie zu töten. Da hörte sie schon Baranows heisere Stimme hinter sich.
„Raus hier!“, brüllte er die drei Männer an. „Verschwindet, bis ich euch rufe. Nun macht schon.“
Die drei Burschen gehorchten ohne eine einzige Frage, zogen die Köpfe ein und liefen an ihr vorbei die Treppe hinauf. Baranow vertrat ihr den Weg und ging langsam und schwer atmend auf sie zu. Hemd und Hose waren nass, nur die weiten Ärmel waren trocken geblieben. Sein Gesicht war dunkelrot und von unbändiger Wut verzerrt. Noch niemals hatte er eine solch lächerliche Niederlage hinnehmen müssen. Dafür sollte sie büßen, diese widerspenstige Person.
Sie wich vor ihm zurück, wohl wissend, dass sie keine Chance hatte. Er würde sie schlagen und quälen, so wie er Lust hatte. Sollte er sie doch töten, dann hatte alles Leiden ein Ende. Als sie die kalte Steinwand des Kellers im Rücken spürte, wusste sie, dass das Ende gekommen war.
Baranow, der eben noch vor Wut geschäumt hatte, begann jetzt die Lage zu genießen. Wie sie zitterte! Wie ängstlich sie vor ihm zurückwich! Er spürte die Blicke des Gefangenen in seinem Rücken und hatte doppelten Spaß daran, seine junge Braut vor den Augen dieses Mannes zu nehmen.
Sie konnte nicht weiter zurückweichen. Er griff triumphierend nach dem Tuch und riss es ihr mit einem harten Ruck vom Körper. Nackt stand sie vor ihm, versuchte Brüste und Scham zu verbergen, und er weidete sich an diesem Anblick. Dann drängte er sich an sie, umfasste ihren Körper mit harten Händen, massierte ihre Brüste und zwang ihre Schenkel mit dem Knie auseinander. Hastig riss er an seinem Hosenbund, um sein steifes Glied zu befreien, da hörte er hinter sich ein lautes Knacken – Holz splitterte.
Bevor er herumfahren konnte, traf ihn ein kräftiger Schlag auf den Schädel, und er sank besinnungslos zu Boden.
Halb betäubt starrte Sonja auf den großen Mann, der noch immer die Holzlatte in den Händen hielt, mit der er Baranow zu Boden geschlagen hatte. Ihr Verstand stand still, sie war unfähig zu begreifen, was geschehen war. War das ein Teufel oder ein Geist? Träumte sie, oder hatte sie der Irrsinn erfasst? Der Mann trat einige Schritte näher, strich sich das dunkle Haar aus der Stirn und sah sich um. Schwarze Augen glitten über ihren entblößten Körper, dann bückte er sich und hob das Tuch auf, das Baranow zur Seite geworfen hatte.
„Das gehört Euch, glaube ich“, sagte er mit tiefer, warmer Stimme.
„Sonja? Bist du wach?“
Die Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. Sie blinzelte und sah gleißende Sonnenstreifen, die sich durch die Ritzen zwischen den dicken Vorhängen ins Zimmer stahlen. Ermüdet schloss sie wieder die Augen. Warum konnte man sie nicht in Ruhe lassen? Es war schön, in der kühlen, sanften Dunkelheit zu schweben, ohne Ängste, ohne Qualen, frei und leicht im unendlich weiten Raum wie auf dem Grund des Meeres.
„Sonjeschka – du musst jetzt aufwachen. Es ist Zeit abzureisen.“
Die Stimme ihres Bruders war ungewohnt freundlich, sogar ein wenig besorgt. Sie öffnete die Augen und sah sein schmales Gesicht, das sich über sie beugte. Sergej zeigte seine Gefühle fast nie, jetzt aber blickten seine Augen mit leiser Anteilnahme auf sie herab.
„Du hast Schlimmes durchgemacht, Sonja. Aber du wirst darüber hinwegkommen. Steh jetzt auf und iss etwas – wir müssen gleich aufbrechen.“
Mit einem Schlag wurde ihr wieder bewusst, was geschehen war. Sie richtete sich hastig auf und sah sich um. Sie befand sich im gleichen Zimmer, in dem Baranow sie überfallen hatte, lag völlig angezogen auf dem Bett, halb zugedeckt mit einer bestickten Leinendecke. Ein Schüttelfrost befiel sie so stark, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen.
„Aufbrechen?“, stammelte sie. „Wohin?“
Sergej zog sich einen Stuhl herbei und setzte sich neben ihr Bett. Vorsichtig nahm er ihre Hand, und als er spürte, wie sie zitterte, wurde er wirklich besorgt.
„Beruhige dich, Sonja. Was geschehen ist, wird sich nicht wiederholen. Auf der Reise nach Welikowo werden wir von zaristischen Soldaten eskortiert werden, die uns beschützen. Es wird dir nichts mehr geschehen.“
Verwirrt sah sie ihn an. Was redete er da?
„Nach Welikowo?“, murmelte sie. „Nein, Sergej. Ich werde nicht dorthin reisen. Niemals. Lass uns zurück nach St. Petersburg fahren, ich bitte dich.“
Er drückte ihre Hand und lächelte beruhigend wie zu einem Kind.
„Ich verstehe deine Angst, Sonja. Aber wenn du erst Ossip Arkadjewitsch Baranins Frau bist …“
Sie zuckte so heftig zusammen, dass er erschrak.
„Ich werde niemals seine Frau werden. Lieber sterbe ich“, stieß sie hervor.
Auf der Stirn ihres Bruders erschienen zwei tiefe Furchen des Unmuts.
„Du bist ja völlig durcheinander, Sonja. Natürlich wirst du seine Frau werden. Du weißt, was davon abhängt. Außerdem hat er dich gestern Abend heldenmütig vor Tod und Schande bewahrt. Jede Frau wäre stolz, einen solchen Mann heiraten zu dürfen.“
Sie starrte ihn an und begriff nicht, was er redete.
„Baranow hätte mich vor Schande bewahrt?“, rief sie aufgeregt. „Er hat mich hier in diesem Zimmer überfallen, als ich im Bad saß. Er hat mich an den Haaren gerissen und mit der Peitsche geschlagen und … und … und … er wollte …“
Tränen der Scham und der Verzweiflung überwältigten sie, die schrecklichen Dinge, die Baranow von ihr verlangt hatte, wollten ihr nicht über die Lippen, und sie brach in Schluchzen aus. Sergej saß kopfschüttelnd auf seinem Stuhl und betrachtete seine Schwester unzufrieden. Scheinbar hatte sie den Schock noch nicht überwunden.
„Du redest ja völligen Unsinn, Sonja“, sagte er lehrerhaft. „Nicht Baranow hat dich hier überfallen, sondern dieser verfluchte Kosak. Irgendwie ist es ihm gelungen, aus dem Käfig zu entkommen, er ist die Treppe hinaufgeschlichen und in dein Zimmer eingedrungen. Dort hat er offensichtlich versucht, dich als Geisel zu benutzen. Du kannst Baranow dankbar sein, dass er dich vor dem Schicksal bewahrt hat, von den aufständischen Kosaken verschleppt zu werden. Er hat sein Leben für dich eingesetzt – der Verbrecher hat ihn zu Boden geschlagen, bevor es ihm gelang zu flüchten.“
Sie starrte ihn an und begriff, dass Baranow die Wahrheit verdreht hatte. Oh, dieser gemeine, niederträchtige Lügner! „Aber nein, Sergej“, sagte sie verzweifelt und schüttelte den Kopf. „Baronow lügt. Er selbst hat mich mit der Peitsche geschlagen, ich habe mich am Vorhang festgehalten und ihn herabgerissen …“
„Aber Sonja. Ist hier etwa ein Vorhang abgerissen?“
Er hatte recht. Der dunkelrote Vorhang war wieder an Ort und Stelle, auch der hölzerne Zuber war verschwunden. Sie sah hinüber zur Wand und stellte fest, dass die Lederpeitsche fehlte.
Sergei erhob sich und sah mit strenger Miene auf sie herab.
„Nimm dich jetzt bitte zusammen, Sonja, schließlich bist du kein Kind mehr. Steh auf und komm hinunter ins Wohnzimmer. Dort wirst du ein Frühstück einnehmen, und dann reisen wir ab. Und hüte dich, irgendwelche dummen, unsinnigen Lügengeschichten zu erzählen. Hast du mich verstanden?“
„Sergej – ich flehe dich an! Liefere mich nicht an diesen Menschen aus, es ist mein Tod!“
„Ich will nichts mehr hören!“
Sie wischte sich die Tränen von den Wangen und schwieg. Es war nur natürlich, dass Sergei Baranow Glauben schenkte. Man glaubte immer gerne das, was für die eigenen Hoffnungen und Pläne angenehm war. Ihr Bruder würde ihr nicht helfen – seine eigene Karriere als Gardist der Zarin war ihm viel zu wichtig.
Als er das Zimmer verlassen hatte, warf sie die Decke von sich und stand auf. Was konnte sie tun? Ihre Eltern waren weit von hier in St. Petersburg. Wie sollte sie zu ihnen gelangen? Ohne Pferd, ohne Kutsche, ohne männlichen Schutz. Eine Frau allein in diesem weiten, unwegsamen Land. Wo würde sie Zuflucht finden? Die leibeigenen Bauern würden sie ohne Zweifel an ihren Herrn ausliefern, wenn sie ihrer habhaft wurden.
Ach, sie war sich nicht einmal sicher, ob ihre Eltern ihr glauben würden. Es wäre durchaus möglich, dass sie sie an ihren Bräutigam zurückschickten. Vor allem dann, wenn Baranow ihnen damit drohte, sie durch ein einziges Wort bei Hofe ins Unglück zu stürzen.
Unschlüssig schob sie den Vorhang zur Seite und sah in den Hof hinunter. Es musste schon fast Mittag sein, denn die Sonne stand hoch am Himmel. Eine Reisekutsche wartete mit Gepäck beladen vor dem Eingang, und ein Stallknecht führte gerade die Pferde herbei. Weitere Reittiere standen gesattelt neben dem breiten Wassertrog. Auf der Veranda und am Brunnen lungerten Soldaten herum, rauchten, tranken und schwatzten. Woher sie gekommen waren, wusste Sonja nicht. Aber es war offensichtlich die Eskorte, von der Sergej gesprochen hatte, denn sie entdeckte auf der Veranda auch Baranow, der mit einem Offizier im Gespräch war.
Es klopfte an der Tür, und die junge Magd trat ein. Sie vermied es, Sonja anzusehen. Stattdessen blickte sie zu Boden und legte ein Bündel Kleider auf einen der Stühle.
„Das sind die Sachen, die Ihr anziehen sollt“, sagte sie mit ernster Miene. „Wegen der Kosaken, die noch in der Nähe sind.“
Sonja schwieg. Diese junge Person musste schon gestern genau gewusst haben, was Baranow vorhatte. Sie hatte geschwiegen – aber warum sollte sie auch ihr Leben riskieren, um eine völlig unbekannte Frau vor ihrem Unglück zu warnen? Ganz sicher trieb Baranow seine niederträchtigen Spiele auch mit dem Gesinde, und niemand kümmerte sich darum, ob ein Leibeigener gequält oder zu Tode geschlagen wurde. „Schönheit ist ein Fluch“, hatte sie gesagt. Jetzt begriff Sonja den Sinn dieser Worte.
„Der Herr hat befohlen, dass Ihr gleich nach dem Umkleiden hinunterkommen sollt. Die Soldaten sind schon ungeduldig.“
„Es ist gut – du kannst gehen.“
Der Herr hatte befohlen, und sie hatte zu gehorchen! War er denn schon ihr Herr? Noch war sie nicht mit ihm verheiratet – doch tatsächlich gab es kaum eine Möglichkeit, sich seinem Willen zu widersetzen.
Was hatte er sich jetzt wieder ausgedacht? Sie untersuchte das Kleiderbündel und stellte verblüfft fest, dass es Männerkleider waren. Sogar eine gepuderte Perücke war dabei, unter der sie ihr Haar verstecken konnte. Erneute Panik erfasste sie. Was hatte die Magd gesagt? Wegen der Kosaken? Also würde man Gefahr laufen, ihnen in die Hände zu fallen. Sie erinnerte sich an den großen Mann, der gestern so plötzlich vor ihr aufgetaucht war – war das ein Kosak gewesen? Wie wild er ausgesehen hatte mit seinem schwarzen wirren Haar und dem dunklen Bart. Mit einem einzigen Schlag hatte er Baranow zu Boden gestreckt. Dunkel, sehr dunkel erinnerte sie sich, dass er auf sie zuging und etwas zu ihr sagte. Seine Stimme war tief und warm gewesen – wie seltsam.
Sie zögerte einen Augenblick, lief rasch zum Fenster und war erleichtert, dass Baranow immer noch auf der Veranda stand und mit dem Offizier redete. Sie würde also Männerkleider tragen – vielleicht war es gut so.
Rasch öffnete sie ihr Kleid, streifte es ab, schlüpfte aus den Röcken und zog die engen Kniehosen über. Sie mussten für einen sehr jungen, schlanken Mann gearbeitet worden sein, denn sie saßen eng an ihrem Körper. Sie behielt das Korsett an und zog das weite, mit Spitzen besetzte Hemd über, steckte es in die Hose und hakte den Bund zu. Die silbern schimmernde Weste reichte bis an die Oberschenkel und hatte unzählige winzige Knöpfchen. Darüber kam die lange weiße Jacke, die an den Knopfleisten und Bündchen dunkelrot abgesetzt war. Weiße Strümpfe, die unterm Knie von engen Bändern gehalten wurden, und schwarze Schuhe mit kleinen Absätzen vervollständigten ihren Aufzug. Es war ungehörig genug, denn die eng sitzenden Hosen und Strümpfe ließen die Form ihrer Beine deutlich hervortreten. Sie knöpfte die Jacke zu, um wenigstens die Oberschenkel vor den Blicken der Männer zu verbergen. Doch sie stellte fest, dass sie sich in diesen Kleidern seltsamerweise wohler fühlte als in der tief ausgeschnittenen Robe, die sie gestern angehabt hatte.
Mühsam war es, das lange dichte Haar zu bändigen und so festzustecken, dass es unter der Perücke nicht hervorsah. Doch sie war diese Prozedur gewöhnt, denn sie hatte auch bei Hofe schon Perücken getragen. Als sie fertig angekleidet war, ging sie einige Male im Zimmer auf und ab, versuchte die Füße fest aufzusetzen und weite Schritte wie ein Mann zu machen. Es kam ihr eigenartig vor, sehr ungewohnt und doch gefiel es ihr. Was war daran gut, eine Frau zu sein? Ein hilfloses, schwaches Wesen, der Willkür eines Mannes ausgeliefert, der widerliche Dinge von ihr verlangte. Ja, sie wäre lieber ein Mann gewesen. War es nicht tausendmal besser, kämpfen und sterben zu dürfen, als sich erniedrigen zu lassen?
Langsam ging sie die Stiege hinab, horchte auf das harte Geräusch ihrer genagelten Schuhe und versuchte, den Gedanken an ihre gestrige Flucht in den Keller zu verdrängen. Unten stand ein junger Bediensteter, starrte sie mit offenem Mund an und vergaß fast, sich vor ihr zu verneigen.
„Die Herren warten im Wohnzimmer“, sagte er und sah dabei irritiert auf ihre Beine.
Sergej, Baranow und ein bärtiger Offizier saßen bequem bei Tisch und hatten ein üppiges Frühstück vor sich stehen. Gekochtes Fleisch, in Fett schwimmende Plinsen, Würste, dicke Kascha mit Honig und verschiedene Früchte türmten sich auf den Tellern, dazu gab es frischen Kwass und Wein. Als Sonja eintrat, blieb Sergej vor Verblüffung fast der Bissen im Hals stecken, während Baranow sich erhob und mit einem Lächeln, das galant wirken sollte, auf sie zuging. Von der Wirkung des Schlags auf den Kopf war nichts zu bemerken, denn er trug eine Perücke.
„Wir sind sehr froh, Euch zu sehen, meine liebe Sonja Alexejewna“, sagte er mit höfischem Mienenspiel. „Wie ich sehe, seid Ihr vollständig wieder hergestellt und bezaubernder denn je. Macht uns die Freude und setzt Euch zu uns an den Tisch.“
Er stellte ihr einen Stuhl zurecht und Sonja, die vor Angst und Widerwillen am liebsten davongelaufen wäre, blieb nichts anderes übrig, als ihm zu gehorchen. Voller Abscheu spürte sie seine neugierigen Blicke, die die Form ihrer Beine erkundeten, und sie erschauerte. Was glotzte er noch? Er hatte ihren Körper völlig nackt gesehen, was wollte er mehr?
„Gestattet mir die Bemerkung“, meldete sich nun der Offizier zu Wort, der sie lächelnd betrachtet hatte. „Diese Kleidung steht Euch ausgezeichnet. Wüsste ich nicht, dass es nur eine Tarnung ist, so würde ich Euch vorschlagen, sich bei der Garde zu melden.“
Sonja war wenig glücklich über diesen Scherz, doch Baranow fand ihn so großartig, dass er sich vor Lachen auf die Schenkel klopfte. Sergej zog eine säuerliche Miene – Baranow hatte ihm nichts von dieser Verkleidung gesagt, was ihn ärgerte.
„Auf jeden Fall können Sie sich von nun an vollkommen sicher fühlen“, fuhr der Offizier fort, der von Sonjas jugendlicher Erscheinung, trotz – oder vielleicht sogar gerade wegen - der Verkleidung gefesselt war.
Sonja zwang sich, ihre Aufregung nicht merken zu lassen. Baranows hinterhältige Lügen, seine plötzliche Galanterie, die – wie sie sehr gut wusste – nichts als eine Maske war, ließen sie vor Zorn erröten. Zugleich spürte sie eine schreckliche Furcht vor der langen Fahrt in der engen Kutsche, wo sie seinen heißen Atem spüren würde und seinen lüsternen Blicken ausgeliefert war. Ihr war inzwischen klar, dass er längst in der Kutsche über sie hergefallen wäre, wenn nicht ihr Bruder sie auf der Reise begleitet hätte.
„Diese verdammten Kosaken schwärmen leider in der Gegend herum“, plauderte der Offizier und betastete mit einer Hand seinen Kinnbart, um ihn zu glätten. „Bilden sich ein, gegen Mütterchen Zarin eine Revolte machen zu können. Aber sie werden staunen, die Söhnchen, wenn Mütterchen Zarin erst mit ihnen Ernst macht. Wir werden sie hinüber nach Sibirien jagen – dort können sie bleiben und zu Eis gefrieren.“
Sonja nahm die Nachricht mit gemischten Gefühlen auf. Man hatte am Hof der Zarin nur hinter vorgehaltener Hand von solch scheußlichen Dingen wie Aufständen, Bauern oder wilden Kosaken geredet. Sie ritten wie hundert Teufel und fochten wie die Berserker, hatte man erzählt. Krummbeinig seien sie wie die Tataren, die schon auf dem Rücken ihrer Pferde zur Welt kamen, und genau so furchtlos und grausam. Sie lebten in Dörfern zusammen, ließen sich von Mütterchen Zarin nicht regieren und raubten sich Frauen, wo immer sie ihrer habhaft werden konnten. Das Schicksal einer Frau, die in ihre Hände fiel, war schlimmer als der Tod.