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Das Reiten auf gebogenen Linien ist seit jeher ein probates Mittel für die Gymnastizierung unserer Pferde. Dieses Buch gibt Reitern über die technischen Anleitungen der traditionellen Reitlehre hinaus inspirierende bildliche Vorstellungsmöglichkeiten an die Hand, um biegende Lektionen noch harmonischer reiten zu können. Die Autorin verbindet die reiterliche Praxis mit Methoden des Mentaltrainings. Mit einer Vielzahl innerer Bilder zeigt sie so einen effektiven Weg zur verbesserten Biegung, wobei das kreative Training auf dem Mittelzirkel eine zentrale Rolle spielt. Die vielfältigen und immer neu kombinierbaren Figuren ermöglichen es, "Schieflagen" bei Reiter und Pferd auszugleichen. Das Ergebnis sind fließendere, geschmeidigere Bewegungen, mehr Motivation, Spaß und Gelassenheit beim Reiten und dadurch mehr Erfolg im Training. Ein rund um positiver Ansatz zur Verbesserung der Harmonie zwischen Reiter und Pferd
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Seitenzahl: 152
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Autorin und Verlag haben den Inhalt dieses Buches mit großer Sorgfalt und nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt. Für eventuelle Schäden an Mensch und Tier, die als Folge von Handlungen und/oder gefassten Beschlüssen aufgrund der gegebenen Informationen entstehen, kann dennoch keine Haftung übernommen werden.
Sicherheitstipps:
Achten Sie bitte immer auf entsprechende Sicherheitsausrüstung für sich selbst: Reithelm, Reitstiefel/-schuhe, Reithandschuhe und gegebenenfalls eine Sicherheitsweste beim Reiten.
IMPRESSUM
Copyright © 2014 by Cadmos Verlag, Schwarzenbek
Gestaltung und Satz: Pinkhouse Design, Wien
Titelgestaltung und Layout: www.ravenstein2.de
Lektorat der Originalausgabe: Maren Müller
Coverfoto: Christiane Slawik
Fotos im Innenteil: Uwe Eßer, Jens Hollmann, Claudia Kusmanow, Dr. Richard Maurer, Stefanie Ruhfus, Christiane Slawik, Melina Weißelstein, fotolia.com, shutterstock.de
Abbildungen: Irmtraud Guhe
Konvertierung: S4Carlisle Publishing Services
Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten.
Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Verlag.
eISBN: 978-3-8404-6201-6
INHALT
Vorwort von Susan McDermott
Auf den ersten Blick
Innere Bilder für motiviertes Reiten
Von Lust und Frust – was Pferde und Reiter bewegt
Gedanken machen Haltung
Pferdesicht
Gemeinsame Motive stärken
Innere Reithaltung – die Entscheidung zum positiven Reiten
Außen wie innen: Soft Skills und Imagination für zufriedenes Training
Innen wie außen: Muster für die Sinne
Ein Bild von einer guten Biegung
Was heißt denn hier schief?
Biegeautomatik: Werkzeugkasten für biegende Lektionen
Bekannte Lektionen frisch verknüpft: das Mittelzirkeltraining
Gute Voraussetzungen für das Mittelzirkeltraining
Rund an Rund – Basisfiguren mit Volten
Die mit dem Dreh – Basisfiguren mit Kehrtvolten
Gut kombiniert – Ideen für Muster mit Trainingseffekt
„Sahnehäubchen“: Mittelzirkeltraining in der Gruppe
Positiv ans Ziel: ein Ausblick
Anhang
Ein herzliches Dankeschön …
Über die Autorin
Zum Weiterlesen
VORWORT VON SUSAN McDERMOTT
Im zwischenmenschlichen Dialog ist die Wortwahl nur dann wertvoll, wenn sie mit dem passenden Tonfall und Augenausdruck sowie der entsprechenden Körperspannung und Haltung verbunden wird und wenn dabei auch die Zwischentöne übereinstimmen. Jetzt, im Zeitalter der Social Media, wo man mit Vorliebe online und immer seltener persönlich kommuniziert, gehen diese wichtigen Komponenten des Dialogs verloren.
Eine ähnliche Entwicklung ist auch in der Reiterei zu beobachten. Wo ein Dialog mittels Fühlen, Haltung und Spannungsveränderung die Basis sein sollte, verstricken und verlieren wir uns immer mehr in kompliziert anmutenden Theorien, Konzepten und „Technikalitäten“. Wir orientieren uns an allem anderen – sei es an Äußerungen des neuesten Pferdegurus, an Dingen, die wir in Internetforen gelesen haben, oder schlichtweg an der Hallenbande –, statt an dem, was doch am Wichtigsten ist: an der übereinstimmenden Mitte von Reiter und Pferd. Aber wo ist die übereinstimmende Mitte zu finden? Und, vor allem, wie findet man die übereinstimmende Mitte, wenn das Pferd schief ist?
Mit diesem Buch hat es Claudia Kusmanow geschafft – ohne das Rad neu erfunden haben zu wollen und indem sie sich von leeren Floskeln und wenig realistischen Patentlösungen distanziert –, uns mit inneren Bildern und ihrer besonderen Arbeit auf dem Mittelzirkel zurück zum Wesentlichen zu führen. Durch die in ihrem Buch dargestellten Anregungen und Ideen sind wir eingeladen, von dem, was wir nicht brauchen, loszulassen und mit dem Pferd in Dialog zu treten, um es mit Leichtigkeit zu gymnastizieren und somit auch kreativ gegen schief zu arbeiten.
Wie erfrischend. Dankeschön!
Susan McDermott
Rehabilitationstrainerin für Pferde
Im Dialog mit dem Pferd „geht alles Huf in Hand“. (Foto: Fotolia.com/Sven Cramer)
AUF DEN ERSTEN BLICK
(Foto: Alexia Khruscheva/shutterstock.com)
„Jedes starke Bild wird Wirklichkeit.“
- Antoine de Saint-Exupéry -
Reiten ist eine Herzensangelegenheit. Wir Reiter sind bereit, eine Menge dafür zu geben. Für die Gymnastik ihres Pferdes ziehen viele von uns täglich ihre kleinen und größeren Kreise. Oft weichen dabei Herz und Gefühl einem strengen Kopfregiment, besonders wenn es um das Erreichen von Zielen geht. Damit schleicht sich vielfach Druck ein, und die Motivation verändert sich in eine ungünstige Richtung. Wie Pferde das empfinden und welchen Einfluss es auf ihre Lust hat, ihre Bahnen mit uns zu ziehen, können wir nur vermuten. Sie müssen sich jedenfalls eher auf ihr Gefühl verlassen, da ihre Gedankenwelt nicht genauso ausgeprägt ist wie die ihrer Reiter. Wussten Sie, dass Sie täglich etwa 60.000 Gedanken denken? Nicht mal 1000 davon sind Ihnen bewusst. Etwa 3 Prozent davon, so wird gesagt, sind hilfreiche, aufbauende Gedanken, die Ihnen oder anderen nützen. 25 Prozent sind destruktive Gedanken, die Ihnen oder anderen eher schaden. Ganze 72 Prozent, das sind fast 22 Millionen pro Jahr, sind flüchtige, unbewusste Gedanken, die quasi aus der Tiefe ihre enorme Wirkung entfalten. Viele von ihnen laufen nach einem immer wiederkehrenden, meist unbewussten, oft auch instinktiven Muster ab.
Was passiert beim Reiten mit all den Gedanken und Gedankenmustern? Seit Wissenschaftler dem menschlichen Gehirn beim Denken zusehen können, wissen wir, was Gedanken im Körper auslösen: Gehirn und Körper stehen in einer ständigen Wechselwirkung miteinander. Jeder negative Gedanke löst im Körper eine Stressreaktion aus – auch beim Reiten.
Laut Weltgesundheitsorganisation und Bundesgesundheitsministerium ist Stress eine der größten Gesundheitsgefahren für unseren Körper. Stress ist Beziehungs-, Kommunikations- und Leistungskiller Nummer eins. Und Druck verhindert Lernen. Wenn man sich nun vorstellt, dass viele Reiter fast täglich in einer Verbindung mit den feinen Antennen ihrer Pferde stehen – welchen Einfluss mag das gerade Beschriebene auf die Harmonie dieser Verbindung haben? Reicht es wirklich, wenn wir uns als Reiter ausschließlich mit der Technik unserer Hilfengebung als ausführendes Organ beschäftigen, um den Bewegungsablauf unseres Pferdes zu verbessern? Oder können wir dem Wechselspiel zweier miteinander kommunizierender Körper einen harmonischeren Ausdruck und mehr Effektivität verleihen, wenn wir durch produktives Gedankenmanagement nützliche Gedankenmuster und positive Vorstellungen kreieren? Wenn wir durch innere Bilder neue Motivation für gemeinsame äußere Bewegung schaffen? Ich bin überzeugt davon, dass das funktioniert. Mithilfe der Verbesserung reiterlicher Gedanken und Vorstellungen gelingt es tatsächlich, körperliche Schieflagen des Pferdes auszugleichen.
Machen wir einen kurzen gedanklichen Rundflug durch dieses Buch: Im ersten Teil möchte ich Sie dazu anregen, Ihrer Vorstellungskraft für ein besseres Bewegungsgefühl mehr Raum zu überlassen. Im zweiten Teil finden Sie Ideen, wie sich die für die regelmäßige Gymnastizierung Ihres Pferdes so wichtige Biegung durch Ihre innere Vorstellungskraft optimieren lässt, damit gebogene Linien tatsächlich ihre Aufgabe erfüllen können: Sie sollen die allgemeine Flexibilität des Pferdes verbessern. Im dritten Teil stelle ich Ihnen das Mittelzirkeltraining vor, bei dem Sie auf kreativen Wegen funktionale Formen der Pferdegymnastik mit einem aufmerksamkeitsfördernden Bewegungsfluss verbinden. Eine Trainingsidee, die gleich mehrere Ziele verfolgt: Sie soll Drill, Druck, Stress und tägliches Einerlei aus der Reiterei verbannen und stattdessen mehr Flexibilität für geradere Pferde, mehr Bewegungsharmonie und mehr gemeinsame Motivation bringen.
Ihnen ist es wichtig, zum Gelingen einer ausgewogenen Pferdeausbildung beizutragen – sei es als Pferdebesitzer, Reitbeteiligung oder Trainer? Im Rahmen einer gesundheitsfördernden Entwicklung von Takt, Losgelassenheit und Schwung ist das Geraderichten auf gebogenen Linien Ihr Thema? Sie wollen Ihre reiterliche Erfahrung auf positive Art verfeinern? Dann lassen Sie sich über den alltäglichen Zirkelrand hinaus inspirieren. Wie wäre es mit ein wenig Freestyle in geordneten Bahnen? Hier finden Sie Trainingsideen, die – ganz nebenbei – Ihren Blick für elegante Lösungen schärfen; eine praktikable Mischung aus den Vorzügen funktionellen Trainings und einer gelassenen inneren Sichtweise. Mein Buch soll interessierten und dafür offenen Lesern – die allgemeine Reitlehre ergänzend – als Anregung und Inspiration dienen, um kreatives Denken und Fühlen noch mehr in den Reitalltag einfließen zu lassen. Entwickeln Sie ein Bild, das bei Ihnen zu einer inneren Haltung führt, die auf Ihre äußere Haltung überspringt, wodurch wiederum das Pferd zum Mitmachen motiviert wird und gleichzeitig an Ausstrahlung gewinnt!
(Foto: YanLev/shutterstock.com)
INNERE BILDER FÜR MOTIVIERTES REITEN
(Foto: Weißelstein)
„Der Mensch, das Augenwesen, braucht das Bild.“
- Leonardo da Vinci -
Stellen Sie sich das einmal vor:
Über Ihnen der strahlend blaue Himmel. Ein laues Lüftchen umspielt Ihre Nase. Die Vögel zwitschern. Sie atmen ein, Sie atmen aus, Sie atmen einfach tief durch. Sie fühlen das gleichmäßige Schwingen Ihres Pferdes, ganz nah verbunden mit jeder einzelnen Faser Ihres Körpers. Gleichmäßig im Takt der Bewegung richten Sie sich in Ihrer ganzen Größe auf, und Sie sind eins mit dem Ausdruck Ihres Pferdes. Eine leichte innere Drehung, und Ihr Pferd bewegt sich mit Ihnen mal in die eine, mal in die andere Richtung. Nichts kann Sie jetzt aus der Ruhe bringen. Sie haben nur ein Ziel: eine gemeinsame, harmonisch fließende Bewegung. Sie folgen einfach nur Ihrem inneren Impuls und das Pferd folgt Ihren Impulsen. Kleine Störungen nehmen Sie wahr; Sie registrieren, was passiert, aber Sie bewerten es nicht. Sie ändern, was Sie jetzt ändern können, und lassen sich Zeit für einen passenden Einfall, wenn der richtige Moment da ist, die nächsten erforderlichen Schritte zu tun. Es ist, als folgten Sie einem inneren Plan, einer inneren Ordnung. Sie sind auf dem Weg, und es fühlt sich richtig an.
Konnten Sie das Bild auf sich wirken lassen? Haben Sie im Moment des Lesens vielleicht einen Atemzug mehr bei sich bemerkt? Ein wenig innere Aufrichtung? Konnten Sie einen Hauch von diesem Reitgefühl erahnen? Wenn wir nun weitere solche Bilder „malten“, würden Sie möglicherweise direkt Lust verspüren, sich umgehend aufs Pferd zu setzen? Das angenehme Bild, das eine herrliche Vorstellung in einem weckt, ist motivierend und setzt etwas im Innersten in Gang. Die ganze Werbebranche lebt von der Lust, die Bilder machen können. Auch Sportwissenschaftler und Trainer unterstützen Sportler durch die motivierende Kraft der inneren Bilder. Mentaltraining ist heute ein wichtiges Trainingselement, sogar im Spitzensport.
Dennoch scheint es nach wie vor in unserer Gesellschaft insgesamt anerkannter zu sein, wenn wir hauptsächlich unseren analytischen Verstand einschalten, für den vorrangig unsere linke Gehirnhälfte zuständig ist. Der visuell veranlagte Teil unseres Gehirns, der sich eher in der rechten Gehirnhälfte befindet und komplexe Zusammenhänge und ganzheitliche Bilder erfasst und gegebenenfalls auch sendet, ist daher bei vielen Menschen weniger trainiert. Und so passiert es, dass Mensch und Pferd beim Reiten des Öfteren nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Denn Pferde denken nicht analytisch, sondern sie sprechen als Fluchttiere eher auf bildliche Reize an. Das erlaubt es ihnen, Situationen in kürzester Zeit einzuschätzen und wenn nötig blitzschnell zu handeln. Es lohnt sich also, wenn Sie Ihr eigenes bildliches Denken und Ihre Wahrnehmung schulen. Damit bauen Sie quasi eine Kommunikationsbrücke zu Ihrem Pferd und sind in der Lage es da abzuholen, wo es sich auskennt. Ihr persönliches Denken und Fühlen, Ihre innere Vorstellungskraft (die sogenannte Imagination) sowie formgebende äußere Bilder, um die es späternoch gehen wird, können ein harmonischeres Zusammenspiel mit Ihrem Pferd optimal fördern.
Bevor Sie den nächsten Abschnitt lesen, schlage ich vor, dass Sie sich noch einmal unser angenehmes Szenario vom Beginn dieses Kapitels innerlich vor Augen rufen, denn das menschliche Gehirn kommt durch Vergleichen in Bewegung.
Von Lust und Frust – was Pferde und Reiter bewegt
Heide und Kira haben mir erlaubt, aus ihrem Reiter-Innenleben zu berichten: beispielhafte Eindrücke davon, aus welcher Perspektive Reiten oft wahrgenommen wird. Hohe Erwartungshaltungen lassen Reiter gerade beim Versuch, alles richtig zu machen, so manches Mal unter Druck geraten. In diversen wissenschaftlichen Studien ließ sich belegen, dass Druck im Allgemeinen die Konzentration mindert. Setzen wir uns beim Reiten unter Druck, nimmt unsere Produktivität eher ab als zu. Unser Körper überträgt unsere innere Einstellung. Und mit dauerhaftem Druck wird es uns nicht gelingen, unsere Pferde zu einem harmonischen Miteinander zu bewegen. Druck und Harmonie beim Reiten passen so wenig zusammen wie ein Presslufthammer und ein Violinkonzert. Das erlaubt die Schlussfolgerung, dass wir Gelassenheit und Inspiration genügend Raum in unserem Training einräumen sollten. Aber dazu später mehr.
Harmonie und verbissenes Trainieren von Lektionen schließen sich gegenseitig aus. (Foto: Marcel Jancovic/shutterstock.com)
KIRAS KÄMPFERISCHE SEITE
Würden wir wie Wissenschaftler Kiras Gehirnaktivität und Körperspannung beim Reiten mit einem Magnetresonanztomografen sichtbar machen, sähen wir deutlich, welchen Einfluss Druck und überhöhte Anspannung zum Beispiel auf ihr Potenzial zur Lösungsfindung und ihre Fähigkeit zur zielführenden Umsetzung haben. Ihr unverrückbarer Plan lautet: Arbeit an der Biegung ihres Pferdes. Immer wieder erwischt sie sich, wie sie besonders Zirkel und Volten „auf Teufel komm raus“ trainiert. Aber nun steckt dieser „Teufel“ ja bekanntlich im Detail. Mit aller Macht versucht Kira zu vermeiden, dass ihr Pferd in Wendungen ausfällt. Wieder und wieder verbeißt sie sich in eine Lektion. Vor ihrem geistigen Auge sieht sie schon die hämischen Blicke ihrer Reiterkollegen, wenn es mal wieder nicht geklappt hat. Keine Anerkennung, nur Gelächter wird sie ernten, da ist sie sich sicher. Ihr Reiten ähnelt auch optisch oftmals einem Kampf. Bei all ihren Bemühungen, möglichst immer alles richtig zu machen, merkt sie häufig nicht, wie das so wichtige Wahrnehmen und Spüren auf der Strecke bleibt. Dabei weiß sie eigentlich, dass die gewünschte Harmonie nicht durch ihren Kampf mit sich selbst und dem Pferd entstehen kann. Manchmal hat sie eine Ahnung davon, wie es ist, wenn es sich besser anfühlt. Das ist meistens dann der Fall, wenn keiner zusieht und sie sich auch nicht gerade auf ein Turnier vorbereitet. Doch wenn sich innerer und äußerer Druck durch die Hallentür schleichen und auf ihren Schultern mitreiten, dann ist sie wieder mittendrin in dem Kampf, der sie bisher nicht dahin gebracht hat, wo sie hinwollte – zu einer ein- und ausdrucksvollen Verbindung mit ihrem Pferd. Sie hat viel darüber gelesen, was sie anders machen könnte, aber in diesen Situationen fällt ihr nicht ein, wie sie das umsetzen kann. Also „ackert“ sie weiter. Ihr Pferd quittiert das oft mit vorauseilendem Gehorsam und diversen Verspannungen.
HEIDES KOPFKINO
Bei Heide sieht der Reitalltag meist eher so aus: Gern verbringt sie Zeit mit ihrem Pferd. Mehr oder weniger angestrengt und noch in Gedanken kommt sie von der Arbeit zum Stall – schnell noch vorher einkaufen, dann zum Pferd. Schon auf den ersten Metern im Sattel strömen unweigerlich Gedanken durch ihren Kopf „… nicht ganz so viel Zeit heute …“, „… Mist, die Bahn ist voller, als ich dachte …“, „ … würde am liebsten gleich wieder rausgehen …“, „ … hoffentlich sieht mich keiner …“, „… ich weiß schon, wie sie wieder gucken werden, wenn ich nicht alles richtig mache …“. Nach ein paar Runden hat sich Heides Blick verdüstert und nichts läuft so geschmeidig, wie sie es gern hätte. Ihr fällt auch nichts Sinnvolles mehr ein, was sie mit ihrem Pferd trainieren könnte. Sie kreuzt irgendwie auf meist geraden Linien durch die Bahn und ärgert sich. Dabei wäre Biegearbeit jetzt so wichtig. Stattdessen reitet sie wie auf einem Felsblock. Heides Motivation ist im Keller – das Pferd könnte sich doch ruhig mal von sich aus anstrengen, endlich unter ihr „zu Butter“ zu werden.
Gedanken machen Haltung
Positive Gedanken helfen beim Aufbau der für gutes Reiten so wichtigen positiven Körperspannung. (Foto: pirita/shutterstock.com)
Würden wir uns weiter anhören, was Reiter aus ihren Reitgedanken berichten, könnte es passieren, dass wir uns bereits beim Lesen selbst verspannen. Wenn sich der Mensch gedanklich in eine Situation hineinversetzt, stellt sich dazu auch, meist unbewusst, das passende Gefühl ein – positiv wie negativ. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass unangenehme Gedanken und innere Vorstellungen Menschen wortwörtlich „herunterziehen“ und dass dadurch entstehende Verspannungen sich letztendlich auf die Bewegungen der Menschen auswirken. Gedanken machen Gefühle, Gefühle machen Haltung, Haltung wirkt sich aus auf Bewegung. Wenn dann noch das Pferd am Ende der Kette „hängt“, das feinfühlig Stimmungen und Körperspannung wahrnehmen kann, dann ergibt das eine Mischung, die in ungewollte Richtungen ausschlagen kann. Was glauben Sie, wie Heides Pferd ihre widersprüchlichen Körpersignale interpretiert, wenn sie übermittelt, dass sie eigentlich schon gern reiten möchte, sich aber nicht wirklich traut. Sie überträgt ihren Zwiespalt und sicher auch ein undefinierbares Unwohlsein auf ihr Pferd. Sie können immer eine feine Verbindung zu Ihrem Pferd haben: auch in negativer Hinsicht. Schlechtestenfalls reagiert Ihr Pferd selbst mit Flucht, wenn schon der „Chef“ im Sattel dahingehende Signale aussendet. Bestimmt aber wird sich dabei kein Gefühl von motiviertem gemeinsamen Tun einstellen. Dabei wünschen sich Reiter nichts sehnlicher, als sich in vollkommener Harmonie mit ihrem Pferd zu bewegen.
Da wir nun schon einmal beim Vergleichen und Betrachten unterschiedlicher Perspektiven sind, lassen Sie uns doch einen Blick auf die Sichtweise unserer Pferde werfen. Versetzen wir uns in ein Pferd hinein: Wie nimmt es das gymnastizierende Reiten wohl wahr?
In Freiheit und in der Sicherheit ihrer Herde erkunden Pferde neugierig ihre Umwelt. (Foto: Vera Zikova/shutterstock.com)
Pferdesicht
Stellen wir uns vor, wir hätten einen angeborenen Fluchtinstinkt. Stellen wir uns weiter vor, wir liebten unsere Herde, saftiges Gras, Licht, Luft und weite, offene Landschaften – was um alles in der Welt machen wir dann in einer begrenzten Reitbahn, in der wir, oftmals täglich, die gleichen unsichtbaren Kreise in den Sand ziehen, wobei wir nicht mal wissen, wofür das gut sein soll?
Denn eines ist sicher: Wenn wir könnten, würden wir unseren Reiter bitten, allein weiterzuarbeiten, während wir schon mal lecker grasen gehen. In der Bahn gibt es nicht mal einen realen Baum, den wir umrunden müssten. Stattdessen sollen wir an für uns bedeutungslosen Buchstaben oder Punkten unsere Wege starten und beenden. Gymnastizierung wäre wahrhaft nicht unser erklärtes Lebensziel – viel zu anstrengend und außerdem für uns neugierige Lebewesen zu uninteressant. Und, mal ehrlich, wozu biegen? Weil die Menschen uns reiten wollen, so ist es doch. Zum Umherstreifen und Grasfressen braucht man das nicht.
Wenn wir in Reitbahnen also schon weder verstehen noch sehen können, warum und um was wir biegsam unsere Runden drehen sollen, wäre es nicht abwechslungsreicher, ab und zu aus dem gewohnten Trott auszubrechen? Wäre uns nicht ein wenig kreative Forderung lieber? Stattdessen sind wir manchmal unsicher, was uns „der oder die da oben“ sagen will, denn Hände und Beine vermitteln etwas anderes als das, was wir fühlen können. Dann machen wir unser eigenes Ding. Und manchmal können wir einfach nicht anders: Aus Unterforderung, Überforderung oder Unsicherheit zeigen wir uns desinteressiert oder machen unseren Reiter oder gleich die ganze Bahn unsicher. Unser Fluchtinstinkt lässt uns dann vor Dingen davonstürmen, die Sekundenbruchteile später schon keine Rolle mehr spielen. Fast im gleichen Atemzug könnten wir davon berichten, dass wir interessanten Dingen gegenüber durchaus aufgeschlossen sind und ihnen mit einer gehörigen Portion Neugier begegnen würden. Eine Neugier, die uns durch monotone, manchmal drillähnliche Arbeit regelrecht aberzogen wird.