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Die Roadmap für die kreative Weiterentwicklung als Naturfotograf*in Lotet den kreativen Prozess in der Naturfotografie aus Führt den Leser zum eigenen Bildstil und zu individuelleren Fotos Vermittelt Schlüsselerkenntnisse zur Ideenfindung, Bildgestaltung und Bildreflexion Kennen Sie das nagende Gefühl, dass Sie mehr aus Ihrer Fotografie herausholen und Ihre Fotos spannender, persönlicher oder magischer sein könnten? Dann ist dieses Buch bei Ihnen in guten Händen. Wenn Sie entschlossen sind, Ihre eigene Kreativität als Naturfotograf*in weiterzuentwickeln und Ihren eigenen Stil zu finden, führt Ihr Weg nicht über spektakuläre Landschaften, exotische Spezies oder eine bessere Ausrüstung. Wer seinen Bildern mehr Tiefe verleihen und ausdrucksstärker fotografieren möchte, muss die oft mühevolle Reise nach innen antreten. Dieses Buch soll als Routenplaner für Ihren kreativen Prozess dienen. Es gibt Ihnen keine Techniken, Rezepte oder Standardmethoden an die Hand, sondern vermittelt vielmehr die wesentlichen Erkenntnisse, die Ihnen verhelfen, mit der Fotografie spielerischer und individueller umzugehen. Dazu gehören praktische Kenntnisse zur Entwicklung einer eigenen Bildsprache, zur Ideenfindung, Bildgestaltung und Reflexionsfähigkeit.
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Seitenzahl: 194
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Nur wenige Menschen können Naturfotos so treffend beurteilen wie Bart Siebelink. Er besitzt die Gabe, Dinge in einem Foto zu sehen, die man oft selbst nicht erkennen oder in Worte fassen kann. Diese Fähigkeit entwickelte er während seiner Lehrtätigkeit an der Kunstakademie Willem de Kooning, Rotterdam. Bart stammt aus einer Lehrerfamilie. Daher verschafft ihm nichts mehr Befriedigung, als die Kreativität in anderen zum Aufblühen zu bringen. Und deshalb hat er das Buch geschrieben, nach dem er selbst immer gesucht hat.
Barts Fotos gewinnen regelmäßig Preise bei nationalen und internationalen Wettbewerben und wurden in zahlreichen Büchern und Zeitschriften veröffentlicht. So gewann er manche lobende Erwähnungen beim Wettbewerb »Europäischer Naturfotograf des Jahres« der GDT (Gesellschaft für Naturfotografie e.V.) und im Jahr 2020 den Fritz Pölking Award des Glanzlichter-Wettbewerbs der Fürstenfelder Naturfototage.
Gemeinsam mit Edo van Uchelen hat er in den Niederlanden das »Handbuch der Naturfotografie« veröffentlicht. In den letzten Jahren hat er sich zunehmend auf die kreative Weiterentwicklung konzentriert, für die er Foto-Coachings anbietet. Mehr über Bart und sein Kursangebot erfahren Sie auf mentornatuurfotografie.nl
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Bart Siebelink
Kreativität entfalten und den eigenen Stil entwickeln
Aus dem Niederländischen von Stephanie Wloch
Bart Siebelink, mentornatuurfotografie.nl
Lektorat: Rudolf Krahm
Übersetzung: Stephanie Wloch, www.tuliparola-translations.de
Copy-Editing: Sandra Petrowitz, www.sandra-petrowitz.de
Satz: Birgit Bäuerlein
Herstellung: Stefanie Weidner
Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de, unter Verwendung eines Fotos des Autors
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN:
978-3-86490-772-2
978-3-96910-075-2
ePub
978-3-96910-076-9
mobi
978-3-96910-077-6
Translation Copyright für die deutschsprachige Ausgabe © 2021 dpunkt.verlag GmbH Wieblinger Weg 17 · 69123 Heidelberg
Copyright © 2019 by Uitgeverij PiXFACTORY
Title of the Dutch original: Grip op creativiteit: Ontwikkel jouw eigen stijl als natuurfotograaf, ISBN 978-9079588244, PiXFACTORY · Watergoorweg 104, 3861 MA Nijkerk
Translation Copyright © 2021 by dpunkt.verlag. All rights reserved.
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Gewidmetmeiner Mutter Leny Siebelinkund meinem guten Freund Ray Teixeira
»So wird handgreiflich, daß es eine andere Natur ist, die zu der Kamera als die zum Auge spricht … Vom Optisch-Unbewußten erfahren wir erst durch sie …«
Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, 1935 (1955)
Genau wie diese junge Gottesanbeterin beschreiten Sie mit der Lektüre dieses Buches einen neuen, aufregenden Weg.
Die Fotografie hat eine lange Tradition als Kunstform. Der Kulturphilosoph Walter Benjamin meinte, dass sie sogar die Fähigkeit besäße, jegliche andere Kunst überflüssig zu machen. Bemerkenswert ist, dass diese Tradition nicht bei den professionellen Künstlern begann: Ihre Fotografien dienten höchstens als Hilfsmittel für die Schaffung ihrer Bilder. Fotografien von Modellen waren deutlich günstiger als die teuren Honorare für die lebenden Modelle, weil sie die Anzahl der Sitzungen für Porträts reduzierten. Auch die Erinnerung an die Landschaften, die der Künstler darstellen wollte, wurde durch die Fotos länger lebendig gehalten.
Die Emanzipation der Fotografie als eigenständige Kunstform ist vor allem den Amateuren zu verdanken, den »Liebhabern« im ursprünglichen Wortsinn. Der entscheidende Impuls dafür war die Tatsache, dass sich viele Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg eine Kamera leisten konnten. Es erschienen Zeitschriften über Fotografie und Bücher, die zur persönlichen Entwicklung der Amateurfotografen beitrugen. In den fünfziger und sechziger Jahren war beispielsweise Peter Charpentier in den Niederlanden ein bekannter Publizist, der so manchem Fotografen mit seinen Büchern auf die Sprünge half und so zu einer neuen populären Kunstform beitrug.
Im Rahmen der Fotografie als Kunstform stellt die Naturfotografie eine besondere Domäne dar. Seit der Geburt der bildenden Kunst galt die Natur als eine Quelle der Inspiration. Jahrhundertelang haben Künstler die Natur studiert, von ihr gelernt und sind ihr gefolgt, um sie so getreu wie möglich wiederzugeben. Dieser Akt galt auch als Suche nach der Natur in ihrer reinsten Form, als Symbol für das Schöne und Gute im Menschen, aber auch als sinnliche Befriedigung der Lust. In der Romantik wurde die Natur in all ihrer unermesslichen Größe gezeigt, um die Bedeutungslosigkeit des Menschen zu veranschaulichen.
Das Schöne an der Natur ist, dass man immer von ihr umgeben ist, selbst im Zentrum von Großstädten. Es ist ein unerschöpfliches Thema, immer verfügbar und im Prinzip immer interessant.
Seit der digitalen Revolution hat sich die Naturfotografie in kürzester Zeit denn auch zu einem der beliebtesten Trends entwickelt. Es ist, als hätte Walter Benjamin dies vorausgesehen, als er 1935 schrieb: »So wird handgreiflich, daß es eine andere Natur ist, die zu der Kamera als die zum Auge spricht … Vom Optisch-Unbewußten erfahren wir erst durch sie …«
Es ist wunderbar, dass Bart Siebelink als prominenter niederländischer Naturfotograf und Dozent an der Willem-de-Kooning-Kunstakademie in diesem Buch die Verbindung zwischen der Naturfotografie als einer Beinahe-Kunstform und der Notwendigkeit herstellt, sich selbst als Fotograf herauszufordern, um ursprüngliche, originelle, die Fantasie anregende Fotos zu machen. Damit tritt er gleichsam in die Fußstapfen von Peter Charpentier und schafft es, die Verbindung zwischen »hoher« und »niedriger« Kunst herzustellen.
Jeroen ChabotDirektor, Willem de Kooning Academie– Hogeschool Rotterdam
Einleitung
Warum dieses Buch?
Warum Sie?
Warum ich?
BEZUGSRAHMEN
Was ist das richtige Mindset?
Abläufe sind wichtiger als Ergebnisse: Spitzenfotos sind Beifang
Verlassen Sie sich auf den Prozess
Der Lernzyklus
Geschmack ist ein korrupter Gradmesser
Der kreative Prozess
Wie sieht ein kreativer Prozess aus?
Wie durchlaufen Sie den Prozess? Starten Sie Ihr eigenes Projekt!
ROADMAP Kreativer Prozess
Aufgabe:An die Arbeit mit der Roadmap!
Sich festzufahren gehört dazu
Bildsprache
Inhalts-, form- und kontextabhängige Zeichen
Was sind die inhaltsabhängigen Zeichen?
Was sind die formabhängigen Zeichen?
Was sind die kontextabhängigen Zeichen?
Was sind die inhaltsabhängigen Zeichen?
Was sind die formabhängigen Zeichen?
Was sind die kontextabhängigen Zeichen?
Was sind die inhaltsabhängigen Zeichen?
Was sind die formabhängigen Zeichen?
Was sind die kontextabhängigen Zeichen?
Auswirkungen des Kontexts
Was macht dieses Stück Erdboden an der Wand?
Gestalt und Semiotik
Symbole
Metaphern
Rhetorik
Die Sprache des Ausschnitts
Das Serendipity-Prinzip
Orientierung
Wie füttern Sie Ihren kreativen Prozess?
Faszination
Beobachten und erkennen
Ereignisse auf einem Sandweg
Aufgabe:Ankommen im Hier und Jetzt
Die Bedeutung Ihrer Innenwelt
Miksang: kontemplative Fotografie
Die Kunst des Assoziierens
Aufgabe:Code Orange
Praxis:Dies ist die Wasserphase
Fünf Fragen zum Orientierungs-Check
Fünf Tipps für bessere Orientierung
Entwicklung der Idee
Wie gelangen Sie zum Kern?
Wie sieht Ihr Plan vom Ausgangspunkt bis zum Konzept aus?
Aufgabe:Wie machen das die Meister?
Noch mehr Recherche
Ein weiteres Beispiel
Wählen Sie Ihr Medium
Ordnen und auswählen
Zwölf Auswahl-Tipps
Sechs Vorschläge zum Ordnen
Wie macht man eine Serie?
Welche Bildfunktionen gibt es?
Die Bedeutung von Sprache
Treffende Titel
Visuelle Überlegungen
Aufgabe:Erstellen Sie ein Moodboard
Praxis:Dies ist die Feuerphase
Fünf Fragen zum Orientierungs-Check
Fünf Konzept-Aktionstipps
Gestaltung
Wie macht man ein Bild interessant?
Bildkonventionen durchbrechen
High Key und Low Key
Bildzuschnitt
Restformen
Drehen, spiegeln, neigen
(Extremes) Einzoomen, Neudefinition
Aufgabe:Kopflose Tiere
Wie weit kann man gehen?
Rhythmus, Wiederholung und Bildreim
Komplexität, Schichtung, zwei Aufgaben
Experimentieren
Zufall und Unvollkommenheiten
Verfeinern
Ecken und Ränder
Schärfen
Kontrast
Seitenverhältnis
Stativ, Stativ, Stativ!
Praxis:Dies ist die Erdphase
Fünf Fragen zum Konzeptcheck
Fünf Konzept-Aktionstipps
Reflexion
Woher wissen Sie, wann es gut ist?
Selbstreflexion
Welcher Naturfotografen-Typ sind Sie?
Denken Sie über Ihre Ergebnisse nach
Vorstellungskraft
Schaffenskraft
Ausdruckskraft
Nachdenken über Ihren Prozess
Festgefahren, was jetzt?
Risiko-Bilder
Feedback
Diskurs und Jargon
Warum der Diskurs so wichtig ist
Erläuterndes Glossar
Praxis:Dies ist die Luftphase
Fünf Reflexionsfragen für Sie selbst
Fünf Reflexionsfragen zu Ihren Ergebnissen
Fünf Reflexionsfragen zu Ihrem Prozess
Dank
Bei jeder Initiative neige ich dazu, mich zu fragen: warum? Was nützt sie, was kann ich damit tun, welchen höheren Zweck erfüllt sie? Was mich betrifft, so haben Sie als Leser dieses Buchs ein Recht auf eine gute Begründung. Gleichzeitig stelle ich mir hier diese Warum-Frage laut. Alles, was jetzt folgt, kann daher als ein innerer Dialog gesehen werden: die Auswirkungen meines eigenen Kampfes, um meine Gedanken wieder zu ordnen und in Einklang zu bringen. Manchmal dezidiert, manchmal bewusst vage im Ton, aber immer so geschrieben, dass man den roten Faden nicht verliert.
Seit langer Zeit habe ich das starke Gefühl, dass Kreativität in der Naturfotografie bisher kaum ein Thema war. Das meiste, was sich dazu finden lässt, ist fragmentarischer Natur und eher anekdotisch als methodisch. Höchste Zeit also, das Buch zu schreiben, nach dem ich immer gesucht, das ich aber nie gefunden habe.
Wo soll man anfangen? Vielleicht sollten wir zuerst das Rauschen beseitigen, das den Begriff Kreativität umgibt. Bei den meisten Büchern, Websites, Workshops oder Aktivitäten, die für sich Kreativität als Thema in Anspruch nehmen, fällt mir immer das Gleiche auf: Sie beschränken sich auf Produkte, Techniken und Fertigkeiten. Auch alles, was deutlich vom üblichen Vorgehen abweicht, wird automatisch als »kreativ« etikettiert: ein bestimmter Filter, eine bestimmte Nachbearbeitung, Doppelbelichtung oder Extrembelichtung. Aus Sicht der Marketingabteilungen, die den Verbraucher immer wieder zum Kauf verleiten müssen, ist das verständlich, aber um diese Art der Kreativität geht es in diesem Buch definitiv nicht.
Es gibt unzählige »kreative« Workshops, in denen man nur die Anwendung bestimmter Techniken lernt. Dabei rückt man zwar der Entwicklung der Kreativität ein Stück näher, bewegt sich aber hauptsächlich auf der Umsetzungsebene und fällt manchmal sogar in die Trickkiste. Das wird hier etwas später im Text sicher ausreichend thematisiert, aber auch das ist nicht die Art von Kreativität, um die es in diesem Buch wirklich geht.
Dann gibt es noch die Kreativität als eine Art heiliger Gral, als die Fähigkeit, immer wieder neue, frische Ideen zu entwickeln. Wie kommt es, dass einige Fotografen ständig originelle Einfälle haben und so sensationelle Fotos machen, dass Sie perplex fragen: Warum habe ich das denn nicht gesehen? Sie kennen wahrscheinlich die quälende Frage: Woher kommen diese kreativen Ideen?
Letzteres ist genau die Art von Kreativität, die in diesem Buch beleuchtet werden soll. Denn Kreativität ist keine Technik oder Methode, sondern vor allem eine Haltung, ein Mindset. Die Kunst besteht nämlich nicht darin, ein »kreatives« Foto zu kopieren, das jemand anderes schon einmal gemacht hat. Nein, die Kunst besteht darin, jederzeit und überall eigenständig neue Themen oder Situationen zu erkennen, die Potenzial für besondere Fotos haben können. Dafür braucht man drei Elemente: ein Motiv, Kamerakompetenz und eine Vision. Das erste Element kann man ausfindig machen und besuchen, das zweite kann man unkompliziert trainieren. Aber dieses letzte Element, die Vision, ist viel weniger greifbar, obwohl sie die Quelle kreativer und unverwechselbarer Fotografie ist. Dieses Buch hilft Ihnen, eine Vision zu entwickeln.
»Gleichzeitig stelle ich mir diese Warum-Frage laut.
Alles, was jetzt folgt, kann daher als ein innerer Dialog angesehen werden.«
Zwei Seeadler, fotografiert im Donaudelta, Rumänien. Nikon D800, 500 mm, 1/2000 s, Blende 11, ISO 800, -2,3 EV, Stativ
Zurückgebogene Staubblätter einer roten Protea, einer südafrikanischen (Kap-)Blume. Man könnte darin auch kleine Fäuste erkennen, die Haarbüschel festhalten. Nikon D800, 35 mm Makro, 1/100 s, Blende 5,6, ISO 400, 0,3 EV, Blitz
Wollen Sie sich als leidenschaftlicher Fotograf weiterentwickeln und von anderen unterscheiden? Dann ist dieses Buch wie für Sie gemacht. Der Ausgangspunkt ist die Entwicklung Ihrer philosophischen Seite, eine Seite, die bei vielen Fotografen nur wenig zum Vorschein kommt. Wenn Sie mit den vier Naturfotografen-Profilen vertraut sind, werden Sie den Philosophen wahrscheinlich als einen von ihnen kennen. Es ist das am wenigsten greifbare Profil, aber es ist wichtig, dieses zu entwickeln, wenn man kreativ vorgehen will.
Für diejenigen, die diese Profile noch nicht kennen, werden sie hier kurz vorgestellt. Eine detaillierte Beschreibung finden Sie auf Seite 168–169.
Da ist zunächst einmal der Biologe, der Artenkenner, der von Natur aus motivorientiert vorgeht. Viele Biologen sind Sammler, die mit Bestimmungsführer und Natur-App durch die Landschaften ziehen.
Der zweite Fotografentyp ist der Techniker, dessen Name Programm ist. Von Natur aus hat der Techniker wenig oder gar keine biologischen Feldkenntnisse, aber eine ausgeprägte Faszination für die Digitalkamera. Er schreckt auch vor den versteckten Funktionen nicht zurück.
Ein dritter Fotografentyp ist der Künstler, für den das Bild und die Komposition wichtiger sind als das Motiv oder die Technik. Künstler haben keine Probleme, Motive zu finden. Ein morscher Baumstamm ist für sie mindestens so verführerisch wie eine seltene Tierart. Der Künstler staunt über die Natur um ihn herum; draußen zu sein ist an sich schon ein Erlebnis.
Schließlich gibt es den Philosophen, der sich im Voraus fragt, was Fotos eigentlich aussagen (wollen). Der Philosoph wird von einer persönlichen Suche nach dem tieferen Sinn getrieben und ist in der Lage, originelle Zusammenhänge herzustellen.
Der ideale Naturfotograf vereint all diese Typen in sich. Aber die Realität ist widerspenstig. Auf meiner niederländischen Website www.centrum-voornatuurfotografie.nl/test können alle, die der niederländischen Sprache mächtig sind, den Test »Welche Art Naturfotograf sind Sie?« machen, wenn sie wissen wollen, zu welcher Kategorie sie gehören.
Mittlerweile haben über 3500 Naturfotografen diesen Test absolviert. Und was stellt sich heraus? Die meisten von ihnen sind primär biologisch getrieben. Nicht weniger als 35 Prozent der Befragten hatten den Biologen als höchste Punktzahl, gefolgt von den Kategorien Techniker (30 Prozent) und Künstler (28 Prozent). Der Philosoph erzielte nur 7 Prozent. Fazit: Für erfahrene Fotografen, die technisch, biologisch und künstlerisch fortgeschritten sind, ist die Pflege des Philosophen die größte Herausforderung für ihre weitere Entwicklung.
Klingt das nicht aufregend? Wenn Sie unbedingt weiterlesen möchten, ist jetzt der Moment für eine letzte Warnung gekommen. Wenn der Philosoph die Oberhand gewinnt, kann man als Fotograf ziemlich demotiviert werden: Man wird sich nämlich fragen, wofür man das alles tut und welchen tieferen Sinn es hat. Ist es überhaupt sinnvoll? Solche Gedanken können lähmend sein und den Spaß in freier Natur bremsen. Eine gewisse Lockerheit im Umgang mit dem Inhalt dieses Buchs ist daher sinnvoll. Fordern Sie sich selbst heraus, gehen Sie neue Wege, aber immer nach dem Motto: alles kann, nichts muss!
Muster sehen, Zusammenhänge herstellen, die richtigen Fragen stellen … aber auch vor sich hin träumen und sich darin verlieren. Foto: Annemiek Sips
Wer bin ich, dass ich denke, die Weisheit gepachtet zu haben? Natürlich ist das nicht so. Aber ich bin seit mehr als dreißig Jahren beruflich in den Bereichen Kunst, Design, Biologie, Journalismus, Fotografie, Kommunikation und Bildung tätig. Ich habe gelernt, Muster zu sehen, Zusammenhänge herzustellen und die richtigen Fragen zu stellen.
Für mich begann alles mit der Natur. Schon als Kind war ich verrückt danach. Viele Naturliebhaber teilen ihre Leidenschaft mit einem Familienmitglied, aber bei uns zu Hause war ich der einzige. Anscheinend habe ich den Naturvirus von meinem Urgroßvater mitbekommen, aber für eine Begegnung reichte die Zeit leider nicht. Die Tatsache, dass ich zu Hause mit meiner Leidenschaft alleine dastand, hatte weitreichende Konsequenzen, von denen Sie als Leser nun profitieren.
Es verhielt sich nämlich so: Wenn wir beispielsweise spazieren gingen, blieb ich immer am Wegesrand hängen und machte dort alle möglichen Entdeckungen. Ein Frosch, eine Wanze – ich fand das alles unglaublich aufregend. Die anderen mussten ziemlich oft auf mich warten, und aus Gründen, die mir damals unverständlich waren, gab es dafür auch ein Zeitlimit. Auch die Urlaubsziele wurden leider nicht nach dem Naturgehalt ausgewählt, und ich musste mich mit sehr wenig zufriedengeben. Dazu gehörte beispielsweise der brachliegende Grünstreifen zwischen Ferienhaus und Strand. Aber kein Problem: Es war ja in Italien, und da wuselten Ruineneidechsen umher, also hatte ich meinen Spaß dort. Am Ende des Urlaubs hatte ich die tiefste Sonnenbräune von meinem stundenlangen, gebückten Laufen in der Sonne. Warum erzähle ich Ihnen das alles? Um Ihnen zu zeigen, dass ich schon früh lernen musste, mit Kompromissen zu leben.
Jahrelang habe ich mich dagegen gesträubt. Ich meinte sogar lange Zeit, im falschen Land geboren zu sein. Erst viel später wurde mir allmählich klar, dass hinter all diesen Kompromissen etwas Größeres steckte: die Kraft der Beschränkung! Während meines Biologiestudiums habe ich ein Praktikum in der Abteilung für Bodenökologie absolviert. In einem der Aufenthaltsräume der Fakultät hing ein Spruch an der Wand: »The soil is the poor man’s rain forest.« Damals fand ich das trist, jetzt finde ich es treffend!
Beschränkung führt zwangsläufig dazu, dass man der Sache einen eigenen Dreh geben muss. So wurde mein wichtigster Trumpf nicht das aufregendste Motiv, die spektakulärste Landschaft oder das bezauberndste Morgenlicht, sondern sehen zu lernen und visuell außergewöhnliche Bilder zu erzeugen, anywhere and anytime. Ich lernte, vor Ort immer schneller den Unterschied zu erkennen zwischen Situationen, die höchstens passable Fotos hervorbringen, und Situationen mit Potenzial für etwas Besonderes. Kurz gesagt: Beschränkung führt zu Kreativität. Der Begriff creative constraint unterstreicht dies. Oder das deutsche Sprichwort: In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister. Und ist die so hoch geschätzte italienische Küche nicht aus Armut und Beschränkung entstanden?
Fazit: Beschränkung macht kreativ. Aber das ist nicht der einzige Faktor, der zählt. Schließlich kann man über massenhaft Zeit verfügen und in interessanten Motiven ertrinken und trotzdem in der Durchschnittsfotografie stecken bleiben. Man muss nicht viel Zeit im Internet verbringen, um zu sehen, was ich meine. Die Beschränkung ist also funktional. Aber wie setzt man dies in Kreativität um, und wie kann man das für sich selbst nutzen? Darum geht es in diesem Buch.
Dieses Buch enthält keine Techniken, Rezepte oder Standardmethoden. Sie würden den Prozess nur vorhersehbar machen. Kreativität ist jedoch Einstellungssache. Dahinter verbergen sich bestimmte Schlüsselerkenntnisse, die Ihnen helfen, mit der Fotografie lockerer und eigenwilliger umzugehen. Das ist das Thema in diesem Einleitungskapitel.
Kennen Sie diese alte japanische Erzählung? Der Kaiser beauftragt einen Künstler, einen Hahn für ihn zu zeichnen. Der Künstler geht zurück in sein Atelier und lässt wochenlang nichts mehr von sich hören. Der Kaiser schickt einige Diener zu ihm. Als auch diese unverrichteter Dinge zurückkehren, beschließt er letztendlich nach einem Jahr, selbst hinzugehen. Er tritt ein und fragt in einem herrischen Ton: »Wo bleibt mein Hahn?« Der Künstler bückt sich, rollt ein großes Blatt Papier auf, taucht seinen Pinsel in die Tinte, und ratzfatz entsteht der schönste Hahn, den der Kaiser je gesehen hat. Der Kaiser ist hingerissen. Doch dann wird er wütend und fragt: »Warum ging das nicht schon früher?« Daraufhin bedeutet ihm der Künstler, weiter ins Haus zu gehen. Dort zeigt er dem Kaiser ein großes Atelier voller Skizzen von Hähnen. »All diese musste ich erst machen, damit ich den einen Hahn für den Kaiser zeichnen konnte.« Der Kaiser versteht – er ist ein weiser Mann.
»Übung macht den Meister«, lautet ein altes Sprichwort. Dies gilt nicht nur für künstlerisches Können wie das Zeichnen eines Hahns. Das gilt für alle Aktivitäten, die letztendlich zu außergewöhnlichen Ergebnissen führen.
Zurück zum japanischen Künstler: Alle früheren Skizzen, die er anfertigte, wurden von einem bestimmten Ablauf beherrscht. Sollten Sie glauben, dass dieser Ablauf nur darin besteht, immer wieder korrekte Linien flüssig zu Papier zu bringen, starren Sie blind auf die Ausführung und übersehen mindestens drei Viertel des kreativen Prozesses.
Der Künstler beginnt schon viel früher damit, Hähne zu beobachten. An vielen Morgen ist er dabei, wenn sie krähen, sich stolz strecken und bei jedem »Kikeriki« kleine Atemwolken ausstoßen. Er folgt den Kurven und dem Glanz jeder Schwanzfeder. Er vergleicht die Unterschiede ihrer markanten Kämme. Ihm fällt auf, wie die roten Hautlappen nach jeder heftigen Kopfbewegung noch nachvibrieren. Es entgeht ihm nicht, dass sich auf halber Höhe der Läufe elegante, nach hinten gebogene Sporen befinden.
Er spürt fast die Behutsamkeit, mit der ein Hahn bei jedem Schritt seine Zehenspitzen zuerst auf den Boden setzt. Während des Zuschauens wirft der Künstler kontinuierlich Kohleskizzen aufs Papier. Manchmal strichelt er grob, manchmal nimmt er sich die Zeit, Details auszuarbeiten. Er zeichnet zehn Hahnenköpfe mit verschiedenen Kammformen.
Fünf verschiedene Schwanzpartien und viele Posen. Während er skizziert und beobachtet, trifft er intuitiv Entscheidungen. Er bemerkt, dass keine zwei Hähne den gleichen Kamm haben. Welche Kammform spricht ihn am meisten an und warum? Zu Anfang dachte er, dass er den traditionellen roten Stehkamm mit seinen gleichmäßig verteilten aufrechten Spitzen bevorzugen würde. Doch allmählich findet er es viel faszinierender, wenn er ein unvorhersehbares Element im Kamm entdeckt. Der vordere Teil darf schlapp über den Schnabel fallen, entscheidet er. Das strahlt seine Ranghöhe aus.
Nach und nach entwickelt er Vorlieben für die Farben der Federn, die Haltung der Läufe, die Länge der Schwanzfedern, den Gesichtsausdruck des Hahns. Er meint, er dürfe ihn ein bisschen übertreiben. Schließlich hat der Künstler seinen Auftraggeber nicht vergessen: den mächtigen Kaiser. Ihm ist bewusst, dass von ihm ein Hahn erwartet wird, mit dem sich der Herrscher identifizieren kann.
Der Künstler hat sich selbst bereits ein Bild von den persönlichen Eigenschaften des Kaisers gemacht, die er durch die Zeichnung vom Hahn zum Ausdruck bringen will. Natürlich sollte es zumindest ein stolzer, imposanter Hahn sein, aber keine vorhersehbare Karikatur.
Glücklicherweise war der Künstler beim ersten, kurzen Kontakt mit dem Kaiser so klug gewesen, sehr genau hinzuschauen. Er bemerkte, dass der Kaiser zuerst zwar einen strengen und distanzierten Eindruck machte, gleichzeitig aber ein milder, gewinnender Ausdruck in seinem Blick lag. Also beschloss der Künstler, dass sein Hahn zugänglich und weise wirken sollte.
Deshalb beobachtete und zeichnete er auch stolze Soldaten und besuchte Dorfälteste, vor deren Weisheit man Hochachtung hatte. Er wollte einfach das Äußere der Eigenschaften erfassen, die ihn so faszinierten. Wie er diese Eigenschaften auf seinen Hahn projizieren würde, wusste er zu jenem Zeitpunkt noch nicht. Aber er wusste, dass alles gut werden würde.
Nicht einen Moment lang dachte der Künstler: Jetzt stecke ich gerade in einem Prozess. Er folgte intuitiv seinem Gefühl und tat, was er für richtig hielt. Wenn wir die Geschichte jedoch noch einmal auf einer abstrakteren Ebene analysieren, gibt es eindeutig einen Ablauf mit unterschiedlichen Elementen.
Zunächst einmal gibt es eine Orientierungsphase mit einem Forschungsschwerpunkt, wobei man sich nicht um das Endergebnis sorgt. Parallel dazu läuft die Phase der Ideenentwicklung, in der eine Idee vom Endergebnis Gestalt annimmt. Schließlich gibt es ein permanent präsentes Gestaltungselement, bei dem die Aktivitäten auf die Ausführung, Gestaltung und Verfeinerung des Endergebnisses ausgerichtet sind.
In all diesen Phasen findet eine Dokumentation in Form von vielen Skizzen und Zeichnungen statt. Da sich der Künstler (zusätzlich zu seinem bereits vorhandenen Talent und Erfahrungsschatz) so intensiv damit beschäftigte, erreichte er ein solch hohes Kompetenzniveau, dass er den Hahn im entscheidenden Moment perfekt zeichnen konnte.