Krieg kommt nicht aus einer schwarzen Wolke - Raimund Ernst - E-Book

Krieg kommt nicht aus einer schwarzen Wolke E-Book

Raimund Ernst

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Beschreibung

Die Erinnerung an KuBa soll dem in diesem Land verordneten Vergessen über das vergangene »andere« Deutschland entgegenwirken und das Bewusstsein lebendig erhalten, dass eine andere, sozialistische Gesellschaft möglich war und deshalb auch weiterhin möglich sein wird, wenn nicht gar bei Strafe des Untergangs der Menschheit ohne Alternative ist. Wer unserem Angebot der Erinnerung an ihn folgt oder ihn auf diese Weise erstmalig kennenlernt, erlebt ein literarisches Werk von außergewöhnlicher Aktualität, dessen zeitloses Erbe den Rang eines politischen Pflichtprogramms erhält. Mit seiner Hilfe lassen sich verschüttete und erloschene Hoffnungen wiedergewinnen. – Raimund Ernst im Vorwort

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Raimund Ernst (Hrsg.)

Krieg kommt nichtaus einer schwarzen Wolke

Kulturpolitische Aufsätze, Gedichteund Liedtexte von Kurt Barthel (KuBa)

Inhalt

I. Vorwort

II. Biografische Angaben

III. Reden und Aufsätze

Kultur wird gesucht

Max erleidet eine Niederlage

Schleier weg

Erich Weinert spricht

Unsere Aufgaben

Die schöpferischen Kräfte sind da – aber sie müssen geweckt werden

Die Wahrheit über die Wirklichkeit

Freiheit, die ich meine

Die gewaltige Thematik dieses V. Parteitages …

Kulturarbeit zu machen …

Wieder öffnen wir einer jungen Woge das Tor der Kindheit

Zum Gedicht »Rebell«

Unser Parteitag hat noch einmal festgestellt …

Wir als Kunstschaffende – der Arbeiterklasse angehörig

IV. Gedichte und Liedtexte

Nacht ohne Bett/Obdachlosen-Liedchen

Mäuseballade

Die Mutter spricht/Totensonntag 1920

So tief wie das Wasser

Lied der Granaten

Totentanz und Lebenslied der Graslitzer Geigenmacher

Aufruf 1936/Es rosten die starken Maschinen

Die Flotte läuft aus

Menschenbruder

Gruß an die Tschechen

Deutsches Soldatenlied

Fällt der eiserne Regen

Soldatenmütter

Gedicht vom Menschen

Junges will leben

Eine Welt aus den Angeln zu heben

Dass Deutschland nimmer werde …

Hüttenwerk

An eine Landesparteikonferenz

Dem 7. Oktober 1949

Der Plan

Gegen den Krieg

Gehört dem Volk

Kantate auf Stalin

Sagen wird man über unsre Tage

Junge Veteranen

Brot und Wein

Lied vom glücklichen jungen Kapitän

Ja, Häuser baun

Hebespruch

Zimmermannstanz/Bauhebe

Lied vom Mähdrescher

Mein neues Dorf

Thälmann

Ein Herz, das sich niemals ergab

KPD

Die Ballade vom Onkel Friedrich

Ohne Kapitalisten geht es besser

Die ihr heut zwischen 14 und 20 Jahren seid …

Rolle, Ostseewoge, rolle

Neue Reeder

Die Schlepper, sie stampfen und wühlen

Geht hin und wählt!

Mensch – Regier die Weltenwaage

Nachdichtungen

Kaukasische Rhapsodie

Ich singe den Frieden (Auszug)

Partisanen vom Amur

Für den Frieden der Welt

Die Mär von der Freundschaft

Einsame Harmonika

V. DEFA-Filme

Kommentar zu »Schlösser und Katen« – 1956

Kommentar zu »terra incognita« – 1965

VI. Theaterstücke

Kommentar zur »Ballade vom Klaus Störtebeker« – 1959

Kommentar zu »Dantons Tod« – 1962

Kommentar zu »Nabucco« – 1963

Kommentar zu »Unbesiegbares Vietnam« – 1967

VII. Werkverzeichnis

Im Spiegel unsrer Kunst

VIII. Nationalhymne der DDR

IX. Bildnachweis

X. Abkürzungen

Die Verwendung des Violinschlüssels weist auf Vertonungen von Gedichten hin.

I. Vorwort

Kurt Barthel – Persönlichkeit, Schicksal und Werk des Antifaschisten, Kommunisten und Arbeiterschriftstellers vor dem Vergessen bewahren!

Mehr als ein Jahr, nachdem die Waffen in Europa schwiegen und Deutschland vom Faschismus befreit war, erhielten der antifaschistische Emigrant Kurt Barthel und seine wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgte Frau Ruth im Herbst 1946 von den britischen Behörden die Genehmigung zur Rückkehr in ihre Heimat. Das Ziel war Berlin, genauer der unter sowjetischer Besetzung und Verwaltung stehende Teil der Stadt. Hinter ihnen lag die Flucht – häufig unter Lebensgefahr – in ein durchaus nicht leicht zu findendes, aufnahmebereites Land, sie hatten in der Fremde ein entbehrungsreiches Leben, teilweise in Internierungslagern, geführt und waren vom Warten auf die Heimkehr zermürbt. Hinter ihnen lag vor allem ein Krieg, der nicht seinesgleichen an Zerstörung, Gewalt und Tod gehabt hatte. Für Kurt Barthel, der seinen Vater zu Beginn des ersten Weltkrieges verloren hatte und ohne Vater aufgewachsen war, blieb daher Zeit seines Lebens der Kampf gegen den Krieg das Wichtigste. Einfühlsam und ohne falsches Pathos beschreibt er in dem Gedicht »Die Mutter spricht« den Kummer und das Leid als unausweichliche Folge des Krieges (S. 82). Und unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg erhebt er wieder seine mahnende Stimme »gegen den Krieg« (S. 135). Das Gedicht beginnt mit den Versen »Krieg kommt nicht aus einer schwarzen Wolke, Krieg ist nicht ein Sommerhagelschlag«. Ursachen und Verursacher von Kriegen haben Namen, sie sind also erkennbar, und deshalb sind sie auch aufhaltbar. Hierfür sein künstlerisches Talent einzusetzen, stand für ihn an erster Stelle.

Das Gefühl, durch den Sieg der Alliierten der Anti-Hitler-Koalition befreit worden zu sein, das die Emigranten wie die in der eigenen Heimat Verfolgten gleichermaßen beseelte, wurde, wie rasch klar wurde, von der überwiegenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht geteilt. In ihrem antifaschistischen Kampf gehörten jene zur Minderheit, und sie blieben auch lange Zeit nach ihrer Rückkehr vor allem in den Westzonen Außenseiter, denen man mit Misstrauen begegnete. Es ist heute kaum noch vorstellbar, mit welchem Enthusiasmus sich trotzdem die Generation der Emigranten und Verfolgten – so es denn ihre Gesundheit zuließ – in die politische Aufbauarbeit stürzte. Vielleicht lag dies auch an der Einsicht, politisch zur Minderheit zu gehören, die sie als Verpflichtung den getöteten Opfern gegenüber immer wieder antrieb, ohne Schonung der eigenen Person im Kampf und Einsatz um ein – im wahrsten Sinn des Wortes – neues Deutschland nicht nachzulassen. Ein Deutschland, wo dem Faschismus nicht nur das Haupt abgeschlagen war, sondern wo er bis auf seine Wurzeln vernichtet wäre. Ein Deutschland, von dem nie wieder ein Krieg ausgehen würde und in dem die Profiteure des Krieges ein für alle Mal entmachtet sein würden. Ein Deutschland, in dem das Vermächtnis der deutschen Novemberrevolution nach dem 1. Weltkrieg erfüllt sein würde und der Weg in eine friedliche Zukunft auf der Grundlage sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit geebnet wäre. Dies schien dem Ehepaar Barthel in der sowjetischen Besatzungszone eher möglich zu sein als im Westen, der das Ziel eines neuen einheitlichen Deutschlands auf dem Altar der Restaurierung der alten Besitz- und Machtverhältnisse opferte. So war es nur konsequent, dass nach Gründung des westdeutschen Separatstaates die Identifizierung mit dem übrigen kleineren Teil Deutschlands in Gestalt der Deutschen Demokratischen Republik nicht nur eine Sache des Kopfes war, also der politischen Überzeugung, sondern auch eine des Herzens, einer erlebten und gelebten Solidarität, eines neuen menschlichen Miteinander.

Im Mai 2024 sind 75 Jahre nach Gründung der BRD vergangen. Mit der Würdigung von Kurt Barthels Leben und Werk erinnern wir daran, dass während dieser Zeit 40 Jahre lang eine staatliche Alternative zu dem »alten« Deutschland Bonner Prägung existiert hat. Die historische Wahrheit lässt es nicht zu, die offizielle Geschichte der Deutschen in ihrer Nationalstaatlichkeit zu reduzieren auf die herrschende, gradlinige Traditionslinie seit 1870/71. Andere werden vielleicht als historischen Bezugspunkt die Novemberrevolution und die Weimarer Republik wählen, wieder andere werden gerade wegen des erneuten von Deutschland ausgegangenen Krieges die Jahre nach 1945 als willkommenen, weil unbelasteten Beginn deutscher Nationalstaatlichkeit den Vorzug geben. Wenn die Frage des 19. Jahrhunderts »Was ist des Deutschen Vaterland« nach der Bismarck’schen Reichseinigung beantwortet schien, ist die Frage »Was ist, was gehört zur Geschichte des deutschen Volkes« alles andere als abgeschlossen. Und genau dieser Umstand wird durch die historische Existenz der DDR wachgehalten, denn selbst nach ihrem Anschluss an die BRD ist diese Frage nicht endgültig beantwortet, ist die Frage danach, wie ein »neues« Deutschland aussehen soll, immer noch aktuell.

Für die Generation der Antifaschisten und Emigranten, der politisch Verfolgten und Lagerhäftlinge war ein »neues« Deutschland nur denkbar, wenn aus der bisherigen deutschen Geschichte die notwendigen Lehren mit aller Konsequenz und Gründlichkeit gezogen würden. Diese Lehren auf ein bloßes »Nie wieder« oder gar »Nie wieder ist jetzt« zu reduzieren, ist keine Aufarbeitung deutscher Geschichte. Es ist in diesen Monaten populär geworden, mit dieser griffigen, im Grunde inhaltsleeren Losung auf die Straße zu gehen und gegen die drohende Gefahr von rechts zu demonstrieren, was für dieses Land einen nicht gering zu schätzenden gewissen demokratischen Hoffnungsschimmer darstellt. Allerdings wenn in einem historischen Kurzschluss der Eindruck erweckt wird, als stünde man in der Tradition des Schwurs von Buchenwald, betrachte sich also als jemand, der auf diese Weise ein antifaschistisches Vermächtnis erfüllt, dann lohnt es schon, noch einmal sich den Schwur von Buchenwald im Original anzuschauen: »Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig.« Hier wird die Perspektive eines »neuen« Deutschland umrissen, das das Eingeständnis und die Erkenntnis eigener großer historischer Schuld zur Voraussetzung des staatlichen Neubeginns macht und zu einer friedlichen Nachbarschaft in Europa verpflichtet. »Nie wieder« ist also nicht aus Gründen politischer Opportunität auf »heute« beschränkt, sondern es war Losung und Programm nach 1945, behält seine Gültigkeit in der Gegenwart, aber mehr noch für die Zukunft.

Von dieser Einstellung und Überzeugung getragen, stellte sich Kurt Barthel dem Aufbau eines »neuen« Deutschland mit seiner ganzen Kraft und Persönlichkeit zur Verfügung. Der Anspruch zielte auf das ganze Deutschland, und so blieb es bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1967, der ihn in gleichsam »historischer Mission« anlässlich eines Gastspiels des Rostocker Volkstheaters zu Ehren des 50jährigen Jubiläums der Oktoberrevolution in Frankfurt am Main ereilte. Zu diesem Zeitpunkt konnte er bereits auf ein eindrucksvolles literarisches und dramaturgisches Schaffen zurückblicken, das ihn beim Aufbau des Kulturlebens des zweiten deutschen Staates zu Recht eine prominente Stelle einnehmen ließ. Auch wenn es nicht das ganze Deutschland war, so galt es doch zu beweisen, dass es »ohne Kapitalisten besser geht«, wie es in dem von ihm 1957 verfassten Text für ein Lied heißt »Ohne Kapitalisten geht es besser« (S. 179).

Für Kurt Barthel war dies keine am Schreibtisch erdachte Losung, sondern er verstand es als Verpflichtung und persönlichen Auftrag, dies in der harten Realität eines zerstörten Landes mit unzulänglichen ökonomischen Ressourcen und einer vom Faschismus verblendeten und dadurch entmutigten Bevölkerung künstlerisch umzusetzen und so auch mit Hilfe der Kultur den Menschen eine neue gesellschaftliche Perspektive zu eröffnen. Es kann daher nicht überraschen, dass der Schreibtisch für den Schriftsteller Kurt Barthel nicht sein bevorzugter Arbeitsplatz war, sondern ihn drängte es an die Orte, an denen der Kampf um das »Neue« sich entscheiden würde: in der Produktion. So ging er Anfang 1948 als Betriebszeitungs-Redakteur und Kulturleiter in die Maxhütte Unterwellenborn, das Herzstück der neu entstehenden Schwerindustrie im Osten. Im Januar 1949 legte er hier in einem Artikel der Werkszeitung mit nur einem Satz »sein« Programm der Kulturarbeit vor, das auch später Maß und Richtung künftigen Kulturschaffens bestimmen würde. »Das Ziel aller Kulturarbeit in unserer Zone heute ist, das barbarische Erbe der faschistischen Ära zu überwinden, den Menschen selbst umzumodeln.« Dies gelingt durch eine neue Kultur. »Sie entsteht im Kraftzentrum des menschlichen Lebens, und das ist heute die volkseigene Industrie, das sind Fabriken, das ist für uns die Maxhütte.« Eingefangen sind die Stimmung und Erwartungen jener Zeit in seinem Gedicht »Sagen wird man über unsere Tage« (S. 153).

Die Gründung der DDR als »neues« Deutschland (vgl. »Dem 7. Oktober 1949« als ein Vorschlag für eine Nationalhymne gedacht, S. 127), die Einführung einer gesamtgesellschaftlichen Wirtschaftsplanung (»Der Plan«, S. 129) und die Entscheidung über die Schaffung der Grundlagen für den Aufbau des Sozialismus, und immer wieder die wirtschaftlichen Erfolge im Großen wie im Kleinen, die ohne Kapitalisten gelangen und im Selbstbehauptungskampf gegen den kapitalistischen Nachbarn stets und ständig gesichert wurden (vgl. »Lied vom glücklichen jungen Kapitän«, S. 159; »Ja, Häuser baun«, S. 163; »Zimmermannstanz/Bauhebe«, S. 165; »Mein neues Dorf«, S. 168), – in allen Fällen war Kurt Barthel niemals nur Zuschauer, sondern immer aktiver Teilnehmer, all das fand Niederschlag in seinen Gedichten und Liedtexten.

Seine besondere Aufmerksamkeit, ja Liebe galt der heranwachsenden Jugend. Hier knüpfte er an seine persönlichen Erfahrungen an, die er in der Jugendarbeit seiner sächsischen Heimat gesammelt hatte und die ihn in der englischen Emigration an der Gründung einer eigenständigen überparteilichen Jugendorganisation, der »Freien Deutschen Jugend«, mitwirken ließen. Seine Hoffnungen und Erwartungen fanden sich bestätigt in einer Zeile des Liedes aus den vergangenen Zeiten des Bauernkrieges »Wir sind des Geyers schwarzer Haufen«, in dem es trotz Niederlage siegesgewiss heißt: »Die Enkel fechten’s besser aus«. Es ist daher kein Zufall, dass noch heute der Name Kurt Barthel oder KuBa im »angeschlossenen« Teil Deutschlands erinnert wird im Zusammenhang mit Jugendweihefeiern (vgl. das Gedicht »Die ihr heut zwischen 14 und 20 Jahren seid …«, S. 181). Die neue Zukunft zu gewinnen war eben nur möglich, wenn die Jugend für das Neue begeistert und gewonnen wird.

Seine Rolle als Kulturschaffender war die eines Politikers, und seine Rolle als Politiker war die eines Kulturschaffenden. Für ihn waren Kultur und Politik unlösbar miteinander verbunden, und er betrachtete als überzeugter Kommunist beide Aufgabenfelder, in denen er verantwortlich tätig war, gleichsam als »seine« Parteiarbeit. Parteinahme und Parteilichkeit entsprachen seiner Lebenserfahrung, sie halfen ihm Verfolgung und Emigration zu überstehen, und sie blieben daher auch sein Kompass während des antifaschistisch-demokratischen Neubeginns und des Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus in der DDR. Was sich in der Rückschau so einfach als seine Lebensleistung zusammenfassen lässt, verlief im realen Leben natürlich alles andere als widerspruchsfrei. Am deutlichsten wird dies vielleicht in den Tagen des Juni 1953 und seiner Position, die er als damaliger Generalsekretär des Schriftstellerverbandes eingenommen hatte und für die er im Westen endgültig als »Hofsänger Walter Ulbrichts« abgestempelt wurde.1 Wie er sich mit jenen Ereignissen des Juni im Kreis seiner Kollegen auseinandergesetzt und welche Schlussfolgerungen er gezogen hatte, verrät seine auch heute noch lesenswerte Rede, die er einen Monat danach im Verband gehalten hatte (»Unsere Aufgaben«, S. 25).

Bei einer Gesamtschau über das Werk Kurt Barthels nimmt sein »Gedicht vom Menschen« (S. 100) einen herausragenden Platz ein. Selbst seine ärgsten Kritiker und Widersacher kamen nicht umhin, ihm für diese literarische Schöpfung eine gewisse Anerkennung auszusprechen. Entstanden weitgehend in der Emigration – er hatte das fast fertige Manuskript bei der Heimkehr in seinem Gepäck – stellt es eine Art Selbstvergewisserung seines Denkens und Schaffens dar, die ihn aus der Liebe zum Menschen für die Verbesserung der Welt kämpfen lässt, die seinen Humanismus verbindet mit dem Kommunismus. Auf ein ganz anderes Genre hat er mit seiner Ballade vom »Klaus Störtebeker« zurückgegriffen. Die Suche nach historischen Vorbildern des Widerstands gegen Obrigkeit und Unterdrückung, die über Jahrhunderte hinweg in der Erinnerung der Menschen lebendig geblieben waren, führte ihn zur Geschichte von Leben und Tod des als Seeräuber verleumdeten Störtebeker, der als Haupt der »Likedeeler« den Kampf gegen die Hanse mit dem um soziale Gerechtigkeit verbunden hatte. Die Freiluftaufführungen in Ralswiek auf Rügen hatten ein gewaltiges Echo, das weniger an den Schöpfer Kurt Barthel erinnerte als vielmehr an ein großartiges Spektakel, das einen ganzen Ort in eine Bühne und seine Bevölkerung in Mitwirkende dieses Theaterstücks verwandelte. Selbst Jahrzehnte nach den ersten Aufführungen und noch nach dem Anschluss der DDR hallt dieses Echo in der kommerziellen Neuauflage der heutigen Zeit nach, auch wenn die ursprünglichen Absichten des Autors unsichtbar gemacht worden sind.

Umso mehr mühte sich der Westen Deutschlands, die Erinnerung an Kurt Barthel zu reduzieren auf ihn als den Verfasser einer »Stalinkantate« (S. 138). Wie so häufig in der Welt politischer Vorurteile und Schmähungen nähren diese sich vornehmlich aus bewusster Ignoranz und schlichter Unwissenheit. Wie auch immer dieses Gedicht literarisch beurteilt werden mag – und deshalb sei die eigene Lektüre empfohlen –, wird eines doch ziemlich klar: es eignet sich nicht, um KuBa als Stalinisten zu verunglimpfen. Ein Gedicht über die Stalinallee und eines zu dessen Tod komplettieren das Werk KuBas, Stalin betreffend, während in den acht Bänden seiner im Mitteldeutschen Verlag erschienenen Werkausgabe nicht eine einzige Zeile über Stalin zu finden ist.

Allen, die mehr von KuBa lesen wollen, sei mitgeteilt: Gedrucktes ist von KuBa nicht mehr im Buchhandel erhältlich, sondern nur noch antiquarisch zu erwerben. Seine Übersetzungen und Nachdichtungen, seine Romane und Drehbücher und nicht zuletzt sein dramaturgisches Wirken am Rostocker Volkstheater konnten hier nur erwähnt werden in der Absicht, die Breite seines künstlerischen Schaffens aufzuzeigen. Mit seiner Kunst wollte er den ganzen Menschen ansprechen, alle seine Sinne, um ihn für das »neue« Deutschland, das ihm Ziel und Programm war, »umzumodeln«. Dieses Lesebuch soll zumindest einen ersten Zugang zu seinem Werk eröffnen, es soll Mut und Lust machen, einen – inzwischen – nahezu unbekannten Arbeiterschriftsteller zu entdecken, der wie kaum ein zweiter diese Kennzeichnung als Ehrentitel trägt.

Die Erinnerung an KuBa soll dem in diesem Land verordneten Vergessen über das vergangene »andere« Deutschland entgegenwirken und das Bewusstsein lebendig erhalten, dass eine andere, sozialistische Gesellschaft möglich war und deshalb auch weiterhin möglich sein wird, wenn nicht gar bei Strafe des Untergangs der Menschheit ohne Alternative ist. Wer unserem Angebot der Erinnerung an ihn folgt oder ihn auf diese Weise erstmalig kennenlernt, erlebt ein literarisches Werk von außergewöhnlicher Aktualität, dessen zeitloses Erbe den Rang eines politischen Pflichtprogramms erhält. Mit seiner Hilfe lassen sich verschüttete und erloschene Hoffnungen wiedergewinnen.

In Ergänzung hierzu wird verwiesen auf das Angebot eines 90-minütigen Vortrags zu KuBa mit Informationen zu seinem Leben und Werk durch den Herausgeber. Bei Interesse möge man sich an den Verlag wenden.

1 J. Barthel (Hrsg.), Es kommt dein Tag, Genosse Spartakus! Erinnerungen an den Antifaschisten, Schriftsteller und Dramaturgen KuBa (Kurt Barthel), Essen 2021, S. 10.

II. Biografische Angaben

8. Juni 1914: Geburt in Garnsdorf bei Chemnitz

1920–1928: Volksschule in Garnsdorf

1928–1932: Lehre als Dekorationsmaler in Chemnitz

1933–1946: Politischer Emigrant in der ČSR und in Großbritannien

1946–1947: Redakteur beim Dietz-Verlag, Berlin

1948–1949: Kulturleiter im VEB Maxhütte/Thür.

1950–1951: Künstlerische Beratung des Ensembles der HVA (später Erich-Weinert-Ensemble der NVA)

1950–1954: Kandidat des Zentralkomitees des SED

1950–1958: Mitglied der Volkskammer der DDR

1952–1954: Generalsekretär des Deutschen Schriftstellerverbandes

1953–1967: Mitglied der Akademie der Künste der DDR

1954–1967: Mitglied des Zentralkomitees der SED

1957–1967: Chefdramaturg am Volkstheater Rostock

1960: Ehrendoktorwürde der Universität Rostock

1958, 1959, 1964: Verleihung des Nationalpreises der DDR

12. November 1967: Tod nach Herzinfarkt während eines Auslandgastspiels des Volkstheaters Rostock

Abb. 1: KuBa bei seinem Referat auf dem III. Deutschen Schriftstellerkongress in Berlin 1952

III. Reden und Aufsätze

Kultur wird gesucht

WIR WOLLEN UNS MAL ERKUNDIGEN, wo denn eigentlich die deutsche Volkskultur steckt.

Da ist eine enge, holprige Gasse. Da sind ein paar alte, schindelgedeckte, baufällige Hütten, die Leute, die daran vorbeigehen, sagen:

»Sind die aber morsch!«

Und die Häuschen lehnen sich aneinander, erzählen sich von vergangenen Zeiten.

Aber eines Tages werden sie aus ihrem stillen Winkel aufgestöbert. Da kommt ein junger Mann – ihr könnt ihn euch vorstellen: hochgewachsen, breitschultrig, blond, weiße Strümpfe – – Er umschleicht die Hütten, beäugt sie sich von allen Seiten, klappt eine Leica auf, sagt im Geiste »bitte recht freundlich« und schnapp –

Das Negativ wird dann entwickelt, kriegt noch ein wenig Retusche und erscheint als Bild mit solchem Titel:

STÄTTE DEUTSCHER VOLKSKULTUR.

Motiv aus der Windgasse.

»Motiv« ist wichtig, das ist die Musik zu dem Bild.

Die Kamera hat gesprochen. Die Häuschen machen auf dem Bilde freundliche Gesichter. Und die Leute, die früher sagten: »Sind die aber morsch«, die sagen jetzt: »Ach, ist das aber nett!«

Die öffentliche Meinung haben sie ausgerichtet, die Bildchen. Das ist alles!

Gegen die alten Häuschen ist natürlich nichts einzuwenden. Daß sie von dem Mann mit der Leica vergewaltigt wurden, daran sind sie unschuldig. Und daß in ihnen noch Menschen wohnen müssen, dafür können sie auch nichts.

Das Alter soll man ehren. Aus den Hütten könnte man zum Beispiel Museen machen. An der Tür könnte man ein Plakat anbringen mit der Aufschrift:

IN SOLCHEN KATEN MUSSTEN UNSERE VÄTER HAUSEN.

Das Volk würde kommen und sagen: »Wie gut, daß die Zeiten vorbei sind! Es gruselt einen, wenn man bedenkt, daß unsere Väter da drin verkümmert sind.«

Das wäre Kultur!

Leider sind die Zeiten noch nicht vorbei.

Leider verkümmert das Volk.

In Reichenberg gibt’s eine Talsperre – außerdem einige Kirchen – außerdem einen modernen Brunnen am Markt – außerdem einen Tiergarten – außerdem gepflegte Anlagen – außerdem ein fabelhaftes Krematorium – außerdem einen Platz, wo Hunde dressiert werden – außerdem noch vieles.

Kultur ist das schon. Aber mit dem Volke hat es nichts zu tun.

Wo soll man denn nun bloß suchen?

Natürlich im Zentrum des Deutschtums.

Natürlich im Liebiegviertel.

Reichenberg liegt im Schatten der Liebiegwerke.

Die Liebiegwerke – das ist ein ganzer Stadtteil.

Liebieg besitzt eine große Arbeitersiedlung.

Die Namen sämtlicher Vorfahren Theodor Liebiegs sind auf Straßentafeln verewigt. Einige Kilometer von Reichenberg entfernt gibt es einen Aussichtsturm, der hieß früher mal Hohe Habsburg. Heute heißt er Liebieghöhe. Die Parallele ist richtig.

Liebieg beherrscht dieses Stück Erde. Und wie er es beherrscht!

»Beiß mal in das Brot« – sagt ein junger Liebiegarbeiter. –

»Nicht zu essen das Zeug.«

»Habt ihr hier solch schlechtes Brot?«

»Nein, das Brot ist gut. Ich hab’s aber mit in der Fabrik gehabt, da zieht es den Gestank so an. Ich kann das Brot essen, weil ich’s gewohnt bin.«

Eine Arbeiterin kommt eben aus dem Betrieb. »Sehen Sie sich mal diesen Eßtopf an.« (Er ist ganz grau vor Staub.)

»Na und?«

»Den Dreck muß man jeden Tag bei Liebieg hineinfressen, außer jenem, den man einatmet. So sieht das aus!«

Ein Arbeiter erzählt, daß oft Beamte durch den Betrieb gehen, die mit der Uhr in der Hand das Arbeitstempo kontrollieren.

»Wenn ich da was zu sagen hätte …«, meint er.

»Wer sich bei der Arbeit anlehnt oder setzt, bekommt eine Rüge. An den Aborttüren sind Fensterscheiben angebracht, damit beobachtet werden kann, ob einer beim Sch… raucht –«, brummt ein Liebiegkamerad.

»Jetzt werden ja bald Betriebswahlen sein, dann wird es schon besser werden.«

»Wen werden sie denn wählen?«

»Natürlich deutsch«, sagt der Junge. Er freut sich auf die Wahlen.

(Solltest lieber dem Liebieg die Freude verderben. Es gibt viele, die haben das schon beschlossen.)

Es klingelt von der Straße her. Schnell mal gucken. Aha! Ein Lastauto. Gerümpelmarkt.

Da gibt es Plakate in der Stadt:

DEUTSCHER VEREIN FÜR MUTTERSCHUTZ U. SÄUGLINGSFÜRSORGE!

GERÜMPELMARKT!

Auf den Plakaten ist noch zu lesen, wann und wo das ist. Und daß der Erlös dem Volke zugute kommt.

Auf dem Auto liegen eine alte Matratze und ein verrostetes Waschgestell. Da tut sich also etwas fürs Volk.

Gutes Entrümpeln, meine Herrschaften.

Aber Kultur – Kultur ist das nicht!

Wo ist die Volkskultur?

Nicht zu finden!

Wo soll sie denn auch herkommen, wenn die Leute den ganzen Tag hinter dem bissel Fressen herrennen müssen?

Nein, junger Mann, ihre alten Häuschen haben mit der Volkskultur nichts zu tun. Denn Volkskultur, das heißt:

Gut essen.

Gut gekleidet sein.

Schön wohnen.

Heißt:

GLÜCKLICHES LEBEN FÜR ALLE!

KuBa (Kurt Barthel) – 1936

Max erleidet eine Niederlage

Maxhütte, Unterwellenborn

Werkzeitung Nr. 6, Januar 1949

»Vor einigen Wochen wurde der Maxhütte vorgeworfen, sie wende der Kulturarbeit zu viel Aufmerksamkeit zu.

Die Werksleitung schaffte dem Kulturarbeiter Möglichkeiten wie wohl kein anderes Werk in der Ostzone. Die Werksleitung weiß sehr gut, um was es geht. Es geht um den Menschen selbst.

Das Ziel aller Kulturarbeit in unserer Zone heute ist, das barbarische Erbe der faschistischen Ära zu überwinden, den Menschen selbst umzumodeln.

Wir leben augenblicklich kulturell in einer Wüste. Die früheren Kulturträger haben uns nicht viel zu sagen. Die neuen sind noch schwach und finden unter Menschen, die noch voll des Alten sind, wenig Echo. Was wird geschehen? Der Mensch ist das Produkt seiner Umgebung. Unsere Umgebung ist die Maxhütte. Dreh dich und wende dich, wie du willst – du mußt leben, ergo mußt du Brot essen, deshalb mußt du produzieren, deshalb ist die Produktionsstätte das A und O deines Lebens überhaupt. Das war nicht immer so. Bisher wuchs die Kultur außerhalb des ›großen Haufens‹, waren es griechische Philosophenschulen, Klöster oder Ritterburgen oder die Salons der bürgerlichen Gesellschaft.

Kulturen, von jenen geschaffen, gehören der Vergangenheit an. Eine neue ist im Entstehen begriffen. Sie entsteht im Kraftzentrum des menschlichen Lebens, und das ist heute die volkseigene Industrie, das sind Fabriken, das ist für uns die Maxhütte.

Die menschlichen Konflikte, denen wir heute Ausdruck verleihen müssen, um sie als Konflikte zu überwinden, entstehen jeden Tag neu.

Neu und erregend ist der Gedanke an die individuellen Möglichkeiten, die jeder von uns hat. So erregend, daß sich die meisten fürchten, diese Möglichkeiten beim Schopf zu fassen und die vielen Wege nach dem gesellschaftlichen Oben von heute zu gehen. Auch dies ist ein Konflikt, der künstlerisch dargestellt werden muß, um im lebendigen Leben überwunden zu werden.

Von wo aber sollen die schöpferischen Kräfte kommen, die fähig sind, diesen Konflikten Ausdruck zu geben, wenn nicht aus den Betrieben selbst?

Wir selbst sind die Akteure dieser Konflikte. Wir selbst müssen ihnen künstlerisch Ausdruck geben, wir selbst werden somit zum Auditorium unseres eigenen Lebens werden. Die Bühne wird zeigen, wie man leben soll. Deshalb werden wir zu leben lernen, deshalb wird unsere Kunst, von uns selbst geschaffen, einen Wert haben, deshalb hat die Werksleitung recht gehabt, objektive Möglichkeiten für das Entstehen solch einer Kunst zu schaffen.

Darin besteht das Programm der Kulturabteilung der Maxhütte fürs nächste Jahr. Darum ruft die Kulturabteilung alle schöpferischen Kräfte und alle in ihrer Art auf, sich selbst zur Mitarbeit zur Verfügung zu stellen.«

KuBa (Kurt Barthel) – 1949

Schleier weg

Jahrtausende lassen sich nicht durch ein Dekret auslöschen. Schwer fiel es den Frauen Sowjet-Asiens, die Schleier abzuwerfen und das gute Gesetz, das ihnen Gleichberechtigung gab, als ihr Recht in Anspruch zu nehmen. Schwer fällt es den Frauen Europas, ihr Jahrtausende altes Sklaventum abzuwerfen. Die westliche Halbkugel, noch unter dem Druck des Hergekommenen, wehrt sich mit Händen und Füßen dagegen, daß die Frau ihr natürliches Recht in Anspruch nimmt: gleich dem Manne ihr Leben zu gestalten, unabhängig und frei. Dagegen stehen die bürgerlichen Gesetze.

Dagegen stehen die Moralgesetze der Religion.

Dagegen steht die Gefühlswelt der Frauen selbst.