Krieger - Simon Scarrow - E-Book

Krieger E-Book

Simon Scarrow

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Beschreibung

Roms Albtraum beginnt

Als im Jahr 43 römische Schiffe in Britannien anlanden, rechnen die Befehlshaber mit einem raschen Sieg: Das Imperium wird sich die Insel einverleiben wie viele andere Territorien zuvor. Doch trotz ihrer Disziplin und der überlegenen Waffentechnik gelingt es den Legionen nicht, die über die Insel verstreut lebenden Clans durch einen Handstreich zu unterwerfen. Stattdessen formiert sich heftiger Widerstand gegen die Invasoren. Besonders ein Mann ist den Römern ein Dorn im Auge – Caratacus, der jüngste Sohn eines lokalen Königs, wurde von Kindesbeinen an in der hohen Kunst des Krieges geschult. Unter seinem Schwert versammeln sich die Einwohner Britanniens zur alles entscheidenden Schlacht.

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Seitenzahl: 637

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DAS BUCH

Ein hagerer Mann mit einer Lanze ging auf mich los, fletschte seine gelben Zähne und knurrte. Ich brachte den verwundeten Krieger, den ich gestützt hatte, durch einen kräftigen Stoß außer Gefahr und wich dann selbst mit einem Sprung der Lanze aus, die auf meinen Bauch zielte. Ihre Spitze traf mich an der Flanke, zerriss den Stoff meiner Tunika und streifte meine Rippen. Ich biss die Zähne zusammen und taumelte nach hinten außer Reichweite der Waffe. Mein Gegner knurrte ein weiteres Mal und stieß erneut nach mir, wobei er nun etwas höher zielte. Ich erriet seine Absicht, sah die blattförmige Spitze auf mich zukommen und ging in die Hocke. Die Lanze rauschte durch die Luft und verfehlte nur knapp meinen Kopf. Bevor sich mein Gegner wieder zurückziehen konnte, sprang ich vor und vollführte einen Hieb schräg nach unten. Wenn ich nicht sterben wollte, musste ich sofort einen Treffer landen, egal wohin.

DER AUTOR

Simon Scarrow wurde in Nigeria geboren und wuchs in England auf. Nach seinem Studium arbeitete er viele Jahre als Dozent für Geschichte an der Universität von Norfolk, bevor er mit dem Schreiben begann. Mittlerweile zählt er zu den wichtigsten Autoren historischer Romane. Mit seiner großen Rom-Serie und der vierbändigen Napoleon-Saga feiert Scarrow internationale Bestsellererfolge.

Besuchen Sie Simon Scarrow im Internet unter www.simonscarrow.co.uk

SIMON SCARROW T. J. Andrews

KRIEGER

Roman

Aus dem Englischen von Kristof Kurz

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Die Originalausgabe The Warrior erschien erstmals 2023 bei Headline Publishing Group, Hachette, London

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Deutsche Erstausgabe 02/2024

Copyright © 2023 by Simon Scarrow

Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Rainer Schöttle

Karte im Innenteil: © Tim Peters

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung der Motive von Colin Thomas, Nele Schütz Design (Eric Müller) und Shutterstock.com (3DMI)

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-30902-2V002

www.heyne.de

PERSONEN

In Rom, 61 n. Chr.

Caratacus: Großkönig der Catuvellaunen und britannischer Kriegsherr

Caius Placonius Felicitus: Geschichtsschreiber

Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus: letzter Kaiser der julianisch-claudischen Dynastie

Mardicca: Ehefrau des Caratacus

Decius Spurinnus Tuscus: in Ungnade gefallener Geschichtsschreiber

Aelia: Ehefrau des Felicitus

Lugnus: Tavernenbesitzer

Vulcatius Araricus: ehemaliger Zenturio der Zwanzigsten Legion

Marcus Cominius Largus: bekannter Geschichtsschreiber

Marcus Lucretius: Sohn des Senators Marcus Lucretius Saper

Sextus Afranius Burrus: Befehlshaber der Prätorianer

Lucius: Sohn der Aelia und des Felicitus

Salidus: ältester Sohn des Caratacus

Davos: Pförtner und Sklave des Caratacus

Spittara: ehemaliger Gladiator

Britannien, 18–27 n. Chr.

CATUVELLAUNEN

Cunobelinus: König der Catuvellaunen

Adminius: älterer Bruder des Caratacus

Togodumnus: jüngerer Bruder des Caratacus

Epaticcus: Onkel des Caratacus und jüngerer Bruder des Cunobelinus

Bellocatus: Anführer einer catuvellaunischen Kriegsbande

Parvilius: Anführer der königlichen Leibwache

Maridius: jüngerer Bruder des Caratacus

Vodenius: jüngster Bruder des Caratacus

Dubnocatus: junger Krieger

Garmanus: Mitglied der königlichen Leibwache

Maglocunus: altgedienter Krieger

Baloras: Stammesältester

Trenico: Stammesältester

ATREBATEN

Verica: König der Atrebaten

Moricanus: Fürst und Vetter des Trigomaris

Eppillus: älterer Bruder des Verica

Eboricus: Novize der Druiden und Neffe des Königs

SILURER

Vortagus: Häuptling der Silurer in Merladion

Mendax: Anführer der Leibwache des Vortagus

DOBUNNI

Antedius: König der Dobunni

Sediacus: Neffe des Königs

Lugovesus: trinkfester Krieger

TRINOVANTEN

Vassedo: begabter Jäger und Späher

Orenus: älterer Adliger

Dubnovellaunus: abgesetzter König der Trinovanten

ANDERE

Bladocus: Druide und Lehrer des Caratacus

Nemobnus: Kundschafter vom Stamm der Regni, im Exil

Lugracus: Hochdruide von Merladion

Segorix: Ältester der Druiden von Merladion

Tejanus: ehemaliger Gladiator und Leibwächter des Adminius

Cadrus: Novize der Druiden

Trigomaris: bereits verstorbener Fürst von Lhandain

Vegorix: Freund des Eboricus

Durrus: Freund des Eboricus

Bogiodubnus: König der Durotriger

Tingetus: in der Schlacht gefallener König der Regni

ERSTER TEIL

Der König in Rom

KAPITEL 1

Rom, 61 n. Chr.

Man sagt, dass Geschichte von großen Männern geschrieben wird – oder von großen Frauen, sofern man sie lässt. Wie vieles, was man so sagt, ist das völliger Blödsinn. Geschichte wird von Geschichtsschreibern geschrieben. Und die klammern sich am Togazipfel der Großen fest in der Hoffnung, dass etwas von deren Größe auf sie abfärben möge. Mit der Geschichte, die ich hier erzählen möchte, verhält es sich nicht anders.

Alles begann an einem warmen Sommerabend mit einem Gastmahl, das veranstaltet wurde, um die guten Nachrichten aus Britannien zu feiern. Der Aufstand, der drei der wichtigsten Städte in dieser Provinz in Schutt und Asche gelegt hatte, war niedergeschlagen worden, Zehntausende der Feinde Roms niedergemetzelt – und mit ihnen auch ihre barbarische Anführerin mit einem ebenso barbarischen Namen, die offenbar eine blindwütige Harpyie gewesen war. Allerdings waren Bankette im kaiserlichen Palast nicht so unterhaltsam, wie man sich das vielleicht vorstellt. Wenn man nicht zu Neros engstem Umfeld gehörte, musste man auf unbequemen Klinen liegen, und die Speisen wurden zwar zügig serviert, allerdings hatte man zu warten, bis der Kaiser mit dem Essen anfing. Bis dahin war alles kalt, die Soßen hatten eine Haut und den Gästen war der Appetit vergangen. Dazu kam der Lärm Hunderter Menschen, der von den hohen Wänden des Festsaals widerhallte. Wer sich unterhalten wollte, musste die Stimme heben, wodurch alle anderen drum herum gezwungen waren, dasselbe zu tun – bis man sich schließlich anstrengen musste, um sein Gegenüber zu verstehen, und die eigene Stimme vom Schreien heiser wurde.

Ruhe kehrte nur dann ein, wenn der Majordomus des Kaisers die Anwesenden zum Schweigen aufforderte, um den nächsten Gang oder die nächste Darbietung anzukündigen. Dieser Majordomus hatte ein lautes Organ, was nicht weiter verwunderte, war er doch einst Ausbilder bei der Prätorianergarde gewesen. Seine Gabe, sich verständlich zu machen, war meiner Ansicht nach in seiner jetzigen Position im Palast verschwendet – er hätte als Schauspieler auf einer Bühne stehen sollen. Von seinem Herrn und Meister konnte man dies allerdings nicht behaupten. Dessen dünne, näselnde Stimme reichte kaum über die ersten zehn Reihen hinaus, es sei denn, er fing an zu schreien. Das wiederum war so schrill, dass es einem durch Mark und Bein ging.

Noch schlimmer war es jedoch, wenn die Gäste zur Ruhe gerufen wurden, um sich die neuesten poetischen oder musikalischen Werke ihres Kaisers anzuhören. Manchmal versuchte er sich an einer Komödie. Dann musste der Majordomus hinter ihm stehen und dem Publikum zu verstehen geben, wann es zu lachen hatte. Neros Vorliebe gehörte jedoch der Tragödie. Die dabei im Publikum vergossenen Tränen waren durchaus echt – allerdings weinten die Menschen aus anderen Gründen als den von Nero intendierten, die meisten schlicht aus Langeweile. Ich verkniff mir die Tränen, um ihn nicht zu weiteren Darbietungen zu ermutigen. Kurz gesagt: Bei den Banketten des Kaisers bekam man Ungenießbares, gefolgt von Unverdaulichem.

Auch die Gäste machten die Angelegenheit nicht erfreulicher. Einige wenige, von Nero handverlesen, durften auf dem Podium am Kopfende des Festsaals in unmittelbarer Nähe zur goldenen, mit purpurnem Polster ausgestatteten Kline des Kaisers zu Tische liegen. Dabei handelte es sich um die üblichen Günstlinge – zu denen der adrette und redegewandte Seneca gehörte, dessen an Lächerlichkeit kaum zu überbietende Schöntuerei Nero stets für bare Münze nahm, sowie Burrus, der Kommandant der Prätorianer, dem Senecas Talent für gefällige Plattitüden fehlte, was er aber mit seiner hündischen Ergebenheit mehr als wettmachte – dazu die derzeitigen Lieblingsschauspieler des Kaisers, die momentan in seiner Gunst stehenden Senatoren und mehrere der besten Dichter und Musikanten Roms und sogar der ein oder andere Geschichtsschreiber. Schließlich war es von Vorteil, sich einige davon gewogen zu machen, wenn man verhindern wollte, dass die Nachwelt den eigenen Namen in den Schmutz zog.

Die übrigen Gäste, ein wild zusammengewürfelter Haufen, waren einer knappen, von den Schreibern des Majordomus verfassten Einladung gefolgt. Wir gehörten zu jener Gruppe, die gerade gut genug war, um die leeren Bänke zu füllen. Dazu zählten die Senatoren, die nicht zu Neros Vertrauten gehörten und jenen, die es in diesen verschworenen Zirkel geschafft hatten, immer wieder giftige Blicke zuwarfen, ihre Gemahlinnen – sichtlich unglücklich darüber, dass man ihnen beim Arrangement ihrer Ehe eine solche Niete zugeteilt hatte –, junge Aristokraten und aufstrebende Politiker und schließlich eine Reihe nicht ganz so bedeutender Künstler und Gelehrter, darunter sich verächtlich gebende Philosophen, einigermaßen erfolgreiche Poeten und Dramatiker, die auf lukrative kaiserliche Patronage hofften, Maler und Bildhauer, die geringschätzig das Dekor des Bankettsaals begutachteten, und viele andere, zu denen auch ich zählte.

Wenn ich mich vorstellen darf: Mein Name ist Caius Placonius Felicitus, und ich bin Geschichtsschreiber.

Man hatte mich zu diesem Gastmahl eingeladen, weil ich vor Kurzem wieder einmal die wohlwollende historische Darstellung einer römischen Adelsfamilie veröffentlicht hatte. Mein Werk war gut angekommen, vor allem bei dem Senator, der es in Auftrag gegeben hatte – und der außerdem reich genug war, um jedem einzelnen Mitglied des Senats ein Exemplar zukommen zu lassen, wodurch sich in den nächsten Monaten hoffentlich weitere Aufträge ergeben würden. Es war eine angenehme und gut bezahlte Arbeit, die sich fast im Schlaf erledigen ließ. Ich begann stets mit der selbstverständlich unbegründeten Behauptung, es gebe eine Verbindung des Auftraggebers mit einer legendären Gestalt aus der römischen Geschichte, abhängig von seiner Großzügigkeit vielleicht sogar einer mythologischen Figur – eine kleinere Gottheit im Stammbaum sorgte zuverlässig für große Freude bei meinen Kunden. Danach musste ich nur noch die Annalen durchsehen und die mehr oder weniger unbekannten Vorfahren des Auftraggebers mit Schlüsselmomenten der römischen Geschichte in Verbindung bringen. So hatten überraschend viele Vorfahren meiner Klienten eine wichtige Rolle bei Horatius’ Verteidigung des Pons Sublicus gegen die etruskische Horde des Lars Porsenna gespielt oder waren am Sturz von Tarquinius Superbus beteiligt gewesen. Geschichte wird nun mal für jene geschrieben, die es sich leisten können.

Obwohl mir diese Arbeit ein angenehmes Leben ermöglichte, machte sie nicht besonders viel Spaß. Ich träumte davon, einmal ein wahres historisches Werk zu verfassen, die Geschichte eines echten Helden niederzuschreiben, die keine großen oder kleinen Lügen und Verbrämungen notwendig machte. Es versteht sich von selbst, dass kein römischer Senator Interesse an einer schonungslos wahrhaftigen Geschichte seiner selbst oder seiner Familie hatte. Im Senat sprachen sie, in prächtige Togen gehüllt, von Ehre und Anstand, während sie in Wirklichkeit so käuflich waren wie der Anführer irgendeiner römischen Straßenbande. Die meisten waren schon für kleines Geld dazu bereit, sich für eine beliebige Sache einzusetzen, und umgekehrt zahlten sie bereitwillig jeden Preis oder fielen sich gegenseitig in den Rücken, um sich selbst, einem Familienmitglied oder einem ihrer Günstlinge zu größerer politischer Macht zu verhelfen.

Als ich die Gesichter der Aristokraten um mich herum betrachtete, wurde mir einmal mehr klar, wie satt ich es hatte, ihre Geschichten zu erzählen.

Dann fiel mir ein verspäteter Neuankömmling ins Auge, der gerade zu seinem Platz ganz in meiner Nähe geführt wurde. Ein großer, breitschultriger Mann mit langen grauen, mit einem einfachen Lederriemen zusammengebundenen Haaren. Ich schätzte ihn auf Mitte fünfzig. Sein langer Schnauzbart hing zu beiden Seiten des Kinns herunter, auf seine Wangen war ein verblasstes Wirbelmuster tätowiert. Wo die Ärmel der einfachen, gegürteten Tunika endeten, waren weitere Tätowierungen auf seinen Armen erkennbar. Er hätte schwerlich noch keltischer aussehen können, weshalb er hier so fehl am Platz wirkte wie ein Paar Eier bei einem Eunuchentreffen. Trotzdem war er nicht irgendwer, sonst hätte er selbst unter den Senatoren und anderen unwichtigeren Gästen wie mir nichts zu suchen gehabt. Ich hatte ihn noch nie gesehen und konnte nicht anders, als ihn unverwandt anzustarren, während alle anderen um mich herum einander wissend zunickten oder seine Ankunft mit einem abfälligen Blick quittierten. Er war also kein unbekannter Schmarotzer, der es irgendwie geschafft hatte, sich an den Prätorianern vorbei in den Palast zu schmuggeln, manchen Blicken nach zu urteilen aber dennoch nicht unbedingt willkommen.

Ich beugte mich zu meinem Tischnachbarn vor, einem mäßig bekannten stoischen Philosophen, der sich gerade einen großen Kelch Falerner-Wein und eine mit Kalbshackfleisch gefüllte Pastete schmecken ließ.

»Dieser Mann da …« Ich deutete unauffällig auf den Neuankömmling. »Wisst Ihr, wer das ist?«

Der Stoiker drehte sich um und nickte, kaute schnell fertig und schluckte. »Ja, den kenne ich. Oder sagen wir besser, ich habe von ihm gehört. Er stammt aus Britannien. Dort war er Anführer der Stämme, die sich während der Eroberung der Insel unter Kaiser Claudius gegen unsere Legionen erhoben haben. Er hat uns beinahe ein Jahrzehnt lang Ungemach bereitet, dann wurde er gefangen genommen und nach Rom gebracht. Eigentlich sollte er zusammen mit seiner Familie auf dem Forum Romanum hingerichtet werden, doch er hat sich als geschickter Redner entpuppt und dem alten Claudius so viel Honig ums Maul geschmiert, dass der ihn und seine Familie schließlich verschont hat. Sie bekamen ein Haus und eine Leibrente und werden den Rest ihres Lebens im Exil verbringen. Sie dürfen Rom nie wieder verlassen.«

Nun erinnerte ich mich wieder an diesen Mann und an die Berichte darüber, was er alles getan hatte. Der Häuptling hatte Rom weitaus mehr als nur Ungemach bereitet …

»Ich habe seinen Namen vergessen. Wisst Ihr noch, wie er …?«

»Caratacus«, fiel mir der Stoiker ins Wort. »Zumindest wird er bei uns so genannt. In seiner Muttersprache wird sein Name sicher grässlich und unaussprechlich sein.«

»Caratacus«, wiederholte ich. Ich war neugierig geworden. Ein Mann, der Rom so lange Widerstand hatte leisten können, hatte sicher eine interessante Geschichte zu erzählen.

Ich sah zu, wie Caratacus sich am Essen auf dem Tisch vor ihm bediente. Zwei Klinen weiter in Neros Richtung hinauf hielt ein muskulöser junger Aristokrat in einer leuchtend blauen Tunika inmitten einer kleinen Schar gleichaltriger Günstlinge Hof. Sie waren Anfang zwanzig und platzten förmlich vor Arroganz und Selbstbewusstsein, wie es die Vertreter ihres Standes eben zu tun pflegten. Laut waren sie auch. Ihrem übermütigen Gerede entnahm ich, dass sie sich über den keltischen Neuankömmling lustig machten. Caratacus bedachte sie mit einem kurzen Blick und wandte sich dann mit einer Miene, die keinerlei Gefühlsregung erkennen ließ, wieder seiner Mahlzeit zu.

»He! Du da! Barbar!«, rief der Anführer der Truppe. »Weißt du nicht, dass man bei einem Gastmahl gefälligst pünktlich zu erscheinen hat?«

Der Britannier antwortete nicht und ließ sich auch sonst nichts anmerken. Er kaute einfach weiter und starrte vor sich hin.

»He! Dich meine ich!« Der junge Aristokrat setzte sich auf und richtete den Finger auf den Kelten. »Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!«

Er war so laut geworden, dass mehrere Gäste um ihn herum ihre Unterhaltung unterbrachen und sich in seine Richtung drehten. Dann breitete sich Stille wie eine Welle zu beiden Seiten aus, bis sie den ganzen Bankettsaal erfüllte. Als der junge Mann merkte, dass er die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gezogen hatte, stand er auf, stemmte die Arme in die Hüften und holte tief Luft. »Barbar, ich kann nicht umhin, dich scharf zu ermahnen! Wie kannst du es wagen, mir Rede und Antwort zu verweigern? Weißt du überhaupt, wen du vor dir hast?«

Der Kelte bedachte den jungen Mann mit einem Seitenblick, und ich hätte schwören können, dass ein kaum wahrnehmbares Grinsen um seine Lippen spielte. »Mein Freund, warum fragt Ihr mich das? Habt Ihr Euren Namen etwa vergessen?«, sagte er mit klarer Stimme und kaum wahrnehmbarem Akzent.

Vielleicht lag es am Alkohol, vielleicht auch an der angeborenen Dummheit, die so vielen seines Standes zu eigen ist, jedenfalls warf sich der junge Mann in die Brust und tippte mit dem Daumen darauf. »Ich bin Marcus Lucretius, der Sohn des Senators Marcus Lucretius Saper, und ich beschuldige dich, unserem Kaiser nicht den gebührenden Respekt entgegenzubringen! Dir dreckigem Barbaren sollte man Manieren beibringen.«

Die Günstlinge des jungen Aristokraten brachen in Gelächter aus. Der Britannier hörte auf zu essen und drehte sich in aller Ruhe, doch mit einem Funkeln in den Augen zu dem jungen Mann um. »Fordert Ihr mich etwa heraus?«

Lucretius lachte laut. »Allerdings, ich fordere dich heraus, und ich würde dich fertigmachen, hättest du die Eier, dich im Kampf mit mir zu messen.«

»Jetzt«, sagte Caratacus, »seid Ihr einen Schritt zu weit gegangen, mein römischer Freund.« Er erhob sich vom Sofa und richtete sich zu voller Größe auf. »Ich nehme die Herausforderung an.«

Ich sah, wie der Kaiser am anderen Ende des Saals, der die Auseinandersetzung verfolgt hatte, seinem Majordomus mit ernster Miene einen Befehl erteilte, woraufhin dieser mit der eisernen Spitze seines Stabs auf den Marmorboden klopfte.

»Ruhe! Hört mich an!«, bellte er. »Seine kaiserliche Hoheit wünscht, dass Marcus Lucretius dem Exilanten eine Lektion erteilt. Macht Platz!«

Der Majordomus deutete auf eine freie Fläche vor dem Podium des Kaisers, wo sich gerade einige Akrobaten auf ihren Auftritt vorbereiteten. Sofort machten sie mit gesenkten Köpfen mehreren Prätorianern Platz, die sich auf Befehl eines Optio aufstellten und so den Kampfplatz markierten. Lucretius erhob sich von seiner Kline und stolzierte hinüber, Caratacus folgte ihm seufzend. Dann standen auch alle anderen Gäste auf und versammelten sich um die behelfsmäßige Arena. Die Senatoren waren dem Podium am nächsten und erhaschten die besten Plätze. Ich wollte nichts verpassen, deshalb stieg ich auf den Tisch und schob mit meiner Sandale vorsichtig die Platten mit dem Essen darauf beiseite, damit ich nicht auf ihnen ausrutschte. Ein paar andere Gäste taten es mir gleich.

Lucretius drängte sich durch die Senatoren, betrat das nun freigeräumte Podium und verbeugte sich respektvoll in Neros Richtung. Caratacus bahnte sich in aller Ruhe einen Weg durch die ihm offensichtlich feindlich gesinnte Menge, ohne auf die Beleidigungen zu achten, die man ihm zuzischte. Ein älterer Aristokrat spuckte ihn gar an, doch der Kelte wischte den Speichel lediglich mit dem Handrücken ab, nahm seinen Platz neben Lucretius in der kleinen Arena ein und nickte zum Gruß. Nero grinste in seine Richtung und erhob sich, um das Wort an die versammelte Menge zu richten.

»Römer! Freunde! Das heutige Unterhaltungsprogramm hat soeben eine kleine Änderung erfahren.« Die Menge quittierte seine Worte mit fröhlichem Gelächter. Nero ließ sie einen Moment lang gewähren, bevor er die Hände hob und so für Ruhe sorgte. »Der junge Lucretius hat sich mutig bereit erklärt, Roms Ehre zu verteidigen, die durch die verspätete Ankunft eines aus seiner Heimat verbannten Barbaren besudelt wurde. Offenbar müssen wir diesem Britannier, der die Herausforderung angenommen hat, einmal mehr an den Wert zivilisierten Benehmens erinnern. Ich habe entschieden, dass der Kampf mit bloßen Fäusten ausgetragen wird. Wer den anderen zur Aufgabe zwingt, hat gewonnen. Der junge Römer und der Barbar mögen sich auf ihre Plätze begeben!«

Die Menge johlte aufgeregt, als Lucretius an die rechte Seite des Kaisers trat, die Schultern anspannte, den Kopf hin und her rollte und seine Hände zu Fäusten ballte. Nun sah man erst so richtig, wie gestählt sein Körper war. Er gehörte anscheinend zu jenen Aristokraten, denen Muskeln wichtiger waren als Köpfchen. Sie hielten sich für hart wie Gladiatoren, genossen jedoch das Privileg, sich niemals den Gefahren der Arena stellen zu müssen. Er besaß einen so ausgeprägten Trapezmuskel, dass er eine gerade Linie vom Kiefer bis zu den Schultern bildete, dazu muskelbepackte Unterarme. Im Vergleich zu ihm wirkte Caratacus schmal und sehnig, außerdem war er etwa doppelt so alt wie sein Gegner. Der Barbar tat mir leid. Er hatte nicht nur sein Königreich verloren und war als Gefangener nach Rom geschleift worden, das er nun für den Rest seiner Tage nicht mehr verlassen durfte, sondern würde nun auch noch eine gehörige Tracht Prügel einstecken. Der leicht gebückten Haltung und dem müden Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte er sich bereits mit seiner Niederlage abgefunden.

»Fünfzig Sesterzen auf den Kämpfer Roms!«, schrie der Stoiker, der mittlerweile neben mir auf den Tisch gestiegen war. »Setzt jemand dagegen?«

Ein paar Köpfe drehten sich zu ihm um, aber niemand hatte Lust, die Wette anzunehmen. Normalerweise wäre ich ebenso wenig dazu bereit gewesen, aber nach Abschluss meines letzten Werks war mein Geldbeutel gerade gut mit Silber gefüllt. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass mehr in diesem Barbaren steckte, als es den Anschein hatte. Trotz seines fortgeschrittenen Alters und der schmaleren Statur strahlte Caratacus völlige Selbstsicherheit aus, und mich überkam ein Anflug von Leichtsinn. »Ich setze dagegen.«

Wir besiegelten die Wette mit einem Handschlag. Die beiden Kontrahenten begaben sich auf ihre Positionen an gegenüberliegende Seiten des Kampfplatzes, den die Prätorianer mit horizontal gehaltenen Speeren von den Zuschauern abgrenzten.

»Macht euch kampfbereit!«, bellte der Majordomus. Lucretius nahm eine leicht geduckte Haltung ein und hob die geballten Fäuste vor sich in die Höhe. Caratacus dagegen ließ die Arme hängen und wirkte beinahe teilnahmslos.

»Für die Ehre Roms!«, rief Nero und zwinkerte Lucretius zu.

In diesem Moment wurde mir klar, was hier vor sich ging: Es war nicht zufällig zu diesem Kampf gekommen, es handelte sich dabei vielmehr um eine sorgfältige Inszenierung, die Caratacus’ Verspätung zum Anlass genommen hatte. Jemand hatte Lucretius davon in Kenntnis gesetzt, dass Nero den Exilanten zu demütigen wünschte, und dies hatte schließlich zu dem Spektakel geführt, dem wir gerade entgegenfieberten. Nero nahm sein Mundtuch, hielt es in die Höhe und wartete, bis er die Aufmerksamkeit beider Männer hatte. Dann warf er das Tuch in die Luft. »Kämpft!«, rief er mit schriller Stimme.

»Jaaaaaaa!« Lucretius brüllte wie ein wildes Tier, als er auf den Britannier losging, die Fäuste hoch erhoben, als wollte er sie wie Steine auf seinen Gegner werfen. Caratacus’ Gesichtsausdruck wirkte dagegen kühl und berechnend. Er stellte sich auf die Fußballen, hob die Arme und hielt dem auf ihn zustürmenden Aristokraten die geöffneten Handflächen entgegen. Dann trat er im letzten Moment flink beiseite, parierte einen Fausthieb mit dem linken Unterarm, während er mit der Rechten weit ausholte, sich gleichzeitig auf dem Fuß drehte und so mit seinem ganzen Körpergewicht Schwung für den Schlag holte. Er traf Lucretius mit einer solchen Wucht nahe der Achselhöhle in die Rippen, dass dieser ein paar Schritte zur Seite taumelte und darum kämpfen musste, das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Die Menge stöhnte auf. Caratacus zog sich zurück und behielt seinen Gegner dabei scharf im Auge. Einen schwächeren Mann hätte dieser Hieb auf die Bretter geschickt, aber Lucretius war hart im Nehmen. Er spuckte aus und ging dann wieder auf seinen Gegner los, diesmal etwas besonnener: Er hielt Fäuste und Unterarme hoch, um seinen Kopf zu schützen.

»Schon viel besser, Kleiner«, sagte Caratacus im Tonfall eines Lehrers, der seinen Schüler anspornen möchte. »Die Deckung nicht fallen lassen. Ja, genau so. Und immer auf der Hut sein.«

Noch während er sprach, trat Caratacus mit dem linken Bein nach Lucretius. Dieser senkte den Blick, um der Finte auszuweichen, wodurch er Caratacus eine weitere Gelegenheit zum Schlag bot. Der Britannier holte mit der Linken zu einem Haken aus, und als Lucretius die Arme hob, um ihn abzuwehren, nahm Caratacus die Kraft aus dem Schlag und verpasste ihm stattdessen mit der Rechten eine Gerade gegen das Kinn, die den Römer benommen nach hinten taumeln ließ.

»Habe ich Euch nicht gerade gesagt, dass Ihr immer auf der Hut sein müsst? Und was ist mit Eurer Beinarbeit? Ihr kämpft wie ein blutiger Anfänger. Erst denken, dann schlagen.«

Caratacus täuschte einen weiteren Hieb an. Lucretius blockte den Angriff ab und bediente sich nun seinerseits einer Finte, bevor er zu einem heftigen Aufwärtshaken ansetzte. Caratacus wehrte den Schlag mit Leichtigkeit ab und wich ein paar Schritte zurück, um sich freier bewegen zu können. Die Zuschauer feuerten den Römer an. Einige von ihnen waren sichtlich wütend, dass er bereits zwei Treffer hatte einstecken müssen, ohne selbst einen gelandet zu haben. Ich sah, wie Nero die Lippen zu einer dünnen Linie zusammenpresste. Seine Miene verfinsterte sich.

»Und nun noch eine letzte Lektion.« Caratacus grinste. »Die Wahl des richtigen Zeitpunkts.«

Er warf sich nach vorn und zielte mit der Faust auf Lucretius’ Gesicht. Der so Angegriffene riss instinktiv die Arme hoch, woraufhin Caratacus seine Körpermitte mit einer ganzen Serie von Schlägen bearbeitete. Lucretius nahm die Arme wieder herunter, um den Angriff abzuwehren, woraufhin der Britannier eine kraftvolle Gerade auf die Nase des Römers landete. Lucretius’ Kopf wurde mit einem deutlich hörbaren Knacken nach hinten geschleudert. Er taumelte rückwärts und schwankte leicht, während Caratacus behände vor ihm hin und her tänzelte. »Von mir aus können wir jetzt anfangen«, sagte er.

Der nun vor Scham und Wut knallrote Lucretius stürmte mit wild rudernden Fäusten nach vorn. Seine Linke streifte Caratacus’ Schulter, was ihn halb herumwirbeln ließ. Er trat einen Schritt zurück, ging wieder in Kampfstellung und parierte die auf ihn einprasselnden Schläge. Lucretius verausgabte sich zusehends und verzweifelte sichtlich an der Gewandtheit des Britanniers. Schließlich ließ er von ihm ab, und die beiden starrten einander wachsam an. Dann räusperte sich Caratacus. »Das war lustig, aber nun ist es wohl an der Zeit, diese Unterrichtsstunde zu beenden.«

Er trat einen Schritt vor und machte dabei kleine Kreisbewegungen mit den Fäusten, um Lucretius zu verwirren. Als er ihm nahe genug war, duckte er sich und traf das rechte Knie des Römers mit einem rechten Haken. Ich sah ganz deutlich, wie das Kniegelenk unter der Wucht des Schlages zur Seite wegknickte. Lucretius heulte vor Schmerz auf und ging in die Knie.

»Ergebt Euch!«, rief Caratacus laut. »Sagt, dass Ihr verloren habt. Und zwar laut!«

Stattdessen erhob sich Lucretius wieder in eine aufrechte Position und schlug wild um sich, ohne seinen Gegner zu treffen. »Bleib gefälligst stehen und kämpfe, verdammt noch mal!«, schrie er.

»Ein Kämpfer sollte wissen, wann er besiegt ist.« Caratacus trat vor, verpasste ihm zwei schnelle Geraden mit der Linken und schlug dann so flink mit der Rechten zu, dass meine Augen der Bewegung nicht folgen konnten. Lucretius taumelte zurück und fiel auf den Rücken, blieb mit ausgestreckten Armen liegen und rang mit bebender Brust nach Atem. Caratacus’ Gesichtsausdruck hatte sich völlig verändert: Mit vor tierischem Triumph wildem Blick starrte er den gefallenen Gegner zu seinen Füßen an. Dann gewann der Britannier die Fassung zurück, setzte wieder seine kühle und geringschätzige Miene auf und hob die Fäuste. »Ich bin Caratacus!«, rief er voller Trotz der ihn umgebenden Menge zu. »Großkönig der Catuvellaunen und Kriegsherr von Britannien! Der Sieg ist mein!«

Seine Worte hallten von den Wänden wider. Der Kaiser und seine Gäste sahen ihn schweigend an. Ihre Wut und ihre Scham waren so deutlich wahrnehmbar wie der Gestank in einer Gerberei. Nero stand langsam auf und richtete einen dicklichen Finger auf Caratacus. »Barbar! Du bist ein Gefangener Roms, wo du bleiben wirst, bis du stirbst. Für immer aus deinem Vaterland vertrieben. Mehr bist du nicht! Du tust gut daran, dies nie zu vergessen!«

Damit drehte sich der Kaiser um und ging erbost zur Tür am hinteren Ende des Saals, die zu seinen Privaträumen führte. Sobald er verschwunden war, stupste ich den Stoiker neben mir an. »Wenn ich um meine fünfzig Sesterzen bitten dürfte?«

Wir stiegen von dem Tisch herunter, und nachdem er seinen Geldbeutel geöffnet und mir meinen Gewinn ausbezahlt hatte, nickte ich ihm zum Dank zu und machte mich auf die Suche nach dem Britannier. Dieser war an seinen Platz zurückgekehrt, hatte seine Mahlzeit beendet und war gerade dabei, seinen Umhang anzulegen. Wir sahen uns einen Moment lang prüfend an.

»So etwas wie gerade eben habe ich noch nicht erlebt«, sagte ich bewundernd. »Wo habt Ihr gelernt, so zu kämpfen?«

Caratacus lächelte bitter. »Hier in Rom. Im Gymnasium des Badehauses von Attilus auf dem Aventin – am Ende der Straße, in der man mich und meine Familie einquartiert hat. Ein weiser Mann ist immer bereit, von den Besseren zu lernen. Verzeiht, aber ich glaube, meine Anwesenheit ist nicht länger erwünscht.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich auf dem Absatz um und marschierte davon. Ich blickte ihm hinterher, und mein Herz klopfte laut vor Aufregung. Endlich hatte ich gefunden, wonach ich gesucht hatte: einen Helden, dessen Geschichte ich erzählen wollte – vorausgesetzt, ich konnte ihn überreden, sie mit mir zu teilen. Damit konnte ich beweisen, dass ich den Titel eines »Großen Geschichtsschreibers« verdiente, ganz genauso, wie Caratacus des Titels »Kriegsherr von Britannien« würdig war.

»Morgen«, murmelte ich, »werde ich Attilus’ Badehaus einen Besuch abstatten.«

KAPITEL 2

Am nächsten Morgen, nach einem leichten Frühstück in meinem bescheidenen Domizil auf dem Esquilin – bei dem ich mir die Beschwerden meiner Frau Aelia über die Nachbarn anhörte, während unser kleiner Sohn lautstark seinen Unmut über alles Mögliche kundtat –, zog ich ein paar Erkundigungen ein und brachte dabei in Erfahrung, dass ein ehemaliger Gladiator namens Spittara jeden Tag zur achten Stunde im Badehaus des Attilus Unterricht im Faustkampf anbot. Ich erledigte ein paar Besorgungen, war aber in Gedanken stets bei der schwierigen Frage, wie ich am besten an Caratacus, der meiner Einschätzung nach bestimmt nicht ganz einfach im Umgang war, herantreten konnte. Sicher hatte ihn die Erfahrung gelehrt, den Römern nicht über den Weg zu trauen. Bestenfalls duldete er uns – so wie wir Zivilisierten umgekehrt diesen Barbaren in unserer Mitte duldeten. Ich ahnte, dass man ihn nicht bei seiner Eitelkeit packen konnte, und ihn für seine Worte zu bezahlen, kam nicht infrage. Wie sollte ich diesen Britannier also dazu überreden, mir – einem römischen Bürger – seine Geschichte zu erzählen, wenn es doch die Römer gewesen waren, die seine Truppen geschlagen und sein Königreich geplündert hatten?

Aber ich dachte auch über andere Fragen nach. Wer in dieser Stadt würde einen Bericht über das Leben eines britannischen, aus seinem Heimatland verbannten Kriegsherrn lesen wollen? Vor allem jetzt, wo ein weiterer Aufstand auf der Insel gerade vorüber war? Aber je länger ich darüber nachdachte, desto überzeugter war ich, dass so ein Werk durchaus für Aufsehen sorgen konnte: Der gewöhnliche Römer hatte eine beinahe mythische Vorstellung von Britannien und seinen Barbarenvölkern, während für die Reichen und Gebildeten die Fantasie des Kelten als tapferer, edler Wilder durchaus einen gewissen Reiz hatte. Daran hatte auch der gerade niedergeschlagene Aufstand in dieser Provinz nichts geändert. Hatte nicht neulich während eines Gastmahls die Frau eines gut situierten Aristokraten stolz einen goldenen Torques um den Hals getragen? Hatte ich nicht vor Kurzem wirbelartige keltische Tätowierungen auf den Armen der besten Gladiatoren bemerkt? Besonders Verwegene bemalten sogar ihre Körper vor jedem Kampf mit dem Blau des Färberwaids. Nein, über das Fehlen einer interessierten Leserschaft musste ich mir sicher keine Gedanken machen. Das größte Problem war, dem alten König seine Geschichte erst einmal zu entlocken.

Mir blieben noch ein paar Stunden Zeit, also machte ich einen Abstecher zum Buchladen des Secundus im Argiletum, um mir etwas Lesestoff über Britannien zu besorgen – in der Hoffnung, darin auf hilfreiche Hinweise zu stoßen. Ich nickte dem alten Ladenbesitzer zum Gruß zu und begab mich dann direkt zur Historienabteilung. Bei Durchsicht der in kleinen runden Löchern aufbewahrten Schriftrollen bemerkte ich erstaunt, wie wenig Material es zu dieser fernen Insel gab. Abgesehen von der gelegentlichen Erwähnung in geschichtlichen Übersichtswerken bestand der Großteil der schriftlichen Aufzeichnungen zu Britannien aus den Kriegserinnerungen der Offiziere, die an der Invasion beteiligt gewesen waren. Die meisten davon waren Selbstbeweihräucherungen, die von ruhmvollen Siegen über ungebildete Eingeborene erzählten, darunter auch das besonders abstoßende Werk eines gewissen Vitellius, der inzwischen Statthalter der Provinz Africa war. Keine der Schriften enthielt jedoch irgendwelche Erkenntnisse über die Britannier selbst.

Ich sah die Werke durch, die sich mit Gallien beschäftigten, und merkte schnell, dass es sich hier genauso verhielt: Die gallische Geschichte wurde stets von römischer Warte aus erzählt. Die Kelten waren wie die anderen Erzfeinde Roms nur so lange in unsere Annalen eingegangen, wie wir Krieg gegen sie geführt hatten. Sobald das Spektakel vorbei war und wir sie unterworfen hatten, verschwanden sie von der Bühne der Geschichte. Vielleicht würde es dem Römischen Reich eines Tages ebenso ergehen. Wenn die Kelten und ihr großes Reich komplett aus der Geschichtsschreibung verschwinden konnten, warum nicht auch die Römer? Andererseits besaßen die Kelten im Gegensatz zu den Römern keine eigene Literatur, keine Bibliotheken, keine schriftlichen Zeugnisse, mit denen sie ihr uraltes Wissen hätten bewahren können.

Und da war es plötzlich: mein schlagendes Argument! Die Kelten waren an den Rand der bekannten Welt gedrängt worden. Die meisten ihrer Anführer waren tot oder in Gefangenschaft, die heiligen Haine ihrer Druiden zerstört und ihre Siedlungen romanisiert. Schon bald würde ihre gesamte Kultur im Nebel der Geschichte verschwinden. Aber Caratacus befand sich als »Gast« Roms in der einzigartigen Position, der Geschichtsschreibung eine keltische Stimme hinzuzufügen. Ich konnte ihm die Möglichkeit geben, alles aus seiner Sicht zu erzählen. Indem er seine Vita auf Pergament festhalten ließ, konnte er verhindern, dass die Geschichte seines Volkes bei den künftigen Generationen in Vergessenheit geriet. Caratacus könnte die Welt der Britannier so wenigstens im Kleinen bewahren und dabei vielleicht sogar den ein oder anderen weitverbreiteten, ins Groteske verzerrten Irrglauben über sein Volk richtigstellen. Ich konnte ihm keine Statue auf dem Forum versprechen, aber ich konnte seinem tapferen Kampf gegen Rom ein schriftliches Denkmal setzen.

Das schien mir ein überzeugendes Argument. Und ich war mir fast sicher, dass ich Caratacus damit seine Zustimmung würde abringen können. Mit neuer Zuversicht machte ich mich auf den Weg zum Aventin. In den Straßen wimmelte es vor Fußgängern, Tieren und Handkarren. Vorsichtig bahnte ich mir einen Weg hindurch, immer darauf bedacht, auch die verfaulenden Unrathaufen zu meiden. Händler priesen in klapprigen Bretterbuden entlang der Straße ihre überteuerten (und oft schon überreifen) Waren an. Wer als Fremder nach Rom kommt, staunt über die Wunder und die Pracht dieser Stadt, dabei ist das einzig Staunenswerte die Tatsache, dass das chaotische Durcheinander nicht schon längst Feuer gefangen hat und bis auf die Grundmauern niedergebrannt ist.

Auf den Straßen zum Aventin hinauf lichtete sich die Menschenmenge etwas, und die Luft wurde besser. Ich hatte diesem Teil der Stadt noch nie viel abgewinnen können. Mir ist durchaus bewusst, dass dieses Viertel heutzutage einen etwas besseren Ruf hat, aber ihm hängt noch immer der Gestank des Elendsquartiers an. Die Häuser sind hässlich und ihre Bewohner meist rüpelhafte Emporkömmlinge: Händler, Lagerbesitzer und Geldverleiher, die ihren Reichtum dem nahe gelegenen Hafen verdanken. Ihr seid mit diesem Typus sicherlich vertraut, hochgeschätzte Leserinnen und Leser: Eine Haartracht im Stil unseres verehrten Kaisers, beste Sitzplätze ganz vorn im Marcellustheater, wo sie sich die neuesten Tragödien ansehen, Tuniken aus feinster Seide und ebenso wertvolle Goldringe … alles in allem also kein angenehmer Wohnort für einen ehemaligen König.

Als ich das Badehaus des Attilus erreichte, hatte sich vor dem Portikus bereits eine Schlange gebildet. Ich reihte mich ein, bezahlte bei einem Sklaven mit verkniffenem Gesicht den Eintrittspreis, stieg ein paar Marmorstufen hinab, ging an den Umkleideräumen vorbei und hinter ein paar Jugendlichen her in das Gymnasium im Zentrum des Innenhofs. Vierschrötige Gewichtheber stemmten grunzend schwere Steine – einen in jeder riesigen Hand – in die Höhe. In einem anderen Teil des Hofs sah ich ein halbes Dutzend Männer beim Ballspiel. Ein fetter, glatzköpfiger Bediensteter mit einem Handtuch über der Schulter saß auf einem Hocker und wartete darauf, den Männern mit der Strigilis, die er auf dem Schoß hatte, den Schweiß vom Körper zu schaben. Als ich zu ihm trat, sah er mich missbilligend an. Wir beide wussten genau, dass ich hier fehl am Platz war.

»Ich suche Spittara«, sagte ich. »Er soll hier unterrichten.«

Der Bedienstete deutete mit dem Kinn auf eine kleine Gruppe von Männern, die gerade zwei Boxer anfeuerten. »Da drüben«, erwiderte er tonlos. »Spittara ist der Kleine mit der riesigen Narbe quer über dem Gesicht. Aber an Eurer Stelle würde ich mir gar nicht erst die Mühe machen, Herr.«

»Nicht?«

»Er nimmt keine Anfänger.«

Dann wandte sich der unhöfliche Kerl wieder dem Ballspiel zu. Ich drängte mich durch die Zuschauergruppe, um die Kämpfenden besser sehen zu können. Der kleine, drahtige Mann – Spittara – stand an der Kreidelinie, die das Kampffeld begrenzte, und rief dem jüngeren Kämpfer Anweisungen zu. In dem Älteren erkannte ich sofort den Kelten von gestern Abend wieder: Caratacus, der geschickt vor seinem wesentlich jüngeren Gegner tänzelte und ihm unter dem Jubel der Umstehenden eine Reihe von schnellen Geraden mit der Führhand in die Magengrube verpasste.

»Beweg dich!«, bellte Spittura in Richtung des jüngeren Boxers. »Steh doch nicht wie eine beschissene Statue in der Gegend herum!«

Der Angesprochene versuchte sich daraufhin an einem linkisch ausgeführten Aufwärtshaken, dem Caratacus ohne Mühe auswich und seinerseits einen Hieb auf das Gesicht seines Gegners antäuschte. Der jüngere Mann riss den Kopf zurück, sodass sein Brustkorb ungeschützt war – eine Gelegenheit, die Caratacus nicht ungenutzt verstreichen ließ, sondern für einen kräftigen Hieb auf den Torso seines Gegners nutzte, was die Umstehenden erneut in Jubel ausbrechen ließ. Der junge Mann stöhnte und stolperte rückwärts, woraufhin Caratacus ihm einen weiteren harten Schlag gegen das Kinn verpasste. Mit einem schnellen Schritt war Spittara zwischen den beiden Männern und drohte dem Jüngeren mit dem Finger, während Caratacus stehen blieb und zusah.

»Freundchen, was hab ich dir gesagt? Zum Kämpfen brauchst du die Füße ebenso wie die Hände. Glaubst du etwa, ich hätte die vielen Kämpfe in der Arena überlebt, weil ich so groß bin?«

»Nein, Herr«, antwortete der jüngere Mann mürrisch und hielt sich das Kinn.

»Schnelligkeit, darauf kommt es an. Selbst der härteste Bursche von ganz Rom kann nicht gewinnen, wenn er die Füße nicht in die Höhe bekommt.« Spittara sah sich unter den Zuschauern um. »Na los, die nächsten beiden. Auf geht’s, meine Damen, wir haben nicht den ganzen langen Tag Zeit.«

Zwei weitere Kämpfer traten vor, während Caratacus und der jüngere Mann zu einem Bediensteten gingen, der direkt an der Kreidelinie wartete und ihnen mit schnellen, geübten Bewegungen die weichen Lederriemen um Hand und Unterarm abnahm. Die johlende Menge hatte sich den nächsten Kontrahenten zugewandt, die sich bereits den ersten Schlagabtausch lieferten. Die Gelegenheit war günstig. Ich drängte mich durch die Zuschauer.

Als ich mich den beiden Männern näherte, sahen sie im gleichen Moment zu mir auf. Bevor ich mich Caratacus zuwandte, warf ich dem jüngeren Mann einen kurzen Blick zu. Ich bemerkte etwas an ihm, das ich nicht sofort benennen konnte.

»Ihr habt euch gut geschlagen, Herr«, sagte ich. »Fast so gut wie gestern Abend beim Gastmahl, wenn mir die Bemerkung gestattet ist.«

Dünne Falten erschienen auf Caratacus’ Stirn. »Und Ihr seid …?«

Ich vollführte eine kleine Verbeugung. »Caius Placonius Felicitus, Geschichtsschreiber der Elite. Wir haben gestern Abend ein paar Worte gewechselt – ich habe Euch gefragt, wo Ihr so zu kämpfen gelernt habt.«

»Ich erinnere mich.« Die Falten auf Caratacus’ Stirn wurden tiefer. »Was wollt Ihr hier, Römer? Die Kunst des Faustkampfs werdet Ihr ja wohl kaum erlernen wollen.«

»Eigentlich möchte ich mich kurz mit Euch unterhalten.« Ich ließ den Blick zu seinem Begleiter huschen. »Unter vier Augen, wenn es Euch beliebt.«

Der jüngere Mann sah Caratacus an. »Vater, was will der Mann von dir?«

Caratacus bemerkte meine überraschte Miene. »Das ist Salidus, mein Ältester. Er ist ein kühner Kämpfer, aber er muss noch viel lernen … wie er selbst am besten weiß.«

»Sehr erfreut«, sagte ich.

Salidus sah mich mit kaum verhohlener Feindschaft an. »Was wollt Ihr von meinem Vater?«

»Das möchte ich, wie gesagt, gern unter vier Augen mit ihm besprechen«, erwiderte ich.

Salidus hob trotzig das Kinn. »Blödsinn. Was immer Ihr meinem Vater zu sagen habt, könnt Ihr auch vor mir sagen.«

Caratacus bedachte seinen Sohn mit einem finsteren Blick. »Verschwinde und lass mich mit ihm reden.«

»Aber Vater …«

»Du machst allein weiter.« Caratacus deutete auf einen ledernen Sandsack, der am anderen Ende des Hofs an einem stabilen Holzrahmen hing. »Übe die Schlagfolgen, wie ich es dir gezeigt habe. Geh.«

Salidus warf mir einen letzten wütenden Blick zu, drehte sich um und marschierte über den Hof davon. Caratacus wandte sich wieder mir zu. »Vergebt mir, mein Sohn vertraut den Römern nicht.«

»Wirklich? Das geht mir ähnlich.«

Caratacus lächelte müde. »Er kann nichts dafür. Salidus hat es nicht leicht in Rom – meine anderen Kinder sind zu jung, um sich an das Leben in Britannien zu erinnern, aber Salidus hat seine gesamte Kindheit dort verbracht und ist im Herzen immer ein stolzer Kelte geblieben.«

»Dann will er also dorthin zurückkehren?«

»Eines Tages …« Der Britannier lächelte. »Der Junge ist ein Träumer. Ich glaube nicht, dass irgendjemand von uns das Land unserer Väter noch einmal wiedersehen wird. Wir sind die Gefangenen Eures Kaisers.«

»Ihr habt ein Haus auf dem Aventin«, gab ich zu bedenken. »Außerdem eine gut bemessene Leibrente und Eure Familie bei Euch. Das scheint mir doch recht komfortabel für ein Gefängnis … Viele würden dafür töten, in einem solchen ›Gefängnis‹ leben zu dürfen.«

»Es ist ein goldener Käfig«, erwiderte Caratacus mit düsterer Miene. »Man hat uns zwar nicht in die Tiefen des Tullianums geworfen, da habt Ihr recht, aber letzten Endes kommt es auf dasselbe hinaus.«

»Trotzdem gibt es weitaus schlimmere Schicksale.«

»Ach ja?« Er schüttelte den Kopf. »Ich war einmal ein König. Von der Gunst eines anderen Herrschers abhängig zu sein, ist würdelos. Vielleicht hätte ich doch den Tod wählen sollen, als Eure Soldaten uns damals hierher verschleppt haben, anstatt diesen stotternden Idioten Claudius um Gnade anzuflehen.«

»Und warum habt Ihr das nicht getan?«

»Ein römischer Präfekt hat mich kurz vor dem Triumphzug davon überzeugt, dass es besser sei, meinen Lebensabend in Frieden zu verbringen als zum Vergnügen des Pöbels zu sterben.« Caratacus lachte bitter. »Ich bin dem Rat eines römischen Soldaten gefolgt. Ich hätte es besser wissen müssen.«

»Ein Soldat? Wie war sein Name?«

»Cato hieß dieser Präfekt.« Caratacus winkte ab. »Aber genug von den vergangenen Zeiten. Was wollt Ihr von mir?«

Ich dachte kurz über mein weiteres Vorgehen nach. Wenn ich mein Angebot direkt und unvermittelt vorbrachte, würde es Caratacus sicher umgehend ablehnen, immerhin war ich ein völlig Fremder für ihn. Es war sicher besser, hier mit Bedacht vorzugehen und ihn mit sorgfältig gewählten Worten von den Vorteilen einer schriftlichen Niederlegung seiner Geschichte zu überzeugen.

»Ich hätte da einen Vorschlag«, begann ich vorsichtig, »der Euch sicher interessieren wird.«

»Einen Vorschlag?«, sagte Caratacus. »Was meint Ihr damit? Sagt es mir geradeheraus!«

Ich zog es vor, seiner Frage auszuweichen. »Gestern Abend habt Ihr auf beeindruckende Weise gegen diesen kaiserlichen Günstling den Sieg davongetragen. Ihr habt äußerst mutig und gekonnt gegen ihn gekämpft. Eine Darbietung, die, wenn Ihr mir diese Anmerkung erlaubt, eines großen Kriegsherrn würdig war.«

Caratacus schüttelte den Kopf. »Ich bin kein großer Kriegsherr mehr«, sagte er und klang sehr müde. »Mein Königreich wurde vor langer Zeit in den Staub getreten, und zwar von den Füßen Eurer verdammten Legionen.«

»Dann ist es vielleicht an der Zeit, Rom an Eure Größe zu erinnern.«

»Und wie sollte ich das anstellen? Soll ich noch ein paar arrogante Emporkömmlinge verprügeln?«

»Nein, Ihr sollt mich Eure Geschichte niederschreiben lassen.«

Caratacus zog die Augenbrauen zusammen. »Ihr wollt die Geschichte meines Lebens aufschreiben?«

»Ja, warum nicht?«

Er lachte trocken. »Euer Kaiser hält mich für einen wertlosen Barbaren, und die meisten Eurer Mitbürger sind wohl derselben Ansicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es viele interessierte Leser geben wird.«

»Ihr wart einst ein großer König«, erwiderte ich unverzagt. Diese Ansprache hatte ich mir auf dem Weg den Hügel hinauf zurechtgelegt. »Ihr wart die Geißel Roms. Die Soldaten zitterten wie die kleinen Kinder, wenn sie auch nur Euren Namen hörten. Euer Königreich mag verloren sein wie so vieles, das einst den Kelten gehörte. Aber es kann wiedererstehen im großen Buch der Geschichte. Erzählt mir von Eurem Schicksal, und ich kann dabei helfen, Euren Namen unsterblich zu machen. So lautet mein Vorschlag.«

»Ich bin Kelte«, antwortete Caratacus. »Wir schreiben unsere Geschichte nicht auf und lassen unsere großen Taten dadurch nicht zu bloßen Worten verkommen, wie Ihr Römer das so gern tut. Unsere Geschichten leben in unseren Herzen, und sie sterben mit uns. Vielleicht werden sie dann zu Legenden – oder verblassen mit der Erinnerung.«

»Möglicherweise wird auch Eure Geschichte ja dereinst zur Legende, doch weshalb sollte man dies dem Zufall überlassen?«, sagte ich. »Nutzt diese Gelegenheit, um Euren langen Kampf gegen Rom aus Eurer Sicht zu erzählen.«

»Weshalb? Damit Eure reichen Freunde sich in ihren literarischen Zirkeln über den unzivilisierten Barbaren aus dem Norden lustig machen können?«

»Mir schwebt da etwas anderes vor«, antwortete ich vorsichtig.

»Nämlich?«

»Ihr habt fast zehn Jahre lang gegen Rom gekämpft und seid noch am Leben. Das allein ist außergewöhnlich. Unsere Feinde finden meist ein unerfreuliches Ende.«

Caratacus grunzte. »Es wäre auch für mich besser gewesen. Lieber stolz sterben, statt als Beispiel für Roms Großherzigkeit weiterzuleben.«

»Aber Ihr könnt Eure Lage doch zu Eurem Vorteil nutzen, versteht Ihr das denn nicht? Euer Blick auf die Vergangenheit ist einzigartig – kein anderer Britannier hatte jemals die Gelegenheit, seine Sicht der Dinge wiederzugeben. Wenn Ihr Euch bereit erklärt, mit mir zusammenzuarbeiten, könnten wir zusammen das erste Epos über einen großen keltischen Helden erschaffen.« Ich zuckte mit den Schultern. »Oder zumindest könntet Ihr so den vielen prahlerischen Berichten der römischen Offiziere etwas entgegensetzen, die es derzeit zuhauf gibt. Ihr könnt den Menschen erzählen, wie es wirklich war.«

Caratacus sah mich eindringlich mit seinen grauen Augen an. »Und warum sollte ich gerade Euch meine Geschichte erzählen?«, fragte er. »Einem römischen Schreiberling?«

Wenn man meine Fähigkeiten infrage stellte, pflegte ich normalerweise in wohlgewählten Worten auf meine langjährige Erfahrung im Verfassen der Biografien besonders erlauchter römischer Familien hinzuweisen, auf meine Fähigkeit, jeden noch so unmöglichen Termin einzuhalten, und auf meine Geduld, mit der ich auf die zahllosen Wünsche geschäftiger Familienoberhäupter und ihrer anspruchsvollen Ehefrauen einging. Anschließend wies ich üblicherweise (in aller Bescheidenheit) auf meine vielen Talente und den Erfolg meines in den literarischen Zirkeln Roms begeistert aufgenommenen letzten Auftragswerks hin (und bot schriftliche Referenzen auf Anfrage an).

Aber irgendetwas sagte mir, dass ich so bei Caratacus keinen Erfolg haben würde. Schmeicheleien schienen bei ihm wirkungslos, und mit der Aussicht, durch mein Werk sein Ansehen im Senat zu verbessern, konnte er auch nichts anfangen. Ich musste also auf eine andere Taktik zurückgreifen.

»Ihr habt natürlich vollkommen recht«, sagte ich. »Es steht mir nicht zu, die Geschichte eines britannischen Königs fern der Heimat niederzuschreiben. Vielleicht findet Ihr hier in der Stadt ja einen halbwegs des Schreibens mächtigen Gallier, der bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen. Jemanden, dem die keltische Wesensart vertrauter ist. Ich habe gegenüber allen anderen Geschichtsschreibern lediglich einen einzigen Vorteil.«

Caratacus kniff die Augen zusammen. »Und der wäre?«

»Mein guter Name«, antwortete ich. »Ich habe mir die Hochachtung der einflussreichsten Gelehrten und Künstler Roms durch meine Kunst verdient, die Geschichten der reichsten, aber auch langweiligsten Familien Roms spannend und unterhaltsam darzustellen. Wenn Ihr mir Eure Lebensgeschichte anvertraut, könnt Ihr sicher sein, dass sich jeder Aristokrat von hier bis Pompeji dafür interessieren wird.« Er wirkte unentschlossen. Ich machte eine dramatische Pause und holte dann zu einem letzten, vernichtenden Schlag aus. »Und was wäre ein besserer Beweis dafür, dass Ihr unserer hochmütigen Aristokratie ebenbürtig seid, als Eure Lebensgeschichte aus der Feder ihres bevorzugten Geschichtsschreibers?«

»Und wer entlohnt Euch für Eure Mühe? Falls Ihr auf eine großzügige Bezahlung hofft, muss ich Euch leider enttäuschen.«

»Ich erwarte überhaupt keine Bezahlung«, versicherte ich ihm. »Wenn Ihr einverstanden seid, soll meine Arbeit mit einer Hälfte der Einnahmen vergütet werden, die andere Hälfte geht an Euch. Sollte sich die Schrift so gut verkaufen, wie ich annehme, wird ein hübsches Sümmchen dabei zusammenkommen. Außerdem habe ich vor, zusätzlich Vorträge über die Kelten und ihre Kultur zu halten, wenn es denn so etwas gibt.«

»Deshalb wollt Ihr meine Geschichte erzählen? Um damit reich zu werden?«

»Das ist ein Grund. Aber ich habe noch andere.«

»Und die wären?« Caratacus lachte. »Jetzt erzählt mir bloß nicht, dass Ihr einem alten Kelten aus Edelmut Gehör verschaffen wollt.«

Ich breitete meine Hände aus. »Ich hatte noch nie die Gelegenheit, eine solche Geschichte niederzuschreiben. Es wäre mir eine Ehre, nur ein einziges Mal von einem wahren Helden berichten zu können.«

»Ihr wollt die Wahrheit erzählen? Damit lockt Ihr in dieser Stadt keinen Hund hinter dem Ofen hervor.«

»Immer noch besser, als weiter Lügen über irgendwelche reichen Nichtstuer zu verbreiten.«

Ich hatte ihn überzeugt, da war ich mir sicher – außerdem war damit mein Vorrat an Argumenten erschöpft. »Nun?«, fragte ich. »Was sagt Ihr dazu?«

»Das ist ein interessantes Angebot«, sagte Caratacus und rieb sich das Kinn.

»Mehr als das«, sagte ich. »Es ist die einmalige Gelegenheit, die Geschichte des größten Kriegers unserer Zeit zu erzählen.«

Caratacus grinste zynisch. »Spart Euch Eure Schmeicheleien, Römer. Würdet Ihr die Wahrheit sprechen, dann wäre ich wohl kaum der Gefangene dieses kleinen Jungen auf Eurem Kaiserthron, sondern stattdessen er mein Sklave – oder sein Kopf würde die große Halle meines Fürstenhofes zieren. Dennoch ist es ein verlockendes Angebot. Ich muss erst einmal darüber nachdenken.« Er zupfte einen Moment lang an seinem Schnurrbart und fasste dann einen Entschluss. »Besucht mich heute Abend. Ich wohne ein Stück weiter die Straße hinauf. Es ist das Haus mit der grünen Tür direkt neben dem Neptunaltar.«

»Wann?«

»Eine Stunde vor Sonnenuntergang«, sagte Caratacus, »dann sollt Ihr Eure Antwort bekommen.«

Ein paar Stunden später ging ich also im frühabendlichen Dämmerlicht ein weiteres Mal den Aventin hinauf. Ich hatte meine Schreibutensilien dabei, in der vagen Hoffnung, dass Caratacus sich bereit erklären würde, mir seine Geschichte zu erzählen.

Um diese Stunde war es deutlich ruhiger auf den Straßen – die Reichen hatten sich bereits zum Abendessen in ihre vornehmen Häuser zurückgezogen, die von Kritzeleien und Schmierereien bedeckten Holzläden der meisten Geschäfte waren geschlossen. Ich kam an einer Gruppe Lampadarii vorbei, die ihre Fackeln vorbereiteten, um damit später jenen den Weg zu leuchten, die sich ihre Dienste leisten konnten. Dann stand ich vor dem beschriebenen Haus. Der Putz der mit Vogelkot verdreckten Außenwand blätterte bereits ab, ebenso wie die Farbe von der Haustür. Nachdem ich den löwenköpfigen Türklopfer zweimal kräftig betätigt hatte, wartete ich. Kurze Zeit später wurde der Riegel mit einem schabenden Geräusch zurückgezogen, die Tür schwang auf und vor mir stand ein untersetzter Sklave in einer zerschlissenen Tunika, der mich mit jener Mischung aus Misstrauen und Verachtung ansah, die allen Türhütern unserer Stadt zu eigen ist.

»Ja, bitte?«, fragte er tonlos.

»Caius Placonius Felicitus. Euer Herr Caratacus erwartet mich.«

Der Sklave nickte kurz. »Ja, Herr. Hier entlang.«

Ich folgte dem barfüßigen Türhüter durch einen düsteren Flur mit einem Bodenmosaik, das einen Gladiator beim Erschlagen einer zweiköpfigen Schlange zeigte, in den kleinen Innenhof. Unkraut wuchs aus Rissen in den Bodenfliesen, die meisten Blumen waren welk und viele der Terrakottadachziegel waren beschädigt oder fehlten gleich ganz. Ein leicht muffiger Geruch lag in der Luft, und aus dem Haus war das Geschrei spielender Kinder zu hören. Alles in allem schien mir dies keine angemessene Behausung für einen König.

Wir durchquerten das Atrium in Richtung des Arbeitszimmers am anderen Ende des Hauses. Der Sklave blieb an der Schwelle stehen und bedeutete mir einzutreten.

Der Raum war spärlich möbliert. In einer Ecke standen eine schwere Truhe und zwei gepolsterte Stühle. Ein fadenscheiniger Vorhang trennte den Raum vom Peristyl dahinter. Vor einer Wand stand ein Regal, dessen sämtliche Fächer mit Papyrusrollen gefüllt waren.

Caratacus saß zu meiner Linken hinter einem Schreibtisch aus Walnussholz und las im orangefarbenen Schein mehrerer Öllampen eine Schriftrolle. Auf dem Tisch standen ein Krug und zwei Trinkbecher aus Ton. Als der Britannier uns kommen hörte, sah er auf und richtete seinen Blick auf den Sklaven. »Danke, Davos. Du kannst jetzt gehen.«

»Ja, Herr.«

Der Sklave verbeugte sich und verschwand in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Caratacus wartete, bis er außer Hörweite war, dann deutete er auf die Stühle. »Bitte, nehmt Platz.«

Ich setzte mich auf den Stuhl, der mir am nächsten war, und nahm meine Wachstafel und den Griffel auf den Schoß. Caratacus griff nach dem Krug und goss eine dunkle bernsteinfarbene Flüssigkeit in die beiden Becher.

»Bier«, erklärte er. »Aus Gallien. Ab und zu schickt mir ein Freund aus Lugdunum einen kleinen Vorrat. Nicht so gut wie das Bier meiner Heimat, aber trinkbar. Ich hoffe, es macht Euch nichts aus – ich bin nie so recht auf den Geschmack Eures Weins gekommen.«

Er gab mir einen Becher. Ich betrachtete zögerlich seinen schaumigen Inhalt, und ein unangenehm süßlicher Duft stieg mir in die Nase. Dann trank ich einen Schluck der malzigen, stark und bitter schmeckenden Flüssigkeit. Ich hätte mich am liebsten übergeben und weiß bis heute nicht, wie ich es schaffte, stattdessen meinen grinsenden Gastgeber höflich anzulächeln.

»Und? Mundet es Euch?«, fragte er.

»Ganz wunderbar«, sagte ich mit dem fauligen Geschmack des Biers im Mund. »Es ist sehr … stark.«

»Oh ja, davon bekommt Ihr Haare auf der Brust.«

»Tatsächlich?«, fragte ich mit dem Entsetzen, das wohl jeder bei der Vorstellung empfinden würde, so haarig wie ein Barbar zu werden.

Caratacus grinste. »Das sagt man so bei uns in Britannien.«

»Verstehe.«

»Vergebt mir, wenn mein Heim einen heruntergekommenen Eindruck macht«, sagte er unvermittelt. »Ich habe im Palast um ein paar Reparaturen gebeten, aber die kaiserliche Schatzkammer findet immer einen neuen Vorwand, um nicht dafür aufkommen zu müssen.«

»Habt Ihr denn kein Einkommen?«, fragte ich.

»Der Kaiser hat mir eine kleine Leibrente zugestanden, aber die reicht kaum für den täglichen Bedarf.« Caratacus lächelte dünn.

»Wie konntet Ihr Euch dann dieses Haus leisten?«

»Oh, das hier?« Caratacus sah sich in dem Raum um, als hätte er ihn noch nie zuvor gesehen. »Es gehörte einem der vielen Feinde des verstorbenen Kaisers Claudius, einem reichen Gladiatorenausbilder mit hochfliegenden Plänen. Offenbar gehörte er zu einer Gruppe von Verschwörern, die einen Anschlag auf Claudius verübte.«

Ich kramte einen Moment lang in meinem Gedächtnis. »Die Liberatoren?«

Er nickte. »Genau die … Jedenfalls wurde der Verräter beseitigt, sein Besitz beschlagnahmt und seine Gladiatoren sowie sein Landsitz verkauft. Nachdem der Kaiser mein Leben verschont hatte, wurden meine Familie und ich hier untergebracht. Wie sich herausstellte, ist dieses Haus eher ein Fluch als ein Segen, was seine Instandhaltung betrifft – es schröpft einen wie ein Spieler mit gezinkten Würfeln.«

»Vielleicht könnte ich bei dem einen oder anderen meiner Klienten ein gutes Wort für Euch einlegen«, schlug ich vor. »Sie sind sehr einflussreich, vielleicht ist es ja möglich, Eure Leibrente ein wenig zu erhöhen.«

»Das ist sehr freundlich von Euch, aber ich fürchte, Ihr würdet nur Eure Zeit damit verschwenden. Es ist dem Kaiser eine große Genugtuung, mich zu einem besseren Bettler gemacht zu haben.«

»Das tut mir leid.«

»Wirklich? Die meisten Eurer Mitbürger sehen das sicher anders. In ihren Augen bin ich nur jemand, der der kaiserlichen Schatzkammer auf der Tasche liegt. Ich bekomme ständig zu hören, dass ich doch gefälligst dahin zurückgehen soll, wo ich hergekommen bin. Das würde ich ja auch gern – wenn Rom mich nur ließe.«

»Es muss schwer für Euch und Eure Familie sein, hier zu leben.«

»Ihr macht euch keine Vorstellung.«

»Da habt Ihr sicher recht«, erwiderte ich.

»Aber es ist nicht alles schlecht. Ein paar Freuden, die nicht viel Geld kosten, sind mir geblieben. Ich mache täglich meine Leibesübungen. Ich spiele mit meinen Enkeln. Ich lese viel.« Caratacus deutete auf die vor ihm liegende Schriftrolle. »Rom hat mir viel genommen, aber zumindest hat es mir die Möglichkeit gegeben, über Eure Kultur und Geschichte zu erfahren.«

»Ich wusste gar nicht, dass Kelten so gern lesen.«

»Und ich wusste nicht, dass römische Geschichtsschreiber sich für das Schicksal von Barbaren im Exil interessieren. Wir haben also beide Grund, überrascht zu sein.«

Ich erwiderte nichts darauf, hatte aber Mitgefühl mit dieser traurigen Gestalt. Trotz der widrigen Umstände und der beständigen Demütigung vonseiten des Kaisers gelang es Caratacus, eine ruhige Würde zu bewahren, die in krassem Kontrast zum Benehmen unseres verwöhnten Herrschers stand. Ich ertappte mich sogar dabei, widerstrebend Bewunderung für diesen hartgesottenen Krieger zu entwickeln. Vielleicht waren die Britannier doch nicht jene primitiven Barbaren aus meiner Vorstellung.

Er trank noch einen Schluck von seinem Bier, starrte dann den Becher an und schwieg einen Moment. »Ich habe über Euren Vorschlag nachgedacht«, sagte er schließlich und sah mich an. Nun war der Moment der Entscheidung gekommen. Ich umklammerte den Becher in meiner rechten Hand noch fester, während ich darauf wartete, dass er weitersprach. »Ich werde Euch meine Geschichte erzählen – ganz ungeschönt, so wie sich alles zugetragen hat. Aber nur unter zwei Bedingungen.«

Mir schlug das Herz vor Aufregung bis zum Hals, und ich nickte schnell. »Aber natürlich. Alles, was Ihr wollt.«

»Erstens möchte ich, dass Ihr diese Geschichte ebenso ungeschönt niederschreibt – als eine absolut wahrheitsgetreue Schilderung meines Lebens und der römischen Invasion, so hässlich sie gelegentlich auch sein mag. Ich wünsche keine aufgeputzte, für die römischen Leser von allen unappetitlichen Einzelheiten gesäuberte und dadurch leicht verdauliche Fassung. Und deswegen muss ich darauf bestehen, dass Euer Werk erst nach meiner Durchsicht und Freigabe veröffentlicht wird.«

»So soll es sein«, antwortete ich. Ich war nur zu gern bereit, eine Geschichte endlich einmal nicht erst mühevoll zurechtbiegen und aufhübschen zu müssen. »Und Eure zweite Bedingung?«

Caratacus stützte die Ellenbogen auf den Tisch, beugte sich vor und sah mir direkt in die Augen. »Meine Geschichte darf erst nach meinem Tod veröffentlicht werden.«

Ich starrte ihn an und wusste einen Moment lang nicht, was ich darauf erwidern sollte.

»Nur keine Sorge, Römer. Ich bin ein alter Mann, Ihr werdet Euch sicher nicht allzu lange gedulden müssen.«

»Aber weshalb?«, sagte ich. »Warum warten?«

»Mein Leben ist von der Gnade des Kaisers abhängig. Ich bin einer seiner bekanntesten Gefangenen – wenn meine Lebenserinnerungen so kurz nach Boudiccas Aufstand an die Öffentlichkeit gelangen, wird das sicher seinen Zorn erregen, und er könnte meine Leibrente schmälern oder sie ganz einstellen.«

»Das würde Nero nicht wagen«, versicherte ich ihm. »Damit würde er einem Beschluss des vergöttlichten Claudius zuwiderhandeln – und so etwas wird er sich sicher zweimal überlegen.«

»Seid Ihr sicher? Ich habe gehört, dass der Kaiser sehr empfindlich und leicht zu kränken ist. Und nach dem gestrigen Abend werde ich wohl kaum in seiner Gunst gestiegen sein.«

»Vermutlich nicht«, murmelte ich. Caratacus hatte nicht unrecht. Ich wusste nicht viel über Nero, doch er war wohl tatsächlich sehr dünnhäutig.

»Ich habe meiner Frau und meinen Kindern bereits genug Kummer gemacht«, fuhr Caratacus fort. »Und ich habe genug von Euren Geschichtsschreibern gelesen, um zu wissen, dass die Wahrheit leichter zu ertragen ist, wenn die Protagonisten der jeweiligen Geschichte bereits gestorben sind. Gebt mir Euer Wort, dass Ihr meine Lebenserinnerungen bei Euch verwahrt, bis Lud mich in die Anderswelt geleitet hat, und ich werde Euch meine Geschichte erzählen.« Er zuckte mit den Schultern. »Und wer weiß, vielleicht trägt bis dahin auch ein anderer das kaiserliche Purpur.«

Ich dachte gründlich darüber nach. Die Vorstellung, Caratacus’ Geschichte niederzuschreiben, nur um sie dann für Jahre wegzuschließen, entmutigte mich. Allerdings war die Gelegenheit, von einer so beeindruckenden Figur wie diesem britannischen Kriegsherrn zu berichten, wohl einmalig. Seine Geschichte musste einfach erzählt werden, selbst wenn es noch viele Jahre dauern sollte, bis sie das Licht der Öffentlichkeit erblickte.

»Nun gut«, sagte ich. »Ihr habt mein Wort.«

Caratacus’ Miene hellte sich auf. »Wunderbar. Dann fangen wir an.«

Ich setzte mich ruckartig auf. »Jetzt sofort?«

»Ja, warum nicht? Oder habt Ihr etwas Besseres zu tun?«

Meine Antwort bestand darin, Griffel und Wachstafeln einsatzbereit zu machen. Caratacus füllte seinen Becher bis zum Rand mit Honigbier, nahm einen Schluck und lehnte sich dann auf seinem thronartigen Stuhl zurück.

»Seid Ihr so weit?«, fragte er. Ich nickte. »Gut. Dann fangen wir einfach am Anfang an …«

KAPITEL 3

Britannien, 18 n. Chr.

Man bringt Euch bei, dass Rom unbezwingbar ist und seine Feinde niemals auf den Sieg hoffen dürfen. Und nun seht Ihr einen bemitleidenswerten, heimwehkranken Fremden vor Euch und fragt Euch staunend, wie mein Volk der Macht der römischen Legionen so lange standhalten konnte. Aber jedes Reich kann untergehen, und sein König mit ihm. Eines Tages womöglich wird Euer Kaiser so enden wie ich. Für Euch ist das nur schwer vorstellbar, aber hört meine Geschichte und erfahrt, wie es dazu kam, dass ich, Caratacus, einst König der Catuvellaunen und Herrscher über viele britannische Stämme, heute in Rom bin.

Ich wurde in Verulamium geboren, der größten Siedlung unseres Stammes. Als ich zwei Jahre alt war, erfuhr mein Vater, König Cunobelinus, von der vernichtenden Niederlage, die die germanischen Stämme Varus und seinen Legionen beigebracht hatten. Mein Vater war nicht besonders religiös, aber als er diese frohe Kunde hörte, ordnete er sofort an, den Göttern zu opfern. Daraufhin wurden reiche Opfergaben in den Fluss Ver geworfen, die Druiden richteten zwei Diebe hin und lasen aus ihren Todeszuckungen große Siege für unser Volk heraus. So erzählt man es sich – aber es würde mich nicht überraschen, wenn sich die Wahrheit ein wenig anders verhielte. Mein Vater hatte ein Talent dafür, die Wahrheit seinem politischen Vorteil anzupassen. Er hätte einen guten römischen Anwalt abgegeben.