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Die Orte, an denen unsere Vorfahren zusammenkamen, um die Jahresfeste zu feiern und die Verbindung zu ihren Göttern zu suchen, faszinieren uns bis heute. Sind sie doch immer noch von Geheimnissen umgeben und oft mit Spukgeschichten verbunden. Auch in einer Großstadt wie Berlin kann man viele altheidnische Kultplätze noch finden und besuchen, denn nicht alle sind durch die Bebauung zerstört worden. Archäologische Funde wie z. B. Opfergaben, aber auch alte Sagen oder Flurnamen geben uns noch heute Hinweise auf diese Orte, die hier unter Anfügung der Sagen und Berichte mit Karten und Bildern ausführlich vorgestellt werden.
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Seitenzahl: 174
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Vorwort
Innenstadt (Mitte, Wedding, Friedrichshain, Kreuzberg)
Westen (Charlottenburg, Spandau, Wilmersdorf)
Süden (Zehlendorf, Schöneberg, Steglitz, Neukölln)
Osten (Treptow, Köpenick, Lichtenberg, Weißensee)
Norden (Reinickendorf, Pankow)
Nachwort
Anmerkungen
Abbildungsnachweis
Warum faszinieren uns die alten Tempel, Kultstätten, Heiligtümer, Blocksberge, Steinkreise, Opfersteine oder Urnenfriedhöfe unserer Vorfahren? Weil wir durch sie glauben, wenigstens ein bißchen in ihre spirituelle Welt eindringen zu können. Denn sie waren unbestreitbar als naturverbundene Menschen viel spiritueller, als moderne Menschen es je sein könnten. Sie wußten aus eigener Erfahrung Dinge, die uns verschlossen sind, ähnlich wie die Indianer. Gleichzeitig geht auch ein unterschwelliges Grausen von diesen Orten aus, da wir hier düstere Geschichten von Blut- oder gar Menschenopfern vermuten.
Die Kenntnis dieser Orte, an denen Menschen von heute scheinbar achtlos vorübergehen, hilft uns aber auch, uns in unserer Vergangenheit vertikal zu verorten: Wir sind danach eben nicht als Unwissende zufällig an irgendeinem beliebigen Ort der Erde, sondern wir sind das vorläufige Ende einer langen Geschlechterfolge, deren frühere Generationen an diesen Orten die Verbindung zu ihren Göttern suchten und fanden. Wir verstehen unsere Welt besser, da wir wissen, wie etwas anfing und zugleich sehen, wo es hingegangen ist. Wir haben damit zwei Punkte in der Entwicklungslinie, die wir nun leicht zu noch nicht erreichten Punkten der Zukunft verlängern können. Wenn wir also wissen, woher wir kommen und wo wir sind, wissen wir, wohin es weitergehen kann (oder auch nicht, wenn wir es absichtlich verhindern wollen).
Wir finden in diesem Buch Heiligtümer der germanischen Semnonen und der Wenden. Diese sollen angeblich „Slawen“ (eigentlich: sclaveni) sein und keine Germanen. Diese Theorie halte ich für falsch; die Wenden sind die Nachkommen der Wandalen und damit Ostgermanen. Deswegen sind auch die Wenden unsere direkten Vorfahren. Erst ab dem 4. Jh. kam der lateinische Begriff „paganus“ (= ländlich, heidnisch) nach und nach auf. Aber man hatte, bis es soweit war, das Problem, die noch heidnischen Stämme irgendwie von christlichen zu unterscheiden. Man nahm dazu den schon älteren Begriff „sclaveni“ („ich mache Kriegsbeute“), da in der Region, wo noch Heiden lebten, auch Menschen für die Sklaverei eingefangen wurden; so konnte „sclaveni“ zugleich „Sklaven“ und „Heiden“ bedeuten. Zu dieser Frage habe ich mich in meinem Buch „Der Slawen-Mythos“ (Norderstedt 2016) ausführlich geäußert, auf das ich hiermit verweise. Hier reicht es für uns zu wissen, daß keine fremden Völker in unserer Heimat lebten, sondern germanische Stämme, die viele heutige Menschen auch unter ihren eigenen Vorfahren haben.
Neben dem allgemeinen Interesse für die Geschichte oder die Religion der Vorfahren, die jeder Mensch in unterschiedlichem Maße hat, gibt es heute auch immer mehr Menschen, die sich ganz bewußt wieder zur Religion der vorchristlichen Zeit hinwenden, weil ihnen die Kirchen nicht die Antworten geben können, die sie suchen. Für diese Menschen, zu denen ich mich auch zähle, sind die Heiligtümer geheime Zugänge in eine andere Welt, in die Welt der Götter und Geister; der Schlüssel dazu sind alte Riten und Bräuche, die zu ganz bestimmten Zeiten am richtigen Ort ausgeübt werden müssen, um einen derartigen Zugang zu öffnen und die dort schlummernden spirituellen Kräfte zu erwecken. Auch hängen an solchen Orten noch oft die Gedanken der heidnischen Vorfahren, die wir aufnehmen können, um so in ihre Welt hineinzublicken.
In der heidnischen Zeit achtete man darauf, daß Unberufene solche Orte nicht betreten durften; zuweilen schützten Palisadenzäune oder sogar Wälle solche Heiligtümer, zumindest aber Wasserläufe, die man ohne Kahn nicht leicht überwinden konnte. Wichtige Heiligtümer hatten zumindest einen Priester, der in der Nähe wohnte oder sogar Wächter, die den Ort schützten, denn oft wurde dort Gold- und Bronzeschmuck niedergelegt, der ja nicht entwendet werden sollte (heutige Archäologen freuen sich über solche Opferhortfunde). Oder es wurden dort Menschen bestattet, deren Ruhe man nicht stören wollte. Es konnte leicht geschehen, daß man in Unwissenheit den Zorn der Gottheit erregte, wenn man Ihr Heiligtum einfach betrat und nichts opferte.
Heute hat die Großstadt viele der Heiligtümer eingenommen, und wir können davon ausgehen, daß von den spirituellen Kräften in der Steinwüste des Häusermeeres nichts mehr geblieben ist. Denn die spirituellen Kräfte sind mit der Natur verbunden und wurden durch regelmäßige Kultfeste gestärkt. Fehlt die Natur und bleiben die Feste aus, dann schwinden auch die spirituellen Kräfte an so einem Ort. Das ist der Zustand von vielen der heiligen Plätze, aber nicht von allen. Einige der Heiligtümer liegen noch heute im Walde und sind damit relativ unberührt. Oft sind es inzwischen Naturschutzgebiete geworden, weil in ihnen die spirituellen Kräfte, die unsere heidnischen Vorfahren aktiviert haben, immer noch so stark sind, daß bis heute dort die Natur vielfältig und urwüchsig ist.
Umso wichtiger ist es, daß wir, so wir nun über diese Plätze informiert sind, alles tun, um sie in ihrer ursprünglichen Unversehrtheit zu erhalten.
Seit alten Zeiten sind bestimmte Verhaltensregeln überliefert, die einzuhalten uns eine gern geübte Pflicht sein sollte. Man kann es vielleicht mit dem Verhalten auf einem Friedhof oder in einer Kirche vergleichen; an solchen Orten verbieten sich bestimmte Dinge von selbst. Ich fasse einmal die wichtigsten Regeln zusammen:
An diesen Orten sollten Besucher immer ein Gebet für die dort einst verehrten Gottheiten sprechen.
Man sollte immer etwas opfern, also eine Gabe niederlegen (Blumen, eine Cent-Messingmünze, Weihrauch, Speise), sonst – so heißt es in den Überlieferungen – hat man Unglück, da man die Wesenheiten verärgert.
Man sollte an dem Orte ruhig sein, weder laut reden, noch anderweitig lärmen, sich auf den Ort besinnen und sich andächtig verhalten.
Natürlich soll man dort nicht rauchen oder Müll hinwerfen oder seine Notdurft verrichten. Selbst mit Schneuzen hat eine Verwandte von mir an so einem Ort sehr negative Erfahrungen gemacht.
Wenn man einen Kult zelebrieren möchte, dann sollte dieser ein heidnischer aus unserer Kultur sein und sich an die dort verehrten Gottheiten richten, denn zuweilen sind sich Gottheiten gegenüber auch nicht gut. Man würde also in einem Heiligtum des Gottes Baldur niemals Seinen Gegenspieler Hödur verehren. Auch schwarzmagische Handlungen verbieten sich an solchen Orten und die Gefahr für diejenigen, die das an so einem Ort praktizieren, ist besonders groß.
Überliefert ist ferner, daß manche Heiligtümer gar nicht, andere nur von Frauen betreten werden durften, daß man sie nur gewaschen ansehen und betreten und keine Waffen mit hineinnehmen durfte. Streitereien mußten hier unterbleiben, es waren „Friedensstätten“.
Das sind nun vielleicht erst einmal abschreckende Regeln, aber sie sind aus spirituellen Gründen notwendig.
Viele Heiligtümer sind noch heute in Gefahr, zerstört zu werden. Der wendische Opferstein von Pichelswerder wurde gestohlen, andere Opfersteine könnten gleichfalls gestohlen werden, Schatzsucher könnten Raubgrabungen machen und dabei Grabstellen zerstören, Schmierfinken könnten Steine besprühen; Fanatiker anderer Religionen könnten destruktiv wirkende Rituale durchführen usw. Deswegen hatten sich vor 30 Jahren alle damaligen heidnischen Gemeinschaften geeinigt, keine Angaben zu Heiligtümern zu veröffentlichen. Aber heute hält sich niemand mehr daran, auch fehlt dann das Wissen über diese Orte auch in heidnischen Kreisen, daher habe ich mich doch – durchaus mit schlechtem Gewissen und nach reiflicher Erwägung des Für und Wider – durchgerungen, dieses Buch herauszugeben und apelliere an alle, die es lesen, diese Orte zu schützen und zu erhalten. Es geht auch nicht um einen bestimmten Opferstein, sondern um den Ort, wo er lag. Der Stein wurde nicht angebetet, er war immer nur Mittel zum Zweck. Ein Stein ist ersetzbar (nur der Archäologe bedauert, wenn es nicht mehr der originale Opferstein ist), die Kenntnis von dem Ort aber kann verlorengehen. Wenn im Kölner Dom der Dreikönigsschrein fehlen würde, und vielleicht noch ein Altar, würde man mit einem neuen Altar dort weiterhin Gottesdienste abhalten.
Wer das Buch aufmerksam liest, wird erkennen, daß es doch recht viele Heiligtümer gab und gibt. Das ist kein Wunder, denn ich führe Heiligtümer aller Zeiten gleichzeitig auf, die vielleicht früher nie gleichzeitig in Benutzung waren. Auch sind natürlich Fehler möglich, da nicht jedes Heiligtum durch die drei Hauptkriterien bezeugt ist, die ich als ideal ansehe, sofern alle drei zugleich zutreffen:
Sagen von dem Ort,
Bedeutsame Flurnamen,
Archäologische Belege.
Wenn ich also nur einen Flurnamen habe, nicht mehr, höchstens noch einen in der Natur herausragenden Ort, dann ist so ein Heiligtum eben leider nicht „sicher“ als Heiligtum bewiesen, sondern nur „unsicher“. Habe ich aber zwei („wahrscheinlich“) oder alle drei Kriterien („sicher“), dann kann ich mit Sicherheit von einem Heiligtum ausgehen. Zuweilen reicht ein Kriterium, wenn dieses sehr klar ist, etwa eine Sage, die von dem Kult einer Gottheit berichtet, oder archäologische Funde wie Pfostenlöcher eines Tempels. Aber wenn nur eine einzelne Urne gefunden wurde, kann ich dann gleich von einem heiligen Platz ausgehen? Vielleicht sind durch die Berliner Bauten alle weiteren Urnen längst zerstört, vielleicht werden aber noch weitere Urnen an dem Ort gefunden. Um es einfach zu machen: Ein einzelner Urnenfund reicht mir nicht aus; ich erwähne so etwas nur, wenn in der Nähe ein anderweitig bezeugtes Heiligtum liegt. Mehrere Urnen aber haben schon eine ernstzunehmende Bedeutung, und ich führe solche Orte an. Auch ein einzelnes Körpergrab allein ist kein ausreichendes Indiz. Allerdings sind auch mir nicht alle Funde aller Zeiten bekannt und so kann ich durchaus einen Ort vergessen haben; ich bitte in so einem Falle um Mitteilung.
Die Sagen werden heute leider eher stiefmütterlich behandelt und als Primärquellen nicht ernstgenommen. Seriöse Sagendeutungen gibt es nicht mehr. Ich hingegen räume den Sagen eine große Bedeutung ein und versuche, in ihnen enthaltene Tatsachen zu erkennen. Deswegen finden sich in diesem Buch sehr viele auf Kultstätten hinweisende Sagen. Die Sagen oder andere Quellen sind hier zur Unterscheidung von meinen Deutungen in deutscher Frakturschrift gesetzt. Wer diese Schrift – warum auch immer – nicht lesen will oder kann, dem kann ich nur sagen: Kaufe dieses Buch nicht, du bist nicht meine Zielgruppe. Das Bekenntnis zu unserer Kultur und Sprache, zu der auch unsere deutsche Schrift gehört, erwarte ich von meinen Lesern und setze es hier also voraus. Wer unsere Kultur ablehnt, der muß die Sagen auch nicht kennen und über die uns heiligen Plätze auch nichts wissen.
Auch früher herrschte Ordnung, und nicht jeder konnte in jedem Heiligtum machen, was er wollte. Man kann auch nicht einfach in eine katholische Kirche gehen und dort am Altar ohne zu fragen einen freien Jesus-Kult zelebrieren, selbst wenn man Katholik ist; das würde dem Pfarrer und der Gemeinde nicht gefallen. Die Heiligtümer, die von heidnischen Kultgemeinden wieder genutzt werden, sollten für Nichtmitglieder der Kultgemeinde tabu sein. Weder ist es sinnvoll, daß sich unterschiedliche Gruppen solche Plätze gegenseitig streitig machen, noch tragen Zank und Streit um so einen Ort dazu bei, daß seine spirituelle Kraft erhalten bleibt. Sollte so ein Streit entstehen, sind beide Seiten aufgerufen, sich an mich zu wenden, ich werde gerne zwischen ihnen vermitteln.
Ich wohnte bis Mitte 1999 in Berlin und habe seit 1983 gesucht und geforscht, um diese Orte zu finden oder besser: „wiederzufinden“. Zuweilen half mir sogar der „Zufall“, der mir eine Überlieferung in die Hand spielte, die ich noch nicht kannte. So entstand eine große Materialsammlung, aus der ich nun dieses Buch gemacht habe. Wenn ich nicht mehr bei jeder Sage die genaue Quellenangabe machen kann, dann deswegen, weil ich seit Jahren einen Stapel von Photokopien aus den verschiedensten Sagenbüchern gesammelt habe und leider damals für den Eigengebrauch nicht immer dazugeschrieben hatte, woher ich die Sage kopiert habe. Heimatforscher werden aber die Sagen in der Regel kennen, denn viele sind durchaus bekannte Berliner Sagen und benötigen keinen Herkunftsnachweis.
Wer das „Kultplatzbuch“ von Gisela Graichen1 kennt, der weiß, daß dort für Berlin auf vier Textseiten nur fünf derartige Orte genannt werden. Das liegt daran, daß die Autorin rein archäologisch vorging, also Sagen oder bestimmte Flurnamen ignorierte, aber auch was archäologisch bezeugte Kultstätten betrifft, nur die jüngste Forschung berücksichtigte. Die Pfosten des Tempels von den Müggelbergen sind archäologisch bezeugt, dennnoch kommt so ein Ort nicht bei Gisela Graichen vor. Ich hingegen setze auf Vollständigkeit; ich erwähne lieber einmal einen Ort mit merkwürdigem Flurnamen zuviel, als ein mögliches Heiligtum unberücksichtigt zu lassen.
Es hat sich gezeigt, daß wir sogar fünf vollständige Heiligtümer in Berlin rekonstruieren können, bei denen wir den Kultplatz, sowie den zugehörigen Dingplatz (Versammlungsplatz) und teilweise sogar die dort hauptsächlich verehrte Gottheit kennen, nämlich Heiligensee, Pichelswerder, Dachsberg, Blanke Helle und vielleicht den Faulen See. Wir kennen viele weitere Heiligtümer, von denen wir aber nicht so viel wissen. Dazu kommen Urnenfriedhöfe der Vorzeit und Opferhorte. Natürlich sind geopferte Bronzegegenstände meist Opfergaben eines Einzelnen, die er an einer ihm bedeutend erscheinenden Stelle niederlegte, die deswegen nicht unbedingt ein Heiligtum der Gemeinschaft war. Aber bei einigen der Opferhorte (Groß Glienicker See, Stresow, Bäkesee, Laßzinswiesen) handelte es sich mit Sicherheit um mehrfach und über einen längeren Zeitraum von verschiedenen Personen genutzte Opferstellen.
Die Heiligtümer wollte ich nach den alten 20 Bezirken Groß-Berlins ordnen, was leider nicht ging, denn in manchen Bezirken gibt es nur wenige, in anderen sehr viele, in einigen fand ich gar keine. So habe ich nun das Buch in fünf Kapitel eingeteilt, neben der Mitte von Berlin in die vier Himmelsrichtungen mit den dort liegenden Orten. Heiligtümer richten sich in der Regel nicht nach modernen Bezirksgrenzen. In einigen Fällen habe ich auch ein wenig über die Stadtgrenze hinaus geblickt.
Trotz aller Anstrengungen sind längst noch nicht alle auf Heiligtümer hinweisende Flurnamen gedeutet und noch weitergehende Forschungen nötig. So mußte ich mangels genauerer Angaben den Schalenstein von Weißensee hier weglassen, denn weder weiß ich, wo er lag, noch wo er verblieben ist. Auch zu den von E. Friedel (1880) erwähnten Steinkreisen liegen mir genauere Angaben leider nicht vor, dennoch führe ich sie hier der Vollständigkeit halber auf. Ein weiteres Problem sehe ich darin, daß nicht alle Orte, die z. B. nach einer Gottheit benannt sind, auch wirklich Kultorte gewesen sein müssen. Die Gatower „Helleberge“ sind nach der Göttin Hellia/Hela (Holle) benannt, aber wurde diese Göttin dort auch regelmäßig kultisch verehrt? Kann man an jedem Ort, von dem es eine Spuksage gibt, von einem in heidnischer Zeit bedeutenden Ort ausgehen? Bedeutet es, wenn ein Bauer irgendwann in der Jungfernheide die „Wilde Jagd“ gesehen hat, daß hier einst Wodan verehrt wurde? Und kann ein „Teufelssee“ nicht auch einfach nur so heißen, weil in ihm viele Menschen ertrunken sind oder er allgemein unheimlich ist? Endgültige Sicherheit darüber werden wir nicht bekommen, und deswegen stellen meine Deutungen solcher Orte nur eine Möglichkeit dar, die nicht den Anspruch hat, absolut richtig sein zu müssen. Ich muß es also dem Leser überlassen, selbst zu entscheiden, ob er einem Gedankengang folgen will oder nicht, und ich riskiere, daß einzelne meiner Deutungen als „unwissenschaftlich“ oder „spekulativ“ abgetan werden. Damit rechne ich, muß es aber in kauf nehmen.
Ein entsprechendes Buch der Heiligtümer Brandenburgs steht noch aus, aber in meiner jetzigen Wohnregion, der auch für Berliner interessanten Ausflugsregion der Habichtsberge (Hoher Fläming), 80 km südwestlich von Berlin bei Bad Belzig, habe ich bereits die dortigen Heiligtümer zusammengetragen und in dem Buch „Kultstätten im Fläming“2 veröffentlicht.
In einigen Heiligtümern fanden seit einigen Jahrzehnten auch schon wieder Kulte statt, die von organisierten oder unorganisierten Berliner Heiden begangen wurden. Ich erwähne dies mit, sofern es mir bekannt wurde.
Abb. 1: Die Petrikirche um das Jahr 1690.
Einiges in dieser Sage kann nicht stimmen, so etwa der hier erwähnte wendische männliche Gott Triglav („Dreikopf“). Wir wissen, daß es sich um einen griechischen Namen der dreifachen Erdgöttin handelt, daß also erst Missionierer hier eine vorgefundene germanische Gottheit in ihren Schriften mit diesem griechischen Namen bezeichneten, um ihren Lesern zu verdeutlichen, um welche Gottheit es sich handelt. Den germanischen Namen wagte man als Christ nicht zu nennen, da Gottheiten als Dämonen galten und man Sie bei Verwendung Ihrer Namen ungewollt herbeirufen könnte. Tricephalos („die Dreiköpfige“) ist ein Beiname der Hecate5, und Hecate ist ein anderer Name für die Mondgöttin Diana. Diana aber wurde bereits im Mittelalter mit der germanischen Göttin Perchta-Holda identifiziert. Ich gehe daher davon aus, daß der Tempel der Göttin Perchta geweiht war, die die Chronisten dann mit dem Beinamen der Diana-Hecate bezeichneten, wie auch der Römer Tacitus überall die lateinischen Namen verwendete, um seinen Lesern germanische Gottheiten nahe zu bringen. Der Beiname deutet darauf hin, daß die Göttin in einer Dreiheit (Himmelswelt, Erde, Unterwelt) verehrt wurde. Es handelt sich also um die germanische Göttin Perchta („die Bergende“), die bei den Wenden Parychta genannt wurde6, ansonsten auch Pertae oder Bertha heißt. Diese Form findet sich schon auf einer Votivinschrift von Vistre aus der Gegend von Nimes7, 3. Jh.:
»PERTAE EX VOTO«
Sie ist mit Holda oder Holle („die Verhüllende“)8 sowie der Göttermutter Fria (Frigg) identisch. Burchard von Worms nennt sie im 11. Jh. „Friga-Holda“.
Der Chronist hat also die germ. Hauptgöttin Fria/Holle/Perchta vorgefunden und diese – wie seinerzeit üblich – mit Diana/Hecate identifiziert und daher den Hecate-Beinamen Triglav verwendet. Die Gleichsetzung von Diana mit Perchta finden wir z. B. im „Thesaurus“, Tegernsee 14689:
»Qui credunt quod Diana, quai vulgariter dicitur fraw Percht«
Im 15. Jh. schreibt Johannes Herolt in „Sermones“10:
In einer Fassung steht statt „Frau Berthe“ auch „Frau Helt“ (= Holle).
Warum wurde hier nun gerade diese Göttin verehrt? Perchta ist eine Göttin, der zu Ehren man Fische opferte und die Fischreichtum gewährte. Frau Perchta zieht mit der „Wilden Jagd“ umher wie Diana, mit der sie die Chronisten ja immer verglichen. Die Wenden aber ernährten sich hauptsächlich von Jagd und Fischfang, so daß diese Göttin für sie eine besondere Bedeutung – hier an der fischreichen Spree – hatte. Und zum Fisch finden wir den Hinweis im deutschen Volksglauben, daß Perchta meist Fisch oder Grütze als Opfergabe fordere11.
Im Jahre 1891 wurde in Schleswig ein alter Reigentanz für die Göttin Perchta aufgezeichnet, dessen Text auch den Fischer erwähnt, sowie Perchtas Wildes Heer12:
Übrigens soll auch auf den Müggelbergen ein Bild Triglavs gestanden haben; doch die Sage nennt hier ein Mädchen namens Bertha, was doch unzweifelhaft wiederum die Göttin Perchta ist.
Auch ansonsten enthält die Gründungssage Berlins Dinge, die so nicht stimmen können. Es wäre wohl völlig undenkbar, daß man in einem hölzernen Tempel ein geflochtenes Götterbild mit Gefangenen darin anzündet; das Feuer würde in kürzester Zeit den ganzen Tempel verbrennen und sein Rauch zuvor alle Besucher des Tempels ersticken. Niemals hätte man hier Menschen verbrennen können. Es ist also anzunehmen, daß irgendein Sagenerzähler hier ein wenig „ausgeschmückt“ hat, um seiner tendenziösen Schilderung etwas mehr Spannung zu verpassen. Außerdem wollte er wohl die Missionierung der Wenden (Wandalen) rechtfertigen, indem er die übliche Barbarenpropaganda verwendete: Heiden bringen unschuldige, andersdenkende Menschen grausam um, daher sind alle Kreuzzüge (z. B. der Wendenkreuzzug) und Missionierungsmaßnahmen mehr als gerechtfertigt.